Otto Fürst von Bismarck
Gedanken und Erinnerungen - Zweiter Band
Otto Fürst von Bismarck

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Culturkampf.

I.

In Versailles hatte ich vom 5. bis 9. November mit dem Grafen Ledochowski, Erzbischof von Posen und Gnesen, Verhandlungen gehabt, die sich vorwiegend auf die territorialen Interessen des Papstes bezogen. Gemäß dem Sprichwort »Eine Hand wäscht die andre« machte ich ihm den Vorschlag, die Gegenseitigkeit der Beziehungen zwischen dem Papste und uns zu bethätigen durch päpstliche Einwirkung auf die französische Geistlichkeit im Sinne des Friedensschlusses, immer in Sorge, wie ich war, daß eine Einmischung der neutralen Mächte uns die Früchte der Siege verkümmern könne. Ledochowski und in engern Grenzen Bonnechose, Cardinal-Erzbischof von Rouen,Ueber seine Unterhandlungen mit Bismarck am 13. und 14. Febr. 1871 vgl. Besson, La vie du Cardinal de Bonnechose, Paris, Retaux-Bray, 1887, II 142 ff. machten bei verschiednen Mitgliedern des hohen Clerus den Versuch, sie zu einer Einwirkung in dem bezeichneten Sinne zu bestimmen, hatten mir aber nur von einer kühlen, ablehnenden Aufnahme ihrer Schritte zu berichten, woraus ich entnahm, daß es der päpstlichen Macht entweder an Stärke oder an gutem Willen fehlen müsse, uns im Sinne des Friedens eine Hülfe zu gewähren, werthvoll genug, um die Verstimmung der deutschen Protestanten und der italienischen Nationalpartei und der letztern Rückwirkung auf die zukünftigen Beziehungen beider Völker in den Kauf zu nehmen, die das Ergebniß eines öffentlichen Eintretens für die päpstlichen Interessen bezüglich Roms sein mußte.

In den Wechselfällen des Krieges ist unter den streitenden italienischen Elementen Anfangs der König als der für uns möglicherweise gefährliche Gegner erschienen. Später ist uns die republikanische Partei unter Garibaldi, die uns bei Ausbruch des Kriegs ihre Unterstützung gegen Napoleonische Velleitäten des Königs in Aussicht gestellt hatte, auf dem Schlachtfelde in einer mehr theatralischen als praktischen Erregtheit und in militärischen Leistungen entgegengetreten, deren Formen unsre soldatischen Auffassungen verletzten. Zwischen diesen beiden Elementen lag die Sympathie, welche die öffentliche Meinung der Gebildeten in Italien für das in der Geschichte und in der Gegenwart parallele Streben des deutschen Volkes hegen und dauernd bewahren konnte, lag der nationale Instinct, der denn auch schließlich stark und praktisch genug gewesen ist, mit dem frühern Gegner Oestreich in den Dreibund zu treten. Mit dieser nationalen Richtung Italiens würden wir durch ostensible Parteinahme für den Papst und seine territorialen Ansprüche gebrochen haben. Ob und in wie weit wir dafür den Beistand des Papstes in unsern innern Angelegenheiten gewonnen haben würden, ist zweifelhaft. Der Gallicanismus erschien mir stärker, als ich ihn 1870 der Infallibilität gegenüber einschätzen konnte, und der Papst schwächer, als ich ihn wegen seiner überraschenden Erfolge über alle deutschen, französischen, ungarischen Bischöfe gehalten hatte. Bei uns im Lande war das jesuitische Centrum demnächst stärker als der Papst, wenigstens unabhängig von ihm; der germanische Fractions- und Parteigeist unsrer katholischen Landsleute ist ein Element, dem gegenüber auch der päpstliche Wille nicht durchschlägt.

Desgleichen lasse ich dahingestellt, ob die am 16. desselben Monats vor sich gegangnen Wahlen zum preußischen Landtage durch das Fehlschlagen der Ledochowski'schen Verhandlungen beeinflußt worden sind. Die letztern wurden in etwas andrer Richtung aufgenommen von dem Bischof von Mainz, Freiherrn von Ketteler, zu welchem Zweck er mich bei Beginn des Reichstags, 1871, mehrmals aufsuchte. Ich war 1865 mit ihm in Verbindung getreten, indem ich ihn befragte, ob er das Erzbisthum Posen annehmen würde, wobei mich die Absicht leitete, zu zeigen, daß wir nicht antikatholisch, sondern nur antipolnisch wären. Ketteler hatte, vielleicht auf Anfrage in Rom, abgelehnt wegen Unkenntniß der polnischen Sprache. 1871 stellte er mir im Großen und Ganzen das Verlangen, in die Reichsverfassung die Artikel der preußischen aufzunehmen, welche das Verhältniß der katholischen Kirche im Staate regelten und von denen drei (15,16,18) durch das Gesetz vom 18. Juni 1875 aufgehoben worden sind. Für mich war die Richtung unsrer Politik nicht durch ein confessionelles Ziel bestimmt, sondern lediglich durch das Bestreben, die auf dem Schlachtfelde gewonnene Einheit möglichst dauerhaft zu festigen. Ich bin in confessioneller Beziehung jeder Zeit tolerant gewesen bis zu den Grenzen, die die Nothwendigkeit des Zusammenlebens verschiedner Bekenntnisse in demselben staatlichen Organismus den Ansprüchen eines jeden Sonderglaubens zieht. Die therapeutische Behandlung der katholischen Kirche in einem weltlichen Staate ist aber dadurch erschwert, daß die katholische Geistlichkeit, wenn sie ihren theoretischen Beruf voll erfüllen will, über das kirchliche Gebiet hinaus den Anspruch auf Betheiligung an weltlicher Herrschaft zu erheben hat, unter kirchlichen Formen eine politische Institution ist und auf ihre Mitarbeiter die eigne Ueberzeugung überträgt, daß ihre Freiheit in ihrer Herrschaft besteht, und daß die Kirche überall, wo sie nicht herrscht, berechtigt ist, über Diocletianische Verfolgung zu klagen.

