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Vorwort.

Seit nunmehr hundert Jahren haben Karl Friedrich Beckers »Erzählungen aus der alten Welt« Tausende von deutschen Knaben und Jünglingen in die unvergängliche Schönheit der Sagenwelt des klassischen Altertums eingeführt, und noch heute nehmen sie einen Ehrenplatz in der deutschen Jugendliteratur ein. Beckers Ausführung des glücklichen Gedankens, die ewig jungen homerischen Gesänge, die noch in unsern Tagen wie vor fast dreitausend Jahren die Herzen erheben und erschüttern, als Bildungsstoff für die Jugend zu verwerten, ist auch heute noch mustergültig, und eine neue Auflage seiner »Erzählungen« bedarf keiner Entschuldigung, wird doch von keinem Volke griechisches Wesen, Dichten und Denken lebhafter und verständnisvoller nachgefühlt als von unserm deutschen, das dem hellenischen in Poesie, Philosophie und Wissenschaft, ja auch in der staatlichen Entwicklung so nahe verwandt ist. Und wenn auch in unsrer Zeit der von Jakob Grimm, dem Begründer der deutschen Sprach- und Altertumswissenschaft, vor einem halben Jahrhundert ersehnte und vorausgeschaute »Augenblick gekommen ist, daß auch die deutsche Sprache dem ganzen Volke zu Fleisch und Blute gehen und nicht länger nur verstohlen und matten Niederschlags, sondern mit vollem Segel in alle unsre Bildungsanstalten bleibend einziehen darf«, und wenn auch heute »der praktische Gebrauch der klassischen Sprachen und alle Zurüstung darauf« eingeschränkt worden ist, so kann doch »das historische Studium der Alten desto angestrengter und sozusagen uneigennütziger betrieben werden: wie sollte es je erlöschen? – – Wir haben uns alle lang in das Altertum eingelebt und sind mehr als wir selbst wissen mit ihm verwachsen, so daß beim Losreißen von ihm Stücke der eignen Haut mit abgehen würden. Es war uns stets ein weiser und sicherer Führer, an dessen starkem Arm wir uns aus der eignen Barbarei emporgewunden haben. Die klassischen Sprachen sind uns Mittel und Handhabe für Unzähliges, fast Unberechenbares geworden, sie wecken Sinn, Geist und Herz zusammen und flößen uns Kraft und Tugend in ihren reichen Denkmälern ein.« Aus Jakob Grimms Vorlesung »über Schule, Universität, Akademie«. 1849. Auswahl aus den Kleineren Schriften. Berlin, Ferd. Dümmler 1871. S. 197. 200.

Den Verfasser der vorliegenden »antiken Sittengemälde« mag sich die deutsche Jugend als einen Helden des Duldens und unermüdlichen Schaffens zum Vorbilde nehmen. Karl Friedrich Becker wurde geboren 1777 zu Berlin, studierte an den Universitäten zu Berlin und Halle, lebte seit 1800, da er wegen Kränklichkeit kein öffentliches Amt bekleiden konnte, als Privatgelehrter in Berlin und starb daselbst 1806. Seinen frühen Tod empfanden Tausende als einen schmerzlichen Verlust; der berühmte Philolog Friedrich August Wolf, sein Lehrer in Halle, widmete »dem zu früh verstorbenen Jüngling, dem Verfasser geliebter Geschichten für die Jugend«, ein ehrendes Gedächtnis. In einem kurzen Leben und unter schweren körperlichen Leiden hat K. Fr. Becker ausgezeichnete Werke geschaffen, die die Fortdauer seines Namens verbürgen. Das umfangreichste ist die »Weltgeschichte für Kinder und Kinderlehrer«. 9 Bände. Berlin 1801 bis 1805, die für Verbreitung geschichtlicher Kenntnisse eine ganz ungewöhnliche Wirkung gehabt hat und durch eine ganze Reihe von namhaften Geschichtsschreibern fortgesetzt worden ist. Aber alle die Erweiterungen und Umarbeitungen und die stoffliche Vertiefung, die »Beckers Weltgeschichte« erfahren hat, haben den hohen Reiz und Wert der ursprünglichen Fassung nicht ersetzen können. Auch Beckers »Erzählungen aus der alten Welt« – »die geliebten Geschichten für die Jugend« nach Fr. A. Wolfs Zeugnis – zeigen die liebenswürdige Frische und epische Kraft der Darstellungskunst des jugendlichen Verfassers und sind immer von neuem aufgelegt worden.

