Richard A. Bermann
Das Urwaldschiff
Richard A. Bermann

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Elftes Kapitel

Meine Herrschaften, sagte der Weltbummler und zündete sich langsam und umständlich eine neue Pfeife an, ich gedenke an dieser Stelle meines Buches, wenn ich das Zeug jemals schreiben sollte, nun etwas ganz anderes darzustellen, nämlich die Gefährten Francisco de Orellanas in einem Lager; die wüsten Kerle haben sich niedergelassen, nicht weil sie denken, ihren Anführer noch jemals wiederzusehen, der mit dem Boote verschwunden ist, zusammen mit Pedro, der gefangenen India und Miguelito und dem Kaziken Delikola – sondern ganz einfach, weil ein paar tückische im Strom treibende Baumstämme den Boden der Brigantine irgendwie beschädigt haben, oder das Steuer kaputt gemacht, oder was weiß ich, jedenfalls müssen sie das Fahrzeug reparieren, bevor sie daran denken können, den Strom weiter hinabzufahren, bis in das Meer, das an seinem letzten Ende doch einmal kommen muß, nach menschlichem Ermessen, wenn nicht, wie einige Spanier schon steif und fest zu behaupten anfangen (sie haben die Weisheit von gefangenen und verhörten, das heißt: niederträchtig gefolterten Indianern), wenn nicht dieser verdammte Strom tatsächlich überhaupt kein Ende hat und überhaupt in gar kein vernünftiges christliches Meer mündet, sondern unmittelbar in den gurgelnden Rachen der Hölle.

Unterdessen, bevor sie, früher oder später, dieser gurgelnde Rachen schluckt, haben die Caballeros im Schweiße ihres Angesichts große Baumstämme unter den Kiel ihrer beschädigten Brigantine geschoben und das Ganze auf eine Sandbank gerollt; Diego Mexìa, der junge 214 Künstler, macht sich wieder als Schiffsingenieur nützlich, und das Werk gelingt nach geraumer Zeit. Zum Glück haben jetzt die wilden Indios mit ihren Angriffen völlig aufgehört; sie sind da, im Wald, man kann ihre Gegenwart ahnen, bei Nacht sieht man manchmal ein schwaches Feuer, man hört ein Trommelsignal, die Jäger finden ein totes Faultier, in dessen Panzer ein vergifteter Pfeil aus den langen Blasrohren steckt, im Dickicht sind schmale Pfade, mit steinernen Messern in das Gestrüpp geschnitten – aber man sieht keinen einzigen Indio, es ist kein Dorf zu bemerken; den Spaniern fehlt es also an Mais und an Maniok, sie leben einige Tage von einem glücklichen Zufall: Diego Mexìa, geschickt wie immer, hat mit einer Arkebuse ein plumpes Untier getroffen, eine Flußkuh, Manati sagen die Indianer.

An diesem Tage triefen alle von grünlichem Tran, sie braten die fetten Stücke an hölzernen Spießen. Es ist fast ein Fest, nur lockt der starke Geruch und der träufelnde Tran das Ungeziefer in Massen herbei, eine Pest von Fliegen und Mücken und schrecklichen Ameisenheeren, man kratzt sich und flucht und ist voller Blut, auch fehlt zu dem fetten Braten, der wie Schweinefleisch schmeckt, ein Schluck Alicante, caramba!

Dann wieder ist alles verzehrt, einen kleinen geräucherten Vorrat des Seekuhfleisches haben die Ameisen aufgefressen, es gilt, etwas Neues zu finden – da stolpert, das Glück ist sehr günstig (und die Heiligen, sagt Fray Gaspar de Carvajal), Cristobal Palacios, der am Ufer vergeblich zu fischen versucht, auf der einsamen Sandbank und fällt und gräbt bei dem Fall die Schildkröteneier aus, die im Sande versteckt sind. Er sucht und findet nun Hunderte, Hunderte: es ist die Stelle, an der die Flußschildkröten bei Nacht ihre Eier vergraben. In manchen Eiern sind kleine Schildkröten lebendig, sie schmecken gut. Die Spanier sammeln die Eier, die ledernen Schalen zerstampfen sie, das gibt dann ein 215 seltsames Fett, das man essen kann. So leben sie weiter; an manchen Tagen ist Hunger die Losung und Jammer der Feldruf.

