Roland Betsch
Die sieben Glückseligkeiten
Roland Betsch

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Der Neckar ist ein liebenswürdiger Fluß, er hat viel Zeit und wandert auf närrischen Umwegen dem Rheinstrom zu. Wie nahe hätte er es von seinem Ursprung aus, aber nein, er will Wanderer sein. So hat dieses behagliche Gewässer etwas vom zeitlosen Vagabunden, das Abenteuer nistet an seinen friedlichen Ufern

Dies also ist mein Bordbuch, mein Logbuch, wie der Seefahrer sich ausdrückt. Auch ich bin ein Fahrender, ein Segler mit allen Winden und Wettern. Niemand soll mich verlachen, weil ich mit meinem neuen Motorrad am Straßenrand sitze und kein Benzin mehr habe.

Der Tank ist leer, bei des Teufels Pferdefuß, wie ist das zugegangen? Wieder einmal bin ich das Opfer einer fremden Macht geworden.

Ein großes Glück, daß ich Zeit habe. Ich kann es mir leisten, hier am wunderlich blühenden Straßenrand zu sitzen und über die sausenden Wiesen hinweg nach dem Neckarfluß zu schauen, der sich seinem plätschernden Schlendrian hingibt. Viel Glück auf deiner Reise, wenn es zu sagen erlaubt ist.

Wohin ich will, weiß der Himmel. An den Rhein und durch den Schwarzwald; und an den Bodensee. Vielleicht durch die Schweiz nach Italien und Sizilien, nach Afrika hinüber und durch Wüste und Busch. Das steht in den Sternen, wohin 8 Hans Hiedewohl will, der Buchhändlersohn und Fahrer mit allen Winden und Wettern.

Dies ist mein Logbuch, mein Buch der Abenteuer, mein Buch der sieben Glückseligkeiten.

Da kommt ein Mann, ein Radfahrer, Mensch auf gewöhnlichem Strampelpeter ohne Benzinbetrieb.

»Lieber Freund«, rufe ich und blase ihm Zigarettendampf entgegen. Er steigt vom Fahrrad. Ein Mann aus dem Volke, das sehe ich; nicht gerade begütert, sein Filzhut ist speckig; die Hosen, vom vielen Radfahren, haben an den Knien kugelartige Auswüchse.

Ich gebe ihm eine Zigarette und sage: »Das Dorf auf dem Berge dort, ist es nicht Erbach?«

Ho, wie er jetzt lacht! Ganz breit und fröhlich, donnernd geradezu lacht er.

»Mensch, Erbach!« antwortet er, »das ist Dilsberg«.

»So, das ist also Dilsberg?«

Ich weiß natürlich, daß es Dilsberg ist, nur, ich will den Mann freundlich stimmen, ich will ihn mir näherbringen, ihn zutraulich machen. Er soll mir nämlich Benzin holen.

»Mir ist das Benzin ausgegangen, es ist rein des Teufels!«

»Daran sind Sie selbst schuld.«

»Wer redet von Schuld? Man kann sein Leben lang das Opfer fremder Mächte sein.«

»Was hat Ihr leergestänkerter Tank mit den dunklen Mächten zu tun?«

»Viel, sage ich Ihnen, lieber Freund. Ich bin vom Pech verfolgt, vom kleinen Pech, begreifen Sie nur! Pech ohne eigentliches Format. Lächerliches Pech. Ein Pech gewissermaßen, das auf anderer Menschen Zwerchfell wirkt. Zum 9 Beispiel fehlt es mir jetzt an einem armseligen Liter Benzingemisch. Glauben Sie vielleicht, es käme jemand des Weges, der mir dort im nächsten Dorf, welches, soweit mir bekannt, Hirschhorn heißt – –«

»Hirschhorn, hahaha! Da sind Sie längst hindurch. Hirschhorn liegt hinter Ihnen. Ihre Ortskenntnis stinkt zum Himmel. Das ist Neckarsteinach.«

Er freut sich gewaltig, weil ich Hirschhorn mit Neckarsteinach verwechselt habe. So leicht ist es, den Mitmenschen eine Freude zu machen. Man hat nur nötig, etwas ausgefallen Dummes, etwas Törichtes zu sagen; sich ein wenig bloßzustellen und darzutun, daß der Mitmensch klüger sei.

