Hugo Bettauer
Hemmungslos
Hugo Bettauer

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VIII. Kapitel

Eine einzige Glühbirne unter einem blaßgrünen Schirm verbreitete dämmeriges, sanftes Licht, durch das geöffnete Fenster hörte man das Rauschen der alten Kastanienbäume im Garten. Frau Dagmar saß halb liegend auf dem niederen Diwan, Kolo dicht neben ihr auf einem Tabourett, den Arm auf den Diwan gestützt und Ringe flatterten aus der Zigarette in den schönen, weichen, leise nach Rosen duftenden Raum. Nervöses, erwartungsvolles Schweigen zwischen zwei Menschen, die wissen, daß Unausgesprochenes zur Aussprache herangereift ist, Entscheidendes gesagt werden muß.

lsbaregg ergriff die weiße Frauenhand, die, wie nicht zum Körper gehörig, herabhing, und brach das Schweigen:

„Frau Dagmar — woher stammt die Herbheit, die so oft Ihrem Wesen den Stempel der Verbitterung auf drückt? Ich habe darüber nachgedacht und kam nie dazu, das Rätselhafte in Ihnen zu enthüllen. Oder tue ich Ihnen weh, wenn ich frage?“

Eine kurze Pause, in der man den Atem der Frau vibrieren hörte.

„Nein, Sie tun mir nicht weh, wenn es auch qualvoll ist, darüber zu sprechen. Aber einmal muß es ja doch geschehen — gut, ich will Ihnen sagen, was ich noch nie jemandem gesagt habe. Sehen Sie, ich bin eine zum ewigen Schauen Verdammte. Immer dort, wo andere sich ganz dem Augenblick hingeben und die Augen schließen, bleibe ich wach, beobachte, schlüpfe förmlich aus meinem Leib heraus, um ihn zu beobachten, zu kritisieren, als gehörte er mir nicht. So war ich schon als ganz junges Mädchen. Wenn sich Backfische in den Armen ihres Tänzers wiegten, so empfanden sie nichts als die Lust, die leise, unbewußte oder auch sehr bewußte Erotik dieses Augenblickes, und alles, was sie sagen und empfinden konnten, drängte sich in das kitschige Wörtchen ‚himmlisch‘ zusammen. Ich tanzte auch sehr gerne und sehr gut und oft genug hatte ich meinen Tänzer recht lieb, wäre einem Flirt gar nicht abhold gewesen. Aber wenn er mich beim Walzer an sich drückte, so sagte diese außer mir stehende Dagmar: ‚Aha, er drückt mich, um meine Brust zu fühlen! Und wie rot jetzt sein Gesicht ist! Wie sich die Krawatte verschiebt, wie sehr er schwitzt, wie sein heißer Atem sich an den Lippen zu kleinen Tropfen kondensiert!‘ Und fort war jede Stimmung, jedes hingebungsvolle Empfinden, jedes Sich-selbst-Vergessen.“

„Einmal — ich war eben achtzehn Jahre alt geworden — gab mein Vater in unserem Park bei Kopenhagen ein Sommerfest. Mein Tischherr war ein reizender junger Wiener Herr, Dragonerleutnant, lustig, witzig, bildschön, wie geschaffen, einem jungen Ding den Kopf und die Sinne zu verdrehen. Ich hatte bei der Tafel mehr getrunken, als ich eigentlich vertrug, die Nacht war schwül und heiß, halb betäubt ließ ich mich von meinem Kavalier immer tiefer in den Park hineinführen und als er mich auf eine Bank zog, an sich riß und meinen Mund, meinen Nacken mit Küssen bedeckte, da war ich durch den Bruchteil einer Sekunde ganz Hingabe, bereit, mich dem Verführungsversuch des schönen Burschen nicht zu widersetzen. Aber, wie gesagt: Nur durch den Bruchteil einer Sekunde! Dann fing ich wieder an zu beobachten, hörte, wie er vor Aufregung schnaufte und fühlte den süßlichen Duft von Veilchenpomade aus seinem blonden Scheitel strömen. Aus! Ich lachte schrill auf, stieß ihn von mir, die Stimmung war verflogen!“