Das Schiff wird allmählich fertig, man kann es wieder ins tiefere Wasser rollen; jedoch der Alferez, Alonso de Robles, der seit Orellanas Verschwinden die Schar kommandiert, befiehlt vor der Abfahrt noch einen großen Fischzug, damit man womöglich ein wenig Vorrat mitnehmen könne; man bemannt die Kanus, in dem besten fährt mit Diego Bermudez und Lorenzo Muñoz der Kupferstecher Mexìa; er hat, geschickt wie er ist, das Harpunenwerfen den Indios abgeguckt und gedenkt einen Pirarucu zu erbeuten, den ungeheuren Roten Fisch des Süßwassermeeres. Die drei Kameraden rudern stromaufwärts; Diego Mexìa hat außer den langen Harpunen auch die Feuerbüchse im Boot; es gibt nur drei auf der Brigantine, und niemand versteht dieses neue Ding, die Arkebuse, so wohl wie Diego Mexìa. Die drei nun fahren, die Hitze liegt auf den. Wasser; die kleinen, schwarzen Piumafliegen stechen wie toll, Diego Bermudez flucht leise, Lorenzo Muñoz verzieht das gelbe Gesicht und murmelt Gebete; am Bug steht Mexìa, mit der Harpune, und späht in das gelbliche Wasser, bereit, seinen Speer von der Leine zu lassen. Das linke Ufer ist sichtbar, ein Wirrsal von weißlichen Wurzeln hängt hier ins Wasser. Diego Mexìa ruft kurz den Gefährten zu, sich näher ans Ufer zu halten, fort von der langen, sumpfigen Insel; vielleicht, daß die großen Fische dort unter den Wurzeln versteckt sind. Die Ruderer wenden das Boot, und nun, da sie näher und näher ans Ufer kommen, bemerkt Diego Mexìa das schwankende rohe Kanu, das hilflos herantreibt, als führte das Ruder ein betrunkener Mensch. Sie kommen näher, Diego Mexìa versichert sich rasch seiner Arkebuse, es ist das erste Indioboot, das seit langem herankam, man weiß nichts von der Gesinnung der Uferbewohner.

Auf einmal, da er die Hand an die Stirn hält, die Augen beschattet, 216 schreit Muñoz auf: er hat in dem kleinen Kanu den Neger Pedro erkannt, Orellanas Begleiter.

Dann bringen die drei das Boot in die Nähe des kleineren Kahnes, der tanzt und taumelt, sich dreht, ist der Neger betrunken? Er kauert hinten, riesig und schwarz, und ganz nackt, von Narben zerrissen, und hält sich am Ruder fest, ohne zu rudern. Die drei vom Schiff beginnen zu schreien, zu fragen. Der Neger starrt ihnen stumm entgegen, er lebt, doch er spricht nicht. Jetzt sehen sie, wie mager er ist, wie schrecklich verfallen.

Mit einem gewaltigen Sprung, der den Kahn fast umwirft, springt nun Diego Mexìa herüber und landet im Boote des Negers. Der rafft sich schmerzvoll zusammen, steht auf, tut einen schwankenden Schritt nach vorn, wo ein Bündel im Boot liegt, mit großen Blättern bedeckt und dem Fell eines Tieres. Diego Mexìa sieht etwas Schreckliches; die pockennarbige Wange des Negersklaven ist ganz zerschnitten, von einem riesigen Pfeil, der auch in die Zunge gedrungen ist, der Neger kann nicht mehr sprechen. Der riesige schwarze Mensch erhebt verzweifelt die mageren Arme und deutet nach vorn auf das formlose Bündel; dann bricht er plötzlich zusammen, fällt schwer auf den Boden des Boots.

