Henry Benrath
Ball auf Schloß Kobolnow
Henry Benrath

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Ich war um die Dämmerung eines klingend blauen Wintertages über Augustenburg in Kobolnow angekommen. Das weitläufige Schloß – in der Art Schinkels auf einer Anhöhe mit der Front nach Westen gebaut – lag im Widerschein einer kupfernen Abendröte, als der Wagen vorfuhr. Eugo von Lagosch nahm mich in Empfang. Ich kannte ihn von Bildern her. Man wußte im ersten Augenblick der persönlichen Begegnung, daß der Ruf, den er genoß, berechtigt war. Er war der unbedingte Grandseigneur, der ungekrönte Herrscher der Provinz. In der weiten Halle, die vom Geruch brennender Eichenklötze erfüllt war, fand ich Laura von Lagosch, die gerade von einer Fußwanderung zurückgekommen war und sich eben die weiße Baskenmütze vom blonden Haar streifte, Blanche von Berry, die mir um Jahre verjüngt schien, Gisela von Lagosch, die glückliche Abiturientin des klassischen Gymnasiums, ein etwas jungenhaftes, schlankes Mädchen mit einem feinen, fast antikischen Kopf, der durch auffallend durchsichtige Augen eine fast übersteigerte Belebung erfuhr, Ivo von Lagosch, den zukünftigen Erben, ein bezauberndes Enfant terrible von zehn Jahren, der Schwester zum Verwechseln ähnlich, Augusta von Mackenthun und Tosia von Rizzoni di Faënza, zwei »Haustöchter«, welche – nach der Sitte des deutschen Ostens – auf Kobolnow die Führung eines herrschaftlichen Schloßhaushaltes großen Stiles lernten, und Tosias Bruder Wladimir, einen 91 achtzehnjährigen jungen Menschen von so dunkler, schwermütiger Schönheit, daß ihn begrüßen ihn länger betrachten hieß, als es die Sitte gestattete. Er wohnte schon seit einem Jahre auf Kobolnow und besuchte von hier aus die Oberrealschule in Augustenburg.

Die beiden Geschwister Rizzoni, von denen mir Laura in Schönfeld gesprochen hatte, waren Opfer der bolschewistischen Kämpfe in Lettland geworden. Ihr Vater war von einem Bandenhäuptling im Keller des heimatlichen Schlosses ermordet worden, die Mutter wenige Tage später vor Erregung an einem Schlaganfall gestorben. Das Schloß wurde niedergebrannt, der Besitz verwüstet. Die Kinder selbst verdankten ihre Rettung nur dem Umstande, daß sie während der Unglückstage gerade bei ihrer Großmutter in Berlin zu Besuch waren. Nach dem Tode dieser Frau nahm sich Eugo von Lagosch ihrer an. Er war Korpsbruder und Regimentskamerad des ermordeten Grafen Rizzoni gewesen, der, kaum dreiundzwanzigjährig, die jungverwitwete Fürstin Subomirska (eine geborene Karialinsky) geheiratet hatte. Die Kinder hatten also eigentlich nur polnisches und italienisches Blut, ihre deutsche Staatsangehörigkeit war der Vorliebe ihres Großvaters für Bismarck zuzuschreiben, welche ihn bewogen hatte, sich in Preußen naturalisieren zu lassen und Berlin zu seinem Stadtwohnsitz zu nehmen. Dieser deutschen Staatszugehörigkeit aber hatten sie auch ihre völlige Armut und die dauernde 92 Verschleppung ihres Entschädigungsprozesses gegen den lettischen Staat zu verdanken. Tosia hatte sich leicht in ihr Unglück gefunden. Sie war lebhaft, oberflächlich, lustig, tapfer, anspruchslos. Wladimir war ihr genaues Gegenteil: schwerblütig, gründlich, fast ohne Lachen, zaghaft und von jener der Lage angepaßten, durch die Lage aufgezwungenen Bescheidenheit, welche auf große innere Ansprüche schließen läßt. Tosia war hellhörig und von ziemlicher Leichtigkeit der Auffassung, Wladimir von erstaunlich feiner Witterung für das Echte und Unechte im Menschen, aber von ebenso erstaunlicher Langsamkeit im Denken. Er kam in der Schule nur schwer voran, seine Sehnsucht war, ein Gut zu bewirtschaften. Er liebte den Boden, die Tiere und die Blumen. Er sprach nur, wenn man ihn fragte. Aber der Ausdruck seines Auges verbot es, viele Fragen an ihn zu richten. Kurz vor dem Abendbrot gesellte sich zu uns ein entfernter Verwandter Lauras, der Regierungsreferendar Adalbert von Elten, der von Augustenburg herübergekommen war, um an unseren Beratungen über das Fest teilzunehmen. Er war dasselbe für Augustenburg, was André de Fouquières für Paris ist: der Arbiter elegantiarum und der maître de plaisir: ein äußerst gewandter, sprühend lebendiger und verschlagen-kluger Mensch, mittelgroß, schwarz, hübsch – viel zu hübsch für einen Mann – und schandmäulig, ohne böse zu sein. Ich erfuhr schon beim Abendessen durch ihn mehr von der Luft um 93 Augustenburg, als mir die Lagoschs hätten in einer Woche beibringen können – und war um so erfreuter über diese rasche Unterrichtung, als sie mir meine eigene Aufgabe sehr erleichterte. Er hatte mein Buch »Der Segen der Dummheit« recht genau gelesen und meinte, es sei schade, daß man das Fest nicht unter dieser Devise starten lassen könne. Ein Scherz, den Eugo nicht sehr liebte.

– Was bedeutet eigentlich Ihr Name Eugo? fragte ich den Hausherrn.

– Das haben schon viele gefragt, sagte Laura, wissend, daß ihr Gatte nicht gerne selbst antwortete. Bei der Taufe hatte meines Mannes sehr fromme Mutter den merkwürdigen Gedanken, das Kind Treugott zu nennen. Ein Kind kann natürlich einen solchen Namen nur sehr schwer aussprechen. Also sagte es: Eugo, wenn alle Tunten und Tanten es immer wieder nach seinem Namen fragten und sich das Patschhändchen geben ließen. Da der Name Eugo nun wirklich klanglich sehr schön ist, außerdem sehr selten, wurde er beibehalten, was mich sehr freut. Denn ich sage lieber Eugo als Treugott.

– Dann müßte ich eigentlich Bär heißen, meinte Elten.

– Wie?

– Bär.

– Sie heißen doch Adalbert.

– Ja eben! Aber da, wie Sie wissen, meine Mutter 94 Genferin war und in den ersten Jahren ihres Ehefrühlings offenbar überhaupt kaum ein Wort deutsch verstand, sprach sie meinen Namen französisch aus: also: Adalbär, wovon mir natürlich das breite und endbetonte Bär im Ohr blieb. Die deutsche Vorliebe für das Diminutiv hat daraus dann Bärchen gemacht. So rief man mich, bis ich es mir verbat, als ich sechs Jahre alt war. Denn ich fand, daß ich weder mit einem Bär noch mit einem Bärchen das geringste zu tun hatte.

– Das finde ich auch, rief Gisela über den Tisch. Ich würde Sie eher nennen: mon petit chat – oder mon petit chou – oder mon petit nègre.

– Chat und nègre zugestanden, mon jeune enfant aux yeux si vagues, aber chou: nein! Denn mit Kohl habe ich nichts zu tun. Ich rühre ihn nicht an – in keiner Form. Er riecht immer schlecht, bläht auf und macht doof.

– Also Mutter, um Gottes willen keinen Kohl in irgendwelcher Art am Samstag!

– Aber im Gegenteil! So viel als möglich! Je doofer die anderen werden, desto mehr amüsiere ich mich!

– Sie haben doch ein gottverlassenes Mundwerk, Adalbert! sagte Eugo.

– »Oh que j'adore cette médisance«, sang Elten im Stil einer alten Oper.

– Was ist denn das? fragte Blanche, die Musikalische. 95

– Das ist gar nichts. Aber das könnte doch irgendwo getrillert werden: bei Cimarosa, bei Paër, bei Rossini, ja noch bei Mozart:

»Oh que j'adore cette médisance
Puisque mon charmant séducteur m'oublie . . .
A quoi me sert encore cette vie?
Surgis, ma haine! et meurs, mon espérance!
«

– Nun müssen wir das im Chor wiederholen und dann muß es Eugo im Baß singen.

– Haben Sie diese Verse aus dem Stegreif gemacht? fragte ich.

– Nein, ich mache keine Verse. Sie sind mir nur so gekommen. Da das mütterliche Blut in mir das Übergewicht hat, kommt mir so etwas immer auf Französisch. Vergessen Sie nie, daß ich die Seele dieser gefährlichen und ruchlosen Sprache schon mit der Ammenmilch aufgesogen habe! Ich hatte eine Amme aus Stallupönen.

Nun prustete selbst Eugo, der Korrekte, heraus, obwohl er noch einen Schluck Wein im Mund hatte.

– Sie sind ein verrücktes Huhn, Adalbert, sagte er.

– Nun bin ich schon wieder ein anderes Tier! Eierlegen habe ich noch nicht gelernt.

– Machen Sie Schluß, machen Sie Schluß! rief Eugo. Sparen Sie uns diese Herrlichkeiten lieber für den Ball auf.

– Aber Baron Eugo, ich bin doch Kapitalist an Geist 96 wie Sie an Erde! Fürchten Sie nicht, daß ich mich verausgaben könnte! Es langt noch bis zum Samstag. Denken Sie an den erlauchten Augenblick, wenn ich mich mit Tante Malvine Lagosch auf Groß-Bummeren über Sau- und Eberzucht unterhalten werde! Oder mit Tante Jolanthe von Lagosch aus Klein-Jerkelsdorf über die Befruchtungsversuche mit dem Rittersporn!

– Sie werden unmöglich, Adalbert, rief Laura.

– Verzeiht mir, blonde Frau, dies Feuer will nicht löschen! Wohin, wohin verführt mich noch der Geist?

