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Die große Unabhängigkeitsbewegung, die im Frühjahr 1566 durch die Massenkundgebung des Adelsbundes in Brüssel drohend in die Erscheinung getreten war, reicht in ihren Anfängen weit zurück. Der venezianische Gesandte Marcantonio Damula wußte schon im Februar 1553 vom Kaiserhofe zu berichten, daß in den Niederlanden »jedermann« die Spanier hasse und man nicht haben wolle, daß der Infant Philipp ins Land komme. Er war dann doch hingekommen und hatte sich in der Zeit seiner Statthalterschaft noch unbeliebter gemacht, so daß der feige Mann ehrlich froh war, als im August 1559 das Schiff, das ihn nach Spanien bringen sollte, die Anker lichtete. In seiner Abschiedsrede, einem wahren Kabinettstück von Verlogenheit, erklärte er den Ständen, er müsse zu seinem lebhaftesten Bedauern vorübergehend die Niederlande verlassen, wo er sich am liebsten bis an sein Lebensende aufgehalten hätte – aber innerlich mag er sich schon verschworen haben, dieses Land niemals wieder zu betreten. Damals schon war der Aufstand, wie man sagte, »unvermeidlich« geworden.
Der von Kaiser Karl V. auf dem Höhepunkt seiner Macht abgeschlossene »burgundische« Vertrag von 1548, der die Niederlande vom Reiche so gut wie loslöste und Spanien einverleibte, erwies sich in der Folge als eine für sie geradezu unerträgliche, unheilvolle Maßregel. Philipp wurde als ein »Fremder« angesehen, und die spanische Gewaltherrschaft machte sich von Jahr zu Jahr verhaßter, je näher man sie kennenlernte. Die Bewegung hatte fürs erste einen ausgesprochen politisch-nationalen Charakter – das protestantische Moment sollte erst später hinzukommen und dann allerdings die feindliche Stimmung wesentlich verschärfen. Die überwiegende Mehrheit ihrer Führer, wie Egmont und Hoorne, waren Katholiken; ihre Opposition richtete sich nicht gegen den Katholizismus als solchen, sondern gegen die vom spanischen König vertretene eigentümliche asketische Auffassung, daß der religiösen Idee alle anderen Rücksichten des Lebens geopfert werden müßten. Die Niederländer mit ihrem mächtigen, freiheitsstolzen Adel und ihrem selbstbewußten, reichen Bürgertum wollten in gesunder Daseinslust die Freuden der irdischen Welt voll genießen, waren nicht gewillt, für die von Philipp II. geleitete, die ganze Welt umspannende Politik der Gegenreformation finanziell sich zu verbluten und durch Verzicht auf den Verkehr mit dem protestantischen Ausland die wirtschaftliche Blüte ihres Landes zu opfern. Mit tiefem Abscheu sah das von dem milden, versöhnlichen Geist seines großen Landsmannes Erasmus erfüllte Volk, Hoch und Nieder, das Walten der Inquisition, die alle vom katholischen Glauben Abirrenden mit dem Scheiterhaufen bedrohte und ihm überdies die Denunziation seiner Brüder zur Pflicht machte. Der Kampf gegen die Inquisition wurde auch der berauschende Feldruf, hinter dem sich der Widerstand der auf ihre ständischen Verfassungen und Freiheitsrechte pochenden Niederländer gegen das verhaßte fremdartige System des spanischen Absolutismus barg. Nicht die Lostrennung von der Herrschaft Spaniens, nicht der Anschluß an die neue Lehre war es, was man anfänglich erstrebte, sondern Duldung und individuelle Gewissensfreiheit.
Als Philipp das bereits an allen Ecken und Enden gärende Land verließ, setzte er seine Halbschwester Margareta, Herzogin von Parma, eine männlich geartete Frau von siebenunddreißig Jahren, zur Statthalterin ein, ohne für die Machtmittel genügend Vorsorge getroffen zu haben. Die Regierung hatte oft nicht einmal für die dringendsten Bedürfnisse das nötige Geld, und nun sollte die Regentin, der es im Innersten doch an der nötigen Energie gebrach, die vom König getroffenen Maßregeln, die neue Diözesaneinteilung, die eine bedeutende Vermehrung der Bistümer darstellte, und die strengen Ketzeredikte, die »Plakate«, mit ihrem Namen decken. Das zu ihrem Schutze hinterlassene spanische Kriegsvolk, welches sich die größten Ausschreitungen zuschulden kommen ließ, erhöhte noch die Gärung.
Der Haß, der sich einstens gegen Philipp gerichtet hatte, kehrte sich nun in erster Linie gegen den Kardinal Granvelle, den »roten Pfaffen«, den »Erzschuft« und »Sohn des römischen Drachen«, der neben einer Reihe einheimischer Adliger im Staatsrat saß und mit dem König in steter, geheimer, selbst der Statthalterin verborgener Fühlung stand. Die Führer der Opposition waren vornehmlich Graf Egmont, der Sieger von Gravelingen, Wilhelm von Oranien aus dem Hause des Grafen Wilhelm des Reichen von Nassau-Katzenellenbogen, von deutschem Blut, durch seine zweite Gemahlin Anna, der Tochter des Kurfürsten Moritz von Sachsen, auch mit den protestantischen Fürsten in näherer Verbindung, und Graf Philipp von Hoorne. Der König sah sich angesichts der wachsenden Erbitterung im Lande genötigt, zuerst in die Abberufung seiner Truppen und sodann in die seines Günstlings Granvelle zu willigen – im März 1564 verließ der Kardinal, nachdem er »gebrombt wie ein Bär«, Brüssel, den langjährigen Schauplatz seines politischen Wirkens.
Kein Zweifel – das Königtum hatte eine Niederlage erlitten. Die Opposition aber, durch die Erfolge kühn gemacht, schritt auf ihrem Wege unaufhaltsam weiter. Immer deutlicher trat ihr Bestreben hervor, durch das Mittel der Einberufung der Generalstände größeren Einfluß auf die Verwaltung des Landes zu gewinnen und auch ihre religiösen Angelegenheiten selbständig in die Hand zu nehmen. Und die Statthalterin, in diesem allgemeinen Ansturm ganz auf sich angewiesen, wich langsam zurück. Sie riet nun selber dem König zu Zugeständnissen, und Graf Egmont, der Statthalter von Flandern, übernahm es, die Wünsche der Herzogin und der Adligen, der »Konföderierten«, persönlich dem König zu überbringen. Philipp, der alles getan hatte, um die Sendung des Grafen zu verhindern, empfing ihn bei seiner Ankunft im Februar 1565 mit der ausgesuchtesten Liebenswürdigkeit, hatte für alles, was der Gesandte vorbrachte, ein beifälliges: »Das lasse sich hören«, er wolle darüber die Herzogin einvernehmen, und zeigte ihm seine Schlösser, so daß Egmont ganz entzückt meinte, nun begreife er, daß der König Spanien nicht verlassen wolle.
Hochbefriedigt und reich beschenkt verließ Graf Egmont Anfang April den Hof Philipps II., wo er eine so warme Aufnahme gefunden. Der »Freund des Dunstes«, als den ihn der König richtig durchschaut hatte, war überzeugt, daß alle Forderungen der Niederländer bewilligt worden seien, und im Lande herrschte darob eitel Jubel. Doch bald sollte es mit Schrecken wahrnehmen, daß Egmont das Opfer der Hinterlist und Verstellung des Königs geworden war. Im November traf in Brüssel der endgültige Bescheid Philipps II. ein: in diesen berüchtigten »Oktober-Depeschen« ward jede Änderung der Regierung abgelehnt und, als Antwort auf die begehrte »Milderung« der Ketzerplakate, befohlen, die Religionsedikte noch strenger zu handhaben. Auf den von der Herzogin Margareta ausgesprochenen Wunsch, der König möge selbst ins Land kommen, gab Philipp die Versicherung, er werde nicht zögern, falls nur durch seine Ankunft die Religion in den Niederlanden zu retten sei, die Reise dahin zu unternehmen, so große Schwierigkeiten und Gefahren sie auch für ihn biete – »denn die Religion ist der Hauptzweck, den ich verfolge, und es gibt keine Gefahr in diesem Leben, in die ich mich nicht um ihretwillen stürzen würde«.
Die Herzogin hatte es mit richtigem Gefühl nicht gewagt, die Oktoberdepeschen zu veröffentlichen. Als sie nach Verlauf einer Woche deren Kundmachung doch vornahm, gab es im ganzen Lande einen Sturm der Entrüstung – der königliche Befehl wurde verhöhnt. Der Widerstand nimmt immer festere Formen an, und jetzt griffen auch Vertreter der neuen Lehre werktätig ein, wie der Kalvinist Philipp Marnix, der in Genf studiert hatte, und der Bruder Wilhelms von Oranien, Graf Ludwig von Nassau. In den letzten Tagen des November schlossen die Adligen in Brüssel einen geheimen Bund, das sog. »Kompromiß« von Breda, das sich die Bekämpfung der verhaßten »Inquisition« zum Ziele setzte. Der eigentliche Führer aber, der es auf sich nahm, die zersplitterten Kräfte der Opposition zu organisieren und für den neuen Adelsbund, die »edele Gesellschaft«, Stimmung zu machen, war – Wilhelm von Oranien, der »große Schweiger«, der auf seinem Wappenschild den stolzen Wahlspruch führte: »Je maintiendray.«
Am 5. April 1566 kommt es in Brüssel zu einer Massendemonstration des unzufriedenen Adels. Über zweihundert Edelleute unter Führung Ludwigs von Nassau und Brederodes zogen vor das Schloß und überreichten der bestürzten Regentin eine Petition, worin um Abschaffung der Inquisition und um Milderung der Ketzeredikte bis zur Ordnung der Religionssache durch die Generalstände gebeten wurde. Die Herzogin wagte es nicht, die Annahme der Bittschrift zu verweigern; sie versprach, sie bei König Philipp vertreten zu wollen. Die Verbündeten legten sich jetzt die Bezeichnung »Geusen« bei, das heißt »Bettler«. Dieser verächtliche Ausdruck, der zum Ehrennamen werden sollte, rührte daher, daß beim Herannahen des Zuges der Adligen, welche die Petition überbrachten, Graf Berlaymont zur Herzogin, um sie zu beruhigen, die abfällige Bemerkung hatte fallen lassen: »Ce n'est qu'un tas de geux« – »das ist nur ein Haufen Lumpen«.
Wiederum wurde die Absendung einer Gesandtschaft an den Hof Philipps II. beschlossen. Nachdem vom Grafen Egmont, der sich, wie er sagte, von seiner letzten Mission noch nicht erholt hatte, eine Absage gekommen war, ließen sich der Marquis Bergen und Baron Montigny dazu bewegen. Vorsichtig fragten sie sich bei König Philipp II. an, ob ihm ihre Reise genehm sei, und er antwortete prompt, er wünsche sie. Das war diesmal keine Lüge, denn sicherlich war er bereits entschlossen, die Opposition »um zwei Häupter zu schwächen«, und sie in Spanien so lange zurückzuhalten, bis die Stunde zur Vergeltung geschlagen hätte. Montigny, der Mitte Juni 1566 – Bergen war infolge einer Fußverletzung später aufgebrochen – nach Madrid kam, wurde wiederum äußerst freundlich aufgenommen und konnte auch bald einen Erfolg aufweisen. Im spanischen Staatsrat, der am 26. Juli zusammengetreten war, wurde die Beseitigung der Inquisition und der von den Geusen noch verlangte Generalpardon zugesagt. Die »Moderation« der Ketzerplakate dagegen wurde verworfen; die Herzogin sollte unter Mitwirkung der Vliesritter und des Staatsrates neue Vorschläge machen.
Herzog Alba
Montigny war indes mit der ihm zuteil gewordenen Antwort nicht zufrieden, weil gerade der wichtigste Punkt in Schwebe gelassen erschien. Er protestierte, und zwar in einem derart freimütigen Ton, daß der König vor Wut »sich verfärbte«. Aber auch die bereits gegebenen Zugeständnisse wurden bald von Philipp widerrufen; in aller Stille vor Notar und Zeugen erklärte er, sie seien ihm abgezwungen worden und daher null und nichtig. Dem Papst gestand er ausdrücklich, daß seine Konzessionen nur auf den Schein berechnet seien und er lieber alle seine Staaten und hundertmal sein Leben verlieren würde, als daß er eine Schädigung der Religion und des Dienstes Gottes zulassen könne; »denn ich bin«, so fügte er feierlich hinzu, »nicht gesonnen und gewillt, über Ketzer zu herrschen«.
Doch der König hatte bereits allzu lange gezögert. Während noch im Schoße der Regierung über die Frage der »Moderation« verhandelt wurde, erhob sich, im August 1566, diesmal von den untersten Schichten des Volkes ausgehend, ein Sturm, der den Dingen eine ganz andere Wendung geben sollte – schon war der Kalvinismus mit seinem vorwärtsdrängenden Geist an die Oberfläche getreten. In Flandern fielen bewaffnete Banden, da und dort aufgestachelt von ihren Predigern, über die Kirchen und Klöster her, zerschlugen Bilder und Altäre, verstreuten die geweihten Hostien, raubten und zerstörten die kostbaren Geräte und Kunstwerke, verwüsteten auch die Bibliotheken und verschonten natürlich auch nicht die Wein- und Biervorräte. In Antwerpen, in Gent und schließlich im ganzen Lande raste die Volkswut gleich einem verheerenden Gewitter, ohne zunächst auf Widerstand zu stoßen.
Dieser »Bildersturm« – man hat später von einer »Bartholomäusnacht der Kunst« gesprochen – wurde ein bedeutungsvoller Wendepunkt in der niederländischen Freiheitsbewegung. Die Ausschreitungen des Pöbels, die vielfach einen sozialen Charakter an sich trugen, führten eine Trennung von Volk und Adel, von Katholiken und Protestanten herbei. Die Gubernantin Margareta von Parma schlug den Aufstand mit Hilfe ihrer Statthalter nieder; Wilhelm von Oranien bändigte ihn in Antwerpen, Egmont in Flandern. Langsam kehrte die Ruhe in das aufgewühlte Land zurück.
Für die Regierung war jetzt die günstigste Gelegenheit gekommen, durch einige Zugeständnisse den Adelsbund für die königliche Partei, der sich ohnehin hervorragende Mitglieder wie Graf Egmont genähert hatten, dauernd zu verpflichten. Allein von solchen Konzessionen wollte die Regentin gerade in diesem Augenblick nichts wissen. Man hörte sie im Staatsrat sagen: »Selbst wenn der König zwei Religionen zulassen wollte, so würde sie sich lieber in Stücke hacken lassen, als dabei mitwirken.« Die Heiligtumsschändungen hatten ihr frommes Herz aufs tiefste empört. »Ich wünschte,« so erklärte sie leidenschaftlich zu einem ihrer Diener, »ich könnte denen, welche die Kirchen verheert haben, das Herz auskrallen und ihr Blut trinken, aber noch mehr denen, welche die Ursache davon sind«, und sie meinte damit niemand andern als die Führer des Adelsbundes. Stundenlang sah man sie vor ihrem Gebetbuch knieen.
Nicht minder groß aber war die Wirkung der Auguststürme auf König Philipp II. Der Regentin, die ihn wiederum dringend aufgefordert hatte, persönlich nach den Niederlanden zu kommen, kündigte er sein Erscheinen an. Schon aber tauchte der Gedanke auf, Herzog Alba, den gefürchteten »Ketzerfeldherrn«, hinzusenden: er sollte vorausgehen und Ordnung machen. So wenigstens wußte schon im September der französische Gesandte vom spanischen Königshofe zu berichten.
Niemand war über die ganze Entwicklung unangenehmer, peinlicher berührt als Kaiser Maximilian. Er hatte den Sturm kommen gesehen und gleich in den Anfängen der Bewegung zur Milde gemahnt. In einem Schreiben an die Regentin Margareta, das er am 2. April 1566 von Augsburg aus an sie ergehen ließ, drückte er sein Bedauern über die Ereignisse in den Niederlanden aus, die deren »Verderben« zur Folge haben könnten, und warnte sie, den Weg der Strenge und Gewalt zu gehen. Die Unruhen könnten nur durch sanfte Milde, »par toutes voyes doulces et amyables«, gestillt werden.
Wiederholt nahm er auch während des Reichstages die Gelegenheit wahr, im vertraulichen Gespräch mit dem spanischen Gesandten Chantonnay auf die schweren Folgen hinzuweisen, welche ein Aufstand in den Niederlanden für Deutschland und Frankreich hätte. Mit aller Entschiedenheit sprach er sich gegen die Einführung der Inquisition aus, die sich das Volk nicht werde gefallen lassen. Strenge in Religionssachen sei gegenwärtig sehr gefährlich. Und in diesem Streben, die Bewegung rechtzeitig zum Stillstand zu bringen, wurde der Kaiser auch von einigen deutschen Reichsfürsten bestärkt. So teilte ihm der Kurfürst August von Sachsen Anfang Juli, also noch vor dem Ausbruch des Augustbrandes, die angebliche Absicht des spanischen Königs mit, im künftigen Herbst mit einem ansehnlichen Kriegsvolk in die Niederlande zu ziehen, um dort die Inquisition »exequieren« zu lassen. Der Kaiser möge bei seinem Vetter vorbauen; denn sollte in jenem Lande das Feuer angehen, so müsse man auch mit allerlei »Weiterungen« in Deutschland rechnen, »sinthemall Eure Kays. Mt etzlicher Leute im Reich Gelegenheit und Gemueter nunmehr wol erkannt haben.« Noch im selben Monat Juli ließ Maximilian durch Chantonnay den König mahnen, seine Reise nach den Niederlanden nicht länger aufzuschieben, da sich der religiöse Zustand dort, wie er durch Briefe aus Flandern unterrichtet sei, täglich verschlechtere.
In der Tat beauftragte der König am 1. August seinen Wiener Botschafter, bei dem Kaiser wegen der Hinausfahrt vertraulich anzuklopfen. Er sollte fragen, ob Philipp wohl sicher durch Deutschland werde reisen können und was sich mehr empfehle, mit oder ohne Streitmacht zu erscheinen. Schon war er aber entschlossen, »gegen etwaige Vorkommnisse« Truppen zusammenzuziehen. In einem Schreiben vom 13. August stellte Philipp an den Kaiser in aller Form das Ansuchen, ihn ein Kriegsvolk von 10 000 Fußsoldaten und 3000 Reitern im Reiche werben zu lassen. Denn auch die Aufrührer trügen sich, wie er gehört habe, mit dem Gedanken, im Ausland Soldaten in größerer Zahl aufzunehmen, um ihre bösen Anschläge ins Werk zu richten, »unangesehen, wie gnediglich und milt Wir Uns bitzhero jederzeit gegen meniglich erzaiget und verhalten und daß Wir, so vil ainem christlichen guetigen und milten Kunig und Herren, unverletzet seines Gewissens und behörlichen und gebürenden Reputation und Authoritet gegen seinen Unterthanen zu thuen und rechtzugeben immer muglich und verantwortlich sein kan und gebüren will, an Unser angebornen Senfftmuetigkhait, Guete und gnedigen Willen nichts erwinden lassen«. Da man aber diesem Unrat nicht länger zusehen könne und es die Notwendigkeit erfordere, dem »angehenden Feuer mit Gewalt und gewehrter Hand zu begegnen«, habe er sich entschlossen, mit Vorwissen und Willen des Kaisers Gegenmaßregeln zu treffen. Und gleichzeitig verlangte Philipp, daß der Zuzug von deutschem Kriegsvolk zugunsten der aufständischen Niederländer verboten würde.
Der Kaiser war über diese doppelte Zumutung des Königs recht wenig erfreut. »Der Kunig«, schreibt er besorgt in sein Tagebuch, »begert auch Sachen an mich, die foller Gefar saind. Ich sols auch furkumen, do etwar im Raich den Rebellen, wie sie es nennen, baischten wollen«. Noch sträubt sich der Monarch, die Konföderierten als »Rebellen« zu bezeichnen – er sagt vorsichtig, etwas ironisch »Rebellen, wie sie es nennen.«
Mittlerweile war Kaiser Maximilian gegen die Türken ins Feld gerückt. Am 1. September – er befand sich im Lager bei Raab – teilte er dem spanischen Botschafter Chantonnay die Resolution auf seine Werbung mit, über die im Geheimen Rat verhandelt worden war. Der König soll, so heißt es da, schleunigst nach den Niederlanden gehen, um in eigener Person Abhilfe zu scharfen, aber vor einem gewaltsamen Vorgehen muß entschieden gewarnt werden, weil die »Remonstranten«, an und für sich mächtig und entschlossen, aus Deutschland Unterstützung finden könnten. Würde der König gar mit einem Heere hinziehen, so werde das die schwerwiegende Folge haben, daß jene auf die bloße Nachricht von seinem Anmarsch im Verein mit ihren Gesinnungsgenossen in Deutschland und den Hugenotten in Frankreich zu den Waffen griffen, und dann ließe sich der Aufstand auch mit dem größten Aufgebot nicht mehr bewältigen. Für seine Person könnte er dem König auch keinen Beistand leisten, da er von dem Kampf mit den Türken in Anspruch genommen und überdies in Deutschland selbst ein großer, den Bestand des Reiches gefährdender Umsturz – er meinte die Grumbachische Verschwörung – zu besorgen sei. Auch ein noch so geringes Gefolge würde das Mißtrauen der Niederländer gegen Philipp wachrufen. Gerne wolle er die Vermittlung in die Hand nehmen, aber vorher müßte der König Verzeihung und Straflosigkeit zusagen; denn nur – er wiederholte es nachdrücklichst – auf gütlichem Wege sei dieser Bewegung beizukommen. Er schlage eine Zusammenkunft mit Philipp in Mailand, Innsbruck oder München vor.
Auch Chantonnay, der am Tage nach seiner Audienz ausführlichen Bericht erstattete, riet dem König, das kaiserliche Vermittlungsangebot anzunehmen und nach Italien zu kommen, von wo man mit den Konföderierten die Verhandlungen aufnehmen könne. Desgleichen hatte der österreichische Botschafter den König für eine Verständigung zu gewinnen. Alles werde sich zum Guten richten, schrieb Maximilian am 23. September Dietrichstein, wenn Philipp seinem Rate folge, »sed vi armorum wird man diese Sache nur ärger machen und wird ain Hidera (= Hydra) daraus«.
Zwei Tage vorher hatte Maximilian der Brüsseler Regierung zum Zwecke der Vermittlung eine Anzahl von Schreiben an die Führer der Konföderierten, wie Wilhelm von Oranien und Egmont, überantwortet. Der König verbot der Regentin, diese Briefe ihrer Bestimmung zu übergeben. »Niemand«, so schrieb er ihr am 5. November, »soll davon etwas erfahren«, da dies eine Sache sei, die »aus verschiedenen Gründen« unpassend erscheine.
Philipp II. war also, wie man sieht, schon vor dem Empfang der Nachrichten über die Augustereignisse, die am 3. September in Madrid bekannt wurden, zu Gewaltmaßregeln entschlossen. Unter dem Eindruck des offenen Ausbruches der Revolution aber reiften seine Wünsche und Erwägungen, die stets eine gewisse Langsamkeit – Zasius nannte es die spanische »Tardität« – verrieten, rasch zu dem folgenschweren Beschluß, durch Herzog Alba ein Strafgericht über die niederländischen »Rebellen« ergehen zu lassen. In der Sitzung des Staatsrates vom 29. Oktober fielen die Würfel. Die Ernennung Albas zum obersten Feldherrn des Expeditionsheeres wurde erst am 1. Dezember ausgefertigt und nach einigen Wochen auch amtlich kundgemacht.
Mittlerweile setzte Kaiser Maximilian seine Bemühungen, den König noch in letzter Stunde zum Einlenken zu bewegen, eifrigst fort. Adam von Dietrichstein erhält den Auftrag, Philipp noch einmal die Gefahren eines gewaltsamen Vorgehens in den Niederlanden vor Augen zu halten. Allein der Botschafter predigt tauben Ohren. Der König hatte auf alle Warnungen vor allzugroßer »Schärfe« stets die Antwort zur Hand, es sei niemals seine Meinung gewesen, mit Gewalt seine Untertanen zu traktieren, jederzeit habe er »allen möglichen Glimpf« gebraucht und alle Mittel versucht, sie beim Gehorsam zu erhalten, und eben durch diese seine Milde sei es zum Aufruhr gekommen. Und schon ließ er durchblicken, daß er sich gegen jede Einmischung in seine Angelegenheiten verwahren müsse.
Dietrichstein gewann aus seiner Unterredung mit König Philipp den Eindruck, daß er es auf eine »exemplarische« Bestrafung der Aufrührer abgesehen habe. Zu gütlicher Vergleichung, berichtet er am 4. November dem Kaiser, sind sie wenig geneigt; denn, so meinen sie, des Königs Hoheit, Autorität, Reputation verbiete, sich »on alle vorgehende Straff« mit den Aufständischen zu vergleichen. Man würde dadurch nur den Untertanen anderer Länder ein böses Beispiel geben. »So hält der Papst auch stark an und hat ohne dieses die persuasion, hoc esse negotium Dei« – dies sei eine Sache Gottes. Allein noch am Ende des Monats wußte Dietrichstein nichts von der Entsendung Albas; er hörte nur, daß der König »des Spills jemand anderen ain Anfang machen lassen« und erst dann selber hinreisen wolle.
