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Neunzehnter Abend.
Letzter Kampf und Sühne.

Nach wenigen Stunden Schlafes – der Morgen war noch nicht angebrochen – verließ Odysseus schon wieder das Lager und weckte auch seine Gemahlin und Telemachos nebst den Hirten. »Kommt hurtig, Freunde«, sprach er, »ehe der Tag anbricht, daß wir noch glücklich des Vaters Landhaus erreichen! Gewiß wird das Gerücht von dem Tode der Freier schon durch die Insel verbreitet sein, oder die Fürsten, deren Söhne zur Nacht nicht nach Hause gekommen sind, werden sich aufmachen sie zu suchen. Vereinen sich dann alle und führen sie ihre Völker gegen uns, so sind wir verloren. Darum wollen wir uns jetzt draußen in Laërtes' entlegenem Garten verbergen, bis der erste Sturm vorüber ist. Was weiter zu thun ist, das wird ein Gott uns bedeuten. Du aber, Penelope, bleibe hier, bis ich dich rufen lasse; schließe dich ein in dein Zimmer und sei ohne Furcht; an dir wird ihre Rache sich nicht vergreifen.«

Die Männer verließen still das Haus und gingen durch die Straßen der Stadt hinaus über das Gefilde. Dämmerung hüllte sie ein. Mit dem ersten Strahl der Sonne traten sie in die Umzäunung, die den weitläufigen Hof des alten Laërtes umschloß. Vorn fanden sie ein Wohnhaus und einige Wirtschaftsgebäude, einfache Hütten, versteht sich, wie jene Zeit und jener Ort sie erwarten läßt. Daselbst waren mehrere Diener des Greises mit häuslicher Arbeit beschäftigt, aber Laërtes selbst war schon hinten im Obstgarten, seinem Lieblingsaufenthalte, in dem er täglich mit eignen Händen schuf. Die Diener hießen den Telemachos, Eumäos und Philötios willkommen; den Odysseus erkannten sie nicht; man sagte ihnen, er sei ein Fremder, der den alten König zu sprechen wünsche.

»Hört«, sagte er jetzt heimlich zu Telemachos und den beiden Hirten, »bleibet jetzt hier, und bereitet uns ein Schaf oder sonst etwas zum Morgenopfer. Ich will den Vater indessen allein aufsuchen und zusehen, wie ich mich ihm vorsichtig entdecke. Dann bringe ich ihn hierher, und wir erfreuen uns des gemeinschaftlichen Mahles.«

Telemachos sprach darauf mit den Dienern, und sie öffneten ihnen willig die Hürde. Während sie im Hause schlachteten, ging Odysseus langsam den langen Gang durch den Garten hin, den wohlbekannten, in welchem aber freilich seitdem die Schößlinge zu Bäumen geworden und mancher alte Stamm langst niedergehauen war. Er ging, seinen betagten Vater zu umarmen, den die Sorge um ihn schwermütig gemacht hatte. Aber wie sollte er sich ihm entdecken, damit nicht die plötzliche Freude ihn betäube oder gar töte? Indem er noch sinnend dahinschritt, stand auf einmal der Greis vor ihm. Er säuberte einen jungen Birnbaum, um dessen Stamm die Nesseln gewuchert hatten, und war so eifrig mit dieser Arbeit beschäftigt, daß er den Kommenden gar nicht gewahrte.

Odysseus erschrak im Herzen über den Anblick. Wie hatte sich der alte Mann verändert! Wie hatten Gram und hoffnungslose Sehnsucht seine Gesichtszüge verdüstert! Und in welchem Aufzuge stand er da! Ein grober Kittel, schmutzig und geflickt, deckte seinen Leib; um Hände und Beine hatte er sich Stücke von Ochsenhaut gebunden, zum Schutz gegen das stachlichte Unkraut; und das kahle Haupt war mit einer Kappe von Ziegenfell gegen die kalte Morgenluft geschützt. Sein niedrigster Sklave ging nicht so ärmlich gekleidet und arbeitete nicht so emsig. Jetzt richtete er sich einmal von seiner Arbeit auf und sah den wohlgekleideten Fremdling vor sich stehen. »Glück auf! alter Mann!« rief ihm Odysseus zu, »Du pflegst gar trefflich deines Gartens. Ringsum in den Bäumen und Rebengewinden sehe ich ein fröhliches Gedeihen; nur schade, du selber scheinst mir schlecht gepflegt zu werden. Welcher karge Herr nährt dich denn so kümmerlich und trägt so schlechte Sorge für deinen Leib, daß du zerlumpter als ein Bettler einhergehst? Sage mir, wo bin ich hier? Mein Weg führte mich an diesem Gehege vorüber; da trat ich hinein, um von irgend jemand zu erfragen, wie man zum Palaste des Odysseus gelange. Den wackern Helden wünschte ich gern zu sehen; er ist mein Gastfreund und hat mich auf seinen Reisen besucht, und weil mich jetzt gerade mein Weg bei Ithaka vorüberführt, so habe ich mein Schiff angebunden und meine Leute dabei gelassen, um doch zu sehen, wie's meinem lieben Freunde geht.«