Diego Mexìa hebt von dem Bündel die Hüllen fort und findet Francisco de Orellana. Er liegt halb bewußtlos im Fieber und murmelt zerrissene Worte; sein Kopf ist glühend, die Augen glotzen, die Hände krallen sich krampfhaft um glitzernde Dinge. Bevor er ihn zärtlich aufhebt, versucht es Mexìa vergeblich, den Griff dieser Hände zu lösen, sie halten ein goldenes Kleinod, das wie ein Maiskolben aussieht, und dann eine seltsame Schlange aus grünem Stein, Mexìa muß sie dem Fiebernden lassen.

217 Sie bringen die beiden aufs Schiff. Der Neger wird niemals mehr reden, und Orellana redet zuviel, sein Rasen und Murmeln ist furchtbar. Dann müssen alle sogar des kranken Führers vergessen: die Indios kommen und greifen in Schwärmen an. Es ist, als ob sie das Boot Francisco de Orellanas verfolgt gehabt hätten und nun ihre Beute aus diesem Schiff reißen wollten, um jeden Preis und nach jedem Kampf. Das Feuer der Stöcke-die-sprechen schreckt sie nicht ab. Ein Glück, daß die Brigantine nun wieder flott ist, ein Glück, daß ein günstiger Wind weht. Alonso de Robles, der seinen Kapitän sicher an Bord weiß, wartet nicht länger und segelt den Strom hinunter, verfolgt von den Kriegspirogen.

Am dritten Tage erwacht Francisco de Orellana aus seinen Träumen, das Fieber ist plötzlich gewichen. Er spricht erst seltsame Dinge von Inkas und großen Schlangen, dann schweigt er und liegt nur ganz schwach in der Hängematte im Schatten unter dem Sonnendach; seine blutleeren Hände spielen mit einem großen Stück Gold in der Form einer Ähre und einem Schlänglein aus grünem Stein. Der Pater Carvajal, der ihn pflegen kommt, ermahnt ihn, die heidnischen Zauberdinge von sich zu tun, und legt ihm den Rosenkranz zwischen die Finger. Doch ehe der Orellana die Amulette verbirgt, sieht sie ein jeder von seinen Gefährten; am Abend sitzen sie öfters beisammen und reden. Wer hat vom Goldland gesprochen, von unerschöpflichen Minen und von Smaragden tief auf dem Grund eines großen Sees? Nicht Orellana, er schweigt und ist bleich. Nicht Pedro, der Neger, dessen Zunge für immer gelähmt ist. Der sitzt nur immer neben der Hängematte und sieht seinen Herrn an. Und dennoch, das ganze Schiff ist voll von den goldenen Märchen. So müde aber sind diese Leute der endlosen Reise, des Hungers, der schwirrenden Pfeile, der Hitze, der Fliegen, daß keiner das Goldland suchen gehn möchte – –

218 Sie sind schon weit von der Stelle, an der sie Francisco de Orellana zurückkommen sahen, da findet er wieder den Willen zum Leben. Sein erster Befehl, mit kaum hörbarer Stimme gesprochen, ist: »Wendet das Schiff! Wir segeln nach Paytiti!«

Der Fähnrich Alonso de Robles zuckt seine Achseln. Unmöglich! Keine Nahrung an Bord, die Mannschaft zum Rudern zu schwach, die Indios feindlich.

Francisco läßt sich vom festen Willen des Freundes beherrschen und fügt sich. Von dieser Stunde beginnt seine hastige Ungeduld, das Schiff fährt zu langsam, das Meer muß schon nahe sein, man muß nach Kastilien fahren, vom Kaiser ein Heer erbitten, und dann zurück, das Land hier erobern, die Wälder durchstreifen – –

Vergeblich fragen die Männer, die ihm hier die nächsten sind, fragen Alonso de Robles und Diego Mexìa den Führer nach seinem Erlebnis. Wo war er? Wo ist Miguelito? Die India Coniapuyara? Der wilde Kazike?