Der Kaiser, der mittlerweile aus dem verunglückten Türkenfeldzug nach Wien zurückgekehrt war, sah sich infolge der Zuspitzung der Lage in den Niederlanden den größten Schwierigkeiten ausgesetzt. Er mußte mit dem Wiederausbruch des Krieges gegen den siegreichen Erbfeind rechnen und die unangenehme Wahrnehmung machen, daß ihm von den Spaniern wie von den aufständischen Niederländern die besten Truppen aus Deutschland weggenommen würden. Die Geusen haben, so schreibt Zasius am 19. November dem Bayernherzog Albrecht, »grausamen großen Verstand im Reich«, und beginne in den Niederlanden »das Blutbad, worauf alle spanischen Consilia gerichtet zu sein scheinen«, dann werden beide Parteien die besten deutschen Reiter haben; für Deutschland stünden böse Folgen darauf. Denn einmal werde, wie immer das Glück entscheide, der Aufruhr weiter reichen, und zweitens, was bleibe an Kriegsvolk übrig, dem Erbfeind Widerstand zu leisten? Die Ächter werden auch ins Spiel kommen. Wenn jetzt der Kaiser, fügte er scherzhaft hinzu, mit Susanna ausriefe: »Angustiae mihi sunt undique« – überall drohen mir Gefahren –, »so hetten Ir. Mt. je nicht geringe Ursach!«
Maximilian suchte den Brand, der sich da in der nächsten Nähe seines Reiches erhoben, möglichst einzudämmen. Dem König von Frankreich hatte er noch aus dem Felde, am 24. August, eine Warnung zukommen lassen, Werbungen zugunsten der Remonstranten zuzulassen, da es sich hier um eine allen Königen gemeinsame Gefahr handle. Die grauenhaften Augustvorgänge mit den Bilderstürmen und die ihm aus den Niederlanden gemeldete Tatsache, daß ein »großer und vielleicht der meiste Teil« der Rebellen der »verführerischen, bösen, calvinischen Sekte« angehöre – dies hatte auch ihn erschreckt. Dazu kam noch der üble Eindruck, den auf ihn der Zusammenhang der niederländischen Freiheitsbewegung mit der Grumbachischen Verschwörung gemacht hatte. Kurz, Maximilians Sympathien für die Konföderierten erfuhren eine merkliche Abschwächung – nun fing auch er an, von »Rebellen« zu sprechen.
So war es denn nicht bloß ein Nachgeben vor dem Andringen des spanischen Vetters, wenn er sich entschloß, Truppenwerbungen für diesen im Reiche zuzulassen. Gerade einen Tag, nachdem der Vizekanzler Zasius seinen Klageruf über die unabsehbaren Schwierigkeiten ausgestoßen, am 20. November, erließ der Kaiser ein Mandat, das dem König die Aushebung von Kriegsvolk gestattete. Damit hatte er sich, wie der pfälzische Kurfürst sagte, offen auf die Seite Spaniens gestellt. Allein er hielt sich zu diesem Vorgang, wie er in seinem späteren Mandat vom 5. März 1567 näher ausführt, für vollkommen berechtigt. Die Beherrscher der Niederlande, so heißt es da, genießen gegen widerrechtliche Gewalt den Schutz des Landfriedens von 1555, demzufolge Kriegsdienste »wider den Kaiser oder einen gehorsamen Reichsstand ohne des Kaisers oder der nächstvorgesetzten Obrigkeit Bewilligung verboten« waren. Und umgekehrt erwartete er vom König, wie dies gleichfalls im Mandat erklärt wurde, den Schutz des Religionsfriedens, der auch für die Niederlande zu gelten habe.
Der Kaiser nahm die Gelegenheit, da er Philipp mit Schreiben vom 7. März 1567 von seinem Schritt benachrichtigte, dazu wahr, ihm wieder einmal dringendst den Weg der »Guete und Senfftmuetigkeit« ans Herz zu legen. Auch der König, sagte er, habe Rücksichten auf das Reich zu nehmen und sei gebunden, den »Religions- und Profanfrieden« zu respektieren und die Anhänger der Augsburger Konfession zu schützen. Doch Philipp bestritt diesen Standpunkt des Kaisers auf das Entschiedenste – er wollte nur den Schutz des Reiches in Anspruch nehmen, mit dessen Gesetzen aber nichts zu tun haben. Der nach dem burgundischen Vertrag zustande gekommene Religionsfriede von 1555, so antwortete er am 25. April dem Kaiser kategorisch, sei für ihn in keiner Weise verbindlich. Im übrigen aber würde er sich, wie Maximilian überzeugt sein könne, »in allem der Gebür nach verhalten.«
Auch die angesehensten Stände des Reiches, wie die Kurfürsten von Sachsen und von Brandenburg, hatten im Mai Gesandte nach Brüssel geschickt, um bei Margareta von Parma für die Niederländer ein gutes Wort einzulegen. Die Petition aber wurde »spöttisch und schimpflich« abgewiesen. Die Herzogin verbat sich ganz im Sinne ihres Halbbruders Philipp energisch jedwede Einmischung in innere Regierungsangelegenheiten. Man möge den König, so schloß ihre unfreundliche Antwort, »mit solchen Suchungen« verschonen und ihm lieber nachbarliche Hilfe angedeihen lassen, um den »aufrührerischen Mutwillen« der niederländischen »Rebellen« zu unterdrücken.
Unterdessen befand sich Herzog Alba auf dem Wege nach den Niederlanden. Er war Mitte Mai von Madrid abgereist, um über Genua an seinen Bestimmungsort zu gelangen. In Oberitalien erwarteten ihn schon über 10 000 Mann, zu welchen dann in Burgund und in Deutschland weitere Verstärkungen stießen. Erst nach vielen Monaten sollte er in Brüssel seinen Einzug halten.
Mit banger Sorge begleitete der Kaiser Albas Reise. »Man vermaint«, vermerkt er in seinem Tagebuch vom Juni, »do der Hertzog von Alba mit Kriegsfolk fort ins Niderland verrukt, daß er mer Schaden als Nutz bringen soll.« Im Juli, da im Lande Ruhe herrschte, versucht er nochmals einen Sturm auf des Königs Herz. »Die niederländischen Sachen«, schreibt er am 18. Juli Dietrichstein, »stehen Gottlob ziemlich wol, da man es anders nit auf ain neues verderben will, und wundert mich nit wenig, das man das edel Land so schantlich und muetwilligerweise verderben will«. Sehr ungern habe er gehört, daß Alba nun »mit den Spaniern und anderm Volk« hinziehe, denn er fürchte, daß sich dann neue Unruhen erheben würden. Der König täte gut daran, diesen Zug einzustellen und selbst ins Land zu kommen. Man könne dem Wiener Hofe dafür dankbar sein, daß dieses also gestillt wurde, denn da die Gothaische Exekution nicht vorgenommen worden wäre, würde der König die Niederlande nimmer in seine Hände gebracht haben, zudem habe er auf alle mögliche Weise den Zuzug von Kriegsvolk zugunsten der Aufständischen verhindert. Indem der Kaiser dann von seinem Podagra spricht, das ihn diesmal nur leicht gepackt habe, fügt er die scherzhaft-ernste Bemerkung bei: »Ich wolt, das der Kunig von Ispania nit schärfer mit den Niederländern handle als mich das Podagra tractiert hat; wäre wol zu wünschen, dan ich große Sorg hab, das die Schpanier nix Guetes in Niederland machen werden, dan wo sie hinkumen, hausen sie, wie man wais, da hilft kan Billigkeit nit …«
Milde, nicht Schärfe – das ist der Grundton, auf den alle Weisungen und Briefe, die vom Kaiserhofe, und gerade jetzt, da sich Herzog Alba den Niederlanden näherte, nach Madrid und Brüssel ausgehen, gestimmt sind. Nur durch Milde, so schreibt Maximilian am 9. Juli dem König, wird »das Verderben der schönen und gueten Landen, die Verödung irer gewaltigen und ansehenlichen, reichen Handelsstellen« und die Schädigung des Kommerzes verhütet werden, »neben dem, daß auch angeregte Senfftigkeit und gebürliche Milderung der ewigen Allmechtigkeit Gottes je und alwegen vil mehr als die übermeßige Saeveritet gefellig und angenemb gewest ist«.
Freilich, Dietrichstein glaubte nicht mehr an den Erfolg dieser gutgemeinten Vorstellungen, wenn ihm auch der König erwidert hatte, man werde finden, daß er niemanden »gegen Recht und Billigkeit« beschwere. Der Plan des Verfahrens gegen die Niederländer, so berichtet der Botschafter am 10. August nach Wien, scheint bereits unabänderlich festgesetzt zu sein. Vielleicht, daß dann, wenn der König selber hinaus käme, die Dinge »zu mehrer Moderation« gebracht werden könnten. Noch durfte man mit einer solchen Reise Philipps rechnen, wenn auch die Hoffnungen auf sie stark herabgesunken waren. Vorderhand wartete dieser auf den Erfolg der Sendung Albas.
Maximilian II.
Der Herzog war am 22. August mit seiner Leibwache in Brüssel eingezogen und überreichte der Regentin, die über sein Erscheinen ebenso wie das Volk den größten Unwillen zeigte, seine Vollmachten. Margareta erkannte sofort mit richtigem Blick, daß neben Alba kein Platz mehr für sie war. Sie sagte öffentlich, sie sei jetzt überflüssig und könne gehen, und nahm auch alsbald ihren Abschied, mit einem bitteren Stachel im Herzen.
Noch zögerte Herzog Alba, das vorzunehmen, was ihm als seine erste und dringendste Aufgabe vorgezeichnet worden war: die Gefangennahme der Häupter der Bewegung. Wilhelm von Oranien und Hoorne hatten zur rechten Zeit das Land verlassen und weilten auf deutschem Reichsboden, der eine in seiner Grafschaft Nassau, der andere in seiner Lütticher Lehensgrafschaft. Alba versuchte die beiden herbeizulocken. Hoorne wurde eingeladen, den Feldherrn als Freund zu besuchen, und ihm für seine Verdienste die hohe Stelle eines Gouverneurs in Mailand oder eines Vizekönigs von Neapel in Aussicht gestellt. Das Mittel verfing auch: Hoorne kehrte zurück, vom Herzog freundlichst empfangen. Auch Egmont wurde mit vollendeter Liebenswürdigkeit behandelt, seiner Gemahlin ein Paar Handschuhe verehrt. Nur Wilhelm von Oranien kam nicht.
Endlich, am 9. September 1567, warf Herzog Alba die Maske ab: Egmont und Hoorne wurden verhaftet; aber auch jetzt noch betonte der Feldherr, er wolle Milde walten lassen. »Ich hätte noch mehr Personen ergreifen können,« so versicherte er, »aber der König hat nicht die Absicht, das Blut seiner Untertanen zu vergießen, und ich bin von Natur solcher Härte abgeneigt.«
Am Wiener Hofe wirkte die Nachricht von der Gefangennahme der beiden Grafen wie eine Bombe. Der Vizekanzler Doktor Zasius fand nicht genug Worte, um die »spanische Crudelität« gehörig an den Pranger zu stellen und die schweren Folgen dieser unheilvollen Maßnahme auszumalen. »Gott woll,« schreibt er am 30. September dem Kurfürsten August, »das diß Werk nicht ainen seer braiten Fueß hab und zumal noch vil Aergers, daß sich auch vil weiter erstrecke, hernach volge. Wan es dan allein diese Teufelsköpf treffen thät und über ihre Hälse ausgieng, so were es bald und leicht zu verklagen. Ich besorg aber ein anderes und das die Trimmer auch an die mit der Zeit springen mochten, so der Sachen nicht allein unschuldig, sondern auch verdrussig und veind sein, wie dan die Kais. Mt. herüber sehr unlustig und übel zufrieden.«
Die »spanische Crudelität« sollte indes bald neue Orgien feiern – in Spanien selbst.
Mit fieberhafter Spannung erwartete Philipp II. die Nachrichten von dem Erfolg der Sendung Albas. Endlich, am Morgen des 19. September 1567, traf im Eskurial die Mitteilung über die glücklich vollzogene Gefangennahme der beiden Grafen ein. Der König zeigte sich darüber, wie der päpstliche Nuntius zu melden wußte, »sehr erfreut«. Noch am selben Abend wurde Baron Montigny in seiner Herberge »verstrickt«, um zwei Tage darauf nach der Festung Segovia gebracht zu werden. Der andere Gesandte, Marquis von Bergen, hatte kurz vorher das Zeitliche gesegnet – er war, wie Dietrichstein fein bemerkte, »zur rechten Zeit« gestorben.
Kurz vorher hörte der französische Gesandte Fourquevaux von Philipps Absicht, seinen Sohn »einzusperren«, um ihn gehorsam zu machen. Man sprach auch davon, daß der König die Besorgnis hege, Don Carlos werde sich aus Madrid entfernen. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war auf das äußerste gespannt. »Der Vater«, so berichtet Fourquevaux am 12. September, »haßt seinen Sohn und der Sohn nicht minder seinen Vater«, und diese neuerliche Verschärfung des gegensätzlichen Verhältnisses äußerte sich wieder in einer Flut von ungünstigen Nachrichten und Gerüchten, die über den Prinzen am Hofe umliefen. Man erzählte sich, wie er im Staatsrat alle Verhandlungen »verwirre«, das Geld zum Fenster hinauswerfe und »ganze Nächte auf wenig anständige und sehr herausfordernde Weise in Bordellen zubringe«.
Von allen diesen Schaudermären weiß der kaiserliche Gesandte nichts zu berichten. Ihm war nur bekannt, daß der Infant über die Verzögerung des Heiratsabschlusses, den neuerlichen Aufschub der Reise, »höchst unwillig« geworden war – eine Tatsache, die jedermann begreiflich erscheinen mußte. Don Carlos bekundete in dieser Zeit mehr denn je seine starke Sehnsucht nach Erzherzogin Anna. Noch um die Mitte Dezember präsidiert er einer Sitzung des Staatsrates. Nichts deutet in seiner äußeren Haltung auf irgendwelche gefährliche Absichten des Infanten hin. Wohl aber ersieht man aus allerlei Anzeichen, daß er selber für die Sicherheit seiner Person besorgt war. Er ließ sich von dem im Dienste seines Vaters stehenden französischen Mechaniker Louis de Foix einen Türverschluß herstellen, der ihn vor einem nächtlichen Überfall schützen sollte. Allein er denkt anscheinend auch daran, der ihm drohenden Gefahr durch Flucht sich zu entziehen.
Sicher ist, daß er um jene kritische Zeit eifrigst bemüht war, eine größere Geldsumme zusammenzubringen. In seinem Auftrag gehen die beiden Kammerherren Garcia Alvarez Osorio und Juan Martinez de Cuadro nach Toledo, Medina del Campo, Valladolid und Burgos, um bei den dortigen Kaufleuten Geld aufzubringen. Ihre Bemühungen haben jedoch, so viel man sieht, nur geringen Erfolg. Don Carlos, der 600 000 Dukaten benötigte, beauftragte Osorio in Sevilla sein Glück zu versuchen. »Garcia Alvarez Osorio, mein Kammerjunker, der Ihnen gegenwärtiges Schreiben überbringen wird,« so heißt es in einem der vom Infanten ausgestellten Kreditbriefe, »hat von Ihnen in meinem Namen die Anleihe einer gewissen Summe Geldes zu verlangen für die Bestreitung eines unabweisbaren, sehr dringenden Bedürfnisses. Sie werden dadurch nicht bloß die Pflichten meines Lehensmannes erfüllen, sondern mir auch ein großes Vergnügen dadurch bereiten. Die Rückzahlungstermine wird Osorio festsetzen. Ich genehmige im voraus, was er mit Ihnen verabreden wird. Madrid, den 1. Dezember 1567. Ich, der Prinz.« Das Schreiben enthält den eigenhändigen Zusatz: »Es wird mir damit ein großer Gefallen erwiesen.«
Was hatte der Prinz vor? Die Antwort könnten nur die Papiere geben, die bei seiner Verhaftung beschlagnahmt wurden; aber der »grüne Koffer«, in dem sie bewahrt worden sein sollen, ist bisher noch nicht zum Vorschein gekommen. So ist man denn auf die Erzählungen der Gesandten, also auf den üblichen »Hofklatsch«, nicht immer gerade die lauterste und verläßlichste Quelle, angewiesen. Nach dem Zeugnis des päpstlichen Nuntius, des Erzbischofs Castagna, der sich über den Inhalt der Geheimpapiere am ausführlichsten ausließ, hatte der Infant eine ganze Reihe von Schreiben an den Vater, den Papst, den Kaiser und an die übrigen katholischen Potentaten, die Granden und Behörden in Spanien verfaßt, worin er sein Vorgehen zu rechtfertigen suchte. In einem Schreiben an König Philipp zählt er alle die Unbilden auf, die ihm von seiner Seite widerfahren, und versichert, daß er Spanien in keiner andern Absicht verlasse, als weiteren Mißhandlungen aus dem Wege zu gehen. Die Stände des spanischen Reiches erinnert er an ihren Huldigungseid, den sie ihm einstens zugeschworen. Denen, die ihm treu bleiben würden, stellt er Gunstbezeigungen aller Art in Aussicht: den Granden den Rückersatz der von seinem Vater abgeschafften Abgaben, den Magistraten die Aufhebung der ihnen auferlegten Lasten.
Aus diesen Mitteilungen des Hauptzeugen, der sich an maßgebender Stelle informiert hatte, geht hervor, daß Don Carlos weder die Absicht hatte, mit den Feinden des Königs sich zu verbinden, noch einen Aufruhr zu erregen, sondern, daß er einfach das Land verlassen wollte, weil er es hier nicht mehr aushielt.
Von anderer und gewiß nicht zuverlässigerer Seite wurden indes die Absichten des Infanten weniger harmlos beurteilt. Er wollte, so wurde gesagt, nach Deutschland gehen, um die Heirat mit Erzherzogin Anna zu vollziehen und mit Hilfe seines kaiserlichen Schwiegervaters sich an die Spitze des niederländischen Aufruhrs zu stellen. Aber es hieß auch, er wolle nach Italien segeln, um sich in den Besitz von Mailand und Neapel zu setzen, und zu diesem Zwecke habe er den Italienern unter anderm die Abschaffung der Inquisition versprochen. Aber der Kaiserhof als Ziel der abenteuerlichen Fahrt erscheint am häufigsten genannt.
Die »Fuggerischen Relazionen« geben als treibendes Motiv der Flucht seine Liebe zu Anna an, und schließlich stand ja auch die Kaisertochter in Verbindung mit seinen politischen Plänen, mit seinen ehrgeizigen Absichten auf die Niederlande. »Als er nun gesehen,« so heißt es da, »daß er mit des Vattern Willen nit hat mögen heraus zue der Kais. Mt Dochter komen … und nachdem er gern war aus Hispania gewest und im all sein Synn zu der Kais. Mt Dochter gestanden, nach der er schier unsinnig geworden«, habe er angefangen, mit Don Juan d'Austria insgeheim zu verhandeln, damit ihn dieser nach Italien befördern helfe.
Das waren immerhin höchst gefährliche Anschläge, wozu nur noch bemerkt werden muß, daß auch der päpstliche Nuntius von solchen Meldung getan, aber dann auf Grund »sehr genauer Informationen«, wie er bemerkt, seine früher erwähnte Darstellung, wonach der Prinz aus Furcht vor seinem Vater fliehen wollte, gegeben hat. Aber auch schon die Tatsache, daß der aufs höchste gereizte Thronfolger im Ausland weilte, mußte in der gegenwärtigen Situation für den König etwas Beunruhigendes haben. Philipp II. wußte, daß sein Sohn von jeher die Regierung in den Niederlanden anstrebte und dies auch dem ganzen Herkommen nach sein gutes Recht war. Schon als er sich seinerzeit, im Jahre 1559, von den Ständen dieses Landes verabschiedete, sah er sich bemüßigt, die Ernennung der Herzogin Margareta als Regentin zu rechtfertigen. Gerne hätte er, so sagte er damals, seinen Sohn zum Statthalter gemacht; aber »einige sehr dringende Beweggründe und Rücksichten« hätten ihn davon abgehalten. »Alle seine Sinne und Gedanken stehen hinaus«, nach den Niederlanden, so hatte am 2. Januar 1567 Dietrichstein dem Kaiser berichtet, als die Reise dahin, die Zusammenkunft mit Maximilian und die Hochzeit mit Anna als beschlossene Sache galt.
Allein gerade diese Verbindung mit Maximilian II., das große Interesse, das der Kaiser an dem Zustandekommen der Verheiratung mit seiner Tochter Anna bekundete, und die Ankündigung der Fahrt nach Brüssel – all dies mag den König, in dessen Natur nach dem allgemeinen Urteil seiner Zeitgenossen das Mißtrauen eine so große Rolle spielte, mit Besorgnis erfüllt haben. Maximilian hatte ja schon als junger Erzherzog sein Auge auf die Niederlande gerichtet, hatte es sehr übel empfunden, daß man ihm beim Abschluß der Ehe mit Philipps Schwester die Regierung dieses Landes vorenthielt. Und als nun die Niederlande in Bewegung gekommen waren, flammte dieser alte Argwohn aufs neue auf. Der Kaiser sah sich veranlaßt, dem spanischen Botschafter gegenüber, wie dieser am 20. Mai 1565 meldete, gegen den Verdacht, als habe er es auf Flandern und Mailand abgesehen, sich ausdrücklich zu verwahren. Und als um dieselbe Zeit der kaiserliche Gesandte Swetkowycz mit der englischen Königin über die Heirat Erzherzog Karls verhandelte, hielt man es für notwendig, Philipps Zustimmung zu erlangen, da der König, wie der Diplomat meinte, die Sorge hege, der Erzherzog könne am Ende zu groß und mächtig werden und vielleicht eines Tages Spanien die Niederlande entziehen. Dietrichstein hörte auch tatsächlich am spanischen Hofe, wie er seinem Tagebuch vom 22. April 1566 anvertraute, das »lächerliche« Gerede umgehen, Maximilian begünstige die Niederländer, damit sie sich gegen König Philipp erklärten.
Wie sich nun Kaiser Maximilian von der Sendung Herzog Albas nichts Gutes versprach, so wird dasselbe, ohne daß man darüber etwas Näheres weiß, auch beim Infanten der Fall gewesen sein. Es wird erzählt, daß Don Carlos dem Herzog, als sich dieser Mitte April 1567 von ihm verabschiedete, die Drohung entgegengeschleudert habe, er werde ihn töten, wenn er wirklich die Fahrt unternehme, weil er selbst hinzugehen beabsichtige. Im Verlaufe der Auseinandersetzung habe der Infant gegen Alba den Dolch gezückt, und es sei zu einem Ringkampf gekommen, in welchem Don Carlos den Kürzeren zog. Merkwürdig nur, daß von diesem Vorfall, der doch schwerlich am Madrider Hofe sich unbemerkt abspielen konnte, keiner der Gesandten, auch nur gerüchtweise, etwas zu melden wußte. Erst später wurde von diesem Attentat auf den Herzog gesprochen.
Aber ein anderer Exzeß, der sich tatsächlich ereignete, steht mit den Niederlanden in Verbindung und beweist wieder, ein wie starkes Interesse der Infant an den dortigen Vorgängen besaß. Den Verhandlungen, die darüber vom König geführt wurden, war er nicht zugezogen worden. Er stellte sich nun an die Tür des Konferenzzimmers und horchte. Der Kammerherr Don Diego de Acuna, der das sah, rügte ihn deswegen. Der König, erklärte er, werde, wenn er jetzt heraustrete, erstaunt sein, ihn hier zu finden, und bekam als Antwort einen Faustschlag.
Alles dies beweist in sozusagen schlagender Weise, daß der Infant sich damals in einer höchst gereizten Stimmung befand. Hatte Dietrichstein dessen seelischen Zustand, als er vor dreieinhalb Jahren nach Spanien gekommen war, schon als »halb verzweifelt« geschildert, so mag er nach den mittlerweile erfahrenen neuen Leiden und Zurücksetzungen nicht besser geworden sein; selbst der um vieles ältere Kaiser glaubte, vor Ärger »schier toll« werden zu müssen. Nur Verzweiflung konnte Don Carlos den Gedanken einer Flucht eingeben, für deren Gelingen ja bei der Furcht, die man allgemein vor dem mißtrauischen König hatte, und bei dem gut ausgebildeten Überwachungssystem von vornherein geringe Aussichten bestanden. Es heißt, sein Oheim und Jugendgespiele Don Juan d'Austria, dem er sich anvertraut hatte, habe den Fluchtplan verraten und damit die nun folgende Katastrophe herbeigeführt. Aber diese war, wie man heute weiß, schon seit vielen Jahren, schon seit etwa 1560, beschlossen worden.
Am 17. Januar 1568 war der König vom Eskurial, wohin er sich über die Weihnachten zurückgezogen hatte, nach Madrid zurückgekehrt. Philipp begab sich in Begleitung seines Halbbruders Don Juan d'Austria in die Gemächer der Königin Elisabeth und dort erschien auch alsbald Don Carlos, um seinen Vater zu begrüßen. Der Infant war, so heißt es, ehrfurchtsvoll und Philipp hinwieder ließ nichts von Ungnade merken. Als der Infant sich verabschiedet hatte, nahm er seinen Oheim mit sich in die Wohnung, wo sie bei verschlossenen Türen zwei Stunden lang miteinander verhandelten. Über den Gegenstand dieser Unterredung gehen nun die Erzählungen auseinander. Hat ihm Don Carlos jetzt erst seinen Fluchtplan mitgeteilt oder ihm, da er sich bereits verraten sah, deswegen Vorwürfe gemacht?
Am nächsten Tage – es war ein Sonntag – ging Philipp zur Messe, begleitet von Don Carlos, Don Juan d'Austria und den beiden Erzherzögen Rudolf und Ernst. Nichts in des Königs Miene deutete daraufhin, daß etwas besonderes sich ereignet hätte. Es fiel nur dem französischen Botschafter auf, der am Morgen eine Audienz bei Philipp II. hatte, daß während des Tages häufig Boten vom König zum Großinquisitor, dem Kardinal Espinosa, hin und hergingen. Don Carlos hatte, wie erzählt wird, auf eine entscheidende Antwort seines Oheims gerechnet und erhielt statt ihrer ein Schreiben, worin er sich für Mittwoch ansagte. Der Infant, der alsbald Verdacht schöpfte, ließ sich krank melden und legte sich frühzeitig schlafen.