In diesem Sinne hatte ich einige Auseinandersetzungen mit Herrn von Ketteler bezüglich seines genauer accentuirten Anspruchs auf ein verfassungsmäßiges Recht seiner Kirche, das heißt der Geistlichkeit, auf Verfügung über den weltlichen Arm. Er verwandte in seinen politischen Argumenten auch das mehr ad hominem gehende, daß bezüglich unsres Schicksals nach dem irdischen Tode die Bürgschaften für die Katholiken stärker seien, als für andre, weil, angenommen, daß die katholischen Dogmen irrthümlich seien, das Schicksal der katholischen Seele nicht schlimmer ausfalle, wenn der evangelische Glaube sich als der richtige erweisen sollte, im umgekehrten Falle aber die Zukunft der ketzerischen Seele eine entsetzliche sei. Er knüpfte daran die Frage: »Glauben Sie etwa, daß ein Katholik nicht selig werden könne?« Ich antwortete: »Ein katholischer Laie unbedenklich; ob ein Geistlicher, ist mir zweifelhaft; in ihm steckt ›die Sünde wider den heiligen Geist‹, und der Wortlaut der Schrift steht ihm entgegen.« Der Bischof beantwortete diese in scherzhaftem Tone gegebene Erwiderung lächelnd durch eine höflich ironische Verbeugung.

Nachdem unsre Verhandlungen resultatlos abgelaufen waren, wurde die Neubildung der 1860 gegründeten, jetzt Centrum genannten katholischen Fraction mit steigendem Eifer besonders von Savigny und Mallinckrodt betrieben. An dieser Fraction habe ich die Beobachtung zu machen gehabt, daß, wie in Frankreich, so auch in Deutschland der Papst schwächer ist, als er erscheint, jedenfalls nicht so stark ist, daß wir seinen Beistand in unsern Angelegenheiten durch den Bruch mit den Sympathien andrer mächtiger Elemente erkaufen durften. Von dem désaveu des Cardinals Antonelli in dem Briefe an den Bischof Ketteler vom 5. Juni 1871, von der Centrumsmission des Fürsten Löwenstein-Wertheim, von der Unbotmäßigkeit des Centrums bei Gelegenheit des Septennats habe ich den Eindruck erhalten, daß der Partei- und Fractionsgeist, den die Vorsehung dem Centrum an Stelle des Nationalsinns andrer Völker verliehn hat, stärker ist als der Papst, nicht auf einem Concil, ohne Laien, aber auf dem Schlachtfelde parlamentarischer und publicistischer Kämpfe innerhalb Deutschlands. Ob das auch der Fall sein würde, wenn der päpstliche Einfluß sich ohne Rücksicht auf concurrirende Kräfte, namentlich den Jesuitenorden, geltend zu machen vermöchte, lasse ich, ohne an den plötzlichen Tod des Cardinal-Staatssekretärs Franchi zu denken, dahingestellt sein. Von Rußland hat man gesagt: gouvernement absolu tempéré par le régicide. Ist ein Papst, der in der Nichtachtung der in der Kirchenpolitik concurrirenden Organe zu weit ginge, vor kirchlichen »Nihilisten« sichrer als der Zar? Gegenüber Bischöfen, die im Vatican versammelt sind, ist der Papst stark; und wenn er mit dem Jesuitenorden geht, stärker, als wenn er außerhalb seiner Residenz versucht, den Widerstand der weltlichen Jesuiten zu brechen, die die Träger des parlamentarischen Katholicismus zu sein pflegen.

II.