Francisco de Orellana erwidert wenig und Unbestimmtes: Er schaut vor sich hin, und manchmal streichelt er Pedro. Nur einer weiß sicherlich mehr, der Pater Gaspar; Orellana hat ihm gebeichtet. Der würdige Vater blickt seltsam drein, doch er darf ja nicht reden. Er schreibt auch nichts auf das Stück Pergament, auf dem er sonst jedes Geschehnis der Reise verzeichnet. Und dennoch: der letzte Matrose auf diesem Schiff spricht halblaut von dem, was der Ritter gesehn hat. Er war in Manoa. Die Straßen der Stadt sind aus Gold. Der goldene König herrscht über das Land, El Dorado! Sie wissen mehr und mehr von dem Land, je weiter sie sich entfernen. Da sind sie, die aus dem reichen Peru auszogen, um Schätze zu finden. Sie haben nur Hunger gefunden, und schwarze Wälder, und giftige Mücken, und Pfeile und Wunden und Fieber und die tägliche Plage am Ruder. Nein, nein, sie 219 sind wieder glücklich, ein goldener Traum ist an Bord – – Nur rasch bis zum Meer, und nach Hause, und neue Gefährten geworben, ein Heer braver Burschen, und eilends zurück, in den Wäldern und hinter den Sümpfen liegt es, das Land der kämpfenden Weiber, das Goldene Land der Verheißung – –

So fahren sie weiter, und hungern und kämpfen mit Indios. Einige sterben, entsetzlich gepeinigt von giftigen Pfeilen. Sie sterben, und sterbend seufzen sie: Mutter! Und: Paytiti!

 

Aber das, sagte der Weltbummler Hilary, erzählt der Dominikaner Fray Gaspar de Carvajal wieder haarklein in seiner trockenen Chronik, obwohl er gewisse Dinge scheu genug meidet, mit der Reserve eines Wissenden, der nicht reden darf. Sonst verzeichnet er gewissenhaft alle Vorfälle auf dieser Reise auf dem unteren Amazonenstrom, jedes indianische Dorf und jede Rauferei um ein bißchen Mais. Ich denke, ich werde in meinem Buch ein paar von den Stellen vom Schluß dieser Chronik des Paters zitieren, sie passen in ihrer Nüchternheit zu dem müden Fühlen meines seltsamen Helden, der da verwirrt und geschlagen von den Träumen seiner Sehnsucht wegläuft, und dabei nichts im Sinn hat, als eben diesen Träumen wieder zuzustreben: nur rasch von Paytiti weg, nur rasch irgendwie ins Meer, nach Spanien, dort Schiffe rüsten und zurück nach Paytiti!

Wenn ich das Buch schreibe, so wie ich es mir vorstelle, möchte ich nur, daß die Leute, die es lesen, zwischen den Indianerschlachten dieses Abschnittes immer wieder die Gestalt Francisco de Orellanas ahnen, wie sie auf dem Deck auf und ab geht, gehetzt von Ungeduld, erzürnt über jeden Aufenthalt, diesem großen Strome gram, der doch mitten durch die geheimsten Wünsche seiner Seele fließt, und heimlich unter 220 dem Gewand eine kleine Schlange betastend, aus einem seltsamen grünen Stein – –

»Und so«, schreibt der gute Pater Gaspar, »begannen wir wieder unsere gewohnte Fahrt; doch währte es nicht lange, da sahen wir linker Hand gar große Provinzen und Siedelungen, die waren in der fröhlichsten und ansehnlichsten Landschaft, so wir an besagtem Strom gesehen und entdeckt, denn das Land war hoch von Hügeln, mit Tälern voll Volkes; aus welchen besagten Provinzen eine große Menge von Pirogen hervorkam, uns anzugreifen und zu bekriegen. Es sind diese Menschen groß und größer noch als sehr große Menschen; und sie kamen alle schwarz berußt, aus welcher Ursach wir sie nannten die Provincia der Schwarzen. Wir nahmen keines dieser Dörfer, indem der Capitàn keinen Urlaub gewähren wollte wegen des zu vielen Volkes, das gegen uns stand.

