Richard A. Bermann
Das Urwaldschiff
Richard A. Bermann

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Siebentes Kapitel

Das ist historisch, sagte der Weltbummler, daß sich Orellana erst gegen den Bau des Schiffes gesträubt hat; dann aber sieht man ihn das einmal begonnene Werk mit leidenschaftlichem Eifer fördern. Es ist nicht seine Schuld, daß das Schiff gebaut wird. Da es aber gebaut wird, tut er die Arbeit selbst, ja, er hält mit einer Art Eifersucht andere fern. Da Pizarro lange Wochen im Fieber liegt, hat als sein Stellvertreter Orellana alles zu bestimmen. Er sendet die Kameraden in die Indianerdörfer, sie fouragieren, schlagen sich mit den Indios, bringen, was sie Eßbares finden, es ist anfangs nicht viel, wird immer weniger. Zu Bauleuten wählt Orellana am liebsten die Soldaten seiner eigenen Truppe, der bewährten Vorhut. Es ist mehr als einer unter den Vielerfahrenen, den Abenteurern, der weiß, wie ein Schiff auszusehen hat, und wüßte er es nur von den Galeeren des Königs her. Ein Seemann, Juan de Alcántara, hat einst Schiffe befehligt; Andrès Duran ist Zimmermann gewesen und zeigt den Gefährten, wie man eine Axt hält. Bald aber ist ein anderer, der nie etwas von Äxten noch Schiffen wußte, der Schiffsbaumeister, dessen Rat sich ein jeder fügt.

Man braucht vor allem geschmiedetes Eisen zum Werk, Nägel und Klammern. Es ist eine Schmiede vorhanden, in einer Waldhütte, und Perucho aus Biskaya ist ein tüchtiger Schmied. Vor allem aber muß man für Kohlen sorgen; Francisco de Orellana läßt Kohlenmeiler errichten und macht ein paar Leute zu Kohlenbrennern; es ist in diesem 142 heißen Wetter kein frohes Geschäft. Da er die Unlust der Leute sieht, erscheint eines Tages der Teniente General selbst beim Kohlenmeiler und beginnt Kohlen zu brennen, als müßte es sein. Das ist seine Art: wo es am schwersten ist, greift er gern selbst zu.

Am abendlichen Lagerfeuer im Walde sieht er den jungen Diego Mexìa, wie er mit einem spitzen Kohlenstift auf ein helles Stück Baumrinde ein Schiffchen zeichnet, eine Brigantine: so sehen die Untermasten aus, hier sitzen die Marsstengen. Lachend sehen die Kameraden dem Jungen zu; sie wissen, er war in der Werkstatt eines Kupferstechers in Sevilla Lehrling, bevor er davonlief, dem indischen Gold nach. Daß er aus Ton Heilige kneten kann, Gebilde von Tapiren und Schildkröten, weiß das ganze Lager; man lacht darüber und über die Fratzen, die er mit der Messerspitze in Bäume ritzt; Francisco de Orellana aber lacht nicht über das gezeichnete Schiff. Er läßt sich das Stück Rinde zeigen, betrachtet es genau; am nächsten Tag ist Mexìa vom Kohlenbrennen erlöst, sitzt in der Hütte und entwirft verschiedene Pläne und Risse; bald tut der Teniente nichts mehr, ohne Diego Mexìa zu fragen. Alles kann dieser halbe Knabe; dem Zimmermann sagt er, welche von den fremden Bäumen des Waldes sich am besten als Brettholz eignen, aus welchen der Kiel zu machen wäre, aus welchem der Mast. Den Holzfällern zeigt er die Richtung, nach der man die große Palme wohl am besten umlegt, und dem Schmied, wie man aus der Haut des großen Tapirtieres einen guten Blasebalg machen könnte. Man sieht tagsüber die drei stets beisammen, Francisco de Orellana, Diego Mexìa und Miguelito, denn auch der braune Peruaner ist unentbehrlich. Die Tatkraft Orellanas, Mexìas Geschicklichkeit und Miguelitos Wissen vom Walde bauen gemeinsam an diesem Schiff.

