Richard A. Bermann
Das Urwaldschiff
Richard A. Bermann

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Achtes Kapitel

Meine Herren, sagte der Weltbummler, den Umriß der Geschichte kennen Sie wahrscheinlich, Sie wissen, daß Francisco de Orellana den Gonzalo Pizarro und die Seinen niemals wiedergesehen hat, und daß sich die Historiker noch heute über die Streitfrage aufregen, ob das der schwärzeste Verrat war, den ein Soldat an seinem General, ein Kamerad an den Kameraden begehen konnte, oder ob Orellana, der Stromschnellen wegen, niemals zum Lager der Expedition hätte zurückkehren können, auch wenn er wirklich auf jenes erträumte Land des Überflusses gestoßen wäre, und auf Lebensmittel, die er hätte zurücktransportieren können. Der Streit der Gelehrten geht nun schon durch vier Jahrhunderte, ob der Entdecker des Amazonas ein Heros war oder ein Schuft. Ich, der ich ihn für einen von den großen Sehnsüchtigen halte und so schildern will, brauche ihn nicht schuldlos; warum sollte seine Leidenschaft nicht bis zum Verbrechen gegangen sein? Und wenn es wahr wäre, daß Gonzalo Pizarros Schätze an Bord der Brigantine waren, das Gold, die Smaragden, und daß Orellana nicht nur ein Verräter war, sondern sogar ein Dieb! Auch schert mich Gonzalo Pizarro nicht weiter, nicht sein langes, vergebliches Warten und nicht die Wut, da das Schiff nicht wiederkommt; nicht den entsetzlichen Rückzug dieses Mannes nach Quito habe ich zu schildern, noch sein weiteres Schicksal, da er den größeren Bruder, den Schlächter der Inkas, tot findet, ermordet in den Bürgerkriegen, die schon damals begannen, das Amerika der spanischen Eroberer zu erschüttern, und in denen schließlich auch Gonzalo Pizarros Haupt fallen wird, tragisch, auf dem Richtblock, als das Haupt eines 157 Rebellen, nachdem er kurze Zeit die ganze Macht in Händen gehabt und Peru beherrscht hat.

Wohl aber werde ich in mein Buch die Szene zu fügen haben, wie Orellana, ein spanischer Hidalgo, noch in der Leidenschaft, noch im Verbrechen förmlich, die Lage gleichsam legalisiert, in der Versammlung seiner Mannschaft, irgendwo auf einer Sandbank in der Gabel der Flüsse, und wie er sich drängen und nötigen läßt, ehe er, feierlich die Generalleutnantschaft des Gonzalo Pizarro niederlegend, sich zum Kapitän macht, »um desto gefälliger zu sein«, sagt er in einem Dokument, »dem Dienste Gottes und Seiner Majestät, und um ihnen zu dienen«. Das feierliche Schriftstück ist, wie gesagt, noch heute erhalten, mit neunundvierzig Unterschriften von Orellanos Gefährten, worin sie »im Namen Gottes und des Königs Euere Gnaden bitten, doch nicht diese Reise stromauf zu beginnen, auf welcher das Leben so vieler Guter aufs Spiel gesetzt würde, dieweil dies auch die Meinung ist der seeerfahrenen Schiffsleute, so hier in der Barke und den Booten mit uns sind, daß wir allhier von dem Lager des Herrn Gobernadors Pizarro zweihundert Leguas entfernt sind oder mehr auf dem Weg zu Lande, und diese zweihundert Leguas gänzlich ohne Weg oder Dörfer, dazu die sehr erschrecklichen Gebirge, so wir selbst durch Erfahrung und mit Augen gesehen, da wir flußab kamen in besagter Barke und Kanus, große Mühsal leidend und auch Hunger . . . Deswegen nun bitten wir Euere Gnaden und flehen wir und verlangen wir, Sie mögen uns den Fluß nicht hinaufführen, noch uns dies befehlen, da dies ein Anlaß wäre, Euer Gnaden den Gehorsam zu weigern . . .«