Wir machten Weg den Fluß hinab, und nach zweien Tagen liefen wir vor ein kleines Dorf, wo sich die Indios gegen uns verteidigten, doch zerstören wir besagtes Dorf und nehmen den Indios das Essen, und so weiter vorwärts zu einem anderen Dorf, das daneben lag und größer war: hier verteidigten sich und kämpften die Indios, durch die Spanne einer halben Stunde, so wohl und so guten Mutes, daß sie in der Brigantine einen unserer Genossen töteten, der Antonio de Carranza hieß, er war gebürtig aus Burgos. In diesem Dorf hatten die Indios ein giftiges Kraut, denn in besagter Wunde erkannte man es: am Ende von vierundzwanzig Stunden gab er seine Seele Gott zurück. Zu unserer Absicht zurückkehrend, will ich sagen, daß wir besagtes Dorf eroberten und allen Mais nahmen; da wir aber besagtes Kraut erkannten, beschlossen wir von nun ab, nicht an Land zu gehen noch in irgendein Dorf, es sei denn in äußerster Notdurft – –

Wir reisen in großer Eile, die Siedelungen meidend, und eines 221 Tages gingen wir schlafen in einen Hain, der an der Mündung eines Flusses war, so hier rechter Hand einfiel, und war eine Legua breit. Der Capitàn befahl, hinüberzukreuzen und an Land zu schlafen, denn es erschien am Ufer besagten Flusses keinerlei Wohnung, und so glaubten wir, ohne Sorge noch Unruh schlafen zu können. Und hier befahl der Capitàn, um die Brigantine einen Zaun in Art einer Schanze zu legen, um uns gegen die Pfeile zu schützen; und nicht wenig hat er uns gefrommt. Wir blieben in diesem Lager einen Tag und einen halben und gedachten länger zu bleiben. Hier nun ereignete sich ein Ding von nicht geringem Schrecken und Erstaunlichkeit für uns, die wir es sahen; und es war zur Stunde der Vesper, da setzte sich auf den Baum, unter dem wir ruhten, ein Vogel und sagte: hui! und sagte es dreimal und eindringlich. Und steht zu wissen, daß dieser Vogel auf unserem Wege immer erschien, so oft wir nahe an menschlicher Wohnung waren, seit dem Dorf, in dem wir die Nägel geschmiedet, so sagte er es uns am grauenden Morgen auf diese Weise: hui! Und dies viele Male; sonst, wenn dieser Vogel erschien, hatten wir uns gefreut, zumal wenn wir der Nahrung bedurften; doch diesmal entflohen wir, denn wir mußten die Dörfer meiden – –

Hier aber erkannten wir, daß wir nicht mehr ferne waren vom Meer, denn es stieg schon die Flut bis herauf, worüber wir uns nicht wenig erfreuten, da wir nun wußten, daß wir ins Meer kommen müßten.

Und da wir nun weiterfuhren, entdeckten wir einen kleinen Flußarm, daraus kamen zwei Flottillas von Kriegspirogen mit großem Lärm und Geschrei und begannen uns anzugreifen, und wäre nicht das Schanzwerk gewesen, wir wären aus diesem Scharmützel an Zahl sehr vermindert herausgekommen; doch mit diesen Schanzen und dem Abbruch, den ihnen unsere Arkebusiere und Armbrustmänner taten, 222 und der Hilfe unseres Heilands, entkamen wir, doch nicht ohne Schaden, denn sie töteten uns einen Kameraden, Garcia de Soria, gebürtig aus Logroño; und in Wahrheit drang ihm der Pfeil nicht einen halben Finger weit ein, doch da er giftig war, gab er seine Seele unserem Heiland, nicht vierundzwanzig Stunden darauf. So kämpften wir bis in die Nacht, der Fluß war ganz voll von Pirogen, und dies, weil wir in einem volkreichen Lande waren, und sein Herr hieß: Nurandaluguaraburabara.