»Wehe, guter Fremdling!« versetzte Laërtes, »da kommst du noch immer zu früh. Dem Armen haben die Götter noch immer keine Rückkehr beschieden, und sein Haus ist einer übermütigen Rotte preisgegeben. Wer weiß, welches Seeungeheuer ihn bereits verschlungen hat, oder an welchem Gestade seine weißen Gebeine unbegraben verwittern. Zehn Jahre ist es nun schon, seit Troja zerstört ist, und fortan haben wir Tag für Tag auf ihn gehofft und geharrt, und ich zumeist unter allen. Denn wisse, Fremdling: der arme alte Mann, den du hier von Jammer entstellt vor dir siehst Laërtes ist's! ich bin Odysseus' Vater! Die Mutter, meine Gattin, ist vor Kummer ins Grab gesunken; doch mir erzeigen die Götter diese Gnade nicht! ich kann nicht sterben!«

»Würdiger König«, versetzte Odysseus, tief erschüttert, »weine nicht mehr! Die Götter haben dir diese Gnade nicht gewährt, um dich für eine höhere zu erhalten. Du sollst lebend deinen Sohn noch wiedersehen!«

»Ach, was schürst du die alte verzehrende Hoffnung wieder an? Weißt du etwas von ihm? Rede, Mann! sage, wie lange ist es her, daß er bei dir war?«

»Fünf Jahre etwa«, antwortete Odysseus, »Doch hast du nichts von dem Gerüchte gehört, welches ich schon auf dem Meere vernahm? Odysseus, sagte man, sei angekommen und habe sein Haus voll wilder Gäste gefunden, die sein Gut verschwelgten und um seine Gattin freiten. Die habe er halb mit List, halb mit Gewalt besiegt, und sei nun wieder Herr in seinem Hause.«

»O daß es so wäre!« rief der alte Mann begeistert aus, »Ha du weckst mir das Herz im Busen wieder auf! Sprich, weißt du Gewisses? Kommst du, ein göttlicher Bote, ein glückbringender Seher zu mir? Rede! rede!«

»Edler König«, sagte jetzt Odysseus mit zitternder Stimme und einem zärtlichen Blicke, der durch die mit Gewalt hervorbrechenden Thränen drang »nicht wahr, diese Feigenbäume dort schenktest du einst deinem Sohne, da er noch ein Knabe war?«

»Ja. «

»Und diesen herrlich prangenden Gang von Birnbäumen auch?«

»Ja. «

»Und hier in diesen Hecken gingst du freundlich plaudernd mit ihm umher, und nanntest ihm jedes Strauches Namen und Nutzen?«

»Ja, ja !«

»O wie wird er sich nun freuen, wenn er nun wieder kommt und dich unter deinen Bäumen wandeln sieht!«

»Aber Götter! wie weißt du das? Du weinst! Du zitterst? Ja du selber bist Odysseus, bist mein Sohn! Ha, beim Zeus! er ist's!«

»Ja Vater, ich bin dein Sohn! Du hast mich wieder! O halte dich, halte dich, Vater!« Der Greis aber sank in Ohnmacht. Der Sohn beugte sich über ihn und bedeckte ihn mit Küssen. Das erweckte ihn bald wieder wie aus süßem Schlummer; er richtete sich auf und sah lange den Wiedergefundenen an, der nun seine Erzählungen begann von Trojas Untergang bis auf die Ermordung der Freier. Mit jedem Worte verklärte sich das Gesicht des Greises mehr, und als Odysseus geendigt hatte, rief er freudig aus:

»Ja, nun sehe ich, daß ihr noch waltet, ihr himmlischen Götter, da doch endlich die Greuel dieser Frevler bestraft sind! Aber Sohn, wie denkst du der Rache zu entfliehen, die du durch diese ungeheure That auf dich geladen hast?«

»Sei unbekümmert«, antwortete Odysseus; »ich fürchte nichts von dem Volke, so sehr auch die Fürsten ergrimmt sein mögen. Jene Frevel hat niemand im Herzen gebilligt, wer nicht selbst einer von den Thätern oder denselben verwandt war. Kann mich aber die Liebe des Volks nicht schützen, nun so ist im schlimmsten Falle mir von Teiresias' Geiste eine Freistatt im Innern des festen Landes verheißen, wo ein ruhiges Alter im Schoße des Glücks meiner wartet. Aber ich hoffe, das wird nicht nötig sein. Doch jetzt komm mit mir ins Wohnhaus, wo mein Sohn und ein paar treue Freunde unser mit dem Frühmahl harren. Steige auch zuvor ins warme Bad und laß dich salben und mit stattlichen Kleidern schmücken, denn jetzt ist nicht mehr Trauerns Zeit; nun geziemt es sich wieder wie ein König einherzugehen.«

Sie schritten miteinander den langen Gang nach dem stattlichen Hause zurück. Odysseus trat darauf in den Saal zu den andern, Laërtes aber ließ sich erst von seiner alten Pflegerin baden, salben und mit seinem Leibrock und Mantel bekleiden. Dann erschien er unter den Männern, die verwundert den verjüngten Greis anschauten und ihm Glück zu dem wiedergefundenen Sohne wünschten.

Er selber fühlte neue Lebenskraft in seinen Adern und rief begeistert aus: »Ha, wenn ich doch so in alter Jugendkraft wie ehemals, als ich gegen die Epeiroten auszog und ihre Festen wegnahm, wenn ich so gestern mit dir gewesen wäre, mein Sohn, wahrlich, da hätte ich manchem den Garaus gemacht! Du hättest mich rühmen sollen!«

So in herzlicher Fröhlichkeit setzten sich alle, Herren und Diener, Hirten und Gärtner, ringsherum auf Sessel, um das Mahl zu verzehren. Siehe da kam noch spät der älteste der Knechte, der greise Dolios, der im entlegensten Felde mit seinen Söhnen gearbeitet hatte, herein, um Teil am Schmause zu nehmen. Er sah den Fremden an, stutzte einen Augenblick, dann erkannte er den Odysseus und fiel ihm entzückt um den Hals.

»Nun, mein Alter«, sagte dieser sanft, »setze dich und verwundere dich nicht länger. Siehe, wir sitzen schon lange beim Mahle. Sorge dafür, daß du nicht zu kurz kommst!«

Aber das Mahl! Der ehrliche Alte ließ die teure Hand des lieben Herrn nicht, den er so oft als kleinen Knaben auf den Armen getragen hatte. Er drückte und bedeckte sie mit Küssen. Nach unzähligen Ausrufungen der Freude fragte er lebhaft: »Weiß es Penelope schon, daß du hier bist, oder soll ich zu ihr eilen mit der frühlichen Botschaft?«

»Sie weiß es, Alter; du darfst dich um nichts sorgen!« antwortete Odysseus.

Während so der Geist der Freude über der traulichen Versammlung waltete, entspann sich am andern Ende der Insel eine unglückdrohende Verschwörung. Eupeithes nämlich, der Beherrscher eines ansehnlichen Bezirks auf Ithaka, hatte bisher die stolze Hoffnung genährt, sein Sohn Antinoos werde vor allen andern Freiern die schöne Penelope und mit ihr die Obmacht unter den Fürsten der Insel davon tragen. Sein Herz ward daher durch die Schreckensnachricht, die sich bald allenthalben verbreitete, am meisten getroffen. Obschon ein Greis, machte er sich dennoch auf und berief die Bewohner Ithakas zu einer Versammlung. Er trug seine Klagen dem Volke vor und rührte viele zum Mitleid. Dann verlangte er ihren Beistand zur Rache und forderte Fürsten und Unterthanen auf, sich für ihn zu bewaffnen. Vieler Herzen gewann er, manche hingegen weigerten sich, zumal nachdem Medon und Halitherses gesprochen hatten.

