Roland Betsch
Die sieben Glückseligkeiten
Roland Betsch

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Es kommt eine Zeit, da wird in dem Aal ein sonderbarer Drang wach, er begibt sich auf Wanderschaft. Die Flüsse zieht er hinab bis ans Meer, sammelt sich dort mit Millionen seiner Art und strebt nun, ein ungeheurer Hochzeitszug, westwärts durch das Weltmeer bis in die krautbewachsene Sargassosee, östlich von Mittelamerika. Acht bis zehn Jahre lang lebte der Aal sein Einsiedlerleben auf dem Grund des Flusses, nun wandert er sechstausend Kilometer weit durch den Ozean, um in Tiefen über tausend Meter das gewaltige Hochzeitsfest zu feiern und dann zu sterben. Die Nachkommen aber treten in märchenhaften Mengen durch das unendliche Meer die Fahrt nach Europa an. Drei Jahre währt diese traumhafte Reise, dann kommen sie bei den europäischen Flußmündungen an. Sie steigen die Ströme aufwärts, Milliarden sind umgekommen, Milliarden erreichen ihr Ziel und führen im Schlamm eines Flußwinkels oder Binnensees ihr gespenstisches Leben.


Wir sitzen unten im Bauch des alten Aalkutters »Nepomuk«. Der Fischer und Fährmann Markus, der Fischer Kennerknecht und ich, ein Buchhändlersohn mit vier Schaufenstern.

Eine kranke Petroleumlampe brennt, draußen schwärmt die Nacht, wir schaukeln an unserer Kette mitten im Strom, eine gespenstische Runde, beim Himmel und allen Heiligen.

Auf Aalfang mitten in der mondlosen Nacht, sonderbare Jäger hinter einem sonderbaren Wild her.

»Bis Ende Mai zieht der Lachs«, sagt mir Markus, »jetzt ist es aus mit dem Lachs.«

248 Der Lachs wandert zum Laichen stromaufwärts, aber der Aal wandert abwärts ins Meer, höchst höllische Liebesabenteuer.

Solange der Lachs zieht, darf mit dem Aalnetz nicht gefangen werden, weil auch der Lachs ins Netz geht.

Das stinkt hier kannibalisch, eine Luft zum Schneiden, wer hier nicht seekrank wird und in die Rinne speit, der kann auch ums Kap Horn.

Wir brauen ein teuflisch scharfes Gesüff, heißes Wasser und Kirsch und Portugieserwein, alles zusammen in eine Bütte, und dann immer runter.

249 Herrgott, ist das eine Schiffsdestille, hängt mich am Steven auf, hier lebt noch das Abenteuer.

Mitten im Strom, an einer Ankerkette baumelnd und schaukelnd und tanzend. Ein Junigewitter ging nieder, draußen gaunert der Wind übers Schiff. Ein behäbiges Schiff, ein Schokker, schwarzbraun und duftend, wetterhart und wasserfest, ein plumper, schwangerer Kasten, steht mir bei, da schunkelt der »Nepomuk« vorm Anker, wenn wir das Maul halten, können wir das talwärts strömende Wasser gegen die Planken schlagen hören.

Seitwärts liegt das Netz im Strom, über die Netzbalken schäumt das Wasser, es ist eine fürchterliche Falle.

An phantastischen Hebebäumen wird es in den Rhein gestellt, so mögen die Pfahlbaubewohner schon gefischt haben, hier haben beim Henker die Jahrhunderte den Sinn verloren. Warum auch, vor tausend Jahren wanderte der Aal schon ins Meer hinaus, vor tausend Jahren strömte der Rhein, waren Menschen auf Fang und Beute versessen; die Erde bestand, gebärend und mordend, blühend und vermodernd, wo mag der Sinn stecken, bitte, wo ist die tiefere Bedeutung? Prosit!

Bin ich benebelt? Nein, nein, ich habe den Weinkeller noch in bester Erinnerung.

