Björnstjerne Björnson
Auf Gottes Wegen
Björnstjerne Björnson

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2.

Die beiden, die unten an der Straße Frieden geschlossen hatten, gingen Arm in Arm weiter.

An der Ecke der Straße und des Strandweges stand der Maurer Andersen auf einem Gerüst, ein vierschrötiger Kerl mit langem, braunem Bart und Schutzbrille – der ganze Mann weiß von Kalk. Er sah die hellgekleidete Dame wieder, die seinem Jungen geholfen hatte, und als sie Arm in Arm mit dem bebrillten Herrn kam, den er hatte hinaufgehen sehen, da vermutete er, daß das der neue Doktor sein müsse; der Pastor war ja sein Schwager, und von dem kamen sie jetzt. Andersen unterbrach seine Arbeit und grüßte sie; Ragni hielt ihren Mann an und sagte etwas – das konnte Andersen sehen. Er machte den Arbeitern ein Zeichen, still zu sein, und fragte, was die gnädige Frau gesagt habe. Sie wollte wissen, ob der Junge eingeschlafen wäre? Ja, ein wenig; aber sie möchten gern, daß der Herr Doktor ihn untersuchte, wenn er erwacht wäre; »denn das ist doch wohl der neue Doktor?« – »Ja, der war er.« Die Leute im Hause traten sofort an die Fenster, und ebenso ein paar in den nächsten Häusern; einer, der vorbeiging, blieb stehen, sah sie an ging dann weiter und er erzählte es auf der ganzen Straße. Andersen benutzte die Gelegenheit, seine schwachen Augen zu erwähnen; auch die sollte der Doktor später untersuchen. Aus den Fenstern und auf der Straße sahen ihnen die Leute nach, als sie gingen; viele grüßten. Sie waren jung, sie vergaßen darüber, was eben geschehen war und hatten ein Gefühl davon, daß sie es hier gemütlich haben könnten.

Unter denen, die unwillkürlich grüßten, war ein ganz junger Mann mit zu starkem Haarwuchs, einem blassen, gebogenen Gesicht, von schmächtigem Bau, hoch aufgeschossen, etwas Feines und Verlegenes lag über ihm. Als sie ihn ansahen, errötete er. »Da hast du wahrhaftig eine Eroberung gemacht, flüsterte Kallem. Kurz darauf kam ihnen eine merkwürdige Gestalt entgegen; hoch, vornübergebeugt, in Bluse und Schurzfell; das Haar schwarz und staubig: das Gesicht ungewaschen, ja schmutzig. Er trug einiges Werkzeug in den schmalfingrigen Händen, die an ungewöhnlich langen, in einem Bogen hinter ihm her schlenkernden Armen hingen; wenn sie die Schwingung gleichzeitig gemacht hätten, müßten sie zusammengestoßen sein. Er trug keinen Hut, das kurzgeschnittene Haar ließ die ganze Kopfform erkennen. Die Stirn weder breit noch hoch, aber ungewöhnlich fein gebaut; die Wangenpartie länglich mit hervortretenden Knochen. Ein etwas höhnischer Ausdruck in den eiskalten, kleinen Augen und um den zusammengekniffenen Mund; die Nase klein und niedrig, das Kinn länglich. »Nein, sieh den da!« flüsterte Kallem. »Pfui!« antwortete sie. Sie ging mit forschenden Augen an dem Burschen vorbei. Kallem sah zurück und als sie vorübergekommen waren, wandten sich beide um. Eine alte Frau kam gewatschelt. »Wer ist der Mann?« fragte Kallem. Sie sah erst Kallem, dann den Mann an. »Das ist Kristen Larsen.« – »Ist er Feinschmied?« – »Was?« – »Feinschmied!« – »O ja. Aber er ist auch Uhrmacher – und Büchsenmacher; ja allerhand.« –

