Hugo Bettauer
Das blaue Mal
Hugo Bettauer

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Oberst Whilcox begrüßte den Gelehrten herzlich und überaus pathetisch, wie überhaupt der hagere lange Herr ein wenig an einen Komödianten erinnerte. Während das Gepäck Professor Zellers auf dem eleganten, mit zwei prachtvollen Trabern bespannten Wagen verstaut wurde, konnte der Angekommene sich ein wenig umsehen.

Der primitive Bahnhof von Irvington, der wie ein Holzschuppen aussah, stand mitten in der Stadt, und zwar auf dem Hauptplatz, der ein seltsames Bild bot. Zwei Warenhäuser nebeneinander, mit mächtigen Auslagefenstern, grellen Plakaten, bekleideten Damenpuppen, zwischen Stoffen und Kleidern Bonbons gestreut, dann vier unendlich primitive und geschmacklose Kirchen in der Runde, von denen nur eine, die Kirche der Baptisten, aus Stein war, während die anderen Holzbauten waren und durch ihre niederen Türme und die marktschreierischen Aufschriften, durch die der Gottesdienst warm wie ein Ausverkauf von Hemden empfohlen wurde, erraten ließen, daß es sich um Gotteshäuser, und zwar um presbyterianische, lutheranische und katholische handelte. Zwischen den Kirchen und Warenhäusern schmale Wohnhäuser, im Erdgeschoß meist Likör- und Bierkneipen, in mindestens dreien aber Apotheken, aus denen die weibliche Hautevolee von Irvington eben neugierig, das Glas mit den Eiscremen noch in den Händen, herausströmte, um die Ankömmlinge zu begucken. Der blonde Deutsche schien Eindruck zu machen. Man hatte von seiner bevorstehenden Ankunft wohl schon vernommen, neugierige, musternde und kokette Blicke trafen ihn, und Professor Zeller konstatierte nicht ohne Behagen, daß fast alle diese Weiblichkeit sehr schick gekleidet und schlank, rassig und hübsch war.

Zwei Neger waren indessen mit dem Gepäck fertig geworden, der schwarze Kutscher hatte die Zügel ergriffen, der Oberst neben seinem Gast Platz genommen, und die Füchse griffen aus. Durch die hübsche asphaltierte Straße, in der wohl die gute Gesellschaft Irvingtons ihre Häuser hatte, ging es, dann aber änderte sich das Bild. Der Wagen zitterte auf seinen Gummirädern durch schmutzige, verwahrloste Straßen, und aus den drei- und vierstöckigen Häusern lugten links und rechts aus allen Fenstern und Haustoren nichts als Negerköpfe. Im Flug sah Zeller kohlschwarze Neger reinster Rasse, braune Mulatten, gelbgraue Terzeronen, allerliebste kleine schokoladebraune Negerkinder, die sich halb nackt auf der Straße balgten; mitunter aber erblickte er auch junge schlanke Negermädchen, deren eigenartige Schönheit in die Augen fiel.

Oberst Whilcox, der den Augen Zellers gefolgt war, nickte: »Ja, von der Sorte haben wir genug hier! Von Jahr zu Jahr mehr farbiges Volk, das sich wie die Kaninchen vermehrt, während unsere Frauen gar keine Kinder oder höchstens eines haben.«

»Macht sich dieser schwarze Zuwachs irgendwie unangenehm bemerkbar?«

»Das gerade nicht, im Gegenteil, wenigstens fehlt es in den letzten Jahren bei der Ernte nicht an Hilfskräften. Und wir sorgen schon dafür, daß das Gesindel nicht aufmuckst! Unsere jungen Leute verstehen in dieser Hinsicht keinen Spaß.

Erst vor ein paar Tagen war so ein schwarzer Haderlump von einem methodistischen Wanderprediger hier, um seinen Rassegenossen irgendeinen Schwindel von Gleichberechtigung vorzumachen. Na, bevor der Tag um war, wurde er geteert und gefedert und aus der Stadt gepeitscht!«

Eine Wolke des Unmutes flog über das offene helle Gesicht Zellers. Er, der in der Pflanzenwelt die Berechtigung jedes lebenden Fädchens, die Entwicklung von Stufe zu Stufe, das Wachstum aus der Urzelle heraus sehen gelernt hatte, konnte Rassenvorurteile nicht verstehen, durchdrungen davon, daß alles auf der Welt seine tiefe Bedeutung, seine Berechtigung und vor allem die fast schrankenlose Entwicklungsfähigkeit hatte. Für ihn waren die Neger nur Menschen mit anderer Hautfarbe, aber durchaus nicht minderwertig, höchstens auf einer tieferen Zivilisationsstufe stehend, von der aus sie der weiße Gärtner mit Milde und Liebe heben könnte.

Oberst Whilcox sah auf seine Uhr und schlug mit dem Reitstock dem Kutscher derb auf die Schulter: »Rasch, Sam, rasch, schlaf nicht ein.« Und zu Zeller gewandt: »Wir sind etwas verspätet und Mrs. Whilcox liebt es nicht, mit dem Essen zu warten.«

Zeller lächelte unwillkürlich. Also war auch dieser hagere, sehnige Mann mit der gebieterischen Nase ein Pantoffelheld, wie fast alle Amerikaner. Und die Tatsache, daß hierzulande die gebildeten Leute von ihrer Frau nur per Frau So und So sprachen, erschien ihm bedeutungsvoll und durchaus keine leere Formsache. In Europa besaß man eben eine Frau, hier war man mit einer Dame verheiratet. – Ein frischer Abendwind blies, und der Wagen jagte jetzt zwischen endlosen Baumwollstauden dahin. Der Oberst deutete auf einen obeliskartigen Stein. »Bis hierher geht die Plantage meines Nachbarn Perkins, von da an bis zu meinem Haus gehört alles mir.«