– Na, sagte ich, Herr von Elten: diesmal ist es doch auf Deutsch über Sie gekommen?

– Aber Herr Benrath! Sie beleidigen mich! Über mich! Aus mir selbst! Ich zehre von eigenen Kräften! Ich verkörpere die zukünftige deutsche Autarkie im bescheidenen Rahmen meines belanglosen Ichs! Die Freiwirtschaft wird sich bei mir Rat holen! Aber ich will gerne zugeben, daß Ihre Nähe, holder Dichter, Ihre bezaubernde Nähe . . .

– Also gut: ich strecke die Waffen . . . Ich will Ihnen aber nun etwas sagen, was Ihnen zeigt, daß auch Ihre bezaubernde Nähe mich inspiriert.

– O Gott, wie wird mir! Ich inspiriere Henry Benrath! Wozu inspiriere ich Sie?

– Das sage ich Ihnen unter vier Augen, denn es muß ein Geheimnis bleiben.

– Die Tafel ist aufgehoben, sagte Laura. Kaffee und Zigaretten gibt es im Weißen Salon – und dann 97 beginnt hier im Speisesaal die große Ballkonferenz. Ohne Inspiration, aber mit recht viel Sinn für die Wirklichkeit.

– Ich bitte, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, um eine Sonderbesprechung vor der allgemeinen Beratung, sagte ich. An dieser Sonderbesprechung haben nur teilzunehmen in ihrem ersten Teil Herr von Elten und ich, in ihrem zweiten werden Laura von Lagosch und Blanche von Berry zugezogen, falls das Ergebnis des ersten Teiles befriedigend ausfiel.

– Einverstanden, sagte Laura. Und wo soll diese Sonderkonferenz stattfinden?

– In meinen Gemächern, schlage ich vor.

– Gut. Aber zunächst wird uns Blanche ein wenig Musik machen.

– Das werde ich gerne tun.

 

Laura hatte mir ein kleines »appartement« – Wohnzimmer, Schlafzimmer mit Vorraum und Bad – im ersten Stock des Hauses gegeben. Es lag in der Südostecke und hatte viel Sonne. Auch ein Kamin fehlte nicht, und meine Lieblingsblumen, Hyazinthen, standen in Gläsern auf dem Sims der Doppelfenster.

Adalbert von Elten saß mir am Feuer gegenüber, das hinter den Maschen eines hohen Messingschirmes flackerte. 98

– Ich hoffe, Sie haben den groben Unfug vergessen, den ich bei Tisch trieb, sagte er. Aber wissen Sie: die Bravheit Eugos reizt mich manchmal, Horreurs zu sagen.

– Ist denn Eugo so brav?

– Noch bräver. Ein ewiger Konfirmand. Nicht zu glauben. Dabei hochgebildet, Doktor der Rechte, Doktor der Philosophie und Ehrendoktor der Universität Bonn – und wirklich der vollkommene Grandseigneur. Erotisch zurückgeblieben. Ein Mustergatte, was Treue, Aufmerksamkeit und Güte angeht. Aber das genügt doch nicht für eine Frau wie Laura. Kein Wunder, daß sie alle Jahre auf drei Monate verschwindet. Eine herrliche Frau, Laura, was? Ein ganzer Mensch! Das Herz auf dem rechten Fleck und den Verstand auch. Sie kennen sie schon lange, ja? Denn sie hat mir schon einige Male von Ihnen gesprochen.

– Sie sind oft hier im Haus?

– In der letzten Zeit etwas weniger als früher. Ich bin sehr eng mit dem Leutnant von Sennewitz befreundet, den man – unbegreiflicherweise – hier nicht sehr gerne sieht. Ich habe nie ergründen können, warum. Sie werden ihn am Samstag kennenlernen. Er ist wirklich einer der reizvollsten Menschen in Augustenburg. Es müssen da politische Dinge im Spiel sein. Sein Vater ist ein bedeutender Kopf der Zentrumspartei und hat einmal scharf gegen Eugo Stellung 99 genommen, der ja deutschnationaler Reichstagsabgeordneter ist. Wie gesagt, ich bin da nicht recht klug geworden.

– Das wird man doch überhaupt nirgends und nie.

– Da haben Sie allerdings mehr als recht. Nicht einmal in sich selbst.

– Auch das unterschreibe ich: sofern es sich nicht um die Grundlinien unseres Wesens handelt.

– Kennen Sie wirklich die Grundlinien Ihres Wesens?

– Ja. Jeder Künstler muß sie kennen. Sonst ist er keiner. Man muß sein Gesetz spüren.

– Das hat mir wörtlich einmal Valéry gesagt, als ich ihn in Paris besuchte.

– Sie sind oft in Paris?

– In jeder freien Woche, wenn ich Geld genug habe, hinzufahren. Man hat mir ja quasi versprochen, mich später an der Botschaft zu verwenden. Gebe Gott, daß es wahr wird. Ich bin dieses Augustenburg reichlich müde.

– Wie ist es denn? Kann man es auf eine Formel bringen?

– Für den gutempfohlenen Fremden einen Monat lang reizend. Für den Eingeborenen aus der sogenannten »Gesellschaft« ein Gefängnis. Die Apparencen stimmen nicht mehr mit dem vorhandenen Material überein. Und man ist ja – gesellschaftlich – schließlich nur auf die Apparencen angewiesen. Ich möchte mich gerne absondern. Es geht schon rein beruflich 100 nicht. Ich würde mir schaden. Auch bei meinen Vorgesetzten. Und diesen Luxus kann ich mir nicht leisten, da mir mein Vermögen nicht erlaubt, unabhängig zu leben. Ich dachte einmal daran, Journalist zu werden und als Korrespondent nach Paris zu gehen. Aber für welches Blatt? Die großen gemäßigten Zeitungen haben schon ihre Leute und Nachschub auf lange Sicht. Und für ein reaktionäres Blatt wie zum Beispiel die »Augustenburger Zeitung« schreibe ich nicht. Ich sehe, was ich sehe, und denke, was ich denke. Ich kann mich ja nicht dümmer machen als ich bin. Man kommt hier immer noch nicht über das königlich-preußische Denken hinaus. Vor irgend etwas stehen diese Leute innerlich immer noch stramm. Aber beileibe nicht etwa vor dem Gedanken des Deutschen Reiches. Gehen Sie auf die Güter und hören Sie sich um. Sie werden Ihr blaues Wunder erleben. Selbst der wirklich hochgebildete Eugo hat es bis in sein fünfundvierzigstes Jahr noch nicht gelernt, Konsequenzen zu ziehen. Und dann: diese Superintendentenwirtschaft! Sehen Sie sich den Pastor Gericke am Samstag an. So etwas hat Geltung. Wider besseres Wissen lehnt man so etwas nicht ab. Meinem verstorbenen Vater, der Professor an der Hochschule war, hat man über das Grab hinaus seine Genfer Gattin nicht verziehen. Es gab doch so viele nette Töchter des Landes! Dem kleinen Rizzoni, der einer uralten, nach Polen und dem früheren Rußland verschlagenen italienischen Familie 101 angehört, sagen sie nach, er habe jüdisches Blut – weil er so dunkel ist – und sehen ihn scheel von der Seite an. Aber daß seine Mutter eine reinblütige Polin war, wird ihm natürlich nicht angekreidet; denn sie war ja eine verwitwete und eine geborene Fürstin! Wollen Sie da Vernunft predigen? Es ist viel slawische Indolenz in diesen Überpreußen! Rußland ist heute die geheime Hoffnung im Lande! Bolschewismus? Ein Greuel. Das wird in wenig Jahren überwunden sein. Und dann kommt das wahre, das echte, das gewaltige Rußland, das Deutschland aus der Klemme helfen wird. Pour les beaux yeux du futur roi de Prusse. Vielleicht glaubt innerlich keiner recht, was er sagt. Aber da es alle sagen, sagt es eben jeder. Verstehen Sie mich nicht falsch: ich spreche von der adligen Ober- und der von ihr beherrschten bourgeoisen Unterschicht. Der Rest hat nicht viel Geltung. Es gibt Ausnahmen. Gewiß. Und mit dem Einzelnen – wenn Sie ihn allein für sich haben – können Sie oft sehr gut sprechen. Aber mit drei Einzelnen zusammen schon nicht mehr. Das Standes- und Sippengefühl triumphiert automatisch über die individuelle Einsicht. Da es ein bürgerliches Standes- und Verantwortungsgefühl nicht mehr gibt, sondern nur noch bürgerliche Privatinteressen, wird Ihnen klar sein, daß der Bürger – der Großkaufmann, der Industrielle, der Kaufmann mittleren und kleineren Grades – nur noch das tut, was eben sein Privatinteresse ihm vorschreibt. 102 Was ich da sage, mag sehr hart, ja übertrieben erscheinen: aber Sie können sicher sein, es ist so, sobald Sie den Dingen auf den Grund gehen.

– Was Sie mir sagen, Herr von Elten, ist mir um so wichtiger, als Sie doch eben zu der Schicht gehören, die Sie so scharf aufs Korn nehmen.

– Wenn einer meiner Standesgenossen mein Urteil gehört hätte, würde er sagen, ich sei ein Vogel, der sein eigenes Nest beschmutzt, obwohl er natürlich ganz genau weiß, daß dieses Nest leider nicht so sauber ist, wie es nach dem gültigen Kanon nun einmal zu sein hat! Dinge, wie ich sie soeben ausgesprochen habe, sagt man nun einmal nicht in Gegenwart eines – verzeihen Sie – Outsiders.

– Gott sei Dank Outsiders, müssen Sie von meinem Standpunkt aus sagen.

