Hugo Bettauer
Faustrecht
Hugo Bettauer

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Dreizehntes Kapitel

Dieser Tag erwies sich als ein kritischer erster Ordnung, voll von Überraschungen und schicksalsschweren Entscheidungen. Kriminalkommissär Doktor Bär hatte um die vierte Nachmittagsstunde eben das Verhör mit Schmiedeisen beendet, das recht glatt verlief, da der Strolch nach Zusicherung eines Schweinebratens mit Kraut zum Nachtmahl sein Geständnis höchst ausführlich und mit allen nur wünschenswerten Details und Aufklärungen zu Protokoll gab. Er wurde dann nach seiner Zelle geführt, vorher aber noch einer gründlichen Leibesvisitation unterzogen, wie es den behördlichen Anordnungen entspricht. Dr. Bär arbeitete indessen das Protokoll ordentlich aus, um womöglich noch am selben Tage den Akt dem Landesgericht überweisen zu können und damit endgültig den Fall »Goldblatt« los zu sein. Plötzlich klopft es heftig an die Türe seines Bureaus und sichtlich aufgeregt trat einer der Detektive ein, der bei der Verhaftung des Schmiedeisen geholfen und jetzt bei der Leibesvisitation assistiert hatte.

»Herr Doktor,« rief der Mann ganz außer Atem, »ich bring' Ihnen eine ungeheure Überraschung. Da schauen S', Herr Doktor, was wir in der Rocktaschen von dem Schmiedeisen gefunden haben!«

Und schon hielt Dr. Bär eine Platinnadel mit einem großen, leuchtenden Smaragd in der Hand, wie er ihn in gleicher Schönheit und Reinheit noch niemals gesehen hatte.

Selbst den sonst so gelassenen und beherrschten Kriminalbeamten verließ die Fassung, er sprang erregt auf, sah den Detektiv mit einem tiefen, verständnisvollen Blick an und sagte dann hastig:

»Um Himmels willen, das ist, wenn nicht ein ungeheuerlicher Zufall mit uns seine Possen treibt, nichts anderes als der Smaragd der Frau Mabel Langer, den ihr Gatte als Kostbarkeit sondergleichen angegeben hat.« Der Detektiv, der auch im Falle »Mabel Langer« mitarbeitete, nickte schweigend.

Bär überlegte einige Augenblicke und sagte dann:

»In wenigen Minuten können wir die Wahrheit wissen. Herr Langer wohnt ja seit der Mordtat im Hotel ›Bristol‹; hoffentlich ist er zu Hause.«

Die telephonische Verbindung war rasch hergestellt und wirklich war Herr Langer im Hotel. Dr. Bär teilte ihm in ruhiger und höflichster Weise mit, daß ein wichtiges Ereignis es notwendig mache, ihn sofort zu sprechen, und bat den Millionär, sich auf kürzestem Wege nach der Polizeidirektion zu begeben, was Herr Langer auch zusagte. In den wenigen Minuten, die bis zur Ankunft Langers verstrichen, ließ sich Dr. Bär von dem Detektiv berichten, was dieser über den Fund der Smaragdnadel zu erzählen hatte. Die Leibesvisitation bei Schmiedeisen verlief in der üblichen Weise; in der Geldbörse befand sich ein unbedeutender Betrag neben etlichen Versatzscheinen, in den Taschen lag das obligate Schnappmesser mit Einbrecherwerkzeugen und anderen nicht erwähnenswerten Gegenständen friedlich zusammen. Als aber der Hausbeamte zum Schluß noch in die obere äußere Rocktasche des Verbrechers griff, fand er die Nadel mit dem herrlichen Stein. Der Detektiv versicherte:

»Wir standen wie niedergedonnert da, und auch der Schmiedeisen glotzte die Nadel an, als würde er von ihrer Existenz keine Ahnung haben. Und als ich ihn nach der Herkunft fragte, schien er ganz verwirrt zu sein und wiederholte ein um das andere Mal: ›Davon weiß i nix, den grüanen Stein seh' ich heut' zum erstenmal in mein' Leben!‹«

Dr. Bär ließ sich nun rasch aus dem Archiv das nach den Angaben des Herrn Langer angelegte Verzeichnis der in der »Villa Mabel« geraubten Juwelen geben, verständigte den Polizeipräsidenten durch das Haustelephon von dem Geschehnis und empfing Herrn Langer, der eben gekommen war.