Den Fluß, auf dem die Brigantine schwimmen soll, und den gewaltigen Strom, in den er mündet, hat nie noch ein Schiff befahren, es sei 143 denn ein ausgehöhlter Baumklotz, wie ihn die Eingeborenen kennen, irgendein leichtes Kanu, ein plump zusammengefügtes Floß vielleicht; und doch könnte man aus dem Reichtum dieses Waldes Fahrzeuge bauen, größer als Kastiliens Galleonen. Um dieses Wunder zu vollbringen, daß dem schiffbarsten Strom der Welt sein erstes Schiff wird, braucht es das Bündnis dieser drei: des Soldaten, des Künstlers und dieses Dritten, der den großen Wald kennt. So bauen sie aus dem unberührten Urwald das Urwaldschiff, das ihn bezwingen wird.

Unermüdlich ist Orellana, den ganzen Tag auf der Werft und im Walde; die Holzfäller sehen ihn plötzlich erscheinen, in der Schmiede prüft er die Nägel, und in dem Schuppen, wo sie aus dem Bast der Tucunpalme Matten flechten, an Stelle der Segelleinwand, steht er stundenlang und drängt zur Eile; wo er ist, dort hat der geplagte Soldat keine Rast in der Hitze des Mittags. »Macht mein Schiff fertig«, ist das Wort, das immer wieder aus seinem Mund kommt; er nennt diese Brigantine, deren Rumpf jetzt schon erkennbar auf den großen hölzernen Rollen liegt, fast immer sein Schiff; keinen der anderen Führer des Heeres duldet er auch nur in der Nähe des Werks. Der junge Sanchez de Vargas kommt immer wieder, erbietet sich, mitzuhelfen; Francisco de Orellana schickt ihn, ein Dorf der Omaguas auszuheben, das zwei Tagemärsche westlich im Walde liegen soll. »Er ist in das Schiff verliebt wie in ein Weib«, lächelt der kranke Pizarro, dem einer was von der seltsamen Eifersucht sagt. Den Scherz wiederholt das ganze Lager. Ist Orellana nicht bleich wie ein Verliebter? Ist er in das Schiff vernarrt, oder läßt ihn eine India schmachten, mit blau tätowiertem Mund und einem Pflock in der Lippe? Witzbolde wollen es wissen, fragen den schwarzen Pedro, Orellanas Sklaven. Der riesige Senegambier, der erste Neger, der mit den Weißen in dieses Land gelangt ist – nie wird mehr das Blut seiner Rassen 144 daraus verschwinden – Pedro verzieht seine pockennarbige Fratze zum Grinsen. »Der Herr verliebt sein in Schiff, ja, ja, nix schlafen, nix essen – –«

Ein anderer ist schlaflos wie er, Mexìa. Tagsüber der eifrigste, mit dem klugen Kopf nicht fleißiger als mit den geschickten Händen; wie man ein Hebelwerk für schwere Balken baut, das ersinnt er, und dann baut er mit Axt und Säge selbst das Gerüst. Keiner hobelt so gut wie er, und die beste Art, eine Matte zu weben, ersinnt er, während er stärkere Eisenklammern schmiedet. Doch in den Nächten kommt aus der kleinen Hütte, die er allein bewohnt, ein Licht. Eine Lampe voll Nußöl leuchtet ihm zu einem einsamen Werk. Aus dem harten Eisenholz der weißen Zeder schnitzt und meißelt und brennt er mühsam eine geflügelte Figur mit geöffneten Schwingen.