Kleine Blockhütten tauchten auf, aus denen sich Negerkinder und dicke schwammige Negermamas drängten. Unwillkürlich erinnerte sich Zeller der Geschichten aus der Sklavenzeit, und er zweifelte daran, ob sich im Kern viel geändert haben mochte. Die gut erhaltene Landstraße machte eine Kurve, die Pferde fielen in langsamen Trab. Da bot sich die Gelegenheit, eine vollbusig schwarze Frau und ein junges Mädchen, die beide vor einer Hütte standen, ganz nahe zu sehen. Ein Ausruf der Verwunderung entfuhr seinen Lippen: dieses Mädchen, halb Kind, halb Weib, war von einer eigenartigen Schönheit, die jeden Kenner gefangen nehmen mußte. Es war ersichtlicherweise keine Vollblutnegerin, sondern ein Mischling, die Hautfarbe mattbraun, und die bloßen Füße sowie die fast bis zu den Knien nackten Beinen von edelster Form, und aus dem schmalen Gesicht mit dem kleinen Mund, dessen Lippen voll, aber nicht wulstig waren, leuchteten große Augen, von langen, dichten Wimpern umschattet. Die Frau und ihre Tochter grüßten tief und ergeben, und ein baumlanger, schwarzer Kerl, der eben aus dem Garten hinzutrat, schwenkte ehrerbietig seinen Strohhut. Oberst Whilcox nickte kaum. Zeller hingegen dankte freundlich. Der Wagen flog in vollem Trab weiter und der deutsche Gelehrte fühlte förmlich, wie ihm das braune Kind nachsah. Er wollte an seinen Gastgeber eine Frage richten, dieser kam ihm aber zuvor und sagte nach rückwärts deutend:

»Eine brave ordentliche Frau, die früher bei uns im Hause gearbeitet hat. Ihre Tochter ist ein auffallend hübsches Ding, natürlich irgendein weißer Mann der Vater. Mit dem Kerl, den die gute Bessie später geheiratet hat, hat sie ihre liebe Not. Ein fauler Galgenstrick, hinter den Weibern her, säuft wie ein Schwamm und prügelt seine Frau, die mir neulich weinend gestanden hat, daß sie ihre Tochter, die kleine Karola, die Sie eben gesehen haben, vor ihm hüten muß. – Na, schließlich gleichgültig, ob der oder ein anderer Strolch es sein wird . . .«

Zeller fühlte einen dumpfen Zorn in sich aufsteigen, den er aber mit Erfolg niederkämpfte. Andere Lebensauffassung, dachte er, ich muß erst in die Dinge hineinblicken, bevor ich hier Recht und Unrecht, Moral und Unmoral unterscheiden kann.

Und nun fuhr der Wagen vor dem »großen Haus« vor, wie noch immer die Villen der Plantagenbesitzer im Gegensatz zu den Negerhäusern genannt werden. Weiß leuchtete ihnen der schöne, langgestreckte, aber nur einstöckige Bau entgegen. Eine mächtige Terrasse, die sogenannte »Porch«, getragen von schönen, schlanken Säulen, zog sich um das ganze Hochparterre des Steinbaues. Von der Terrasse aus führte das Hauptportal in die geräumige, kühle Halle, um die herum die Wohnräume, das Speisezimmer, die Bibliothek und verschiedene kleine Gesellschaftsräume lagen. Eine dunkelbraun gebeizte, mit Teppichen belegte Treppe führt in die im ersten Stock gelegenen Schlaf-, Gast- und Badezimmer, während vom Garten aus rückwärts ein paar Stufen hinabgingen in die Küche, in die Zimmer des Gesindes. Alle diese Landhäuser in den ganzen Vereinigten Staaten weisen fast dieselbe Anordnung und Bauart auf und divergieren nur durch das Material, aus dem sie erbaut sind, und ihre Größe. Das große Haus des Obersten Whilcox aber war ein wahrhaft fürstlicher Besitz aus schneeweißem Sandstein, behäbig und schlicht von außen, prunkvoll und gediegen von innen.

Mrs. Harriett Whilcox, die Gattin des Baumwollpflanzers, empfing die Herren auf der Terrasse. Eine prachtvolle Erscheinung, die typische »American Beauty« der guten Gesellschaft, groß, schlank, gepflegt und körperlich kultiviert, mit allen Finessen der Toilettenkunst; die Abendtoilette war elegant und dabei doch einfach, aber für deutschen Geschmack zu viel Perlen und Diamanten in den kastanienbraunen, reichen Haaren, auf der tiefdekolletierten Büste, in den kleinen Ohren, an den langen, schmalen Fingern. Ein Bild, dachte Zeller, aber ein Bild ohne Gnade. Und er empfand, daß hinter dieser schneeweißen, fast zu hohen Stirne viel Eigenwille und jene Herrschsucht ruhen mochte, die den Amerikaner zum willfährigen Diener seiner Frau macht.

»Mr. Whilcox hat mir viel von Ihnen erzählt, und es freut mich, Sie nun kennen zu lernen. Aber Henry hat wahrhaftig kein Erzählertalent, denn er hat Sie ganz falsch geschildert. Ich dachte einen würdigen deutschen Professor mit langem Bart und Brille bei mir als Gast zu haben, der überall einen Regenschirm stehen läßt und statt dessen – nun, ich will Ihnen kein Kompliment machen.«

»Madame, Ihr Gatte hat mir von Ihnen fast nichts erzählt, aber ich habe geahnt, hier im Süden der Staaten die typische Vertreterin der nordischen Schönheit aus den Nordstaaten zu treffen, und meine Ahnung hat mich wahrhaftig nicht betrogen.«

»Oh, wie reizend Sie einem den Hof machen können, Professor,« lachte sie.

Nach diesem kleinen Wortgeplänkel begab sich Zeller auf das ihm angewiesene Zimmer, nahm blitzschnell ein kaltes Bad, das jede Müdigkeit verscheuchte, warf sich dann nach amerikanischer Sitte, die im Süden noch strenger beobachtet wird, als in den Nordstaaten, in Full Dreß und wurde von einem schwarzen Diener nach dem Speisesaal geleitet.