Der Fabrikant und Millionär war totenbleich, als er vor den Kriminalkommissär trat, die Augen lagen ihm tief in den Höhlen und die Stimme, mit der er Bär um sein Anliegen fragte, war heiser, tonlos, fast erstickt. Bär sah ihn prüfend an, ließ ihn Platz nehmen und hielt ihm dann auf der flachen Hand das Schmuckstück hin, dessen Feuer im elektrischen Licht mit unheimlicher Glut leuchtete.

»Kennen Sie dies, Herr Langer?«

Langer sprang auf, ergriff mit zitternden Händen die Nadel und es klang mehr wie ein Keuchen als wie ein Sprechen:

»Um Himmels willen, – das ist ja die Nadel meiner Frau, die damals geraubt wurde.«

»Nur das wollte ich wissen, Herr Langer, und deshalb habe ich Sie herbemüht. Diese Nadel wurde heute im Besitze eines gemeingefährlichen Verbrechers, der wegen eines anderen Raubmordes verhaftet ist, gefunden.« Dr. Bär erzählte weitere Einzelheiten und mit steigender Verwunderung sah er dabei, wie in das Gesicht seines Besuches die Farbe zurückkehrte, wie seine Stimme wieder frei und hell wurde und ihn scheinbar das Erwachen aus einer tiefen Betäubung zu einem anderen Menschen werden ließ. Nochmals sah er den seltenen Stein an, bis er schließlich ausrief:

»Aber damit ist ja auch die Unschuld meines Privatsekretärs vollständig erwiesen, und dies ist mir noch erfreulicher, als das Wiedersehen mit dem Smaragd.«

»Ja, Herr Langer, jetzt muß ich wohl auch an die Unschuld des Doktor Holzinger glauben, und er dürfte heute noch ein freier Mann sein.«

Herr Langer bekundete protokollarisch, daß der bei Schmiedeisen gefundene Smaragd identisch mit dem seiner Frau geraubten sei, und damit war für ihn die Affäre erledigt, die Nadel durfte er mitnehmen. Dr. Bär aber sah ihm kopfschüttelnd nach, bevor er die weiteren Amtshandlungen vornahm, die die Entdeckung des Edelsteines erforderte.

Schmiedeisen wurde vorgeführt. Er blieb bei seiner Behauptung, von der Existenz der Smaragdnadel keine Ahnung gehabt zu haben und mit dem Mord in der »Villa Mabel« in keinerlei Zusammenhang zu stehen. »Schau'n S', Herr Doktor,« beteuerte er immer wieder, »i hab' ja eh alles eing'standen und mehr als einmal kann man mi ja net aufhängen, alsdann warum sollt' ich jetzt grad die G'schicht' leugnen? I waß nix davon und i kann mir nur denken, daß mir aner von die sauber'n Brüder im ›Café Tiger‹ die Nadel in den Rock g'steckt hat aus Furcht, daß man sie bei ihm finden tät'.«

Das war schließlich eine Theorie, die sich nicht so ohneweiters von der Hand weisen ließ, aber Dr. Bär neigte mehr zu der Annahme, daß Schmiedeisen bei dem Morde als Helfershelfer tätig gewesen und nun alles abstritt, um seine Kumpane nicht zu verraten.

