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Der rätselhafte Kaiser

Vorwort


Eine Monographie über den zweiten Kaiser Maximilian besteht bisher nicht. Das ausgezeichnete Werk Robert Holtzmanns erstreckt sich nur bis zu seiner Thronbesteigung. Diese Lücke in der Geschichtsliteratur auszufüllen, ist der Zweck des vorliegenden Buches. Es war mir vergönnt, in jahrzehntelanger Arbeit für die Kaiserzeit völlig neue Quellen heranzuziehen: die Korrespondenz Maximilians mit befreundeten und verwandten Fürsten wie vertrauten Räten, die Berichte seiner Gesandten und Weisungen an diese, auch die Depeschen der am Kaiserhofe residierenden Gesandten und die für sie bestimmten Instruktionen und nicht zuletzt das wertvolle Tagebuch, das Kaiser Maximilian vom Beginn des Türkenfeldzuges von 1566, seinem Aufbruch ins Feld am 12. August, bis zum Silvestertag des nächsten Jahres eigenhändig geführt hat. Das hier gewonnene reiche Material gab mir die erwünschte Grundlage zu dem Versuch, dem interessanten Habsburger, der von der historischen Forschung eine so widerspruchsvolle Beurteilung erfahren, gerecht zu werden und von ihm im großen Rahmen seiner Zeit ein möglichst lebenswahres Bild zu formen.

Benutzt wurden das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, das Archiv für Inneres und Justiz, das Niederösterreichische Landesarchiv und die Nationalbibliothek in Wien, die Statthaltereiarchive in Innsbruck und Graz, das Geheime Staatsarchiv, das Geheime Hausarchiv und das Hauptstaatsarchiv in München, das Hauptstaatsarchiv in Dresden, die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe, die Staatsarchive in Düsseldorf, Hannover, Marburg, Florenz, Genua, Turin, Modena, Parma und Neapel, das Gonzaga-Archiv in Mantua, das Vatikanische Geheimarchiv in Rom, die Generalarchive in Simancas und Brüssel, das Nationalarchiv in Paris, die Bibliothéque publique in Besançon (Granvelle-Archiv) und das Fürstlich Dietrichsteinsche Familienarchiv in Nikolsburg.

Zum Schluß erfülle ich eine angenehme Pflicht, wenn ich den Leitungen und Beamten der von mir benutzten Archive und wissenschaftlichen Sammlungen meinen ergebensten Dank ausspreche. Bei der Auswahl der Bildbeigaben, die zum größten Teil aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien stammen, unterstützten mich in der liebenswürdigsten Weise Herr Universitätsprofessor Hofrat Dr. Hermann Julius Hermann, Herr Privatdozent Kustos Dr. Ludwig Baldass und Herr Bibliotheksdirektor Dr. Erich Stromer. Gerne erinnere ich mich der wertvollen Ratschläge und nie versagenden Hilfsbereitschaft, die mir Herr Universitätsprofessor Dr. Samuel Steinherz in Prag jahrelang zuteil werden ließ. Besonderer Dank gebührt der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs für die materielle Unterstützung, die ich ein ganzes Jahrzehnt in reichlichstem Ausmaße erfuhr. Und als sie nach dem Umsturz ihre Tätigkeit einstellte, war es die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, die mir in liberalster Weise die Mittel für einen längeren Studienaufenthalt in München zur Verfügung stellte. Es sei mir gestattet, ihr an dieser Stelle nochmals meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Nicht zuletzt danke ich herzlichst meiner Schülerin Fräulein Dr. Maria Langmann für die freundliche, opferwillige Hilfeleistung bei der Durchsicht des Manuskriptes und der Herstellung der Korrekturen.

Wien, im August 1929.
Viktor Bibl.

 

Im Spiegel der Geschichte

Der zweite Kaiser Maximilian hat es in der Nachwelt nicht zu der Volkstümlichkeit des ersten gebracht, von dem doch wenigstens bekannt wurde, daß er »der letzte Ritter« war und in Ausübung des Jagdvergnügens um ein Haar von der Martinswand gestürzt wäre. Doch bei seinen Zeitgenossen war der zweite Maximilian mindestens ebenso populär, und in der Geschichtschreibung erfreute er sich der denkbar größten Beliebtheit: die »Sphinxnatur« des Habsburgers, das Problematische seines Wesens, das schon der Mitwelt unausgesetzt zu denken gab, reizte zu angelegentlichster Beschäftigung mit ihm, dem – rätselhaften Kaiser.

