Hugo Bettauer
Hemmungslos
Hugo Bettauer

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VI. Kapitel

Am nächsten Morgen schlenderte Finkelstein eine gute Stunde lang mit der Schusterstochter unauffällig die Löwelbastei entlang, bis endlich das Doppelportal des Hauses aufgerissen wurde und langsam das offene Automobil herausfuhr, in dem Kolo saß. Der Reporter hatte mit dem Mädchen Deckung hinter einer Litfaßsäule gefunden und er kniff Cölestine in seiner Aufregung heftig in den Arm. Sie aber, von seiner Erregung angesteckt — rief leise immer wieder: „Natürlich, das ist er, gleich hab‘ ich ihn erkannt. Oh, was für ein schöner, feiner Mann!“

Glied an Glied schloß sich in der Kette der Beweise! Aber nun galt es das Schwierigste, das Geheimnis des Todes der Frau Isbaregg! Nachmittags fand Finkelstein, als er eben seine Pläne schmiedete, im Bureau schon die Antwort Isbareggs auf seinen Brief vor:

„Geehrter Herr! Mir ist der Name Johann Liechtenfels vollständig unbekannt und er war sicher niemals Offizier in meinem Truppenverbande. Trotzdem — schicken Sie den Mann zu mir, vielleicht kann ich ihm helfen.“

Finkelstein grinste. Die List war gelungen. Und nun nahm er den Postbegleitschein und verglich das „Johann“ in dem eben erhaltenen Briefe mit dem „Johann“, als der sich damals vor drei Jahren der Absender der Handtasche unterschrieben hatte. Zug um Zug dieselbe Schrift — man mußte kein Graphologe sein, um die Gleichheit feststellen zu können.

So, nun konnte er ja wohl zugreifen. Zuerst den großen Artikel schreiben, dann etwa um Mitternacht den Chef der Sicherheitspolizei aus dem Bett holen, ihm die Enthüllungen vorlegen und lsbaregg verhaften lassen. Ja, so würde es gehen, aber — was war denn mit dem anderen Fall, mit dem noch viel sensationelleren, mit der Ermordung der Frau Dagmar lsbaregg? Das würde dann die Polizei allein erheben und das Resultat natürlich allen Zeitungen gleichzeitig mitteilen. Also käme er um die Früchte dieser wüsten Sensation. Nein! Er, Finkelstein, mußte den Erfolg bis zur Neige auskosten, die „Morgenpost“ die ganzen Verbrechen des unheimlichen Multimillionärs enthüllen.

Schwierige, aufregende Tage kamen für Finkelstein. Er eruierte, wer von der Dienerschaft nach dem Tode der Frau Isbaregg entlassen worden war, und entschied sich für die Kammerzofe der Verstorbenen, die am ehesten einen Zipfel des Schleiers lüften könnte. Fräulein Rosa Langmann war jetzt Kammermädchen bei einer reichen Industriellensgattin und es war nicht allzuschwer, ihre Bekanntschaft zu machen. Aber das brave Mädchen war diskret, mißtrauisch, abweisend. Immer wieder schlich sich der Reporter an sie heran, er schenkte ihr Theaterkarten, schmeichelte ihr, wußte immer wieder das Gespräch auf ihre frühere Herrin zu bringen, bis langsam das Mißtrauen Rosas schwand und einer überlegenen Verachtung für den neugierigen Juden Platz machte, der aber schließlich ein ganz netter Mensch war und ihr Gelegenheit bot, jeden Sonntag ins Theater zu gehen.

Einmal, nach einer Opernvorstellung, ließ sie sich von Finkelstein in ein feines Gartenrestaurant führen und nach einer Flasche Wein wurde sie endlich gesprächiger. Der Journalist hatte ihr eingeredet, daß er Frau Dagmar gekannt und heimlich geliebt habe und daher sich für ihre Ehe und ihr Ende interessiere. Diesmal sagte er mit bewegter Stimme, daß ihn der Gedanke, Frau Dagmar sei vielleicht durch die Lieblosigkeit des Gatten in den Tod getrieben worden, nicht schlafen lasse. Und da erzählte denn Rosa:

„Lieblos war er eigentlich nicht, nur nach meinem Geschmack recht kalt, In der letzten Zeit war er übrigens sogar besonders nett zu der gnädigen Frau, während es ein paar Wochen vorher ordentliche Streitigkeiten und viel Tränen gab. Heute noch ist es mir aber ein Rätsel, warum die arme Frau sich umgebracht hat. Na, sie war halt furchtbar verliebt in den schönen Mann und wird wohl geahnt haben, daß er sich früher oder später doch von ihr abwenden würde! Wenn ein Mensch Näheres über die Herzensgeschichte der Frau lsbaregg weiß, dann bin natürlich nicht ich es sondern höchstens das Fräulein Esbersen, denn das war ihre beste und einzige Freundin.“

Finkelstein zappelte vor Erregung, sagte aber, als wäre er ganz ruhig:

„Esbersen, Esbersen — ich glaube, ich habe schon von ihr gehört!“

„Ja, Helga Esbersen, eine Landsmännin von der Frau lsbaregg! Sie schreibt Bücher, vielleicht haben Sie schon etwas von ihr gelesen. Jetzt lebt sie, glaube ich, in München, wenigstens ist sie plötzlich von hier dorthin gefahren und ihre Kondolenz an die Frau Tante der Frau Isbaregg kam auch noch aus München.“

Finkelstein wurde zerstreut und wortkarg, Rosa hatte plötzlich jedes Interesse für ihn verloren und er schützte Kopfschmerzen vor, um das Tete-à-tete bald beenden zu können. Am nächsten Tag aber nahm er im Bureau einen kurzen Urlaub und etwas Vorschuß und ließ sich auch von Frau Selma noch reichlich mit Geld versehen.


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