– Allerdings. Ein Mensch wie Sie könnte als Zugehöriger zu dieser Kaste noch weniger atmen als ich. Ihre Künstlerschaft als solche würde man schließlich hinnehmen – aber die freiheitliche, ja für hiesige Begriffe schon revolutionäre Basis, auf der sie ruht, würde man Ihnen niemals verzeihen. Ich kenne, wie ich Ihnen schon sagte, Ihr Buch »Der Segen der Dummheit«. Sie haben in diesem Buch die Methode der reaktionären Presse in einer Weise gegeißelt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Sie haben gezeigt, wie diese Methode der Diplomatie die Wege versperrt – und Sie haben in diesem Buche außerdem gezeigt, 103 daß Sie ein Herz, nicht nur ein Verständnis für den Arbeiter haben.

– Lieber Herr von Elten! Sie wissen vielleicht nicht, daß ich einer der beiden Erben der Zuckerfabrik Benrath u. Cie. in Köln bin. Ich habe in meiner Fabrik täglich mit Arbeitern zu tun. Ich weiß also ungefähr, was das für Leute sind, wenigstens bei uns in Westdeutschland. Ich kann Ihnen sagen, daß ich mich für diese Arbeiter schon vor dem Kriege eingesetzt habe, weil ich – vielleicht dank meiner dichterischen Intuition, welche ja immer eine menschliche ist – begriffen hatte, daß gegen die arbeitende Klasse weder regiert noch gewirtschaftet werden kann. Es scheint mir unfaßlich, daß es heute noch ganze Schichten, Kasten, geben soll, welche nicht sehen, wohin die Dinge treiben müssen, wenn sich die Kluft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erst einmal zu einem nicht mehr überbrückbaren Abgrund ausgeweitet haben wird.

– Sagen Sie das einmal laut auf einem ostdeutschen Herrenabend! Da können Sie was erleben!

– Ja, aber was denken sich die guten Leute denn als Lösung dieser ungeheuerlichsten Frage, welche die ganze Welt bewegt? Glauben sie denn wirklich, daß das Rad zurückzudrehen sei?

– Nicht alle. Selbstverständlich nicht alle. Aber sehr viele erhoffen eine Besserung von der Renaissance des feudalen Bewußtseins und der Schaffung des Ständestaates. 104

– Allmächtiger Himmel! Kann mir denn ein denkender Mensch erklären, wie sich feudales Bewußtsein heute noch in nützliche Handlung umsetzen soll? Und dann das Phantom des Ständestaates! Welche Stände sollen denn da noch gegeneinander abgegrenzt werden? Will man vielleicht Platos Politeia der Neuordnung zugrunde legen? Begreifen denn diese Phantasten nicht, daß sieben Zehntel aller deutschen Menschen längst Arbeiter oder Angestellte geworden sind? Und wissen sie nicht, daß sich – bei der Gewohnheitsliebe des Menschen – eine äußere Lebensform noch lange halten kann, obwohl ihr ursprünglicher Inhalt sich schon völlig gewandelt hat? Würde denn diese feudale Schicht, die doch längst in ein hoffnungsloses Abgleiten geraten ist, nicht viel klüger handeln, wenn sie sich den Forderungen der veränderten Zeit anpaßte? Könnte sie dann nicht vielleicht eine mitbestimmende Kraft in der Formung neuer sozialer Zustände werden? Könnte sie nicht manche Werte retten, welche sie unweigerlich verlieren muß, wenn sie dem Lauf der Dinge nichts anderes entgegenzustellen hat als eine mehr als unfruchtbare Ablehnung?

– Natürlich würde sie viel klüger handeln! Aber sie könnte doch überhaupt nur handeln, wenn sie erst einmal den ganzen Ernst der Lage begriffen hätte. Der Einzelne ist mit seinem Wort da gänzlich machtlos! Er verbrennt sich den Mund für nichts und wieder nichts! Und wer da glaubte, er könne als Einzelner den 105 anderen mit gutem Beispiel vorangehen, der beginge einen ungeheuren Irrtum! Er würde nur erreichen, daß man ihn zum räudigen Schaf stempelt und gesellschaftlich boykottiert. Das wäre vielleicht gleichgültig für einen Menschen, der über große geistige oder moralische Ressourcen verfügt, kraft deren er sich eine eigene Welt aufbauen könnte. Aber wer verfügt denn über diese? Was ist denn in der heutigen Welt ein Feudaler ohne die allerengste Verknüpfung mit jenem Kollektiv, das er seinen »Stand« nennt? Das sind für einen Menschen Ihrer Art böhmische Dörfer, Herr Benrath. Für uns aber sind das Fesseln, die wir nicht abschütteln können, solange wir nicht über genügend geistige oder auch materielle Mittel verfügen, um ein eigenes Leben zu leben.

– Erlauben Sie mir noch eine Frage: Erkennt man denn nicht, daß der Punkt mitgleitet, wenn die ganze Fläche gleitet?

– Man fühlt es vielleicht ganz dumpf. Aber man will es nicht fühlen. Man steckt den Kopf unter die Flügel. Man treibt Vogelstraußpolitik, genau wie während des Krieges. Man vertröstet sich. Man glaubt, es handle sich nur um eine vorübergehende Krisis. Man flüstert sich ein, das alles werde wieder anders werden und die gute alte Zeit mit der schönen, gottgewollten Ordnung werde wiederkehren. Vergessen Sie nicht, daß es noch die Pastoren gibt und das preußische Gottvertrauen. Alte Damen und Herren 106 werden Ihnen aus vollster Überzeugung heraus versichern, daß Gott dem Adel eine Strafe aufgebrummt habe, damit er um so rascher seine Selbstbesinnung und sein Pflichtgefühl wiederfinde.

– Das heißt natürlich: seine Vormachtstellung, so wie sie war, als es noch einen König von Preußen gab.

– Selbstverständlich!

– Machen wir Schluß, lieber Herr von Elten, ehe diese Unterhaltung zu einer Gespenstersonate wird.

– Ich fürchte fast, sie ist es schon geworden . . . Ja, machen wir Schluß! Wir beide werden nichts ändern, und wenn wir uns noch so sehr den Kopf zerbrechen.

Es wurde an die Tür geklopft. Blanche trat ein:

– Laura läßt fragen, wie lange die Besprechung hier etwa dauern könnte. Wir möchten nämlich gerne ein paar Schritte hinausgehen. Es ist eine wundervolle Sternennacht.

– Wir sind in einer halben Stunde unten, sagte ich.

– Gut. Also neun Uhr fünfzehn.

– Ja.

– Habt ihr denn etwas Schönes ausgeheckt?

– Wir sind eben dabei.

– Also bis nachher.

– Viel Vergnügen!

– Danke.

Blanche verschwand. Elten sah ihr nach – und dann in mein Gesicht. 107

– Eine entzückende Frau, diese Blanche von Berry. Aber sie weiß nicht recht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Ohne Verwurzelung in einem bestimmten Kreis und Boden . . . Aber wenigstens reich. Sehr, sehr reich. Und dann – –

– Was »und dann«?

– Ach nein. Verzeihen Sie, ich möchte den Satz nicht vollenden.

Er stand auf und trat ans Fenster.

– Kommen Sie einen Augenblick, fuhr er fort.

Auf der verschneiten und festgefrorenen Parkchaussee sahen wir im Schein eines hohen, dreikugeligen Kandelabers die beiden Frauen einem Tannengehölz zuschreiten. Blanche hatte ihren Arm um Lauras Hüften gelegt und ihren Kopf auf Lauras Schulter gestützt.

– Ach so, sagte ich. Aber das ist doch wohl sehr harmlos?

– Was heißt harmlos? Und wenn es nicht harmlos wäre – wen geht es etwas an? Die arme, kleine Blanche . . . Keine Eltern, keine Geschwister, nicht Haus noch Hof, keine rechte Freude am Manne . . . eine feine, zarte, überzarte Seele, in der nur ein Wunsch ist: Anlehnung, Geborgensein . . . hin- und hergeweht in der Welt . . . jede äußere Möglichkeit . . . und so weit vom Frieden wie keiner von uns allen . . .

– Ich glaube, diesmal irren Sie . . . 108

– Das sollte mich ungemein freuen. Denn ich habe Blanche sehr gerne.

– Ich habe Gründe zu glauben, daß Blanche – zufrieden ist.

– Gut. Gut. Das erlaubt uns, dieses Gespräch zu beenden und zur Sache zu kommen. Was haben Sie auf diesem Ball mit mir vor?

– Sie sollen die Rolle meiner Frau spielen.

– Was?

– Sie sollen die Rolle meiner gar nicht vorhanden seienden Frau spielen, und zwar vom Abendessen an bis zur Entlarvung. Ich habe einen ganz bestimmten Plan, den ich mir während Ihrer Juxereien bei Tisch bis ins kleinste ausgedacht habe. Wenn wir ihn durchführen, werden wir Laura zu einem Erfolg verhelfen, wie ihn seit Menschengedenken keine Dame dieses Landstriches zu verzeichnen hatte.

– Sprechen Sie . . . Sprechen Sie! Ich bin ganz Ohr. Ich bin zu jeder Schandtat bereit, welche zum Gelingen dieses Festes beiträgt.

– So hören Sie: Mein Plan ist nur durchführbar, weil mich in diesem Milieu außer den Schloßbewohnern niemand kennt. Und selbst von diesen wissen nur wenige genau Bescheid über meine äußeren Lebensumstände. Diese wenigen sind: Sie selbst, Eugo, Laura, Gisela, Blanche und Graf Michael Solduan, der morgen ankommt. 109

– Was sagen Sie da? Wer kommt an? Michael Solduan-Schömschö?

– Ja.

– Aber das ist ja gar nicht möglich . . . Aber das ist ja . . .

– Das ist eine unumstößliche Tatsache . . .

– Aber das ist ja phantastisch! Ich könnte vor Freude an die Decke springen! Nein, wissen Sie, diese Laura ist doch eine großartige Person! Daß sie diesen Schneid aufbringt! Donnerwetter noch einmal! Weiß Gott, dafür muß sie belohnt werden . . . An mir soll es nicht fehlen . . . Also weiter im Text . . . rasch . . . rasch . . .