In derselben Nacht zum 19. Januar schritt König Philipp zur Ausführung seines Vorhabens. Eine Stunde vor Mitternacht berief er seine ersten Räte Ruy Gomez, den Prior Don Antonio, den Herzog von Feria und Luis Quijada, um ihnen seinen Entschluß mitzuteilen, Don Carlos gefangenzusetzen. Hierauf begab er sich mit ihnen, von fackeltragenden Dienern und Garden begleitet, in das Gemach des Infanten, der bereits eingeschlummert war, und nahm dessen Verhaftung vor. Die Art und Weise, wie sich diese abspielte, wird verschieden geschildert. Bald sprach der König zu den vor ihm versammelten Ministern »voll Ruhe und edler Fassung«, bald in »rauh befehlendem« Tone; bald befand er sich in voller Rüstung, den Helm auf dem Kopfe, mit einem Panzer unter dem Gewande und den Degen unter dem Arm, bald wieder im Hauskleid; bald war das mechanische Schloß des Franzosen schon vorher entfernt worden, bald wurde es erst aufgesprengt.
Und ebenso zwiespältig wird die Szene erzählt, da der König vor seinem Sohne stand. Nach der am meisten verbreiteten Darstellung rief Don Carlos seinem Vater entgegen: »Was ist das? Will Eure Majestät mich töten?« Und als er sah, daß man daranging, die Fenster zu vernageln, warf er sich vor Philipp auf die Knie und bat ihn, er möge ihn töten, weil er sich sonst selber das Leben nehmen werde. Auf des Vaters Bemerkung, sich selbst zu töten, wäre die Tat eines Verrückten, beteuerte der Infant, er sei »kein Narr, aber ein Verzweifelter«. Mit Gewalt wurde er daran gehindert, zum Fenster hinauszuspringen und in das Kaminfeuer sich zu stürzen. Seine in einem kleinen Koffer aufbewahrten Papiere wurden beschlagnahmt und alle Gegenstände, mit welchen er sich hätte entleiben können, entfernt. Der König übergab sodann den Prinzen der Obhut der genannten vier Minister und der beiden Kammerherren Lerma und Mendoza und entfernte sich. Aber so verschiedenartig auch die Berichte über das große, aufsehenerregende Ereignis lauten mögen, in einem Punkte stimmen sie alle überein, daß man Don Carlos nicht als einen Geisteskranken, sondern als einen Staatsgefangenen behandelte.
Ungeheuer war in der Tat der Eindruck, den die Verhaftung des Don Carlos am nächsten Morgen, da sie bekannt wurde, bei Hofe und in der Stadt hervorrief – kam sie ja selbst für die, welche um das gespannte Verhältnis zwischen Vater und Sohn wußten, vollkommen überraschend. Die Prinzessin Johanna hatte am selben Abend, da sich das Netz über dem Haupt ihres Neffen zusammenzog – es war der Vorabend des Sebastianfestes –, zu Ehren ihres Sohnes Sebastian, Königs von Portugal, der großjährig gesprochen werden sollte, ein Gastmahl veranstaltet, als Vorspiel zu der groß angelegten Feier des nächsten Tages. Nun wurde diese abgesagt und Johanna schloß sich in ihrer Trauer ein. Und nicht minder groß war der Schmerz der Königin, die von jeher eine besondere Zuneigung für ihren Stiefsohn besaß. Sie weinte, wie der französische und der kaiserliche Botschafter übereinstimmend berichteten, tagelang, bis ihr der König »die Tränen verbot«. Noch nach Monaten war ihr Kummer derart groß, daß man für das Kind, das sie unterm Herzen trug, ernste Besorgnisse hegte.
Auch im spanischen Volk, besonders bei den höheren Ständen, war die Teilnahme mächtig, und des Königs Vorgehen fand teilweise eine sehr scharfe Verurteilung. Selbst der offizielle Historiker Luis Cabrera konnte nicht an dieser Tatsache vorübergehen, und was er da sagte, erscheint uns im höchsten Grade bemerkenswert. Die einen, so erzählt er in seiner 1619 zu Madrid im Druck erschienenen Lebensgeschichte Philipps II., gaben zu, daß Don Carlos böse Gedanken gehabt und mit Verdruß von seinem Vater gesprochen habe. Niemals aber habe er verbrecherisch gehandelt, und der König hätte ihn auch ohne eine derartige Gewalttat auf den rechten Weg zurückführen können. Andere wieder sagten: Könige seien leicht auf die Thronerben eifersüchtig, namentlich wenn sie Geist, Entschlossenheit und Großmut besäßen. Fürsten, die rücksichtslos gegen ihre Kinder handelten, seien es auch gegen ihre Völker; den Thronfolgern einen vernünftigen Anteil an der Regierung einzuräumen, liege im Interesse der Regierten und gewähre diesen eine Bürgschaft für die Zukunft. Die »Klugen« aber, so setzt er bedeutungsvoll hinzu, schwiegen, den Finger an den Mund legend, aus Furcht vor dem König. Die einen nannten Philipp »klug«, die andern aber »hart«.
Don Carlos
Über den Grund der Verhaftung erfuhr man zunächst nichts. Der König hatte von allem Anfang an dafür gesorgt, daß darüber nichts in die Öffentlichkeit dringe. Der Oberpostmeister erhielt den Befehl, sämtliche Kuriere zurückzuhalten; niemand durfte einige Tage hindurch die Stadt verlassen. Er selber wollte sprechen. Gleich am Morgen nach der Verhaftung des Infanten ließ er den kaiserlichen Botschafter rufen und teilte ihm ganz kurz den Vorfall mit. Er versprach ihm aber, später ausführlich die Gründe für sein Einschreiten bekanntgeben zu wollen, damit er seinem Hofe, wie es sich gebühre, »sichere und wahrhafte« Kunde über alles zu geben in der Lage sei. Und ähnliche, auf einen späteren Zeitpunkt vertröstende Mitteilungen erhielten auch die anderen Gesandten teils vom König selbst, teils von seinen Ministern.
Um die gleiche Zeit erging auch nach allen Seiten hin eine Reihe schriftlicher Erklärungen, nicht zuletzt an die befreundeten und verwandten Fürstenhöfe, worin die Tatsache der Einschließung des Infanten bekanntgegeben wird, ohne sich näher auf deren Ursache einzulassen. In vorsichtig gewählten, nichtssagenden, schleierhaften Redewendungen sucht sich der König um den eigentlichen, springenden Punkt herumzudrücken. Es wird da von »dringenden und wichtigen« Beweggründen gesprochen, die ihn, dessen Milde ja in aller Welt bekannt sei, im Interesse »des Wohles seiner Staaten und der Pflichten gegen Gott und die Kirche« zu diesem Schritt nötigten; und es fehlte auch wieder nicht der Hinweis auf die »eigentümliche Natur und Beschaffenheit« seines Sohnes, ohne daß gesagt worden wäre, worin denn diese zwingenden Gründe und die Besonderheiten seines Wesens bestünden. Meistens erscheint die große Eile, die zarte Rücksicht auf den Boten, den man nicht länger warten lassen könne, der übermächtige Vaterschmerz, der ihn verhindere, »mehr zu sagen«, oder die Sorge, durch ein tieferes Eingehen in den andern peinliche Gefühle zu erwecken, als Grund für die Dürftigkeit der Mitteilungen angegeben, aber es fehlt auch nicht die Versicherung, man werde später dem Recht, die »ganze Wahrheit« zu erfahren, in vollem Umfang Rechnung tragen.
Hatte der König wirklich gedacht, daß man sich mit diesen vagen Andeutungen und öligen Phrasen zufriedengeben werde? Oder wollte er nur, was er so gerne tat, Zeit gewinnen? Auf jeden Fall mußte er es auf sich nehmen, daß gerade die nächststehenden Personen in schon fast verletzender Weise ihrer Überzeugung Ausdruck gaben, daß die Gründe für die Tat nicht allzu gewichtiger Natur sein könnten. Die greise Katharina, eine Schwester Kaiser Karls V., die seinerzeit ihre unglückliche Mutter Johanna in Tordesillas betreut hatte, erbot sich in einem Schreiben an ihren Neffen, persönlich nach Madrid zu kommen und Don Carlos unter ihre Obhut zu nehmen. Ihr Gesandter, dem der König, in die Enge getrieben, erklärte, sein Sohn sei zur Erbfolge unfähig, stellte das Begehren, diesen zu sehen, was von Philipp aber abgeschlagen wurde. Und des Königs eigene Schwester, die Kaiserin Maria, hielt es für angezeigt, ihn zu bitten, auf die Gesundheit des Infanten, das höchste Gut, das durch seine Maßnahme sehr gefährdet sei, möglichst Rücksicht nehmen zu wollen. Dietrichstein aber wurde vom Kaiser angewiesen, ihm baldigst die »Ursache« der Verhaftung bekanntzugeben, die er »hart« erwarten könne.
Das geheimnisvolle Gehaben des Königs aber bildete den besten Nährboden für die verschiedenen Gerüchte, die sich alsbald in beängstigender Fülle an die Öffentlichkeit wagten. Natürlich erzählte man sich Einzelheiten von dem Fluchtplan des Infanten; man wollte auch wissen, daß er seinen Vater zu ermorden beabsichtigt hatte. Und schon taucht jener Erklärungsgrund auf, der mit Windeseile in der ganzen Welt sich verbreiten und mit Hartnäckigkeit sich behaupten sollte – Don Carlos sei ein Ketzer.
Unmittelbar nach der Gefangennahme hatte der florentinische Gesandte Nobili aus dem Munde einer »ansehnlichen« Persönlichkeit den Verdacht aussprechen gehört, der Infant sei kein guter Katholik. Bald redete man am Kaiserhofe in Wien auf Grund von Lyoner Zeitungen ganz ernstlich davon. Man wollte dort wissen, daß man einer Ketzergesellschaft auf die Spur gekommen sei, die eine große Anzahl lutherischer Bibeln in spanischer Sprache zu drucken vorhatte, und dies mit »heimlichem Vorwissen« des Infanten. Daraufhin habe der Inquisitor in den König »streng und heftig« gedrungen, die Verhaftung seines Sohnes vorzunehmen, und bei derselben habe man tatsächlich eine ganze Reihe verbotener Bücher gefunden. So berichtete es der kaiserliche Vizekanzler Doktor Zasius am 11. März dem sächsischen Kurfürsten.
Auch in Rom wurde die Nachricht ernst genommen. »O Gott, o Gott«, so rief nach dem Bericht des Kardinals Zaccaria Delfino Papst Pius V. ganz außer sich aus, »nur zu viel Grund ist daran zu glauben, weil dieser Prinz, wie man weiß, keine Rücksicht weder auf Priester noch auf Mönche genommen und keiner kirchlichen Würde Achtung erwiesen hat.« Dem päpstlichen Nuntius Castagna, Erzbischof von Rossano, der sich beim Großinquisitor Espinosa selbst erkundigt hatte, ob es wahr sei, daß der Prinz gegen seinen Vater etwas im Schilde geführt habe, wurde die geheimnisvolle Antwort zuteil: »Wenn nur diese Gefahr bestanden hätte, dann wäre ihr leicht zu begegnen gewesen, aber es sei Schlimmeres, wenn es etwas Schlimmeres geben könne, vorgefallen.« Schon seit zwei ganzen Jahren bemühe sich der König, den Infanten von seinem »schlechten Weg« abzubringen. Konnte es, so darf man fragen, vom Standpunkt eines Großinquisitors, etwas Schlimmeres geben, als die Abweichung von der katholischen Kirche?
In der Tat scheint hier etwas nicht ganz in Ordnung gewesen zu sein. Nicht daß Don Carlos wirklich zum Protestantismus sich bekannt hätte – denn dann konnte er doch unmöglich damit rechnen, auf den Thron der katholischen Könige zu gelangen! Aber ohne Zweifel hatte er als Katholik freiere Ansichten. Diese Annahme bekräftigen die Ermahnungen seines Freundes Doktor Hernan Suarez, die dieser im März 1568 an den Infanten richtete. Er möge doch, so sagte er da, sein Verhalten gegenüber der Kirche und seinem Vater ändern, weil er sonst seinen Feinden einen Grund an die Hand gebe, ihn für – verrückt und schwachsinnig zu halten. Und schon viele Jahre vorher hatte des Infanten ehemaliger Erzieher Bischof Honorato Juan sich bemüßigt gesehen, seinen nunmehrigen Freund ernstlich daran zu erinnern, daß man die Gebote nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich befolgen solle, weshalb er an der Messe und allen anderen gottesdienstlichen Verrichtungen mit Aufmerksamkeit und Andacht teilzunehmen habe. Namentlich aber sollte er auch die Sache des heiligen Offizes, der Inquisition, durchaus als die seinige betrachten.
Es muß auch auffallen, daß man jetzt, da der Infant hinter Schloß und Riegel saß, so viel sich mit seinem religiösen Verhalten beschäftigte. Mit Genugtuung wurde in den verschiedenen Berichten die Tatsache verzeichnet, daß Don Carlos, der sich nach der gefänglichen Einziehung geweigert hatte, die Sakramente zu nehmen, zu Ostern gebeichtet und kommuniziert habe, und nun wird er auf einmal als ganz »vernünftig« bezeichnet. Kein Priester hätte nach den Vorschriften der katholischen Kirche einem notorischen Geisteskranken die Sakramente reichen dürfen!
Doch es gab noch etwas anderes, das Don Carlos in den Augen des Großinquisitors als Ketzer erscheinen lassen mußte – wenn er Verbindungen mit den ketzerischen Rebellen in den Niederlanden unterhalten hätte. Davon wurde immer gesprochen und das Gegenteil ist bisher niemals nachgewiesen worden. Der kaiserliche Botschafter Dietrichstein hatte schon vor mehr als einem Jahre, in seinem Bericht vom 10. August 1567, der Hoffnung Ausdruck gegeben, der König werde nach Brüssel gehen und dort größere »Moderation« walten lassen, denn hier in Spanien »dürfen sie aus Furcht vor der Inquisition auf keine media nit gen, sondern muessen sich nur ad extrema halten«. Die Bestrafung der Rebellen, so bezeugt er uns in einem früheren Bericht vom 4. November 1566, wird hier als eine Sache Gottes angesehen, und deshalb drängt dazu die Geistlichkeit.
Was der Prinz so Schweres verbrochen hatte, daß ihn der Vater einkerkern ließ, das sagt auch Dietrichstein nicht. Er hörte nur von einem Prozeß, der gegen Don Carlos im Zuge sei, und beurteilte die Aussichten für seinen Ausgang nicht günstig. Sollten die Stände von Kastilien, so berichtet er am 22. Januar 1568, vom König berufen werden, um ihnen die »Mängel« seines Sohnes vorzuhalten, so sei zu besorgen, »er werde die Tag seines Vatern Lebens also beleiben« – also nur bis zu Philipps Tode. Da ihn aber, so führt der Diplomat geheimnisvoll fort, »der König anderer Verprechung oder aber Anschläg halben ime zu straffen eingetan, so mecht sein Sachen etwa noch ein boseren Ausgang gewinnen. Ich meines Teils furcht, das die khain guet Ent fur im erreichen werden.« An einen »Verstandesmangel« glaubte also Dietrichstein auch jetzt nicht. Es wäre auch schwer zu begreifen, wie man einem Verrückten gerade einen »Prozeß« machen wollte. Und das Verbrechen, das er begangen haben sollte, hielt man allgemein nicht für groß. Der französische Gesandte wollte gehört haben, daß die Papiere, die man dem Infanten weggenommen, »voll von Tausenden der wunderlichsten Phantasien« seien.
Auch am Kaiserhofe glaubte man nicht an ein schweres Vergehen des Don Carlos – aber schon gar nicht an den »Schwachsinn«. Maximilian II. mag jetzt die Erinnerung an seine eigene Jugend aufgestiegen sein, da er in schwerem Konflikt mit seinem Vater Ferdinand gestanden. Auch ihm hatte man Trotz und Unbändigkeit, Exzesse in Wein und Weib vorgehalten, auch ihn der religiösen Lauheit, schließlich der Abweichung vom katholischen Glauben geziehen und das seine »Torheit« genannt, auch ihn mit der Enterbung bedroht und unter Berufung auf seine »Indisposition« von den Reichstagen ferngehalten, und auch er hatte einmal, von der Verzweiflung getrieben, einen Fluchtversuch gemacht. Und nicht zuletzt: auch ihm wurden vom König Sympathien für die Niederländer vorgeworfen – beständig wühlte in dem spanischen Vetter der Verdacht, am Kaiserhofe unterstütze man den Aufstand, um das Land wieder für sich zu gewinnen. Aber Maximilians Vater war doch anders geartet als Philipp II.! Man kannte in Wien zudem seine unbedingte Abhängigkeit von der Inquisition, von den »Schwarzköpfen«, die den »frommen Herrn«, wie der Vizekanzler Zasius spitz bemerkte, »ducieren, wie sie wollen«. Aber eben weil man dies wußte und auch jetzt den Zusammenhang mit dem heiligen Offiz besorgte, sah der Kaiser genau so schwarz in die Zukunft wie sein Botschafter. »In summa«, schreibt er diesem am 28. Februar unter dem frischen Eindruck von der Verhaftung, über die er sich »hoch entsetzte«, »ich besorg hochlichen, es werde ain selzam Ende nehmen.«
Ein Monat um den andern verstrich, ohne daß Maximilian die vom König angekündigte »Wahrheit« über die Gründe der Verhaftung mitgeteilt erhalten hätte. Er wußte also auch nicht mehr als das, was er von Dietrichstein, dem spanischen Botschafter und den vom Madrider Hof kommenden Personen erfahren, und was er aus der Zeit seiner Statthalterschaft her, da der Prinz noch ein kleines Kind war, gesehen und vernommen hatte. Von Interesse ist es aber doch, zu hören, wie der Kaiser den Fall Don Carlos, der selbstverständlich das Tagesgespräch der Diplomaten bildete, beurteilte. Dreimal sprach er darüber mit dem venezianischen Gesandten Giovanni Micheli.
Das erste Mal – es war Ende Februar – meinte der Kaiser, daß die Religion sicherlich nichts mit der Sache zu tun habe. Die anderen Gründe könne man nur vermuten, aber der Prinz sei ohne Zweifel »sehr gefährlich«; er habe »diabolische« Gedanken und ein sehr eigentümliches Betragen, das eine Folge seiner schlechten Erziehung sei. Der König habe gewiß zu dessen Gefangennahme »seine guten Gründe« gehabt, die er noch mitteilen werde. Auffallend sei nur das eine, daß man bisher nichts von weiteren Verhaftungen hörte. Don Carlos habe die Gewohnheit gehabt, alles, was er erfuhr oder ihm einfiel, zu Papier zu bringen, und so soll er drei Tage vor seiner Einschließung die Verbrennung aller seiner Schriften angeordnet haben, doch sei ihm der König zuvorgekommen. In bezug auf das eigentümliche Wesen des Infanten meinte er: Derselbe könne eines Tages die »größten und tiefsten Ideen« haben, so daß man »ganz erstaunt und verwundert« sei; aber nach zwei Tagen erinnere er sich gar nicht mehr daran, da erscheine er als ein ganz anderer.
Das zweite Mal – es war Ende März – äußerte sich Maximilian zu Micheli: Philipp müsse doch die Überzeugung haben, daß der Prinz ihn töten wollte, sonst ließe sich eine so schwere Bestrafung absolut nicht erklären; so wenigstens erzähle man es sich in Frankreich. Don Carlos habe einige Tage vor seiner Verhaftung nach seinen Papieren gefragt, und als man ihm sagte, sie seien in den Händen des Vaters, betroffen erklärt: »Wenn dies der Fall ist, dann wird er sehr bald einiges finden, um mich zu töten, und zwar mehrmals, wenn er könnte.« Der Kaiser sprach dann von den angeblich vorgefundenen Schreiben an verschiedene Fürsten, worunter sich auch eines an ihn befunden, das des Infanten Absicht, die Erzherzogin Anna zu heiraten, kund tat. Es ist wahr, bemerkte dazu Maximilian, daß Don Carlos nach ihr die »größte Sehnsucht« habe.
Als Micheli dann auf die »große Proskription« zu sprechen kam, auf jene vorgeblich gleichfalls beschlagnahmte Liste der »Feinde«, die im Fall des Gelingens seines Planes bestraft werden sollten, erklärte der Kaiser wieder: Ja, der Prinz habe von jeher einen diabolischen Sinn gehabt, so daß man mit den zwei »Extremen« zu rechnen hatte, entweder Wahnsinn oder ein gewaltiger, kühner Geist mit den erhabensten Ideen. Hierauf zeigte er dem Gesandten ein Bild des Infanten, indem er dazu bemerkte, es bringe dessen große Lebhaftigkeit zum Ausdruck, verrate aber nichts von der angeblichen Mißgestaltung. Micheli bekam aus dem langen Gespräch, wie er ausdrücklich hervorhebt, den Eindruck, daß der Kaiser seinen Neffen »sehr liebe«.
Als Micheli ein drittes Mal – es war Ende Juni – mit Maximilian über die spanische Familientragödie sprach, schilderte dieser Don Carlos als einen exzentrisch veranlagten jungen Mann, bei dessen Erziehung schwere Fehler gemacht wurden. Als er klein war, habe man ihn so behandelt, als sei er ein »Gott«, sein Vater habe ihn wie »einen Bruder und Freund« angesehen. »So erzieht man keine Söhne,« erklärte unwillig Maximilian, »man muß sie im gegebenen Falle auch ermahnen und strafen.« Die Folge dieser übergroßen Freiheit sei gewesen, daß Philipp selber sich Don Carlos nach und nach zum Feinde machte. Als dieser nämlich erwachsen war, fing der Vater an, ihn strenge zu halten, und das führte dazu, daß er so zornig und zur Verzweiflung getrieben wurde.
Der venezianische Gesandte gab nun der Hoffnung Ausdruck, König Philipp werde seinem Sohne verzeihen. Ja, erklärte der Kaiser, das müsse aber bald geschehen, denn der Prinz nehme von Tag zu Tag ab. Sie besprachen darauf die Möglichkeit einer Reise des Königs nach den Niederlanden, die, wie Maximilian bemerkte, niemals dringender geworden sei als jetzt. Wem aber sollte in der Zwischenzeit Spanien anvertraut werden? Das beste, meint Micheli, wäre wohl, Don Carlos in eines der vielen Länder des Königreiches zu schicken; denn dann würde der Müßiggang von selbst aufhören und er könnte an der Seite einer erfahrenen, reifen Persönlichkeit für seinen zukünftigen Beruf sich vorbereiten. Beifällig bemerkte dazu Maximilian: »Warum nicht zu mir?« Der Gesandte faßte nun den Mut, mit der heiklen Frage, die ihm schon lange auf der Zunge brannte, hervorzutreten. »Vielleicht«, so fragte er vorsichtig, »wagt es der König nicht, seinen Sohn hinauszusenden wegen eines geheimen Fehlers, an dem er leiden soll?« »Ich verstehe,« fiel da der Kaiser rasch ein, »Ihr wollt sagen: Geistesgestört? Nein, verrückt ist er nicht, aber ein Phantast und Starrkopf und von einer teuflischen Gesinnung.« Verrückt sei er nicht, wiederholte der Monarch, dies gehe aus seinem ganzen Gehaben deutlich hervor und »er habe die Mittel und Wege gehabt, ihn sehr genau zu beobachten«. Und wiederum fiel dem Gesandten die warme Zuneigung des Kaisers für seinen Neffen auf, denn immer von neuem kam er auf die Angelegenheit des Infanten zurück.
Von Don Carlos selbst hörte man nichts. »Des Prinzen halber ist es gar still, als ob er tot wäre«, so meldet Dietrichstein am 7. Februar dem Kaiser. Der Infant war acht Tage nach seiner Verhaftung aus seinem provisorisch zum Gefängnis umgewandelten Schlafgemach in den sog. »Turm« des Schlosses, wo auch seinerzeit König Franz I. von Frankreich als Gefangener gewohnt haben soll, gebracht worden. Die Bewachung, genau geregelt, war eine sehr strenge. Den mit ihr betrauten Personen, die in den Nebengemächern sich aufhielten, wurde strengstens untersagt, etwas von dem, was im Gefängnis vorging, zu verlautbaren. In dem an das Turmzimmer stoßenden Wohnraum sollten Messen gelesen werden, die der Prinz durch eine mit Holzstäben vergitterte Öffnung anhören konnte. Außer Gebetbüchern und Brevieren durften dem Gefangenen keine Bücher ausgefolgt werden. Die Mahlzeiten wurden durch einen Diener ins Vorzimmer gebracht, hier von dem zum Oberaufseher bestellten ersten Minister Ruy Gomez in Empfang genommen und durch einen der diensttuenden Edelleute aufgetragen. Die Speisen mußten kleingeschnitten verabreicht werden, weil der Infant weder Messer noch Gabel oder überhaupt ein Instrument, durch das er sich hätte ein Leid zufügen können, in die Hand bekam. Was so über des Prinzen Verhalten in die Öffentlichkeit drang – und gesprochen wurde genug –, war mehr oder weniger müßiges Gerede.