Oh, es gibt Dokumente, sagte der Weltbummler: vielleicht schreibe ich einen historischen Roman in drei Bänden, der dritte enthält die Noten des Autors, der geehrte Leser muß sie durchaus nicht lesen. Die andere Petition werde ich dort zitieren, abgegeben vor »Francisco de 158 Isásaga, Escribano de Su Magestad«, denn, natürlich, Orellanas Rebellion beginnt damit, daß er einen Schreiber einsetzt, der sie gehörig zu protokollieren hat – – also Isásaga, Escribano Seiner Majestät in Orellanas Armada, nimmt gehörig zur Kenntnis, daß der erlauchte Herr Francisco de Orellana nicht länger mehr Generalleutnant sein will für den sehr erlauchten Herrn Gonzalo Pizarro, Gobernador und Generalkapitän der Provinzen von Quito, auch entdeckten Zimtlands, sondern, daß die Ritter, Hidalgos, Gefährten und guten Gesellen dieser gegenwärtigen Heerfahrt von ihm erbitten, erflehen und verlangen, er möge fürderhin als ihr Kapitän gelten, und nicht mehr stromauf zurückkehren, so werde er seinen Dienst erweisen Gott Unserem Herrn und Seiner Majestät; »und uns eine Gnade«, sagen sie. »Und sodann«, sagt gravitätisch das Protokoll, »verkündete besagten Gesuches wegen, und um dem Ruhme Gottes, Unseres Herrn, und Seiner Majestät, des Königs, desto besser zu dienen, der besagte Señor Capitàn Francisco de Orellana, daß er es annehme, und nahm es an im Namen Seiner Majestät, und unterschrieb es mit seinem Namen: Francisco Dorellana. – Vor mir, Francisco de Isásaga, Escribano besagten Heeres. – Und sodann legten alle, so dieses unterschrieben haben, ihre Hände auf ein Meßbuch und schworen in aller Form bei Gott und der heiligen Marie und bei dem Zeichen des Kreuzes, bei den heiligen vier Evangelien, besagten Francisco de Orellana für einen Kapitän zu halten und ihm als solchem in allem gehorsam zu sein, was befohlen würde im Namen Seiner Majestät. Zeugen der Pater Fray Gaspar de Carvajal und der Pater Fray Gonzalo de Vera. All dies, wie es vorgegangen vor mir, dem besagten Escribano. – Francisco de Isásaga, Escribano des Heeres.« –

Oh, sagte der Weltbummler, für einen Band gelehrter Noten reicht es schon, zu dem feierlichen »historischen« Roman, den ich aus dieser 159 romantischen Geschichte einer Sehnsucht nicht machen werde. – Oder soll ich? Soll ich die große tragische Szene schreiben, wie dieser junge Hidalgo, den Gonzalo Pizarro dem Orellana als Fähnrich mitgegeben hat, Don Hernàn Sanchez de Vargas, sich ganz allein dem Verrat widersetzt und eine schöne Rede hält, eine lange, vielleicht in jambischem Rhythmus: Ha, Verräter, nicht sollst du mich mit deinen Worten betören; ich bleibe treu, zittere, Tyrann! – Diese kleine tragische Episode, wie dann der böse Orellana den treuen Sanchez de Vargas ganz allein zurückläßt in dieser wilden Wüste, zwischen den beiden Flüssen und dem erschrecklichen Gebirge – und wie dieser treue junge Mensch, denn die Tugend triumphiert zum Schluß, dann doch gerettet wird, als der Gouverneur Gonzalo Pizarro in seiner Verzweiflung ein Stück durch den Wald marschiert kommt, die desertierte Brigantine zu suchen; – und Sanchez de Vargas erzählt ihm von Orellanas Verrat – –

Dies, sagte der Weltbummler, werde ich mit gebührender Feierlichkeit schreiben, in dem Buch, das ich nicht schreiben möchte, wenn ich an solche offizielle Episoden denke, und dann vielleicht auch noch die erhebenden Szenen für spanische Patrioten und Patrioten im allgemeinen, wie der Kapitän, Francisco de Orellana, von elf Kaziken – »Besitz nimmt«, sagt das Dokument, »in diesem besagten Dorfe Aparia, und besagte Besitzergreifung geschah ohne irgendeinen Widerspruch, und sind diese elf Kaziken in Frieden erschienen und haben die Christen mit Essen bedient, und die Namen der elf Kaziken, die erklären, Kaziken zu sein, sind: Aparia, Hirimara, Parayta, Dimara, Aguare, Piriata, Ayniana, Hurumara, Maluyana, Guaricota, Mapiare« – –

Das gibt mir eine prachtvolle Szene, sagte der Weltbummler, in meinem Roman, mit dem Banner Kastiliens, das die Kaziken demutsvoll grüßen, wie es majestätisch am Mast der Brigantine emporsteigt. – Vielleicht dichte ich dazu eine ergreifende Ansprache Orellanas, die 160 viel von seiner Schuld sühnt, und seine Leute schreien: »Hurra!« – oder vielleicht: »Kastilien und Sankt Jago von Compostella!« – ich weiß noch nicht, das muß ich erst noch nachsehen – –

Dann aber, glauben Sie mir, werde ich ein wenig von diesem historisch-kulturgeschichtlichen Ballast rasch genug über Bord dieser Brigantine werfen und unter Francisco de Orellanas schönem Renaissanceharnisch lieber die Haut suchen und das Herz, das noch unter der Haut ist – – ist es, nebenbei, faßbar, daß diese Konquistadoren in eisernen Kürassen durch diese tropischen Wälder gestapft sind, am sonnigen Mittag mit schweren, metallenen Helmen? Wenn ich es fassen könnte, schriebe ich ihn vielleicht, diesen großen historischen Roman der Konquista; doch da ich es nicht verstehe, soll ich nicht lieber versuchen, von dem zu erzählen, was nicht so ausführlich in der Chronik des Generalvikars Gaspar de Carvajal steht, oder doch wohl nur zwischen den Zeilen, etwas von diesem gewaltigen Fluß, dem furchtbaren und herrlichen Wald und jungen menschlichen Herzen?

 

Francisco de Orellana, sagte der Weltbummler, schwimmt auf dem großen Strom, in diesem Urwaldschiff, das er geschaffen hat, seiner Sehnsucht entgegen, da entschwindet ihm das gesuchte Ziel. Die geträumten Länder muß er erreichen, das ist die Strafe seiner Tat.