– Nur Geduld . . . Wir kommen schon zum Ziel. Aber alles der Reihe nach . . .

Elten rieb sich die Hände vor Freude.

– Unglaublich! Michael kommt! Mein Gott, was wird Carlo Sennewitz machen, wenn ich ihm das sagen kann!

– Passen Sie auf, Elten: Also diese sechs von mir genannten Personen müssen in den Plan eingeweiht und zu strengstem Stillschweigen verpflichtet werden. Außerdem brauchen wir noch eine Mitspielerin, und dazu habe ich die süße kleine Prinzessin Maud Satulin ausersehen, die ich von Paris her sehr gut kenne. Sie wird eine unbändige Freude an dem Scherz haben und die ihr zufallende Rolle glänzend spielen. Die Durchführung des Planes erlegt Ihnen ein kleines Opfer 110 auf: Sie dürfen erst kurz vor dem Diner auf der Bildfläche erscheinen, anstatt um halb fünf Uhr, und zwar sofort als Madame Benrath.

– Das ist ja ein toller Zauber, den Sie da ausgeheckt haben.

– Sie sprechen einwandfrei gut Französisch. Sie werden kein Deutsch verstehen. Wir werden uns halb totlachen, wenn alle die Herren, die natürlich auf Sie fliegen werden – in puncto femina gibt es keine Nationalismen – nun ihre Erinnerung an den großen Plötz hervorkramen. Sie werden der Charme, die Dezenz und der Esprit in der Vollendung sein. Sie werden sein plus Marianne que Marianne.

– Herrlich, herrlich! Aber bitte die Details! Ich kann es ja gar nicht mehr abwarten!

– Sie lassen sich in Augustenburg von einer diskreten Person herrichten – wir werden das mit Laura und Blanche auf das Genaueste bereden – und fahren in das Hotel zum König von Preußen. Dort hole ich Sie mit Eugos Wagen um acht Uhr ab. Um acht Uhr zwanzig sind wir in Kobolnow, um acht Uhr fünfundvierzig beginnt das Diner. Sie bezaubern durch Unterhaltung und Tanz bis gegen halb Zwölf Männer und Frauen. Um halb Zwölf stehlen Sie bei einer kurzen Vorführung, während welcher der Saal etwas verdunkelt wird, der Prinzessin Satulin die Perlenkette – aber Maud merkt es, schreit auf – Sie werden zur Rede gestellt, leugnen – – und beenden die Gaukelei, 111 indem Sie sich zu Ihrer Rechtfertigung vor versammeltem Publikum bis auf das Pyjama, das Sie als Unterwäsche tragen, ausziehen und also zu erkennen geben . . . Damit ist das Fest in seinen Höhepunkt hinaufgetrieben – und Lauras Triumph gesichert.

– Phantastisch! Einfach unbezahlbar! Verblüffend einfach, wie das Ei des Kolumbus und genau so genial! Eine herrliche Fabel, um die sich unwahrscheinliche Situationen gruppieren werden. Aber nun lassen Sie mich eine Frage stellen:

– Was tue ich denn als Ihre Frau in Augustenburg – und warum bin ich nicht mit Ihnen in Kobolnow eingeladen?

– Sie sind Yvonne Pavart, die bekannte französische Schauspielerin, die es gar nicht gibt, die aber natürlich jeder von Bildern und vom Hörensagen her kennen wird. Sie sind die Enkelin der berühmten Cécile Sorel, die wir aber für diesen Abend Agnes Sorel taufen werden . . .

Elten brüllte auf und schlug sich auf die Schenkel . . .

– Sie haben mit Ihrer Truppe einen Zyklus in Warschau gegeben. Ihre Truppe ist schon nach Danzig weitergereist, Sie selbst aber sind nach Augustenburg gefahren, um mit dem Intendanten des Luisen-Theaters über ein mehrtägiges Gastspiel im Mai zu verhandeln. Sie haben die Verhandlungen gerade abgeschlossen, sind für ein paar Stunden frei geworden, um an dem Ball teilzunehmen und Ihrem geliebten 112 Gatten die Hand drücken zu können – müssen aber noch in der gleichen Nacht nach Augustenburg zurückfahren, da Sie am Vormittag des nächsten Tages nach Danzig weiterreisen, wo Sie schon am gleichen Abend als Phädra von Racine auftreten. Das Leben einer großen Künstlerin kennt eben keine Ruhe – Künstlerin sein, heißt seinem Genius dienen . . . Dies alles wird schon im I,aufe des Nachmittags von den eingeweihten Personen geschickt verkündet – allen gefährlichen Fragen wird damit die Spitze a priori abgebrochen – und der Knalleffekt ist genügend vorbereitet.

Ich hatte eben zu Ende gesprochen – Elten hatte seinen vor Staunen offenen Mund immer noch nicht geschlossen – als die beiden Damen erschienen. Sie brachten eine Welle sprühender, erfrischender Winterkälte mit in das Zimmer.

– Na? sagt Laura.

– Wissen Sie, sprudelte Elten heraus, das ist eine tolle Angelegenheit. Das ist einfach eine trouvaille, die einzig genannt werden muß . . .

Und ohne noch eine Sekunde zu warten, wiederholte er den ganzen Plan. Laura schrie vor Vergnügen auf, Blanche warf sich ihr an den Hals, dann mir an den Hals, dann warfen wir uns einander alle an den Hals und tanzten zuletzt wie Verrücktgewordene um einen runden Tisch, daß die Dielen krachten und die Bilder an den Wänden wackelten. 113

Wir waren noch mitten in der Aufführung unseres Reigens begriffen, als die Tür vorsichtig aufgemacht wurde, und Eugos entsetztes Haupt, hinter dem sich die Köpfe Tosias, Giselas, Augustas, Wladimirs und des kleinen Ivo drängten, in dem Spalt erschien.

– Mittanzen, schrie Laura, mittanzen . . .

Aber die Verblüffung der Neugierigen war so groß, daß sie keiner Handlung fähig waren. Sie starrten uns nur an – und ich bin heute noch nicht sicher, ob der bedächtige Eugo nicht einige Minuten lang ernsthaft an den Ausbruch einer dementia dionysica communicativa in seinem sonst so normalen und maßvollen Haus geglaubt hat . . .

Erläuterungen wurden unsererseits über dieses rätselhafte Verhalten nicht gegeben. Wir gingen, nachdem wir uns etwas beruhigt und abgekühlt hatten, mit den anderen in den Speisesaal hinunter, wo auf dem großen Eßtisch alles für die Hauptkonferenz vorbereitet war.

 

– Darf ich um die Erlaubnis bitten, in mein Zimmer zu gehen, wandte sich Wladimir an Laura Lagosch. Ich habe noch wichtige Schularbeiten zu machen.

– Aber selbstverständlich, mein lieber Junge. Sitze mir aber nicht zu lange auf und denke daran, daß du Schlaf nötig hast, wenn du am Morgen frisch sein 114 willst . . . Und du, Ivo, verfügst dich auch jetzt in dein Bett.

Ivo verzog das Gesicht.

– Ich möchte noch etwas aufbleiben. Ich höre so gerne zu, wenn ihr die Tischordnung macht . . .

– Das kann ich mir sehr wohl denken, daß du naseweises Kind gern zuhörst . . . Und am Samstag wirst du dann wieder deine bösen Bemerkungen machen und mich in Verlegenheit bringen . . .

– Ich verspreche dir, Mama, daß ich ganz brav sein werde. Bitte, bitte, nimm mir doch die Freude nicht! So einen Ball gebt ihr so bald nicht wieder! Das kostet ja auch viel zu viel Geld, das man besser anlegen kann . . .

– Was geht dich kleinen Knirps denn an, ob das Geld kostet oder nicht? Ist es dein Geld, das da ausgegeben wird oder unseres?

– Das ist doch dasselbe. Ich werde euch doch einmal beerben! Außerdem hat Helene in der Küche auch gesagt, das kostet eine ganze Stange Goldes, hat sie gesagt. Aber es schadet nichts, hat sie gesagt, denn dann kommt es auch unter die Leute. Und Johann hat gesagt, es kommt nicht immer an die rechten, und die Schieber sind immer vorneweg. Der Warnecke, hat er gesagt, aus der Pestalozzi-Straße in Augustenburg, der Fischhändler, läßt den Kaviar aus Polen verschieben und macht auch heimlich in Melonen aus Ungarn. Alles Schmuggelware, hat er gesagt, und der Fiskus 115 wird beschummelt. Aber die armen Leute müssen bezahlen, daß es nur so kracht. Wenn die Nazis kommen, hat Berta gesagt, wird das alles anders. Da hat der Johann gesagt, die können auch nur mit Wasser kochen, und dann halten es eben die Schieber mit den Nazis. Da hat die Berta den Johann mit heißem Wasser gespritzt, und er hat einen Löffel nach ihr geworfen und gesagt, wenn es eine Blase an seiner Hand gibt, dann wird er ihr eine zwicken, daß sie nicht weiß, ob sie ein Junge ist oder ein Mädchen. Da habe ich gelacht in der Speisekammer und gerufen, die Berta ist eine alte Jungfer, und wenn sie nicht bald heiratet, wird sie eine bleiben. Da haben sie mich fortgejagt. Vater, bitte sag mir doch einmal, wer ist denn das, der Fiskus?

Eugo und Laura sahen sich an.

– Der Fiskus, sagte Eugo, das ist die Behörde, wo man das Geld hinträgt, zum Beispiel die Steuern, die man an den Staat abgeben muß, damit er bestehen und uns schützen kann.

– Du bezahlst doch dieses Geld in Westerrode. Ist Westerrode denn ein Staat?

– Nein. Der Staat ist Preußen. Und in Preußen gibt es Provinzen. Und in den Provinzen gibt es Kreise. Westerrode ist ein solcher Kreis. Und Kobolnow gehört zu diesem Kreis. So wie zum Beispiel unser Schloß Minthen auch zu diesem Kreis gehört. Aber unser Schloß Pernauthen gehört zu einem anderen Kreis, 116 nämlich zu dem Kreis Giebisburg. Hast du das jetzt verstanden?