„So ging es mir immer; nie konnte ich reine Begeisterung empfinden; wenn die Duse spielte, sah ich die Schminke auf dem Ohrläppchen, wenn Caruso sang, beobachtete ich, wie er die Nasenflügel blähte und bei ganz hohen Tönen vor Anstrengung schielte. Und wenn in Gesellschaft Begeisterung laut wurde, hörte ich jeden falschen Ton, den die Menschen dabei anschlagen; wenn mich eine Landschaft wegen ihrer Schönheit packte, so mußte ich daran denken, daß diesen Gipfel wohl in diesem Augenblick ein schwitzender sächsischer Tourist bestampfe und in jenen tiefblauen Gebirgssee der Kanal eines Hotels münde.

So vergingen einige Jahre, in denen ich nie recht meines Lebens und meiner Jugend froh werden konnte. Denn abgesehen von dieser zersetzenden Kritik, die ich mit mir herumtrug und die mich quälte, quälten mich mehr noch die erregten Sinne des reifen Mädchens, das sich in der Sehnsucht nach dem Mann, dem einzigen, herrlichen, starken, großen Mann verzehrt — aber, das sind Dinge, von denen man nicht sprechen kann, wenn man auch will. Bis ich eines Tages den Grafen Imre Tökely kennen lernte. Ein prachtvoller Mann, Vollblutmagyar, stark, fast wuchtig, durchaus klug und einigermaßen gebildet, das Temperament des Ungarn, der Mann, der jede Frau fasziniert, weil jede empfindet, daß sie in seinen Armen das höchste Liebesglück empfinden würde. Und da schloß ich gewaltsam die Augen, knebelte die Stimme neben mir, ließ meine Sinne allein sprechen und gab mich ihm im Geiste hin, bevor er noch um mich geworben. Die Verlobungszeit war mir ein einziger heißer Traum, alles in mir drängte zu ihm hin, ich war ganz Weibchen geworden, bereit zu lieben, zu umarmen, zu empfangen und zu gebären. Und dann kam das Furchtbare, die Hochzeitsnacht.“

Die Stimme Dagmars sank zu einem murmelnden Flüstern herab.

„Ich lag in den Armen des Mannes und — die Stimme neben mir sprach wieder. Statt mich mit geschlossenen Augen dem Taumel zu überlassen, fing ich an zu beobachten und wurde kalt wie ein Eisblock. Und die Stimme flüsterte mir zu:

‚Siehst du, wie auch er erkaltet, fühlst du nicht, daß seine Leidenschaft sich in mitleidige Höflichkeit verwandelt, merkst du nicht, daß dein Leib ihn enttäuscht, daß er sich den Kuß auf deine Brust abringen muß, daß er mit prüfenden Augen über dich hinweggleitet?‘

Diese Nacht hat in mir alles getötet, was sanft und weich war. Als der Morgen anbrach, da war ich wohl sein Weib geworden, aber wir sahen uns nicht liebesglühend in die Augen, sondern wie zwei Feinde. In mir rangen Haß mit rasendem Begehren, er war verlegen, von verletzender Höflichkeit, verwirrt und verstört. Am nächsten Abend zog sich mein Mann unter dem Vorwand, Kopfschmerzen zu haben, frühzeitig in sein Appartement zurück, dann kamen wieder Nächte, in denen er sich wieder auf seine Pflicht besann und mir Zärtlichkeiten bot, von denen jede eine Lüge war, und als wir nach knapp zwei Wochen, beide zermartert und zermürbt, auch tagsüber das Alleinsein vermieden, da kam das Ende. Fast jubelnd brachte mir lmre die Depesche, die seine Abkommandierung zur Front enthielt und tat dabei, als wäre dies ihm ganz überraschend gekommen. Ich erfuhr aber später, daß er selbst dringend den Frontdienst verlangt hatte. Ein kühler, fast wortloser Abschied und ich habe ihn nicht wieder gesehen. Er fiel wenige Wochen später in den Karpathen.