Endlich, am 19. Mai, brach der König, auf das unausgesetzte Drängen des kaiserlichen Gesandten hin sein Schweigen. Seiner Schwester, der Kaiserin Maria, teilt er mit, der Infant habe zu Ostern das heilige Sakrament der Kommunion empfangen, aus welcher Tatsache man aber nicht den Schluß ziehen dürfe, daß ihm kein Mangel der Vernunft anhafte. Bekanntlich gebe es im Zustand der Geisteskranken Augenblicke, in denen sie vollkommen bei Sinnen sind. Auch sei wohl zu unterscheiden, ob es sich dabei um eine im öffentlichen Leben stehende oder um eine private Person handle; in diesem Falle könne man ein Auge zudrücken, nicht aber da, wo es auf die Regierungsfähigkeit ankomme.
Dem Kaiser aber schrieb er am selben Tage etwas orakelhaft, aber doch so, daß es die, welche den König kannten, verstehen und das Schlimmste befürchten mußten: Er habe sich im Interesse des Dienstes Gottes und des Reiches gezwungen gesehen, den zu seinen Lebzeiten wie nach seinem Tode drohenden Gefahren zu begegnen. Dem »ersten Schritt«, der Verhaftung, müßten »andere Maßregeln« folgen, wie sie in einem derartigen Falle erforderlich seien, je nachdem es nötig und angemessen erscheinen werde, zu einer Entscheidung zu gelangen. Man werde alsdann »mit reiflicher Überlegung und mit der nötigen Strenge, Förmlichkeit und guter Ordnung« jene Schritte unternehmen, die keinen Aufschub erleiden dürfen. Die Gründe zu seinem Vorgehen seien »so natürliche und festgestellte«, daß das, was man getan habe, nicht für eine bestimmte Zeit, sondern vollkommen unabänderlich sei.
Zehn Tage vorher, am 9. Mai, hatte sich Philipp zum Papst in ähnlicher Weise, nur etwas deutlicher, ausgedrückt. »Mehr als einmal«, so heißt es in diesem merkwürdigen Schreiben, »habe ich die Last, welche Gott mir auferlegte, bezüglich der Staaten und Königreiche, deren Regierung er zu führen mich begnadigt hat, zu dem Zwecke mir auferlegt betrachtet, daß ich den wahren Glauben und die Untertänigkeit gegen den Heiligen Stuhl unverletzt erhalte, den Frieden und die Gerechtigkeit walten lasse und nach den wenigen Jahren, die ich noch in dieser Welt zuzubringen habe, jene Staaten in fester Ordnung und einer die Dauer derselben gewährleistenden Sicherheit zurücklassen möge. Alles hängt in erster Linie von der Persönlichkeit meines Nachfolgers ab. Es hat aber Gott zur Strafe meiner Sünden gefallen, den Prinzen mit so vielen und so großen Fehlern teils der Einsicht, teils der Naturanlage zu behaften, die ihn zur Regierung ungeeignet machen und für die Zukunft, wenn ihm dann das Erbe zufiele, die schwersten Gefahren für den Zustand des Reiches besorgen lassen.«
Königin Anna von Spanien
Nachdem ihn nun, so läßt sich der König weiter vernehmen, eine lange gründliche Erfahrung die Fruchtlosigkeit aller seiner Heilmittel lehrte und er sah, daß von Don Carlos nur eine sehr geringe oder gar keine Besserung zu erwarten sei, andererseits auch keine Hoffnung bestehe, daß die mit Recht befürchteten Übel mit der Zeit abgewendet werden könnten, erschien ihm seine Einschließung notwendig, um in der Folge reiflich zu überlegen, was für Mittel, je nach der Lage der Dinge, an die Hand zu nehmen seien, »um mein Ziel zu erreichen, ohne mich irgendeinem Tadel auszusetzen«. Der Papst möge über das, was er ihm eben anvertraute, das größte Stillschweigen bewahren, was immer über die Ursache der Verhaftung seines Sohnes verlaute. Don Carlos habe sich keiner Rebellion noch der Ketzerei schuldig gemacht. Die Wahrheit werde seinerzeit offenkundig werden.
Was war das »Ziel«, das sich Philipp II. setzte? Es konnte nur der Tod sein. Denn es ist klar, daß bei einer bloßen Einschließung, selbst wenn in aller Form die Enterbung ausgesprochen wurde, für die »Zukunft« nicht gesorgt war. Gerade in Spanien hatte es sich vor etwa hundert Jahren ereignet, daß ein Prinz aus seiner Haft befreit wurde. Carlos von Viana war es, der sich im Jahre 1460 mit bewaffneter Hand gegen seinen Vater Johann II. von Aragon erhob, gefangengesetzt und schließlich von den Aufständischen erlöst wurde. Philipp ließ auch jetzt die Prozeßakten über Carlos von Viana aus den Archiven von Barcelona holen – ein Beweis, daß dem König dieser Fall wie ein Schreckgespenst vor Augen schwebte; auch Don Carlos konnte ja zu Lebzeiten oder nach dem Hinscheiden des Vaters seine Freiheit erlangen und den Thron besteigen.
Der Gedanke, Don Carlos von der Thronfolge auszuschließen, also sein Tod, war nach allem, was nach der Katastrophe von den Ministern, wie Ruy Gomez und Espinosa, vertraulich gesagt wurde, schon seit Jahren gefaßt worden. Der königliche Beichtvater Bischof von Cuenca sprach es, wie der venezianische Gesandte Cavalli am 11. Februar berichtet, ganz unverfroren aus, daß Philipp seinen Entschluß zur Einkerkerung des Infanten schon seit zwei oder drei Jahren gefaßt und die Heiratsverhandlungen mit dem Kaiserhofe nur deshalb nicht abgebrochen habe, weil er sonst sein »Ziel« vor der Zeit aufgedeckt hätte und daraus allerlei »Inkonvenientien« entstanden wären!«
Nach dieser Darstellung, die nach allem, was wir über die Vorgeschichte der Thronfolgerkatastrophe wissen, nur sehr plausibel erscheint, hätte sich das Schicksal des Don Carlos auch ohne den Fluchtversuch und das angebliche Attentat auf den königlichen Vater erfüllt. Übrigens hatte des Infanten Beichtvater Chaves dem kaiserlichen Gesandten, wie dieser am 21. April nach Wien berichtet, in der bestimmtesten Weise, »hoch und teuer«, versichert, daß der Prinz sich jederzeit christlich benommen und gegen den Vater niemals etwas »Tätliches« zu handeln beabsichtigt hätte. Don Carlos habe, so erklärte der Priester, unleugbar seine »Mängel«, die von seiner fehlerhaften Erziehung herrührten; er sei eines »erstarrten harten Gemüts und eigensinnig«; aber wenn er sich die jetzige »Heimsuchung« als eine gute Lehre angelegen sein lasse, sei zu hoffen, daß er einstens ein guter Fürst werde; denn wenn er auch etliche Fehler besitze, so habe er »daneben gar große Tugenden«. Nur mit Worten, nicht mit Taten habe er sich versündigt.
Kaiser Maximilian II., der von allem Anfang an in der Sache des Don Carlos sehr schwarz gesehen, war durch das Schreiben des Königs mit seinen dunklen, für ihn aber doch verständlichen Andeutungen – es wurde ihm Ende Juni vom spanischen Botschafter überreicht – auf das höchste beunruhigt. Chantonnay hatte ihm bisher immer die Vertröstung gegeben, es sei nur eine vorübergehende Maßregel. Nun wußte Maximilian, daß es zum mindesten auf eine dauernde Kerkerhaft, welcher der Prinz, noch dazu in der Gluthitze eines spanischen Sommers, nicht lange widerstehen konnte, abgesehen sei. In großer Erregung hörte man ihn oft und oft sagen: »In seinem Leben habe er zu nichts solche Lust gehabt, als jetzt dazu, augenblicklich Postpferde zu nehmen und den König aufzusuchen, um sich mit ihm persönlich zu besprechen; er würde ihm derartige Vorschläge machen, daß er keinen Grund hätte, sie abzulehnen. So zu handeln gebiete ihm die Verwandtschaft mit dem Prinzen und die Neigung, die er zu ihm hege.
Und dies war kein eitel Gerede. Maximilian selbst konnte wohl mit Rücksicht auf die dringenden Geschäfte, die ihn damals in Wien festhielten, nicht selber reisen; aber er beorderte seinen Bruder Erzherzog Karl, sich ungesäumt an den spanischen Königshof zu begeben, um die »Rekonziliation«, die Aussöhnung zwischen Vater und Sohn, herbeizuführen und zugleich auch für die Niederlande Fürbitte einzulegen.
Bevor jedoch der Erzherzog nach Madrid kam, war die von allen Eingeweihten befürchtete Katastrophe im Turmzimmer eingetreten, und schon hatte auch das niederländische »Trauerspiel« begonnen.
Die Verhaftung der beiden Grafen Egmont und Hoorne war nur die Einleitung zu dem »Albanischen Schreckensregiment«, das der neue Gouverneur in den Niederlanden aufrichtete. Das erste war, daß ein besonderer Gerichtshof, der »Rat der Unruhen«, zur Untersuchung und Bestrafung aller in der letzten Zeit verübten Vergehen gegen die Religion und die Autorität des Königs eingesetzt wurde. Alsbald begann dieser »Blutrat«, wie der Gerichtshof im Volke genannt wurde, seine grauenvolle Arbeit, und man kann nicht sagen, daß sie etwas von der fast sprichwörtlichen »spanischen Faulheit« an sich getragen hätte. Schon nach einer kurzen Tätigkeit von drei Monaten hatte das neue Gericht, das unter dem Vorsitz des schrecklichen Spaniers Juan de Vargas stand, nicht weniger als 1800 Urteile gefällt, die fast immer auf Tod und Güterkonfiskation lauteten. »Die Pfähle und Säulen der Straßen,« schreibt der zeitgenössische Historiker Pieter Corneliszoon Hooft, »die Türpfosten vor den Wohnungen, die Hecken in den Feldern hingen voll mit Skeletten von Erdrosselten, Verbrannten und Enthaupteten; in den Baumgärten auf dem Lande trugen die Bäume Menschenleiber als grauenvolle Früchte.
Tausende und aber Tausende verließen das Land oder hatten es schon vorher verlassen, wie Wilhelm von Oranien. Von Deutschland aus versuchte der Held seinen unglücklichen Landsleuten Rettung zu bringen und zugleich persönliche Rache zu nehmen; denn man hatte ihm seine Güter beschlagnahmt und seinen ältesten Sohn gefangen nach Spanien abführen lassen. Mit Aufopferung des letzten Restes seines Vermögens rüstet er eine Armee aus. Im April 1568 konnte er endlich zwei kleine Heerhaufen im Jülicher Land an die Grenzen von Limburg und Geldern, den ersten unter Graf Hoochstraaten, den zweiten unter seinem Bruder Ludwig von Nassau in Ostfriesland an die Grenzen von Gröningen in Bewegung setzen. Man hoffte, das Erscheinen der Streitkräfte werde die Niederländer zum Aufstand bringen, aber das vom Schrecken wie gelähmte Land versagte noch. Ludwig von Nassau erfocht trotzdem am 23. Mai bei Heiligerlee einen Sieg über die Spanier. Die Gefahr war groß, daß nun die Niederländer den zu ihrer Befreiung heranrückenden »Oranischen« die Hand reichten – das wollte Herzog Alba durch erhöhten Schrecken verhindern.
Am 5. Juni wurden Egmont und Hoorne, ungeachtet ihrer Eigenschaft als Vliesritter, die eine besondere Rücksicht verdient hätte, nach einem kurzen Verfahren, das ein Hohn auf jede Justiz war, auf dem Marktplatz in Brüssel, angesichts des Rathauses, des stolzen Denkmals bürgerlicher Freiheit und Unabhängigkeit, hingerichtet, die Häupter beider auf Spieße gesteckt und ausgestellt, während die Leiber noch einige Stunden auf dem Schaugerüst liegen blieben, um dann den Angehörigen übergeben zu werden. Auf dem Stich von Franz Hogenberg, der diesen blutigen Tag im Bilde verewigt hat, heißt es haßerfüllt:
»Privater Haß und alter Groll,
Davon die Spaniardt toll und voll,
Egmondt und Horn beid vom Orden
Zu Brussell schendtlich thunt ermorden.«
Der Eindruck des Blutgerichtes war ein gewaltiger; Alba mit seinem System des Schreckens triumphierte. Mit Schreiben vom 9. Juni setzte er König Philipp von der glücklich vollzogenen Hinrichtung in Kenntnis. Noch mußte er vor einem Rückschlag zittern; allein auch hier ging alles gut. Ludwig von Nassau konnte, von den Niederländern im Stiche gelassen, seinen Sieg von Heiligerlee nicht ausnutzen. Seine ungenügend bezahlten und meuternden Truppen wurden am 21. Juni bei Jemmingen geschlagen und aus Friesland hinausgedrängt.
In der Nacht zum 17. Juli hatte König Philipp, wie er dem kaiserlichen Botschafter an diesem Tage freudig mitteilte, von Alba »gute« Zeitung erhalten. Wenige Tage darauf, am 24. Juli, um ein Uhr früh, trat, wie es in dem offiziellen Bericht der spanischen Regierung heißt, der Tod des Infanten Don Carlos ein, der sich dabei wie ein Heiliger benommen hatte.
Das Fieber, welches seinen raschen Tod herbeiführen sollte, hatte er sich, derselben Quelle zufolge, durch seine »unordentliche« Lebensweise zugezogen. Es wird erzählt, wie er zwanzig bis dreißig Flaschen eisgekühlten Wassers auf den Boden schüttete und nackt sich darin herumwälzte, nachtsüber aber Schnee im Bette liegen hatte. Darauf aß er mehrere Tage hintereinander gar nichts anderes als Obst, wozu er massenhaft Wasser trank. Am 15. oder 17. Juli – die Angaben schwanken – trug man unter vielen andern Speisen eine große kalte Rebhühnerpastete auf, die aus vier Hühnern bestand. Der Prinz verzehrte sie zur Gänze und bekam, da sie sehr stark gewürzt war, einen derartigen Durst, daß er 300 Unzen Wasser, also mehr als zehn Liter, hinunterstürzte. Noch in derselben Nacht stellten sich Erbrechen und Durchfall ein. Alle sofort dagegen angewendeten Mittel blieben ohne Erfolg; der Prinz konnte keine feste Nahrung mehr behalten und soll auch die Hostie, die ihm bei der letzten Ölung gereicht wurde, erbrochen haben. Erst am 21. Juli, nachdem keine Rettung mehr vorhanden schien, wurde die gefährliche Erkrankung des Infanten am Hofe bekannt.
So hatte sich also der Prinz, wie die amtlichen und halbamtlichen Berichte besagten, durch seine eigene Schuld, durch seine »Exzesse«, die Todeskrankheit »mutwilligerweise« zugezogen. Und da schon vorher von solchem Überessen vielfach die Rede war, konnte füglich dieses Ende vollkommen glaubwürdig erscheinen. Merkwürdig war nur – und darüber zerbrachen sich schon vernünftigere Zeitgenossen den Kopf – das eine: Wie war es überhaupt möglich, daß der angeblich so sorgfältig und streng überwachte Prinz sich alle diese Unregelmäßigkeiten konnte zuschulden kommen lassen! Es war dies ein sehr berechtigter Einwand, dem man aber durch die Erklärung begegnete, daß man Don Carlos nachgeben mußte, weil er sich sonst gewissen »anderen« Dingen, die gefährlicher für sein Leben und, was noch schlimmer, für seine Seele gewesen wäre, hingegeben hätte. Damit war wohl gemeint, daß er den Beichtvater zurückgewiesen hätte. Und schließlich, so wurde weiter gesagt, würde er auch diese Lebensweise vermöge seines ausgezeichneten Gesundheitszustandes – jetzt auf einmal hatte er ihn! – ganz gut vertragen haben, hätte er nicht in der Folge überhaupt jede Nahrung verweigert.
Merkwürdig wie die Todeskrankheit ist auch das Verhalten gegen den sterbenden Sohn. Don Carlos hatte, wie Dietrichstein meldete, »ohne Unterlaß« um Vergebung seiner Sünden gebeten und sich selbst dessen angeklagt, »wie gar undankbar er Gott und seinem Vatern gewest«. Er wollte den König noch einmal sehen, dieser aber verweigerte die letzte Bitte seines Sohnes – ein Vorgehen, das der venezianische Gesandte als einen Akt »großer Härte, ja Grausamkeit« bezeichnete. Man muß übrigens am Königshofe die Berechtigung auch dieses Vorwurfes gefühlt haben, denn man hielt sich für verpflichtet, den Monarchen reinzuwaschen. Philipp wollte selbstverständlich, so wurde gesagt, dem letzten Wunsch des Infanten nachkommen, aber die Räte, beziehungsweise der Beichtvater, hätten ihn davon abgehalten, um dem Prinzen die Aufregung zu ersparen und sein Leben zu verlängern.
Nach dem Bericht des päpstlichen Nuntius hätte der königliche Vater die schwere Krankheit des Infanten für eine bloße »Verstellung« gehalten und wäre aus diesem Grunde nicht im Sterbezimmer seines Sohnes erschienen – offenbar konnte der als »Meister der Dissimulation« verschriene König sich gar nicht vorstellen, daß etwas ohne solche geschehen konnte! Der Nuntius berichtete weiter, daß Philipp auch seine Gemahlin und die Schwester Johanna abgehalten habe, dem Prinzen den letzten Liebesdienst zu erweisen, angeblich, weil er »beiden Teilen unerträglich« gewesen wäre. Aber schließlich tauchte zur Ehrenrettung des Königs die rührende Geschichte auf, wie der königliche Vater nachts, wenige Stunden vor Eintritt des Todes, um nicht gesehen zu werden, »hinter den Schultern« des Priors Antonio und des Fürsten Ruy Gomez zum Sterbelager des Sohnes sich hinschlich und unter heftigem Schluchzen segnend die Hand gegen ihn ausstreckte, um sich sodann tief erschüttert in seine Gemächer zurückzuziehen.
Merkwürdig jedenfalls war es auch, daß man von der gefährlichen Krankheit erst erfuhr, als der Tod schon zu erwarten stand. »Und ist gleichwohl ein geschwinder, unversehener Tod gewest,« bemerkte spitz der kaiserliche Gesandte Dietrichstein, »denn wir nix gewußt haben schier von seiner Krankheit, bis er nun gar am End gewest und ihm die Medici das Leben abgesagt haben.« Kein Wunder denn, daß der so »plötzlich« eingetretene Tod und die ganze Geheimniskrämerei, die dabei – wiederum hatte man die Kuriere zurückgehalten – beobachtet wurde, auch wieder die verschiedensten Gerüchte auslöste. Schon findet sich in dem Bericht des englischen Gesandten in Madrid – vom 5. August – der schwerwiegende Verdacht ausgesprochen, Don Carlos sei durch »Gift« aus dem Wege geräumt worden.
So weit ging nun der Kaiser nicht. Aber er konnte doch nicht umhin, vertraulich seine Bedenken zu äußern. Die Sache sei, so schreibt er nach dem Empfang der Todesnachricht am 1. September seinem bayerischen Schwager Albrecht, »nicht unverdächtig«; Gott verhüte, daß die Strafe ihm nicht erspart bleibe, »da es sich anders verhalte«, was er aber nicht hoffen wolle. Dem befreundeten Kurfürsten August von Sachsen schrieb er eine Woche später: Der Infant soll, wie man aus Spanien schreibt, eines natürlichen Todes gestorben sein »wie wol es nit jedermann dafür halten will«. Und bald kamen dem Monarchen von den verschiedensten Seiten Mitteilungen zu, die geeignet erschienen, ihn in seinem gleich anfangs gehegten Verdacht zu bestärken.
Des Kaisers Geheimagent in Rom, Nikolaus Cusano, brachte am 28. August das sensationelle Gerücht, der Heilige Vater habe auf die Kunde vom Tode des Infanten »Freude gezeigt« und den König, der auch seinen einzigen Sohn nicht schonte, »gelobt«. Die Spanier, so sage man öffentlich, hätten Don Carlos »zum Tode verholfen«, weil er mit den Rebellen in Flandern und in Frankreich im Einverständnis gewesen sei. Und einige Tage darauf, am 4. September, erzählte Cusano seinem kaiserlichen Herrn, Philipp sei gegen den Infanten dermaßen erbost gewesen, daß er nicht einmal den Wunsch des Sterbenden, ihn noch einmal zu sehen, erfüllte, wie er denn auch über dessen Tod keine besondere Trauer an den Tag legte. In Rom rege sich daher der Argwohn, daß des Infanten Ableben »vorbedacht« gewesen sei, ja man halte dies für sicher.
Kurz, am Kaiserhofe sprach man, wie der sächsische Gesandte am 24. September meldet, »in gemain« davon, daß Don Carlos »mit Gift getötet worden sein soll«. Ganz offen an der Tafel wurden, so berichtet am 16. September der venezianische Gesandte, Vergleiche mit Sultan Suleiman und seinem von ihm hingerichteten Sohn Mustafa gezogen. Und auch Maximilian meinte zum Vertreter der Markusrepublik, mit dem er ein längeres Gespräch hatte, man könne nach allem, was man vom Prinzen höre, sagen, er sei getötet worden. Der Monarch sprach von »Gewissensbissen«, die der König darben müsse, und der Gesandte wußte nur nicht, ob Maximilian damit sagen wollte, er habe den Tod gefördert oder ihn nicht gehindert. Seinem bayerischen Schwager Albrecht gegenüber ließ er sich noch deutlicher darüber aus. Die Leute, so schreibt er ihm am 8. November, beurteilten die Katastrophe »nach ihrem Glauben«. Er für seinen Teil wolle nicht annehmen, es sei dabei »unrecht« zugegangen, »aber in dem hatt man bai mier nit recht gethan: derwail sie den Prinzen in der custodi gehabt haben, das sie ime solliche excessus geschtat haben, derwail sie es leicht hetten weren mögen«.
Über dieses Urteil des klugen Kaisers wird man schwer hinwegkommen. Ohne es gekannt zu haben, hat eine Reihe namhafter Geschichtsforscher den gleichen Standpunkt eingenommen. Der belgische Archivar M. Gachard gelangte in seinem tiefgründigen Werk über Philipp II. und seinen Sohn zu dem Ergebnis, daß der spanische König vor der Nachwelt nicht gerechtfertigt werden könne. Es war nicht, so schloß er seine Anklagen, das Schwert, nicht Gift, nicht Knebel, was ihn tötete – »die moralischen Qualen sind auch eine Todesstrafe«. Auch der maßvolle Ranke, der so ungern verurteilt, hob in seiner meisterhaften Studie über Don Carlos die übergroße »Härte« des Vaters tadelnd hervor. Die von Max Büdinger verfochtene These vom »liebevollen« Vater und dem bösartigen, »schwachsinnigen« Sohn, die in den letzten Jahrzehnten eine geradezu kanonische Geltung erlangte, darf heute wohl als endgültig abgetan gelten. Besser nimmt sich schon die vor wenigen Jahren (1921) von Felix Rachfahl vertretene Auffassung aus, der Philipp als einen grausamen Tyrannen, dem man jede Scheußlichkeit, auch einen Mord zutrauen könne, schildert, aber ihm in seinem Verhalten gegen Don Carlos, der nicht minder brutal und grausam, maßlos exzentrisch und unreif gewesen sei, recht gibt.
Doch gibt auch Rachfahls These, die glücklich wieder auf den »minderwertigen Knaben« – als solcher hatte bekanntlich auch Friedrich der Große in seiner Jugend gegolten – hinausläuft, viel zu bedenken. Der Prinz hat sich nach unwiderleglichen übereinstimmenden Zeugnissen großer Sympathien erfreut. Die schöne, edle Stiefmutter und frühere Braut Elisabeth, die allgemein verehrt wurde, hat ihn aufrichtig geliebt und betrauert, so daß der König ihr die Tränen verbieten mußte, und ebenso die Tante Johanna. Ihn liebte der Kaiser, der ihm seine Lieblingstochter Anna als Gemahlin zugedacht hatte. Don Carlos durfte zwei der besten, hervorragendsten Männer Spaniens zu seinen Freunden zählen, den Bischof Honorato Juan, der »dem vortrefflichsten Fürsten von wahrhaft königlichem Sinn« eine griechische – heute im Eskurial befindliche – Handschrift schenkte und von ihm zum Testamentsvollstrecker gemacht wurde, ferner den gelehrten Doktor Suarez. Und nicht zuletzt stand, wie Ranke sagt, das spanische Volk trauernd vor der Bahre des unglücklichen Infanten – »in zahllosen Inschriften beklagten sie den Verlust von so viel Großmut, Wahrheitsliebe, Freigebigkeit: für sein großes Herz sei die Welt zu klein gewesen«.
Auch Rachfahl hat der von dem kaiserlichen Dietrichstein mehrmals bezeugten Tatsache, daß Don Carlos das Opfer einer systematischen Verleumdung gewesen, nicht genügend Rechnung getragen. Hat er die ihm zur Last gelegten »Exzesse« wirklich verübt und waren sie überhaupt so tragisch zu nehmen? Der kaiserliche Vizekanzler Zasius, der von einem Attentat des Infanten auf Don Juan d'Austria hörte, bemerkte sehr treffend, daß die Spanier dergleichen Händel nur für kleine Sünden – »peccadiglios« – hielten. Waren nicht viele Ohrfeigen, die er austeilte, wohlverdient? Und wie hat dann die Geschichtschreibung in dem eifrigen Bestreben, den Indizienbeweis für den pathologischen Schwachsinn des Infanten möglichst lückenlos herzustellen, die von den Zeitgenossen gemeldeten Ausschreitungen durch eine ganz willkürliche Auslegung noch vermehrt!