Da dies nun vorbei war, befahl der Capitàn zu kreuzen, um am linken Ufer den Dörfern zu entgehen. Hier nun verließen wir das gute Land und die Savannen und hohen Boden und begannen in ein niederes Land von vielen Inseln zu kommen, die waren bevölkert, doch nicht sosehr wie das Land stromaufwärts. Und hier verließ der Capitàn das Festland und ging zu den Inseln, zu essen nahmen wir, was wir konnten. Und da die Inseln zahlreich und sehr groß sind, konnten wir nie mehr das feste Land betreten bis zu dem Meer.

Da wir nun gewohntermaßen auf dem Wege waren, sehr leer und in argem Notstand, gingen wir ein Dorf nehmen, so auf einer Sandbank gestanden: zur Stunde der vollen Flut befahl der Capitàn, die Brigantine dorthin zu lenken; der Steuermann sah einen Pfahl nicht, so im Wasser bedeckt war, und das Schiff prallte an, dergestalt, daß eine Planke in Stücke brach; so begann das Schiff zu sinken. Hier nun sahen wir uns in gar großer Not und gedachten sämtlich umzukommen, denn von allen Seiten schlug uns das Schicksal. Denn da unsere Gefährten ans Land sprangen, trafen sie auf die Indios und machten sie fliehen und begannen Nahrung zu sammeln. Die Indios, da sie viele waren, wenden sich gegen unsere Gefährten und geben ihnen eine solche Handvoll, daß sie zur Brigantine fliehen; hier aber war wenig Sicherheit, denn die Brigantine war im Sinken. Und so befahl der 223 Capitàn, die Leute zu teilen, daß die Hälfte der ganzen Kumpanei mit denen Indios kämpfte und die anderen die Brigantine retteten. Es gefiel Unserem Heiland Jesus Christus, uns zu helfen und zu begünstigen, wie er immer auf dieser Fahrt getan hat; und mit seiner unsäglichen Güte und Vorsehung konnten wir die Brigantine retten und eine Planke aufnageln; und in drei Stunden, die sich besagtes Werk verzögerte, hörten sie nicht auf zu kämpfen.

Fernerhin zeigte uns in solcher Notdurft Unser Herr die besonderliche Fürsorge, in der er uns Sünder hielt, denn eines Tages gegen Abend ward auf dem Fluß ein toter Tapir schwimmen gesehen, so groß wie eine Maultierstute; und in Ansehung dessen sandte der Capitàn gewisse Gefährten, daß sie ein Kanu nähmen, um ihn zu holen, und sie brachten ihn und verteilten ihn unter alle Gefährten, dergestalt, daß auf jeden zu essen kam für fünf Tage oder sechs, was nicht wenig war. Dieses Tapirtier war neulich gestorben, denn es war noch warm und hatte keinerlei Wunde.

Am Tag des heiligen Heilands, welcher ist der Tag der Himmelfahrt Unseres Erlösers Jesus Christus, fanden wir einen Strand, wie wir ihn suchten, um die Brigantine besser instand zu setzen, und machten wir ihr Takelwerk aus Pflanzen und Seile für das Meer und Segel aus den Decken, in denen wir schliefen. Und es währte solches Werk vierzehn Tage, von dauernder und gewöhnlicher Pönitenz von wegen des großen Hungers und geringer Nahrung, die da waren, denn man aß nur, was man aus dem Wasser zog, und waren dies einige Schnecken und kleine rote Krebslein so groß wie Frösche, und diese ging eine Hälfte der Gefährten suchen, die andere arbeitete.