Der Beginn des Culturkampfs war für mich überwiegend bestimmt durch seine polnische Seite. Seit dem Verzicht auf die Politik der Flottwell und Grolman, seit der Consolidirung des Radziwill'schen Einflusses auf den König und der Einrichtung der »katholischen Abtheilung« im geistlichen Ministerium stellten die statistischen Data einen schnellen Fortschritt der polnischen Nationalität auf Kosten der Deutschen in Posen und Westpreußen außer Zweifel, und in Oberschlesien wurde das bis dahin stramm preußische Element der »Wasserpolacken« polonisirt; Schaffranek wurde dort in den Landtag gewählt, der uns das Sprichwort von der Unmöglichkeit der Verbrüderung der Deutschen und der Polen in polnischer Sprache als Parlamentsredner entgegenhielt. Dergleichen war in Schlesien nur möglich auf Grund der amtlichen Autorität der katholischen Abtheilung. Auf Klage bei dem Fürstbischof wurde dem Schaffranek untersagt, bei Wiederwahl auf der Linken zu »sitzen«; in Folge dessen stand dieser kräftig gebaute Priester 5 und 6 Stunden und bei Doppelsitzungen 10 Stunden am Tage vor den Bänken der Linken, stramm wie eine Schildwache, und brauchte nicht erst aufzustehn, wenn er zu antideutscher Rede das Wort ergriff.Vgl. die Aeußerung in der Rede vom 28. Januar 1886, Politische Reden XI 438. In Posen und Westpreußen waren nach Ausweis amtlicher Berichte Tausende von Deutschen und ganze Ortschaften, die in der vorigen Generation amtlich deutsch waren, durch die Einwirkung der katholischen Abtheilung polnisch erzogen und amtlich »Polen« genannt worden. Nach der Competenz, welche der Abtheilung verliehn worden war, ließ sich ohne Aufhebung derselben hierin nicht abhelfen. Diese Aufhebung war also nach meiner Ueberzeugung als nächstes Ziel zu erstreben. Dagegen war natürlich der Radziwill'sche Einfluß am Hof, nicht natürlich mein Cultus-College, dessen Frau und Ihre Majestät die Königin. Der Chef der katholischen Abtheilung war damals Krätzig, der früher Radziwill'scher Privatbeamter gewesen und dies im Staatsdienst auch wohl geblieben war.Die Familie Radziwill bestreitet, daß Krätzig Privatbeamter der Radziwills gewesen sei. Der Träger des Radziwill'schen Einflusses war der jüngre beider Brüder, Fürst Boguslav, auch Stadtverordneter von Einfluß in Berlin. Der ältre, Wilhelm, und sein Sohn Anton, waren zu ehrliche Soldaten, um sich auf polnische Intrigen gegen den König und dessen Staat einzulassen. Die katholische Abtheilung des Cultusministeriums, ursprünglich gedacht als eine Einrichtung, vermöge deren katholische Preußen die Rechte ihres Staats in den Beziehungen zu Rom vertreten sollten, war durch den Wechsel der Mitglieder nach und nach zu einer Behörde geworden, die inmitten der preußischen Bürokratie die römischen und polnischen Interessen gegen Preußen vertrat. Ich habe mehr als einmal dem Könige auseinander gesetzt, daß diese Abtheilung schlimmer sei als ein Nuntius in Berlin. Sie handle nach Anweisungen, die sie aus Rom empfinge, vielleicht nicht immer vom Papste, und sei neuerdings hauptsächlich polnischen Einflüssen zugänglich geworden. In dem Radziwillschen Hause seien die Damen deutschfreundlich, der ältre Bruder Wilhelm durch das Ehrgefühl des preußischen Offiziers in derselben Richtung gehalten, ebenso dessen Sohn Anton, bei dem die persönliche Anhänglichkeit an Se. Majestät hinzukomme. Aber in dem treibenden Elemente des Hauses, den Geistlichen und dem Fürsten Boguslaw und dessen Sohn, sei das polnische Nationalgefühl stärker als jedes andre und werde gepflegt auf der Basis des Zusammengehns der polnischen mit den römisch-clericalen Interessen, auf der einzigen im Frieden gangbaren, aber auch sehr geläufig gangbaren Basis. Nun sei der Chef der katholischen Abtheilung, Krätzig, so gut wie ein Radziwill'scher Leibeigner. Ein Nuntius würde die Interessen der katholischen Kirche, aber nicht die der Polen zu vertreten als seine Hauptaufgabe ansehn, werde nicht die intimen Verbindungen mit der Bürokratie besitzen wie die Mitglieder der katholischen Abtheilung, die in der Garnison der ministeriellen Citadelle unsres Vertheidigungssystems gegen revolutionäre Anläufe als staatsfeindliche Parteigänger säßen; ein Nuntius endlich werde als Mitglied des diplomatischen Corps an der Erhaltung guter Beziehungen zu seinem Souverain und an der Pflege des Verhältnisses zu dem Hofe, an dem er beglaubigt, persönlich interessirt sein.

Wenn es mir auch nicht gelang, die übrigens mehr äußerliche und formelle Abneigung des Kaisers gegen einen Nuntius in Berlin zu überwinden, so überzeugte er sich doch von der Gefährlichkeit der katholischen Abtheilung und gab seine Genehmigung zu ihrer Abschaffung trotz des Widerstandes seiner Gemalin. Unter ehelichem Einfluß wehrte sich Mühler gegen die Abschaffung, über die alle übrigen Minister einverstanden waren. Zur decorativen Platirung seines Abgangs wurde eine Differenz über eine die Verwaltung der Museen betreffende Personalfrage benutzt; in der That fiel er über Krätzig und den Polonismus, trotz des Rückhalts, den er und seine Frau durch Damenverbindungen am Hofe hatten.