Spät nachts lehnte der deutsche Botaniker noch an seinem Fenster und atmete mit weinschwerem Kopf die milde, weiche Frühlingsluft. Die vielen Eindrücke der letzten Wochen zogen an ihm vorbei und seine Gedanken blieben bei Frau Harriett Whilcox stehen, die bei der Verabschiedung ihre Hand sekundenlang in der seinen ruhen gelassen und ihn dabei aus ihren grauen, irisierenden Augen so seltsam durchdringend angesehen hatte. Siedend heiß stieg es in ihm auf. Er schüttelte das von sich ab. »Pfui – die Frau des Gastgebers! Man muß sich solch häßliche Gedanken aus dem Kopf schlagen, schon das Denken macht zum Lumpen.«

Rudolf Zeller, der von den Geheimnissen und Untiefen des amerikanischen Flirts noch nicht die leiseste Ahnung hatte, schlief unruhig und träumte Seltsames: Die schöne Frau Harriett und das junge Negermädchen von vornhin standen vor ihm, die eine nahm die Perlenschnur von ihrem Hals und bot sie ihm, er aber griff nach einer Wiesenblume, die das schwarze Kind ihm reichte. Da schlug die weiße Frau mit der geballten Faust dem Negermädchen ins Gesicht und schrie: »Weg von da, du bist kein Mensch, du darfst einen weißen Mann nicht ansehen!« Und ihm zischte sie zu: »Wie können Sie es wagen, eine Schwarze zu betrachten, wenn ich da bin – oh, ihr Deutschen seid Unholde, wie die Neger, nur wir Amerikaner verkörpern das Menschentum.«

Zeller erwachte, draußen glühte die Sonne am wolkenlosen Himmel, und lachend über den dummen Traum zog er sich rasch an, um die berühmte Pflanzen- und Obstzucht des Obersten Whilcox, die ihn nach dem Süden der Vereinigten Staaten gelockt, kennen zu lernen.

*

Auf einer nach Süden liegenden Anhöhe, etwa eine halbe Meile vom großen Haus entfernt, lag die seltsame Zucht des Obersten Whilcox. Eben jetzt standen die meisten Blumen in voller Blüte und boten dem Botaniker ein Übermaß des Bewundernswerten. Nach jahrelangen Bemühungen, mit unendlicher Geduld und Sorgfalt, hatte es der Oberst in diesem fast tropischen Klima unter Anwendung künstlicher Düngstoffe zuwege gebracht, Pflanzen der verschiedensten Art zu kreuzen, merkwürdige Produkte hervorzuzaubern und sogar fortpflanzungsfähig zu machen, so daß es hier Blumen gab, die weder Nelken noch Rosen, sondern beides waren, niedere, im Gras wurzelnde Pflanzen auf Bäume und Sträucher zu ziehen, Reseden auf einem fast manneshohen Baum wachsen zu lassen, Nelken so groß wie ein Kinderkopf in sieben Farben, rote Vergißmeinnicht, gelbe Veilchen, unerhört komplizierte und rätselhafte Schlinggewächse zu produzieren und die verschiedenartigsten Früchte auf einem Baum zu vereinigen.

Stundenlang hielten sich die beiden Herren in der Gartenanlage auf, das fachliche Interesse bei dem Gelehrten, der freudige Stolz über die Anerkennung bei dem glücklichen Besitzer waren so groß, daß sie der sengenden, fast schon im Zenit stehenden Sonne nicht achteten. Bis die kleine Karola Sampson, das Mulattenmädchen von gestern, mit zwei riesigen Panamastrohhüten kam und sie den Herren übergab.

»Die Lady schickt mich damit, weil sonst die Sonne dem Herrn den Kopf verbrennen tät,« sagte sie lachend, und ein Hauch von Frische und köstlicher Anmut ging von ihr aus.

Während der Oberst ohne Erwiderung den Hut nahm und an Stelle der schottischen Mütze aufsetzte, dankte Zeller lächelnd und strich mit der Hand Karola über die offenen, nur mit einem roten Band zusammengebundenen blauschwarzen Haare. Und er überzeugte sich, daß die gar nicht wollig, sondern wohl gekraust, aber seidenweich waren. Seltsam erschreckt sah ihn Karola aus den großen wissenden Kinderaugen an und hielt still, wie ein Hühnchen, das man streichelt. Und mit einem raschen Blick auf den Obersten, der aber mit der Schere sich an einem Strauch beschäftigte, ohne sich umzusehen, sagte sie dann: »Deutscher Herr sollen schwarze Karola nicht streicheln. Wenn das Lady sehen tät, würde sie sehr böse sein und deutschen Herrn nix mehr Hand geben, aber Karola ins Gesicht mit Stock schlagen.« Und dann mit weicher, besorgter Stimme: »Mister dürfen nix in Sonne bleiben, sind schon ganz rot im Gesicht, Oberst is Sonne von Georgia gewöhnt, aber deutscher Herr kommen aus Land, wo keine Sonne sein, da müssen achtgeben.«

Nun richtete sich der Oberst auf und wandte sich dem Gast zu, und Karola sprang mit großen Sätzen davon, daß ihr Röckchen hochflog und die hellbraunen Beine in ihrer ganzen Schlankheit sehen ließ.

Zeller ging schweigend mit dem Obersten dem Haus zu, plötzlich sagte er: »Eigentlich eine komplette Schönheit, dieses Mädchen! Was wohl aus der hier werden wird?«

Der Oberst lachte kurz auf: »Na, ich glaube, zunächst Ihre Geliebte! Eilen Sie sich, Professor, damit Ihnen nicht so ein schmutziger Nigger bei dem kleinen Biest zuvorkommt. Aber Vorsicht, damit meine Frau nichts merkt. Die ist sehr heikel in solchen Dingen und verabscheut alles, was nur mit einem Neger entfernt in Berührung kommt. Am liebsten möchte sie weiße Dienstboten haben, wenn das hier nicht fast unmöglich wäre. Sie stammt eben aus Boston, und dort sind die Damen noch genauer als anderwärts. Famose Stadt, dieses Boston, beste Universität, bestes Orchester, die gebildetsten Leute der Welt.«

Zeller erwiderte nicht. Er wollte es nicht tun, weil er sonst die Gebote der Höflichkeit verletzt hätte. Die Bemerkungen des Obersten über das braune Mädchen empörten den deutschen Schweizer, den kultivierten, jenseits von allen Vorurteilen stehenden Menschen, maßlos, und was Boston anbelangte, nun, Zeller war dort gewesen, hatte sich überzeugt, daß die Orchestermitglieder vom Dirigenten bis zum letzten Flötisten Deutsche oder Slawen waren, daß die Studenten vorzüglich Baseball spielen konnten, aber von wirklicher Wissenschaft keinen Schimmer besaßen, und die vornehme Gesellschaft, die sich für die gebildetste der Welt hielt, gerade jene Allerweltdurchschnittsbildung besaß, die ärger ist als Unbildung.

Frau Harriett trug beim Luncheon eine blaßblaue, tiefausgeschnittene Voiletoilette, mit tiefroten Rosen im Ausschnitt. Und wie sie nach dem schwarzen Kaffee im Schaukelstuhl wippend dasaß, die Beine übereinandergeschlagen, daß die kleinen Füße in den Goldkäferschuhen voll zur Geltung kamen, und wie sie von Zeit zu Zeit die Arme hob, um etwas an der Frisur zu richten, so daß dabei die schlanke, geschmeidige Gestalt sich straffte und die Schönheit des Busens ahnen ließ, war Frau Harriett von vollkommener Schönheit. Sie hätte gar nicht kokettieren müssen, um das Blut des Deutschen gegen seinen Vorsatz zur Wallung zu bringen.