Und nun werden Sie mich besser verstehen, lieber Freund, und mich wahrscheinlich so ekelhaft finden, wie ich selbst.“

Kolo lsbaregg fand nicht gleich eine Antwort. Er war seltsam ergriffen, aber auch von einem Schauder erfüllt. Er verstand die Frau, die sich restlos seelisch vor ihm entblößt hatte, aber es graute ihm und eine dumpfe Angst, die er einem Weib gegenüber noch nie empfunden, überkam ihn. Am liebsten hätte er mit gütigen, wirklich vom Herzen kommenden Worten getröstet, um sich dann rasch zurückzuziehen. Aber plötzlich glaubte er den Galopp der Derbypferde auf dem grünen Rasen zu hören, das Trostlose seiner Lage kam ihm zum Bewußtsein, er sah die dicke Jüdin aus dem Delikatessengeschäft treten, hörte das Röcheln des alten Geiger und jeder Nerv in ihm straffte sich zu eisernem Willen. Kolo nahm die weiße, zitternde Hand, küßte sie und sagte mit seiner klingenden, melodischen Stimme, die Frauen an ihm so liebten:

„Sie armes Kind! Sie müssen das Leben und die Liebe aufs neue lernen!“

Und als die Frau ihm die Hand entzog und sich in einem hysterischen Weinkrampf auf dem Diwan wand, da vergaß er selbst, daß er Komödie spielte, hob die Zuckende zu sich empor, bettete sie auf seinen Schoß, küßte und liebkoste sie und erst später, viele Stunden später, kam es ihm zum Bewußtsein, daß der Mund, der nun den seinen suchte, bitter, feucht und dünn küßte und die Haut des Nackens und Busens, über den seine Lippen glitten, nicht den warmen Duft des begehrenswerten Weibes hatte, sondern sich herb und rauh und fremd anfühlte.

Es war Mitternacht, als lsbaregg das Rokokopalais in der Prinz-Eugen-Gasse verließ. Kaum betrat er das große Kaffeehaus auf dem Stephansplatz, um seine erregten Nerven durch einen kühlen Trank zu beruhigen, stieß er auf den unvermeidlichen kleinen Baron Kutschera. Nichts war ihm willkommener als dies. Er klopfte dem Baron auf die Schulter und sagte gelassen:

„Lieber Baron, eine Nachricht, die Sie sicher interessieren wird: Ich habe mich eben mit Frau Dagmar Tökely verlobt.“

Kutschera war nur einen Augenblick fassungslos, dann platzte er heraus:

„Gratuliere, lieber Isbaregg! Aber ich bitte Sie, nicht zu vergessen, daß ich es war, der Sie mit Frau Tökely bekanntgemacht hat. Also bin ich eigentlich der Ehestifter und — — — “

„Verstehe, verstehe, Baron!“ erwiderte lachend Kolo. „Sie sollen schon auf Ihre Rechnung kommen.“ Isbaregg schlenderte nach Hause, Kutschera aber rannte, was er laufen konnte, nach dem Jockeyklub, um dort die Neuigkeit zu verbreiten. Und schon im Morgenblatt der „Neuen Freien Presse“ konnte man es in den Personalnachrichten lesen, daß sich der ehemalige Baron Koloman von Isbaregg mit Frau Dagmar Tökely, Witwe nach dem auf dem Felde der Ehre gefallenen Rittmeister Grafen lmre Tökely, Tochter und alleinige Erbin des verstorbenen Baron Aarhuis aus Kopenhagen, verlobt habe.

Tante Rasumoffsky weinte vor Arger, ihr Neffe Hektor freute sich, die schöne Dunkelstein seufzte neidvoll und etliche kleine, liebe, amouröse Mädchen vergossen sogar Tränen, die vom Herzen kamen. Im großen und ganzen aber gönnte man dem schönen, geistvollen und liebenswürdigen Mann die millionenreiche Partie.

Dr. Löwenwald schüttelte den Kopf und wunderte sich. Er konnte keinen Reim auf diese Verlobungsgeschichte finden und war verlegen, als er dem Freund und der Freundin seine Glückwünsche brachte.


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