Und Miguelito ist rastlos. In seinen Händen, die lang und schlank sind wie die eines Hidalgos von gotischem Blut, sieht man niemals ein Werkzeug; aber er verschwindet mit dem langhaarigen Kaziken Delikola im Dickicht und kommt lange nicht zurück; dann treten sie auf die Lichtung heraus, und Delikola trägt, keuchend, auf seinem gebeugten Rücken eine Traglast zäher Schlinggewächse, aus denen gutes Tauwerk werden könnte; oder es ist ein eng verschnürter Ballen von Baumwollflocken, in den Wäldern gesammelt; das wird statt des Wergs verwendet. Überall folgt Delikola dem Dolmetsch, er ist sein Sklave, verehrt ihn wie einen Gott. Der Umgang mit den Weißen hat nichts an der Seele dieses Wilden geändert, obgleich eines Tages der gute Dominikaner Carvajal am Flusse das Zeichen des Kreuzes über seiner Stirn geschlagen hat, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Man hat ihn Juan genannt, zu Ehren des Täufers; er kann den Namen nicht nachsprechen, hört nicht auf ihn, er bleibt bei Delikola. Er bleibt bei seinem schmalen Schamschurz aus 145 Fell, er verschmäht selbst den kattunenen Mantel der Omaguas. Nur einen gläsernen Scherben hat er sich an einer Schnur um den mageren Hals gehängt, ein Stück von dem Glas des Gouverneurs, das beim Sturz eines erschöpften Trägers zerbrochen ist. Wenn Delikola allein ist, sieht er diesen Schatz immer wieder an, er läßt ihn in der Sonne funkeln und bricht dann in ein seltsames, langgezogenes Heulen aus, vielleicht ist es ein Lied. Den spanischen Soldaten weicht er aus, wo er kann; sie schlagen nach ihm, weil sein nackter magerer Körper dazu einlädt und weil es leicht ist, die Hand in seine langen öligen Haare zu krallen. Ein Mann, der im Walde eine Falle gelegt hatte, erzählte dann, er habe Miguelito und Delikola beisammen gesehen: der Kazike lag vor dem Dolmetsch, der stellte ihm den Fuß auf den Nacken.

Der Schiffsrumpf wird fertig, doch der Seemann, Juan de Alcántara, schüttelt besorgt den Kopf: wie wird das plumpe Gehäuse schwimmen, wenn man es nicht teert und kalfatert. Drei Tage weiß niemand Rat; Francisco de Orellana vergeht fast vor Ungeduld; er tobt, da auch Miguelito nicht weiß, was man machen soll, und selbst Diego Mexìas erfinderische Kunst versagt.

Am dritten Tage, nachdem Miguelito lange und geduldig mit ihm geredet hat, dämmert in dem trüben Gehirn des wilden Delikola die Ahnung davon auf, was die grausamen weißen Götter wieder wollen, die unerklärlichen. Aus dem Baumgestrüpp bringt er große klebrige Klumpen von allerlei Harz, in Blätter eingewickelt. Das schmieren die Schiffsbauer auf die Planken, verstopfen mit Harz und Baumwolle die Fugen. Orellana fühlt sich erleichtert; er gibt den beiden Indios Leute mit, damit sie von dem Harz eine Menge sammeln.

Die Spanier sind erstaunt, da sie sehen, daß Delikola die leere Schale einer großen Schildkröte in den Wald mitnimmt; er hat sie sich über 146 den Rücken gehängt, und jeder Soldat gibt ihm mit der Faust einen Schlag darauf, daß es dröhnt. Im Urwalddickicht, bei einem hohen Baum mit glatter und heller Rinde bleibt der Kazike stehen, durch Gebärden verlangt er die Axt, die ein Spanier trägt; er macht einen schiefen Einschnitt in die Rinde und stellt seine Schildkrötenschale darunter. Sofort träufelt ein weißer Saft aus dem Baum. Der Soldat bekreuzigt sich, murmelt den Namen der hilfreichen Mutter Gottes – ist das nicht, durch heidnische Hexerei, Milch, die aus dem Baum da quillt? Dann hält der Hungrige die Hand unter, beginnt gierig zu lecken. Es schmeckt fett und süß, wie in Andalusien die Ziegenmilch! Miguelito bedeutet dem Mann, in demütigen Worten wie immer, schlecht passen sie zu seiner stolzen Stirn, diese süße Milch nicht zu trinken. Knurrend gehorcht der Soldat; daß man in diesem Wald nicht alles genießen darf, was eßbar scheint, lehrt leidige Erfahrung. Sie gehen weiter und lassen die Schale liegen; später, auf dem Rückweg, holt der Kazike sie wieder ab, sie ist voll von dem weißen Rahm.

