Hugo Bettauer
Hemmungslos
Hugo Bettauer

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VII. Kapitel

Finkelstein hatte Glück. Helga Esbersen war noch immer in München und ihre Adresse konnte ohne Schwierigkeit ermittelt werden. Helga, die frauenhafter, schöner und schlanker geworden war, empfing den Wiener Journalisten verwundert und fragte sehr zurückhaltend nach seinen Wünschen. Finkelstein hatte sich aber genügend auf diesen Moment vorbereitet.

„Meine Gnädige, unser Blatt wird eine Serie von Artikeln veröffentlichen, in denen berühmte ausländische Autoren, die Wien genau kennen, ihre Ansicht über diese Stadt äußern werden. Natürlich konnte ich meinen Aufenthalt in München nicht vorübergehen lassen, ohne die große dänische Schriftstellerin, deren letztes Werk, ‚Das Weib und das Weibchen‘, solches Aufsehen gemacht hat, um einen Beitrag zu bitten.“

Helga lächelte ironisch mit herabgezogenen Mundwinkeln.

„Aufsehen? Mein Buch ist eben erst in dänischer Sprache erschienen und in Deutschland noch wenig bekannt. Und solche Gelegenheitsarbeiten für Tageszeitungen liebe ich nicht. Übrigens wundert es mich sehr, daß Sie gerade auf mich verfallen sind, wo es doch in München an Schriftstellern, und zwar auch an solchen aus Dänemark, nicht fehlt.“

Jetzt hieß es losschießen. Mit einer tiefen Verbeugung sagte Finkelstein:

„Nun, ich habe die Ehre, Herrn Koloman Isbaregg zu meinen Bekannten zu zählen, und er ist es, der mich an Fräulein Esbersen gewiesen hat.“

Helga erblaßte und fuhr jäh zusammen. Einen Augenblick versagte ihr die Stimme, dann faßte sie sich mühsam und fragte scharf und trocken:

„So, Herr Isbaregg! Nun, der hat doch sicher von meinen schriftstellerischen Fähigkeiten keine allzu hohe Meinung.“ Und wieder erbleichend, fügte sie hinzu: „Was macht denn eigentlich Herr Koloman lsbaregg?“

Finkelstein war ein recht gewöhnliches Individuum von minderer Bildung, aber ein guter Beobachter. Und er hatte deutlich gesehen, welche Erregung der Name Isbaregg bei der Dänin hervorgerufen; es war ihm ihr Erbleichen ebensowenig entgangen, wie die Verachtung, der Haß und das brennende Interesse, das in ihren Worten über den Mann ihrer toten Freundin lag. Und Finkelstein änderte mit einem Ruck seine Taktik und beschloß einen kühnen Streich zu führen.

„Kolo Isbaregg lebt nobel und vornehm, wie man es eben tun kann, wenn einem die Gattin dreißig oder vierzig Millionen hinterlassen hat. Er dürfte übrigens das Junggesellenleben wieder aufgeben und sich demnächst verheiraten.“

Der Hieb saß. Helga fuhr empor, Totenblässe und tiefe Röte jagten über ihr Gesicht, sie krampfte die Finger in den Handballen, es flimmerte ihr vor den Augen und sie verlor jede Selbstbeherrschung. Mit wogender Brust keuchte sie Worte hervor:

„Er heiratet wieder, er wagt es! Hat er an der einen noch nicht genug? Braucht er mehr Geld?“

Finkelstein saß lauernd mit weit aufgesperrten Augen und Ohren da und goß Öl in das Feuer, das vor ihm aufloderte.

„Mein Gott, er macht ja gar kein Hehl daraus, daß er seine erste Frau nicht geliebt hat. Das Mädchen, das er jetzt heiraten wird, ist aus sehr vornehmem Haus, wunderschön und er liebt es rasend. Ich sage Ihnen, ich war ordentlich ge rührt, als er mir vor einigen Tagen, als wir zusammen im Klub speisten, sagte: ‚Finkelstein, jetzt erst weiß ich, was Liebe ist! Lolo ist das Weib, das für mich bestimmt ist, alles andere war Plunder, war nichtige Spielerei, war nicht wert, geliebt und geküßt zu werden!‘“

Ein Krampf schüttelte das junge Weib. Sie lachte gellend auf und schrie fast die Worte heraus:

„Diese Lolo soll sich nur in acht nehmen, daß sie nicht, wenn die Nächste auftaucht, umgebracht, ermordet, vergiftet oder erwürgt wird, wie es meine arme Dagmar wurde!“

Der Reporter machte ein ernstes, abwehrendes und betretenes Gesicht.