III.

Auf die juristische Detailarbeit der Maigesetze würde ich nie verfallen sein; sie lag mir ressortmäßig fern, und weder in meiner Absicht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juristen zu controlliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Ministerpräsident überhaupt nicht gleichzeitig den Dienst des Cultusministers thun, auch wenn ich vollkommen gesund gewesen wäre. Erst durch die Praxis überzeugte ich mich, daß die juristischen Einzelheiten psychologisch nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an dem Bilde ehrlicher, aber ungeschickter preußischer Gendarmen, die mit Sporen und Schleppsäbel hinter gewandten und leichtfüßigen Priestern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nachsetzten. Wer annimmt, daß solche in mir auftauchende kritische Erwägungen sofort in Gestalt einer Cabinetskrisis zwischen Falk und mir sich hätten verkörpern lassen, dem fehlt das richtige, nur durch Erfahrung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsmaschine in sich und in ihrem Zusammenhange mit dem Monarchen und den Parlamentswahlen. Diese Maschine ist zu plötzlichen Evolutionen nicht im Stande, und Minister von der Begabung Falk's wachsen bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgenossen von dieser Befähigung und Tapferkeit in dem Ministerium zu haben, als durch Eingriffe in die verfassungsmäßige Unabhängigkeit seines Ressorts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neubesetzung des Cultusministeriums auf mich zu nehmen. Ich bin in dieser Auffassung verharrt, so lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte. Erst nachdem er gegen meinen Wunsch durch weibliche Hofeinflüsse und ungnädige königliche Handschreiben derartig verstimmt worden war, daß er sich nicht halten ließ, bin ich an eine Revision seiner Hinterlassenschaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, so lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war.

Falk unterlag der gleichen Taktik, die am Hofe gegen mich nicht mit demselben Erfolge, aber mit gleichen Mitteln in Anwendung gebracht worden war; er unterlag ihr, theils weil er für Hofeindrücke empfindlicher war als ich, theils weil ihm die Sympathie des Kaisers nicht in gleichem Maße zur Seite stand wie mir. Die antiministerielle Thätigkeit der Kaiserin fand ihre ursprüngliche Quelle in der Unabhängigkeit des Charakters, welche es ihr erschwerte, mit einer Regirung zu gehn, die nicht in ihren eignen Händen lag, und welche ihr ein Menschenalter hindurch den Weg der Opposition gegen die jedesmalige Regirung anziehend machte. Sie war nicht leicht der Meinung eines Andern. Zur Zeit des Culturkampfs wurde diese Neigung gefördert durch die katholische Umgebung Ihrer Majestät, welche aus dem ultramontanen Lager Information und Anweisung erhielt. Diese Einflüsse nutzten mit Geschick und Menschenkenntniß die alte Neigung der Kaiserin aus, auf die jedesmalige Staatsregirung verbessernd einzuwirken. Ich habe Falk wiederholt seine beabsichtigten Abschiedsgesuche ausgeredet, die sich an Kaiserliche Handschreiben ungnädigen Inhalts, welche wohl nicht der eignen Initiative des hohen Herrn entsprungen waren, und an verletzendes Benehmen gegen seine Frau am Hofe knüpften. Ich empfahl ihm, sich den ungnädigen, aber auch uncontrasignirten Allerhöchsten Erlassen gegenüber, die weniger an den Culturkampf als an die Beziehungen des Cultusministers zum Oberkirchenrath und zur evangelischen Kirche anknüpften, passiv zu verhalten, allenfalls seine Beschwerden an das Staatsministerium zu bringen, dessen Anträge, wenn sie einhellig waren, der König zu berücksichtigen pflegte. Endlich aber wurde er dadurch, daß er Kränkungen ausgesetzt war, die seinem Ehrgefühl empfindlich waren, doch bestimmt, seinen Abschied zu nehmen. Alle Erzählungen, nach denen ich ihn aus dem Ministerium verdrängt haben soll, beruhn auf Erfindung, und ich habe mich gewundert, daß er selbst ihnen niemals in der Oeffentlichkeit widersprochen hat, obschon er mit mir stets in befreundeten Beziehungen geblieben ist. Aus den Vorgängen, die für seinen Rücktritt entscheidend wurden, ist mir erinnerlich, daß es die Streitigkeiten mit dem Oberkirchenrath und den ihm nahe stehenden Geistlichen waren, welche den Bruch mit Sr. Majestät herbeiführten, nicht ohne daß aus der Zuspitzung der Entwicklung des vorhandnen Streitmaterials gegen Falk sich die Mitwirkung geschicktrer Hände und feinrer Arbeit erkennen ließ, als den formellen Rathgebern des Kaisers in seiner Eigenschaft als summus episcopus eigen war.Die Arten seines Rücktritts hat Falk im Januarheft der »Deutschen Revue« 1899 veröffentlicht; in den amtlichen Eingaben sind die persönlichen Momente, die Bismarck hervorhebt, ausgeschaltet, aber in allen andern Hinsichten bestätigen sie durchaus die Angaben Bismarck's, vor allen die, daß Falk's Rücktritt nicht von Bismarck herbeigeführt worden ist, um über ihn hinweg zum Frieden mit Rom zu gelangen; vgl. Horst Kohl, Wegweiser durch Bismarck's Gedanken und Erinnerungen S. 133 ff. und die Aufsätze der Hamburger Nachrichten vom 28. Dec. 1898 Nr. 303 M.-A., vom 30. Dec. 1898 Nr. 305 A.-A., abgedruckt im Bismarck-Jahrbuch VI 405 ff.