Der Strandweg war gegen die See hin offen und ohne irgendwelchen Steindamm. Im Wasser lag allerlei und verfaulte, ebenso auf dem Lande. Die ganze Stadt hatte ein unfertiges Aussehen; ein großes Haus neben einem kleinen, dann ein Stein-, dann ein Blockhaus, alle wie in Eile und mit geringen Mitteln gebaut. Die Häuser lagen nicht einmal in gerader Linie, und die Straße war nur eben erträglich. Die Leute, denen sie begegneten, waren noch nicht Städter, aber auch nicht mehr Landleute; durchgehends »vorsichtig und freundlich,« wie Kallem sagte; – Mittelgut.

Dann standen sie auf dem Markte, von dem aus der Weg nach der Kirche führte; diese lag frei, hoch und schlank. Hier waren sie Josefine begegnet, als sie gerade hinaufgehen wollten; denn dort oben rechts vor der Kirche, frei in einem Park mit Garten davor, lag ihr Haus; von hier aus konnten sie es sehen.

Die Straße spaltete sich unmittelbar vor der Kirche und führte nach beiden Seiten weiter; am Wege rechts sollte ihr Heim liegen. Als sie näher an die Kirche heran kamen, sahen sie den Park hinter ihrem eigenen Hause und darin die Dächer des großen Krankenhauses. Endlich – sie gingen langsam und gespannt, ohne ein Wort zu sagen – endlich der große Garten und darin ihr Haus! Ein Holzhaus in Schweizerstil, etwas zu breit, die Fenster groß und jetzt alle geöffnet. Eine Veranda nach einem sandbestreuten Platze zu, auf den Treppen hinabführten. Diesem offenen Platze am nächsten der Blumengarten, dann weiterhin der Küchengarten, und an den Seiten und der Stadt zugekehrt ein recht großer Obstgarten. Die beiden Besitzer sahen es zu gleicher Zeit. Hier war es. Sechs lange Jahre hatten sie jeder für sich dafür gearbeitet; es sich in vielen Formen erträumt, nur nicht in dieser, es nach vielen Orten verlegt, nur nicht hierher. Alle die geträumten Bilder von der Gegenwart ausgestrichen! Beide wandten sich um, maßen Weite und Größe der Landschaft mit den Augen, und sahen sich lächelnd an. Merkwürdig, gerade jetzt kein Mensch zu sehen, kein Ton oder Lärm, der an etwas in der Nähe oder Ferne erinnerte. Sie und ihr Heim! Das eine von ihnen sah, was das andere sah; des einen Sehen und Fühlen wurde durch das Bewußtsein geschärft, daß das andere dabei war. Ragni löste ihren Arm aus dem Kallems, ging an den aus Wachholderstäben zusammengesetzten Zaun und faßte durch die Stäbe, um einige Gräser und einen Zweig zu erreichen: damit kam sie zurück und befestigte es an seinem Rocke. Weiter oben sah er einen Busch Glockenblumen, ging hin, griff mit der Hand danach und kam damit zurück; sie nahm die seinen und pflückte noch mehr; als es viele geworden waren, sah es hübsch aus.

Neben dem Hause und auf dem Hofe lagen Kisten, ausgepackte Möbel, Stroh, Sägespäne, Matten. Ragnis großer Flügel war gerade ausgepackt und die Beine angeschraubt; aber kein Mensch zu sehen.

Ein großer, freigebauter Taubenschlag stand da. »Denke dir, wenn Tauben geflogen kämen? Wir müssen Tauben halten!« – »Nein, denke dir, wenn jetzt ein Hund gelaufen käme? Wir müssen einen Hund halten!« – Hier war keine Thür; erst von dem Wege aus, der den Park vom Garten trennte. Hier blieben sie stehen und wandten sich noch einmal nach der weiten Landschaft zu.