– Ja, Vater.

– Dann ist es gut. Und ich wünsche jetzt, daß du schlafen gehst.

– Bitte, bitte Vater, laß mich noch eine Viertelstunde hierbleiben. Es ist doch so interessant, wenn du mir etwas erklärst. Ich lerne bei dir ja viel mehr als bei meinem Hauslehrer . . .

– Wo ist denn eigentlich Herr Müller heute abend? fragte Eugo. Er war ja auch nicht zu Tisch da . . .

– Herr Müller ist bei der Lehrerin, bei Fräulein Äscherisch. Sie üben noch für morgen.

– Ach so . . . Glaubst du denn, daß das etwas Rechtes wird?

– Lieber Eugo, das wissen die Götter! Ich hätte diese Aufführung gern verhindert: aber ich kann das der Äscherisch nicht antun. Du weißt doch, wie diese Leute sind. Sie müssen dann und wann einen Auspuffer haben. Sonst lassen sie im Beruf nach.

– Was ist denn das für eine Angelegenheit? fragte ich.

– Ach so, das weiß ja Henry noch gar nicht. Das ist eine Tanzaufführung mit Kindern der Gemeindeschule von Groß-Kobolnow. Die Lehrerin, eben dieses Fräulein Äscherisch, ist choreographisch ausgebildet. Oder behauptet, es zu sein. Sie wissen doch, daß da heute allerlei Faxen gemacht werden. Sie will uns nun, um 117 zum Gelingen des Festes beizutragen, eine Tanzvorführung bescheren, welche unter dem Motto segelt: »Von der Saat zur Ernte«. Ivos Hauslehrer, Herr Müller, hat ein paar Verse dazu gedichtet und auch die nötige musikalische Unterlage zurechtgemacht.

– Mutti, Mutti, rief erregt Ivo, und sie üben Tag und Nacht! Heute nachmittag haben sie »Wohlauf Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd« geübt. Und Fräulein Äscherisch hat immer an einem Stuhl vorgemacht, wie die Kinder die Beine heben müssen. Und wer es nicht richtig machte, hat einen Klaps bekommen. Und Zarnekows Lieschen hat geweint und gesagt, sie kann das Bein nicht so hoch heben, das reißt ihr im Leib. Da hat Fräulein Äscherisch gesagt, so soll es eben reißen, und weiter im Takt, und Lieschen mußte mitmachen. Und Fräulein Äscherisch hat Turnhosen angehabt und offenes Haar bis zum Rücken.

– Woher weißt du denn schon wieder all diese Dinge? fragte Laura, mit Gewalt das Lachen hinunterwürgend, das ihr in der Kehle saß, und eine strenge Miene aufsetzend . . .

– Aber ich war doch dabei . . .

– Wann – wo? Ich denke, du warst Schlittenfahren am Holzberg mit den Försterkindern?

Ivo senkte den Kopf und wurde feuerrot.

– Aha, sagte Laura, da haben wir dich also wieder einmal ertappt! 118

– Nein, Mutti, nein: ich habe nicht gelogen! Erst waren wir auch am Holzberg, aber dann wurde es uns so kalt an den Beinen, weil Lotte keine Überstrümpfe anhatte und der Wind kam. Da sind wir fortgegangen, und wie wir am Schulhaus vorbeikamen, da ist uns Fräulein Äscherisch begegnet. Und sie hat mich geküßt und gesagt, da ist ja mein süßer, kleiner Ivo, und wenn du etwas Schönes sehen willst, dann kannst du mit heraufkommen, aber Otto und Lotte müssen nach Hause gehen, denn es ist eigentlich noch ein Geheimnis und wird später noch einmal für das Volk gegeben.

– Hat es dir denn gefallen? fragte ich Ivo, ihm über das dichte seidene Haar fahrend.

Er sah mich etwas zögernd an. Aber mein Auge schien ihn zu ermutigen. Er lachte plötzlich hell auf:

– Ach, es war furchtbar komisch. Und Fräulein Äscherisch hat wahnsinnig geschwitzt und sich immer mit einem Handtuch abgetrocknet. Aber es ging immer wieder von neuem los und sie mußte sich immer mehr abtrocknen. Und sie war auch ganz naß an der Brust und fuhr sich immer mit dem Tuch hinein . . .

Nun gab es kein Halten mehr. Eugo lief hustend aus dem Zimmer, Laura lag halb auf der Tischplatte und schluchzte, Gisela, Augusta und Tosia bildeten die Gruppe der Grazien und gaben die seltsamsten Töne von sich, Blanche und Adalbert hatten sich umarmt und brüllten – und selbst Wladimir konnte nicht 119 mehr widerstehen: er hatte sein Gesicht der Wand zugedreht, aber seine Schultern verrieten, welches Lachen ihn schüttelte.

Ivo, im ersten Augenblick ein wenig verblüfft über die unerwartete Wirkung seiner Erzählung, tat, was alle Kinder tun, die sich plötzlich als Mittelpunkt eines Ereignisses fühlen: Er versuchte die Wirkung noch zu verstärken, indem er zur Nachahmung überging. Er nahm sein Taschentuch und fuhr sich damit in den Ausschnitt seiner Matrosenbluse:

– Seht doch: so hat sie gemacht . . . So hat sie immerzu gemacht.

Neue Lachsalven brachen los und beruhigten sich lange nicht. Schließlich faßte sich Adalbert, ging zu Laura und sagte:

– Das kann ja gut werden am Samstag . . .

– Mein Gott, mein Gott, machte Laura, völlig erschöpft, welch furchtbares Kind! Es entgeht diesem Bengel aber doch buchstäblich nichts. Und immer sieht er das Komische zu allererst! Was wird das später einmal werden . . .

Ivo selbst war am Ende seiner Kräfte angelangt! Er hatte sich auf das große weiße Bärenfell vor dem Kamin geworfen und verschnaufte dort.

– So, sagte Laura, jetzt aber rasch ins Bett. So geht das hier nicht weiter. Wir kommen ja gar nicht zu unserer Arbeit.

Ivo widersprach nicht. Er verabschiedete sich, 120 machte an der Tür zur Halle noch einmal einen tiefen Bückling gegen uns alle und rief mit tiefer Stimme, den Pastor Gericke nachahmend:

– Und somit bis zum nächsten Mal, in Christo geliebete Gemeinde. Amen.

Laura wollte aufbrausen. Aber die Kraft zum ernstlichen Zürnen fehlte ihr. Auch hatte sich der Kleine sehr rasch aus dem Staube gemacht. Wir hörten ihn die Treppe hinaufpoltern. – –

Auch Wladimir wandte sich zum Gehen.

– Welche Arbeiten wollen Sie denn noch machen? fragte ich.

– Französische Hausarbeit. Das fällt mir jedesmal besonders schwer . . .

– Na, dem kann doch abgeholfen werden. Lassen Sie mich einmal nachsehen, was das ist. Das wollen wir rasch geschafft haben.

– Nein, nein, Henry, rief Laura, das gibt es nicht. Ich brauche Sie hier unten.

– Ich bin in zwanzig Minuten zurück. Schreiben Sie bitte mittlerweile auf einzelne Zettel die Namen sämtlicher Eingeladenen, damit wir die Tischordnung machen können, und zeichnen Sie mit Kreide auf die Tischplatte den Plan der beiden Räume, in denen gespeist wird.

– Na gut. Aber in zwanzig Minuten sind Sie zurück, ermahnte nochmals Laura.

Wladimirs Zimmer lag ebenfalls im ersten 121 Stockwerk, von meinem »appartement« durch das Frühstückszimmer getrennt. Er hatte es sich mit großer Sorgfalt hergerichtet. In einem kleinen Dickicht von lila Primeln standen die Bilder seiner toten Eltern.

Ich sah die französische Hausaufgabe durch und übersetzte sie ihm.

– Bitte machen Sie drei oder vier Fehler hinein, sagte er. Es glaubt mir ja sonst keiner, daß ich sie allein gemacht habe.

– Das können Sie selbst nach Gutdünken besorgen, nur seien Sie nicht allzu bescheiden.

– Wie soll ich Ihnen für so viel Freundlichkeit danken? Und womit habe ich sie eigentlich verdient?

– Dadurch, daß Sie da sind – und daß ich die Freude hatte, Sie kennen zu lernen,

Er errötete und vermied meinen Blick.

– Sie brauchen nicht verlegen zu werden, Wladimir. Ich meine wirklich, was ich sage. Vielleicht haben Sie morgen einmal eine Stunde Zeit für mich. Dann wollen wir über allerhand Dinge zusammen reden.

– Ja, wollen Sie das wirklich?

– Wenn ich es nicht wollte und mich nicht im Voraus darauf freute, würde ich es Ihnen doch nicht vorschlagen . . .

– Verzeihen Sie meine Unbeholfenheit – – aber ich bin es so ganz und gar nicht gewöhnt, daß mich überhaupt jemand beachtet . . .

Ich lächelte. 122

– Daran werden Sie sich aber doch vielleicht noch gewöhnen müssen . . .

Er sah mich an. Mit Augen, die denen eines verwundeten Tieres glichen. Dann brachte er mühsam hervor, wie wenn er mir diese ihm unsäglich schwer fallende Preisgabe seines Innersten schuldig wäre:

– Solange ich lebe, hat ein einziges Mal ein Mensch zu mir ähnliche Dinge gesagt wie Sie . . . Vielleicht kennen Sie ihn? Der Graf Michael Solduan-Schömschö, der morgen abend hierherkommt.

– Sie kennen Michael? fragte ich.

Wieder ein langer, fast lauernder Blick.

– Ja. Seit Jahren schon. Er verkehrte, wenn er in Berlin war, viel im Hause meiner Großmutter, die eine geborene Solduan war, aber von einer anderen Linie . . .

– Freuen Sie sich, daß Sie ihn kennen . . .