Dort hockt Markus, ein prächtiger Kerl, seiner Pfeife entströmt ein toller Brodem, er ist ein Mann; schaut ihn euch an, was für ein gegerbtes Gesicht er hat, Falten über Falten, rissige, gewaltige, klobige Hände, eine Hustenstimme, grimmig, ein Bär vielleicht, wer mag das wissen. Noch keine Stunde ist es her, da hat er uns in der Schiffsküche einen Aal in der Pfanne gebraten. Man muß das gesehen haben. Her mit dem 250 Aal, einen Stich ins Genick, mit der rostigen Beißzange das Fell abgezogen, gewaschen, geputzt und hinein in die Pfanne. So ist Markus, der Aalfischer, Marlenas Vater.

Marlenas Vater; ja, Marlenas Vater, ich weiß das, ich habe mich erkundigt, ich bin genau im Bilde.

Marlenas Vater, sage ich; sie verließ nachts die Hütte, und verlor sich im Rheinwald, der Teufel mag wissen, wo sie sich herumtreibt.

Noch keine Viertelstunde ist es her, da erzählte der Vater von seiner Tochter Marlena, die einen Knaben an die Separatisten verraten hat; die er mit der Kohlenschaufel geschlagen hat, Gott verzeih ihm die Sünde; die aus dem Haus und aus der Heimat mußte, sonst wäre sie von den andern noch erschlagen worden. Urteilt nicht zu hart, sie war noch ein Kind, ein anderer überredete sie, ein anderer war schuld am Tode des gerechten Menschen, sie war ein Kind, Teufel und Tod, nun ist sie in alle Welt hinaus. Prosit.

Ein solcher Schlaukopf bin ich, jawohl; dem Markus könnte ich etwas sagen, eine tolle Enthüllung könnte ich ihm machen. Hier sitzend im Bauch des Aalkutters »Nepomuk«, mitten im Tranduft und Fischdunst und Pfeifengestank, ein fürchterliches Gebräu durch den Schlund jagend, könnte ich ihm so nebenbei sagen: Lieber Markus, Bär an meiner Seite, ich traf deine Tochter Marlena nachts am Neckar; sie sang liederliche Gassenhauer und Moritaten und war verkommen und verelendet, verzeihe mir meine Offenheit. Sie spielte Stein, Schere und Papier mit mir, gewann mir fünfzig Pfennig ab und wollte für ein Paar neue Strümpfe zu mir ins Zelt kommen, die elende Schlampe, die ich beinahe liebgewann. Ich begegnete ihr wieder im Auwald, keine halbe Stunde von hier 251 entfernt, sie kam mit mir in die Entenjägerhütte; zu jenem Angler kam sie, dessen Sohn sie verraten hat; hexentoller Zufall, ich zog sie wie eine Katze aus dem Wasser, da soll man nicht an Wunder glauben, ich zog sie aus dem Rhein und wußte nicht, wer sie war, helft mir zur Besinnung, ist so etwas denn möglich? Nachts erfuhr sie von ihrer Missetat, Herr Markus, Bär mit der Knasterpfeife und mit den Knollenhänden, ihre eigene Schande kroch wie ein Schatten auf sie zu, ihr Verrat blähte sich übel und prahlerisch auf und trieb sie aus der Hütte, in die Nacht hinaus, in den Sumpf, zu dem Wildgeflügel und zu den Ohreneulen, ich könnte Euch nicht sagen, wo sie geblieben ist.

»Habt Ihr nichts gehört Markus?«

»Ich höre nichts.«

»Mir war, als ob jemand gerufen hätte.«

»Das Wild ruft in der Nacht«, sagt Kennerknecht und spuckt über Bord.

Ich werde mich hüten, dem Markus von meinen Abenteuern mit seiner Tochter Marlena zu erzählen, fällt mir nicht ein, wie käme ich dazu.

»Ich habe deutlich eine Stimme gehört.«

»Gespenster. Es geht um hier, Menschen gehen geistweis.«

»Hoho, Ammenmärchen. Ein Fest, wenn der Doktor und Zauberer Aphrasterus käme. Er müßte uns die fettesten Aale in die Reuse zaubern.«

»Redet nicht von Zauberern«, sagt Kennerknecht und reibt das Stoppelkinn, »ich könnte euch von Geschichten zwischen Tag und Dunkel erzählen. Wollen wir nicht nach dem Netz schauen?«

252 »Nichts da, nichts!« Markus fährt mit der Hand durch die Luft, die Tabakwolken segeln zur Decke.