War er Katholik? War er Protestant? War seine Hinneigung zur evangelischen Lehre nur aus »politischer Berechnung« erfolgt, und hat er nach seinem erzwungenen Bekenntnis zur katholischen Kirche »geheuchelt«, oder war er nach seiner »Bekehrung« auch innerlich ein anderer geworden? Entsprach der von ihm eingenommenen Mittelstellung auch eine religiöse Überzeugung? Alle diese Fragen wurden aufgeworfen und verschiedentlich beantwortet. Natürlich schwankte auch, je nachdem die Antwort ausgefallen, sein Charakterbild in der Geschichte.

Nachdem im Jahre 1785 Johann Jakob Moser in einer Skizze »Gesinnungsähnlichkeit in Religionssachen Kaiser Maximilians II. mit Kaiser Joseph II.« in Maximilian mit seinem »unvergleichlichen Herzen und Gesinnung« einen Geistesverwandten des Volkskaisers begrüßt hatte, versuchte zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in dem denkwürdigen Jahre 1813, Josef Freiherr von Hormayr in seinem Aufsatz »Über Maximilians II. angeblichen Protestantismus« den Nachweis, daß der Protestantismus jenes Kaisers und seiner Umgebung in Wahrheit nichts anderes war als »der Geist des Friedens und der Güte«, wie er aus dem »weisen« Erasmus gesprochen. Maximilian erscheint da als ein aufgeklärter, romfeindlicher, deutscher Reformkatholik.

Zwei Jahrzehnte später, im Jahre 1832, war es der Meister der deutschen Geschichtschreibung Leopold von Ranke, der in seiner Studie »Über die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II.« von dem »geistreichen«, gebildeten und wohlwollenden Habsburger ein glänzendes Bild entwarf. »Es ist zuweilen«, schrieb er ganz begeistert, »als brächte eine Zeit alles, was sie Neues, Edles und Eigentümliches hat, wieder in einem einzelnen hervor … Sooft uns in der Historie Maximilian begegnet, glauben wir in den glückatmenden Kreis zu treten, wie ihn eine talentvolle, feinorganisierte, edle Natur um sich zu ziehen pflegt. Jene Bildung, die sich von der Welt nur das Würdige und Schöne aneignete, umfängt uns wie mit reiner Atmosphäre; ein durchdringender unterscheidender Verstand gibt uns eine leichte, heitere Spannung, feine Sitte, und ungesuchter Ausdruck des Wohlwollens und der Güte … halten uns innerlich fest.« Der Kaiser war »dem Protestantismus von Herzen zugetan«. Allein er war »nicht stark genug, um die Dinge zu überwältigen; zu heftig war ihm die Parteiung, zu mächtig waren ihm die Umstände«, und diese waren ihm nicht günstig – daran ist er gescheitert.

Dem so günstigen Urteil folgte indes bald der Rückschlag. Er trat mit den Forschungen Wilhelm Maurenbrechers ein. Der Schüler Rankes warf Maximilian II. seine verschiedenen »Wandlungen« vor und vergaß, daß er selber – sich gewandelt hatte. Seine eingehende Beschäftigung mit den spanischen Staatsakten des Generalarchivs von Simancas hatte ihn dazu verleitet, den deutschen Habsburger ganz mit den ungünstigen Augen König Philipps II. zu betrachten: nur daß er, der überzeugte Protestant, Maximilian nicht so sehr die Hinneigung zum Evangelium als vielmehr die Abkehr von der alten Kirche verübelte. »Ein geistreicher Mann von großer Begabung,« so lautet der Schluß, »erfüllt von politischen Gedanken und Entwürfen, von dem die Zeitgenossen Großes erwarten – ist er doch durch den Zwiespalt seines Denkens und seines Tuns ein wenig erfreuliches Bild von Halbheit und Zerfahrenheit und Inkonsequenz geworden. Kein Historiker wird sich für Maximilian II. zu begeistern oder zu erwärmen imstande sein. Ein Advokat seiner Regierung würde vor dem Tribunal der Geschichte höchstens zu seinen Gunsten für ›mildernde Umstände‹ plädieren dürfen, aber auch damit nur in beschränktem Maße durchdringen.«

