Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III

Bei Besichtigung der Wildnis verhehlte Batiste sich nicht, dass eine Zeit schwerer Arbeit seiner harrte. Aber das entmutigte ihn nicht. Er war gewöhnt an den Kampf um das tägliche Brot. Hier würde er es gewinnen – sogar reichlich, wie er meinte. Auch tröstete ihn der Gedanke, sich häufig schon in böseren Lagen befunden zu haben. Immer wieder war er zu Berufswechseln gezwungen gewesen, ohne dass er sein Ziel, einen bescheidenen Wohlstand für seine Familie, erreicht hätte.

Als Batiste seine Frau kennen lernte, arbeitete er auf einer Mühle in der Nähe von Sagunt, wo er sich nach seinen eigenen Worten – wie ein Hund abrackerte, damit bei ihm zu Hause nichts mangelte. Und der liebe Gott belohnte seinen Fleiss, indem er ihm jedes Jahr ein Kind schenkte, hübsche, kleine Wesen, die aber leider mit Zähnen auf die Welt zu kommen schienen, nach der Hast zu urteilen, mit der sie die Brust der Mutter im Stich liessen und von morgens bis abends nach Brot schrien. Infolgedessen sah sich der Vater gezwungen, die Arbeit auf der Mühle niederzulegen, um zu versuchen, als Fuhrmann grössere Einnahmen zu erzielen.

Doch das Pech verfolgte ihn. Keiner ging unterwegs sorgsamer mit den Pferden um; keiner verpflegte sie besser. Und wenn Batiste vor Müdigkeit fast umfiel, wagte er es doch nie, wie seine Kameraden im Wagen zu schlafen und die Tiere frei grasen zu lassen. Unablässig bewachte er sie, auf dem Marsch stets neben dem Vorderpferd, um Löchern und tiefen Radspuren auszuweichen. Trotz alledem: wenn ein Wagen umwarf, war es der seinige; wenn ein Pferd infolge der kalten Regen erkrankte, gehörte es Batiste. Und dabei deckte er seine Tiere schon ein, sobald nur ein paar Tropfen fielen.

Jahrelang führte er dieses beschwerliche Wanderleben auf den Landstrassen der Provinz, bei magerer Kost, wenig Schlaf und monatelanger Trennung von seiner Familie, der er die ganze Liebe eines rauhen, schweigsamen Mannes entgegenbrachte, und erlitt doch nur Verluste.

Immer mehr verschlechterte sich seine Lage. Die Gäule gingen ein, neue mussten auf Kredit gekauft werden, und was er mit dem Wein- und Öltransport verdiente, blieb in den Händen der Rosskämme, so dass Batiste auch dieses Gewerbe aufgab.

Jetzt nahm er bei Sagunt ein Stück Land in Pacht, trockene, ewig durstige Erde, auf der hundertjährige Johannisbrotbäume ihre hohlen Stämme verdrehten oder Olivenbäume die staubigen, runden Kronen reckten. Hier wurde sein Dasein zu einem beständigen Kampf gegen die Dürre. Fortwährend beobachteten seine Augen den Himmel und eine zitternde, hoffende Erregung befiel ihn jedesmal, wenn ein dunkles Wölkchen am Horizont auftauchte. Vier aufeinanderfolgende Jahre der Trockenheit! Vier missratene Ernten! … Und als Batiste nicht mehr aus noch ein wusste, lernte er auf einer Reise nach Valencia Don Salvadors Söhne kennen, – »möge Gott sie segnen, diese edlen Menschen« – die ihm ihre Ländereien für zwei Jahre unentgeltlich überliessen. Erst wenn die Felder sich wieder in ihrem früheren Zustande befanden, sollte die Pacht festgesetzt werden.