»Freunde«, hub Medon an, der verständige Herold, »ich bin gestern Zeuge der fürchterlichen Niederlage gewesen. Glaubt mir, nicht ohne der Götter Hilfe hat Odysseus dies gewaltige Werk ausgeführt! Ich selber sah, wie ein göttliches Wesen in Mentors Gestalt ihm zur Seite stand und alle Würfe von ihm abwehrte, ja schon durch seines Schildes Rütteln die Reihen vor sich niederwarf. Geht nicht in den Kampf gegen den Helden; ihr werdet gegen erzürnte Götter streiten!«

»Nein, ihr Ithaker, gehet nicht«, fuhr der bedächtige Greis Halitherses fort, »lasset den Odysseus gewähren, er hat nur die Rache der Götter vollzogen. Wie oft habe ich es euch gesagt, daß es so kommen müßte; denn der Übermut dieser Freier ging ja über alle Grenzen, und keiner von euch wäre es ihm geschehen, würde solche Greuel unbestraft gelassen haben. Seid klug und lasset die Toten ruhen. Sie rächen wollen hieße ihren Frevel billigen.«

Ein großer Teil der Versammlung stimmte diesen Reden bei und ging still nach Hause. Die es aber mit dem Eupeithes hielten oder Freunde der Freier gewesen waren, rüsteten sich und schlossen sich jenem an. Der Zug lief stürmend nach des Odysseus Wohnung; da sie aber hier kein männliches Wesen fanden, so zogen sie weiter zu den Gärten des Laërtes hinaus. Hier erblickte sie von fern einer der Söhne des Dolios, der auf einem Hügel arbeitete, und brachte eilig den Schmausenden im Saale die Nachricht: »Sie kommen! sie kommen!«

»Nun wohlauf, ihr Freunde«, rief Odysseus, »jetzt gilt's noch einen heißen Kampf, und dann, hoffe ich, haben wir Ruhe. Sohn, halte dich tapfer! rüstet euch, ihr Knechte! auch du Vater, suche noch einmal Schild und Lanze hervor!«

»Ha! glücklicher Tag«, entgegnete der mutige Alte, »da ich mit Sohn und Enkel in einer Reihe fechten soll!«

Jeder warf sich in Eile Schild und Helm und Harnisch über und ergriff Lanze und Schwert. »Jetzt hinaus!« rief Odysseus. »Aber wehe uns, unser sind doch nur sehr wenige!« Er überzählte sie schweigend und mit dem Zeigefinger deutend.

»Zähle mich mit!« sprach Mentor, der plötzlich gepanzert an der Pforte erschien. Freudig erkannte Odysseus im Herzen die Göttin wieder, die ihm in derselben Gestalt schon gestern zur Seite gestanden hatte; aber er schwieg voll Ehrfurcht und führte das kleine Häuflein kühn und getrost der zahlreichen Feindesschar entgegen.

»Nun wohlan, Laërtes, edler Greis!« rief die verstellte Göttin, »eröffne du die preiswürdige Schlacht und wirf die erste Lanze auf den Feind.«

Er that's, und siehe, sie flog gerade in Eupeithes' Herz. Und in dem Augenblicke zuckte ein feuriger Blitzstrahl, vom Zeus gesendet und mit einem furchtbaren Donnerschlag begleitet, zwischen beide Haufen in die Erde nieder. Alle entsetzten sich über die schreckliche Vorbedeutung, und der Fall ihres Führers raubte plötzlich den Feinden Mut und Besinnung. Da trat die Göttin mit dem Flammenblicke, zwar noch immer dem Mentor ähnlich, aber alsbald doch allen kenntlich, in die Mitte vor und rief den Streitenden mit lauter Stimme zu:

»Haltet ein, Ithaker! Ruhet vom unglückseligen Kriege, der selbst die Götter empört! Schont des Menschenblutes und gehet in Frieden von dannen!«

Scheu und Staunen ergriff den ganzen Schwarm bei diesen Worten, aber Odysseus und die Seinen freuten sich der göttlichen Stimme und gelobten der Retterin Athene reichliche Dankopfer. Sie steckten die Schwerter in die Scheide und kehrten zum fröhlichen Mahle zurück. Die Feinde eilten gleichfalls heim und erzählten betroffen den Ihrigen, was sich begeben hatte.