Verließen wir diesen Ort am Tage acht des Monats Augusti, wohl oder übel versehen nach unserer geringen Möglichkeit, denn viele Dinge fehlten uns. Von hier nun segelten wir nun mit dem Seewind, von 224 einer Seite zur anderen kreuzend, und waren wir zwischen den vielen Inseln nicht in geringer Gefahr, wann wir die Winde abwarten mußten; denn da wir keine Anker hatten, waren wir an Steinen festgemacht. Es wollte Gott, auf unsere Sünden nicht achtend, daß wir aus diesen Gefahren befreit würden, und er erlaubte nicht, daß wir vor Hunger stürben noch Schiffbruch erlitten, dem wir gar oft nahe gewesen, wenn wir auf den Sandbänken saßen oder schon alle im Wasser standen, Gott um Mitleid anrufend; und gemäß den vielen Malen, da wir leck wurden, kann man nur glauben, daß Gott in seiner absoluten Macht uns befreien wollte, damit wir uns besserten oder für ein ander Mysterium Göttlicher Majestät erhalten blieben.

Immer fuhren wir zwischen Dörfern, wo wir uns mit einiger Nahrung versahen, obgleich es wenig war; doch die Indios hatten gewisse Wurzeln, so sie Inanes nennen; ohne diese wären wir alle vor Hunger gestorben. In allen den Dörfern empfingen die Indios uns ohne Waffen, denn es ist ein sehr zahmes Volk und gab uns Zeichen, wie sie schon andere Christenmenschen gesehen. Diese Indios sind schon an der Mündung des Stromes, aus dem wir kamen; dort nahmen wir Wasser ein, jeglicher einen Tonkrug, und anderthalb Scheffel gerösteten Mais, und andere weniger, und andere die Wurzeln, und auf diese Weise kamen wir in den Stand, das Meer zu befahren, wohin das Schicksal uns führte und würfe, denn wir hatten keinen Piloten, noch Kompaß, noch Karte. Alle diese Dinge ersetzte uns unser Herr und Erlöser, den wir als unseren wahren Piloten hielten, vertrauend in Seine Heiligste Majestät, daß er uns in ein Christenland brächte.

Wir fuhren ins Meer hinaus aus der Mündung besagten Stromes am Tage zwanzig und sechs des Augusti, am Tage des heiligen Ludwig. – –

Ich, Fray Gaspar de Carvajal, der Geringste der Mönche des 225 Ordens unseres Vaters Sancti Dominici, habe mir diese geringe Mühe genommen, den Verlauf unseres Weges und unserer Navigation zu sagen und die Wahrheit in allem diesem zu bekunden; und es ist Wahrheit in alledem, was ich gesagt habe und erzählt, und dieweil Weitschweifigkeit Überdruß erzeugt, habe ich so kurz alles berichtet, was da geschah dem Capitàn Francisco de Orellana und den Hidalgos seiner Kumpanei und Gefährten, die wir auszogen mit dem Heer des Gonzalo Pizarro, Bruders des Don Francisco Pizarro, Marquès und Gobernador von Peru. Gelobt sei der Ewige. Amen.«

 