Man hörte das Anrollen eines Wagens und gleich darauf meldete der Diener Herrn und Frau Jackson. Ein junges Ehepaar betrat den Salon, gleich darauf ritt ein älterer Herr, der erste Arzt von Irvington, Dr. Dobb, an, und nun kamen Wagen auf Wagen, die meisten von der Dame gelenkt, vorgefahren. Ganz Irvington war eben neugierig, diesen blonden Deutschen kennen zu lernen, der die halbe Welt durchquerte, um ein paar Pflanzen zu bewundern. Und auf der Terrasse, auf die nun die Schaukelstühle getragen wurden, begann ein lebhaftes Durcheinander und ein Gezwitscher, wie in einem Vogelkäfig.

Zeller machte wieder dieselbe Beobachtung, wie schon vorher im Osten und Westen der Staaten: Die Herren sahen mehr oder weniger wie Brüder aus, allen war eine gewisse joviale Gutmütigkeit eigen und fast keiner hatte irgend eine originelle Ansicht, Geist oder tiefere Bildung. Die Frauen hingegen verkörperten eher Individualitäten, sie waren ihren Männern und Gatten an Bildung und Verstand überlegen, wußten dies auch und bildeten untereinander eine Art Freimaurerschaft im Kampfe gegen den Mann, der unterjocht werden mußte. Und noch etwas stellte er mit behaglichem Lächeln fest: während der Engländer zugeknöpft, reserviert und diskret bis zur Unnahbarkeit ist, verkörpert der Durchschnittsamerikaner, besonders der, der nicht als Yankee zu betrachten ist, die unerhörteste Indiskretion, erzählt unaufgefordert die intimsten Dinge aus dem eigenen Leben und fragt einen Unbekannten aus, wie ein Detektiv. So mußte auch Zeller von sich selbst berichten, warum er eigentlich nach Amerika gefahren sei, alles Wissenswerte erzählen und gewissermaßen seine Biographie zum besten geben. Viel hatte er allerdings nicht zu erzählen. Er entstammte einer alten, vornehmen Baseler Familie, hatte aber in Deutschland studiert und fühlte sich ganz als Deutscher, um so mehr, als seine Eltern längst gestorben waren und er den Zusammenhang mit seiner Heimat verloren hatte. Seit einigen Jahren war er Professor für Botanik an der Universität von Göttingen, aber eben vor Antritt seiner Amerikareise hatte er eine Berufung an die uralte deutsche Universität in Prag bekommen und angenommen. Das nächste Wintersemester würde ihn schon in der böhmischen Hauptstadt finden.

So ganz glatt verlief Zellers Bericht aber nicht. Die meisten seiner Zuhörer hatten keine Ahnung, wo und was Göttingen sei, Prag war für sie einfach eine deutsche Stadt, und als er es für die Hauptstadt von Böhmen erklärte, war die Verwirrung erst recht groß. Denn Bohemia, das erinnerte an Bohemien, also an die Zigeuner, die man in der Großstadt im Kaffeehaus fiedeln hörte, also konnte Prag nur die Hauptstadt von Ungarn sein. Immerhin – das alles ließ sich mit Humor aufklären, das Gespräch floß heiter dahin, und der Professor benützte geschickt jede Gelegenheit, um seinerseits Fragen zu stellen und sich über die Verhältnisse im Süden der Vereinigten Staaten zu orientieren.

Indessen bediente der schwarze Diener lautlos und behend; mit außerordentlicher Geschicklichkeit füllte er die Gläser mit eisgekühlten Getränken, balancierte die vollgeladene Tablette mit der Geschicklichkeit eines Akrobaten, tauchte auf, wenn einer der Herren seine Zigarre in Brand stecken wollte, verschwand blitzschnell, wenn er nicht unmittelbar benötigt wurde. Zeller hatte die geschmeidigen Bewegungen des Negers unwillkürlich mit ästhetischem Behagen beobachtet und hielt den Moment für gekommen, das Gespräch auf das heikle Rassenthema zu bringen. »Meine Damen und Herren,« sagte er, als gerade das allgemeine Gespräch stockte und der Diener nicht in Hörweite war. »Ich kann mit bestem Willen diese allgemeine Abneigung gegen die Farbigen nicht begreifen. Was ich von ihnen bisher gesehen habe, gefällt mir. Im Varieté sind sie prachtvolle Tänzer und Komiker, als Diener erscheinen sie mir williger, geschickter und freundlicher als weiße Dienerschaft, sie gelten als die zärtlichsten und aufopferungsvollsten Kinderpflegerinnen, sind gute Köche, Barbiere und Kutscher – woher also die maßlose, mit Haß gemengte Verachtung, die man ihnen überall, im Norden und im Westen, ganz besonders aber hier im Süden, entgegenbringt?«

Diese Worte waren das Signal zu einer aufgeregten Unterhaltung. Ein Schnellfeuer von Zurufen prasselte auf Professor Zeller nieder, man umringte und bedrängte ihn, und sogar die Ladies gingen aus ihrer Reserviertheit heraus und beteiligten sich an der Wechselrede.

Neger sind gut abgerichtete Diener, Barbiere und Schuhputzer, aber sie sind keine Menschen – der Neger ist von Geburt aus faul, diebisch und dumm und bleibt es bis zu seinem Tode – Gott hat den Neger absichtlich vom weißen Mann unterschieden – der Neger steht auf einer Kulturstufe mit dem Affen – so und ähnlich lauteten die Bemerkungen, die Zeller entgegenwirbelten, bis einige Ruhe eintrat und ein Herr in mittleren Jahren, der in Yale studiert hatte und äußerlich vollkommen einem europäischen Aristokraten glich, das Wort nahm. Lewis Sutherland, so hieß der Herr, der sich seine blonde, sehr vornehm aussehende Gattin aus England geholt hatte, sagte:

»Sie haben, verehrter Herr Professor, den Finger auf unsere wundeste Stelle gelegt und dürfen sich über diesen amerikanischen Temperamentsausbruch unsererseits nicht wundern. Die Frage, die Sie angeschnitten haben, ist ebenso furchtbar als kompliziert und tragisch. Wir Bewohner der Südstaaten und wohl auch unsere nördlichen Nachbarn leiden einfach für die Sünden unserer Väter und Großväter. Es war eine entsetzliche, menschenunwürdige, verbrecherische Tat, die Neger haufenweise wie das Vieh aus Afrika zu uns zu schleppen. Da sie aber hier waren, war es vom Standpunkt der Südstaatler selbstverständlich, diese uns wesensfremden und auf der niedrigsten Zivilisationsstufe stehenden Menschen als Sklaven, das heißt als gekauftes Eigentum zu behandeln. Ebenso selbstverständlich war es, daß eines Tages der Norden, der keine Negerfrage kannte, sich gegen dieses Sklavenwesen erhob, und wenn wir den Bruderkrieg, der letzten Endes deshalb begann, verloren haben, so war das nicht Sache des Zufalles oder der schlechten Führung oder gar des Verrates, sondern der eisernen Logik. Denn wir kämpften für eine Sache, die nicht zu verteidigen war. Also, die Neger wurden frei, und nicht genug damit, sie wurden von hysterischen Weibern und Männern sogar als uns gleichberechtigt in jeder Beziehung dekretiert. Sie sind uns aber nicht gleichberechtigt, durchaus nicht und in keiner Beziehung. Ich will nicht sagen, daß sie schlechter sind, ich denke nicht daran, sie auf eine Stufe mit Affen zu stellen, sondern ich behaupte, daß sie einfach uns gegenüber sich so verhalten, wie kleine Kinder den Erwachsenen gegenüber. Sie haben keine Vergangenheit, keine Geschichte, keine Tradition, sie sind eben erst Menschen geworden, wie das Kind, das gerade zu kriechen beginnt. Wer würde aber diesem Kinde Gleichberechtigung geben wollen, wer ihm erlauben, sich in die Angelegenheiten der Erwachsenen zu mengen! Täte man dies, so würden diese Kinder sich zu abscheulichen, bösartigen Quälgeistern entwickeln, statt zu vernünftigen Menschen heranzuwachsen.

So ähnlich ist es mit den Negern bestellt. Sie sind diebisch, verlogen, habgierig und, wenn man sie nicht im Zaum hält – frech. Das alles sind eben die Eigenschaften der Kinder, wie es jede Mutter wird bestätigen müssen. Was geht daraus hervor? Daß die Neger erst den Weg zum vollwertigen Menschen zurücklegen müssen, daß sie durch Jahrhunderte erzogen werden sollten. Tut man dies, so wird, ich bin dessen ganz sicher, dereinst der Neger an Intelligenz und Moral der weißen Rasse nicht sonderlich nachstehen. – Aber wie sollen wir zu diesem Ziel gelangen? Ein fast unlösbares Problem. Wie ein kleines Kind, will nämlich auch der Neger nicht einsehen, daß er erzogen werden muß. Nun, Kinder kann man, um ihnen das beizubringen, in eine Ecke stellen oder gar züchtigen, bei Negern kann man dies nicht. Sie sich selbst erziehen lassen? Das geht nicht an, weil dank des in dem Menschen tief eingegrabenen Rassegefühls der Weiße sich die Kinderunarten der Neger nicht würde gefallen lassen. Besonders hier im Süden nicht, wo wir zum Teil von der schwarzen Rasse majorisiert sind. Würden wir ihnen die Gleichberechtigung, die sie auf dem Papier haben, in der Praxis geben, so würde es geschehen, daß demnächst hier in Irvington auf der Terrasse einer schönen Villa nicht wir Weißen solche Gespräche führen würden, sondern Neger, die beraten würden, was sie mit den ihnen unbequemen Weißen tun sollen. –

Wo bleibt also der Ausweg? Drei Möglichkeiten gibt es. Man könnte die Schwarzen zurück nach Afrika bringen! Technisch und rechtlich nicht durchführbar, da ihnen ja unsere Konstitution die Gleichberechtigung gibt, man sie also zur Rückkehr nicht zwingen kann. Zweitens könnte man die Verfassung ändern und die Neger wieder als Sklaven erklären. Das geht nicht, weil die alten und jungen, die weiblichen und männlichen Waschlappen in der ganzen Welt schreien und jammern würden. Also bleibt nur ein Ausweg, und das ist der, den wir Südstaatler und eigentlich auch die anderen im Norden einschlagen: Die Neger zu Staatsbürgern zweiter Klasse zu machen, sie sozial absolut von uns fernzuhalten, ihnen den Zutritt zur Wahlurne verwehren und sie im Beruf auf ihre körperlichen Fähigkeiten verweisen. Allerdings – ich gestehe Ihnen zu, daß dies kein Weg, sondern nur ein Ausweg ist, und die kommenden Generationen an der ungelösten Negerfrage schwer zu beißen haben werden.«

Wieder erhob sich ein lebhaftes Stimmengewirr. Ein alter Herr, der wie der leibhaftige alte Onkel Sam aussah, rief: »Wir sind Verbrecher, wenn wir unseren Kindern solche Erbschaft hinterlassen,« ein anderer sprach von einer Negerpest, die man künstlich züchten müßte, und der recht zynisch veranlagte Doktor Dobb meinte schmunzelnd: »Ich wüßte schon ein wunderbares Mittel, schmerzlos bei dem neugeborenen Negerknaben anzuwenden, aber ich kann darüber in Damengesellschaft nicht reden.« Da alle Damen wußten, was er meinte, waren sie gebührend schockiert, ohne aber ein herzliches Lachen zu unterdrücken.