Behutsam bringt Delikola die volle Schildkrötenschale ins Lager, zu Orellana. »Ka-utschù!« sagt er und zeigt darauf, »ka-utschù!« Und da Orellana nicht weiß, was das heißen soll, nimmt der Kazike einen baumwollenen Fetzen, tränkt ihn in der Milch und hängt ihn in den Rauch des Kohlenmeilers; die Masse gerinnt, wird grau und fest; nun macht der Indio aus dem Tuch einen Beutel, zum Bach geht er, schöpft in dem Beutel Wasser, es rinnt nicht aus! Geflochtene Matten, in den Kautschùsaft getaucht, werden wasserdicht, das Wunder ist groß. Da muß Delikola viele Gefäße mit der Milch dieses Baumes füllen; er räuchert sie in dem Rauch der Urucurynüsse, die man nicht essen kann; besser als jeder Teer dichtet das Fugen und Deck.

Das Schiff wird vollendet; nie hat man daheim auf der Werft von San Lucas so rasch eine Caravelle gebaut; aber es geht zu langsam für 147 die Ungeduld des Heeres, für die allgemeine Not. Die Wochen vergehen, und was von Nahrung vorhanden war, geht zu Ende. Längst sind die Uferdörfer leer von Indios; nur in der Nacht hört man noch die dröhnenden Holztrommeln der Omaguas; die stecken im Dickicht, voll Scheu und Haß; wer im Wald allein ist, muß eines plötzlichen Pfeils gewärtig sein. Im Wald ist das Wild verscheucht, im Wasser die Fische; man nährt sich nur noch von Nüssen, eine riesige Schlange, die in der Nacht ins Lager kriecht, wird getötet und gleich an den Feuern gebraten, es ist ein richtiges Fest. Gonzalo Pizarro, von seinem Fieber genesen, ißt mit den Soldaten von der gerösteten Riesenschlange; er duldet nicht, daß man ihm bessere Bissen aufhebt, der wenige Mais, der noch da ist, gehört den Kranken. Auch denen zählt man die Körner einzeln zu.

Eine Hoffnung hält alle aufrecht: die Brigantine! Schon schwimmt sie auf dem Wasser, und aus der Satteldecke, die einst das verendete und längst gefressene Pferd des Gouverneurs getragen hat, fertigt man die goldene Flagge Kastiliens; sie weht von dem hohen Mast. Zuletzt bringt der Kupferstecher Mexìa feierlich ein verhülltes Ding aus seiner Hütte: er hat in den Nächten dem Schiff eine große Gallionsfigur geschnitzt, die heidnische Siegesgöttin Viktoria, wie sie mit großen weißen Flügeln dem Schiffe voranfliegen wird in die fernen goldenen Länder, nach Paytiti . . . Da er die Binsenmatten von der Figur reißt, sieht man, wie schön sie ist und prächtig; der florentinische Michelangelo, der in diesem selben Jahr die Vatikanische Kapelle ausmalt, hätte sich eines solchen jungen Schülers nicht geschämt. Diese Siegesgöttin, aus einem harten Klotz dieses Urwalds geschnitten, ist freilich nicht der samothrakischen Nike gleich, die wie ein hellenischer Schwan fliegt: diese ist ein großer Urwaldvogel, bunt und ein wenig barbarisch. Wo hat der Künstler in seiner Pisanghütte die Farben 148 hergenommen, woher den Firnis? Vielleicht weiß es Miguelito, vielleicht der Kazike, der die Farbhölzer kennt und den Baum, auf dem Wachs wächst. –