»Gut also, sei es Neckarsteinach. Wer aber holt mir in Neckarsteinach einen Liter Benzin?«

»Ich ganz bestimmt nicht«, sagt er und hat eine sonntägliche Freude.

»Wollten Sie mir nicht etwas von Ihrem Pech – –«

»Richtig, das wollte ich. Hören Sie weiter, nun kommt das Kuriose. Mein Pech wird immer zum Glück. Es schlägt einen Purzelbaum, stülpt sich um wie ein Handschuh.«

»Verrückter Kerl.«

»Nicht im mindesten verrückt. Um etwas herauszugreifen, schauen Sie sich dort mein funkelnagelneues Motorrad an. Sie geben zu, das Ding kann sich sehen lassen?«

»Eine moderne Knallschote, zugestanden.«

»Das Gefährt hat mir ein wildfremder Mensch geschenkt.«

»Machen Sie keine faulen Witze.«

»Bei meiner Buchhändlerehre! Wissen Sie, warum er es mir geschenkt hat? Weil er mich vorher damit überfahren hat.«

»Nun aber genug. Ich gehe.«

10 »Wie heißen Sie denn?«

»Was hat das mit meinem Namen zu tun?«

»Nichts, aber ich rede immer an einen Unbekannten hin. Ihr Name wird kein Geheimnis sein.«

»Keineswegs, ich heiße Häutle, David Häutle.«

»Häutle, richtig, gewissermaßen eine kleine Haut. Häutchen, Häutle.«

»Sie wollten mir vom Motorrad – –«

»Wie gesagt, weil er mich damit überfahren hat. Ich komme unmittelbar aus dem Krankenhaus, ich lag dort drei Wochen in Gipsbinden. Lassen Sie sich kurz erzählen. Eines Tages gehe ich zu Hause über die Straße und schaue ein wenig in die Luft. Auf unserem Kirchendach nämlich stand ein Schornsteinfeger. Sieh da, ein Schornsteinfeger, dachte ich, der wird dir gewiß Glück bringen. Da fuhr mir ein Motorrad mit Beiwagen über den Leib. Ich brach zwei Rippen und die Elle des linken Armes. Keine schweren Verletzungen, wie ich Ihnen sagen darf. Schwere Verletzungen liegen mir nicht, sie stehen mir schlecht zu Gesicht. Mein Pech ist bagatellenhaft, weit entfernt von Großzügigkeit. Ich kam ins Krankenhaus, der Motorradbesitzer, ein durchaus gutartiger Mensch mit schwachen Nerven, besuchte mich im Krankenhaus, schwor bei seiner Familienehre, er würde fortan seinen Lebenswandel keinem Kolbenmotor mehr anvertrauen, und schenkte mir das Gefährt.«

»Das ist eine fette Räubergeschichte.«

David Häutle macht ein ungläubiges Gesicht und schielt nach seinem uralten Fahrrad. Dort lehnt es am Baum, trübselig und verkommen, hinten ist ein verbeultes Köfferchen aus Vulkanfiber aufgeschnallt.

11 »Ist es neugierig, Herr Häutle, wenn ich Sie frage, welchem Berufe Sie nachgehen?«

»Ich bin Apotheker.«

»Nun bin ich aber überrascht. Nie hätte ich Sie für einen studierten Mann gehalten. Es ist wohl schlecht um die Apotheker bestellt in unserer Zeit?«

»Studiert nun gerade nicht«, meint Häutle kleinlaut, geht zum Fahrrad, schnallt den kotbespritzten Koffer ab und öffnet das Wunderbehältnis.

Im Koffer erblicke ich kleine Fläschlein und Büchsen, Tüten und Packungen. Einige Fläschlein nehme ich in die Hand und lese die Aufschriften. Da steht: Franzosenöl, Warzentod, Kinderwein; Rosenessenz. Da steht Gehöröl, Kropfspiritus und Abführsaft. Flüssiger Blumendünger ist auch dabei.