»Geschichten zwischen Tag und Dunkel, daß euch die Spucke vertrocknet, sage ich.«

Markus brummt. »Mit deinen Geschichten!«

Mir kommt plötzlich der Einfall, etwas zu sagen. was ganz aus dem Rahmen fällt, wie komme ich dazu, was treibt mich?

»Aber Ihr habt ihr doch verziehen, der Marlena? Ich meine, Ihr habt kein Herz von Stein, Markus, Ihr müßt das doch einmal vergessen können, wie? Was sagte ich gleich, Ihr habt mich verstanden?«

Keine Antwort.

»Man sollte nach der Reuse schauen.«

»Halt's Maul, trinke!« Markus blickt den Kennerknecht wütend an.

»Erst mit deinen Geschichten und dann – – – hol dich der Henker.«

»Sie sind wahr wie das Evangelium, Markus. Du weißt, was ich am Ungeheuersee erlebte.«

»Ich weiß es nicht«, sage ich, »der Kasten schlingert gotterbärmlich.«

»Dann will ich's erzählen. Gieß mir mal einen Kognak – – also, der Ungeheuersee liegt drüben im Krummbachtal, mitten im Wald. Dort sitze ich mal auf einer gefällten Kiefer und sehe ganz plötzlich einen verdächtigen Mann am Wasser stehen, einen ganz komischen Kerl, mehr kann ich jetzt nicht sagen.«

»Ich meine, Ihr solltet ihr endlich verzeihen«, mische ich mich ins Gespräch und starre Markus an, »es sind zehn Jahre her, eine lange Zeit; Ihr habt sie mit der Kohlenschaufel –«

253 »Erzähle weiter!« sagt Markus und blickt voll Grimm zu Boden.

»Der Mensch, sage ich, hatte was Unheimliches, ich kann nicht sagen, warum. Was macht er denn jetzt, Hexengestank, was macht er? Schütt' mir mal Rotwein – – ich meine, der Kerl war ein Hexenmeister. Was macht er, frage ich? Er hebt die Hand und, bei meiner Seligkeit, der See fängt an, Wellen zu schlagen, das Wasser bewegt sich, wird immer stürmischer und schlägt wie eine rechte Brandung gegen das Ufer. Tollheit von dem Kerl, ich sage nur Tollheit.«

»Tollheit«, sage ich und wende mich Markus zu, »Ihr habt eine Seele im Leib, Gott verzeiht, und Jesus Christus hat verziehen, hört Ihr mich auch an – – Gott verzeiht, sage ich, auch Ihr müßt Eurer Tochter – – richtig, erzählt weiter. Wie war es mit dem Mann am See?«

»Ich packe meinen ganzen Mut zusammen und trete aus dem Gebüsch, schnurstracks auf den Mann zu. Gute Gesundheit, das Zeug ist heiß wie die Hölle. Also, der Mann blickt mich durchdringend an. Macht das Hexenstück noch einmal, sage ich und deute auf den See, der spiegelglatt daliegt. Der Mann, im grünen Jägeranzug, lacht wie der Leibhaftige – hat er nicht rote Haare, natürlich hat er rote Haare – lacht und hebt den Arm hoch. Mir rieselt's durch die Haut wie Ameisen, der See bewegt sich, ein kleiner bescheidener Sturm entsteht auf dem See, ein Wellengetümmel – –«

»Markus, mir ist, ich hörte jemand rufen«, sage ich.

»Laßt rufen, wer eine Stimme hat.«

»Es wäre an der Zeit, Markus, daß Ihr Eure Tochter wieder nach Hause – – gewiß will sie nach Hause, sie ist satt an der Fremde, überdrüssig am Zigeunerleben – – Ihr 254 versteht mich – – sie war bei den Goldwäschern, es kommt eine Zeit, man wird alt und älter, die Wunden heilen – –«

»Was sagte der gottverfluchte Zauberer?« ruft Markus.