Durch das Land des grenzenlosen Waldes segelt die Brigantine, stromabwärts, auf weiten Wasserflächen, dann wieder in dem Gewirr der Inseln; nie nimmt der Strom ein Ende; aus dem tiefen, nassen Wald rinnen ihm von allen Seiten die Bäche zu, Flüsse, Ströme. Tausend tiefe Pforten führen hinein in die dicke Mauer der Bäume, in das dunkle Dickicht, in dem die Geheimnisse sind, Gefahren vielleicht, vielleicht Gold und alle Schätze. Tagelang sieht das Auge nur den zackigen Umriß der grünen Gipfel, und die niedere Sandbank an der 161 Bachmündung, auf der, starr und gräßlich, die großen Echsen liegen, faulenden Baumstämmen gleich, grauenhafte gepanzerte Fabelwesen. Dieser düstere Wald, der aus dem Innern der Ebene gleichsam überquillt, in den Fluß hinein, der tausend wirre Wurzeln ins Wasser taucht, tausend tote Stämme in die Wellen preßt, der Pilot fürchtet sie, der Wald ist überall, er erfüllt die Inseln, Fetzen von ihm schwimmen den Strom hinab, unheimlich anzusehen; der Matrose im Mastkorb sieht Wald und Wasser, und Wasser und Wald; in engen Kanälen kommt das Schiff ihm so nah, daß Äste wie drohende Arme nach den Rudern zu langen scheinen; ganz stumm ist er oft, wie tot, er lauert, wartet schweigend; dann, wenn die Sonne gesunken ist, wird er voll von geheimen Stimmen, von einem tiefen Brüllen, das jedes Herz erschüttert, und von dem Dengeln einer ungeheuren Sense, die über den Häuptern zu hängen scheint, unsichtbar, und jede Nacht von neuem gewetzt; wer wetzt eine Sense in diesem tiefen Wald? Oh, diese Nächte, wenn lautlose Wetter sich plötzlich ergießen, Blitze ohne Donner, und die großen Güsse des jählings verschleierten Himmels!

So ist das Land, fremd, fürchterlich. Es ist voll von Leben; große Vögel streichen über das Schiff; die bunten Papageien zanken in den Zweigen; im Gebüsch raschelt es, knistert; manchmal sieht man die Grimassen der Affen; die Luft ist voll von der fliegenden Pest, den Mückenschwärmen; im Wasser blitzen große Flossen auf; von diesem glühenden Himmel ausgebrütet, wimmelt tausendfältig die Kreatur; und mitten in diesem Überfluß lauert der Hunger. Diese weißen Menschen, die aus einem fernen und anderen Land sind, die durch diese Landschaft wie fremde Fabelwesen schwimmen, auf dem großen, plumpen Schiff, das die Straßen des Stromes nicht kennt, die Untiefen, die versenkten Klippen, nicht die tausendfältige Gefahr der treibenden Stämme, der Inseln, die plötzlich geschwommen kommen – diese große, 162 unerhörte Maschine aus anderen Breiten, die Brigantine, das Ungeheuer, scheucht alles wild vor sich her; diese gepanzerten Männer, mit Stiefeln an ihren Füßen, vertreiben mit ihrem Getrampel die Beute, wenn sie sie am Ufer suchen; diese Arkebusen, die man durchs raschelnde Gesträuch schleppen muß, dann mühsam auf die eingerammte Gabel legen, mit einer Lunte berühren, wie soll sie den Affen aus den Ästen holen? Auch die Armbrust ist langsam und plump. Die Männer stapfen fremd und hilflos durch diesen Wald, den sie hassen und der sie haßt; und die Fische im Wasser wissen sie nicht zu fangen. Zu einem taugen sie: Krieg. In diese Urwaldwelt ist etwas Neues gekommen: Jaguar und Jacaré, Katze und Krokodil haben bisher hier alle Tiere zu töten gewußt, und der Indio, der nackte, braune Waldmensch, mit Blasrohr, Pfeil und steinerner Lanzenspitze, hat den Jaguar erschlagen und den Jacaré, Katze und Krokodil. Jetzt ist etwas Neues in diesem Wald, ein neues Raubtier, das stärkste: das Tier, das den Indio tötet, das seinen vergifteten Pfeil aufzufangen, mit stählerner Axt seine steinerne zu zerschmettern weiß. Es ist, als ob in dies Land der Jaguare auf einmal Löwen gekommen wären, über die See geschwommen, ein kleines Rudel, und unüberwindlich. Sie blicken erstaunt um sich, in einem Wald, der nicht der ihre ist; sie wissen das Zebra zu jagen, und nicht den Tapir. Dann plötzlich ducken sie sich zum Sprung: sie haben das Dorf der Indianer gewittert. So jagen die Spanier Orellanas die Indios.