In einem kleinen Beutel unter seiner Achsel hat dieser Diego Mexìa einen Schatz bis hierher getragen, Beute aus einem Tempel der Inkas oder aus einem geplünderten Ort: ein paar Türkise und Goldstaub in Federkielen. Das alles hat der Künstler seinem Kunstwerk geopfert: zwei große Türkise, wunderbar blaugrün wie der Himmel, durch das Laub des Waldes angeblickt, bilden die Augen der geflügelten Figur, und die Kugel, auf der sie steht, ist dick vergoldet. Staunend sehen die spanischen Soldaten Diegos Werk und freuen sich; der Krieger spielt gern mit einem Sinnbild des ersehnten Sieges. Aber der Feldkaplan, Gaspar de Carvajal, macht keine freundliche Miene, da er das Bild sieht: nicht eine heidnische Göttin sollten katholische Christen am Bug ihres Schiffes befestigen! Doch Diego Mexìa trägt die geliebte Last, die geflügelte Göttin, rasch an Bord des Schiffes; man hört ihn eifrig hämmern, und am folgenden Morgen schwebt schon der helle Vogel Nike über dem dunkel dahinfließenden Wasser des Waldstroms.

 

Jetzt kommt das Kapitel, – sagte der Weltbummler und nahm die Pfeife aus seinem Mund, – in dem der Pizarro seine Leute versammeln soll, auf dem Hügel hinter dem Lager, dem gleichen, von dem aus Orellana den Rio Napo zum erstenmal gesehen und den größeren, den großen Strom geahnt hat. Nie werde ich, ich weiß es, die Szene richtig malen können, diese majestätisch-melancholische Landschaft, die Frische dieser tiefen Farben am frühen Morgen, diesen Fluß unten, der sich im blaugrünen Gestrüpp verliert, und die großen schwarzen 149 Truthahngeier, die über der Brigantine kreisen; dann, auf halber Höhe des Hügels, die Reihen der spanischen Abenteurer, bleich vor Hunger, gelb vor Fieber, aber immer noch die sie sind, Leute darunter, die schon mit Cortez in der großen Schreckensnacht durch den mexikanischen See schritten, im Flammenschein des gräßlichen Opferfeuers auf Huitzilopochtlis Blutaltar, und andere, die mit Francisco Pizarro auf der Insel Gallo gehungert haben, und solche, die auf dem dreieckigen Platz von Caxamarca auf den Ruf der Trompete aus den großen, kahlen, steinernen Palästen hervorgebrochen sind gegen den friedlich-feierlichen Zug Atahuallpas, und die die Sänfte des Inkas plötzlich über den federgeschmückten Helmen der Großen seines Hofes schwanken sahen, und die ihn mit ihren rohen Händen herausgezerrt, die Scharlachbinde des Königtums ihm von der Stirn gerissen haben; und solche, die dabei waren, da der König eines großen, begabten Volkes den Henkerstod starb, von der gemeinen Garrotte erwürgt wie irgendein spanischer Dieb – –