»Ich will gewiß nicht lügen«, fährt der Aalfischer Kennerknecht fort, »ich bin ein trockener Kumpan, schlagt mich in Fetzen, also ich frage den Jägersmann, hee, sage ich, wie macht Ihr dieses schwarze Kunststückchen? Ich will es Euch erklären, sagt er, man muß nur um die Dreieinigkeit – – er kann nicht weiterreden, denn in diesem Augenblick ertönt ein scharfer Pfiff. Ich muß fort, sagt der Heilige, aber kommt heute abend in meine Wohnung. Ich wohne in Battenberg, fragt nur nach dem roten Sepp. Fort war er. Es kommt Wind auf, Markus.«

»Wir liegen fest. Was weiter?«

»Na ja, ich gehe nach Battenberg und frage nach dem roten Sepp. Gibt's nicht, weit und breit. Hohoho, richtig, vor Jahren lebte ein roter Sepp, jawohl, der böse Schreck heute noch bei allen Kindern; er baumelte am Galgen, sage ich euch, an der Feldglocke hing er, weil er seine Frau im Ungeheuersee ersäuft hatte.«

»Sie wird ihm das Leben sauer gemacht haben«, meint Markus und blickt düster. Ich weiß, ihn beschäftigt seine Tochter Marlena, ich habe da etwas aufgerührt, das brodelt nun und wirft Blasen.

Der Wind wird stärker, unser Kasten schlingert wie eine Hexenschaukel.

»Markus, am Verzeihen wird man groß und am Vergeben, das hat mir ein Angler gesagt. Herrgott, mir ist schlecht von dem gräßlichen Umtrunk hier. Könnt Ihr Stein, Schere 255 und Papier? Am Verzeihen, Markus, schaut nicht wie ein kranker Bär. Ich höre schon wieder jemand rufen.«

»Du hörst Mäuse laufen und Ratten nagen.«

»Nein, ich höre – – laßt mich mal einen Augenblick hinaus, ich ersticke hier – Luft – der Petroleumgestank – – ihr qualmt ein Teufelskraut – – an die Luft möchte ich –«

Ich mühe mich die Holztreppe hinauf, die Kajütentür ist offen, draußen haut der Wind mir um die Ohren. Frische Luft, reine, kostbare Luft, es rauscht in den Pappeln, der Strom ist mächtig in seiner nächtlichen Bewegung, feierlich wogt er vorüber, es ist, als spiele eine Orgel.

Der Kasten zerrt an der Kette, das Spill kreischt, es saust in der lächerlichen Takelage, alles in allem eine verwegene Sache. Kein Fetzen Helle am Himmel, wir leben so um Neumond herum, gut für den Aalfang, bei Mondschein wandert der Aal nicht, das soll ein Mensch begreifen.

Es wäre vielleicht an der Zeit, nach dem Netz zu schauen. Da ist ja der Aalkasten, was kriecht hier auf den nassen Planken? Ein Aal, verrückt, da quält er sich über das Schiffsdeck. Sicher ist er aus dem Kasten entkommen, er hat sich die Freiheit erschlichen, ich fasse ihn mit der Hand, brr, welch eine kalte Schlange, welch ein rätselhaftes Gewürm, Gott gab ihm das Leben. Kleiner Kopf, und soviel Torheit, soviel Sinn und Widersinn. Da ringelst und windest du dich um dein dumpfes Leben, du Tier aus Schattenbezirken. Ich kann dir nichts enthüllen und nichts erklären, ich bin selber verhüllt und verkappt und laufe mit dem Geheimnis meiner Geburt herum. Ich kann dir keine Lösung und Erlösung geben, du bist weiter von mir entfernt als der Mond, der dir peinlich ist auf deiner Hochzeitsfahrt. Holla, du Tor, willst sechstausend Kilometer weit 256 zur Brautnacht; Tölpel, strebst durch Weltmeere, um die halbe Erde herum, um dich zu vermählen. Welch ein Größenwahn in deinem kalten Aalhirn, welch eine Verstiegenheit. Ein Aal, und um die halbe Erde herum, ich selbst rannte hinter meiner Liebe her und wurde schon in einem Weinkeller zuschanden, ich kam kaum zwei Tagereisen weit und verlor schon den Geschmack. Ich will mit dem Kopf nach unten hängen, wenn ich nicht jemand rufen höre. Größenwahn. Ein Aal. Räucheraal. Ursula; sie stotterte. Wer auf der Bühne stottert, ist verloren. Wird ausgepfiffen, ausgelacht, hahahahaa!

Mir hat jemand ein Licht aufgesteckt. Für etwas Großes leben und sterben können.