IV.

Nach seinem Abgange war ich vor die Frage gestellt, ob und wie weit ich bei der Wahl eines neuen Cultuscollegen die mehr juristische als politische Linie Falk's im Auge behalten oder meinen mehr gegen Polonismus als gegen Katholicismus gerichteten Auffassungen ausschließlich folgen sollte. In dem Culturkampfe war die parlamentarische Regirungspolitik durch den Abfall der Fortschrittspartei und ihren Uebergang zum Centrum gelähmt, indem sie im Reichstage einer durch gemeinsame Feindschaft zusammengehaltnen Majorität von Demokraten aller Schattirungen, im Bunde mit Polen, Welfen, Franzosenfreunden und Ultramontanen, ohne Unterstützung durch die Conservativen gegenüberstand. Die Consolidirung unsrer neuen Reichseinheit wurde durch diese Zustände gehemmt und, wenn sie dauerten oder sich verschärften, gefährdet. Der nationale Schaden konnte auf diesem Wege größer werden, als auf dem eines Verzichts auf den meiner Ansicht nach entbehrlichen Theil der Falk'schen Gesetzgebung. Für nicht entbehrlich hielt ich die Beseitigung der Verfassungsartikel, die Kampfmittel gegen den Polonismus und vor allen die Herrschaft des Staats über die Schule. Wahrten wir die, so behielten wir aus dem Culturkampfe beim Frieden immer einen werthvollen Siegespreis im Vergleich mit den Zuständen vor Ausbruch des Kampfs. Ueber die Grenze, bis zu der wir der Curie entgegenkommen konnten, hatte ich mich also mit meinen Collegen zu verständigen. Der Widerstand der Gesammtheit der am Kampfe betheiligt gewesenen Ministerialräthe war dabei nachhaltiger als der meiner unmittelbaren Collegen, zunächst des Nachfolgers Falk's, als welchen ich dem Könige Herrn v. Puttkamer vorschlug. Aber auch nach diesem Personenwechsel konnte es mir nicht sobald gelingen, die Kirchenpolitik zu ändern, wenn ich nicht neue, dem Könige unwillkommne und mir unerwünschte Cabinetskrisen herbeiführen wollte. Die Erinnrungen an die Zeiten der Anwerbung neuer Collegen gehören zu den unerquicklichsten meiner amtlichen Laufbahn. Um mich mit Herrn v. Puttkamer zu einigen, hätte ich die Unterstützung der culturkampfgewöhnten Räthe seines Ministeriums gewinnen müssen, und das überstieg meine Kräfte. Die Erklärung der Falk'schen Kirchenpolitik ist nicht ausschließlich auf dem Gebiete des katholischen Kirchenstreits zu suchen; sie wurde gelegentlich auch durch die evangelische Kirchenfrage gekreuzt und beeinflußt. In dieser stand Herr von Puttkamer den am Hofe wirksamen Auffassungen näher als Falk, und mein Wunsch, den Kampf mit Rom auf ein engres Gebiet einzuschränken, hätte bei meinem neuen Collegen persönlich wohl keinen Widerstand gefunden. Die Hemmnisse lagen aber theils in dem Schwergewicht der vom Zorne des Culturkampfs erregten Räthe, denen Herr von Puttkamer auch die natürliche und herkömmliche Entwicklung unsrer Orthographie zum Opfer zu bringen sich genöthigt glaubte, theils in dem Widerstreben meiner übrigen Collegen gegen jeden Anschein von Nachgiebigkeit dem Papste gegenüber.

Meine ersten Versuche zur Anbahnung des kirchlichen Friedens fanden auch bei Sr. Majestät keinen Anklang. Der Einfluß der höchsten evangelischen Geistlichkeit war damals stärker als der katholisirende der Kaiserin und letztre vom Centrum her ohne Anregung, weil dort die Anfänge des Einlenkens ungenügend befunden wurden, und es auch dort wie am Hofe immer noch wichtiger schien, mich zu bekämpfen, als versöhnliche Bestrebungen, die von mir ausgingen, zu unterstützen. Die aus der Situation hervorgehenden Kämpfe wiederholten sich, allmälig schwerer werdend.