Die vorliegende Neubearbeitung des eben genannten Werkes, das in drei Bänden Halle 1801–1803 erschienen ist, lehnt sich möglichst eng an die ursprüngliche Fassung der selten gewordnen ersten Originalausgabe an, und der Unterzeichnete, der von der Verlagshandlung mit der Herausgabe betraut worden ist, hat sich, um den Reiz und die bewährte Eigenart der Beckerschen Darstellung nicht zu verwischen, Veränderungen nur behutsam und mit schonender Hand gestattet: mögen sie allenthalben als Verbesserungen anerkannt werden. Nur in folgenden Punkten ist vom Beckerschen 'Text erheblicher abgewichen worden: Stark verkürzt habe ich – soweit sie nicht zur genaueren Erkenntnis altgriechischer Zustände für das jugendliche Alter unentbehrlich erschienen – die den Fluß der Erzählung gar zu häufig unterbrechenden und oft mit dem Gegenstand wenig zusammenhängenden »Tändeleien der kleinen Zwischenredner« und die mitunter recht breit ausgesponnenen moralisierenden Betrachtungen, die so mancher jugendliche Leser, irre ich mich nicht, wohl schon zu des seligen Becker Zeiten als lästige Beeinträchtigung des Genusses empfunden und in seinem Eifer überschlagen haben wird. Daß die gelegentlich eingestreuten nüchternen Erklärungen von Wundern und wunderbaren Begebenheiten, die aus dem rationalistischen Geiste des Beckerschen Zeitalters zu erklären sein mögen, größtenteils weggelassen worden sind, wird man hoffentlich nicht als einen lieblosen Eingriff in das Beckersche Eigentum tadeln. Die Sprache habe ich von entbehrlichen Fremdwörtern, von mehreren regelmäßig wiederkehrenden Hauptvertretern des papiernen Stils (derselbe, ersterer, letzterer, welcher u.+a.) und einigen Latinismen (Odysseus, als er.. u.+a.) nach Möglichkeit gereinigt. Die von Becker in den Nebensätzen mit Vorliebe unterdrückten Hilfszeitwörter (die Männer, deren Helme Anchises schimmern gesehen: statt »hatte schimmern sehen« u.+Ä.) habe ich in der schlichten Erzählung meist wieder eingesetzt, ebenso zahlreiche falsche Tempora und Modi berichtigt. Altertümliche Worte und Wendungen – wie viele sind seit der Zeit unsrer großen Klassiker und seit Beckers Tagen aus dem Gebrauch entschwunden! – habe ich mit innerster Befriedigung beibehalten, denn jede Bereicherung und Verjüngung unsrer Schriftsprache aus dem Sprachgut früherer Zeit ist ein erfreulicher Gewinn, und jeder Deutsche müßte sich nach seinen Kräften bemühen, aus den ehrwürdigen Schätzen unsrer Sprache zu retten, was noch zu retten ist.

Neu hinzugefügt habe ich einen kurzen Bericht über die Ergebnisse der trojanischen und mykenischen Ausgrabungen Heinrich Schliemanns und Wilhelm Dörpfelds, sowie eine ausführlichere Erläuterung der »Laokoongruppe«, die den jugendlichen Lesern zeigen mag, wie man ein Kunstwerk betrachten soll. Aus der Beigabe der berühmten Odyssee-Landschaften Friedrich Prellers möge man ersehen, wie es sich die Verlagsbuchhandlung hat angelegen sein lassen, den Wert des Buches durch künstlerischen und vermehrten Bilderschmuck zu erhöhen. Auch die den Beckerschen »Erzählungen« hier zum erstenmal mit auf den Weg gegebene Karte wird dem Leser willkommen sein.

Zum Schlusse noch ein Wort über die Schreibung der Eigennamen. Im allgemeinen ist der Grundsatz befolgt worden, daß griechische Länder-, Völker-, Orts- und Personennamen in der griechischen Form zu schreiben seien, aber dieser Grundsatz ist mehrfach außer acht gelassen worden, so besonders in den Fällen, wo sich das deutsche Ohr noch nicht an die griechische Namensform gewöhnt hat. Gleich die Wortformen »griechisch«, »Griechen«, »Griechenland« müßten vermieden werden, wenn man den eben betonten, an sich völlig berechtigten Grundsatz mit Folgerichtigkeit und Härte durchführen wollte. Vielfach ist den griechischen Namen die bisher übliche lateinische oder deutsche Endung gelassen worden. Im letzten Grunde ist der Gebrauch entscheidend gewesen, der wohl nunmehr Zeus, Hera, Poseidon zuläßt, aber Herkules, Telemach, griechisch, Hellespont, Cyklop, Cypern ec. bevorzugt. Alle andern Kulturvölker beanspruchen das Recht, sich die fremden Namen mundgerecht zu machen: warum sollten wir Deutschen das nicht dürfen? Auf dem Gebiete der Schreibung der antiken Eigennamen das unumstößlich Richtige zu bringen, ist anerkanntermaßen ein Ding der Unmöglichkeit, und Schwankungen und Halbheit sind hier unvermeidlich, doch ist »eine zweckdienliche Inkonsequenz besser als eine folgerichtige, aber unfruchtbare Durchführung eines Grundsatzes, wo es sich um Sachen des Gebrauches handelt«.

Das nachfolgende Verzeichnis der Eigennamen, das auch die Aussprache und Betonung angibt, wird dem jugendlichen Leser, der sich die Mühe gewissenhaften Nachschlagens nicht verdrießen läßt, von Nutzen sein.

So mögen denn Beckers »Erzählungen aus der alten Welt« von neuem hinausgehen, wohlwollende Aufnahme finden und zu den alten Freunden neue gewinnen!

Zwickau i. S., vor dem Weihnachtsfeste 1904.
Prof. Dr. Reinhold Hofmann.


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