Und es sind Leute da, die mit Benalcázar Quito erobert haben, und solche, die mit Almagro in Chili waren, sie haben gehungert und in Wüsten gedurstet, wenn sie nicht aus den goldenen Bechern der Inkas gegorenes Maisbier getrunken und viele kostbare Vicuñas geschlachtet haben, gewaltige Herden, bloß wegen des schmackhaften Hirnes, nicht wegen der Wolle. Da stehen sie, Massenmörder, Räuber, Heroen und tiefgläubige fromme Kinder, ihrem König treu und gegen ihre Gouverneure rebellisch; Hidalgos vom blauen Blut der Goten, und Hurensöhne, aus der Gosse gelesen, da stehen sie, immer noch stattlich, in Helmen, die sonst als Kochkessel über dem Feuer hängen, heute sind sie mit Mühe blank gerieben und mit großen, vielfarbigen Federn verziert; der trägt die Haut einer großen Wildkatze statt des Rockes, den ihm der Regen vom Leib gerissen hat, aber darüber den Harnisch der 150 Kürassiere, der hat keine Hosen an, der hat noch die Schäfte der großen, gelben Reiterstiefel und hat sich Sohlen aus Rinde darunter gebunden; aber noch fehlt keinem der Krieger die Waffe, die langen Degen sind frisch geschärft; die kleinen, runden Schilde hängen am linken Arm; der Arkebusier trägt Gewehr und Gabel, der Armbrustschütze die Armbrust; so stehen sie da, mit den Fahnen von Kastilien und Leon, und von der Höhe des Hügels weht die Flagge des Hauses Pizarro, mit dem neuen Wappen, das den schwarzen doppelten Adler der Habsburger zeigen darf, die kastilischen Pfeiler, dann das Lama, als Sinnbild Perus, und eine indianische Stadt, auf die ein Schiff mit geschwellten Segeln zufährt – –

Hoch über allen Bannern aber ist das hölzerne Kreuz, unter dem der Generalvikar steht, mit den fünf Mönchen, die ihn begleiten; er trägt das prunkvolle Meßgewand, das man bis her in das Herz der Wildnis gebracht hat, gleich wird er vor dem Heere die Hostie hochheben. Gleich wird der feierliche Gottesdienst beginnen, den Gonzalo Pizarro hier lesen läßt, die Vollendung des großen Werkes zu feiern: da steht der große Gouverneur von Quito, prachtvoll anzusehen in einem vergoldeten Helm, im damaszierten Harnisch, und mit einer Kette großer, ungeschliffener Smaragden um seinen Hals; er ist größer als seine Offiziere, die um ihn stehen, stattlich in dem bunten Schmuck, den er liebt; Francisco Orellana, dicht neben ihm in seinem zerfetzten Wams, mit den Reiherfedern am Filzhut; sie haben einander als Knaben gekannt, ein Herrensohn und ein Schweinehirt, jetzt ist der Hirt von einst der Herr des Hidalgos, das aber kann ihm nicht die edlere Schlankheit geben, der Hals bleibt kurz und plump, auch wenn er faustgroße Smaragden daranhängt. Wie er dasteht, ganz in schwarzer Seide, mit dem glänzenden Panzer darüber, den geschnitzten Stab in der Hand, auch noch in der Wüste mit Prunk beladen, einer von den 151 Bastardbrüdern, ganz Trujillo wies mit den Fingern auf sie! Er ist Francisco de Orellanas Wohltäter, sein Waffenbruder, ein gütiger Freund! Ein plumper Emporkömmling. Nein, ein Held, der Herrliches getan hat.

Was geht im Herzen Francisco de Orellanas vor? Da wendet sich Gonzalo Pizarro mit einer Geste um, die vieles entscheidet: seinen Feldherrnstab streckt er weit von sich und zeigt seinem Heere das Schiff, das dort unten auf dem in der Sonne funkelnden Flusse liegt, stattlich anzusehen mit seinem hochgebauten Heck und mit den Segeln, die die Brise bauscht, dieses Waldschiff, Stück für Stück aus dem Blut und Bein dieses großen Waldes geschaffen, Francisco de Orellanas Urwaldschiff, das er allein hat erstehen lassen, nur er, mit den Gefährten, die ihm die nächsten sind. Und da der Feldherrnstab des Gonzalo Pizarro dieses schöne Schiff zeigt als seinen Triumph, als hätte er das Schiff aus seinem jungen Wappen genommen und mit seinen beiden Händen her auf diesen Fluß gesetzt, und dem Heer die Viktoria zeigt, die mit ihren weißen Flügeln diesem Schiff voranzufliegen scheint in die geheimnisvollen Länder der großen Sehnsucht, die Länder, die dort stromabwärts liegen, in dem goldenen Nebel über diesem Fluß der Verheißung, da Gonzalo Pizarro mit dem symbolischen Stab seiner Gewalt auf diesen Sehnsuchtstraum weist, der der Traum des Ritters Francisco de Orellana ist, die Qual seiner Nächte und der Sinn seines ganzen Lebens, da löst er, mit einer einzigen kurzen Geste, den Zwiespalt, der lange in Orellanas Herzen war, ein einziger Blick des Stolzes läßt ihn den Freund verlieren.

