Richard A. Bermann
Das Urwaldschiff
Richard A. Bermann

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Erster Teil
Doktor Schwarz aus Leitmeritz

»E quanto a dir qual era, è cosa dura,
Questa selva selvaggia ed aspra e forte,
Che nel pensier rinnuova la paura.
Tanto è amara, che poco è più morte.«

»Wie schwer ist's doch, von diesem Wald zu sagen,
Wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Not;
Schon der Gedanke dran erneut mein Zagen,
Nur wenig bitterer ist selbst der Tod.«

Dante, Inferno I.

       

Zueignung an Curupira

Nun, da ich von dem großen Geheimnis des amazonischen Waldes sprechen soll, von dem ungeheuren Reich des grünen Zwielichts, von den dumpfen Schatten und den brennheißen Sonnenpfeilen; von den Rätseln der zahllosen Waldflüsse, der Wirrsal der verwachsenen Pfade, da ich von diesem überquellenden Leben sprechen soll, diesem Rauschen, Huschen, Fliegen, Schwirren unter den dunkelgrünen Zweigen – zu dir, o Curupira, Geist des großen Urwalds, strecke ich meine Hände empor! Verwirre mein Wort nicht, großer Irrgeist der Baumwildnis, lasse mich meinen Pfad sehen zwischen den Stämmen, den Schlingpflanzen, die sie mordend umfangen, nicht auf den verwachsenen Wasserwegen lasse mich den Pfad verlieren, zwischen den ungeheuren Blüten der Viktorialilien! Meinem Irren und Taumeln sei gnädig, da ich von deiner Welt sprechen will, Curupira, Curupira!

Die Götter Griechenlands, schön, klar und lächelnd, sie wären verloren im Urwaldgestrüpp am Amazonas. Er selbst, der Waldläufer der nordischen Insel, der Elfe Puck, er könnte in diesen heißen und wilden Wäldern nicht bestehen. Elfentanz auf nächtlichen Waldwiesen? Der Indianer Amazoniens weiß, daß keine Elfen auf Waldwiesen tanzen können, der Jaguar würde sie fressen und der schwarze Puma, der grausam die Halsader des Opfers sucht – – Die Elfen des Amazonenstromes tanzen mitten im Wasser, auf der großen, runden, schwimmenden Tellerfläche der Victoria Regia, und die Riesenschlange Anakonda windet sich im Kreis darum, den Tanz vor bösen 8 Dämonen zu schützen, vor dem schrecklichen Nachtgespenst Jurupary und vor dem entsetzlichen lahmen Zwerg Maty-Taperé, vor ihm, der im Dunkel wie ein heiserer Vogel schreit – –

Die blonden Elfen des Nordens sind zu zart für diesen großen, großen Wald. Aber er ist doch voll von geheimer Göttlichkeit; die Indios wissen es, die noch frei an den Flüssen wohnen, mit Bogen und Speer; und selbst die in den großen Uferstädten, halbindianische Mamelucos und halb vernegerte Cafuzos, auch sie erzählen ihren gelben und schwärzlichen Kindern am Abend vor der Hütte, daß der Strom der Wassermutter gehorcht und der Wald dem Curupira.

Das Wasser, dieses endlos strömende und stehende Wasser, das durch den amazonischen Urwald sickert, flutet hier breit wie ein Meer und bronzegelb, hier reißend und tief und blauschwarz, hier grün, hier vielfarbig, mit unvermischten Farben; zwischen den Mangrovewurzeln, den Palmgestrüppen, quer durch das Gewirr der Inseln, das Wasser des einen großen Süßwassermeeres und der sechs Rheine und der fünfzig Elben, der hundert Themsen, der fünfhundert Inne, die da durch den dicken schwarzen Wald gelaufen kommen, voll von Fischen, von Kaimanen, Schildkröten, Schlangen – dieses Wasser, das Leben ist und Gefahr, Mutter und Tod, der amazonische Indianer personifiziert es in der Göttergestalt der Mae d'Agua, der großen Wassermutter. Sie ist die Lorelei, die Melusine, die Nixe des Amazonenstroms; in der Nacht dringt ihr zauberischer Gesang aus dem Pflanzendickicht, das die Igarapés umgibt, die schmalen Bootpfade im Waldgestrüpp. Und wer dieses Singen hört, der wird toll vor Sehnsucht und stürzt sich mit einem wilden Lachen in den Fluß – –

Vom Ufer kommt das kichernde Murmeln der Yaras, der Flußsirenen, die der Wassermutter dienen.