Wohl vernahm Batiste einiges von dem, was sich dort abgespielt hatte und die Besitzer nötigte, dieses Land brach liegen zu lassen. Aber schliesslich, wieviel Zeit war seitdem vergangen! … Überdies: Armut hat keine Ohren. Ihm passte das Land und er blieb darauf. Was scherten ihn diese alten Histörchen von Don Salvador und dem armen Barret? …

Energisch drängte Batiste alle anderen Gedanken beiseite und gab sich nur der angenehmen Empfindung hin, ein Stück dieser fruchtbaren Huerta, die er auf seinen Fahrten zwischen Valencia und Sagunt so oft mit neidischen Blicken betrachtet hatte, jetzt selbst bestellen zu können. Ihr kräftiger, unerschöpflicher Schoss brachte eine gute Ernte nach der andern hervor, und überall zirkulierte in zahllosen Gräben und Kanälen das rötlich gefärbte Wasser wie lebenspendendes Blut in einem komplizierten Netz von Venen und Arterien.

Welch ein Glück, dem dürren, ausgesaugten Boden von Sagunt entronnen zu sein! Endlich befand er sich auf dem richtigen Wege. Das Land war zwar völlig verwahrlost, aber mit gutem Willen? … An die Arbeit! Und der muskulöse Mann mit den Gigantenschultern und dem gutmütigen Gesicht dehnte seine starken, an schwere Lasten gewohnten Arme.

Seine Felder nahmen ihn so völlig in Anspruch, dass er kaum auf die Neugierde der Nachbarn achtete, die verstohlen sein Tun mit finsteren Blicken verfolgten. Batiste kannte dieses spähende Misstrauen, dem Neuangekommene meist ausgesetzt sind. Mit der Zeit würde man sich schon an ihn gewöhnen.

Am Tage nach seiner Ankunft zündete er, unterstützt von Frau und Kindern, den ganzen ungeheuren Unkrautwust an, den zehn Jahre in ein dichtes Gestrüpp verwandelt hatten. Knisternd zog die Flamme über die Felder und hüllte die Barraca in dichte Rauchschwaden, die den dumpfen Zorn der Huerta erregten.

Wie ein Häuflein emsiger Ameisen kribbelte sodann die ganze Familie auf dem Felde herum, denn niemand konnte müssig bleiben, solange der Vater arbeitete. Seine Frau Teresa und Roseta, die erwachsene Tochter hackten, die Röcke geschürzt, eifriger als ein Tagelöhner, und hielten einen Moment nur inne, um das Haar aus der roten, schweissbedeckten Stirn zurückzustreichen. Inzwischen war der älteste Sohn, eine grosse Kiepe auf der Schulter, beständig zwischen der Barraca und Valencia unterwegs, von wo er Dünger holte, der sich wie eine Ehrenpforte rechts und links der Haustür auftürmte. Die drei kleinen Jungens aber gingen ernst und bedächtig, als verständen sie die schwierige Lage der Familie, hinter den Erwachsenen her, und rissen aus den Schollen die zähen Wurzeln des verbrannten Gestrüpps.

Nach Wochen harter Arbeit, die beim Morgengrauen begann und bis in die Nacht dauerte, war die Hälfte des Bodens umgelegt, und der alte tüchtige Klepper, der mit zur Familie gehörte, wurde vor die Egge gespannt.

Mittlerweile war es San Martin geworden, die richtige Zeit für die Aussaat. Batiste teilte das Land in drei Teile, bestimmte den grössten für Weizen, einen kleineren für Gemüse und das dritte Stück für Pferdefutter, das sich der wackere Morut wohl verdient hatte. Und mit der Freude von Menschen, die nach schwerer Seefahrt den Hafen entdecken, ging die Familie an die Aussaat. Die Zukunft war gesichert: die Erde der Huerta trog nicht, sie würde das tägliche Brot für ein Jahr geben.

An demselben Tage, an dem die Saat beendigt war, sahen sie nachmittags eine Schafherde näherkommen, die, alter Gewohnheit folgend, vom Wege abwich und erst am Rande der bestellten Felder verwirrt halt machte. Hinter ihr schritt, mit seinem Stabe vor sich hertastend, ein uralter Mann mit tief in die Höhlen eingesunkenen Augen und runzeliger Pergamenthaut. Als er das Stocken seiner Herde gewahrte, trieb er sie mit lautem Zuruf an. Gespannt beobachtete ihn die Familie – war er doch der Einzige, der in all den Wochen, die sie hier wohnten, ihr Land betrat. Batiste ging ihm entgegen.

