Hugo Bettauer
Faustrecht
Hugo Bettauer

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Drittes Kapitel

Die Maschinen der »Deutschen Republik« schienen von Tag zu Tag mehr in »Training« zu kommen, und in den letzten vierundzwanzig Stunden vor Erreichung der Neufundlandsinseln leisteten sie Enormes und schlugen den besten Weltrekord um etliche Knoten. Die Folge davon war, daß man morgens schon Land vor sich sah und die Gewißheit hatte, mittags in New York auf fester Erde zu speisen. Nervös, mit sich und ihrem Gepäck beschäftigt, die rasch geschlossenen Freundschaften schon wieder vergessend, eilten die Passagiere von einem Ort zum andern, während sich im untersten Schiffsraum zweitausend Auswanderer stumm und ängstlich zusammendrängten und der Verhöre durch die amerikanischen Emigrationsbeamten harrten, von denen es abhing, ob sie Eintritt in Onkel Sams großes Wunderland finden oder zurück in das Elend des zusammengebrochenen Europa geschickt werden würden. Und die meisten, denen heute Ellis Island als die Pforte zum Schlaraffenland erschien, ahnten nicht, daß es für so manche auch die Pforte zur Hölle bilden werde.

Fels und die schöne Amerikanerin standen auf Deck nahe der Schiffstreppe, während Herr Kerens mit der umständlichen Art des Trinkgeldverteilens beschäftigt war, und die Kammerzofe, die die Reise in der zweiten Kajüte mitgemacht hatte, zum letztenmal die Riemen der acht Koffer enger anzog. Wenige Schritte von Fels und Grace entfernt stand ein Pastor, der während der ganzen Überfahrt von Southampton her, wo er eingestiegen war, sich einsam und zurückgezogen gehalten hatte. Er las ununterbrochen die Bibel oder war in Gebete versunken, kaum, daß er jemals ein Wort mit einem Passagier wechselte. Zuerst hatte man allerlei Glossen über den frommen Herrn, der noch recht jung schien, gemacht, dann war man über ihn zur Tagesordnung übergegangen. Auch jetzt schien er in ein Gebet versunken zu sein, er stierte mit weit aufgerissenen Augen landwärts. Fels beobachtete ihn unwillkürlich und sagte dann zu Grace:

»Sehen Sie nur, glücklich scheint diesen Reverend die Frömmigkeit nicht zu machen. Seine Augen haben einen Ausdruck, als wenn er voll Angst und Entsetzen dem Leben entgegenblicken würde.«

In diesem Augenblick legte der kleine weiße Regierungsdampfer unter dem Sternenbanner an der Falltreppe des nur mit Zehntelkraft gleitenden Ozeandampfers an und ihm entstieg ein ganzes Bataillon von Zollbeamten, Ärzten, Einwanderungskommissären und natürlich auch Journalisten, die nach Persönlichkeiten, wert, interviewt zu werden, Umschau hielten. Einer der Schiffsoffiziere aber, der eben zu Fels und Miß Grace herangetreten war, pfiff vor sich hin und meinte halblaut:

»Ich glaube, da gibt es noch eine kleine Überraschung. Unter den Beamten befindet sich der Hilfs-Bundesmarschall mit einigen Leuten, denen man die Detektive auf eine halbe Meile Entfernung ansieht.«

Grace wurde aufgeregt und meinte, während sie mit fieberhafter Spannung auf die heraufkletternden Männer blickte, daß sich hoffentlich zum Abschluß noch eine interessante Episode abspielen würde. Auf eine Frage erklärte sie Fels, daß dem Hilfs-Bundesmarschall die Aufgabe zukäme, verfolgte Verbrecher aus Europa aufzuspüren und zu verhaften.

Die Beamten strömten nun nach den Speisesälen und dem Zwischendeck, um die Verhöre und Untersuchungen vorzunehmen, der Bundesmarschall aber begab sich direkt auf die Kommandobrücke, wo er mit dem Kapitän einige Worte wechselte, um sich dann mit ihm, seinen zwei Begleitern, gefolgt vom Zahlmeister, in die Kapitänskajüte zu begeben. Außer Fels und Grace wußten wohl nur die in der Nähe weilenden Schiffsoffiziere, um was es sich handelte. Sicher nicht der Pastor, der noch immer wie unbeweglich neben seinem unbeträchtlichen Handgepäck stand. Kerens kam, um Grace zum Zollverhör zu holen, aber sie winkte ab und schaute wie gebannt auf den Eingang zur Kapitänskajüte. Fels, den nun das Ankunftsfieber auch gepackt zu haben schien, wurde ersichtlich unruhig und nervös, aber er blieb bei Grace. Der Bundesmarschall kam mit den anderen Herren zurück, er sah sich im Kreise um, der Zahlmeister flüsterte ihm etwas ins Ohr und gab ihm einen Wink, und nun schritt er, gefolgt von den Detektivs, direkt auf den Pastor zu. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und rief laut: »Angeblicher Reverend Smitson, ich verhafte Sie – – – –«

Weiter kam er nicht, denn der Pastor, der bei der Anrede jäh zusammengefahren war, packte blitzschnell den Handkoffer, schleuderte ihn mit furchtbarer Wucht dem Bundesmarschall an den Schädel, so daß dieser ächzend zusammenfiel, und bevor sich noch die Detektivs auf ihn hatten stürzen können, flog er mit mächtigen Sätzen, links und rechts Fausthiebe austeilend, über Deck, schwang sich über die Planke und sauste mit einem Ruck in die Tiefe von etwa zehn Meter hinab auf den steinernen Hafenkai, an dem inzwischen das Schiff angelegt hatte. Er fiel, raffte sich auf, feuerte aus einem Revolver Schüsse gegen zwei Dockarbeiter, die ihm entgegentraten, und lief weiter. Hinter ihm her die Detektivs, von denen einer ihn mit mächtigen Sätzen erreichte und nach kurzem Handgemenge überwältigte. Bis auf Deck hörte man das Klirren der Handschellen, – die Episode war vorbei!

Fels, der totenbleich geworden war, Grace, der die Aufregung die Röte ins Gesicht getrieben hatte, und andere Passagiere umringten den Kapitän, der eine kurze Erklärung abgab: Der angebliche Pastor war ein Londoner Buchhändler, der seinen Kompagnon vergiftet hatte, um den Buchladen allein zu besitzen. Ein drahtloser Steckbrief war hinter ihm hergegangen, und da man glaubte, zu wissen, daß er im Gewande eines Pastors nach Amerika unterwegs sei, war seine Verhaftung eben kein besonderes Kunststück.

Zoll- und Einwanderungsverhör waren vorüber, die Passagiere verließen in der Schiffshalle von Hoboken den Ozeandampfer, der durch eine kurze Woche ihr Heim gewesen war, und Fels verabschiedete sich von Herrn Kerens und Miß Grace, die ihm noch lachend gesagt hatte:

»Sehen Sie, in diesen Mörder würde ich mich allerdings nicht verlieben können. Ein Mord wegen eines Buchladens, pfui! Und dazu diese alberne Verkleidung, dieser läppische Fluchtversuch, statt sich ins Meer zu werfen!«

Grace fuhr mit ihrem Vater in ein vornehmes Privathotel, in dem sie radiotelegraphisch ein Appartement bestellt hatten, Fels aber nach dem Waldorf-Astoria, dieser amerikanischen Riesenkarawanserei, nach der er sich schon zu einer Zeit gesehnt hatte, da er noch ein armer Journalist gewesen war.

 


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