Dann aber kam der für den Kriminalkommissär feierliche Moment, wo Dr. Holzinger in Kenntnis gesetzt wurde, daß seine Unschuld erwiesen sei. Müde, blaß und fast schon verzweifelnd betrat Holzinger, von einem Aufseher geleitet, das Zimmer des Beamten, in dem er schon so viele qualvolle Stunden zugebracht hatte. Diesmal aber war der Empfang ein wesentlich anderer als sonst. Dr. Bär schickte den Aufseher durch eine Handbewegung hinaus, ging Holzinger einige Schritte entgegen, streckte ihm beide Hände zu und sagte herzlich und warm:

»Herr Doktor, ich, der ich Ihnen so viel Leid und Kränkung zugefügt habe, darf Ihnen nun von ganzem Herzen gratulieren. Ihre Unschuld ist fast einwandfrei erwiesen und Sie werden heute noch nach Erledigung einiger Formalitäten ein freier Mann sein!«

Holzinger begann zu schwanken, verdeckte die Augen mit den Händen und es kam wie ein tiefes Schluchzen aus der Brust des gehetzten und gemarterten Mannes. Der Beamte legte fast zärtlich seinen Arm um die Schulter Holzingers, erklärte ihm mit kurzen Worten das Vorgefallene und sagte zum Schluß:

»Sie sollen mir keine Vorwürfe machen; ich habe schließlich nichts getan als meine Pflicht, und Sie selbst gaben ja zu, daß gewichtige Momente gegen Sie sprachen. Ich freue mich von ganzem Herzen, daß nun Ihre Unschuld, an die ich tief in meinem Innern immer geglaubt habe, erwiesen ist. Ich freue mich Ihrethalben und für die beiden Frauen, die so fest an Sie geglaubt und so viel um Sie gelitten haben. Über Ihre Zukunft dürfen Sie sich aber keinen Sorgen hingeben. Sie werden vom Staat eine angemessene Entschädigung für das erlittene Unrecht bekommen. Herr Langer wird Ihnen sicher die alte Stellung wieder einräumen, und auch mein Freund, Herr Fels, der so warm für Sie eingetreten ist, wird alles, was in seinen Kräften steht, tun, um Sie zu fördern.«

Holzinger, der sich wieder gefaßt hatte und nun selig vor sich hin lächelte, erwiderte:

»Das alles erscheint mir jetzt so geringfügig und nebensächlich! Ich habe die Freiheit wieder und meine Ehre und das Leben liegt offen vor mir.«

Wohl oder übel mußte Dr. Holzinger sich nochmals in seine Zelle zurückbegeben, um sein Bündel zu schnüren und auf die Ausfertigung der verschiedenen Papiere zu warten, die auch der republikanische Amtsschimmel unbedingt erforderte. Dr. Bär arbeitete mit größter Beschleunigung an diesen Akten, schickte sie zur Unterschrift dem Polizeipräsidenten und machte sich daran, den Bericht für die offizielle Polizeikorrespondenz zu entwerfen. Er sah auf die Uhr, es war sechs, Fels also schon im Bureau. Bär wollte nicht, daß der befreundete Journalist die neue Sensation erst durch den Polizeibericht erfahre, klingelte ihn an und gab ihm kurz Bescheid, wobei er mit Genugtuung konstatierte, daß Fels vor seinem Telephon einen Indianertanz aufführte. Zum Schluß fragte Fels, ob die Mutter Holzingers schon unterrichtet sei.

»Nein, ich habe dazu noch keine Zeit gehabt, übrigens auch überflüssig, da mir soeben der Enthaftungsbefehl mit der Unterschrift des Präsidenten gebracht wird. In einer halben Stunde ist Holzinger ohnedies zu Hause.«

Aber Fels wollte sich damit nicht begnügen. Er mußte der erste sein, durch den die alte Dame von ihrem Glück erfuhr, und ohne von dem Widerspruch Grubenhelds Notiz zu nehmen, ergriff er Hut und Rock, um fortzueilen. Er kam aber nicht weit, denn noch auf der Treppe stieß er mit Elsbeth Volkmar zusammen, die ihn in Gesellschaft eines mageren jungen Mädchens eben hatte aufsuchen wollen. Elsbeth war fieberhaft aufgeregt, ihre Wangen glühten und sie sprudelte die Worte hervor:

»Herr Redakteur, jetzt ist alles gut, jetzt kann dem Robert nichts mehr geschehen.«

»Sie wissen schon?« meinte Fels fast enttäuscht.