Zeller wagte einen Einwand: »Und wäre es nicht möglich, zu einer einfacheren Lösung zu schreiten und über alle Rassenvorurteile hinweg das Aufgehen der Neger in den Weißen langsam zu dulden?«

Tiefe Stille entstand auf der Terrasse des großen Hauses. Zeller merkte an den teils entrüsteten, teils eiskalten Mienen ringsum, daß er für die Begriffe der Anwesenden Ungeheuerliches gesagt hatte. Ein alter Herr, dem die Zornesader auf die Stirne getreten war, unterbrach die peinliche Pause, indem er heiser sagte: »Sie sind ein Fremder, junger Mann, das halten wir Ihnen zugute, wenn ein Yankee solches vorgeschlagen hätte und noch dazu in Gegenwart der Damen, so gäbe es argen Verdruß!«

Oberst Whilcox, der es nicht zugeben konnte, daß sein Gast so schroff zurechtgewiesen wurde, griff ein:

»Sie sprechen als Gelehrter, als Botaniker, der eben die Wunder seltsamer Pflanzenkreuzungen gesehen hat. Aber würden wir solches Experiment an uns versuchen, so wäre das gleichbedeutend mit dem Aufgeben unserer selbst, mit der Afrikanisierung, Vernegerung von ganz Amerika und bald der ganzen Welt. Denn wissen Sie, Doktor Zeller: Ein Tropfen schwarzen Blutes macht einen Neger! Wir im Süden wissen das alles zu genau, um darüber streiten zu können. Die braune Mulattin, deren Vater ein Weißer war, vereinigt sich wieder mit einem Weißen. Ihr Kind ist ein Terzerone, nicht dunkler als ein sonnengebräunter Weißer, schön, schlank. Ist es ein Mädchen und vereinigt es sich wieder mit einem Weißen, so ist das Kind ein Quarterone, dem man nur mehr an dem bläulichen Schimmer der Fingernägel das Negerblut ansieht. Und ist es ein Mädchen und vereinigt sich wieder mit einem Weißen, so geschieht es, daß das Kind ein häßlicher, grauschwarzer Neger wird! Ein Tropfen Negerblut, und die ganze Generation ist vernegert! Da ist nichts zu machen, nichts zu wollen, das Blut Hams ist stärker als das der anderen, es kommt immer wieder zum Durchbruch! Sich mischen, heißt den weißen Menschen in sich umbringen und ein fluchbeladenes Geschlecht erzeugen!«

Es war halbdunkel geworden, als lautlos der schöne Neger erschien und durch leichtes Anschlagen auf den Gong ankündigte, daß das Souper die Gäste erwarte. Und die leichte Mißstimmung, die das Gespräch erregt hatte, machte bald einer heiteren, warmen Laune Platz. Professor Zeller war der Tischnachbar der schönen Hausfrau, und mitunter war es ihm, als würde ihr Knie sich an das seine lehnen, ihr Fuß den seinen suchen. Und als man später im Garten, in der südlich heißen Frühlingsluft von Georgia, promenierte, schmiegte sich Frau Harriett einen Augenblick lang dicht an den blonden Deutschen und flüsterte ihm zu: »Ich würde es Ihnen nie verzeihen, wenn Sie sich der schwarzen Brut nähern würden! Und verbergen könnten Sie es mir nicht, ich wittere und ahne den Geruch, den diese Tiere an allem haften lassen!«

*

Der Juli nahte mit sengenden Hitzwellen, unerträglich heißen Nächten, unerträglicher noch durch die Moskitoschwärme, die bei Sonnenuntergang auftauchten und den Aufenthalt im Freien unmöglich machten. Die ganze Terrasse, alle Fenster waren mit Drahtnetzen verhängt, und außerdem schwenkten, während man bei Eisgetränken auf der Terrasse in den Schaukelstühlen lag, schwarze Diener unaufhörlich ihr Räucherwerk, um etwaige blutsäugerische Eindringlinge zu vertreiben. Der Juli brachte aber auch neues Leben nach Irvington. Die Hochschulen im Osten und Westen hatten unmittelbar vor dem Unabhängigkeitstag mit den Ferien begonnen, und nun kamen alle studierenden Söhne und Neffen an, um sich im Süden bei ihren Leuten gründlich auszufaulenzen. Zur Ausübung irgend eines Sportes war es tagsüber zu heiß, daher rekelten sich die jungen Leute am Tage in den Schaukelstühlen, bevölkerten die Kneipen, knüpften ihre kleinen Flirts an, begaben sich abends aber auf den Bummel, der gewöhnlich in eine Negerhatz ausartete. Aus frischen, ungeschminkten Rasseinstinkten heraus hassen diese College-Boys den Neger, hassen ihn von ganzem Herzen – den jungen, heranwachsenden Negermädchen allerdings stellen sie nach. Die Töchter der Schwarzen sind ihnen Freiwild; doch dieses flieht gewöhnlich nicht den Jäger, sondern geht ihm willig ins Gehege. Die trostlosen Lebensbedingungen, unter denen die Neger im Süden noch mehr als im Norden vegetieren, bringen es mit sich, daß ihre sexuelle Moral auf einer recht niedrigen Stufe steht, und gewöhnlich fühlt sich die Negerin von der Annäherung eines Weißen, besonders wenn es sich um einen vornehmen Herrn handelt, sehr geschmeichelt, auch wenn sie weiß, daß sie dem Mann, der sie umarmt, nichts, aber auch gar nichts anderes ist, als die Sättigung eines sexualen Hungergefühls.

Gerne durchstreifen die jungen weißen Herren abends die Straßen der kleinen Stadt, rempeln Neger, die ihnen nicht rasch genug ausweichen, an, verprügeln sie jämmerlich unter dem Vorwande, unehrerbietige Bemerkungen aus ihrem Munde gehört zu haben, oder sie spielen gar Justiz, fahnden Diebstählen nach, die von den Schwarzen begangen wurden, und lauern auf die Gelegenheit, die Prozedur des Teerens und Federns anzuwenden.

Da kamen aus dem Hühnerhof des Obersten Whilcox eines Tages ein paar Hühner weg, die als Rassetiere größeren Wert hatten. Sofort nahm die Ferialjugend von Irvington mit einem Hund die Jagd auf. Der Foxterrier fand bald die richtige Spur und führte die Schar von etwa zwanzig Burschen nach einer Negerhütte, in der die ganze schwarze Familie eben im Begriffe war, sich einer köstlichen Hühnersuppe zu erfreuen. Rasch wurde eine Art Standgericht gebildet, das den Neger, der das Familienoberhaupt repräsentierte, zum Teeren und Federn verurteilte. Der arme Teufel mußte sich entkleiden, wurde in einer Teermasse hin und her gewälzt, dann mit Hühnerfedern und Wollflocken beklebt und so durch die Straßen gepeitscht. Professor Zeller war zufälligerweise Zeuge dieser Szene, die ihn tief empörte, obwohl er sich als Fremder nicht entschließen konnte, einzugreifen. Mit Unbehagen stellte er fest, daß die alten Neger und die Negerkinder mit den Weißen zusammen den Unglücksmenschen verhöhnten und verfolgten, aber gleich darauf stieß er auf eine Gruppe von jungen Negern, und in deren Mienen sah er nichts Gutes, sondern Haß, ohnmächtige Wut spiegelten ihre, durch die Erregung graublau gewordenen Gesichter wider. Und er hörte, wie einer der Burschen zu den anderen sagte: »Es wird der Tag kommen, wo wir die weißen Hunde in ihrem eigenen Blute teeren werden.«