Es bedurfte noch jahrelanger Arbeit, um ohne neue Cabinetskrisen an die Revision der Maigesetze gehn zu können, für deren Vertretung in parlamentarischen Kämpfen nach der Desertion der freisinnigen Partei in das ultramontane Oppositionslager die Majorität fehlte. Ich war zufrieden, wenn es gelang, dem Polonismus gegenüber die im Culturkampf gewonnenen Beziehungen der Schule zum Staate und die eingetretne Aendrung der einschlagenden Verfassungsartikel als definitive Errungenschaften festzuhalten. Beide sind in meinen Augen werthvoller als die maigesetzlichen Verbote geistlicher Thätigkeit und der juristische Fangapparat für widerstrebende Priester, und als einen wichtigen Gewinn durfte ich schon die Beseitigung der katholischen Abtheilung und ihrer staatsgefährlichen Thätigkeit in Schlesien, Polen und Preußen betrachten. Nachdem die Freisinnigen den von ihnen mehr wie von mir betriebenen »Culturkampf«, dessen Vorkämpfer Virchow und Genossen gewesen waren, nicht nur aufgegeben hatten, sondern im Parlament wie in den Wahlen das Centrum unterstützten, war letzterm gegenüber die Regirung in der Minorität. Der aus Centrum, Fortschritt, Socialdemokraten, Polen, Elsässern, Welfen bestehenden compacten Mehrheit gegenüber war die Politik Falk's im Reichstage ohne Aussicht. Ich hielt um so mehr für angezeigt, den Frieden anzubahnen, wenn die Schule gedeckt, die Verfassung von den aufgehobenen Artikeln und der Staat von der katholischen Abtheilung befreit blieb.

Nachdem ich den Kaiser schließlich gewonnen hatte, war bei Abschätzung des Festzuhaltenden und des Aufzugebenden die neue Stellung der Fortschrittspartei und der Secessionisten ein entscheidendes Moment; anstatt die Regirung zu unterstützen, schlossen sie bei Wahlen und Abstimmungen Bündnisse mit dem Centrum und hatten Hoffnungen gefaßt, die in dem sog. Ministerium Gladstone (Stosch, Rickert u. s. w.), das heißt in liberal-katholischer Coalition, ihren Ausdruck fanden.

Im Jahre 1886 gelang es, die von mir theils erstrebte, theils als zulässig erkannte Gegenreformation zum Abschluß zu bringen, den modus vivendi zu erreichen, der immer noch, verglichen mit dem status quo vor 1871 ein für den Staat günstiges Ergebniß des ganzen Culturkampfs aufweist.

Inwieweit derselbe von Dauer sein wird und die confessionellen Kämpfe nun ruhn werden, kann nur die Zeit lehren. Es hängt das von kirchlichen Stimmungen ab und von dem Grade der Streitbarkeit nicht blos des jedesmaligen Papstes und seiner leitenden Rathgeber, sondern auch der deutschen Bischöfe und der mehr oder weniger hochkirchlichen Richtung, welche im Wechsel der Zeit in der katholischen Bevölkerung herrscht. Eine feste Grenze der römischen Ansprüche an die paritätischen Staaten mit evangelischer Dynastie läßt sich nicht herstellen. Nicht einmal in rein katholischen Staaten. Der uralte Kampf zwischen Priestern und Königen wird nicht heut zum Abschluß gelangen, namentlich nicht in Deutschland. Wir haben vor 1870 Zustände gehabt, auf Grund deren die Lage der katholischen Kirche grade in Preußen als mustergültig und günstiger als in den meisten rein katholischen Ländern auch von der Curie anerkannt wurde. In unsrer innern Politik, namentlich der parlamentarischen, haben wir aber keine Wirkung dieser confessionellen Befriedigung gespürt. Die Fraction der beiden Reichensperger gehörte schon lange vor 1871, ohne daß deshalb die Führer persönlich in den Ruf des Händelmachens verfielen, dauernd der Opposition gegen die Regirung des evangelischen Königshauses an. Bei jedem modus vivendi wird Rom eine evangelische Dynastie und Kirche als eine Unregelmäßigkeit und Krankheit betrachten, deren Heilung die Aufgabe seiner Kirche sei. Die Ueberzeugung, daß dem so ist, nöthigt den Staat noch nicht, seinerseits den Kampf zu suchen und die Defensive der römischen Kirche gegenüber aufzugeben, denn alle Friedensschlüsse in dieser Welt sind Provisorien, gelten nur bis auf Weitres; die politischen Beziehungen zwischen unabhängigen Mächten bilden sich in ununterbrochnem Flusse, entweder durch Kampf oder durch die Abneigung der einen oder der andern Seite vor Erneurung des Kampfs. Eine Versuchung zur Erneurung des Streites in Deutschland wird für die Curie stets in der Entzündlichkeit der Polen, in der Herrschsucht des dortigen Adels und in dem durch die Priester genährten Aberglauben der untern Volksschichten liegen. Ich habe im Kissinger Lande deutsche und schulgebildete Bauern gefunden, die fest daran glaubten, daß der am Sterbebette im sündigen Fleische stehende Priester den Sterbenden durch Verweigrung oder Gewährung der Absolution direct in die Hölle oder den Himmel schicken könne, man ihn also auch politisch zum Freunde haben müsse. In Polen wird es mindestens ebenso sein oder schlimmer, weil dem ungebildeten Manne eingeredet ist, daß deutsch und lutherisch ebenso wie polnisch und katholisch identische Begriffe seien. Ein ewiger Friede mit der römischen Curie liegt nach den gegebenen Lebensbedingungen ebenso außerhalb der Möglichkeit, wie ein solcher zwischen Frankreich und dessen Nachbarn. Wenn das menschliche Leben überhaupt aus einer Reihe von Kämpfen besteht, so trifft das vor Allem bei den gegenseitigen Beziehungen unabhängiger politischer Mächte zu, für deren Regelung ein berufnes und vollzugsfähiges Gericht nicht vorhanden ist. Die römische Curie aber ist eine unabhängige politische Macht, zu deren unabänderlichen Eigenschaften derselbe Trieb zum Umsichgreifen gehört, der unsern französischen Nachbarn innewohnt. Für den Protestantismus bleibt ihr das durch kein Concordat zu beruhigende aggressive Streben des Proselytismus und der Herrschsucht; sie duldet keine Götter neben ihr.