»Hier ist keine freie Weide mehr, die Felder werden wieder bebaut. Habt Ihr nicht davon gehört?«

Der greise Tomba, der seine Herde während der letzten Zeit nach dem Bruch von Carraixet getrieben hatte, wusste von nichts. Voller Staunen streckte er seinen Kopf vor und versuchte mit seinen fast erloschenen Augen den Verwegenen zu erkennen, der gegen den Willen der ganzen Huerta das Unmögliche wagte.

Eine ganze Weile stand er stumm da, um endlich mit trauriger Stimme zu murmeln:

»Schlimm, sehr schlimm! Auch ich bin in meiner Jugend keck und dreist gewesen, und es machte mir Spass, gegen die anderen anzugehen. Aber wenn der Feinde so viele sind! … Schlimm, schlimm für euch! Auf diesen Feldern liegt seit der Zeit des armen Barret ein Fluch.«

Langsam trieb er seine Herde bis auf den Weg zurück. Und sich noch einmal nach Batiste umdrehend, hob er wie ein Prophet die fleischlosen Arme:

»Glaube mir, mein Sohn, sie bringen euch Unglück!«

Natürlich war es der Huerta ein neues Ärgernis, dass der alte Tomba nach zehn Jahren von seiner Weide vertrieben wurde. Kein Wort fiel über die Berechtigung des Verbots; man sprach nur von der Rücksicht, die man diesem ehrwürdigen Schäfer schuldete, der sich in seiner Jugend wie ein Held mit den Franzosen herumgeschlagen hatte, und dessen in etwas rätselhafte Worte eingekleidete Weisheit den Leuten einen abergläubischen Respekt einflösste.

Weiteren Unwillen erregte es, dass Batiste jetzt begann, auch die Barraca instand zu setzen. Morut trabte zur Stadt und brachte von Valencia einen Wust von Schutt und Gerümpel, für den sein Herr irgendwie Verwendung zu haben glaubte. Neben den rapide wachsenden Düngerhaufen erhoben sich nun Berge von zerbrochenen Ziegelsteinen und wurmstichigen Brettern, Reste von Türen und Fenstern – kurz, alles, was die Stadt als unbrauchbar abstiess.

Die Huerta kam aus dem Staunen nicht heraus über die Schnelligkeit und Gewandtheit, mit der diese Ameisen zu arbeiten verstanden.

Frische Dachsparren ersetzten die brüchigen, der eingefallene First wurde geradegezogen und das ganze Dach neu mit Stroh gedeckt. Sogar die kleinen Kreuze an seinem Ende mussten anderen weichen, die Batistes geschicktes Messer schnitzte und deren Arme kunstvolle Rosetten schmückten. In der ganzen Umgebung gab es keinen Giebel, der sich stolzer reckte. Nun folgte die Arbeit an den Wänden. Die Spalten verschwanden, und Mutter und Tochter tünchten, bis das Häuschen in blendendem Weiss schimmerte. Aus dem von Valencia geholten Gerümpel zimmerte Batiste neue Türen und Fenster, die grün gestrichen wurden; auch belegte er den Boden der Laube vor der Tür, wo die Frauen in den Mussestunden nähen sollten, mit roten Ziegeln. Eine ganze Woche lang stieg er in den Brunnen hinab, um mühsam Steine und Geröll heraufzuholen, die sich in zehn Jahren angesammelt hatten. Endlich brachte der Schöpfeimer frisches, klares Wasser hoch. Laut knarrte die alte Winde, als lachte sie fröhlich über die Bosheit der Nachbarn, die ihre Wut stillschweigend in sich hineinfrassen.

An Stelle der verfaulten Schilfrohrhecke umgab den Hof jetzt ein weissgestrichener Zaun. Auf dem kleinen Platz vor dem blitzblanken, freundlichen Häuschen blühten in buntbemalten, ausrangierten Kochtöpfen Asphodilien und Nelken, und durch die offene Tür – ah, dieser Protz! – blinkten auf den blauen Kacheln der neuen Anrichte dickbauchige, grünglasierte Krüge; alles zusammen eine Vereinigung leuchtender Farben, die die Blicke der Vorübergehenden auf sich zog.