Hier nur ein Beispiel, weil es bei Büdinger eine so große Rolle spielt. Der Prinz hat, so hören wir, Mädchen »gezüchtigt« und dem Vater derselben, einem gewissen Damian Martin, für dieses Vergnügen Geld gegeben. Immerhin nobel, wenn auch sexuell bedenklich; aber noch nobler erweist sich der Prinz, wenn es sich herausstellt, daß Don Carlos die Mädchen gar nicht gepeitscht (pegadas), sondern unterstützt (pagadas) hat, dieser Damian Martin nur der Waisenvater war, dem er eine Geldsumme für verlassene Kinder anwies. Durch einen Lesefehler, eine Verwechslung von »a« und »e« – pegadas statt pagadas – ist ein recht häßliches Delikt entstanden, das dem berühmten Psychiater Theodor Meynert, dem medizinischen Gewährsmann Max Büdingers, zusammen mit anderen Exzessen, selbstverständlich die Indikation auf pathologischen Schwachsinn an die Hand gab.
Maria, Mutter des Don Carlos
Felix Rachfahl stimmt mit Büdinger auch darin überein, daß er in dem Konflikt zwischen Vater und Sohn keine eigentliche Kronprinzentragödie, einen Gegensatz der Grundsätze, sehen konnte. Ranke hatte einen solchen angenommen, und zwar einen religiösen, insofern als der Infant freiere Anschauungen vertrat. Rachfahl bestreitet zunächst, daß Don Carlos ein Ketzer gewesen sei – im Gegenteil, er findet ihn »überkatholisch«. Wenn er, Haß im Herzen, die Sakramente zurückwies, so war dies nur aus einer überzarten Gewissenhaftigkeit geschehen. Wohl sei es richtig, daß seine Freunde ihn ermahnten, er möge die Gebote Gottes innerlich und äußerlich sorgsam befolgen, der Messe und allen übrigen Kulthandlungen mit Achtung und Hingebung beiwohnen, die Kirche achten und die Diener der Inquisition wie seine eigenen schätzen und schützen. Doch dies beweise nur, daß er es »zeitweilig« an dem nötigen Respekt und Eifer fehlen ließ. Rachfahl vergißt nur dabei, daß eben ein solches »zeitweiliges« Versäumen der religiösen Pflichten den Infanten in Philipps Augen als einen sog. »lauen« Christen erscheinen lassen mußte und auch diese Laxheit von der Inquisition beanstandet wurde. »Seltsam« vom Standpunkt eines Philipp mußte es auch wirken, wenn Don Carlos in seinem Testament vom Jahre 1564 einem jungen Mädchen namens Mariana de Garcetas, das sich in einem Kloster in Alcalá befand, 2000 Dukaten vermachte, falls es in den Orden eintreten sollte – 4000 aber, wenn es heiraten würde. Dies war gewiß nicht die »spezifische spanische« Gedankenrichtung.
Auf jeden Fall aber waren Sympathien für die ketzerischen »Rebellen« in den Niederlanden vom Standpunkt der Inquisition ein todeswürdiges Verbrechen, wie uns dies ja Adam von Dietrichstein bezeugte. Daß nun Rachfahl für das Vorhandensein einer Verbindung des Infanten mit den ausländischen Ketzern keinen aktenmäßigen Beleg gefunden hat, ist natürlich nicht im geringsten ein Beweis, daß sie nicht tatsächlich doch bestanden – es muß nicht über alles, gar über Verhandlungen, die geheim bleiben sollen, ein Akt laufen, und schließlich können bekanntlich Akten auch verloren gehen.
Weil nun Don Carlos, so schließt Rachfahl weiter, kein Ketzer gewesen ist, so entfällt natürlich auch jeder Verdacht, er sei im Gefängnis gewaltsam aus dem Leben befördert worden. So ist er denn, wie dies auf Grund der übereinstimmenden Berichte der Gesandten Ranke angenommen hatte, eines ganz natürlichen Todes gestorben. Daß man ihm jene Diätexzesse, durch welche er sich nach der offiziellen Version zugrunde gerichtet, trotz der strengen Überwachung gestattete und so wenigstens indirekt den frühen Tod des Infanten verschuldete, sei nur natürlich. Don Carlos, ungeberdig, eßlustig wie immer, hätte sich einer »Rationalisierung« der Lebensmittel nicht ohne heftigen Widerstand gefügt. Und dann – so meint Rachfahl gemütlich –, weshalb sollte man sich besondere Mühe geben, des Prinzen physisches Leben gleichsam künstlich zu verlängern, da er doch moralisch und für die Welt tot war?
Doch so einfach liegt die Sache nicht. Die Behauptung, Don Carlos habe im Turmzimmer ein gewaltsames Ende gefunden, ist doch zu oft und in zu bestimmter Weise ausgesprochen worden, als daß man sich so glatt darüber hinwegsetzen könnte. Gewiß, die Angaben über die Todesart gehen weit auseinander: bald wurde er vergiftet oder stranguliert, bald enthauptet oder ausgeblutet. Und es waren nicht bloß politische Gegner wie Wilhelm von Oranien, der in seiner gedruckten Apologie von 1581 gegen Philipp II. die furchtbare Anklage erhob, daß er zuerst seinen Sohn und dann seine Gemahlin ermordete, um die Erzherzogin Anna, die Braut des Infanten, heiraten zu können, oder des Königs ehemaliger Sekretär Antonio Perez, der diesen beschuldigte, Don Carlos durch einen Schuldspruch der Inquisition aus der Welt geschafft zu haben. Es gab auch eine hochgestellte Persönlichkeit am Wiener Hofe, die uns das Ketzertum und die Hinrichtung des Don Carlos in der bestimmtesten Weise bezeugt – es ist der katholische Bischof Franz Forgacs, der ehemalige Kanzler Kaiser Ferdinands I.
Der Infant, so erzählt uns der »ungarische Tacitus« in seinen Annalen, wurde bei Nacht verhaftet und in Gewahrsam gebracht. »Dann«, so heißt es weiter, »wurde er getötet, indem man alles Blut aus seinen Adern zog und seinen Leichnam verbrannte, wie man einen Ketzer zu strafen pflegt. Dies bestätigt die Ursache des Todes, daß er ketzerische Bücher las und mit den französischen Protestanten und den Niederländern in Verbindung stand. Später hat die öffentliche Meinung, dann auch die des Königs Gunst suchten, schreckliche Ursachen erdichtet; daß aber der Mord aus religiösen Gründen vollzogen wurde, hat Kaiser Maximilian mit öffentlichem Patent erklärt, in welchem er jede andere Meinung verbot und jeden ächtete, der von Vatermord sprach.«
Und nun setzt Forgacs, der gerade, als sich die Katastrophe des Don Carlos ereignete, nachweisbar in Italien weilte, fort: »Wir sind in der Zeit der Gefangenschaft des Infanten in Genua dem spanischen Oberkommissär des Benediktinerordens begegnet, der aus Rom nach Spanien zurückreiste. Wir haben viel miteinander gesprochen, und er behauptete, vom Papst den Auftrag erhalten zu haben, dem König zu sagen, er dürfe Don Carlos nie frei lassen, denn, wenn er es täte, wäre es um die römische Kirche geschehen. Dieser gelehrte und hochangesehene Mönch versicherte mir eidlich, daß der Infant nie mehr frei wird, denn da er eine geheime Mission vom Papst erhielt, erfuhr er von ihm, wie der König seinem Sohne gegenüber gesinnt ist.«
Man wird schwer um diese Quelle, die von allen Don-Carlos-Forschern übersehen wurde, herumzukommen imstande sein. Kann man so leicht annehmen, daß ein katholischer Bischof und Kanzler Kaiser Ferdinands ohne gründlichste Information eine derart schwerwiegende Behauptung aufstellte? Warum sollte gerade Philipp II., der als Lügner bekannt war, die »reine Wahrheit« gesprochen haben? Und sind die Berichte der Gesandten, die einfach das vom König ausgegebene »offizielle Communiqué« weiter leiteten, aus Furcht, ihre Depeschen könnten aufgefangen werden, noch als »glaubwürdig« anzusehen?
Die Tatsache der Hinrichtung wird auch von einem namhaften französischen Diplomaten, Monsieur de Louville, bezeugt, der nach dem Aussterben der spanischen Habsburger mit dem neuen König Philipp V. den Eskurial aufsuchte. Louville berichtete nicht selbst über seine Wahrnehmungen, aber ein anderer Franzose, der bekannte Herzog Louis von Saint-Simon, der im Juli 1721 in einer hervorragenden diplomatischen Mission nach Spanien gekommen war. Der Herzog ließ sich den Sarg des Infanten öffnen und fand den Kopf abgetrennt zwischen den Beinen liegen – eine Anordnung, wie sie für das Skelett Enthaupteter kennzeichnend ist, und da entspann sich zwischen dem Besucher der Grabstätte und dem ihn begleitenden Mönch ein Wortwechsel, der auch nicht ohne Interesse ist. Gereizt durch die spitze Bemerkung des Herzogs, man wisse recht wohl, warum und wie der Prinz verschieden sei, versuchte der Mönch, den Urgrund aller das »natürliche« Ende ableugnenden Erzählungen darzutun. Nun konnte sich auch der Herzog nicht länger zurückhalten und sagte ihm offen heraus, er wisse aus bester Quelle – er meinte Louville – sehr genau, daß Don Carlos im Gefängnis von seinem Vater enthauptet wurde. Auf das hin erklärte der völlig außer Fassung gebrachte Klosterbruder mit erhobener Stimme, der Infant habe dieses Schicksal vollkommen verdient, und übrigens habe König Philipp vom Papst die Erlaubnis dazu erhalten.
Die interessante Entdeckung Louvilles wurde ein Jahrhundert später – es war im Jahre 1812 –, nach einem abermaligen Wechsel der Dynastie, durch den französischen Grafen Miot de Melito, der mit dem neuen König Joseph Buonaparte die Gruft der Habsburger besuchte, auf eigenartige Weise bestätigt. Er fand in dem Sarg, der offen war, den Kopf abgetrennt, und der Graf, der diesen in der Hand hielt, bekam den bestimmten Eindruck, daß er »abgeschnitten« worden sei, sich also nicht am Ende im Laufe der Zeit, auf natürlichem Wege, abgelöst habe. Er nahm auch deutlich wahr, daß der Schädel an der oberen Partie »angesägt« war – es bestand somit kein Zweifel, daß er es wirklich mit den Überresten des Don Carlos zu tun hatte, an welchem nach dem Sturz in Alcalá eine Schädeltrepanation vorgenommen werden mußte. Und um dieselbe Zeit erzählte dem deutschen Oberst Andreas von Schepeler ein alter Mönch im Eskurial, daß der Leichnam des Don Carlos »Beweise von Verblutung« an sich trage, und diese Darstellung würde mit der Erzählung des Bischofs Forgacs stimmen.
Sicheres weiß man also nicht. Aber das von Max Büdinger ins Treffen geführte Argument: »der König hat es gesagt, und der muß es am besten wissen«, ist völlig unhaltbar. Wie wenig man sich auf das Wort Philipps II. verlassen darf, dies beweist in schlagender Weise der tragische Ausgang des mit der Thronfolgerkatastrophe zusammenhängenden Falles Montigny, dessen Geheimnis im neunzehnten Jahrhundert restlos aufgeklärt wurde.
Der unglückliche Gesandte der Niederländer Floris de Montmorency, Herr von Montigny, war am gleichen Tage, da die Nachrichten von der Verhaftung der beiden Grafen Egmont und Hoorne am spanischen Königshof einlangten, festgenommen und zuerst nach Segovia und später, am 7. August, nach der Festung Simancas gebracht worden. Man hatte Philipp geraten, ihn durch ein langsam wirkendes Gift aus dem Wege zu räumen. Allein der König zog es vor, Montigny auf Grund eines ordentlichen Rechtsspruches hinrichten zu lassen, doch sollte die Exekution geheim bleiben. »Es ist der Wille Seiner Majestät,« so heißt es in dem Befehl an den mit der Vollziehung des Urteils betrauten Gerichtsbeamten, »daß es unter keinerlei Umständen ruchbar werde, Floris de Montmorency sei hingerichtet worden, zu welchem Behufe mit der größten Verschwiegenheit verfahren werden muß und ja nicht mehr Personen in das Geheimnis gezogen werden dürfen, als schlechterdings dazu notwendig sind, und jenen die Geheimhaltung so dringend als nur immer menschenmöglich zur Pflicht gemacht werden soll.« Sie sollte eine oder zwei Stunden nach Mitternacht erfolgen, damit der Richter vor Tagesanbruch nach Valladolid in seine Wohnung zurückgekehrt sein konnte. Der Geistliche mußte in Kenntnis gesetzt werden, daß Montigny – er war Katholik, doch von den freieren Anschauungen, wie sie etwa der Vermittlungstheologe Cassander vertrat, beseelt – in Glaubenssachen nicht ganz rein sei, damit er alles tue, um ihn von seinen Irrtümern und Ketzereien abzubringen. Für den Fall, daß Montigny den Wunsch äußerte, seinen letzten Willen aufzuzeichnen, wäre dem nur unter der Bedingung zu willfahren, daß er sich darin als einen Kranken zu erkennen gebe, der demnächst zu sterben fürchte. Das Leichenbegängnis sollte dann mit dem seinem Stand entsprechenden »mäßigen« Pomp im Simancas stattfinden und seinen Dienern die erforderliche Anzahl von Trauerkleidern verabfolgt werden.
Der Gefangene wurde, um das Geheimnis besser wahren zu können, in ein enges Verließ gebracht und in Eisen gelegt, angeblich weil ein Befreiungsversuch geplant war – zu diesem Zwecke verfaßte man ein eigenes Schreiben, das dann von einem Wacheoffizier auf dem Korridor gefunden wurde. Vor der Außenwelt aber tat man so, als wäre Montigny schwer erkrankt. Der Arzt wurde schon seit Tagen häufiger geholt, Arzneien wurden eiligst über den Hof getragen, wie als ob der Gefangene im Fieber liege, und man verbreitete die Nachricht, er werde voraussichtlich die Woche nicht überleben. In der Stille der Nacht wurde dann Montigny vom Henker erdrosselt, in eine Franziskanerkutte gehüllt, um so die Strangulierungsmarke zu verbergen, und in der Pfarrkirche beerdigt. Dem Henker wie dem bei der Exekution anwesenden Schreiber wurde der Tod angedroht, falls sie das Geheimnis verrieten.
Der Festungskommandant berichtete darauf dem König, Montigny sei nach vorausgegangener ärztlicher Konsultation und Empfang der Sterbesakramente am »Fieber« gestorben. Gott habe es gefallen, ihn zwischen drei und vier Uhr morgens – um zwei Uhr war die Hinrichtung schon vorüber – zu sich zu nehmen. Der Beichtvater aber meldete dem königlichen Kabinett, Montigny sei so christlich und gottergeben abgeschieden, daß ihn die Zurückbleibenden beneidet hätten. Der Sterbende habe des Königs Urteil vollkommen gerecht gefunden und allen von ganzem Herzen vergeben. Am 22. März 1571 verkündete man in Brüssel schriftlich, daß Montigny wegen Hochverrats zum Tode verurteilt wurde, der Herzog Alba aber seitdem in Erfahrung brachte, wie er in Simancas auf natürliche Weise, infolge einer Krankheit, gestorben sei.
Allein trotz der größten Geheimhaltung tauchte bald das Gerücht auf, es sei nicht alles auf so »natürliche« Weise zugegangen. Näheres wußte man freilich nicht, so daß die Angaben über die Todesart schwankten. Van Meteren berichtet, Montigny sei in Simancas durch einen Diener vergiftet, während Strada erzählt, er sei in Segovia enthauptet worden.
Der Fall Montigny zeigt in einer für den Geschichtsschreiber äußerst lehrreichen Weise den König auf der Höhe seiner Kunst der Verstellung. Von der »Gerechtigkeit« und der »Sanftmut« des Königs gegenüber Montigny, dem kein anderes Verschulden zur Last gelegt werden kann, als daß er sich dazu bereit fand, die Wünsche der Niederländer vorzubringen, und in religiöser Hinsicht nicht die strenge spanische Richtung vertrat, soll hier nicht weiter die Rede sein; aber die Glaubwürdigkeit des Königs, der amtlich erklären läßt, der Gesandte sei am Fieber gestorben, während er in Wirklichkeit erdrosselt wurde, erleidet einen vernichtenden Stoß. Man sieht aber auch, daß das »Gerücht«, über das Ranke und seine Schüler wie Büdinger im Vergleich zu den »authentischen« Mitteilungen der hochstehenden Personen am Hofe und der Gesandten so geringschätzig urteilten, die sorgsam verhüllte Wahrheit darstellte – sie ist freilich erst nach Jahrhunderten durch die Veröffentlichung der amtlichen Akten, die in demselben Schloß bewahrt wurden, in welchem der Unglückliche hingerichtet worden, ans Tageslicht getreten.
So lange nicht die Kronprinzentragödie am Hofe Philipps II. eine gleiche Klärung wie der Tod Montignys erfährt, wird der Historiker nur mit dem Kaiser Maximilian sagen dürfen – »verdächtig«. Für jenen liegt die Sache so: die, welche wirklich etwas wußten, hüteten sich, darüber etwas laut werden zu lassen. Die »Klugen«, so hatte der offizielle Geschichtsschreiber Cabrera gesagt, legten den Finger an den Mund und – schwiegen. Zu ihnen gehörte auch der kaiserliche Gesandte Hans von Khevenhüller, der unter dem Eindruck der Katastrophe in sein Tagebuch schrieb: Die Nachricht von des Prinzen Verhaftung sei ihm »fremd« vorgekommen, weil er das spanische Wesen »etwas« kenne und wohl erwägen könne, »es seye on sonndere Ursach nitt besehenen«. Dann sagt er weiter: »Ob gleichwol allerlay seltzame Discurs in der Gemain darüber gemacht worden, haben doch die maisten dahin gelaut, das darumben fürgenommen, er, Prinz, wider den Khönig seinen Vatter was tödliches förnemen wellen; des ich aber nitt für gewiß hin gesetzt will haben; dann die Ursach der Gefenngnussung so gar still gehalten, das wenig hoch und niders Stannds aigentlich darumb gewißt, und noch, unangesehen, das mir allerlay von vertrautten, ansehlichen Personen aus Hispania hierüber geschriben worden, haben sy doch die Ursach mehr beruehrter Gefenngnussung in Ansehung der auffruerischen Leutt durch Frannckkreich wenig Meldung thuen dörffen. Darzue ist mir lieber, es schreiben in dergleichen khiczlichen Sachen Historischreiber und anndere als ich. Gedachter Princz ist also in strenger Verwahrung bis auf das Monnat July dises Jars gehalten worden, hernach den 24., Sannt Jacobstag Abent verschieden.«
Die Geschichtsschreiber freilich – die hüteten sich, soweit sie nicht der Gewaltsphäre des spanischen Königs weit entrückt waren, erst recht, diese »kitzlichen« Sachen zu berühren. Immerhin gibt selbst Cabrera nach Philipps Tode zu erkennen, daß man auch in Spanien das Vorgehen des Königs gegen seinen Sohn nicht durchweg billigte, daß man da von der »Eifersucht« auf den ihn geistig überragenden Sohn redete. Ob der König auch sonst zur Eifersucht, wie vielfach behauptet wurde, Grund hatte, diese Frage läßt sich aktenmäßig nicht mit voller Sicherheit feststellen, wenn auch vieles dafür spricht. Das von Ranke angeführte Gegenargument, daß das Verhältnis des Königs zu seiner Gemahlin ein gutes war, stimmt aber nicht mit den uns durch Kaiser Maximilian und Dietrichstein bezeugten Tatsachen überein. So meldete der kaiserliche Gesandte gleich nach seiner Ankunft in Spanien, am 29. Juni 1564, daß viele meinten, die Anwesenheit der beiden Erzherzöge werde Philipp »erst zu ainen gutten Eman« machen, wie sich denn tatsächlich der König seiner Gemahlin gegenüber »etzwas freuntlicher« erzeige als zuvor. Vier Jahre darauf, am 28. Februar 1568, schreibt der Kaiser Dietrichstein auf die Nachricht, daß die Königin einem freudigen Ereignis entgegensehe: »Er freue sich, darin ein Anzeichen zu sehen, daß der König ein besserer Ehemann sei denn zuvor.« Man weiß auch, daß Philipp offen Beziehungen zur Frau seines ersten Ministers Ruy Gomez, der Fürstin von Eboli, unterhielt. Andrerseits ist bekannt, daß Elisabeth mit ihrem früheren Bräutigam, wie dies selbst Rachfahl anerkennen mußte, in einem »überaus herzlichen« Verhältnis stand. So steht denn die Auffassung des Dichters zweifellos der historischen Wahrheit näher, als das Bild, das die spätere Geschichtsschreibung seit Maurenbrecher und Büdinger entworfen hat.
Aber wie immer der unglückliche Infant im Turmzimmer geendet haben mag, so wird der französische Gesandte das Richtige getroffen haben, wenn er auf die Kunde von seinem Ableben die Bemerkung fallen ließ: Der Tod habe den König aus verschiedenen Verlegenheiten und Sorgen befreit. Die Opposition im eigenen Hause war zum Schweigen gebracht und auch gegen die Häupter der niederländischen Rebellen der erste entscheidende Schlag vollführt – so glaubte er mit größerer Beruhigung der weiteren Entwicklung in dem aufständischen Lande entgegensehen zu können.
Die Nachricht von der Hinrichtung der Grafen Egmont und Hoorne rief im ganzen Reiche lebhafteste Entrüstung wach. Am Kaiserhofe schäumte man auf. »Ich bin ob dieser grausamen Handlung«, so schreibt der Vizekanzler Doktor Zasius am 22. Juni 1568 dem Kurfürsten August erregt, »dermaßen entsetzt und bewögt, das ich gleich nicht mehrers davon schreiben kann; sollte aber dieses adenlich teutsche Pluet ungerochen bleiben und Alva mit seinem pluetdürstigen Unzifer widerumb lebendig in Hispanien kommen, daz were je sünd und schad, ja Gott im Himmel leid.«
Auch den Kaiser drängte es, dem Kurfürsten gegenüber sein Herz zu erleichtern. »Im Niederland«, schreibt er am 30. Juni eigenhändig, »geet es erbermblich zue, wie Euer Lieb anzweifl werden vernomen hawen, und ist mier umb die zwei gueten Grafen hertzlich laid, awer unangesehen aller Fürbit, ja auch Vertröstung hawen sie ier seltzams Gemiet khielen miessen; dan da hilft weder Fürbit, Anhaltn noch Warnung. Gott was, das ich das mainig gethon haw, sieh awer, das bai der hochtrechtigen Nacion wenig Ansehens hatt, ja das sies mich auch zum Tail verdenkhen; in suma sie vermainen, sie wissen es alles und das sie alles mit ieren Gewalt, den sie vermainen zu hawen, hindurch trukhen wellen, verschmahen iedermann, und ist inen niemantz guett; treffen sie es mit der glaichen Sachen und Anschlegen wol, werden sie es auch wol befinden. Ich maines Tails wolt es lieber besser sehen, awer von ierentwegen wil ich den Unlust auf mich nit laden, sie machen es glaich wie sie wellen, insunderhait derwail ich sieh, das sie niemants als ieren Uebermuet schtat gewen. Es war wol mer zu schraiwen, sed satis dictum.«
Zwei Tage vorher hatte Maximilian in einem Gespräch mit dem venezianischen Gesandten seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß dieses »überstürzte« Brüsseler Blutgericht den »unauslöschlichen, ewigen Haß zwischen der deutschen und der spanischen Nation besiegeln« werde.
Kaiser Maximilian, der tatsächlich wiederholt für die beiden Grafen um Gnade gebeten hatte, fühlte sich persönlich getroffen. Er sah zudem seine ganze niederländische Politik vor den deutschen Reichsfürsten bloßgestellt. Immer hatten sie ihm, zumal die protestantischen Kurfürsten, seine spanienfreundliche Haltung verübelt. Auf dem Kurfürstentag von Fulda, der am 14. Januar 1568 eröffnet worden war, hatte das Mißtrauen gegen den Kaiser in nicht mißzuverstehender, geradezu verletzender Weise Ausdruck gefunden. Maximilian verlangte dort durch seine Gesandten, es sollte darüber beratschlagt werden, »was zur Abhelfung des benachbarten Unrats und Weiterung und Trübung des eigenen Friedens angeordnet werden möchte; denn der Ernst der Lage verlange umfassendere Maßregeln, zumal viele Truppen schon aus Deutschland nach Frankreich gezogen wären«. Die kaiserliche Proposition zielte in erster Linie gegen den Pfälzer Kurfürsten, dessen Sohn Johann Kasimir den Hugenotten zu Hilfe gezogen war. Aber die Tagung endete völlig ergebnislos, weil die protestantischen Kurfürsten, denen sich auch der Mainzer Erzbischof anschloß, einen Angriff auf ihre »Libertät« besorgten und den Wiener Hof im Verdacht hatten, die in Fulda beschlossenen Maßnahmen würden lediglich dazu dienen, den bedrängten Königen von Spanien und von Frankreich Hilfe zukommen zu lassen. Namentlich von pfälzischer Seite war unter dem Eindruck der Verhaftung der beiden Grafen der Verdacht ausgesprochen worden, man wolle die christliche Religion »mit Feuer und Schwert« vertilgen.
Als nun im Reiche die Schreckenstat des Herzogs Alba bekannt wurde und spanisches Kriegsvolk in der Verfolgung der Oranier deutschen Boden betrat, setzten sich die rheinischen Fürsten auf Betreiben des Pfälzers zusammen, um gegen das Vorgehen Albas zu protestieren. Auf dem am 25. Juli eröffneten Tag von Bacherach wurde beschlossen, es solle das Oberhaupt des Reiches durch Gesandte aufgefordert werden, dem blutdürstigen Tyrannen das Handwerk zu legen und Ordnung zu machen. Man sprach wieder wie in Fulda die Erwartung aus, daß die Reichsgesetze des Religions- und Landfriedens auch in den Niederlanden beachtet würden, des ersteren mit seinem Verbot der grausamen Bestrafung der Protestanten, des letzteren mit seinen Bestimmungen gegen die Verletzung friedlicher Nachbarstände.