V.

In die Hitze des Culturkampfs fiel ein Besuch des Königs Victor Emanuel in Berlin, (22.-26.) September 1873. Ich hatte durch Herrn von Keudell erfahren, daß der König eine Dose mit Brillanten, deren Werth auf 50-60 000 Franken, ungefähr auf das sechs- bis achtfache des bei solchen Gelegenheiten üblichen, angegeben wurde, hatte anfertigen und dem Grafen Launay zur Ueberreichung an mich zustellen lassen. Gleichzeitig kam es zu meiner Kenntniß, daß Launay die Dose mit Angabe des Werths seinem Hausnachbarn, dem bairischen Gesandten Baron Pergler von Perglas, gezeigt hatte, der unsern Gegnern in dem Culturkampfe persönlich nahe stand. Der hohe Werth des mir zugedachten Geschenks konnte also Anlaß geben, es in Verbindung zu bringen mit der Anlehnung, die der König von Italien bei dem Deutschen Reiche damals erstrebte und erlangte. Als ich dem Kaiser meine Bedenken gegen die Annahme des Geschenks vortrug, hatte er zunächst den Eindruck, als ob ich es überhaupt unter meiner Würde fände, eine Portraitdose anzunehmen, und sah darin eine Verschiebung der Traditionen, an die er gewöhnt war. Ich sagte: »Gegenüber einem solchen Geschenke von durchschnittlichem Werthe würde ich auf den Gedanken der Ablehnung nicht gekommen sein. In diesem Falle aber hätte nicht das fürstliche Bildniß, sondern hätten die verkäuflichen Diamanten das für die Beurtheilung des Vorgangs entscheidende Gewicht; mit Rücksicht auf die Lage des Culturkampfs müßte ich Anknüpfungspunkte für Verdächtigungen vermeiden, nachdem der den Umständen nach übertriebene Werth der Dose durch die nachbarlichen Beziehungen von Perglas constatirt und in der Gesellschaft hervorgehoben worden sei.« Der Kaiser wurde schließlich meiner Auseinandersetzung zugänglich und schloß den Vortrag mit den Worten: »Sie haben Recht, nehmen Sie die Dose nicht an«.Andrer Ansicht über die Annahme einer mit Brillanten gefüllten Dose war Fürst Gortschakow. Bei unserm Besuch in Petersburg (1873) fragte mich Seine Majestät: »Was kann ich nur dem Fürsten Gortschakow geben? er hat schon alles, auch Portrait; vielleicht eine Büste oder eine Dose mit Brillanten?« Ich erhob gegen eine theure Dose Einwendungen, die ich aus der Stellung und dem Reichthum des Fürsten Gortschakow herleitete, und der Kaiser gab mir Recht. Ich sondirte darauf den Fürsten vertraulich und erhielt sofort die Antwort: »Laß Er mir (Russicismus) eine tüchtige Dose geben mit guten Steinen (avec de grosses bonnes pierres).« Ich meldete dies Sr. Majestät etwas beschämt über meine Menschenkenntnis; wir lachten beide, und Gortschakow bekam seine Dose. Nachdem ich meine Auffassung durch Herrn von Keudell zur Kenntniß des Grafen Launay gebracht hatte, wurde der Dose ein sehr hübsches und ähnliches Portrait des Königs substituirt mit folgender an meinen Annunziatenorden erinnernden eigenhändigen Unterschrift:

Al Principe Bismarck. Berlino 26. Settembre 1873.
Affezionatissimo cugino
Vittorio Emanuele.

Der König behielt jedoch das Bedürfniß, mir einen verstärkten Ausdruck seines Wohlwollens zu geben durch ein dem ursprünglich beabsichtigten im Werthe analoges, aber nicht verkäufliches Geschenk, und ich erhielt als Zugabe zu der schmeichelhaften Unterschrift des Portraits eine Alabastervase von ungewöhnlicher Größe und Schönheit, deren sichre Verpackung und Befördrung bei der überstürzten Räumung meiner Amtswohnung, zu der mein Nachfolger mich nöthigte, nicht ohne Schwierigkeit war.

VI.

Die »Germania« vom 6. December 1891 deducirt aus dem Briefwechsel zwischen dem Grafen von Roon und Moritz von Blanckenburg, veröffentlicht in der »Deutschen Revue«, daß ich den Widerstand des Kaisers gegen die Zivilehe gebrochen hätte.