Das von Maurenbrecher entworfene Bild Maximilians als eines Fürsten, der ohne den festen Grund einer religiösen Überzeugung sich lediglich durch politische Rücksichten bestimmen und wie ein schwankes Rohr von den Ereignissen treiben ließ, gleichsam eine Illustration zu Machiavellis »Principe«, dem eine Gesinnung empfohlen wird, »geneigt, sich zu wenden, wie die Winde und Wechsel des Glückes es befehlen«, machte rasch Schule. Moriz Ritter, Walter Goetz und Friedrich Bezold sprachen sich gleich ungünstig aus. Den Vogel aber hat wohl Gustav Droysen abgeschossen, der Maximilian direkt der »Heuchelei« bezichtigte. Wenn sich der Kronprinz der neuen Lehre zuwandte, so war ihm das nicht »Herzensbedürfnis und Gewissenssache«, sondern das »bei Thronfolgern häufige Bedürfnis, der Regierung Opposition zu machen«, es war »der Reiz der Neuheit«, und einem so »leichtblütigen, ja man darf sagen oberflächlichen Sinne« gegenüber konnte die »Bekehrung« wenig Schwierigkeiten bereiten. Ein Mann wie Maximilian, ohne Tatkraft und Mut, ohne deutsches Empfinden, war unfähig, die Stände, an deren Spitze er stand, »auf die Höhe großer Entschließungen und nationaler Taten emporzuheben«. Unbekümmert um das Wohl des deutschen Reiches verfolgte er bloß das habsburgische Hausinteresse.

Nicht besser kam Maximilian II. in der katholisch gefärbten Geschichtschreibung weg. Theodor Wiedemann erklärt sich Maximilians Hinneigung zum Protestantismus aus dem ihm »innewohnenden Eigensinn, seinem Widerwillen gegen ernsthafte Beschäftigungen und seinem Hang zur Trunksucht« – eine Erklärung, die sich im ganzen, soweit es sich um den bekannten »Kronprinzenliberalismus« handelt, mit jener Gustav Droysens deckt. Nur möchte man – diese ketzerische Frage drängt sich da wohl auf – gerne wissen, ob der gestrenge Beurteiler, dem es sicherlich nicht unbekannt war, daß das viele Trinken an den damaligen Fürstenhöfen eine sozusagen allgemeine Unsitte war, Maximilian seine »Trunksucht« so sehr verübelt hätte, wenn er als Lutheraner zur alten Kirche zurückgekehrt wäre.

Aber nach diesen zweifellosen Übertreibungen und Entstellungen, in welchen etwas von dem konfessionellen Geiste des 16. Jahrhunderts nachwirkt, tritt in der Beurteilung des Kaisers wiederum eine rückläufige Bewegung ein. Hans Hopfen, ein Schüler Felix Stieves, bemühte sich, die vielfach als »Zweideutigkeit« ausgelegte Mittelstellung Maximilians als Ausfluß einer ganz bestimmten Glaubensrichtung, für die er den Namen »Kompromißkatholizismus« prägte, hinzustellen und die besonderen Schwierigkeiten, welche dem Habsburger in den Weg traten, zu beleuchten. Und nach Hopfen hat dann Robert Holtzmann geradezu in die Bahnen Rankes eingelenkt, indem er Maximilian vollkommen sine ira et studio, aus seiner Zeit heraus, zu verstehen suchte. »Er war«, so heißt es in seiner Schlußbetrachtung treffend, »keiner jener glücklichen Menschen, die der rechte Augenblick an den rechten Platz stellt, sondern er befand sich in einer Welt widerstreitender Kräfte, die zu mächtig waren, als daß menschliche Schwäche ihrem Getriebe die Bahn hätte weisen können. Denn es darf als völlig gewiß gelten, daß auch ein stärkerer Charakter als Maximilian die Gegenreformation nicht mehr aufgehalten hätte.«

Die große Schicksalswende für das deutsche Volk hatte sich schon vollzogen, lange ehe der zweite Maximilian auf den Plan trat.


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