Die Kurfürsten von Sachsen und von Brandenburg wurden zur Teilnahme an der Gesandtschaft aufgefordert, ebenso andere Stände wie der Landgraf von Hessen und der Herzog von Württemberg. Die Erregung steigerte sich, als Herzog Alba immer weiter in Deutschland vordrang und bereits die Stadt Trier, den »Schlüssel des Rhein- und Moselstromes«, wie man klagte, ernstlich bedrohte. Selbst Albrecht von Bayern sah sich veranlaßt, seinen kaiserlichen Schwager zu ermahnen, er möge Alba zur Ruhe weisen, weil sonst ein allgemeiner »Lärm« im Reich entstehen würde. Gegen Maximilian werden, wie der Vizekanzler Zasius am 7. August dem bayerischen Herzog meldet, Vorwürfe erhoben, daß er sein kaiserliches Amt nicht genügend erfülle: »Und seien etzlichen hohen Orten auch solliche Reden mitgelauffen, in höchstem Ghaim zu schreiben, wan man nicht anders die gmainen Obliegen des Vatterlants beherzigen … wolte, so wurde man etwa bald noch um ain Haubt (ain Rom. regem) trachten muessen, da man izt und künftig der spanischen Verwandtschaft halben one Sorg.« Herzog Albrecht, der ebenfalls von solchen Anwürfen gegen den Kaiser wegen seines geheimen Einverständnisses mit Spanien hörte, fühlt sich bemüßigt, seinen Schwager zu trösten. Das sei nun einmal, so schreibt er ihm am 4. August, der Dank der Welt; alle Gutherzigen aber wüßten, daß ihm damit unrecht geschehe.
Schon aber hatte Kaiser Maximilian, wie schon erwähnt, aus eigenem Antrieb den Beschluß gefaßt, seinen Bruder Karl nach Spanien zu senden, um den König zu einer Versöhnung mit Don Carlos und den Niederländern zu bewegen. »Es ist der äußerste und letzte Versuch«, so schreibt Doktor Zasius am 1. August dem Kurfürsten August, ein Versuch, der dem Monarchen über 4000 Kronen kosten werde, die für die ungarischen Grenzen besser verwendet werden könnten. Und der Vizekanzler versprach sich von ihm nur wenig Erfolg; denn die Spanier hätten »den Kopf gestrecket« und am Königshofe habe die »Albanische« Partei, zu welcher auch Ruy Gomez gehöre, vollkommen die Oberhand gewonnen. Der florentinische Gesandte in Wien hörte noch, wie er am 5. August meldet, der Kaiser wolle vom König die Abberufung Albas verlangen, weil sonst die Niederlande ganz zugrunde gerichtet würden, und an seine Stelle sollte ein Erzherzog treten.
Anfang August kam die Nachricht von dem Sieg Herzog Albas über die Truppen des Grafen Ludwig von Nassau, der diesen aus Friesland warf, an den Kaiserhof, wo man darüber recht wenig erfreut war. Daß die spanischen »Teufelsköpfe ein solch teutsch Blutbad anrichten und mit solchen tyrannischen Durst ihre Händ in dem teutschen Blut so grimmiglich waschen«, erfüllte den Vizekanzler Zasius mit »Kummer und Betrübnis«. Auch der Kaiser sei, so berichtet er am 10. August dem sächsischen Kurfürsten, »sehr kleinlaut« geworden und besorge, die Spanier würden ihren Erfolg mißbrauchen. Der Kurier, der diese Zeitung brachte, erhielt auch nicht das übliche Geschenk; erst als er darum bat, wurde ihm eine Kleinigkeit – zehn Kronen – gegeben. Lazarus von Schwendi sprach das zornige Wort: »Wo noch Heldenherzen in Teutschland übrig wären, so würden sie nicht aufhören zu trachten, wie solch teutsches Blut gerochen und dieses Schandmahl von ihrer Nation wiederum abgewaschen würde.« Und der spanische Botschafter Chantonnay erkannte diese spanienfeindliche Stimmung recht wohl. Seinen Glückwünschen an den König setzt er die Bemerkung bei: Das Kaiserpaar habe sich über Spaniens Sieg sehr gefreut, nicht so der ganze Hof, wo man über diese Neuigkeit »bestürzt« sei.
Allein auch der Kaiser war im Innersten recht wenig erbaut. Am nämlichen Tag, da Chantonnay seine Meldung dem König erstattete, am 12. August, klagt er dem bayerischen Schwager, er besorge, das niederländische Wesen werde ein »selzames Ansehen« gewinnen. Der Herzog Alba sei ein Kopf, »der niemants folgt und jedermann verschmacht, dan er auch mit mier gar geringe et quasi nullam correspondentiam halten tut, alan wan er main bedarf; macht mich auch schier unlustig, doch wil ich thuen, was ich schuldig bin, alan das er sich in suis limitibus enthelt und seines Herrn Land vertedig, doch das er nit weiter graif und sich nit Sachen unterschtee, que ad ipsum non pertinent, dan ime die Kunst falen mecht in disem Fal, unangesehen der Victori so er gehabt hat«.
Maximilian trug Chantonnay auf, Herzog Alba zu schreiben, er möge sich in Trier jeder Gewalt enthalten, auf welche Vorstellung der Botschafter nur die Antwort hatte, der Kaiser möge die Beleidigung bedenken, die der Erzbischof dem König und dessen Autorität angetan habe. Überhaupt trat der spanische Gesandte geradezu herausfordernd auf. Dem Feldobersten Schwendi drückte er wie zum Hohn seine Verwunderung darüber aus, daß man sich »vor der kleinen Schaar Spanier, die in Flandern stehe, so fürchte«. Es wäre gut, wenn die Fürsten sich um ihre eigenen Sachen kümmerten und Philipps Beispiel befolgten, der sich auch nicht in ihre Angelegenheiten mische. Eine derartige Bevormundung werde sich kein Fürst der Welt gefallen lassen, also auch sein König nicht, ebensowenig wie dieser sich von seinen Untertanen etwas werde vorschreiben lassen. Philipp werde in allen Dingen mit dem Kaiser zusammenstehen, ausgenommen die zwei: Untergang der Religion und Vernichtung des Gehorsams. Maximilian werde schon sehen, wohin er komme, wenn er es nicht ebenso wie der König halte.
Auch Herzog Alba erhob in einem überaus anmaßenden, unverschämten Schreiben vom 20. August seine Stimme, weniger um sein Vorgehen zu rechtfertigen, als vielmehr den Kaiser an dessen Pflicht zu erinnern, die Sache des Königs in jeder Hinsicht zu unterstützen. Wohl habe sich dieser den deutschen Fürsten gegenüber bereit erklärt, in der Justizsache sich »aller Miltigkeit« bedienen zu wollen, doch damit könne nie und nimmer gemeint sein, daß man die Anstifter der Bewegung ungestraft lassen solle. Die vertröstete »Senfftmuetigkeit« beziehe sich lediglich auf den »gemeinen unwissenden Pöbel, so von den vornehmsten Verursachern entstandener Aufruhr böslich verleitet worden«. Es handle sich da, wenn man der Sache auch einen »andern Schein« zu geben bemüht sei, um eine »offenbar zu Recht erwiesene Rebellion«, und es obliege dem Kaiser als dem »höchsten Haupt der heilsamen Justizien« von Amts wegen, »solche erschreckliche Laster zu strafen und also die hohe notwendige Justizien mithandeln zu helfen«, die seinerzeit von ihm selber gegen die Rebellen erlassenen Mandate mit Ernst zu exequieren, worüber sich kein Friedliebender aufzuhalten befugt sei. Der König sei kraft des Erbeinigungsvertrages von 1548 der Reichsjurisdiktion nicht unterworfen und daher stehe ihm als Landesherrn in den Niederlanden, ungeachtet daß einige diesen inkorporierte Fürstentümer Reichslehen seien, die Handhabung der »gebührlichen Justizien und Straff über die muetwilligen Rebellen« als des Königs Vasallen »unwidersprechlich« zu.
Im Monat September trafen die Gesandten sämtlicher Kurfürsten und einiger protestantischer Reichsstände in Wien ein. In der Audienz, die sie am 22. hatten, überreichten sie dem Kaiser eine Petition, worin in kräftigen Worten gegen Alba, der mit seinem spanischen Kriegsvolk in den Niederlanden wüte und »ganz unerhörter Weise christliches Blut vergieße«, auch das Reich selber bedrohe, heftige Beschwerde erhoben wird. Maximilian, als »das Oberhaupt der Christenheit« möge sich dieses »hochwichtigen« Werkes annehmen, das die Ehre Gottes und des heiligen Reiches deutscher Nation Gedeihen und Wohlfahrt berühre, und sich die Leiden der armen Untertanen in den Niederlanden, »welches Land gleichwol dem Römischen Reich inkorporiert und je und allezeit ein Mitglied desselben gewesen und noch ist«, zu Gemüte führen. Entgegen dem Religionsfrieden, der auch auf die Niederlande Bezug habe, werde dort gegen hoch und nieder »ganz geschwinde« prozediert, an etlichen Orten unter anderen schweren Bedingungen die Annahme der Trienter Konzilsbeschlüsse verlangt und der deutschen Freiheit zuwider das Reich mit fremder Heeresmacht überzogen. Unter solchen Umständen müsse höchlich besorgt werden, daß Deutschland infolge der Unterbindung des Kommerzes sich außerstande sehe, die Türkensteuer und andere Reichshilfen zu entrichten. Es wären daher ungesäumt Maßregeln zu treffen, wie man sich gegen den Angriff Albas gefaßt machen und jenes deutsche Kriegsvolk, das sich zum spanischen Haufen geschlagen, wieder abgefordert werden könnte.
Die Gesandten von Sachsen und Brandenburg forderten in einem separaten, sehr geharnischten Vortrag die Entfernung der spanischen Truppen aus der Nachbarschaft des Reiches, für das sie gefährlicher seien als Türken und Moskowiter. Die Ereignisse in Frankreich, Spanien und in den Niederlanden haben sie, so wird wieder gesagt, überzeugt, daß es das »päpstliche Bündnis« auf eine Ausrottung der evangelischen Lehre abgesehen habe. Zum Schlusse drohten sie, mit Gut und Blut für ihr Verlangen einstehen zu wollen.
Kaiser Maximilian, derart von den beiden feindlichen Lagern unter Kreuzfeuer genommen, hatte keinen leichten Stand. Es war ihm sicherlich ehrlich darum zu tun, den Brand, der sich da an der Grenze des Reiches erhoben, zu löschen. Wenn der Monarch den aufgeregten Botschafter des Königs mit der Äußerung abspeiste, es sei ihm bei der Absendung des Erzherzogs um eine »leere Demonstration« zu tun, und er wolle nur »den Leuten das Maul stopfen«, so war Chantonnay der letzte, der das glaubte. Er sprach in seiner Depesche vom 21. September den schweren Verdacht aus, daß man am Wiener Hofe den Übergang der Niederlande an den deutschen Zweig des Hauses wünsche. Seine Berichte sind voll von Klagen über die antispanische Gesinnung der Räte und die Schwäche des Kaisers, der sich völlig von ihnen leiten lasse. Und die gleichen bösen Absichten mutete diesem Herzog Alba zu.
Das Ergebnis der Verhandlungen mit den reichsständischen Gesandten war, daß der Kaiser, wie er ihnen am 1. Oktober mitteilte, »die fernere, ernstliche und gar stattliche Traktation und Handlung« durch Entsendung Erzherzog Karls und die »Suspensio der Waffen« durch Abordnung von Kommissären zu Alba und Wilhelm von Oranien »unsäumlich« in die Hand zu nehmen versprach. Die dem Erzherzog mitgegebene Instruktion – sie trägt das Datum vom 21. Oktober – ließ an Schärfe nichts zu wünschen übrig: sie war durchaus danach angetan, auch die ärgsten Feinde der spanischen Politik zu befriedigen. Durch die darin ausgesprochene Androhung eines Reichskrieges kam sie einem Ultimatum gleich.
Von König Philipp II. wie von Herzog Alba setzte sofort ein scharfer Druck auf den Kaiser ein, um ihn dahin zu bringen, die dem Ansehen der königlichen Sache so verkleinerliche Aktion zu unterlassen. Alba erklärte ihm am 19. Oktober schroff, daß er mit »Rebellen« des Königs keinen Waffenstillstand eingehen dürfe. In Madrid bedauerte man, wie es in dem Gutachten des Don Juan Manrique de Lara vom 14. November heißt, daß eine derart hohe Person wie der Erzherzog zu so schlechtem Geschäfte herkomme. Eigenhändig machte der König in einem Schreiben an Feria vom 17. November seine höhnenden Bemerkungen über die »gute« Mission Karls, auf die er die »verdiente« Antwort geben werde. Einige Tage darauf, am 22. November, wies er Chantonnay an, dem Kaiser sein »Erstaunen« darüber zu vermelden, daß er für Oranien interveniere. Ein Fürst »von seiner Qualität« dürfe sich nicht vorschreiben lassen, was er zu tun habe. Drohend meinte der königliche Botschafter, man könne, um die Parteinahme für die rebellischen Niederländer hintanzuhalten, jeden Augenblick den Ausbruch einer deutschen Adelsrevolution gegen den Kurfürsten von Sachsen und andere Reichsstände veranlassen; nur dem Kaiser zu Liebe habe man bisher dieses Mittel nicht angewendet.
Der Kaiser konnte sich diesem Ansturm gegenüber darauf berufen, daß auch sein Vater Ferdinand im Jahre 1552 zwischen Kaiser Karl V. und den Aufständischen vermittelt habe. Seinen Gesandten Dietrichstein wies er am 28. Oktober an, Erzherzog Karl nach Kräften zu unterstützen und den verschiedenen »Passionen« der königlichen Minister entgegenzutreten. Die von ihm beschlossene »hochnottwendigiste« Legation sei »zum Besten« des Königs gemeint. Noch einmal möge er Philipp klar machen, daß es nicht angehe, für Spanien die Vorteile des Landfriedens in Anspruch zu nehmen, ohne sich an die übrigen Bestimmungen des Reiches halten zu wollen.
Erzherzog Karl war am 8. Oktober in Wien eingetroffen, um sich die für seine Reise erforderlichen Weisungen zu holen. Er erhielt auch den Auftrag, die drei Eheverbindungen der Erzherzogin Anna mit dem französischen König, der Erzherzogin Elisabeth mit dem König von Portugal und der Prinzessin Margarete mit Erzherzog Rudolf anzuregen. Aber bevor er an den spanischen Königshof kommen sollte, hatte sich dort ein wichtiges Ereignis vollzogen, das die ganze Sachlage erheblich zu ändern geeignet war.
Kaum drei Monate nach dem Tode des unglücklichen Infanten, am 3. Oktober 1568, sank auch seine Stiefmutter Elisabeth, die »Friedenskönigin«, in die Gruft. Sie starb im Wochenbette, wie es hieß, an den Folgen einer »Mißgeburt«. Der kaiserliche Gesandte Hans von Khevenhüller vertraut als die Ursache seinem Tagebuch an: Schmerz über die Gefangennahme und den Tod des Don Carlos und »andere Akzidente«. Sofort wollte man, namentlich am französischen Königshofe, wissen, sie sei »vergiftet« worden; aber auch in Wien fielen merkwürdige Andeutungen. Ihr Tod, schreibt der kaiserliche Vizekanzler Zasius am 8. November Herzog Albrecht von Bayern, »vix caret suspitione« – entbehrt nicht des Verdachtes. Der König hatte aus seiner Enttäuschung darüber, daß sie ihm keinen Sohn schenkte, nie ein Hehl gemacht.
Nun konnte Philipp II. wieder als Freier auftreten, und er tat es sofort. Schon am Tage darauf meldete der königliche Sekretär Pfintzing dem Herzog Albrecht von Bayern: »Man versihet sich, es solle Ir Mt in weilend ires Suns des Printzen hochlöblichster Gedechtnus Luebe tretten und sich mit der kaiserlichen Mt eltesten Fraulein vermeheln.« Der König hatte indes, so unglaublich es klingt, schon vor dem Ableben seiner Gemahlin in Wien vertraulich anklopfen lassen. Kaiser Maximilian schreibt am 12. Oktober, zu einer Zeit also, da er noch unmöglich von dem Ereignis etwas wissen konnte, weil ein Brief von Madrid nach Wien ungefähr drei Wochen unterwegs war, an Dietrichstein, daß ihm Chantonnay heute mitgeteilt habe, er möge sich mit der Heirat seiner Tochter nicht so beeilen, da die Königin »so schwach sei und sterben soll, daß er nit wisse, do anderst der Kunig heiraten sollte, wo er hinheiraten möchte als zu mainer ältesten Tochter«. Der Kaiser konnte nicht umhin, das Benehmen des Botschafters und des anderen in Wien weilenden Gesandten Vanegas, die derzeit nichts anderes zu tun hätten, als ihm »der Königin Schwachheit einzubilden«, höchst sonderbar, »gar fremd«, zu finden, und als solches muß es auch in der Tat bezeichnet werden.
Der werbende Teil war also der König, und nicht der Kaiser – welche Tatsache festzustellen insoferne nicht unangebracht erscheint, als diesem die »fast unanständige Eile«, mit der er sofort nach dem Tode der Königin die Hand der Erzherzogin »anbieten« ließ, von Moriz Ritter verübelt wurde.
Schon am 11. November, fünf Tage nach dem Einlangen der Todesnachricht, wußte bereits der Gesandte des Herzogs Alfonso von Ferrara am Kaiserhofe von der bevorstehenden Heirat des Königs mit Anna zu berichten, und zwei Tage später meldete Chantonnay, daß man hier davon rede und der französische Gesandte ganz perplex sei. Nun griff auch der Kaiser die Angelegenheit vorsichtig auf. »Da sich denn leider«, so schreibt er am 11. November an Dietrichstein, »der Fall – der Tod Elisabeths – zugetragen und ich befinde, das etzliche auf meine älteste Tochter deuten, so will mier aber nit geburen, deshalben anzuhalten.« Etwas anderes wäre es, wenn er selbst beim König wäre. Aber durch die Prinzessin Johanna ließe sich die Sache auf die Bahn bringen.
Und die Heirat kam auch sehr rasch ins Rollen, weil in diesem Punkt, da es sich um eine alte, festgefahrene Familientradition handelte, die beiden sonst so wenig miteinander harmonierenden Vetter völlig übereinstimmten. Erzherzog Karl, der am 10. Dezember bei Philipp II. eingetroffen war, erhielt neue Instruktionen nachgeschickt. Am 13. Februar 1569 konnte er dem König definitiv mitteilen, daß sein kaiserlicher Bruder nichts mehr wünsche, als diesem seine Tochter Anna zur Frau zu geben. Philipp möge sich ihm oder dem Kaiser gegenüber erklären, ob er die Prinzessin wünsche oder nicht. Er für seine Person würde sich glücklich schätzen, wenn die Verhandlungen zu einem guten Ende kämen.
Vierzehn Tage später, am 27. Februar, eröffnete der König dem Erzherzog, daß er im Punkte der angeregten Heirat mit dem Kaiser und der Kaiserin einer Meinung sei, man aber jetzt auch den König von Frankreich befriedigen müsse, indem er die Zweitälteste Elisabeth bekomme, während der König von Portugal mit der Prinzessin Margarete zu vermählen sei. Die vom König vorgeschlagene Ehe Rudolfs mit einer Infantin wurde noch in Schwebe gelassen. Die Sache war also perfekt, und der König verstand es tatsächlich, sich den Anschein zu geben, als brächte er mit seinem Entschluß, Anna zu heiraten, dem Kaiserhofe ein Opfer. Der Kaiser selber äußerte sich jetzt ganz in diesem Sinne. Obwohl der König nun alt – er zählte zweiundvierzig Jahre! – sei, so schreibt er am 4. April Herzog Albrecht, »jedoch dieweil er befind, das wir beide diese Heirat gern sähen«, habe er sich dahin entschlossen, »meine älteste Tochter zu nehmen und sich ganz und gar mit mir zu verbinden, wie wol ers one das sei«.
Karl IX. von Frankreich
Erzherzog Karl konnte nun, am 4. März, nachdem er noch vom König ein Darlehen von 400 000 Dukaten verlangt und 100 000 bekommen hatte, seinen Abschied nehmen, froh, wenigstens einen Erfolg, die Heirat mit Anna, erzielt zu haben. Denn sonst hatte er ohnehin keinen aufzuweisen. In der Angelegenheit der Niederlande, die ja, nachdem Don Carlos bereits tot war, den Hauptgrund seiner Mission bildete, kam alles so, wie es auf die erste Kunde von ihr in Madrid wohlweislich vorbedacht war.
Als Karls Rat Cobenzl am 13. Dezember, am dritten Tage nach der Ankunft in Madrid, seine Werbung bei Philipp II. vorgebracht hatte, erklärte dieser gleich, schonend vorbereitend, daß sich der Erzherzog »weill die Sachen wichtig und guetten zeitigen Rats woll bedarff«, einige Zeit »one Verdruß« gedulden wolle. Und der König ließ sich denn auch reichlich Zeit. »Wir tun nichts dann essen, schlaffen, spilln und umreiten,« so meldet am 16. Januar 1569 Cobenzl dem Erzherzog Ferdinand, »wie wir dann sonst nichts anders zu thuen haben«. Und er scheint sich auch in bezug auf die schließlichen Früchte des langen Wartens keinen Illusionen hingegeben zu haben. »In summa,« meint er resigniert, »ir vill wollen davon sagen, daß der König von seinem Vorhaben nicht zu bringen, da er schon umb die Niderland und alles Zeitliche komen sollte.«
Endlich nach fünf Wochen, am 20. Januar, kam die reiflich erwogene Antwort, die »Respuesta«, – sie enthielt eine vollständige Ablehnung aller Punkte der Werbung, wie man sie vollständiger sich gar nicht vorstellen kann. Der Kaiser hatte seinem Vetter in der bestmeinenden Absicht, im Interesse des Gedeihens und der Erhaltung der Niederlande, eine schonende Behandlung der Andersgläubigen im Sinne des Augsburger Religionsfriedens empfohlen – nun bekam er in einer langatmigen, mit scharfen Ausfällen gewürzten Erklärung zu hören: Es sei in erster Linie unbedingt nötig, den alten wahren Glauben zu erhalten, und jede »Dissimulation«, jedwede Rücksichtnahme auf staatlich-weltliche Interessen, ein todeswürdiges Verbrechen gegen Gott und seine Kirche. Niemals werde in einem Staat Eintracht und Frieden herrschen, wenn eine Differenz in der Religion bestehe. Gerade der von Maximilian vorgeschlagene »andere« Weg der Konzessionen müsse unbedingt zum gänzlichen Ruin der Niederlande führen.
Maximilian hatte auf die gegen die Gerechtsame und Gewohnheiten der Niederländer schwer verstoßende »Veränderung« des Regiments, die Ersetzung der einheimischen Regierung durch die spanische Gewaltherrschaft Albas, hingewiesen – Philipp setzte ihm des langen und breiten auseinander, daß das »keine Neuerung sei, worüber man sich beschweren könnte«, eher müßte man ihm »dankbar« sein. Die bisherige Generalstatthalterin Margareta von Parma habe mit Rücksicht auf ihre Gesundheit um ihre Abberufung – sie war schwer verstimmt geschieden – gebeten, und »alle Gutgesinnten« seien von diesem Wechsel »befriedigt«.
Der Kaiser hatte als einen Hauptbeschwerdepunkt der Niederländer die Verwendung von spanischen Truppen, die auch bereits deutsches Reichsgebiet betreten, angeführt und auf die schwere Verstimmung, die hierüber in Deutschland herrsche, hingewiesen – nun wurde ihm in der denkbar schroffsten Form bedeutet, daß niemand befugt sei, dem König vorzuschreiben, welcher Art das Kriegsvolk zu sein habe, dessen er sich zur Sicherung des Landes und zur Züchtigung der Rebellen bediene. Und endlich hatte Maximilian einen Waffenstillstand mit Wilhelm von Oranien vorgeschlagen – dieses Ansinnen wurde als eine förmliche Beleidigung brüsk zurückgewiesen. Ohne Verletzung der königlichen Autorität dürfe man einem Rebellen nicht mit Milde entgegenkommen, wie dies der Kaiser selber – »einsehen« werde. Maximilian – das bildete den verletzenden Grundton, auf den die langen Ausführungen gestimmt waren – habe sich nicht in des Königs Angelegenheiten einzumischen.
Gleichzeitig mit dieser »Respuesta« erhielt Erzherzog Karl ein Schriftstück ausgefolgt, das »nur für den Kaiser« bestimmt war – den »Recuerdo particular«. Hier wurde dem Vetter, gewissermaßen unter vier Augen, das Ungehörige seiner Intervention vorgehalten, namentlich daß er ruhig zusehe, wie der Oranier von seiten der deutschen Fürsten unterstützt werde, anstatt sich mit aller Schärfe gegen diese zu wenden. Philipp drückte ihm sein Befremden darüber aus, daß er zu einer so »großen Demonstration«, wie sie die Sendung eines Erzherzogs bedeute, geschritten sei, weil daraus im Falle einer abschlägigen Antwort nur neuer Anlaß zur Gehässigkeit der deutschen Reichsfürsten geboten sei. Man sieht – Philipp verstand es trefflich, den Spieß umzudrehen und das Odium der Ablehnung der kaiserlichen Werbung auf Maximilian zu wälzen.