»Donnerwetter«, entfährt es mir, »gewiß alles uralte Hexen- und Schwefeldampfmittel?«

»Es ist jetzt ein schlechtes Geschäft. Ich bin fleißig wie eine katholische Kirchenglocke, wenn der Abend kommt, habe ich kaum meine Schlafstelle verdient.«

»Helfen denn diese Mixturen wirklich?«

»Kein Schwindel, mein Herr. Ich bin von der Knodener Höhe, dort sind alle Zaubermittel zu Hause. Welchen Beruf üben Sie aus, um eine Frage zu tun?«

»Ich bin Buchhändler, ich verkaufe unterwegs Bücher. Mit dem Erlös schlage ich mich durch die Ferientage. Mein Vater hat mir unbeschränkten Urlaub eingeräumt.«

David Häutle schmunzelt geringschätzig.

»Sie sollten die Knodener Kunst verkaufen, das wäre ein Geschäft.«

»Was hat es denn auf sich mit der Knodener Kunst?«

12 »Sie kann bannen und hexen und ist uralt wie die Welt.«

»Muß eine verteufelte Sache sein.«

»Vielleicht sind Sie in diesem Augenblick schon im Bann der Knodener Kunst.«

»Wer? Ich?«

»Kein anderer. In der nächsten Minute können Ereignisse eintreten, die Ihre Ferientage sozusagen verhexen.«

In diesem Augenblick fährt ein wundervolles taubenblaues Auto vorbei. Das Auto hält an der Biegung der Landstraße. Ein Herr und eine Dame mit Brille und Staubschleier sitzen in dem herrlichen Wagen.

Mein Herz klopft hörbar, ich weiß nicht, warum. Was will er mit seiner Knodener Kunst?

»Kaufen Sie mir ein Fläschlein Gehöröl ab«, sagt David Häutle, »Sie können es immer gebrauchen. Gott gebe, daß Sie einmal ordentlich Ohrenschmerzen bekommen, dann werden Sie das Öl über alles loben. Bitte um neunzig Pfennige.«

Dieser Landstraßenapotheker mit den blasigen Hosen und dem schlecht sitzenden Hemd tut mir plötzlich leid, mir wird schwer ums Herz, wenn ich ihn anschaue. Ich muß auch noch feststellen, daß er zusammengeknotete Schnürsenkel hat. Gott liebt auch die Außenseiter, ja, er umkleidet sie mit einem wehmütig farbigen Schimmer; mit einem verbettelten Glorienschein, der ihr unruhiges Leben verborgen trostreich überglänzt.

Gott ist ja selbst auf den Landstraßen, in den Herbergen und Scheunen, bei den Armen und Ärmsten und bei allen, die neben der ruhigen Ordnung einherwandern.

»Hier haben Sie eine Mark«, sage ich und drücke David Häutle ein Nickelstück in die Hand. »Ihre Knodener Kunst interessiert mich.«

14 »Glaube ich gerne. Sie sollten erst mal einem Hexenstrumpf begegnen. In Knoden lebte im Dreißigjährigen Krieg eine Frau, sie besaß einen Ring, der war aus einem Krötenauge gemacht. Sie war ein Hexenstrumpf.«

»Hexenstrumpf?!«

Etwas zwingt mich, nach dem taubenblauen Wagen zu schauen. Die Dame hat sich im Sitz umgewendet. Im gleichen Augenblick schaut sie zu mir herüber, ich fühle ein feines Sausen in den Ohren.

»Vorsicht, mein Herr, und Finger davon! Es gibt junge Mädchen, die haben einen Hexenstrumpf. Sie tun erst unschuldsvoll wie Gartenlilien und dann locken sie die verhexten Männer ins Verderben. Gott gebe, daß Sie auf Ihrer Fahrt keinem solchen Hexenstrumpf begegnen.«

»Es wäre seltsam. Nie habe ich von Hexenstrümpfen gehört.«

»Hier in diesem Fläschlein ist Rosenöl. Ich schenke es Ihnen, es ist manchmal gut, wenn man nach arabischen Essenzen duftet. Für ein einziges Fläschlein braucht man zehntausend Rosen von Schiras.«

David Häutle gibt mir das Fläschlein und macht sich auf die Socken, vielmehr aufs Rad.

So fährt er jetzt dahin, ein restlos unmoderner Mensch. Ich muß ihm nachschauen, bis er verschwindet.

Das alles hat sich nur ereignet, auf daß etwas Größeres sich erfülle. 15

 


 


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