Abends war auf der Terrasse des Obersten Whilcox große Gesellschaft, fast alle Studenten waren als Gäste erschienen, und sie rühmten sich des Heldenstückchens, das sie an dem Hühnerdieb verübt hatten. Da hielt Zeller sich nicht länger zurück: mit scharfen Worten gab er seinem Unmut über diese Art von Justiz Ausdruck. Die Alten schwiegen verlegen, die Jungen protestierten, der eine sprach sogar etwas von sentimentalem deutschen Unsinn, und es fehlte nicht an verletzenden, boshaften Bemerkungen. Zeller brach schließlich das peinliche Gespräch ab, indem er sagte: »Wer Haß säet, wird Haß ernten. Und Sie alle säen ein überreiches Maß an Haß. Glauben Sie mir, so wird man mit Rassen und Völkern nicht fertig! Vertreiben und ausrotten können Sie Ihre Neger nicht, so muß ein Modus vivendi gefunden werden. Und Teer und Federn leuchtet mir als Strafe nur dann ein, wenn es in das Gesetzbuch aufgenommen und auch weißen Hühnerdieben gegenüber angewendet wird.«

*

Die Stimmung war verdorben, es kam keine allgemeine Unterhaltung mehr in Gang und Zeller fühlte sich an diesem Abend recht überflüssig. Trotzdem die schöne Hausfrau ihn in ein Gespräch zu verwickeln suchte und dabei ihre Hand immer wieder auf seinen Arm legte, zog sich Zeller frühzeitig zurück und suchte sein Zimmer auf. Dort war es aber heiß und dumpf, während draußen ein frischer, vom Meer kommender Ostwind die Luft kühlte. Zeller setzte seinen Panamahut auf und verließ, um nicht gesehen zu werden, durch das kleine Gartentor das Haus. Die Luft tat ihm wohl, und rasch schritt er einen Wiesenpfad entlang, der zwischen endlosen Baumwollpflanzungen unter schönen amerikanischen Eichen stadtwärts führte, ziemlich parallel mit der Fahrstraße. Silbern und stechend leuchtete der Mond am Himmel, Grillen zirpten unnatürlich laut, und Zeller überkam die Sehnsucht nach der Heimat. Er fühlte, daß er heute in den Ruf eines unmöglichen deutschen Patrons gekommen sei und auch den Unwillen seines Gastgebers erregt habe. Und damit war eigentlich hier sein Aufenthalt nicht länger ratsam. Denn wenn auch Oberst Whilcox zu chevaleresk und vornehm war, um seinem Gast auch nur das entfernteste Zeichen übler Laune merken zu lassen, wäre es nicht ein Mangel an Taktgefühl, darauf zu bauen und irgendwo zu bleiben, wo sich Disharmonien einschlichen? Und dann war da noch diese schöne Harriett Whilcox, die es ratsam erscheinen ließ, sich bald aus den Wundergärten des Obersten zu entfernen. Zeller fühlte, daß die Lockungen der Amerikanerin sein Blut immer rebellischer machten, daß bald der Moment eintreten würde, wo er das Gastrecht auf das gröbste verletzen müßte. Zeller war nicht eingebildet, aber auch nicht naiv, und er sah deutlich, daß Mrs. Whilcox bereit war, die überaus weitgezogenen Grenzen des amerikanischen Flirts zu überschreiten. Und das gerade mit ihm, weil er eben kein in tausend Vorurteilen befangener Amerikaner war, sondern ein Mann, der in solchen Dingen freier dachte und sie, auch wenn sie mit ihm die Ehe gebrochen hätte, nicht verachten würde. Das alles müßte aber entweder zu entwürdigenden Lügen und einem abscheulichen Verrat oder zu katastrophalen Dingen führen, wenn der heißblütige Oberst auch nur den geringsten Verdacht schöpfen würde. Also fort von hier, so rasch als möglich.

Der Wiesenpfad mündete in die Landstraße gerade bei dem Hause des Negers Sampson ein. Plötzlich, wie aus dem Erdboden emporgezaubert, stand das junge Negermädchen, Karola, das ihn durch seine stilvolle Schönheit bei seiner Ankunft so fasziniert hatte, vor ihm. Er begrüßte es mit einigen Worten und fragte, ob es sich nicht fürchte, allein in der Nacht auf der Straße zu sein. Karola schüttelte den Kopf, daß ihre losen Haare nach vorne flogen, und sagte mit weicher, melodischer Stimme:

»Drin ist zu heiß, und wir sind zu viel in einer Stube. Wenn ein anderer gekommen wäre, so würde Karola sich schnell ins Haus geflüchtet haben. Aber der große deutsche Professor ist ein guter Mann, vor dem sie keine Angst hat.«

Lachend strich ihr Zeller über die dichten Haare, die sich wie rauhe Seide anfühlten:

»Woher weißt du, daß ich gut bin?«

Hell und girrend lachte das Mädchen:

»Das fühlt Karola! Der deutsche Mann ist anders als die Jankees sind, er haßt und verachtet die armen schwarzen Menschen nicht.«

»Nein, Karola, das tue ich wirklich nicht. Warum sollte ich es auch? Sicher gibt es unter euch farbigen Leuten genau so gute und schlechte Menschen, wie unter den weißen, gelben und roten. Aber du, Karola, du magst wohl die Weißen nicht?«

»Oh, ich, ich möchte sie gerne lieben, die Weißen. Blond ist das Schönste, was Gott geschaffen hat! Aber sie hassen uns, und so hasse ich sie!«

Gegen diese Logik war nichts einzuwenden! Zeller lachte und sagte:

»Komm, Karola, gehen wir ein bißchen spazieren, und wenn wir weit genug vom Hause entfernt sind, so singst du mir ein liebes, trauriges Lied deiner Leute vor!«

Zeller hatte das Mädchen bei der Hand genommen, und er erschrak fast, als sie seine Hand an ihre Lippen preßte und küßte, während sie leise sagte:

»O ja, Karola geht gerne mit Ihnen und will Sie an einen Platz führen, wo niemand hört und sieht.«