Komm her, Aal, du Wanderer durch der Schöpfung geisterhafte Meere, komm her, ich will ein Weilchen Vorsehung spielen, ich will gut sein und voll Mitleid, mein weiches Herz rettet dir das Leben. Nimm dich in acht vor den Menschen, sie beten zu ihren Göttern, aber das Unheil brütet schwül hinter ihren Stirnen. Nimm dich in acht vor den Zweibeinern, und wenn du nach Mexiko kommst – – da schleudere ich ihn ins Wasser, klatsch, Glück zu auf deiner Fahrt.

Einmal lebte Ursula, jetzt ist sie tot.

Welch ein Geschwätz, was wollte er mit dem roten Sepp?

Ich torkle in den Schiffsbauch zurück, in die tolle Kajüte des Aalkutters »Nepomuk«.

Die beiden Fischer sitzen da wie Götzen, die Funzel flackert, Kennerknecht ist angeheitert, das Rezept, sagt er, habe ihm seine Schwiegermutter aus der Hölle telefoniert. Er ist ein Flausenmacher, ein kleiner Schaumschläger, ein Bajazzo und Aufschneider in kleinem Format.

»Hört mal«, sagt Markus, »was Ihr da geredet habt von 257 meiner Tochter – – wie meint Ihr das, was wollt – – Ihr damit sagen?«

»Daß es an der Zeit ist, sie heimzuholen, wenn sie nicht ganz verkommen soll.«

»Heimzuholen? Verkommen? Ist sie denn verkommen?«

»Ich weiß es nicht.«

Er beugt sich zu mir, seine Stimme ist heiser geworden, er kaut es zwischen den Zähnen hervor.

»Ich habe ihr ja schon längst vergeben und verziehen, Gott ist mein Zeuge, was wollt Ihr denn? Wißt Ihr, wie's da drinnen aussieht, hee? Was ich durchgemacht habe all die Jahre her, wißt Ihr das?«

»Nein, Markus.«

»Die Reuse, Markus«, quarrt Kennerknecht dazwischen, »man sollte nach dem Netz schauen.«

»A was!« Markus fährt mit der Hand ärgerlich durch die Luft.

»Holt Eure Tochter heim, Markus, es ist an der Zeit.«

»Wo denn, wie denn? Hört mich mal an, ich weiß nicht ein und aus, ich – –«

»Ich will euch was erzählen«, brabbelt wieder Kennerknecht dazwischen, »wie ich auf den Barsch gegangen bin und mit einem Wurm und einer Schnur sechs Bärsche fing, nur weil ich den Angelwurm in Rizinusöl tauchte, hoho, das ist bei meiner Seligkeit – – –«

»Glückseligkeit«, rufe ich, »sieben Glückseligkeiten, ich kann davon erzählen.«

»Ich fange euch mit einem Wurm einen Barsch, den Barsch verschluckt ein Hecht, und ich habe sie alle beide.«

258 »Geh und schau nach dem Netz!« ruft Markus wütend, »geh und mach, daß du ins Beiboot kommst.«

Kennerknecht stolpert die Treppe hinauf, ich höre ihn über Deck trampeln.

Eine unheimliche Nacht, Aphrasterus – –

»Hört mich an«, stößt Markus hervor, »ich würde unserm Herrgott auf den Knien danken, wenn sie zu Hause wäre. Mein einziges Kind – – Kerzen in der Kirche, hört Ihr mich, alles, noch mehr – – mein Leben gäbe ich drum, wenn sie daheim – –«

»Sie ist – – nicht – – weit – Markus.«

»Mein Leben!« schreit er hinaus, »ich sage nicht zuviel, die Mutter Gottes soll mich hören.«

Oben an Bord ist ein Rumpeln und Toben, was ist denn los, Kennerknecht dreht die Netzwinde, jetzt gehen die Balken hoch, lebendiger rauscht das Wasser.

»Was ist denn los?«

»Das Netz. Er holt das Netz hoch –«

»Bin ich verrückt, ich hörte jemand schreien.«

»Ja«, sagt Markus, »jetzt habe ich den Kennerknecht rufen hören. Komm hinauf.«

Auf Deck ist es still, nur der Wind randaliert durch die Drahtseile, ein Summen wie von Bienenschwärmen.

