Hugo Bettauer
Das blaue Mal
Hugo Bettauer

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Vor einem Restaurant stand in der Türfüllung breit und behäbig ein Neger mit einer knallgrünen Krawatte, einem mächtigen falschen Diamanten am rechten Zeigefinger und goldenen Zähnen, die in die Nacht hinaus gähnten.

Carlo fühlte sich so elend, daß er mitten im Lichtkegel der offenen Türe stehen blieb und sich an die Mauer lehnte.

»Krank, Mister?« fragte der dicke Neger teilnahmsvoll und seine kohlschwarzen Kinderaugen glotzten den Fremden neugierig an. Und Carlo kam sich so jammervoll, so hilfsbedürftig vor, daß er fast unbewußt die Worte hervorstammelte:

»Ich bin müde, hungrig und habe kein Obdach!«

Der schwarze Wirt griff in die Hosentasche, überlegte, nahm dann Zeller am Arm und sagte ruhig:

»Sie sollen sich satt essen! Kommen Sie herein!«

Und er führte Zeller an einen Tisch, klatschte in die Hände und flüsterte einer schwarzen, noch dickeren Frau mit mächtigen Korallen in den Ohren ein paar Worte zu. Bald darauf watschelte die Negerin, die Frau des Wirtes, mit einem Teller Suppe, Brot, Butter und einer Schüssel Fleisch herbei und sagte, während sie von einem Ohr bis zum anderen grinste:

»So, essen Sie sich ordentlich satt, junger Mann! Und nicht traurig sein! Ist schon mehr als einer niedergebrochen und dann doch noch reich wie Vanderbilt geworden!«

Diskret entfernte sie sich ebenso wie ihr Gatte, und es schien Carlo, als wenn auch die anderen schwarzen Gäste, die den Vorgang beobachtet hatten, nun ostentativ wegschauen würden, um ihn beim Essen nicht zu stören.

Erst als er fertig war, setzte sich der Wirt zu ihm, ein paar andere Neger taten desgleichen, die Wirtin brachte Bier, und plötzlich saß Carlo mitten unter denen, die nach Ansicht der Amerikaner seine Genossen waren. Sein Humor regte sich, er fand die ganze Situation grotesk und burlesk, außerdem aber durchaus nicht unbehaglich. Nun befand er sich unter Leuten, die ihm sicher keine Kränkung zufügen, ja wahrscheinlich sogar Verständnis für seine Leiden haben würden. Und auf die Fragen der Neger erzählte er kurz von seinem Leben und den traurigen Erfahrungen, die er in Amerika gemacht.

Die Neger steckten die Köpfe zusammen, sahen ihn fast ehrfürchtig an, er hörte, wie der eine dem anderen zuraunte: »Er ist ein Studierter, ein gelehrter Mann, drüben hat er nur unter Weißen gelebt.«

Aber sein Leid konnten sie doch nicht erfassen. Der Wirt wiegte bedächtig das wollige Haupt.

»Es wird sich ganz leicht ein guter Job für Sie finden. Gebildete Leute wie Sie, die Sprachen sprechen, findet man nicht leicht unter uns. Vorläufig könnte ich Sie ganz gut bei mir gebrauchen als Kellner und um in der Küche zu helfen, weil sich meine Alte sonst zu Tode schindet. Was, Mammi? Aber ich will auch mit dem Direktor der Schule nebenan sprechen, sicher weiß er etwas für Sie. Wie gesagt, mit der Bildung steht es bei uns noch recht schlecht.«

Carlo schüttelte verzweifelt und mutlos den Kopf. Wie sollte er sich verständlich machen, ohne die Leute zu beleidigen? Endlich sagte er zögernd:

»Gentleman, Sie müssen mich recht verstehen! Nicht als ob ich glauben würde, ich sei, weil mein Vater ein Weißer war, etwas Besseres als jeder andere, der nur schwarzes Blut hat. Nein, aber ich bin nun einmal unter Weißen aufgewachsen, habe mich nie anders als jeder Europäer gefühlt, und will mich nicht durch brutale Gewalt irgend wohin drängen lassen, wohin ich nach meiner Ansicht nicht gehöre.«

Fassungslos sahen die Männer einander an.

»Ja, aber wenn die Weißen Sie doch nicht unter sich leben lassen wollen und Sie es unter den Farbigen gut haben können?«

Ein seltsam anzusehender Vollblutneger mit schneeweißem Haar und Brille war eingetreten, hatte stehend den größten Teil der Unterhaltung angehört. Er wurde nun als Reverend Jonas angesprochen, sehr ehrerbietig behandelt und aufgefordert, Platz zu nehmen. Der Methodistenpastor lehnte ab, sah Carlo groß an und sagte:

»Junger Mann, gehen Sie ruhig nach Europa zurück und genießen Sie dort die Rechte, die man Ihnen einräumt, weil man von dieser Seite der Rassenprobleme dort nichts weiß. Wenn Sie aber hier bleiben wollen, dann müssen Sie sich in unser Lager begeben und Neger werden! Nie werden Sie hier ein weißes Weib freien können, und Ihre Kinder würden ja doch wieder zurückkehren zu den Farbigen! Ich weiß ganz gut, im Innern Ihres Herzens verachten Sie den dummen, plumpen Neger. Überwinden Sie sich, helfen Sie ihn zu erziehen, statt zu verachten, und Sie werden manch Goldkörnchen unter der schwarzen Haut blinken sehen und erfahren, daß der Neger dankbar sein kann, wie kein anderer.«

Reverend Jonas ging wieder, die anderen nickten, ohne die Worte ganz erfaßt zu haben, Carlo wurde nachdenklich, in jähem Wechsel begannen die Gedanken in seinem Hirn zu kreisen.