Der Erzherzog dankte für die – »freundliche« Aufnahme seiner Sendung, die auch den Kaiser, wie er höflich versicherte, »sehr befriedigen« werde, weil der König gezeigt habe, daß er ihre Ratschläge zulasse. Daß aber der Inhalt der königlichen Resolution in Wirklichkeit nichts weniger als befriedigte, beweisen die ziemlich kräftigen Gegenvorstellungen, die der Erzherzog instruktionsgemäß anbringen ließ. Erfolg hatten sie freilich keinen, weil der König, wie der kaiserliche Gesandte Hans von Khevenhüller in seinem Tagebuch fein bemerkt, »billich Ursach gegen ihnen – den Niederländern – mit rigor zu procedieren zu haben vermaint«.
Kaiser Maximilian stand jetzt vor der unangenehmen Aufgabe, den Kurfürsten das Ergebnis seiner Sendung mitzuteilen. Philipp hatte eigens zu diesem Zweck seine sorgfältig gedrechselte Resolution aus dem Spanischen ins Lateinische übertragen lassen, damit nicht, wie er seinem Wiener Gesandten anvertraute, bei der von anderen besorgten Übersetzung an dem ihm so wichtig und wertvoll erscheinenden Text etwas geändert werde. Anstatt in dem »Responsum«, was mit Rücksicht auf Maximilians dringenden Wunsch, auf die gereizte Stimmung der deutschen Fürsten Rücksicht zu nehmen, geboten erschien, unnötige Härten in der Form zu mildern, schmuggelte er noch einige schärfere Wendungen ein, die in der ursprünglichen Fassung nicht enthalten waren, wie als wollte er den Kaiser dazu herausfordern, das von ihm selbst gegebene Beispiel, nur im umgekehrten Sinn, nachzuahmen und alle jene Zusätze und noch andere, die ihm höchst überflüssig erschienen, auszumerzen.
Kaiser Maximilian hat nun tatsächlich aus der königlichen Resolution die ärgsten Schönheitsfehler getilgt, sie, wie ihm Philipp II. vorgeworfen hat, »verstümmelt«. Doch von einer »Textfälschung«, deren ihn dann auch die Geschichtschreibung bezichtigen sollte, kann man doch eigentlich nicht reden – er steht in diesem Punkt noch reiner da, als der Verfasser der dreihundert Jahre später fabrizierten berühmten »Emser Depesche«.
Philipp hatte es nämlich dem Kaiser ausdrücklich anheimgestellt, ob er den Kurfürsten, um sie zu beruhigen, seine Resolution »ganz oder teilweise oder als Bericht« mitteilen wolle. Es wurde nur die eine Bedingung gestellt, daß Maximilian vorher mit dem an dessen Hofe weilenden Gesandten über die vorzunehmenden Änderungen sich verständige, und dies hat er auch pünktlich getan. In vollem Einverständnis mit Chantonnay wurde der Wortlaut der auszuscheidenden Stellen festgesetzt. Ausgelassen wurden, namentlich in dem von der Religion handelnden Abschnitt, alle jene rein phrasenhaften Stellen, die geeignet erschienen, durch ihre »allzu große Härte« die Reichsfürsten unnötigerweise zu erbittern. An dem wesentlichen Inhalt aber, der »Substanz«, hatte man nichts geändert. So heißt es zum Beispiel im Responsum: »Niemand werde sich mit Recht darüber beschweren können, daß der König mit seinen Untertanen allzu streng und ungerecht vorgegangen sei – außer man wollte die heilige römische Kirche, welche diese Institutionen festsetzt, der Unbilligkeit, die heiligen Männer aber, welche sie lehrten, des Irrtums und die christlichen Fürsten, die sich darnach hielten, des Mißbrauchs und der Unwissenheit beschuldigen.« Der Kaiser – oder eigentlich sein Vizekanzler Doktor Zasius – hielt es da für vollkommen ausreichend, daß der König seine »bekannte Milde« betonte, und strich den ganzen Nachsatz von »außer man wollte« angefangen. Ein anderes Beispiel, weil gerade dieses vom König besonders herausgegriffen wurde. Im »Responsum« hieß es: Philipp bekenne sich zur katholischen Religion, »bei der er leben und sterben wolle« – dieser Beisatz wurde gestrichen.
Kaiser Maximilian hatte überdies – und auch diese Tatsache muß besonders unterstrichen werden – den Takt, seinem spanischen Vetter die beabsichtigten Änderungen vor der Mitteilung an die Reichsfürsten bekanntzugeben. Der schuldige Teil in der ganzen unliebsamen Affäre, die zu einer erregten Auseinandersetzung zwischen beiden Höfen führte, war lediglich der spanische Botschafter, und die vom König zur Untersuchung des Falles eingesetzte Kommission hat denn auch nicht verfehlt, gegen Chantonnay den Vorwurf zu erheben, daß er sich »leichtfertig« – legieramente – von den bösen Räten des Kaisers habe einfangen lassen. Seine Stellung am Kaiserhofe war von diesem Moment an ganz ernstlich erschüttert, und es ist gewiß kein Zufall, daß jetzt seine Klagen über das feuchte, ungesunde Klima der Donaustadt bei Philipp Gehör fanden und er abberufen wurde.
Allein der König ließ es sich nicht nehmen, in einem ungemein scharfen Schreiben vom 21. Juli 1569 gegen die Verkürzung seiner Resolution Verwahrung einzulegen. Nur erscheint die tiefe sittliche Entrüstung und Empörung, die sich darin in so verletzender Weise ausspricht, bei näherem Zusehen sehr übel angebracht. Der Handlungsweise des Kaisers lag, abgesehen davon, daß sie vollkommen korrekt und loyal gewesen, die lauterste und wohlwollendste Absicht zugrunde; er wollte angesichts der ohnehin schon sehr erregten Stimmung, die im Reiche gegen Spanien herrschte, jede »neue Verbitterung«, die sich sofort in einer Verstärkung der heimlichen und offenen Hilfe für den Oranier entladen hätte, hintanhalten. Doch Philipp sorgte in liebevoller Weise, daß die Resolution in der ungekürzten Fassung bei den deutschen Reichsfürsten wie in Rom bekannt wurde, um so den Kaiser als Fälscher hinzustellen. Der König erreichte auch, daß die Mitteilung des Responsums in der gekürzten Form schließlich unterblieb. An der Sache änderte sich ja doch nichts, daß der Kaiser mit der Sendung Erzherzog Karls einen vollkommenen Mißerfolg hatte, und dies konnten die deutschen Fürsten, die von allem Anfang an nicht zu viel davon erwartet hatten, aus seinem Schweigen, das hier sehr beredt war, zur Genüge ersehen.
Allein die Stimmung, die in Deutschland gegen Spanien herrschte, war dadurch nicht besser geworden, und etwas von der »Verpiterung und Verhassung«, die Maximilian seinem Vetter ersparen wollte, fiel nun auf ihn selbst zurück. Kein Zweifel, daß die neuen Ehebündnisse mit den Königen von Spanien und Frankreich das ihrige dazu beigetragen haben. Der Kaiser wußte dies am besten. »Und wir dann daneben«, so schreibt er am 19. November 1569 Dietrichstein, »auch eigentlich spüren und merken, das seithero die beiden mit Hispanien und Frankreich geschlossenen Heirat« bei den protestantischen Ständen »nit ain geringes Mißtrauen« gegen ihn verursacht hätten.
Von der »bedeutungsvollen Schwenkung«, der großen Wandlung Maximilians infolge der neuen Ehe des Königs mit Anna, ist viel gesprochen worden, und man konnte sich dabei auf das Wort des spanischen Botschafters Chantonnay berufen, der am 11. April nach dem Abschluß der Heiratshandlung triumphierend seinem Hofe meldete, daß der Kaiser jetzt nur »mehr ein Papier« sei, das man »nach Belieben drehen und wenden« werde können. Allein der Gesandte berichtete nach Madrid sehr vieles, was er selbst nicht glaubte, aber geeignet erschien, ihn dort beliebt zu machen. Im Grunde war Maximilian nicht viel »spanischer« geworden, als er das schon vorher war, etwa als er die Heirat mit Don Carlos betrieb und sich entschloß, seine beiden ältesten Söhne nach Spanien zu schicken, oder als er Philipp erlaubte, gegen die aufständischen Niederländer im Reiche Truppen zu werben. Die dem Kaiser in der Geschichtschreibung so schwer verübelte Äußerung, er werde sich mit jeder Antwort, wie sie auch ausfallen möchte, zufriedengeben, ist im Januar 1569 tatsächlich gemacht worden, aber man verschwieg den sehr wichtigen Nachsatz: »wenn sie nur so abgefaßt ist, daß er sie den Kurfürsten zeigen könne«. Daß er sie nun den Reichsständen wirklich nicht zeigen konnte, mußte die schon lange unter den protestantischen Fürsten herrschende Gärung verschärfen und Schritte hervorrufen, die dann wieder den König reizten und berunruhigten.
Schon im Sommer 1569 vollzog sich der Anschluß des bisher den Aufständischen gegenüber so zurückhaltenden Kurfürsten von Sachsen an den Pfälzer Friedrich. Es wurde eine Ehe des Pfalzgrafen Johann Kasimir mit Elisabeth, der Tochter Augusts, vereinbart und mit starkem Druck auf das Zustandekommen einer »Korrespondenz«, eines großen evangelischen Bundes, hingearbeitet. Im Herbst trafen dann die Vertreter fast sämtlicher protestantischen Fürsten in Erfurt zusammen, um »in aller Still und Eil« über ein engeres Bündnis untereinander zu beraten; auch ein Schutzbündnis mit England und ein Hilfsgesuch der Hugenotten kam dabei zur Verhandlung. Als Vorwand diente wieder der angebliche Bestand eines »päpstlichen Bündnisses« zu gewaltsamer Durchführung der Trienter Beschlüsse, von dem namentlich seit der geheimnisvollen Tagung in Bayonne im Herbst 1565, wo Katharina von Medici mit Alba zusammengetroffen war, immer und wieder gesprochen wurde. Tatsächlich bestand jetzt die Absicht, Herzog Alba in den katholischen Schutzverein, den Landsberger Bund, als Mitglied aufzunehmen.
Kaiser Maximilian konnte nicht umhin, dem alten Freund August von Sachsen gegenüber sein »Befremden« darüber zum Ausdruck zu bringen, daß man heimlich, hinter seinem Rücken, so schwerwiegende Beratungen pflege. Die Antwort des Kurfürsten, die Erfurter Tagung diene lediglich der Erhaltung des Friedens, klang in einem Moment, da man derart weit ausgreifende Ziele zur Unterstützung der Aufständischen in den Niederlanden und in Frankreich verfolgte, wie ein Hohn. Aber schließlich kam doch wieder nichts heraus, da die kühnen Pläne des Pfälzers auf den Widerstand der anderen Fürsten, diesmal in erster Linie des Brandenburgers, stießen. In Wien wie in Madrid konnte man erleichtert aufatmen.
Indes, der Kaiser konnte sich doch nicht verhehlen, daß die Lage im Reiche eine unhaltbare war, daß alles, wie er klagte, in »Zerrüttung und Inobedienz« sich befand und kaiserliche Befehle und Bitten bei vielen »noch kaum einen Pfifferling galten«. Aber was sollte er tun? Sein vertrauter Rat, der Feldoberst Lazarus von Schwendi, wurde aufgefordert, sein Gutachten darüber abzugeben, und er säumte nicht, dem Befehl des Kaisers nachzukommen. Am 5. März 1570 konnte er ihm seine ausführliche Denkschrift »Discurs und Bedenken über jetzigen Stand und Wesen des heiligen Reiches« vorlegen. Sie enthält die Gedanken, die damals jedem wahren Freunde des Vaterlandes aus der Seele gesprochen waren und im Hinblick auf den späteren Jammer des dreißigjährigen Krieges und der Ära Napoleons, der seine Siege mit Hilfe von Deutschen erstritt, wie ein letzter Warnungsruf und Notschrei sich ausnehmen.
Maximilian möge, so heißt es da, mit Ernst zu Werke gehen, denn die jetzige böse Welt lasse sich durch Güte allein nicht regieren. »Die übermäßige Freiheit, die Lizenz und der Ungehorsam ist bereits dermaßen in Deutschland eingerissen, daß sie sich von selbst und allein durch Linde und mildes Zutun, ohne Furcht und Aufsehen auf die Obrigkeit nicht wird ändern, korrigieren und bessern wollen.« Das Kaisertum, »jetzt schier nur ein bloßer Titel und Ehre«, vermag sich und die gehorsamen Stände vor Aufruhr und Gewalt kaum zu schützen. Die Reichsfürsten sind gegeneinander mit Mißtrauen erfüllt, und durch die Spaltung in der Religion, die das größte Übel, sind »fremde Nationen und Anschläge in das deutsche Regiment eingedrungen«. Man muß also auf die Abschaffung aller Mißbräuche in der katholischen und auf Vermeidung aller Streitigkeiten in der protestantischen Kirche und jeder Verhetzung sehen. Da zwischen den beiden Konfessionen dermalen keine Ausgleichung zu erhoffen steht, so kommt es vor allem auf die Aufrechterhaltung und treue Beobachtung des Augsburger Religionsfriedens an. Alle Bündnisse der Stände mit dem Ausland sind durch Reichsbeschluß ernstlich zu untersagen und die Sonderbündnisse der Katholiken und Protestanten, die den fremden Nationen leichte Gelegenheit zur Einmischung in die deutschen Angelegenheiten darbieten, förmlich aufzuheben.
Einer ganz besonderen Reform bedarf, so führt Schwendi weiter aus, das Kriegswesen, da »durch die übermäßige Lizenz des deutschen Kriegsvolks und die Bewerbungen fremder Potentaten der größte Unrat zu besorgen« und schon jetzt »die deutsche Stärke und Mannschaft« mehr in der Hand der fremden Mächte als in der des Kaisers sich befindet. Dadurch erlischt aber jeder Gehorsam gegen die Gesetze, alle Zucht und Biederkeit, alle Liebe zum Vaterland. »Eine barbarische wilde Freiheit« reißt unter den Deutschen ein. Den fremden Nationen wird es durch ihre Werbungen leicht, allerlei Anschläge in Deutschland zu machen und innere Kriege zu entzünden. »Nach Gefallen der fremden Potentaten lassen sich die Deutschen um Geld gegeneinander hetzen und auf die Fleischbank führen, also daß schier nichts wohlfeileres bei diesen Zeiten ist als der Deutschen Fleisch und Blut« – weshalb auch die deutsche Nation bei allen Völkern in gänzliche Verachtung gesunken, Kaiser und Reich alle Reputation eingebüßt haben. Unumgänglich nötig ist daher der Erlaß eines Reichsgesetzes, demzufolge kein fremder Potentat auf deutschem Boden ohne Bewilligung des Kaisers und der Kurfürsten Werbungen anstellen dürfe; allen Räten der deutschen Fürsten ist zu verbieten, in Zukunft Dienstgelder und Pensionen von fremden Herrschern anzunehmen.
Die Grundlage dieser neuen Kriegsverfassung, so schlägt Schwendi vor, bilden die zehn Kreise des Reiches, welche die Niederwerfung widerrechtlicher Gewalt zu verbürgen haben, aber auch die Kreisordnung muß eine Veränderung erfahren. Der Kaiser soll für immer der Generaloberst aller Kreise sein, ein Reichsfürst ihm als Oberster Leutnant zugeordnet werden. In jedem Kreis ist ein Zeughaus und auf gemeinsame Kosten zu Straßburg oder an einem andern Ort ein Reichszeughaus mit dem nötigen Bedarf an Geschützen und Munition zu errichten. Jeder Kreis muß auch eine eigene Kriegskasse haben.
Schwendi verspricht sich von der neuen Kriegsverfassung die günstigsten Wirkungen. Sobald der Kaiser und die Reichsstände wieder über ihre Streitkräfte verfügen können, wird Deutschland nicht mehr von den auswärtigen Potentaten, »deren Macht ohne deutsche Stärke und Mannschaft offenbar ganz gering ist«, nicht allein nichts zu besorgen, sondern umgekehrt von diesen gefürchtet werden; der Kaiser und die Fürsten werden imstande sein, bei auswärtigen Kriegen als Friedensvermittler aufzutreten. Sie werden auch dadurch die Mittel erlangen, stets zur eilenden Defension gegen die Türken, die gefährlichsten Feinde des Reiches, gefaßt zu sein. Ungarn muß kräftigst geschützt werden, weil sonst Deutschland selber bedroht werden kann. In den bisherigen Türkenkriegen hat es nicht so sehr an Mannschaft, als vielmehr an der gehörigen Erfahrung gemangelt. Der Unterhalt einer ständigen Reichstruppe wäre der Weg, auf dem man dem deutschen Adel eine stete Übung wider die Türken verschaffen und kriegserfahrene Befehlshaber heranbilden könnte. Und da müßte besonders dem deutschen Orden wiederum eine würdige Tätigkeit zugewiesen werden. Dieser Orden, der einst zur Bekämpfung der Ungläubigen errichtet wurde, könnte, wenn man seinen Ehrgeiz anzustacheln verstehe, für den jungen deutschen Adel gleichsam eine Ritterschule sein, in die sich auch viele andere ehrliche Leute begeben würden, aus welcher man im Ernstfalle die besten Heerführer nehmen könne.
Am Schlusse seines »Diskurses« fordert Schwendi das Haupt und die Stände Deutschlands auf, dafür zu sorgen, daß die Niederlande nicht von der Hoheit des Reiches abgesondert würden und mit Verlust alter Freiheit einem fremden Regiment anheimfielen; man möge sie des Augsburger Religionsfriedens teilhaftig zu machen suchen, andererseits aber durch Unterlassung unzeitiger Überfälle und Angriffe alles vermeiden, was den fremden Mächten Anlaß zum offenen Krieg geben könnte.
Elisabeth, Gemahlin Karls IX. von Frankreich
Soweit Schwendi. Seine im »Diskurs« vorgetragenen Leitsätze werden Maximilian um so mehr eingeleuchtet haben, als sie ja sein eigenes Gedankengut darstellten, das er sich in der Sturm- und Drangzeit seiner politischen Lehrjahre herausgebildet hatte. Oft ist schon von den Zeitgenossen der große Einfluß Schwendis auf den Kaiser betont worden. Die Proposition für den nächsten Reichstag, der nach Speyer einberufen wurde, war jedenfalls ein getreues Spiegelbild der Schwendischen Reformpläne.
Der Kaiser traf am 18. Juni 1570 in Speyer ein, um den Reichstag zu eröffnen, fand aber, wie er dem Kurfürsten August zwei Tage darauf schreibt, zu seinem »Befremden«, daß noch niemand von den Reichsfürsten angekommen war. Die meisten evangelischen Stände weilten in Heidelberg, wo die Vermählung des Pfalzgrafen Johann Kasimir mit der Tochter des sächsischen Kurfürsten gefeiert wurde. Die Zeitgenossen konnten nicht genug die »königliche Pracht« schildern, die dabei entfaltet wurde, »mit herrlichen Mahlen bis an die zweihundert Gerichte, köstlichsten Weinen, inländisch und ausländisch, das Beste, was von fernher aufzutreiben war, mit allerhand Festen, Ritterspielen, Maskeraden und anderen unsäglich anmutigen Lustbarkeiten, so daß schier alles in Freuden war«. Man hatte »keine Kosten« gescheut und die neue Pfalzgräfin »mit Kleinodien, Ketten, Ringen, Edelsteinen so herrlich ausstaffieret, als wäre sie mehr denn eines Königs Tochter«.
Man sieht, schrieb Maximilian dem nämlichen Kurfürsten am 1. Juli, da nach zehntägigem Warten nur der Mainzer erschienen war, daß zur Förderung des Friedens und der Ruhe im Reich »geschlechter Eifer« vorhanden sei. Erst am 13. Juli konnte die Reichsversammlung in Anwesenheit der drei geistlichen Kurfürsten und des Pfälzers eröffnet werden. Die kaiserliche Proposition, die der Reichssekretär Erstenberger verlas, gab in beweglichen Worten ein trauriges, jammervolles Bild von der Lage. Der Wohlstand sei zerrüttet, heißt es da, allgemeines Verderben stehe bevor. An guten Gesetzen fehle es wohl nicht, man habe Friedenskonstitutionen und Exekutionsordnungen gemacht, aber keine derselben werde gehalten; »mehr und mehr nehme der Ungehorsam und die Vermessenheit dermaßen überhand, daß schier weder Gesetz noch Ordnung, noch einige Vermahnung und Gebot, auch kein Aufsehen auf die Obrigkeit und das gemeine Vaterland bei vielen hohen und niederen Standespersonen, sonderlich bei den Kriegsobersten und Befehlshabern«, beobachtet werde. Jeder handle nach seinem eigenen Willen, zu eigenem Vorteil und zum Nachteil der Schwächeren. So weit sei es gekommen, daß fast ein jeder, auch geringeren Standes, sogar Privatpersonen »nicht allein ihres Gefallens mit fremden Nationen praktizieren, handeln und Bestallungen annehmen, sondern ihnen zum Besten, etwa auch für sich selbst, im heiligen Reich Reiter und Knechte aufwiegeln und versammeln, dieselben ohne alle Scheu alsbald auf Reichsboden und auf andere Stände, Obrigkeiten und Untertanen, die mit den Sachen nichts zu tun, führen und im Anziehen und Abziehen plündern und brandschatzen, und zwar mit einer solchen Frechheit und schier barbarischem Mutwillen, als wenn sie keine Deutsche und nicht in ihrem Vaterland und bei Freunden seien, sondern mitten im Feindesland«.
Bei einer solchen »Dissolution« des deutschen Kriegswesens, so heißt es in der Proposition weiter, »könne das Reich nicht bestehen«; durch die übermäßige Freiheit des Werbens würden in Zukunft fremde Potentaten auf den Boden des Reiches geführt werden. Daher sei es zur Herstellung von Frieden und Recht vor allem nötig: diese täglich mehr und mehr überhandnehmende Frechheit des deutschen Kriegsvolkes einzuschränken und so viel wie möglich auf der löblichen Vorfahren alte deutsche ritterliche Tapferkeit und Redlichkeit von neuem zu richten. Es müsse dafür Sorge getragen werden, daß die Kriegswerbungen der ausländischen Könige und Fürsten in Deutschland künftighin ohne ausdrückliche Erlaubnis des Kaisers nicht mehr zugelassen, und Kriegsgesetze, welchen die Reiter und Knechte nachleben sollten, abgefaßt würden. Zur besseren Erhaltung und Exekution des Landfriedens müsse ein Kriegsoberster gewählt, in jedem Kreis eine gemeine Rüstkammer errichtet und Geld zu künftiger eilender Notdurft hinterlegt werden.
Nach der Verlesung der Proposition richtete der Kaiser persönlich eine Mahnung an die Versammelten, sie möchten sich, da man nichts anderes begehre, »denn wie heilsamer Friede, Ruhe und gute Ordnung im Reiche gepflegt und erhalten und aller Unruhe, Zerrüttung und Unordnung gesteuert werden möge«, der Sachen getreulich und mit Ernst annehmen.
Sonst enthielt die Reichstagsproposition keine besonders schwerwiegenden Fragen. Der ursprünglich als erster Beratungspunkt ins Auge gefaßte Zwiespalt in der Religion ward vom Kaiser fallen gelassen, und auch jene heikle Angelegenheit, die in den letzten Jahren wie ein Damoklesschwert über allen Verhandlungen schwebte, der Geistliche Vorbehalt, wurde nicht aufgerührt. Ebenso bewegte die Frage der Türkenhilfe nicht sonderlich die Gemüter der Reichsstände, da der Krieg seit dem Jahre 1568 im ganzen ruhte und lediglich eine Beisteuer für die Grenzbefestigung gefordert wurde. Um so mehr aber bestand der Kaiser darauf, daß seine auf die Wahrung des Landfriedens, auf eine Zentralisation des Kriegswesens zielenden Vorschläge glatt erledigt würden.
Allein das Ende der langen Beratungen war der in der Tat »nichtssagende Beschluß«, daß fremde Kriegswerbungen nicht ohne »Ansuchung«, das heißt Anzeige, beim Kaiser stattfinden dürften. An das Vorwissen also, nicht an die Erlaubnis des Reichsoberhauptes sollte fortan die Aufbringung deutscher Truppen für fremde Kriege gebunden sein. Man werde nicht zugeben, berichtete der Frankfurter Abgeordnete, »daß die deutsche Libertät dergestalt eingepfercht und eng gespannt werde, denn was Nachteil, Schaden und Untergang den bedrängten Christen in fremden Landen, ja auch im heiligen römischen Reich entstehen würden, indem die angefochtenen Christen keine tröstliche Entsetzung, Hilfe oder einigen Widerstand haben könnten, ist leichtlich abzusehen«.
Und wenn sich die protestantischen Fürsten, die konservativen nicht ausgenommen, diese Freiheit, den »betrübten« Christen in Frankreich, in den Niederlanden und in Deutschland selbst beizuspringen, nicht nehmen ließen, so zogen sich vor dem zauberkräftigen Argument der »deutschen Libertät« auch die katholischen Reichsstände rasch zurück. »Dieweil er vernehme,« erklärte der bayerische Gesandte, »daß solch hochwichtige Bedenken fürfielen, als sollten sie der deutschen Libertät zuwider sein, auch eine Religion mehr als die andere fördern«, so wolle er die Sache lieber auf sich beruhen lassen, »als solch Mißtrauen und Verdenken mehren«. Nicht zuletzt fanden sich die Kurfürsten an ihrem Kammergut dermaßen »ersogen«, daß sie die Kosten für die neuen Einrichtungen nicht zu erschwingen vermöchten.