So endet der Bericht des Paters Carvajal, sagte der Weltbummler. Ich aber werde die Stunde zu schildern haben, in der Francisco de Orellana die letzten Urwaldinseln seinem Blick entschwinden sieht und kaum mehr den Saum der letzten Palmen an der nur noch geahnten Küste ausnimmt, und nun ist auch das vorbei, und er ist auf einem grenzenlosen Meer, das aber noch die lichtgoldene Farbe des großen Stromes hat, ein letztes klein wenig von dem Gold von Paytiti ist noch um ihn, und noch viele Tage nachher umflattern ihn auf dem Deck der Brigantine die entzückenden bunten Schmetterlinge des Waldlands, bis auch sie eines Morgens fort sind, von der Seebrise weggeweht. Ich sehe Francisco de Orellana, wie er auf dem leise schwankenden Schiff steht, nicht vorn, wo die geflügelte Viktoria nach spanischen Ländern fliegt, sondern hinten, an der Schanze; er blickt zurück, und in seiner Hand hält er eine kleine Schlange aus grünem Stein, sie erinnert ihn an seinen Strom, und tief in seinem dunklen Herzen, tief unter dem Christentum, das darinnen ist, glaubt er vielleicht an den Zauber der kleinen Schlange: sollte sie ihn nicht vor dem Irrgeist bewahren, vor Curupira, der alle Wege verwirrt und die Heimkehr hindert? Oft in den furchtbaren Tagen im unteren Fluß hat Franciscos 226 Hand ganz heimlich nach dieser Schlange getastet, von der er nicht weiß, woher er sie hat und was die wilden Träume bedeuten, die sie ihm gaben. Nur ganz verborgen in seinem christlich katholisch kastilischen Herzen ist dieser Glaube, daß die grüne Schlange ihm Rettung und Heimkehr verbürgt, daß all die lauernde Hexerei der Wildnis, des Waldes durch diesen befreundeten Zauber unschädlich wird, durch die Schlange der Wassermutter, das Sinnbild des Stroms, der der seine ist, der Rio de Orellana, so meint er, für ewige Zeiten.

Einmal entdeckt, aus einer Träumerei auffahrend, Francisco de Orellana sich selbst, wie er diese kleine grüne Schlange ganz fest und sehnsüchtig an seinen Mund preßt – und er hat eben noch einen leisen Duft verspürt, er weiß nicht, ob nach Waldorchideen oder nach weißen und purpurnen Wasserlilien, so groß wie Schiffe, die sich in einer Mondnacht plötzlich öffnen. Da Orellana sich so findet, wird er ganz rot und verbirgt hastig das Schlänglein in seiner Tasche; einen kurzen Augenblick hindurch hat er daran gedacht, es in das Meer zu werfen. Das kann er nicht, aber der Duft nach Orchideen und Coniapuyara wird in diesen Tagen der Heimkehr immer schwächer in seiner Erinnerung, und immer klarer wird in ihm das Bild der Doña Ana de Ayala. So kehrt seine Sehnsucht aus Paytiti heim, aus der durchdufteten Schwüle des Waldes und aus der ungeheuren goldenen Vision des heißeren heidnischen Glücks; Francisco de Orellana denkt wieder an Doña Ana, die blond und weiß ist und stolz und sehr christlich. Sie plant er zur Vizekönigin eines neuen Andalusiens zu machen, sie, und nicht die India Coniapuyara, wird ihm die Kinder gebären, die ewig im Waldlande herrschen werden; und nicht nach der Amazone, nach Orellana werden sie ewig den Strom benennen.

So fährt Francisco de Orellana hinweg von Paytiti und vermeint, er könne einst wiederkehren. Irgendwo im wirren Baumdickicht, dort 227 an der Küste, die dem Blick schon entschwand, steht Curupira und lacht diesem Schiffe nach.

 

Ach so, sagte der Weltbummler, stand auf und streckte seine langen Beine, ich muß natürlich dann noch erwähnen, daß das Schiff »Viktoria« mit dem Ritter Francisco de Orellana und vierzig halbverhungerten und nackten Gefährten dann im weiteren ordnungsgemäßen Verlauf der Weltgeschichte am 11. September des Jahres 1542 in dem Hafen der neugegründeten spanischen Ansiedlung Nueva Cadiz auf der westindischen Insel Cubagua angekommen ist. So endete, sagt der Geschichtschreiber Gonzalo Fernandez de Oviedo, diese Fahrt, die ohne Ziel begonnen worden ist und die allmählich zu einem der größten Geschehnisse wurde, die jemals den Menschen begegnet sind. 228


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