Dem Curupira gehört der Wald. Dieser amazonische Rübezahl ist 9 halb ein Indianer, halb ein Baumaffe oder Jaguar, ein kletterndes Gespenst. Wenn er sich in seiner wirklichen Gestalt zeigt, sieht man, daß seine Füße verkehrt an den Beinen sitzen, mit den Zehen nach hinten, oder auch, daß er einen Fuß wie ein Mensch hat und den anderen wie ein riesiger Jaguar. Er hat nur eine Augenbraue in der Mitte der Stirn, seine Zähne sind blau. Aber gewöhnlich erscheint er dem Waldwanderer in verzauberter Gestalt; der Mann glaubt, ein schönes Weib zu sehen, das Weib einen schönen, starken Krieger; Necken und Verwirren ist die höchste Lust des Curupira.

Vielleicht war dieser sonderbare, schweigende, große, bronzebraune Mensch, dem ich im Walde begegnete, damals, Curupira. Ich sprach ihn an, und er lächelte und war gleich wieder weg, und nun geschah jenes peinlich lächerliche Malheur mit den höllisch beißenden Feuerameisen.

Und als ich auf dem Baumstamm saß, ganz betäubt von dem Farbenglanz der flatternden Schmetterlinge und der leuchtenden Vögel – jenes tiefe Pochen im Wald, das war kein Specht, das war Curupira, der herumgeht und mit einer ungeheuren Axt aus Schildkrot die alten Bäume beklopft, ob sie dem nächsten Sturm noch widerstehen werden – –

Er ist gut und böse, komisch oder furchtbar, Freund oder Feind, freigebig oder grausam, dankbar und ein großer Rächer, er ist wie dieser Wald selbst, der neckt und verwirrt, Schätze gibt, Nahrung und tausendfach den Tod – –

Vielleicht ist der Curupira einfach, verzeih mir, Curupira, ein großer Affe, einer, den die Naturforscher bisher nicht katalogisiert haben. Was wissen die Naturforscher vom amazonischen Wald! Sie kennen den zehnten Teil nicht. Sie behaupten, daß in diesem ungeheuren Treibhaus das Leben noch nicht bis zu den höchsten Stufen der Entwicklung 10 gediehen ist; dieses überreiche, phantastisch reiche Tierleben des Waldes soll es nur bis zu den kleineren Kletteraffen gebracht haben; die großen Menschenaffen fehlen, und der Mensch selbst scheint hier ein Fremder zu sein, ein Gast aus anderen Erdteilen, aus Polynesien, Ozeanien, bevor er Zuzug aus Europa und Afrika bekam.

Ist nicht vielleicht der Curupira, von dem alle Indianer Brasiliens wissen, der große aufrechte Affe, von dem die Naturforscher nichts wissen, der mögliche Ahn des künftigen, wirklich amerikanischen Menschen?

Die Sage läßt den Curupira neugierig sein wie einen Affen. Der Kautschuksammler, der im Wald den Weg zu verlieren fürchtet, setzt sich rasch nieder und flicht ein sonderbares Geflecht aus den Stengeln bestimmter Pflanzen und läßt es liegen. Der Curupira, zwischen den schlanken Assai-Palmen hervorlugend, sieht das Spiel und wird sogleich das Gewinde aufzuflechten beginnen; während der Neugierige so beschäftigt ist, weicht sein Zauber von dem verfolgten Menschen, sein verwirrter Blick wird wieder klar, er erkennt die Pfade des Waldes – –

Oh, hätte ich die Pflanzen gewußt und das Geflecht gewoben, als mir der Curupira ungnädig war und mein Lebenspfad verwirrt im amazonischen Walde, in den seltsamen Tagen der amazonischen Operettenrevolution!

Curupira, das ist die unsägliche Wirrnis des Dickichts, das böse Peitschen der Zweige, Stechen der Baumwespen und Ameisen, Fallen über Wurzeln, aber auch die sanftere Neckerei der davonflatternden feuerroten und grünen Libelle, jenes in der Sonne durchsichtig und rubinrot gewordenen Blattes, dem ich atemlos durch das Bambusgebüsch zustolperte, weil ich es für irgendeinen Märchenschatz hielt, Karfunkel oder Rubin – Curupira, das ist das Huschen in den 11 Zweigen, das Rauschen hinter der Mauer des Astgewirrs, das Rascheln der großen Eidechsen im Laub, die duftende Hitze in dem unsäglichen, unendlichen amazonischen Urwald, den ich zuviel gesehen habe und nicht genug für meine Glückseligkeit, dieser geheime, zwielichthelle, zwielichtdunkle, schwirrende, raunende, grüne, dunkle, fürchterliche, neckische, herrliche, gespenstische Zauber, Zauber, Zauber – – 13


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