Hugo Bettauer
Das blaue Mal
Hugo Bettauer

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I. Teil
Georgia

»Gutes Land, in das Sie fahren, Herr, nur zu viel verdammte Neger! Wenn wir da für je zehn von den schwarzen Teufeln einen Dutchman von euerer blonden Sorte hätten, wär's Paradies. Ein gesegnetes Land, Sir, dieses Georgia, das Juwel des Südens, und damit das Juwel der Welt überhaupt!«

Belustigt hatte der blonde, blauäugige Herr, dem man trotz tadelloser Eleganz auf hundert Schritte Entfernung das europäische »Grünhorn« anmerkte, seinem Gegenüber zugehört. Das maßlose Selbstgefühl der Amerikaner, die, je nachdem, von wo sie kommen, New York, Illinois, Kalifornien oder eben Georgia als das Paradies der Erde priesen, machte ihm Spaß. Zugleich aber verdroß ihn das Schimpfen auf die Schwarzen, das mit jedem Breitengrad, den er mehr nach Süden kam, heftiger und brutaler wurde. Er strich mit den kräftigen Fingern die Haare aus der Stirne und meinte achselzuckend: »Was wollt ihr nur von den armen Negern. Ich habe sie als Barbiere, Schuhputzer, Hausdiener, Kondukteure und Matrosen kennen gelernt und finde sie durchaus anstellig, wesentlich höflicher als untergeordnete Bedienstete unserer Hautfarbe und dabei immer gut aufgelegt und drollig. Ich kann sie direkt gut leiden.«

Der Amerikaner spuckte virtuos an dem Deutschen vorbei in den Spucknapf.

»Vor allem, Sir, mein Kompliment über das Englisch, das Sie sprechen. Feineres Englisch, als wir Staters. Bei Gott, die Deutschen können doch alles, und was sie können, können sie ganz. – Aber mit Verlaub, das mit den Negern verstehen Sie nicht, da sprechen Sie Quatsch. Der Neger ist als Barbier, als Schuhputzer, als Kellner gut, sehr gut sogar, aber im Haufen ist er schlecht, sehr schlecht, wo er haufenweise lebt, ist er schlimmer als ein Vieh! Er ist auch ein Vieh, und das Unglück ist nur, daß ihm die verdammten Yankees, sie mögen zur Hölle fahren, obwohl sie tüchtige Kerle sind, eingeredet haben, er sei kein Vieh, sondern ein Mensch, so gut oder noch besser wie der weiße böse Mann, der ihn nicht als Mensch anerkennen will. Na ja, das gilt für den Norden, wo er eben ein Kellner oder ein Barbier oder Hausdiener ist, aber für uns im Süden ist das anders. Hier gilt es nicht: er und wir, sondern er oder wir! – Herr, wenn Sie in dem gesegneten Georgia ein paar Monate gelebt haben werden, so werden Sie sagen, der James Brockfield aus Atlanta ist gar nicht so dumm, obwohl er keine Medizin studiert hat, wie Sie, und der Neger ist ein schwarzes Biest.«

Der Deutsche wurde der Diskussion müde, er hatte solche Gespräche auf seiner Kreuz- und Querfahrt durch die Staaten und auf dem Dampfer, der ihn von New York nach Savannah gebracht, zu oft geführt und sich immer über die gleiche bornierte Anschauung der Leute geärgert. Da aber der Amerikaner seinen Namen, wenn auch in etwas indirekter Weise, genannt hatte, so hielt sich der Deutsche seinerseits zur Vorstellung verpflichtet.

»Mein Name ist Rudolf Zeller, Doktor, aber nicht Arzt, sondern Botaniker.«

»Botaniker? Hm, was ist das für ein Geschäft, mit Verlaub?«

Dr. Zeller erklärte lächelnd und fügte hinzu, daß er eben nach Irvington fahre, um der Einladung eines Herrn zu folgen, der ganz seltsame, noch nie vorgekommene Kreuzungen von Blumen und Früchten erzielt habe.

»Also dann sind Sie das, was wir einen Gärtner nennen. Trägt bei uns nicht viel, höchstens fünfundzwanzig Dollars die Woche, damit könnten Sie keine Europareise machen, muß also in Deutschland besser gezahlt sein.«

Dr. Zeller, der verschwiegen hatte, daß er trotz seiner achtunddreißig Jahre eine europäische Berühmtheit und Universitätsprofessor in Göttingen sei, gab es auf, dem Amerikaner die Bedeutung der Botanik auseinanderzusetzen, sondern steckte lieber eine amerikanische Key West-Zigarre in Brand und betrachtete durch die hohen geschliffenen Fensterscheiben die Gegend, durch die der Lokalzug von Savannah nun schon seit früh morgens recht langsam fuhr. Links und rechts endlose Baumwollplantagen, durch nichts unterbrochen, als von Zeit zu Zeit durch erbärmliche Lehmhütten, vor denen zahllose schwarze Kinder standen und den Zug anbrüllten. – Ganz wie in Deutschland, dachte Zeller, – nur daß dort die Häuser schmuck und stattlich sind und die Kinder blond.

Ein uniformierter Neger kam nun zu dem Gelehrten und sagte in seinem merkwürdigen drollig-breiten Negerenglisch: »Irvington ist das nächste, Lord! Ich werd' Ihnen alle die Koffer, die kleinen hier und die großen, aus dem Gepäckwagen hinausbringen.« Und als ihm Zeller einen Silberdollar in die schwarze, aber von Innen schmutziggraue Hand drückte, grinste er vergnügt, nannte ihn nicht mehr Lord, sondern Herzog und bürstete ihn liebevoll von oben bis unten ab. Und Zeller wollte es wieder nicht begreifen, wie man diese harmlosen, gutmütigen Burschen mit Haß und Verachtung verfolgen konnte.

Der Zug hielt in Irvington und Dr. Zeller wurde von einem hageren, langen Herrn mit Hakennase und glattrasiertem, von der Sonne tief gebräuntem Gesicht lebhaft begrüßt. Es war dies Oberst Henry Whilcox, im Süden ist jeder anständige Mensch Oberst, Besitzer einer riesigen Baumwollplantage und Blumenzüchter aus Passion. Zeller hatte ihn einmal auf einem Kongreß der Blumenzüchter in London kennen gelernt, sie waren in Korrespondenz geblieben und Whilcox hatte den deutschen Gelehrten öfters eingeladen. Der Tod eines Onkels, der ihm ein hübsches Vermögen hinterlassen hatte, ermöglichte Zeller die längst ersehnte Studienreise nach den Vereinigten Staaten; er nahm auf ein Jahr Urlaub, fuhr nach New York, von dort nach dem Westen und zurück nach Philadelphia, um von hier aus mit dem Küstendampfer nach Savannah zu fahren. Dann brachte ihn der Zug in knapp zehn Stunden nach Irvington, einem aufstrebenden Städtchen im Staate Georgia. Bei Irvington aber hatte Oberst Whilcox seine Plantagen und seine Besitzungen, auf denen die seltsamsten Orchideen, gekreuzte Nelken, tiefschwarze Rosen, kopfgroße Tulpen in zwanzig Farbennuancen und violette Bananen mit Orangengeschmack gediehen.

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