Tief erbittert, Wut im Herzen, eilten die Bewohner der Huerta zu Pimentó.

»Wie lange sollen wir uns das noch bieten lassen? Pimentó, du bist unser Führer in dieser Sache, … was gedenkst du zu tun?«

Pepetas Gatte kratzte sich etwas verlegen den Kopf.

»Was ich vorhabe? … Mit diesem hergelaufenen Menschen ein paar deutliche Worte zu reden! Aber der Kerl geht ja niemals aus, und wollte ich ihn in seinem eigenen Hause bedrohen, so würde der Verdacht für alles, was sich hier noch ereignen wird, sofort auf mich fallen. Also … ein wenig Geduld! Das einzige, was ich euch versichern kann, ist, dass dieser Schurke weder seinen Weizen, noch seine Bohnen, noch was er sonst gesät hat, ernten wird. Der Teufel soll ihn und seinen ganzen Kram holen!«

Die Gelegenheit für eine Unterredung liess nicht auf sich warten. Eines Abends kam Batiste, der keine untätigen Hände im Hause sehen konnte, sehr zufrieden von Valencia zurück, da er dank der Fürsprache von Don Salvadors Söhnen, die dem neuen Pächter sehr gewogen waren, für seine in der Barraca entbehrlich gewordene Tochter Arbeit gefunden hatte. Vom nächsten Tage an sollte Roseta sich einreihen in die lange Prozession junger Mädchen, die beim Morgendämmern zur Stadt eilten, um in einer Seidenfabrik mit flinken Fingern die Kokons abzuwickeln.

Als er sich dem »Vollen Gläschen« näherte, trat ein Mann heraus und kam ihm langsam entgegen. Batiste bedauerte jetzt, keine Waffe, nicht einmal sein Messer bei sich zu haben, denn er hatte den gefürchteten Pimentó erkannt. Trotzdem machte er ruhig halt, kreuzte die sehnigen Arme auf der Brust und erwartete die Anrede des anderen.

Pimentó mass ihn von oben bis unten und begann mit einer Stimme, der er vergeblich einen wohlwollenden Ton zu verleihen suchte:

»Nur zwei Wörtchen möchte ich Euch sagen. Eure Anwesenheit hier ist ein Schimpf für uns alle, deshalb tätet Ihr gut daran, mit Eurer Familie wieder fortzugehen; recht bald zu gehen … Glaubt einem Mann, der hier geboren ist und die Gefühle der Huerta kennt.«

Batiste, dessen Ruhe den andern in Verwirrung brachte, lächelte ironisch.

»Ich soll fortgehen? Wer könnte mich wohl zwingen, das Land, das ich rechtmässig bebaue, um meine Familie ernähren zu können, im Stich zu lassen? … Ich bin ein friedlicher Mensch, – wohlverstanden aber wer mir an den Wagen fahrt, der wird etwas erleben. Ich belästige niemanden, verlange jedoch, dass man mich gleichfalls in Ruhe lässt.«

Damit kehrte er dem Grossmaul verächtlich den Rücken und setzte seinen Weg fort.

Pimentó, daran gewöhnt, dass alles vor ihm zitterte, sah dem Hünen fassungslos nach.

»Ist das Euer letztes Wort?« schrie er endlich.

»Das letzte!« antwortete Batiste, ohne sich umzudrehen.

Allmählich erst fand der Raufbold sein Selbstgefühl wieder. Himmel und Hölle! Wie ihn dieser Kerl abgeführt hatte! Verwünschungen knirschend, drohte er mit geballter Faust nach der Wegbiegung, hinter der Batiste verschwunden war.

»Das wirst du mir bezahlen, verfluchter Hund!«

Und in seiner von Wut bebenden Stimme vibrierte der ganze Hass der Huerta.


 << zurück weiter >>