In der reichsten, sonnenfrohesten Gegend, die vielleicht das Land hatte, darin war ihrer Meinung nach ihr Heim die Mitte des Kompasses. Ragni sah hinaus, ob das Pfarrhaus sichtbar wäre; keine Spur! Kallem ahnte, wonach sie sah und lächelte. Sie hörten vom Erdgeschoß her die Arbeiter durch die offenen Fenster; jetzt hörten sie, wie sie die Verandatreppe unter Lärm und Lachen herunterkamen; sie gingen gerade auf den Flügel los und merkten die beiden nicht, die dort standen. Sie schwatzten, probierten, mühten sich mit all dem unnötigen Lärm, der eine ungewohnte Arbeit zu begleiten pflegt. Dann zogen sie mit dem Flügel nach der Veranda, bald hörte man sie wieder auf den Treppen trappen. Kallem und Ragni sahen nach dem Park zurück; hohe, schöne Bäume, und dazwischen das Krankenhaus, ein schwerer Holzbau auf einer Steinmauer, mit großen kleinscheibigen Fenstern. Dann gingen sie durch die Thür in den Garten und auf ihr eigenes Haus zu.

In ihrer nächsten Nähe lag ein kleines Nebengebäude, sonst stand das Hauptgebäude nach allen Seiten hin frei.

Es mußte warm hier sein; die Obstbäume begannen zu blühen. Und der Garten! Ragni dachte nicht daran, daß der wohlbestellte Garten ein Werk Josefinens war; sie freute sich darauf, selbst zuzugreifen. Das Haus mußte abgeputzt werden; es mußte auch anders angestrichen werden, nicht so dürftig gelb. Ihr Haus, ihr Heim! Kallem trat dreimal fest auf die Erde; der Boden war sein. Er wollte sofort hier hinein; nein, sie wollte vorn hinein, die Verandatreppe hinauf. Dann gingen sie um Kisten und Stroh herum und guckten zu den Fenstern hinein. Im Verhältnis zur Länge und Breite war das Haus niedrig, das Dach ragte weit vor und lag schwer auf dem Hause. Aber es war gut.

Auch die Veranda hatte kein Verhältnis; sie war breit und die Treppe bequem.

Sie kamen beide Arm in Arm; das erste, was sie sahen, brachte eine Enttäuschung; die Eingangsthür, eine Glasthür, befand sich nicht mitten in der Stube, sondern ganz unten an der südlichen Wand des Zimmers. Sie sahen bald, daß es nicht anders sein konnte, wenn die Veranda mitten vor dem Hause stehen sollte; rechts lagen nämlich noch zwei Zimmer in gleicher Linie mit der Stube. Die Männer, die den Flügel hineingetragen hatten, kamen ihnen alle entgegen; erkannten sofort, wer sie waren, und als sie Ragni erblickten, nahm erst einer, dann nahmen alle Mütze oder Hut ab. Kallem grüßte, Ragni schlüpfte zu dem Flügel hinein, der mitten im Zimmer stand, zog den Schlüssel hervor und öffnete, als sollte er gerade jetzt genau geprüft werden, und sie konnte nicht anders, sie mußte probieren, ob er die Stimmung gehalten hatte. Die Handschuhe an den Händen schlug sie Longfellows »Sweet home« an. Bei den ersten Tönen dieser Hymne an das Heim nahm Kallem den Hut ab. Die andern sahen es und glaubten wohl, es sei ein Psalm und folgten seinem Beispiel.