Silbern leuchtete der Mond herab, still und einsam war es ringsumher. Dem Gelehrten war es fast beklommen zumute, wie er so durch die glutvolle Nacht ging. Hand in Hand mit diesem schönen, schlanken Naturkind. Sein Blut geriet in Wallung. Wenn ich sie hier zwischen den Baumwollstauden an mich reiße und sie mir nehme, wie man eine rote Frucht vom Baume pflückt, niemand würde etwas daran finden, sie selbst vielleicht am allerwenigsten . . . Wer weiß, wie viele vor mir schon waren, was für häßliche, schwarze Kerls, oder die Kollegeboys, denen die braune Schönheit doch sicher schon aufgefallen ist, oder am Ende gar der Strolch von einem Stiefvater, der ihr ja, wie Oberst Whilcox sagte, nachstellte. Eine wütende Eifersucht stieg in ihm auf, und heiser sagte er, während er sich zu ihr beugte:

»Hast du schon geliebt, Karola, hast du dich schon einem Manne geschenkt?«

Groß sah ihn das Mulattenmädchen an:

»Nein, Sir. Wenn einer von unseren Leuten mir nahe kommt, so kratz und spuck ich nach ihm, und vor den weißen Studenten verstecke ich mich. Ich rieche, wenn sie kommen, und laufe weg, bevor sie mich erwischen. Ich will auch nicht lieben, niemanden, keinen Menschen! Die dunklen nicht, weil sie dumm und häßlich sind, und die Weißen nicht, weil ich dann ein Baby bekomm, das nicht zu uns gehört und nicht zu den Weißen und so unglücklich ist wie Karola.«

»Bist du unglücklich, Karola, wirklich? Und warum eigentlich?«

»Ich möchte eine weiße Lady sein, Sir!«

In diesen Worten empfand Zeller die ganze Tragik des Mischlings, der sich von der weißen Rasse weggestoßen fühlt. Und unwillkürlich legte er den Arm um die Schulter des zum Weib erblühenden Kindes und empfand wohlig die süße Nacktheit des jungen Leibes, der mit nichts als mit Rock und Hemd bekleidet war. Karola aber wich nicht aus, sondern schmiegte sich wie eine Katze an ihn. Durch dichtes Buschwerk kamen sie in einen kleinen Wald, der aus Haselnußstauden, verkümmerten Eichen und hohen, dornigen Sträuchern gebildet wurde. Karola führte nun den Deutschen an der Hand, immer tiefer in die Wirrnis, bis sie laut und fröhlich ausrief:

»So, da ist meine Bank!«

Ein von Altersschwäche und Stürmen entwurzelter Baum lag hier auf solche Art, daß er wirklich eine Art Bank bildete, auf der sich bequem sitzen ließ. Zuerst saß Karola schweigend neben Zeller, dann sprang sie auf, stellte sich, in ein Gebüsch geschmiegt, daß er kaum ihre Konturen im Mondschein wahrnehmen konnte, vor ihm auf und begann mit zarter, klingender Stimme alte Negerweisen, zum Schlusse das schöne »Old folks at home« vorzusingen.

Zeller hatte die Augen geschlossen und lauschte, und er mußte in sich hineinlachen:

»Welch komische, anmaßende und unlogische Welt, in der wir leben! Wenn ich dieses schöne, braune Kind jetzt mit mir nach Berlin oder Wien nehmen, ein wenig ausbilden und in köstliche Gewänder hüllen würde, dann wäre sie die große Tagessensation! Fürsten und Millionäre würden um ihre Gunst wetteifern, alle Männer ihr zu Füßen liegen, und sie könnte ein Leben wie eine Königin führen. Hier aber ist sie ein elendes Mulattenmädel, an dem man allenfalls als weißer Mann die Begierde eines Augenblickes befriedigen darf, aber auch nicht mehr! Wehe, wenn mich die schöne Frau Harriett in dieser Situation auch nur ahnen würde! Um Freundschaft und Flirt wäre es geschehen!«

Karola saß wieder neben ihm, und so eng neben ihm, daß er ihren Leib an seinem Arm fühlte. Er schlang den Arm um ihren Hals, zog sie sanft an sich, bog ihren Kopf zurück und küßte ihre vollen, üppigen Lippen. Sie aber gab den Kuß zurück und strich zärtlich durch das blonde Haar des Mannes und flüsterte ihm ins Ohr:

»Karola hat den guten deutschen Mann gleich sehr lieb gehabt, wie sie ihn zum erstenmal sah . . . und wenn er will, kann er sie ganz nehmen. – Aber niemand darf es erfahren, sonst wird Missis Whilcox sehr böse sein und mich umbringen.«

Da erwachte der Urdeutsche in ihm, der Beschützer und Helfer, und die Gier in ihm wandelte sich in väterliche Zärtlichkeit. Er streichelte sie, wie man ein kleines liebes Kind streichelt, und küßte sie auf die Augen, die sie selig schloß. Und er nahm das Geschenk nicht, das sie ihm geboten hatte.

Von da an schlich sich Zeller sehr oft nachts aus dem Hause, um in der Nähe von Sampsons Hütte die Melodie von »Old folks at home« zu pfeifen. Da dauerte es denn nur wenige Sekunden, und Karola hatte sich von dem Sack, auf dem sie in der Hütte schlief, erhoben und huschte lautlos hinaus zu Zeller, um Hand in Hand mit ihm in den wilden Hain zu gehen, wo sie beide, von einem dichten Moskitoschleier eng verhüllt auf dem gestorbenen Baum saßen. Zeller ließ sich dann oft von ihr erzählen von den Dingen, die sie von ihrer alten dicken Mutter wußte, welche ihre Mädchenzeit noch in der Sklaverei verbracht hatte. Er gewann so einen tiefen Eindruck in das traditionslose, dumpfe Leben dieser amerikanischen Neger, die man aus dem Urzustand heraus wie Tiere gefangen und verschleppt hatte, und immer fester wurde die Überzeugung in ihm, daß es Vorurteil war, die Neger als verächtliche niedrige Rasse zu betrachten. Ein Volk, in seiner Kindheit einfach, trotz jahrtausendalter Vergangenheit geschichtslos. Teig für alles, für das Schlechte und Gute, wie im Kinde alle Eigenschaften vereinigt, der Befruchtung und Entwicklung durch den weisen, gereiften Lehrmeister harrend. Dieser aber wollte seine Mission nicht erfüllen, sondern das entwurzelte Volk in ewiger Kindheit erhalten, und Zeller mußte unwillkürlich an die Gaukler und fahrenden Komödianten denken, die das Zirkuskind durch Alkohol im Wachstum hindern.

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