 

Hier und da, an den Ufern des großen Stromes, gibt es die Hütten der braunen Waldmenschen. Omaguas und Ticunas, Juris und Conibos, wer unterscheidet sie? Der Stamm ist nackt, der webt aus Baumwolle flatternde Mäntel, die Juris tätowieren sich einen Kreis um ihren Mund, die Ticunas ein Oval um die Linie, die zu den Ohren 163 geht, und die Passes stechen sich Male unter die Augen, und ihre Frauen sind schön und schlank, und die Carcauas sind Zwerge, die Curigueres sind riesengroß; viele Sprachen sprechen sie; die einen fressen das Herz des toten Feindes, seinen Kopf lassen sie schrumpfen, vernähen die Lippen, hängen sich das gräßliche Ding um den Hals; die anderen sind mild und sanft, kennen viele Künste des Friedens, um ihre großen Hütten wächst Mais und Maniok, wieder andere sind Fischer, die mit Pfeilen die großen Fische zu treffen wissen; am Abend bringen die jungen Jäger Papageien ins Dorf, Truthühner und Nabelschweine; in diesen Weilern kann man gebrannte Weine finden und Tümpel, in denen sie fette Schildkröten aufbewahren; und scheue, braune Weiber. Das alles gehört dem Spanier rechtmäßig, er weiß es. Hat nicht der Kapitän von den Kaziken feierlich Besitz ergriffen, unter der entrollten Fahne, im Namen des Königs? Der Escribano hat es aufgeschrieben!

Und erst geht alles gut. Diese Stämme des obersten Stroms, Omaguas und Irimaraes, sind sanft und fügsam, und ihre Dörfer sind voll von guter Nahrung. Sie haben von dem großen Inka gehört, der hinter den Bergen wohnt, und daß die Fremden Söhne der Sonne sind, glauben sie. Sie bringen Schildkröten, Papageien, Maismehl und die berauschenden Getränke, die ihre Weiber aus Maniok machen, indem sie die Wurzel kauen, den Speichel dann gären lassen. Ein Häuptling heißt Aparia, oder heißt sein Stamm so; den Spaniern scheint er irgendein mächtiger Fürst zu sein, sie nennen ihn Groß-Aparia, er wird ihr Freund und ein guter Vasall des Königs, und in seinem Dorf richtet der Pater ein Kreuz auf; hier rasten sie wochenlang, und ihre Haut wird wieder voll und straff; am Sonntag predigt der gute Dominikaner.

Francisco de Orellana gewährt den Soldaten die Rast; er selbst ist voll Ungeduld, möchte weiter. Weiter, weiter; hier ist er nun, hier ist 164 alles wirklich und gewöhnlich, ein wenig weiter ist das Wunder, der Traum, das goldene Land, bald, um die nächste Biegung des Stroms, gewiß, wo der nächste Nebenfluß mündet! Schon kann Orellana die Indios selbst befragen, er hat von der Tupi-Sprache Worte gelernt, die von den Stämmen des Waldes viele verstehen. Ja, sagt Aparia, ja, sagen Parayta, Dimara, es gibt ein gutes Land, ein paar Tagereisen weiter – – Ja, solch einen gelben Stein, wie ihn der Sohn der Sonne am Finger trägt, den findet man, viele gibt es in dem Land! Sie sagen ja und würden ja sagen, fragte er nach goldenen Elefanten, oder ob der indische Großmogul am nächsten Fluß residiert.

Manchmal mag Orellana zweifeln, so wie er plötzlich an Miguelitos Reden zweifelt, manchmal. Dann wieder liegt er lässig in einer Hängematte zwischen zwei schattigen Bäumen, und Aparia hockt auf dem Boden vor ihm, in der Art der Mauren und Türken: Aparia ist groß, er trägt eine bunte Krone von Federn, die kostbarer scheinen als Edelsteine, und einen Schurz aus Jaguarfell, und Ringe aus Affenknochen um alle vier Knöchel; aber er hat eine eiserne Axt in der Hand, Orellanas Geschenk; nie trennt er sich mehr von dem Schatz, in dem ein großer und mächtiger Zauber steckt. Da hockt er nun, mit bunten Farben beschmiert, und spricht, und auf einmal, von selbst, sagt er von dem großen, großen Dorf, das im Wald ist, bevölkert mit Zaubermenschen, die selbst Söhne der Sonne sind, ganz weiß im Gesicht, und der launische Curupira hat ihnen die Schätze des großen Sumpfes gezeigt; ihre Schildkröten sind sehr fett, ihre Maniokwurzeln dick wie ein Arm – –Da springt der Capitàn aus der Hängematte. Den Namen dieser großen, goldenen Stadt will er wissen, und wo sie ist! Da streckt Groß-Aparia den Arm aus, daß das knöcherne Armband klappert: Stromabwärts, so viele Sonnen, wie Finger sind und mehr. Wo ein schwarzer Fluß in den gelben Strom mündet und die Wässer sich nicht 165 mischen. Viele Sonnen. Ein großes Dorf, fette Schildkröten. Der Name des Dorfes ist: Manoa.

An diesem Tage ist Orellana froh; er gibt Befehl, das Schiff sorgfältig zur Fahrt zu rüsten; drei große Kanus läßt er bemannen, sie sollen vorausfahren, zur Kundschaft und um die Untiefen zu erforschen, die Klippen und Wirbel. Aparias großes Boot, mit einer Hütte aus Palmblattrippen, bestimmt er für sich selbst, er muß an der Spitze sein, das goldene Land will er als erster sehen, ihm gebührt der erste Ruhm und die erste Gefahr.