„Gnädiges Fräulein, ich muß schon bitten! Da spielt Ihnen wohl Ihre Phantasie einen Streich! Ich weiß, daß man allerlei munkelt, aber natürlich ist das Unsinn, denn Frau Dagmar Isbaregg hat zweifellos Selbstmord begangen! Ihre letzten Worte wurden ja in ihrer eigenen Handschrift neben dem Glas, aus dem sie den Wein mit den Morphiumtropfen getrunken hatte, gefunden.“

„So, ihre letzten Worte, wissen Sie das so genau. Nun, ich sage Ihnen, es waren nicht ihre, sondern seine letzten Worte! Die Worte, die er der armen, törichten Frau diktiert hatte!“

Und außer sich, mit verzerrtem Gesicht, brennenden Nerven und zitternden Fingern riß Helga die Lade eines Schreibtisches auf, wühlte in Briefen umher und warf dann dem Reporter einen zu: „So, lesen Sie selbst!“

Finkelstein las, las den Brief einer verliebten Frau, in dem sie der Freundin erzählt, wie zärtlich und gut ihr Gatte sei, wie besorgt um ihre Gesundheit. „Und denke dir nur, er, der doch nie gerne Komplimente gemacht hat, benützte gestern die Gelegenheit, mir allerlei Nettes zu sagen. Kolo betreibt graphologische Studien auf ganz eigene Weise. Er versetzte mich nun in eine heitere und eine ernste Gemütsstimmung, ließ mich als Strohwitwe zuerst einen sehnsüchtigen, glücklichen Brief schreiben und dann einen verzweifelten, düsteren. Ich mußte machen, als würde ich von ihm fort wollen und so ungefähr schreiben: Lebe wohl, ich gehe von dir, Geliebter, sei mir nicht böse, wenn ich dich für immer verlasse! Es muß so sein. Eine tiefinnere Müdigkeit zwingt mich zu diesem Schritt. Lebe wohl und vergiß meiner nicht ganz.‘ Nun, und aus dem heiteren Brief und diesem traurigen hat er ein Charakterbild von mir entworfen, über das ich ordentlich stolz sein kann. Er meint — —„ und nun folgte die Aufzählung all der Eigenschaften, die Kolo ihr damals angedichtet hatte.

Helga stand mit verschränkten Armen, den Rücken ihm zugewandt, und starrte durch das Fenster auf die Straße. Finkelstein aber, der am liebsten laut aufgejubelt hätte, steckte den Brief blitzschnell in die Brusttasche, räusperte sich und sagte, während er Helga, die sich ihm wieder zudrehte, das Kuvert gab, das sie in die Schublade warf:

„Allerdings, das ist furchtbar, das ist geeignet, Verdacht zu erregen! Aber immerhin, ich bin mit Isbaregg befreundet, ich will nichts wissen, nichts damit zu tun haben. Und auch Ihnen kann ich nur den Rat geben —„

Helga strich sich mit beiden Händen über das jetzt vergrämt und alt aussehende Gesicht und nickte:

„Recht haben Sie! Was geht das mich, was geht es Sie an. Soll er allein mit sich fertig werden und meinetwegen noch ein paar Frauen töten! Mir kommt es nicht zu, zu richten und zu verfolgen!“

Finkelstein fühlte es unter seinen Füßen brennen. Er empfahl sich unartig rasch, lief die Treppen hinab, warf sich in ein Autotaxi, stopfte im Hotel rasch die Sachen in den Handkoffer und fuhr nach dem Bahnhof. Nur fort, rasch fort aus München, bevor dieses Weib zur Besinnung kam, entdeckte, daß er ihr den Brief nicht zurückgegeben. Der Schnellzug nach Wien ging erst in einigen Stunden ab, aber Finkelstein bestieg den nächsten Lokalzug, der an die Grenze fuhr und wartete dort den Schnellzug ab.


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