Das Gespräch wandte sich von Carlo ab, den Interessen der anderen zu. Geschäftliche Dinge wurden besprochen, von kleinen Veränderungen erzählt, die sich in der Nachbarschaft ereignet. Der Barbier Sam Lincoln habe sich unvermutet mit der Tochter des Schuhhändlers Washington Robbin verheiratet, die Frau des Tischlers Soundso Zwillingen das Leben geschenkt, die aber, obwohl sie wie ihr Gatte Vollblut seien, durchaus wie Mulatten aussehen. Man lachte grinsend und erzählte dann einander allerlei schlüpfrige Geschichten.

Carlo dachte: Ich kann mit bestem Willen nicht zugeben, daß sich diese Leute von Weißen desselben sozialen Milieus und Bildungsgrades irgendwie unterscheiden. Genau so würde die Unterhaltung aussehen, wenn ich hier in Posemuckel oder gar in Berlin oder Wien in einem Vorstadtwirtshaus am Stammtisch mit Gevatter Schneider und Sattler säße. Ja, sie riechen anders, das spürt meine Nase, und sie sehen anders aus, das sehen meine Augen, und sie sprechen ein seltsames Englisch, als würden sie ihre wilde afrikanische Sprache noch nicht ganz überwunden haben. Aber sonst empfinde ich sie wie Müller und Schulz, wie Smith und Jones, wie Boulanger und Dupont! Vielleicht ein wenig naiver noch, ganz unangekränkelt von der Gedanken Blässe, aber gutmütiger und herzlicher sind sie sicher, als es die Duponts und Müllers zu sein pflegen!

Plötzlich horchte Carlo hoch auf. Ein Neger erzählte, daß sein jüngerer Bruder, der gerade stellenlos sei, sich nach Alabama zum Holzfällen verdungen habe. Eine große Gesellschaft habe ungeheuere Waldungen im Staate Alabama längs des Flusses Alabama erworben, Urwälder, die nun ausgerodet werden sollen, einerseits, um Baumwolle an ihrer Stelle anzupflanzen, andererseits um das Holz stromabwärts nach New Orleans zu bringen, von wo aus es nach England verschifft werden würde. Das alles soll bis zum Frühjahr vollendet sein, und die Gesellschaft werbe nun Zehntausende von Händen unter recht günstigen Bedingungen an. Alles frei und täglich drei Dollar, und für den, der bis zum Schlusse bleibt und seine Arbeit macht, noch eine Prämie von fünfzig Dollar. Übermorgen schon würde ein riesiger Extrazug mit ein paar tausend Leuten von New York abgehen.

Carlo, der gespannt zugehört hatte, warf eine Frage ein:

»Es werden wohl nur Farbige angeworben?«

»Keine Spur,« lachte der Neger, »Weiße und Farbige und Gelbe! Wo es um harte Arbeit geht, hört hierzulande der Unterschied auf. Aber nur starke Leute werden genommen, bei denen man nicht riskiert, daß sie nach ein paar Tagen krank zusammenbrechen.«

Prüfend maß er Carlo mit den Augen.

»Wäre für dich nichts, glaube ich, siehst eher aus, als wenn du gute Hirnarbeit leisten könntest!«

Carlo reckte sich lächelnd.

»Oh, ich bin stark wie nur einer und nehme es im Boxen und Ringen, im Stemmen und Heben mit jedem auf, der zweimal so viel wiegt wie ich.«

Er ließ sich die Adresse der Anwerbungsstelle geben. Sein Plan war gefaßt. Nur fort von hier, sich nicht hinein zu den Negern zerren lassen. Monate hart arbeiten und schuften wie ein Tier, aber dann im Frühling mit ein paar hundert Dollar in der Tasche zurück nach Europa, nach Wien, als Weißer unter Weißen!

Es war Mitternacht, die Gäste gingen. Mammi machte Carlo auf ein paar Stühlen das Lager zurecht und der Wirt drückte ihm einen harten Silberdollar in die Hand:

»Wenn Sie mit Geld aus Alabama zurückkommen, so können Sie es mir wiedergeben.«

Gerührt schüttelte ihm Carlo die schwarze Hand. War das nicht die erste warme Menschlichkeit, die ihm in diesem Lande begegnete?

Tief und schwer schlief Carlo auf dem improvisierten Lager. Aber die bösen, finsteren Gedanken, die ihn in der letzten Zeit unablässig verfolgt, blieben ihm diesmal ferne, Abenteuerlust, der Wunsch, sich mit diesem seltsamen Leben ordentlich zu raufen, beherrschten ihn, er sah wieder Ziel und Weg, und in weiter Ferne leuchteten ihm der Dom von St. Stephan, die Ringstraße, die schönen Wienerinnen und der Kreis von Gleichgesinnten, in den er wieder eintreten wollte, wenn er erst aus eigener Kraft sich dem Banne Amerikas entzogen hatte.

*


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