Da die Spanier weiterfahren, begleitet sie Aparia bis zu dem letzten Dorf stromabwärts, das seinem Stamm gehört; er gibt ihnen Mais mit und Töpfe voll von dem Honig der wilden Waldbienen. Zuletzt noch sehen sie ihn in seinem Kanu stehen, mit der eisernen Axt, die ihn reich und mächtig macht, und seine Krieger singen: Weißer Mann guter Verwandter, Aparia liebt weißen Mann!

 

Und dann kommen die Tage wieder, an denen nichts ist als Wasser und Wald, unfreundliche Wüstenei, die harte Arbeit an den Rudern, wenn der Wind entgegenweht, das Segel unnütz ist und die Strömung träge. Schon ist der Hunger wieder heftig; die letzten Maiskörner zählt man auf dem Boden der Kiste, man ißt, was man hier oder dort im Walde findet, Wurzelwerk, Kräuter. Dann eines Abends hört man die Trommeln, die von der Nähe eines Dorfes berichten; am Morgen wird es gesichtet, doch ein Hagel vergifteter Pfeile bricht plötzlich los, unvermutet, nach einer Regennacht, die das Pulver in den Arkebusen genäßt hat. Alonso de Robles, der Hidalgo, den Orellana zum Alferez gemacht hat und zu seinem Stellvertreter, der stürmt das Dorf mit der blanken Waffe, nimmt die alten Weiber gefangen, die nicht rechtzeitig flüchten können; sie nennen den Namen dieses Kaziken, 166 der gegen Kaiserliche Majestät zu rebellieren wagt: Machiparo. Machiparo ist groß und mächtig wie Aparia; Machiparo hält Schildkröten in einem großen, umhegten Tümpel; der Capitàn Orellana schickt aus dem eroberten Dorf den Cristobal Maldonado aus Segovia, damit er die Schildkröten suche und die Maiskolben von den Feldern, ein Dutzend Gefährten gibt er ihm mit: die finden den Schildkrötentümpel, Tausende von Schildkröten schwimmen und kriechen herum, große Wasservögel mit Schnäbeln wie Löffel stehen gravitätisch auf den Rückenschildern. Die Spanier, ausgehungert wie Wölfe, metzeln, wie Wölfe, mehr Beute, als sie brauchen; sie drehen die großen Schildkröten und erschlagen sie, hundert, tausend, wer zählt es. Dann auf einmal kommt wie ein surrender Hornissenschwarm aus dem Schilf die Pfeilwolke geflogen: Cristobal Maldonado ist verwundet, jeder von seinen Leuten blutet, mühsam ziehen sie sich zurück, jeder aber schleift von den Schildkröten einige mit bis ins Dorf. Sie finden das Dorf belagert, zweitausend Indios toben heulend darum herum, noch nie hat man diese nackten Wilden so kämpfen gesehen. Springt einer beherzt in ihre Mitte, Blas de Medina tut es, mit einem stählernen Schwert, mit einem runden Schild, er zerhackt ihre nackten Leiber zu Dutzenden; die Armbrüste schicken ihre schweren Bolzen durch ihre Schilde aus Weidengeflecht und Alligatorhäuten; ihre Waffen sind aus Holz, Stein und Bein; dennoch fechten sie um ihre Häuser als wirkliche Helden, kein Spanier bleibt ohne Wunden, den trifft ein Pfeil, den eine lange Fischharpune mit einem Widerhaken an der beinernen Spitze. Dann siegt über Holz und harten Stein und klägliche spitze Tierknochen der Stahl der spanischen Schwerter; der Rest ist Gemetzel, widerwärtig und grausam. Vergeblich bittet in solchen Fällen der Vater Gaspar um das Leben der Gefangenen.

167 Dieser Fray Gaspar de Carvajal, sagte der Weltbummler, der den einzigen authentischen Bericht über die erste Entdeckung des Amazonenstroms geschrieben hat, muß ein guter Mönch gewesen sein, in nichts diesem anderen Dominikaner gleich, dem furchtbaren Fray Vicente de Valverde, Bischof von Cuzco, den wir ungerührt neben dem sterbenden Inka Atahuallpa stehen sehen, und überall, wo Pizarros Verbrechen gegen das Volk von Peru geschehen. Fray Gaspar scheint nach seiner Schrift gut und milde gewesen zu sein, ein Freund und Fürbitter der Indios wie der berühmte Las Casas, dabei persönlich tapfer in jeder Gefahr, zweimal während der Reise wird er verwundet, und er verliert ein Auge durch einen Pfeil. Ein wahrhafter Christ, ein edler Priester, nur als Chronikschreiber nicht ganz auf der Höhe. Wann er Hunger gelitten hat mit seinen Gefährten, das verzeichnet er genau; wir wissen nach all den Jahrhunderten, an welchem Tag sie nur Kräuter aßen und wann sie ein wenig Mais gehabt haben und wann eine große Schildkröte, man kennt genau das Datum, gewissenhaft schreibt der Pater es auf, so sind in seinem Berichte die Stellen:

»Mittwoch am Vorabend von Corpus Christi, sieben Tage des Junius, hieß der Capitàn Hafen suchen in einem kleinen Ort, der über besagtem Flusse stand, und so nahm man es ohne Gegenwehr, wo wir viel Essen fanden, im besonderen Fische, denn von diesen fand sich so viel und im Überfluß, daß wir unsere Brigantine wohl beladen konnten, dies aber hatten die Indios zum Trocknen, um es landeinwärts zu bringen und zu verkaufen –«

Das zeichnet er sorgsam auf, und alle Gefechte, wer verwundet wurde, wer starb, die Namen der Spanier wissen wir, die im Kampfe fielen, hier oder dort; und wer am Fieber starb, das wissen wir, alle vierzehn Namen – –

Nur dort, wo die Rätsel beginnen, die Wunder, wird dieser Mann 168 des Glaubens kurz und dunkel. Sechs Zeilen in seiner Chronik darüber, wie sie auf einer Insel die Indianerin fingen, und daß sie schön war »und von vielem Verstand, und sagte, daß von hier und landeinwärts viele Christen wären wie wir, und es hält sie ein Herr, der sie flußabwärts gebracht hat, und sie sagte uns, daß unter ihnen zwei weiße Frauen waren und daß die anderen Indianerinnen hatten und Söhne von ihnen – –«

Daß auf dieser Insel auch Papageien waren und viele Pfauen und Schildkröten in großem Überfluß (gelobt sei unser Heiland); das erzählt der Pater in vielen ausführlichen Worten. Diese India, die Gefangene, kommt dann in dem Bericht noch ein paarmal vor, der Pater erwähnt sie, doch mit einer Scheu – – So ist es jedesmal, wenn sein Bericht von Alltäglichem abkommen sollte, von den Gefahren der Schiffahrt, der Nahrung und von all den Gefechten irgendwo in den Dörfern am Ufer, und wie da Indios in vielen Kanus die Brigantine verfolgten und der Capitàn zum Angriff das Schwert zog: Mir nach, spanische Caballeros! – – Es ist, als ob der gute Pater Dinge verschweigen wollte; hat er es vielleicht den Gefährten versprochen, dem Ritter Orellana, der selbst später mit einem stärkeren Heer zurückzukommen gedachte, um diese Rätsel zu lösen, diese Schätze im Urwald zu heben, die Insel der weißen Sklaven zu finden und das Reich der Amazonen, die verborgene goldene Stadt in dem dunklen Winkel zwischen dem Amazonenstrom und dem Rio Negro, den auch wir Heutigen noch immer nicht kennen?

In dem Buch, das ich schreiben möchte, sagte der Weltbummler Hilary, muß ich freilich auch von den Dingen sprechen, die die Chronik des Mönches nur flüchtig erwähnt, von dieser schönen indianischen Gefangenen Orellanas. Sie heißt Coniapuyara, der Name ist in den Quellen überliefert, er bedeutet: die große Herrin. Dieses Weib, das 169 den Spaniern im Gefecht in die Hände fiel, mit Pfeil und Bogen, den lichtbraunen Körper fast nackt bis auf ein Jaguarfell, die reichen, langen Haare in Flechten um ihren Kopf geschlungen, den die Feder des Tukans und der kleinen edelsteinbunten Honigvögel wie eine funkelnde Krone schmücken, die Amazone Coniapuyara, ich erfinde sie nicht, sie steht da, auf dem vergilbten Pergament des Dominikaners.

Liebt Orellana sie? Nimmt er sie? Der Mönch läßt es im Dunkel, gleitet scheu darüber hinweg, und wenig sagt er von dem, was nun folgt, von der großen Schlacht der Spanier gegen die Amazonen im Jahre 1542 nach Christi Geburt, »am Tage des gottseligen Johannis des Täufers, Vorläufers Christi«, in einer Biegung des Flusses, da man zu der Insel kommen soll, auf der weiße Christen leben, als Sklaven eines Kaziken oder eines weiblichen Häuptlings vielleicht, ist es die »große Herrin« selbst, Coniapuyara? Wie dieses Gefecht verlief, ja, das erzählt Orellanas Kriegskapellan, Seiten und Seiten erzählt er davon! Wie die Indios angreifen, in dunklen Schwärmen, unter dem Dröhnen der Kriegstrommeln, mit gräßlichem Schreien, und überall diese kämpfenden Weiber voran, »sie sind denen Indios als wie Kapitäninnen«, sagt der Pater de Carvajal, »und Abbruch taten sie jedwede uns mehr denn zehn andere Indios«. – Von einer erzählt er, deren Pfeil so tief in die Bretter der Brigantine fuhr, »eine Handlänge tief«, und soviel andere danach, »daß die Brigantine gespickt war wie der Rücken des Stachelschweins«. Und wir sehen die Heerschar Orellanas am Schluß vor diesen nackten Amazonen entfliehen wie das Heer des Achill vor den Scharen Penthesileas; die Insel betreten sie nicht, die weißen christlichen Sklaven befreien sie nicht, »denn diese von dort zu holen, wo sie sich befinden, die Zeit wird wohl kommen«. Kurz und geheimnisvoll sagt es der Pater und redet vieles von anderen Dörfern stromabwärts, an denen die flüchtige Brigantine vorbeifährt, 170 mit hastig rauschendem Ruderschlag, während von allen Seiten im Wasser die Flottille bewährter Pirogen plätschernd herankommt, mit großen nackten Indios gefüllt, den Muras, die mit langen Bogen schießen. Sie sehen wie Riesen aus, wenn sie am Ruder sitzen; erheben sie sich zum Schuß, dann sieht man staunend die Kürze der Beine. Langhaarig sind diese Leute; sie stecken die Zähne von wilden Ebern durch Löcher in ihren Lippen; den Spaniern scheint es ein Werk des Dämons.