Ragni hatte ihnen den Rücken zugekehrt und bemerkte daher die beiden nicht, die jetzt rechts zum Vorschein kamen, einen Mann mit rundem, glänzendem Gesicht und hinter ihm eine Frau, die beide hereingucken und doch ungesehen bleiben wollten. Aber da öffnete sich auch die Thür gerade vor ihr und ein Bauermädchen trat bescheiden ein. Ragni merkte, daß es ihr Mädchen war, das aus der Küche kam und ging ihr entgegen. »Bist du Sigrid?« – »Ja.« – »Und wir sind Doktors.« – »Ich, dachte es mir,« sagte sie und kam völlig herein, ein starkes und anmutiges Mädchen. »Bist du das erste Mal bei fremden Leuten?« fragte Kallem. – »Ja.« – »Und wir halten zum erstenmal Haus,« sagte Kallem. »Das soll hübsch werden!«

Ragni ging mit in die Küche hinaus; dort fiel ihr sofort ihr neuer Tischbesatz in die Augen, der eben ausgepackt und gewaschen war. Dann konnte Ragni nicht mehr, ging auf den Vorsaal hinaus und die Treppe hinauf, um allein zu sein. Die Thür zu ihrem Schlafzimmer stand offen, sie ging hinein und auf den Altan über der Veranda hinaus. Womit hatte sie so viel Glück verdient? Was wog ihre Arbeit und ihre Sehnsucht dem gegenüber, was hier in dem Hause eines reichen Mannes für sie fertig dastand? Aber mitten in diesem großen, unverdienten Glücke hatte sie ein Gefühl der Angst. Auch von hier aus sah sie nach Norden hinaus – ob das Pfarrhaus zu sehen wäre. Nein, das war nicht der Fall.

Josefine war ihr gram; sie fühlte es sofort. Und wenn es der Bruder auch häßlich fand – er liebte seine Schwester doch: ja, sie hatte etwas an sich, was ihm außergewöhnlich gut gefiel; in so etwas irrte sie sich niemals.

Kallem besah sich die Stuben. Die zwei Leute an der Thür rechts hatten sich wieder zurückgezogen und die Männer waren an der Arbeit. Die Stube war groß; sie hatte sowohl nach der Küche zu als auch hier auf den Garten zu Fenster; aber die ersten wollte er vorschlagen zu verhängen. Einfarbige hellgraue Wände, eine hellblaue Decke mit Goldsternen; die Farben waren alt, nur der Fußboden war frisch gestrichen, gleichfalls hellgrau. Im Zimmer links wurde immer noch gearbeitet. War man denn noch nicht fertig? Auch nicht im nächsten Zimmer?! Dort arbeiteten zwei Menschen, der Mann und die Frau, die vorhin in der Thür erschienen waren. »Guten Tag,« grüßte Kallem. »Guten Tag,« antwortete das runde glänzende Gesicht mit dänischer Betonung. Kallem kam näher an den Tisch heran, an dem der Mann stand und vorschnitt; die Frau stand an seiner Seite; nun kroch sie ganz hinter ihn. »Ist das Ihre Frau?« – »Ja; ja, sie ist auch mein Geselle; Geselle und Frau; aber trotzdem ist sie nicht meine Gesellen-Frau.« Die Kleine hinter ihm kicherte, aber fast unhörbar. Der Mann hatte hervorstehende, rollende Schelmenaugen. »Ich dachte, Ihr wärt fertig.« – »Man arbeitet mit Hindernissen, Herr Doktor.« Sie lachte laut, aber innerlich. – »Ist sie auch eine Dänin?« – »Nein, sie stammt aus Norwegen; aber wir passen trotzdem gut zusammen.« Fortwährend lachend, verbeugte sie sich noch tiefer.

Das Zimmer, in dem sie standen, war länglich; Kallem sah sofort, daß es Speisezimmer werden müßte, wahrscheinlich aber auch Wartezimmer für die Kranken. Das mit den Fenstern vornheraus und nach Südosten war natürlich sein Arbeitszimmer; hier empfing er, wenn er nicht im Krankenhause war. Er ging nicht hinein, sondern von dem Speisezimmer auf den Vorsaal. Hier war rechts die Küchenthür. Auf dem Küchentisch sah er eine Reihe Bierflaschen; einige waren geleert, andere noch voll. »Wem gehören die Flaschen?« – »Dem Sattler.« – »Sie meinen wohl, dem Tapezierer?« – Da erkannte Kallem auf einmal, was für »Hindernisse« hier vorgelegen hatten; und daß der Mann betrunken und die Frau noch betrunkener war! Deshalb blieben die Männer so lange drin, bevor sie herauskamen und den Flügel trugen; sie waren mit Bier traktiert worden. »Bitte, rufe den Dänen einmal heraus!« Das Mädchen ging sofort, und sofort kam auch das runde strahlende Schelmengesicht und hinter ihm die Frau, die bald rechts, bald links neben ihm erschien.