Doch das weiß er nicht. Gonzalo Pizarro zeigt dem Heere das Schiff, das ihm Brot bringen soll und das sie bald mit Beute beladen werden, mit allem Geschirr des Goldenen Königs, El Dorado, der in der Burg Manoa thront, an dem goldenen See, nicht fern mehr von hier, im 152 Lande Paytiti, wo Gold so gemein ist wie in Gonzalo Pizarros eigenem Minenbezirk von Potosi das Silber – – Brot und Gold, ruft der Feldherr den Hügel hinab, zu seiner eisernen und hungrigen Mannschaft, die reglos zuhört, Brot und Gold wird dieses Schiff uns bringen, zuerst das Brot, das gute Korn, die gelben Maiskolben, die flußabwärts auf uns warten, wenige Meilen von hier, unserem Schiffe so leicht erreichbar, wie wir schwer zu dieser Wohltat gelangten, hatten wir das Schiff nicht! Erst Brot, dann Gold, erst das Brot, ohne das wir das Gold nicht ersiegen können; doch wer, da wir das schöne Schiff nun haben, zweifelt am Sieg? Das Bild der spanischen Glorie, des hellen und glücklichen Sieges, fliegt diesem Schiffe sichtbar voran, sein Name soll heißen: Viktoria! – –

Der Feldherr schweigt, aber der schrille Ruf der Trompeten fällt ein, zum erstenmal in diesem wilden Walde gehört, und die Arkebusiere schießen ihr Pulver in die morgendliche Luft. »Viktoria!« schreien die Soldaten, »Viktoria!« Nun sind sie still, der Priester will die Messe beginnen, das Tedeum dieses freudigen Tages, da geht ein seltsamer Laut durch die Luft, ein fast gespenstisches Heulen aus dem Walde. Dort, wo das Dickicht an die freie Savanne grenzt, haben sich braune Menschen hingeschlichen, mit sonderbar plattgequetschten Köpfen, in buntgewebten Baumwollmänteln, und Weiber mit braunen Brüsten, straffhaarig, über den breiten Backen glotzen erschreckte Augen, und sie sehen das göttliche Ding, von dem ihnen die Späher erzählten, das Kanu, in dem die Sonne über den Fluß fährt, denn sie wissen, daß diese goldene Kugel unter den Füßen der Nike der Sonnenball ist und daß die bösen weißen Dämonen auf diesem riesigen Zauberkanu die Sonne aus dem Lande Omagua fortführen wollen, flußabwärts, in das Reich des großen Stroms, aus dem niemand lebend zurückkommt. Seit Wochen predigt es der »Paje« des Stammes, er, der die geheimen 153 Medizinen kennt und jeden Zauber. Der Wunsch, dies bedrohliche Wunderwerk zu sehen, ist stärker gewesen als selbst die Angst davor und die Furcht vor den Fremden – da lauschen sie nun, lugen aus dem letzten Waldesschatten, die Krieger der Omaguas, und da der Donner der Arkebusen, der unerklärliche Sang der Trompeten gräßlich und geheimnisvoll zu ihnen spricht, von der Magie des weißen Mannes, von diesem unfaßbar fürchterlichen Wunder seines Willens, da auf einmal werfen sich die Omaguas mit ihren flachen Stirnen auf den Boden, beginnen zu heulen, einen langgedehnten, lauten und so schwächlichen Schrei erschreckter Ohnmacht, es klingt wie ein Winseln des Waldes, der dieses Schiff erzeugen mußte, und dieses Schiff wird ihn schließlich bezwingen – –