Die Leiber der Muras sind breit und dunkel; heller hebt sich die Haut der Amazonen von ihnen ab, die hier und dort in ihre Boote verteilt sind, schlanke und edelgeformte Frauen, in nichts den schmutzigen Wilden gleich, unter denen sie kämpfen. Sie tragen die großen Bogen der Muras, sechs Fuß sind sie lang, und schicken mit lauten Schreien Pfeil auf Pfeil; und andere führen lange dunkle Rohre, aus denen sie kleine Pfeile weithin blasen; wie Tropfen des Tropfenregens fallen die vielen Geschosse aufs spanische Schiff.

Das Schiff Orellanas, riesig unter den kleinen, gebrechlichen Booten, mit einem stolzen Bollwerk, mit Schanzen und hohen Masten, das Schiff voll Eisen und Stahl, schwimmt zwischen dieser Flottille der nackten Leiber, der hölzernen Waffen. Drei Arkebusen hat Orellana an Bord, Rohre, die donnern und blitzen und heißes Metall ausspeien. Da schwimmt diese stolze Brigantine, und am Mast hat sie die goldene Flagge des Kaisers, in dessen Reich die Sonne nie untergeht; Waldmenschen und zornige Weiber in hohlen Baumstämmen greifen heulend das mächtige Fahrzeug an.

Da wendet es sich auf einmal zur Flucht; die bleichen Ruderer rudern wie toll, daß die Brigantine stromabwärts rast. So entflieht im Dschungeldickicht der Waldläufer, wenn er in den Bau der Juturiameise getreten ist: die Ameise ist klein, machtlos, leicht zu zertreten, 171 doch ihre vergifteten Stiche schmerzen. Ein Arkebusenschuß, in die Piroge der Wilden gefeuert, läßt das Boot sinken, und die kleinen Teufelsfische fressen viele Leichen; dennoch sieht man das Schiff, das »Viktoria« heißt, vor diesen Wilden fliehen, vor diesen Weibern, die aus Bambusbogen und Blasrohren Pfeile spritzen, mit einem Dorn bewehrt, einer Knochenspitze. Vorn, wo die Gallionsfigur ist, die Göttin mit den geöffneten Schwingen, steht grimmig Diego Mexìa und sucht mit seinem kleinen, runden, stählernen Schild sein Werk zu schützen; vergebens, die hölzerne Nike ist schon voll von Pfeilen, in ihrer Brust stecken sie und in den Fittichen, und einer, ein großer, langer Pfeil, bunt gefiedert, ist in die strahlende Stirn der Göttin gedrungen, zwischen die beiden leuchtenden Edelsteinaugen – –

Diego Mexìa schreit, als hätte der Pfeil ihn selbst getroffen, dann läßt er den Schild fallen und legt einen Bolzen auf seine Armbrust, kalt und sorgsam, und spannt mit der Kurbel die Sehne und schießt, und ein großer Indio, mit schwarzen und roten Streifen bemalt, fällt stöhnend ins Wasser: der Bolzen sitzt ihm in der Stirn, zwischen beiden Augen. Die Ruder werden von Pfeilen schwer, ehe die spanischen Ruderer, die Muskeln zum äußersten spannend, das Schiff fortreißen, stromabwärts, an den Schlammhütten vorbei, an Dörfern, aus denen die großen Trommeln dröhnen, Baumstämme, gehöhlt und mit den Häuten von Flußkühen bespannt; und immer wieder sieht man nackte, bemalte Menschen den Kriegstanz tanzen, und andere, die sich in gespenstische Masken hüllen; riesenhaft sehen sie aus, zottige Ungetüme, die Fratzen von Jaguar, Eber und Tapir tragen sie hoch über den verhüllten Köpfen, und Hirschgeweihe und die Häupter der Teufel, die in den finsteren Wäldern wohnen. Der gleicht einem Kranich, der einem Storch, so tanzen sie, mit Keulen in ihren Klauen, heulend, drohend, die Spanier sehen zitternd den bösen Zauber. Und anderswo wieder 172 ist's Krieg statt Kriegstanz; die Boote gleiten blitzschnell durch das Schilf, und dicht wie ein Schwarm von bösen Moskitos kommen die Pfeile, bis nach einer Biegung des Stroms der Spuk plötzlich endet; so wie der Wind Moskitos verweht, und der Wanderer atmet auf, erlöst und erfrischt, so endet das Summen der Pfeile.