– Das tue ich auch. Ohne ihn hätte mein Leben ja gar keinen Halt. Nach allem, was mir geschehen ist. Wenn ich nur endlich einmal diese Schule hinter mir hätte . . . wenn ich nur ein wenig begabter wäre . . . Ich leide unbeschreiblich an diesem Mangel an Begabung . . . Alles, alles fällt mir so namenlos schwer . . .

– Sie haben dafür andere Werte in sich. Und zwar solche, aus denen sich ein Leben wie das Ihre formen kann . . . Aber darüber sprechen wir morgen . . . Ich muß jetzt hinunter . . . Schlafen Sie wohl und quälen Sie sich heute abend nicht mehr mit Lernerei . . . 123

Ich reichte ihm die Hand, in die er die seine legte:

– Ich hätte nicht gedacht, Herr Benrath, daß dieser Abend so für mich enden würde . . . Gute Nacht.

 

– Sie kommen gerade zur rechten Minute, sagte Laura, als ich wieder den Speisesaal betrat. Im übrigen möchte ich Ihnen sagen, wie sehr es mir gefällt, daß Sie sich unseres großen Sorgenkindes Wladimir annehmen. Was Sie diesem Jungen Gutes tun, tun Sie mir.

– Aber es versteht sich doch von selbst, daß man für einen solchen Menschen tut, was man nur kann . . . Also: womit beginnen wir?

– Mit der Sichtung und Sonderung der Eingeladenen. Passen Sie auf: Wir sind insgesamt sechsundsiebzig Personen bei Tisch. Davon sind achtundsechzig als Eingeladene, die anderen als die ständigen Hausbewohner anzusehen. Von den Eingeladenen sind wieder zu unterscheiden diejenigen, welche in der Nacht von Samstag auf Sonntag nach Hause fahren und diejenigen, welche hier übernachten. Nach Hause fahren vierundvierzig, hier bleiben also vierundzwanzig. Diese nun wieder zerfallen in drei Gruppen. Erstens: die Übernachter im Schlosse. Zweitens: die Übernachter im Diana-Pavillon. Drittens: die Übernachter im Kavalierhaus. Zu Gruppe eins gehören: Henry Benrath, Graf Solduan-Schömschö, Blanche v. Berry, 124 die Prinzessin Maud Satulin, und die Baronesse Gerda v. Tuch zur Tenne.

– Wer ist das? fragte ich.

– Ein Blaustrumpf von achtundzwanzig Jahren. Wandelndes Feuilleton. Nichts für mich, nichts für Sie. Aber in hoher Gunst bei einigen geladenen Ehemännern. Genügt die Auskunft? Gut. Also weiter im Text. Die Gruppe zwei umfaßt: Graf und Gräfin Woltersthal, die zu unseren liebsten Freunden gehören und sich sehr auf Henry Benrath freuen. Friedrich und Mechthild von Schönfeld. Meine beiden kleinen Nichten Martha und Emma von Walter, zwei niedliche blonde Mädchen vom Lande, Töchter der Schwester meines Mannes. Die ganz bezaubernde Comtesse Haudon aus Wien, welche gerade bei den Waltermädchen zu Besuch ist, und die beiden Kusinen Eugos, Tante Malwine von Lagosch auf Groß-Bummeren, weit über die Grenzen des Landes berühmt durch ihre Musterzuchten von Schafen und Säuen . . .

– Eumaios genannt, warf Gisela dazwischen, oder auch Fauna . . .

– Ich weiß gar nicht, sagte Laura etwas ärgerlich zu Gisela, welche merkwürdige Spottlust in der letzten Zeit über dich gekommen ist! Was mußt du denn nun schon wieder der guten Tante Malwine eins am Zeug flicken!

– Aber liebste Mama, ich könnte dir erwidern, daß ich nicht verstehe, warum du so empfindlich geworden bist! Tante Malwine ist doch wirklich robust genug, 125 um einen Witz zu vertragen! Wenn man als Mensch unserer Zeit ein bißchen etwas weiß von den riesigen Viehzuchten Südamerikas, kann man es doch vielleicht etwas komisch oder auch amüsant finden, daß eine ältere adlige Dame . . .

– Ach was! unterbrach Laura. Da ist gar nichts komisch zu finden! Die eine studiert Medizin, die andere züchtet Schweine: beide sind in ihrem guten Recht. Es soll jeder tun, was ihm Spaß macht, und daran soll man nicht herumdeuteln!

Gisela trat hinter den Stuhl ihrer Mutter und legte ihr die Arme um den Hals:

– Mama, du bist nie so entzückend, wie dann, wenn du die demokratischen Instinkte in dir entdeckst. Ich glaube, du hast noch große Entwicklungsmöglichkeiten vor dir!

– Unverschämtes Gör! wollte Laura abwehren. Aber sie mußte lächeln – und ließ sich Giselas Kuß gefallen.

– Ja, Henry, sagte sie. Da machen Sie Augen? Sie sollten nur wissen, was es heißt, eine solche Tochter zu haben, welche eine heimliche Anarchistin ist! Man könnte manchmal an sich selber irre werden!

– Ach Gott, rief Gisela, wenn ihr das doch alle erst einmal würdet! Alle, auf zweihundert Meilen im Umkreis! Man könnte ja Dante Lügen strafen und brauchte nicht alle Hoffnung fahren zu lassen!

– Gisela! rief Eugo über den Tisch. Gisela, was sind nun das wieder für Manieren! 126

– Das sind gar keine Manieren, Vater, das sind ehrliche Meinungen eines deutschen Mädchens unserer Zeit . . .

– Gisela, sagte ich, wann werden wir beide unsere erste Unterhaltung haben?

– Ich verbiete diese Unterhaltung, rief Laura. Das fehlte gerade noch, daß ihr beide euch zusammensteckt und Aufruhr macht!

– Ich komme dazu viel zu spät, Laura! Sie brauchen, wie ich feststelle, von Henry Benrath nichts mehr für Gisela zu befürchten! Es scheint mir, daß im Augustenburger Gymnasium ein recht frischer Wind weht!

– Das ist fast eine Beleidigung für mich, sagte Gisela, während sie an ihren Platz zurückging. Halten Sie mich nicht für fähig, selbst in mir die Ventilatoren laufen zu lassen?

Ich konnte keine Antwort mehr geben.

– Ich beschließe Euer Gespräch, sagte Laura, und kehre zu meiner Arbeit zurück. – – Also es kommt noch Tante Jolanthe von Lagosch auf Klein-Jerkelsdorf, die gefühlvolle Blumenzüchterin . . .

– mit dem Beinamen Flora oder Baronesse Rittersporn, ergänzte Gisela.

– Ich empfehle Ihnen sehr, fuhr Laura fort, sich sowohl mit Fauna als auch mit Flora angelegentlichst zu beschäftigen. Die beiden Damen sind Originale und äußerst wertvolle Menschen . . . 127

Zur Gruppe drei gehören: Heinrich von Mottau mit seinen Freunden Henning von Meyenburg und Bolko von Bleßner. Von ihnen haben wir schon in Schönfeld gesprochen. Kommentar also überflüssig. Sie werden im Parterre einquartiert, denn es könnte sein, daß sie am Ende des Festes eine Treppe nur noch mit Mühe und unter Gefahr erklimmen könnten. Außerdem wohnen im Parterre des Kavalierhauses die Leutnants von Scheer und Schnitzler vom sechsten Regiment in Westerrode. In das erste Stockwerk werden gelegt: der Graf Carlo Sennewitz von der Reiterschwadron in Augustenburg, der beste Tänzer der Provinz, Adalbert von Elten, der leider erst sehr spät kommen kann, weil er schon in Augustenburg eine Einladung angenommen hat – – stimmt doch, Adalbert?

– Jawohl, stimmt leider . . .

– Der Referendar Kurt von Meisenfels, der Dandy der Provinz, der an einem Modekomplex leidet, aber recht nett ist, und Doktor Alexander von Renken, Assistenzarzt an der Frauenklinik in Augustenburg und Sohn des weltberühmten Nervenarztes Exzellenz von Renken, ohne dessen Dasein schon sämtliche Damen des Adels in unserem Kreise an sämtlichen Krankheiten, die es jetzt gibt, gestorben wären.

Die Heimfahrer sind: Die soeben erwähnte Exzellenz von Renken. Die schon von Ivo vorgestellte Lehrerin Frida Äscherisch. Der als Okkultist bekannte Graf Rumpler, der nur noch von Medien 128 redet, und seine drei unverehelichten Schwestern. Der Spinnereibesitzer Otto Bentok, mit dem Eugo Geschäfte macht. Bei diesem Mann ist Antisemitismus unangebracht. Zehn Mädchen und zwölf Jungen aus Augustenburg, die Conabiturienten Giselas. Der Oberleutnant Kleppermann, Äbäh alten Stils, eine Blüte vom Zweige der Textilindustrie. Hauptmann Tarisius, die verkörperte Pflicht ohne Meinung. Leutnant Willy Bormuth, Marke: »was bin ich ohne Bormuth«. Pastor Gericke, andeutungsweise durch Ivo vorgestellt. Seine Frau, eine Sächsin. Seine Tochter Lenchen, eine Teppichknüpferin. Frau Malrisch, die lustig verwitwete Schwester der Pastorin. Auch eine Sächsin. Die Fürstin Kaatzenstein. Herr und Frau von Schwennemann, von der großen Verlagsdruckerei, gute Freunde von uns. Baron und Baronin Elsenburg. Sie ist die Tochter des Malers Reuning, des großen Kitschiers von 1900, der um alles eine spanische Sauce gemacht hat, weshalb sie auch Ines heißt. Er selbst: warten Sie ab. Der Forstassessor von Knippisch: »im Wald und auf der Ha–i–de.« Der Bankier Wollenkamp, feudale Finanz. Der Baron Poppritz. Und, last not least, die Familie Dorwall: Baron Vater, Baron Sohn, und Baronin Mutter, geborene Buchmann aus dem Stellwagenbetrieb Adam Buchmann, Skalitzerstraße, Berlin SO.