Einer steht abseits von der eisenklirrenden Heerreihe der Weißen, abseits von den Wilden, die da ohnmächtig klagen, den Omaguas. Miguelito, in seinem spanischen Kittel, steht stumm und einsam und blickt nach dem Schiff Viktoria, das sein Werk ist, mehr als das Werk eines anderen. Da er mit seiner langen, adeligen Hand die Augen beschattet, verliert er den Ausdruck gezwungener Demut, über der Falkennase des Indianers wird der Blick klar und scharf, und sein Mund murmelt Worte, die kein kastilisches Ohr verstehen könnte. Dann, plötzlich, nimmt Miguelito die alte Maske wieder auf, er sinkt in die Knie, ein gehorsames Kind der katholischen Kirche: die Messe hat begonnen.

 

Als Pater Gaspar de Carvajal das Hochamt vollendet hat, tritt neben den Altar der Escribano und verliest dem versammelten Heer den Befehl des Generals und Gouverneurs: Heute Rast; die Brigantine wird morgen beladen; tags darauf segelt die Vorhut, befehligt von Don Francisco de Orellana; als Alferez des Fähnchens geht Don Hernan 154 Sanchez de Vargas mit, als Pilot Juan de Alcàntara, und der ehrwürdige Vater Gaspar de Carvajal als Schiffskaplan, damit die Indios des fruchtbaren Landes flußabwärts nicht einen Tag länger denn nötig ohne christliche Belehrung bleiben. Die Armada bleibt hier in Barco, bis Orellana Botschaft sendet, daß er die gute Gegend gefunden hat, von der die indianischen Führer sprechen, oder, besser, bis er zurückkommt mit der vollbeladenen Brigantine, mit der Nahrung an Bord, die alle so bitterlich brauchen. So beschlossen und so befohlen zum besseren Dienste Gottes und der kastilischen Krone. –

Zwei Tage später stehen die Kameraden am Ufer, hungrig, doch hoffnungsvoll, und sehen dem Schiff nach, das mit gebauschten Segeln rasch von dannen fährt, in das Land, in dem Überfluß ist und alle Not beendet. Am Bug, zu Füßen der geflügelten Siegesgöttin, steht Orellana, hoch aufgerichtet, er ist bleich und düster. Hinter ihm ist Miguelito und spricht halblaute Worte zu ihm, während das Schiff »Viktoria« um die Windung des Flusses den Blicken des Heeres entschwindet, und Gonzalo Pizarros, dessen vergoldeter Helm noch bis zuletzt vom Schiff gesehen wird, in der ersten Sonne des frühen Morgens funkelnd.

Tag um Tag schwimmt die Brigantine, nirgendwo öffnet sich der Wald, der sich an die Ufer preßt; durch rauschende Stromschnellen schießt das Schiff. So sicher sind sie der Nähe fruchtbarer Felder gewesen, daß sie Pizarros Lager fast ohne Proviant verließen; jetzt verteilt der Priester das Mehl, das er mithat, um Hostien daraus zu backen. Sie verzweifeln schon, der Fluß tobt immer toller, ein ungeheurer Baumstamm, im Wasser halb versenkt, bringt die Brigantine beinahe zum Scheitern. Eines Tages, unversehens, tut ein Tal sich auf; riesenhaft, maßlos, unter einem blauglühenden Himmel glitzert ein ungeheurer Strom, Schwärme von Wasservögeln schwirren vor dem 155 Schiffe auf, da es aus dem kleineren Fluß in das beglänzte Wasser des großen einfährt.

»Mar Dulce!« schreien die spanischen Soldaten, auf Deck gedrängt. »Das Süßwassermeer!«

»Marañon!« ruft der Kazike Delikola.

Neben dem Kapitän steht Miguelito.

»Heißt dieser Strom Marañon?« fragt der Ritter.

»Er heißt: Rio Orellana, wenn du nur mutig bist«, sagt Miguelito. 156


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