Blanckenburg war ein Kampfgenosse, dessen Hauptwerth für mich in unsrer aus den Kinderjahren datirenden und bis zu seinem Tode fortdauernden Freundschaft bestand. Dieselbe war aber auf seiner Seite nicht identisch mit Vertraun oder Hingebung auf dem politischen Gebiete; auf diesem hatte ich die Concurrenz seiner politischen und confessionellen Beichtväter zu bestehn, und bei diesen war nicht die Absicht, bei Blanckenburg nicht die Befähigung vorhanden, das historische Fortschreiten deutscher und europäischer Politik in breitem Ueberblick zu beurtheilen. Er selbst war ohne Ehrgeiz und frei von der Krankheit vieler altpreußischer Standesgenossen, dem Neide gegen mich; aber sein politisches Urtheil konnte sich schwer losreißen von dem preußisch-particularistischen, ja pommerisch-lutherischen Standpunkte. Sein hausbackner gesunder Menschenverstand und seine Ehrlichkeit machten ihn unabhängig von conservativen Partei-Strömungen, denen beides fehlte; von dieser Unabhängigkeit war jedoch die vorsichtige Bescheidenheit in Abrechnung zu bringen, mit der ihn die Fremdartigkeit erfüllte, die das politische Gebiet für ihn behielt. Er war weich und gegen Beredsamkeit nicht gepanzert, keine unerschütterliche Säule, auf die ich mich hätte stützen können. Der Kampf zwischen seinem Wohlwollen für mich und seinem Mangel an Energie andern Einflüssen gegenüber bewog ihn schließlich, sich von der Politik überhaupt zurückzuziehn. Als ich ihn das erste Mal zum landwirthschaftlichen Minister vorgeschlagen hatte, scheiterte die Ausführung an dem Widerstande derselben Collegen, die vorher meine an Blanckenburg gerichtete Anfrage gebilligt hatten. Ich lasse dahingestellt sein, ob die Abneigung meines Freundes, unter übelwollender Aufsicht dauernd auf dem Präsentirteller der Oeffentlichkeit zu stehn, bei dem Mißlingen meiner Absicht, diese conservative Kraft in das Ministerium zu ziehn, mitgewirkt hat; bei seiner zweiten und definitiven Ablehnung unter dem 10. November 1873 war dies zweifellos der FallDeutsche Revue October 1891 S. 140, Roon's Denkwürdigkeiten III4 370 ff.. Mangel an Klarheit zeigt sich in seinem Briefe an Roon vom April 1874Deutsche Revue December 1891 S. 270, Roon's Denkwürdigkeiten III4 406., in welchem er gleichzeitig von seiner Ablehnung und von meinem Fallenlassen Falk gegenüber spricht. Wenn die conservative Partei in der Person ihrer damaligen Hauptredner und Führer Blanckenburg und Kleist-Retzow bereitwillig mit mir gegangen wäre, so würde die Mischung des Ministeriums eine andre und das, was in dem Briefe die Falk'sche Sackgasse genannt ist, vielleicht nicht nothwendig geworden sein. Die Ablehnung der Ministerstellung ist aber, wie der Brief documentirt, von Blanckenburg selbst ausgegangen, vielleicht nicht unbeeinflußt durch die Residuen der Kämpfe der »armen Lutheraner«, der »Alt-Lutheraner«, zu denen Blanckenburg sich hielt, in den dreißiger Jahren. Als er sich von der Politik zurückzog, hatte ich die Empfindung, daß er mich im Stiche ließ.

Daß ich den Widerstand des Kaisers Wilhelm gegen die Civilehe gebrochen hätte, ist eine der Erfindungen des demokratischen Jesuitismus, den die »Germania« vertritt. Die Abneigung des Kaisers wurde überwunden durch den Druck, den die Majorität der ohne mich und unter Roon's formalem Präsidium in Berlin anwesenden Minister auf Se. Majestät ausübte, und der so weit ging, daß der Kaiser zwischen Annahme des Gesetzentwurfs und Neubildung des Ministeriums zu wählen hatte. In meinem damaligen Gesundheitszustande wäre ich der Aufgabe nicht gewachsen gewesen, aus den mir und sich unter einander feindlichen Fractionen ein neues Cabinet behufs Fortsetzung der Kämpfe nach allen Seiten hin zu recrutiren. Wenn der Kaiser in dem Briefe vom 8. Mai 1874An Roon, vgl. Denkwürdigkeiten III4 408. retrospectiv sagt, daß er trotz seiner Hinfälligkeit noch zwei Mal dagegen geschrieben habe, so waren diese Schreiben nicht an mich, sondern an das Ministerium in Berlin gerichtet, und ich habe ihm nur gerathen, zwischen der obligatorischen Civilehe und einem Ministerwechsel für erstre zu optiren. Unzweifelhaft war seine Abneigung gegen die Civilehe noch größer als die meinige; ich hielt mit Luther die Eheschließung für eine bürgerliche Angelegenheit, und mein Widerstand gegen Anerkennung dieses Grundsatzes beruhte mehr auf Achtung vor der bestehenden Sitte und der Ueberzeugung der Massen als auf eignen christlichen Bedenken.


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