Die große, einsame Stille umgibt das gehetzte Schiff, die rettende, nur ein Gelächter schrillt hinter den Fliehenden drein, der Schrei des Trompetenvogels, der im Röhricht nistet; da verbindet die Mannschaft fluchend die vielen kleinen, seichten Kratzwunden, die wie die Hölle brennen, und Diego Mexìa, der eigenen Wunden nicht achtend, zieht zärtlich die Pfeile aus dem Leib der geliebten geflügelten Göttergestalt, nur zwischen den Augen läßt er den bunten Pfeil stecken, der tief in dem harten Holz haftenblieb: Viktoria soll aus der Wunde bluten, bis in dem Blut dieser Amazonen die Schmach dieser Stunde gerächt ist.

Hinten aber, im Heck des Schiffes, steht, unverletzt in dem stählernen Harnisch, der Ritter Francisco de Orellana und blickt zurück, voll Zorn und voll Trauer, zurück auf das Rätsel, das er nicht lösen konnte, auf diese Insel, auf der das große Geheimnis liegt, auf diese Weiber, deren Wut ihn zu fliehen zwang – –

Dann geht er in seine Hütte auf Deck, wo Coniapuyara gefesselt auf einem Lager liegt, die gefangene Amazone. Mit seinem Dolch zerschneidet er den Strick, der ihre Arme umschlingt, beginnt mit ihr zu sprechen in der Tupisprache, die er von Miguelito gelernt hat. Er muß mehr von den Amazonen wissen, wer sie sind und von welchen Sitten; er wird sie noch einmal besiegen, erst dann darf er sterben – –

 

Diesen Kampf mit den Amazonen, sagte der Weltbummler, habe nicht ich erfunden, um den Roman, den ich vielleicht schreibe, romantisch zu machen, er steht in dem trockenen Reisebericht des Generalvikars Gaspar 173 de Carvajal. Daß irgendwo in dem Urwald, an dem großen, unbekannten Strom, ein seltsames Reich von streitbaren Weibern liege, das hätten Gonzalo Pizarros Begleiter schon jenseits der Anden gehört, schreibt der Generalvikar. Und er fügt ganz ruhig und sachlich hinzu, wie er diese Weiber gesehen hat: groß und schlank, die Scham mit Fellen bedeckt, das Haar um die Köpfe geflochten, und wie sie tapfer die Indios im Kampfe führten. Auch was die Gefangene von ihnen ausgesagt hat, Coniapuyara, vermerkt der Dominikanermönch, und was am nächsten Tag ein alter Indianer wußte: daß diese Weiber nicht hier am Ufer des großen Hauptstroms lebten, sie seien nur auf die Kunde vom Nahen der Weißen gekommen, in langen Kriegspirogen; ihr Reich aber liege landeinwärts, in der großen Gabel des gelben Stroms und des schwarzen, doch seien sie dem Volk der Muras verbündet, dem Volk der langen Bogen, das hier am Ufer lebt – –

Der Weltbummler schwieg ein wenig. – Seltsam, sagte er dann, wenn das nur ein Märchen ist, wie die meisten Forscher glauben, seltsam, wie hier das Märchen die Tat überlebt, wie diese Legende vom Land der Amazonen die Erinnerung an Orellanas epische Heerfahrt verdunkelt! Der Strom, den der Konquistador mit seinem Namen nennen wollte: Rio Orellana, wie nennt ihn eine nüchterne Gegenwart? Amazonenstrom! Und wo Francisco de Orellana die Stadt Manoa gesucht hat, die Stadt des goldenen Wunders, wo er Manoa gesucht hat, dort steht jetzt Manaos, Manaos, funkelnd im Licht der elektrischen Lampen, durchsaust von funkensprühenden Straßenbahnwagen, mit Oper und Kino und drahtloser Telegraphie, dort steht jetzt Manaos, nie hätte der Konquistador seine Traumstadt Manoa so reich träumen können, so voll von Wunderwerken, von unbegreiflichen Zauberschätzen – –

Wie dieses Urwaldschiff des Francisco de Orellana sich der 174 Mündung des Rio Negro nähert, und wie Orellana die Wellen des ungeheuren Nebenflusses in das gelbe Wasser des Hauptstroms rollen sieht, die geheimnisvoll schwarzblauen Wellen, die sich lange nicht mit den anderen mischen, sehe ich Orellana an einem Abend in die große, kreisrunde Sonne blicken, die eben untergeht, in einer purpurvioletten Glorie, die magisch das Weltall füllt, und vor dem glühenden Ball tauchen die Traumbilder auf, die durchglühten goldenen Wolken, in denen man Inseln und Städte sieht, und große, vergoldete Kuppeln, phantastische Zinnen, was schaut Orellana, der Träumer? Die Stadt des Dorados, Manoa, Hauptstadt von Paytiti! Er ahnt nicht ein Opernhaus aus Eisenbeton, eine elektrische Bogenlampe, ein Spital, in dem man mit Affendrüsen Menschen verjüngt; ahnte er es, er würde den Traum belächeln; Manoa wagt er zu glauben, doch niemals Manaos.

Mein lieber Doktor Schwarz, sagte der Weltbummler Hilary, so ist es nämlich auf dieser unwahrscheinlichen Erde mit den Wundern, nach denen wir uns sehnen. 175


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