»Jetzt ist es Zeit. Komm hinauf, du kannst mit hinausfahren.«

Markus tapst nach oben und reibt sich die Augen, ein Bär, sonst nichts, wankend und halb gebeugt. Ich folge nach, plötzlich sind viele Sterne am Himmel.

Wir klettern über die Reling ins Beiboot, verdammt, ist das eine glitschige Nässe, wer hier ausrutscht, kann sein letztes 259 Vaterunser beten. Kennerknecht macht sich am Netz zu schaffen, ich höre ihn fluchen und wettern.

»Markus«, ruft er, »zieh auf! Hörst du nicht, zieh doch auf, sage ich, Himmelkreuz – – was ist denn nur mit dem Netz – –«

Markus packt das Netz an, was ist denn los, Wasser klatscht, der Strom schäumt über die Balken.

»Anhieven, es hängt etwas am Netz. Markus! Zieh bei!«

Wo sind die Sterne, man kann kaum etwas sehen, es ist dunkel wie in sieben Säcken.

»Markus«, ruft Kennerknecht, und in seiner Stimme ist ein verdächtiges Gurgeln, »Markus, hier hängt ein toter Mensch am Netz, ein ertrunkenes Frauenzimmer. Pack zu, das ist ein verteufeltes Gewicht.«

Sie ziehen ein nasses Bündel an Bord. Wasser trieft, Atem stößt keuchend in die bewegte Nacht.

Am Tau ziehen wir uns zum Kutter hinauf, mühsam bringen wir das nasse Bündel an Bord.

Ich bin ein vollkommener Narr, ich weiß nicht ein noch aus, was hat sich denn ereignet, sind Aale im Netz?

Eine Frau, da bleibt kein Zweifel mehr. Da liegt sie auf den Schiffsplanken, sie rührt sich nicht, sie ist tot, Gott sei ihrer armen Seele gnädig. Wer so daliegt, ist tot.

»Holt die Lampe«, sagt Markus.

Mir wird unheimlich, mein Herz klopft bis zum Hals herauf. Der Fischer bringt die elende Petroleumlampe. Ich leuchte der Toten ins Gesicht.

Marlena.

Der Wind löscht das Licht. Deutlich sah ich die Narbe über der Stirn.

260 »Ja«, sagt Markus, »die Liebe treibt manche ins Wasser, es muß was Besonderes sein.«

»Markus«, sage ich und bin merkwürdig fest und gefaßt, »da liegt Eure Tochter Marlena!«

Wir tragen die Tote in die Kabine, Markus leuchtet ihr wieder ins Gesicht. Lange starrt er in die bleichen, starren Züge, er rührt sich nicht.

Er stellt die Lampe neben der Toten nieder und richtet sich auf. Die Arme baumeln am Körper, der Kopf sinkt auf die Brust.

»Ja«, sagt er, »das ist Marlena. Ich – ich hätte sie nicht erkannt, – – aber – – an – der Narbe – –«

Ich beuge mich zu Marlena nieder, ganz nahe betrachte ich sie, seltsam, einen toten Menschen zu betrachten. Ich will ihr einmal über das Gesicht fahren, und durch die nassen Haarsträhnen, wie sonderbar.

Eine Hand ist zur Faust geballt. Stein, denke ich, eins zwei drei Stein; wenn ich jetzt Schere mache, hat sie gewonnen; wie sonderbar.

»Wir wissen nichts, Markus, wir wissen rein gar nichts. Hört zu, sie kannte einen Steuermann, jawohl, Max mit Namen; der nahm ein rohes Ei in die Faust – –«

»Ein Wort noch«, brüllt Markus fürchterlich in die Nacht, »ein einziges Wort nur, Marlena!«

Töricht von Markus, so zu schreien. Wer tot ist, spricht nicht mehr.

Der Tod ist stumm und blind und taub.

Nein, wer tot ist, Markus, der ist unheimlich weit fort von uns.

261 »Sie war bei den Goldwäschern, Markus. Viel Gold liegt im Rhein, man kann reich werden.«

Ich beuge mich zu der Toten nieder und nestle an den nassen Kleidern.

Ein Beutelchen kommt zum Vorschein.

»Schaut her, Markus, das ist Gold, lauteres Gold.« 262

 


 


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