»Die Flaschen gehören Ihnen?« – »Nicht ganz.« – »Ihr seid mehrere dazu?« – »Ja, zum Trinken.« – Aber Sie haben sie gekauft?« – »Ja, das Bier, nicht die Flaschen; die müssen zurückgebracht werden.« Man hörte die Frau kichern.

»Darf ich fragen wie Sie heißen?« – »Sören Pedersen; ei freilich, so heiß' ich.« – Hören Sie, Sören Pedersen, darf ich Ihnen die Flaschen abkaufen?« – »Das Bier, meinen Sie?« – »Ja, das Bier.« – »Gern!« – »Da haben wir nachts etwas zu trinken: denn wir müssen heute nacht arbeiten. Wir wollen morgen fertig sein. Wir arbeiten mit. Gehen Sie darauf ein?« – »Wenn der Herr Doktor befiehlt.« – »Dann sind Sie wohl so gut, heute mit uns zusammen zu Abend zu essen?«

Nun sprang Kallem die Treppe in drei – vier Sprüngen hinauf, Ragni stand draußen auf dem Altan im Sonnenglanz. Sie wandte sich nach, ihm um. Er fragte, ob sie nun ihr Gebet verrichtet hätte. Ja. nun wäre sie fertig.

Auch er blieb ein Weilchen auf dem Altan stehen und sah nach dem Inselchen hinaus, das vor der großen Mutterinsel lag – von hier aus konnte man sie sehen – und auf das Meer mit den Windfurchen und den Bergen da draußen in vornehmer Ferne. Er blickte rechts hinaus, dorthin, wo der Pastor wohnte: sie bemerkte es. »Sie können uns doch wahrhaftig nicht behandeln, als wären wir nicht verheiratet? Nicht? Das soll heiter werden!«

Sie zog ihn fort und wies auf die Farbe der Wände in ihrem Schlafzimmer; es war, wie sie es erbeten, weiße, matte Ölfarbe. Alles sollte hier oben weiß werden mit Ausnahme der langen Gardinen und Portieren, die von der Decke über beide Betten, vor den Altanfenstern und vor der Thür in Falten herniederhingen; diese waren blaufarbig und blaugemustert, den Ornamenten an den Betten und dem übrigen Meublement entsprechend. Nun wurde sie gesprächig: aber Kallem mußte das Krankenhaus sehen und sie wollte dabei sein.

Die erste Änderung, die er vorschlug, als sie vor dem Hause standen, war die, daß einige alte schöne Bäume, die allzu nahe davor standen, weg sollten. Dafür sah er im Geiste eine große Fläche mit Springbrunnen und Wege, die von dort aus den Park durchschnitten. Das Krankenhaus war zweistöckig, gelb bemalt, mit ungewöhnlich schweren Fenstern, aber kleinen Scheiben. Der Unterbau aus mächtigen Mauersteinen war Wohnung der Bedienung und des Ökonomen: da drin sah es gemütlich aus; Gardinen an den Fenstern und Blumen davor. An der linken Seite des Hauses befand sich die Eingangsthür; ein dichter, hoher Zaun hegte einen sehr großen Hofraum ein. Kallem freute sich, als er den Zaun entlang Ahornbäume gepflanzt sah; er wußte, daß in 14 Tagen hier amerikanische Zelte für die Kranken zur Sommerszeit stehen würden.