»Wissen? Natürlich; nur wir, die Mutter, ich und das Fräulein, können es ja wissen.«

Fels sah, daß hier wieder eine neue Geschichte vorlag, und führte die Mädchen in das Sprechzimmer. Elsbeth stellte ihre Begleiterin als Fini Herlinger vor, und diese erzählte nun eine seltsame Geschichte:

»Ich wohne mit meinen Eltern Tür an Tür mit den Holzingers. In der Nacht vom fünften zum sechsten Februar fühlte ich mich nicht wohl, ich wachte oft, von heftigen Magenschmerzen gequält, auf. Einmal hatte ich so großen Durst, daß ich aufstand, um mir ein Glas Wasser zu holen. Das Haus ist altmodisch und für alle Parteien auf einem Stockwerk befindet sich nur ein Wasserauslauf auf dem Korridor. Ich nahm über das Nachthemd ein Tuch und ging auf den Korridor, um zu trinken. Als ich zurückgehen wollte, hörte ich Schritte auf der Treppe und ich erkannte den Herrn Doktor Holzinger, da der Mond ein wenig die Finsternis erhellte. Ich wollte mich von ihm nicht sehen lassen und drückte mich an die Mauer, bis er vorüber und in seiner Wohnung verschwunden war. Nun konnte auch ich mich wieder in mein Zimmer begeben. In diesem Moment schlug die Kirchenuhr einmal, ich wußte nicht, ob es halb eins oder halb zwei oder mehr war. Ich zündete daher ein Streichholz an und sah auf der Wanduhr, daß es schon viertel drei war. Ich habe mir das so genau gemerkt, weil ich mich über das späte Nachhausekommen des Herrn Doktor Holzinger, der sonst sehr solid ist, wunderte.

Am nächsten Morgen war ich schwer krank, ich fieberte stark und der Arzt konstatierte eine Wurstvergiftung. Ich wurde ins Allgemeine Krankenhaus gebracht, wo ich mehr als vier Wochen blieb und zwischen Tod und Leben schwebte. Heute wurde ich in häusliche Pflege entlassen und nun erfuhr ich erst von dem furchtbaren Mord im Cottage und der Verhaftung des armen Doktor Holzinger. Mein Vater hat aus der ›Kronen-Zeitung‹ alle Artikel über den Mord ausgeschnitten und für mich aufgehoben und so erfuhr ich heute alles ganz genau und sah, daß Herr Doktor Holzinger nur deshalb in Haft ist, weil er nicht nachweisen kann, daß er sich vom ›Grabencafé‹, wo er noch um dreiviertel zwei Uhr gesehen wurde, direkt nach Hause begeben hat. Ich kann dies aber ganz genau nachweisen, und nun muß man den Herrn Doktor wohl freilassen. Ich habe das sofort der Frau Holzinger gesagt, sie holte rasch das Fräulein Elsbeth und wir sind zu Ihnen gelaufen, damit Sie dem Herrn Doktor heute noch die Freiheit verschaffen.«

Fels schüttelte dem energischen jungen Mädchen die Hand und wandte sich an Elsbeth:

»Es ist eine seltsame Fügung des Schicksals, daß diese Enthüllung uns gerade heute kommt, wo die Unschuld Ihres Bräutigams auch durch andere gewichtige Tatsachen erhärtet ist.« Fels erzählte, was ihm eben Dr. Bär telephoniert hatte, und fügte hinzu:

»Nun rasch nach der Florianigasse, Sie werden dort Ihren Bräutigam schon vorfinden. Ich aber setze mich jetzt an meine Schreibmaschine und verfasse den größten und vielleicht letzten Sensationsbericht meines Lebens.«

 


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