Da wagte es keiner mehr von Rache gegen den König zu sprechen, und selbst die eifrigsten Streiter hängten ihr Schwert mit dem stillen Entschlusse an den Nagel, es nie wieder gegen diesen Mann zu brauchen, auf dessen Seite die Gerechtigkeit sei und die Gottheit selber kämpfe. Auch in den Vätern der Erschlagenen tilgte die Zeit allmählich den alten Groll, da sie bei ruhiger Überlegung einsahen, daß den Frevlern recht geschehen sei; und des Odysseus Weisheit, Edelmut und Güte gewann ihm selbst bald aller Herzen und machte zuletzt auch die bittersten Feinde zu seinen Freunden.

Jetzt nach dem Treffen, das so seltsam geendet hatte, lud Odysseus seinen Vater und alle Diener des väterlichen Hauses ein, mit ihm nach der Stadt zu gehen und ihm daselbst die Opfer feiern zu helfen, die er den Göttern des Hades gelobt habe. Mit frohem Jauchzen schloß sich der ganze Zug ihm an. Er selber und Telemachos führten den Laërtes in der Mitte, und dicht hinter ihnen trippelte das treue Mütterchen her, welches den alten schwermütigen Mann während der zwanzigjährigen Abwesenheit des Sohnes gepflegt und getröstet hatte und nun unaufhörlich vor Freude weinte und den Göttern dankte, daß sie diesen Tag noch erlebt habe.

Penelope sah aus ihrer Kammer die jubelnden Freunde über den Hof kommen und eilte ihnen entgegen. Odysseus breitete seine Arme aus, sie zu umfangen, und erzählte ihr in wenigen Worten die Geschichte seiner wunderbaren Rettung. Darauf mußten Herolde das ganze Volk zum großen Opferschmause für den folgenden Tag einladen, und die Hirten mußten ihre Ställe öffnen und eine Menge von Opfertieren liefern. Ein fröhliches Getümmel belebte jetzt die Stadt, und die fernsten Bewohner der Insel, die den zurückgekehrten Helden noch nicht gesehen hatten, machten sich auf, dem Feste beizuwohnen.

Am folgenden Morgen fanden sich die Ithaker scharenweise auf einem freien Platze ein, und Odysseus ließ die Opferstiere vorführen, die er den Göttern geweihet hatte. Alle setzten sich darauf in langen Reihen nieder und freuten sich des zurückgekehrten Königs, der freundlich durch die dichtgedrängte Menge hinschritt und die alten Bekannten mit Kuß und Händedruck begrüßte. Jünglinge schlachteten indessen und brieten nach der gewöhnlichen Weise die Stiere und reichten jedem Gaste sein Teil. Und sie aßen und tranken, und lachten und sangen und tanzten zu der lieblichen Phorminx des Sängers, bis der Abendstern am Himmel heraufzog.

Da gedachte Odysseus des Gelübdes, das er einst im Reiche der Schatten gethan, den Göttern der Unterwelt einen jungen Stier und dem Geiste des Teiresias einen schwarzen Widder zu opfern, wenn er nach Hause zurückgekehrt sein würde. Beide Schlachtopfer wurden herbeigeführt, und während die Herolde andere Speisen zum Abendschmause für das Volk bereiteten, führte Odysseus selbst den Streich, der dem Rinde die Sehnen des Nackens zerschnitt. Und als des Stieres und des Widders fette Hüftenstücke auf den Altären brannten, betete er feierlich mit erhobenen Händen:

»Heilige Götter des Hades, hier in meinem Reiche erfülle ich dankend die Gelübde, die ich in dem eurigen gethan. Vieles Unglück habe ich bestanden, und schwer nur habe ich oft das kummervolle Leben aus der Gefahr gerettet, immer einem glücklichen Ende vertrauend. Jetzt ist dieses Ende gekommen, gütige Götter! und freudig denke ich zurück an jene Thränen, welche ich damals weinte. O! noch oft will ich euch diese Opfer wiederholen; denn der opfert seinem höchsten Gotte würdig, der sich gern im Herzen der Unterirdischen erinnert und den Gedanken an die Todesgöttinnen nicht scheut!«


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