– Buchmanns Karlineken! tönt es aus der nur matt erleuchteten Halle herüber – und gleich darauf sprang 129 Ivo im Nachtkittel in den Speisesaal, schlug ein Rad, richtete sich auf, sang laut: »Buchmanns Karlineken«, lief zur Diele zurück, schrie an der Tür: »Laßt euch von Mutti Buchmanns Karlineken oder der Einzug der Baronin Dorwall vormachen« – und war verschwunden.

– Es ist doch toll mit diesem Jungen, rief Laura und schlug mit der Faust auf den Tisch. Er ist einfach nicht zu bändigen. Er hat sicherlich die ganze Zeit drüben im Halbdunkel an der offenen Tür gehorcht!

– Was ist denn das für eine Geschichte mit dem Einzug der Baronin Dorwall? fragte ich.

– Ach Gott, erwiderte Laura, das ist wirklich eine sehr komische Angelegenheit, welche viele Jahre hindurch die gute – oder vielmehr die nicht gute – Frau dem Gespött des Landes preisgegeben hat. In einer Faschingslaune haben wir einmal die Vorgänge von damals nachgeahmt – und daher kennt sie Ivo. Karoline Dorwall – also Buchmanns Karlineken, wie wir sie zu nennen pflegen, stammt aus einer ordentlichen und reichen Berliner Bürgerfamilie. Das eigentliche Vermögen ist von ihren Großeltern gemacht worden. Sie war einziges Kind und eine begehrte Partie. Die Dorwalls waren bis über die Ohren verschuldet, völlig in den Händen jüdischer Wucherer. Einer von diesen hatte den klugen Gedanken, das Schadchen zu spielen und lieber sein bar geliehenes Geld zu retten, als sich in einen fragwürdigen Land- und Waldbesitz 130 mit zwei anderen Gaunern zu teilen. Sein Plan gelang. Sehr gegen den Willen ihrer braven, bescheiden gebliebenen und vernünftigen Eltern, die sich aber schließlich dem Eigensinn der ehrgeizigen Tochter fügten, heiratete sie um die Jahrhundertwende den vierzigjährigen Troddel, der sich Baron Karl von Dorwall-Dorwall nannte: sich also in seinem idiotischen Doppelnamen schon als Produkt der Inzucht erwies. Die Hochzeit fand auf ihr Drängen nicht in Berlin statt, sondern auf ihrem zukünftigen Wohnsitz, Schloß Marienhain. Da vom Golde bekanntlich die Welt abhängt, wagte man nicht, sich ihrem phantastischen und snobistischen Einzugsplan zu widersetzen. Die Bauernsöhne des Dorfes mußten sie hoch zu Roß am Polterabend an der nächsten Bahnstation abholen, sie selbst in Jägerinnentracht, mit grünem Tirolerhut und Gamsbart, ritt auf einem Schimmel der Kavalkade voran und ließ sich auf halbem Weg von ihrem Zukünftigen in Empfang nehmen. Sie können sich das Bild vorstellen: die Burschen, mit gelbroten Bändern – den Dorwallschen Farben – am Hut, auf ihren Arbeitskleppern, die Dorfjugend, Spalier bildend, der Pastor am Parkgitter den Einzug segnend, Karl Dorwall im roten Jagdfrack auf einer hellbraunen Stute, das Monokel im Auge, und mittenmang die Amazone aus Berlin! Das Gaudium war groß! Unverhoffter Karneval Ende Juli: das hatte es im Lande noch nicht gegeben, solange die Welt stand . . . Aber wer 131 nun glaubte, es werde in diesem Stile weitergehen, mußte bald seinen Irrtum einsehen. Karlineken nahm die Zügel in die Hand, schuftete für zwei, schmiß die Schmarotzer vom Stamme der Dorwall mir nichts, dir nichts zum Hause hinaus, verzichtete auf jede weitere »standesgemäße« Unterstützung der Faulenzer, modernisierte, rationalisierte – und schuf in wenig Jahren eine Musterwirtschaft. Man mochte gegen sie sagen, was man wollte: sie hat es geschafft – und es hat auch bei ihren schlimmsten Feinden nie an bedingungsloser Anerkennung ihrer Leistung gefehlt. Sie hat drei Kinder in die Welt gesetzt, zwei Töchter und das Prachtexemplar von Sohn, das Sie am Samstag kennen lernen werden. Die Töchter hat sie vorbildlich in Lausanne erziehen lassen und an ein schwedisches Brüderpaar verheiratet: bildhübsche und schwerreiche Jungen aus der Eisenindustrie. Sie sah voraus, was hier in Deutschland kommen würde – und traf rechtzeitig ihre Maßnahmen. Als man sie einmal wegen ihrer ablehnenden Haltung gegen den jungen Adel zur Rede stellte, gab sie die unzweideutige Antwort, sie habe in ihrem Leben immer nur Buchmannsche, nicht aber Dorwallsche Politik getrieben. Ihre große und berechtigte Sorge ist ihr Sohn. Gehässige Leute sagen, er verkörpere den berühmten Ausgleich des Schicksals. Er ist jetzt zweiundzwanzig Jahr alt. Man weiß von ihm nur, daß er gerne Motorrad fährt und mit kleinen Ladenmädchen Verhältnisse hat. Auch die 132 Barfräuleins in Augustenburg sollen allerhand von ihm erzählen können. So, nun sind Sie auch in puncto Karlineken auf dem Laufenden. Die persönlichen Ergänzungen zu diesem Fall können Sie ja am Samstag selbst machen . . . Wir aber wollen zu unserer Arbeit zurückkehren. Das heißt, wir wollen jetzt die Tischordnung machen. Aber dazu brauche ich euch nicht mehr, Augusta und Tosia. Ihr habt morgen einen harten Arbeitstag, da ihr zum Einkauf mit nach Augustenburg müßt. Geht schlafen, eure Nacht ist um sechs Uhr früh zu Ende. Aber sagt mir rasch noch vorher eure Wünsche bezüglich der Tischherren, da ihr nun wißt, wer kommt.

Augusta und Tosia wurden rot.

– Wir haben ja eigentlich den gleichen Wunsch, sagte Tosia. Dürfen wir nicht zuerst unter uns das Los entscheiden lassen?

– Wie ihr meint, nur macht es kurz, denn es ist schon spät, und wir haben hier noch eine lange Sitzung vor.

Blanche von Berry, die an einer dunkelblauen Krawatte häkelte, lächelte zu Laura hinüber. Laura zog ein wenig die Brauen hoch. Augusta und Tosia gingen in eine Ecke und flüsterten. Dann zog Tosia ein Geldstück aus der Tasche und warf es hoch.

– Die Vorderseite gewinnt . . .

Da die Münze auf die Rückseite fiel, hatte Augusta gewonnen. 133

– Also – wen willst du, Augusta?

– Ich möchte es nicht sagen, ich möchte es lieber auf einen Zettel schreiben.

– Auch gut . . . So, gib her . . . Den willst du? Aber diesen Wunsch kann ich dir wirklich nicht erfüllen. Das mußt du begreifen! Nein, Kind, das geht wirklich nicht.

Augusta verzog die Lippen . . . Ein Traum zerstob. Der Traum eines kleinen, dummen, braven, verliebten Landmädchens. Tosia verzog keine Miene. Sie war glücklich, daß ihr selbst diese Absage nicht gegeben worden war.

– Hast du denn keinen anderen Wunsch? wandte sich Laura an Augusta, die ein weinerliches Gesicht machte.

– Nein, sagte sie. Mir ist jetzt alles gleich . . .

– Na – dann überlasse es mir, für dich zu sorgen. Ich will mein Bestes tun. Und du, Tosia?

– Geben Sie mir bitte den Meisenfels. Der versteht etwas von schönen Kleidern und erzählt auch gute Witze.

– Gut. Den sollst du haben . . . Gute Nacht, Kinder. Und daß ihr mir morgen nur dicke Strümpfe anzieht. Es ist kalt auf dem Asphalt der Markthallen.

Tosia und Augusta gingen. Blanche häkelte an ihrer Krawatte weiter und lächelte in das Schlingen der Maschen hinein. Gisela sah ihre Mutter an, welche die Achseln zuckte. 134

– Wäre es denn nicht möglich gewesen, meinte Eugo, der Gütige, Augusta ihren Wunsch zu erfüllen-

– Aber nein! rief Laura. Was soll hier unter uns diese Geheimtuerei? Ist ja lächerlich! Ich tue Augusta nur einen Dienst, wenn ich ihr einen Tischherrn verweigere, dem sie Luft ist! Seit Jahren geht nun diese heimliche Anhimmelei des Grafen Solduan! Die ganze Welt weiß doch, daß er sich um kleine, blonde Landmädchen nicht kümmert! Er ist freundlich, verbindlich – ja. Aber das deuten sich diese Kindsköpfe eben so aus, wie sie es sich wünschen!

– Aber wen soll denn Solduan führen? fragte Eugo.

– Das wird sich sogleich finden. Ich bin dafür, daß wir zunächst einmal das Festprogramm auf die Minute bestimmen.

– Ja. Ich halte das auch für das wichtigste, bemerkte Adalbert von Elten. Aber zunächst müssen ja doch noch Gisela und ihr Vater in unseren Plan eingeweiht werden.

– Selbstverständlich, rief Laura. Das hätte ich fast vergessen.

Während sie sprach, wurde Eugos Gesicht länger und länger. Am Ende hatte es fast einen ängstlichen Ausdruck angenommen.

– Was ist denn mit dir? fragte Laura. Du siehst ja aus, als ob du eine Stricknadel verschluckt hättest?

– Laura, diese Geschichte geht nicht! Das ist zu keß! Das setzt böses Blut! 135

– Aber Vater! rief Gisela, Vater! Dieser Ball wird doch für mich gegeben! Er soll lustig sein! Ein Fest für die Jugend, nicht für eingerostete, langweilige Leute! Fasse ihn doch als eine Art Faschingsball auf! Es ist ja sonst zum Läusekriegen mit diesen phantasie- und temperamentlosen Abfütterungen!