Die Thür war offen, kein Portier da; im Fenster lagen fromme Bücher und Traktate zum Verkauf aus. Kein Anschlag an der Thür, der angab, wann die Kranken besucht werden dürften. Den Portier sahen sie später im innern Hofe: er war ein älterer Mann mit ernstem, forschendem Auge: er trug eine Brille, über die er hinwegguckte, und nahm sie ab, als er merkte, wer vor ihm stand. »Ist es der neue Herr Doktor?« – »Ja.« Da nahm er auch seine Mütze ab und sagte: »Willkommen!« Der Patient, mit dem er gesprochen hatte, schlich vorüber; er war bleich und trug im Sommer einen dicken, wollenen Shawl um den Hals; er blieb in der Entfernung und grüßte nicht. Der Portier begleitete sie.

Das Haus hatte zu beiden Seiten eines hellen Ganges eine Reihe Zimmer, nach vorn zu große, nach dem Hofe kleine; so war es in beiden Stockwerken. Der Portier war nicht allein Portier, sondern auch Ökonom und der älteste Aufseher des Hauses; als solcher stellte er die übrigen Beamten vor, je nachdem sie ihnen begegneten. Es waren seine Leute, Männer wie Frauen; unter diesen zwei Diakonissen, die freundlichsten von allen.

Das Erste, was Kallem thun wollte, war, das Haus von den alten verpesteten Typhusstuben zu reinigen und einen besondern Typhuspavillon für den Winter aufzuführen. Der Operationssaal war recht hell: aber der Fußboden sollte sofort neu gebohnt werden. Der Ventilationsapparat war elend. Diese und mehrere kleinere Fehler ausgenommen – z. B. die kleinscheibigen Fenster – war das Haus gut: hohe Zimmer, geräumige Gänge; das Ganze machte einen hellen Eindruck. Er freute sich darüber.

Der Krankenbestand war nicht gering, wenn man die Jahreszeit in Betracht zog. Sein Spezialstudium, die Tuberkulose, war durch drei Personen repräsentiert, zwei Knaben und ein Mädchen im Alter von zehn Jahren, magern und wachsbleichen Unglücklichen; er freute sich darauf, sie in seinen amerikanischen Zelten unterbringen zu können. Der frühere Besitzer des Krankenhauses, der alte Doktor Kule, ein Oheim von Ragnis erstem Mann, war gestorben; Kallem hatte es sehr billig gekauft, da sich im Augenblick kein anderer darauf einlassen konnte. Hier konnte er seine Zeit einteilen, wie er wünschte; er hatte große Ziele. Das Amt gewährte einen Vertrag; ein Komitee, bestehend aus dem Bezirksarzt und noch einem Arzte, führte die Aufsicht; aber er war sein eigener Herr. Der erste Besuch machte ihm wie ihr Freude. Sie kamen guten Mutes in ihr Heim zurück, aber fürchterlich hungrig, nahmen in der Küche eine kleine Mahlzeit ein, dazu ein Glas Wein, und tranken dann noch eins auf das große Ereignis, daß sie das erste Mal im eigenen Hause aßen.

In der Wohnstube stand alles durcheinander; trotzdem ging Ragni an den Flügel. Sie hatte sich in Übersetzungen aus der englischen Litteratur, besonders Übersetzungen in Versen versucht. Etwas warm vom Wein und etwas schüchtern, schlug sie die Accorde an – bat ihn, sich nicht vor sie zu stellen –, schlug wieder die Accorde an und sang mit schwacher, leiser Stimme, die mehr rezitierte als sang:

    Wir sind daheim!
Unsre Art, unser Leben
Soll Früchte hier geben;
Was hier keimt an Gedanken,
An Worten und Tönen
Soll alles sich ranken
      Um uns.

    Hier wird mein Herz
Geläutert durch dich
Für mich selbst und für dich,
Wird sich freuen und weinen,
Dich erfreun und versehren
Um sich lieblich zu einen
      Mit dir.



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