Mit dem dürftigen Ausgang der Reichstagsberatungen, der einer Ablehnung des kaiserlichen Reformplanes gleichkam, war »der Versuch, das Reich gegenüber den auswärtigen Kriegen in eine starke und selbständige Stellung zu rücken, mißlungen«. Er mißlang hauptsächlich deshalb, weil der Kaiser in den kriegerischen Verwicklungen im Westen des Reiches sich nicht neutral, sondern als Partei benahm. Wohl hat Maximilian die Rüstungen, die Wilhelm von Oranien und die Hugenotten auf deutschem Reichsboden veranstalteten, tatsächlich nicht gehindert, aber er hat sie in verschiedenen Mandaten als Verletzungen des Landfriedens bezeichnet. Und wenn man protestantischerseits die Abhängigkeit des Kaisers von Spanien mit seiner Familienverbindung in Zusammenhang brachte, so sollten diese Bande just während des Speyerer Reichstages eine Bekräftigung erfahren.
Am Himmelfahrtstage fand in der erzbischöflichen Kirche zu Prag die Trauung der Erzherzogin Anna mit Philipp II. statt, bei welcher der König durch Erzherzog Karl vertreten wurde. Die neue Königin brach am 1. August von Speyer auf, reiste mit einem großen Gefolge, in dem sich auch ihre drei jüngeren Brüder Albert, Wenzel und Maximilian befanden, nach Antwerpen und von da nach Madrid. Der königliche Ehegemahl, der nun zum vierten Male Hochzeit hielt, zum zweiten Male die Braut seines Sohnes heimführte, zeigte sich sofort von der unangenehmsten Seite dadurch, daß er Anna wegen ihrer Begleitpersonen Vorschriften erteilte, die bei ihr Tränen auslösten. Mitte November wurde in Segovia die Hochzeit gefeiert und vierzehn Tage darauf erfolgte durch zwei eigens errichtete kostbare Triumphbogen der Einzug der Neuvermählten in Madrid. Noch ehe ein Jahr verstrichen war, am 4. Dezember 1571, schenkte Anna ihrem Gatten den heißersehnten Thronfolger.
Die Nachricht von der Geburt des spanischen Thronerben wurde durch einen eigenen Boten dem Kaiser überbracht, der sich darüber, wie der spanische Botschafter Don Francisco Hurtado de Mendoza, Graf von Monteagudo, Chantonnays Nachfolger, dem König meldete, »sehr erfreut« zeigte. Der bayerische Agent Winkelmayr aber behauptet in einem vertraulichen Bericht an Herzog Albrecht das gerade Gegenteil. Vorgestern, so schreibt er am 22. Dezember, hat der spanische Gesandte Maximilian die Geburt des Infanten angezeigt, »welche Zeitung, wie ich merk, man nit so gar gern hört, und lieber ain Tochter hett; dann die Hoffnung ist nit alein gewest, daß in diesem Fall der älteste Erzherzog Rudolf nach Philipps Tod König werden sollte, wie ihn denn die Prinzessin – es ist wieder die Tante Johanna – nur ihren Preutigam genannt haben soll«.
Gewiß, Maximilian wird auch mit dieser Möglichkeit noch immer gerechnet haben, aber weit mehr beschäftigte ihn die Sorge, daß sich der Thronfolger Rudolf bei längerem Verweilen am spanischen Königshofe in Deutschland unmöglich mache. So hatte er denn schon vor der Katastrophe des Don Carlos die Heimreise angeregt. Am 28. September 1567 vertraute er Dietrichstein diesen seinen Wunsch mit der für Spanien nicht sehr schmeichelhaften Begründung an, daß er Seiner Söhne nicht länger entraten könne, da er so viele Bürden auf dem Halse habe und es zudem notwendig sei, sie »bei Zeiten zu der Arbeit, damit sie nit gar der spanischen Faulheit gewonnen, zu halten«. Allein der König fand immer eine Ausrede, um deren Heimreise hinauszuschieben. Nach der Verhaftung seines Sohnes bat er Maximilian, ihm nicht eine »neue Art von Schmerz und Trauer« durch den Abschied von den Erzherzogen bereiten zu wollen. Und als sie dann endlich kamen, mußte der kaiserliche Vater mit Schmerz erkennen, daß gerade Rudolf ob seiner »spanischen Humores« überall Anstoß erregte. Die älteren Herrn Erzherzöge, meldet der bayerische Agent Winkelmayr am 15. Dezember 1571, sollen noch »dem spanischen Gebrauch nach etwas hochmütig« sein.
Auf jeden Fall aber hatte Kaiser Maximilian, der sich so innig mit dem spanischen Weltreich verbunden hatte, ein starkes Interesse daran, daß diese Macht auch wirklich kräftig blieb. Doch da mußte der kluge Habsburger mit wachsender Sorge erkennen, daß er mit seinen Unkenrufen, mit seinen Warnungen vor dem Schreckensregiment Herzog Albas Recht behalten sollte. Es war für ihn jetzt eine traurige Genugtuung, daß sich in den Niederlanden der »Duc au Galgen«, wie man den Herzog dort nannte, immer mehr unmöglich machte.
»Die Klagen Tausender von Witwen und Waisen«, schreibt der königstreue Viglius, »schreien zum Himmel.« Die unselige Steuerpolitik des Herzogs, durch welche die enormen Kosten für die Verwaltung und Verteidigung des Landes gedeckt und noch ein Überschuß für Spanien erzielt werden sollte, verfeindete ihn auch mit der katholischen Bevölkerung der Niederlande. Als die Bischöfe sich an Philipp und Alba mit der Bitte wendeten, den »zehnten Pfennig«, der gerade die Unbemittelten schwer traf, abzuschaffen, erklärte der Herzog schroff: »Die Bischöfe verstehen nichts von der Sache, sie sind durch die Magistrate der Städte aufgehetzt worden.« Im März 1572 erfolgte von Seiten der Bischöfe von Ypern, Gent und Brügge eine neue Vorstellung. Der zehnte Pfennig, so machten sie geltend, werde die Entvölkerung des Landes, die Verlegung alles Handels herbeiführen, er sei unverträglich mit der Gerechtigkeit und dem wahren Nutzen des Staates. Sollten selbst die Stände, was zweifelhaft sei, dazu ihre Zustimmung gegeben haben, so wisse man doch aus den Schriften der kirchlichen Lehrer, daß der König, wenn ein Gesetz ungerecht ist und vom Volke zurückgewiesen wird, vor seinem Gewissen verpflichtet sei, es zu beseitigen. In der Tat stockte der ganze Handelsverkehr und es machte sich bald Mangel an den gewöhnlichsten Lebensmitteln fühlbar. »Die allgemeine Unzufriedenheit, man möchte sagen Verzweiflung,« schreibt der Minister Granvelle, »wurde die beste Waffe für Oranien, für die Meergeusen, für alle Rebellen und alle Feinde des Königs.«
Das rasende Umsichgreifen des Aufstandes und die militärischen Erfolge der Geusen führten schließlich dazu, daß König Philipp selber an Alba irre wurde und nun, wie seine Weisung an den Wiener Botschafter vom 5. September 1572 zeigt, jenen Gedanken aufgriff, den der Kaiser immer und wieder ausgesprochen und ihm sein spanischer Vetter so verübelt hatte – einen Erzherzog als Statthalter hinzusenden. Herzog Alba mußte im Dezember 1573 durch Don Luis de Zuniga y Requesens abgelöst werden, der sich nun, da der ganze Karren gründlich verfahren war, vergeblich abmühte, der wachsenden Schwierigkeiten Herr zu werden. Für eine Versöhnung war es zu spät; der Krieg ging weiter und sollte zu einer Trennung der nördlichen von den südlichen Provinzen und zur Gründung der Republik Holland führen, und der achtzigjährige Kampf Spaniens gegen die Niederlande war gewiß nicht die letzte Ursache des Zusammenbruches der spanischen Weltmonarchie.
Kaiser Maximilian hatte diese unheilvolle Entwicklung immer vorausgesagt. Immer kam er in seinen vertraulichen Briefen auf dieses Thema zurück, das ihn seit den ersten Anfängen der Bewegung so leidenschaftlich bewegte. Er trage Sorge, so schreibt er am 18. Mai 1574 seinem bayerischen Schwager, »do das niderlendisch Regement nit aliam formam bekhumen wiert, das diser nunmer langwierig Krieg, ja auch schedlicher, khain Ende alsobald bekhumen wiert, sonder imerzue geferlicher werden, wie ich dan den Kunig zu Hispanien zum offtermal ermanet und gewarnet hab. Gott wolle, das es Frucht schafe et ut sim falsus profeta; dan dardurch der Kunig taglich geschwecht wierd und doch khaines Nutz oder Beschtendikait sich zu versehen«.
Für das Reich aber bildete der Krieg weiterhin einen ständigen Herd der Beunruhigung. Sowohl zugunsten Wilhelms von Oranien wie Philipps II. wurden Werbungen veranstaltet, und diese Parteinahme für und wider den spanischen König vertiefte den Riß zwischen den beiden konfessionellen Ständen. Die Kurpfälzer konnten auf die Vorwürfe der Katholiken über ihr aktives Eingreifen zugunsten der Aufrührer erwidern: nur durch ihre den Niederländern und Hugenotten gewährte Hilfe seien die »blutdürstigen« Anschläge des Papstes und seines Anhanges vom Reiche ferngehalten worden. Die kaiserliche Zentralgewalt nahm den Versuch, diesen steten Wirren zu begegnen, nicht wieder auf – das Chaos wurde von Jahr zu Jahr ärger, bis der dreißigjährige Krieg den deutschen Jammer besiegelte.
Auf dem Reichstag von Speyer erfolgte auch das feierliche Verlöbnis König Karls IX. mit Elisabeth, der zweitältesten Tochter des Kaisers. Die Braut wurde dann von dem Erzbischof von Trier und zwei anderen Reichsfürsten nach Frankreich geleitet. Wenige Monate vorher, im August, war dort der dritte Hugenottenkrieg mit dem Frieden von Saint-Germain en Laye beendet worden. Die Hugenotten erhielten darin die weitestgehenden bürgerlichen und kirchlichen Rechte zugestanden; vollständige Amnestie, Wiedereinsetzung in ihre Güter, freie Religionsübung und zu ihrer Versicherung vier befestigte Plätze.
Durch dieses Edikt vom August 1570, das als »ewig und unwiderruflich« bezeichnet war, schien der Friede zwischen den hadernden Parteien verbürgt zu sein. In der ganzen Politik der französischen Krone vollzog sich ein entschiedener Wandel: die Guisen traten wieder in den Hintergrund; und im September des nächsten Jahres erschien der gewaltige Heerführer der Hugenotten, Admiral Coligny, der große Todfeind Spaniens, am Königshofe. Man faßte den Gedanken eines umfassenden Krieges gegen Philipp II. ins Auge, mit dem nächsten Ziel, ihm die Niederlande zu entreißen: »Ich will den Prinzen von Oranien unterstützen,« erklärte der König dem florentinischen Gesandten, »mich ganz allein mit den Angelegenheiten Flanderns beschäftigen.« Auch mit den protestantischen Fürsten Deutschlands wurden Verbindungen angeknüpft und nicht minder England in die »große Aktion« gezogen. Der englische Gesandte am französischen Königshofe Francis Walsingham befürwortete wärmstens den Plan. Wir müssen, ermahnte er die Königin Elisabeth, die aufständischen Niederländer unterstützen, »damit das Feuer, das sich zu entzünden beginnt, ein großes werde und wir von seiner Hitze Vorteile ziehen können«.
Vornehmlich auf Betreiben des Grafen Ludwig von Nassau, der eine Pension von 120 000 Franken bezog, wurde der Heiratsvertrag zwischen Margarete, der Schwester des Königs, und dem Prinzen Heinrich von Navarra abgeschlossen. »Ich gebe meine Schwester«, erklärte Karl, »nicht allein dem Prinzen, sondern allen Hugenotten, um mich gleichsam mit ihnen zu vermählen.« Die Hochzeit wurde am 18. August 1572 auf einem Prachtgerüst vor der Notre-Dame-Kirche durch den Kardinal von Bourbon aufs feierlichste vollzogen, aber mittlerweile war auch schon der Beschluß gefaßt, die Hugenotten aus dem Wege zu räumen.
Mit wachsender Sorge hatte die ebenso herrschsüchtige wie wankelmütige Königin-Mutter die Wahrnehmung gemacht, wie der Rat, den der Admiral Coligny ihrem Sohne gegeben, selber einmal zu regieren, da er alt genug dazu sei, auf fruchtbaren Boden gefallen war. Mitten unter den Hochzeitsfeierlichkeiten wurde auf den greisen Kriegshelden, als er eben den Louvre verließ, aus einem Hause geschossen. Die Kugel zerschmetterte dem Admiral bloß den linken Arm. Der König stattete mit Katharina von Medici dem Verwundeten einen Besuch ab. Was das erste Mal mißlang, sollte ein zweites Mal gelingen; es handelte sich nur noch darum, Karl für ihren Plan zu gewinnen, und auch dies glückte ihr, als sie am Nachmittag des 23. August mit einigen ihrer Vertrauten zum König ging und ihn durch die Mitteilung einer angeblichen Verschwörung des Admirals aufreizte. Der Mordbefehl wurde gegeben, und alsbald traf man mit fieberhafter Eile die nötigen Vorbereitungen. Den Guisen fiel die Ausführung des entsetzlichen Planes zu. In der Nacht zum 24. August gab die Sturmglocke von St. Germain l'Auxerrois das verabredete Zeichen und nun begannen die gedungenen Mordbanden, die eine weiße Binde um den Arm und ein Kreuz am Hute als Erkennungszeichen trugen, ihre blutige Arbeit. Sie drangen in die vorher bezeichneten Häuser ein und schlugen oder schossen alle Hugenotten, deren man habhaft werden konnte, nieder; was flüchtete, wurde auf der Straße ermordet. Coligny wurde in seinem Gemach überfallen und niedergestoßen, sein Leichnam in den Hof geworfen und dort in unmenschlicher Weise verstümmelt. Mehrere Tage dauerte das Morden und Plündern.
Der Eindruck, den die Greuel der »Pariser Bluthochzeit« – sie ist auf einem Gemälde von François Dubois d'Amiens wirkungsvoll veranschaulicht worden – auf die Zeitgenossen machte, war ein sehr verschiedener. Philipp II. soll bei der Nachricht freudig aufgelacht haben; denn außer der Genugtuung, die er als fanatischer Katholik empfand, war er von der Sorge vor einem Vernichtungskrieg befreit.
Keine geringere Freude zeigte man in Rom. Der neue Papst Gregor XIII. begab sich am 8. September mit dreiunddreißig Kardinälen in feierlicher Prozession in die französische Nationalkirche, wo der Kardinal von Lothringen ein Dankfest veranstaltet hatte. In der am Hauptportal prangenden, mit Kränzen umwundenen goldenen Inschrift verkündete der Kardinal, daß sein König mit einem Schlage fast alle Irrgläubigen und Hochverräter seines Landes vernichtet habe, so daß man hoffen dürfe, die erschlaffte Religion zu frischer Blüte zu treiben. Eine Bulle vom 11. September schrieb ein allgemeines Jubiläum aus, bei welchem die Gläubigen Gott für die Niederwerfung der Hugenotten danken und ihn bitten sollten, daß er das einst so fromme katholische Frankreich vollständig von jeder Irrlehre reinige und dort die katholische Religion wieder in ihrer früheren Unversehrtheit herstelle. Offen wurde hier gesagt, daß es sich um eine Rache und Strafe des Königs gegen die Hugenotten, die in den letzten Jahren sein blühendes Reich verwüstet hätten, handle. Auch eine Medaille wurde dem großen Ereignis zu Ehren geprägt: auf der Vorderseite sieht man das Bildnis des Papstes, auf der Rückseite einen Engel, mit erhobenem Kreuz in der Linken, ein gezücktes Schwert in der Rechten, anstürmend gegen fliehende und erschlagene Hugenotten. Gewiß, die Freudenkundgebungen, die eine parteiische Geschichtschreibung abzuleugnen oder abzuschwächen bestrebt war, galten den Folgen und nicht den Schreckensszenen der »Bartholomäusnacht«, und der Papst soll, wie uns Brantôme berichtet, selbst im Innersten entsetzt gewesen sein.
Ein solches Entsetzen herrschte natürlich in der ganzen protestantischen Welt und auch in katholischen Kreisen, wo das sittliche Empfinden noch nicht durch den Glaubensfanatismus getrübt war. Kaiser Maximilian gab da nur dem allgemeinen Gefühl Ausdruck, wenn er sagte, daß es ihn schmerze, eine solche »Mordsgesellschaft« zu seinen Verwandten zählen zu müssen. In einem eigenhändigen, für seine religiöse Überzeugung so überaus kennzeichnenden Schreiben an den sächsischen Freund August – es ist vom 13. Dezember datiert – gibt er seine tiefe Abscheu über die Bluttat zu erkennen. Er gesteht zunächst, daß er die ihm durch einen eigenen Gesandten gegebene Darstellung, man habe im Zustand der Notwehr gehandelt, weil sonst das gleiche Schicksal die Katholiken getroffen hätte, »nicht glaube«. »Und mögen mier Euer Lieb«, so heißt es weiter, »gewißlich und in der Wahrhait glauben, das mier solliche tirannische Hendel und unerber Beginen nit alain nit gefallen, sonder das ichs mit sonderer Betribnus vernumen; dan ow glaich wol der Khunig main Tochterman ist, so khan ich doch des Unbillich weder lowen noch guet haisen, ia sie sagen von dem Admiral was sie wollen, so khan ichs mier doch in Sin nit bringen, das er ain solliches unchristlichs Werch solle vor sich gehabt hawen, ia es ist auch allen circonstanciis und der Vernunft selbst zuwider, zudem so ist es ain schantlich und unchristlich Ding, wider Trauen und Glauben und so fil Pacificacion und Edict zu handlen und ain solliches grailichs Werch und unerhertes Bludbad anzurichten und unter ainem solchen falschen Schain. Glaichwol ist ain Schprichwort: wan man das Kindh schlagen will, so findet man bald ain Rueten. Und ist mier von Hertzen laid, das sich der Kunig, es saie nun durch wen es welle, dahin hatt bereden lassen, dardurch er ime dan dermaßen ainen besen Namen gemacht, den er nit laichtlich awaschen wiert, mochte auch wol sain, das der Kunig selbst nit weßte, wie er in dise Sach geraten, dan mer andere als er selbst regieren. Awer es ist damit weder ausgericht noch verantwort, dan Religionssachen wellen nit durch das Schwert und den Gewalt gehandlet werden, sonder mit Gottes Wort und christlicher Ler verglichen und gericht werden, dan sie es weder von Christo noch von sainen Apostel gelernet hawen, dermaßen zu wieten, und ich besorg, sie die Franzosen machen ier Sach so schen sie wollen und machen inen ain Dekhmantel wie sie wollen, das es sie mit der Zait roien mochte, ia sie werdens auch weder gegen Gott noch der Welt verantwortn khunnen, und wollt Gott, der Kunig hette gueter Lait Ratt gepflogen, so ware es fillaicht zu disem nie nit khumen.«
»Awer«, so schließt Maximilian dieses sein Glaubensbekenntnis, »da sieht man, wem und was man trauen solle, und ie mer ich diser Sachen nachgedenkh, ie frembder und widerwertiger khumbt sie mier für. Awer es thun andere und handlen wie sie wollen, so gedenkh ich doch aufrecht, erwer und christlich zu handlen, es neme mier dan Gott alle main Vernunft, des ich nit hoffen will, und in troilich darfur bitten, ia es hawen auch wol etlich unverschambter wais und mit Ungrundt sagen und furgewen derfen, der Kunig hette solliches alles nit alain mit mainem Vorwissen, ia auch mainem Rat getan. Daran geschieht mier awer vor Gott und der Welt nit alain zu khurtz, sonder zum högsten Unrecht. Gott verzaichs denen unwarhaftigen Laiten, dan sie solliches tiranisch Werch nimermer mit mier vertadigen mögen, ia ich mieste toll und unsinnig sain und wider main Gott und Gewissen handlen, do ich solliches nit alain tat, sonder mier solliches nuer in Sin genomen hette, davor mich main Gott wol behieten wiert. Und aus disem allen mögen Euer Lieb laichtlich awnemen, was ich für ain Gefallen trag ow sollicher redlichen Tatt, dessen sie sich auch nit schamen zu riemen. Sie sehen wol zue, dan es khan sich noch wunderlich verandern, dan unser Gott im Gericht noch sitzen thuet, welliches alles ich Euer Lieb briederlicher und fraintlicher Mainung nit haw verhaltn sollen, ia auch aus sondern hohen Vertrauen. Der ewig Gott wolle sich sainer Cristenhait erbarmen und solliche uncristliche und tiranische Werch schturzen und gnadiklich awenden und uns alle vor derglaichen Sachen schutzen; ia, Brueder, es ist mier laid, das main Tochter an dises Ort geraten ist, wiewol ich wais, das sie khain Schuld daran hatt; ich besorg, es werden romische Ratt und Anschleg gewest sain. Der Papst mit den Sainen mochten ainmal auch an ainen Schtok faren, iedoch will ichs nit hoffen, dan er wol gedenkhen khan, was ime daraus entschten mochte …«
Die »tyrannische« Tat des Pariser Hofes zeitigte alsbald ihre bösen Früchte. Überall in der Welt verstärkte sich der Glaube an das Walten einer päpstlichen Verschwörung zur Ausrottung des Evangeliums. In Frankreich erhoben sich die Hugenotten trotz des schweren Schlags, den sie in der Schreckensnacht erlitten hatten, zu einem neuen Verzweiflungskampf, dem vierten Bürgerkrieg, der erst mit dem Edikt von Boulogne vom Juni 1573 für kurze Zeit ein Ende finden sollte. Hugenotten waren es auch, die in Wort und Schrift für die Notwendigkeit eintraten, die monarchische Gewalt mit schützenden Schranken zu versehen und alle »Tyrannen«, welche die Volksrechte verletzten, zu bekämpfen. Die »Francogallia« des François Hotmann, die ein Jahr nach der Bartholomäusnacht in Genf, der Metropole des Kalvinismus, erschien, leitete die hochbedeutsame Literatur der sogenannten »Monarchomachen« ein, unter denen Junius Brutus mit seinen »Vindiciae contra Tyrannos« sich ganz besonders hervortun sollte. Aber die Lehre vom »Tyrannenmord« griff bald auch auf die katholische Welt über und sollte in der Ermordung der französischen Könige Heinrich III. und Heinrich IV. ihre blutige Verwirklichung finden. Zunächst aber gaben die zu neuem Leben erweckten Theorien von der Volkssouveränität der Freiheitsbewegung in Frankreich wie in den Niederlanden einen neuen Auftrieb und fachten den Widerstand gegen die Krongewalt mächtig an.
Der schwache König Karl IX. sollte die Bartholomäusnacht nicht lange überleben. Von schrecklichen Visionen verfolgt, von schweren Gewissensbissen geplagt, siechte er rasch dahin. Nachts glaubte er das Wehgeschrei der Ermordeten zu vernehmen. Kaum vierundzwanzig Jahre alt, raffte ihn am 30. Mai 1574 die Schwindsucht aus dem Leben. Die Bürgerkriege gingen aber weiter und zerfleischten das unglückliche Land. Allein blutete dieses auch aus tausend Wunden – die »Praktiken« der französischen Krone, die Verbindung mit Deutschland, hörten deshalb nicht auf; noch geraume Zeit hindurch verfolgte sie das Ziel einer »europäischen Monarchie«, wie in den Tagen des kräftigen, ritterlichen Königs Franz I.
Es war das tragische Geschick des Kaisers, daß ihm aus seinem engeren Anschluß an Spanien und Frankreich keinerlei Förderung, keine wirkliche Hilfe, sondern nur Unannehmlichkeiten und Verwicklungen zuteil wurden. Das Reich, ganz von dem wachsenden Parteihader erfüllt, zeigte sich keiner größeren Aufgabe mehr gewachsen. Gerade auf dem Reichstag von Speyer, wo der große Reformplan des Kaisers eingesargt wurde, war wieder die Ohnmacht und die Gleichgültigkeit der Fürstenversammlung gegen alle Machtfragen des Reiches in erschreckender Weise zutage getreten. Im Punkte der »Rekuperation« der Bistümer Metz, Toul und Verdun, so meldete der Frankfurter Gesandte am 29. September 1570, »wird nicht viel Zeit daraufgehen: könnt man das behalten, was man hat, viel wieder einzubekommen wird schwerlich zugehen«. Und als der Deutschmeister Hund von Wenkheim die Ansprüche des Ordens gegen den König von Polen vorbrachte, meinten die Stände betroffen, man sollte es, da Gefahr bestünde, daß Siegmund August das Reich mit Krieg überziehe, noch einmal mit der Güte versuchen. Würde sich dieser Weg zerschlagen, so möge der Kaiser »auf Wege gedenken, wie man den Sachen sonst wolle begegnen«. In Bezug auf Livland aber, das der Moskowiter besetzt hatte, fanden die Kurfürsten, daß es »in Erwägung jetziger Läufe und Zeiten, item anderer obliegender Reichsbeschwerden unmöglich sei, diesem Werk der Gebühr nach diesmal nachzusetzen«. Diese »anderen« Obliegenheiten, die Wirren im Westen und ihre katastrophalen Rückwirkungen auf das Reich, nahmen sie in der Folge immer mehr in Anspruch.
Die vom Kaiser unentwegt gepredigte Politik der Mäßigung, der Friedensvermittlung stieß überall auf taube Ohren. Eine tiefe Resignation erfaßte den Monarchen. »Der Lauf der Welt«, so äußerte er sich einmal bitter zum venezianischen Gesandten Micheli, »geht gegen alle Vernunft.«