– Vater wird ja gar nicht mehr gefragt, mein Kind. Selbstverständlich wird die Geschichte gemacht, und Herr von Lagosch wird der erste sein, der sich daran erfreut!

Eugo gab den Widerspruch auf, nachdem ich ihm versichert hatte, daß solcher Jux in der besten rheinischen Gesellschaft an der Tagesordnung sei.

– Was geht mich die rheinische Gesellschaft an, rief Laura. Wir sind hier im Osten, im Hause Lagosch! Und was Laura Lagosch als Gastgeberin gut befindet, das wird eben gemacht! Und damit zur Tagesordnung!

A quelque chose malheur est bon, sagte Eugo. Dann erlaubt mir aber auch, mich in mein Arbeitszimmer zurückzuziehen und die Memoiren Paléologues zu Ende zu lesen.

– Mit Handkuß, Geliebter, sagte Laura, da du ja hier doch nur eine unproduktive Kraft bist . . . Die Hauptsache bleibt, daß du die nötigen Scheine zur Verfügung stellst.

Sie legte ihm die Arme um den Hals, küßte ihn und geleitete ihn durch die Diele nach seinem Arbeitszimmer, das im hintersten Teile des Hauses lag. 136

– So, sagte sie, als sie zurückkam, nun haben wir völlig freie Bahn. Ich wußte, daß es ohne dieses kleine Hindernisrennen nicht abgehen würde. Also nun hören Sie: so wie ich mir die Tischordnung denke, muß Graf Solduan selbstverständlich in unser Geheimnis eingeweiht werden. Denn er muß Ihre Frau führen, lieber Henry, und gleichzeitig an meinem Tisch sitzen.

– O Gott, welche Doppelehre! rief Adalbert. Ich fühle mich innerlich wachsen, ich erkenne meinen wahren Wert!

– Ja, mein Lieber, Sie haben recht! Sie werden dem Umstande, daß Sie sich am Samstag abend für einige Stunden in eine Frau verwandeln, den nettesten Platz im Saale verdanken: Sie werden mit Henry, Michael und mir an einem Tische sitzen . . .

– Allein mit Ihnen?

– Allein mit uns! Denn, mit Ausnahme der Tafeln der Jugend, sind alle Tische nur für vier Personen gerichtet.

– Wissen Sie denn schon genau, wie Sie die Verteilung machen wollen?, fragte ich Laura.

– Aber Gott bewahre! Da liegt doch gerade der Hase im Pfeffer! Ich weiß nur dieses: Die Türen zwischen dem Speisesaal und dem großen Wohnzimmer werden herausgenommen, so daß ein großer Raum entsteht. In einer Mittellinie dieses Raumes stehen die drei Tische, an denen das Haus Lagosch präsidiert. Oben, am Ende des eigentlichen Wohnraumes, nehmen Platz, 137 die Fürstin mit Eugo, Gräfin Woltersthal und Graf Rumpler. In der Mitte, also genau auf der Grenze, wo eigentlich die Türen laufen, ist mein Tisch. Am unteren Ende macht Gisela die Honneurs für die Jugend. Wen sie sich als Tischherrn aussucht und wen sie noch zu sich haben will, ist ihre Sache. Sämtliche anderen Tische werden in zwei der Mittellinie parallel laufenden Reihen aufgestellt. Damit ist die Einheit des Ganzen gewahrt, die klare Übersicht – und gleichzeitig eine schöne Verteilung gegeben. Die große Frage ist jetzt nur: nach welchem Gesichtspunkt soll ich die Leute setzen?

– Da die Etikettenfrage mit der Placierung der Fürstin, Herrn und Frau Benraths sowie des Grafen Michael gelöst ist: bei einem so zwanglosen und lustigen Fest doch wohl nur nach dem Gesetz der möglichst großen Vermischung aller Elemente, sagte ich.

– Gott sei Dank! rief Laura. Schade, daß das Eugo nicht gehört hat! Mir ist ein Stein vom Herzen! Gehen wir rasch an die Arbeit der Ordnung.

Nach einer halben Stunde etwa waren wir einig.

– Wird es nicht merkwürdig erscheinen, fragte Gisela, daß Herr und Frau Benrath am gleichen Tische sitzen?

– Aber ganz im Gegenteil! Es wird als natürlich empfunden werden, daß das Ehepaar nach so langer Trennung nebeneinandersitzt, und zwar am Tisch der Hausfrau, antwortete ich. 138

– Stimmt, sagte Adalbert. Tout rentre dans l'ordre de la nature. Darf ich jetzt den bescheidenen Wunsch äußern, das genaue Programm des Festes kennenzulernen, damit ich mein Auftreten gebührend vorbereiten kann? Und schließlich muß ich ja auch einmal an die Heimkehr nach Augustenburg denken . . .

– Bleiben Sie doch heute nacht hier, sagte ich. Es sind zwischen uns Ehegatten so viele Einzelheiten zu regeln, daß es ja gut zwei Uhr wird, bis alles klargestellt ist!

– Mit Freuden, mein hoher Gemahl, sofern es die Hausherrin für gut befindet!

– Ich habe kein Recht, Ehegatten zu trennen, sagte Laura. Ich werde Ihnen ein Bett in Henrys Vorzimmer richten lassen . . . A propos, Henry, damit ich es nicht vergesse: in diesem Vorzimmer müssen Sie von Samstag auf Sonntag Wladimir kampieren lassen, dessen Zimmer ich für die Prinzessin Satulin brauche . . .

– Aber ich wüßte nicht, was ich lieber täte . . .

– Wo wohnt eigentlich Michael? fragte Blanche, die ohne Unterbrechung häkelte . . .

– In dem sogenannten Fasanenzimmer, also zwischen Henry und Augusta, an der Ostfront des Hauses.

– Und bist du dir auch ganz klar über die Verteilung der geliehenen Diener, Mama?

– Ich glaube ja, mein Kind. Anton von Schloß Schönfeld nehmen wir noch für den ersten Stock 139 unseres Hauses in Anspruch. Joseph, ebenfalls von Schönfeld, wird mit dem zweiten Diener Schwennemanns für die Herren des Diana-Pavillons verwendet. Die Damen, welche dort schlafen, haben die Jungfern der Gräfin Woltersthal und Tante Jolanthes zur Verfügung. Den Dienst im Kavalierhaus versehen die Burschen des Grafen Sennewitz und des Leutnants von Scheer. Damit wären auch diese Fragen erledigt.

– Bleibt also das Festprogramm, wiederholte Adalbert von Elten.

– Ich denke es mir so, fuhr Laura fort: Die Einladungen sind für halb fünf Uhr ergangen. Auf dem Lande – und zumal im Februar – muß man früh anfangen, vor allem auch, damit die Älteren zu ihrem Recht kommen, die schon früh nach Hause fahren. Es gibt Tee mit den entsprechenden Zutaten und viel Madeira. Cocktails gibt es nicht. Ich weiß, warum. Um dreiviertel sechs wird, um die Leute unter einen Hut zu bringen, eine Polonaise gegangen, der ein Walzer folgt. Danach gibt es die unerläßliche Quadrille. Lachen Sie bitte nicht, Henry. Wir sind auf Kobolnow, wo es unabänderliche Traditionen gibt. Nach dieser Quadrille, um halb sieben, steigt die Vorführung der Lehrerin im Tanzsaal. Um dreiviertel acht fährt Henry nach Augustenburg, um seine Frau abzuholen, in deren Begleitung er kurz vor halb neun wieder eintrifft. Punkt dreiviertel neun wird gegessen. Ich habe dafür Sorge getragen, daß sehr rasch serviert 140 wird, so daß um halb zehn der schwarze Kaffee gereicht werden kann. Um zehn Uhr pünktlich beginnt der Ball mit einem Englischen Walzer. Die Spieltische werden im Rauch- und Billardzimmer aufgestellt. Um halb zwölf kommt dann der große Schlager an die Reihe – und was nachher geschieht, überlassen wir den guten Geistern dieses Festes. Seid ihr einverstanden?

– Bis in jede Einzelheit.

– Gott sei Dank. Hat jemand noch was zu sagen?

– Ja. Ich. Ich muß die Fürstin in unseren Plan einweihen. Sie weiß, daß ich nicht verheiratet bin.

– Gut. Besuchen Sie sie morgen in ihrer Augustenburger Stadtwohnung und bereiten Sie sie vor. Sonst noch was?

– Ja, sagte Adalbert. Ich möchte wissen, was es zu essen gibt.

– Mein lieber Freund: Sie wissen genau so gut wie ich, in welchen schweren Zeiten wir leben. So sage ich Ihnen also: Es gibt Supp', Gemüs' und Fleisch. Es gibt wirklich nichts anderes. Daß ich für mein Kind ein Fest gebe, mag man erzählen, wo man will. Daß auf Kobolnow geschlemmt wird: das soll keiner sagen dürfen. Was am Samstag übrig bleibt, geht am Sonntag an die Bedürftigen im Dorf.

– Aber es gibt ein Glas Sekt für mich, damit ich in Stimmung komme?

– Eine Flasche, wenn Sie wollen – schon im Wagen, der Sie in Augustenburg abholt. 141

– Na also! Dann kann nichts mehr fehlschlagen.

– Gute Nacht, meine Kinder, sagte Laura, während sie aufstand. Und Dank für eure Hilfe . . .

– Bleibt es bei unserem Spaziergang morgen vormittag um halb zwölf? wandte sich Blanche zu mir, während sie ihre Häkelei in einem kleinen Korb verstaute . . .

– Aber bestimmt.

– Ich hole Sie oben ab. Ich habe Ihnen allerhand zu sagen.

– Pariser Geheimnisse? gähnte Laura, schon an der Schwelle der Treppe.

– Wie man es nimmt, sagte Blanche. 142

 

 


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