Ludwig Bechstein
Märchen
Ludwig Bechstein

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Natterkrönlein

In dem Stalle eines geizigen Bauern, der eine fromme, mildherzige Magd hatte, wohnte eine schöne Schlange mit einem goldenen Krönlein auf dem Haupte. Die konnte man des Nachts zuweilen gar wundersam singen hören, denn diese Krönleinnattern besitzen die Gabe, schöner zu singen als das beste Vögelein. Wenn nun die treue Magd in den Stall kam und die Kühe molk, oder sie fütterte und ihnen streute – was sie mit großer Sorgfalt tat, denn ihres Herrn Vieh ging ihr über alles –, da kroch manchmal das Schlänglein, welches so weiß war wie ein weißes Mäuschen, aus der Mauerspalte, darin es wohnte, und sah mit klugen Augen die geschäftige Dirne an. Dieser kam es dann immer vor, als wollte die Schlange etwas von ihr haben, und barmherzig, wie sie war, goß sie regelmäßig in ein kleines Untertäßchen etwas warme Milch und stellte es dem zierlichen Tierlein hin. Die Schlangenkönigin aber trank die Milch mit großem Wohlbehagen und wendete dabei ihr Köpfchen, und da glitzerte das Krönlein wie ein Demant oder ein Karfunkelstein und leuchtete ordentlich in dem dunkeln Stalle.

Die gute Dirne freute sich über die weiße Schlange gar sehr und nahm auch wahr, daß ihres Herrn Kühe, seit sie die Krönleinnatter mit Milch tränkte, sichtbar gediehen, viel mehr Milch gaben, stets gesund waren und sehr schöne Kälbchen brachten, worüber sie die größte Freude hatte.

Da traf sich's einmal, daß der Bauer in den Stall trat, als just die Natter ihr Tröpfchen Milch schleckte, das ihr die gute Dirne hingestellt hatte. Weil er aber über alle Maßen geizig und habsüchtig war, so fuhr er gleich so zornig auf, als ob die arme Magd die Milch eimerweise weggeschenkt hätte.

»Du nichtsnutze Dirn', die du bist!« schrie der böse Bauer. »So gehst du also um mit Hab und Gut deines Herrn! Schämst du dich nicht der Sünde, einen solchen giftigen Wurm, der ohnedies den Kühen zur Nacht die Milch aus den Eutern zieht, auch noch zu füttern und in den Stall zu gewöhnen? Hat man je so etwas erlebt? Schier glaub' ich, daß du eine böse Hexe bist und dein Satanswesen treibst mit dem Teufelswurm!«

Die arme Dirne wußte diesen unverdienten harten Vorwürfen nichts als reichliche Tränen entgegenzusetzen. Aber der Bauer kehrte sich nicht im mindesten daran, daß sie weinte, sondern er schrie und zankte sich immer mehr und mehr in den vollen Zorn hinein, vergaß alle Treue und allen Fleiß der Magd und fuhr fort zu wettern und zu toben.

»Aus dem Hause, sag' ich, aus dem Hause! Und auf der Stelle! Ich brauche keine Schlangen als Kostgänger! Ich brauche keine Milchdiebinnen und Hexendirnen! Gleich schnürst du dein Bündel, aber gleich! und machst, daß du aus dem Dorfe fortkommst, und läßt dich nimmer wieder hier blicken, sonst zeig' ich dich an beim Amt, da wirst du eingesteckt, du Hexendirne!«

Laut weinend entwich die so hart gescholtene Magd aus dem Stalle, ging hinauf in ihre Kammer, packte ihre Kleider zusammen und schnürte ihr Bündlein. Dann trat sie aus dem Hause und ging über den Hof. Da wurde ihr weh ums Herz, denn sie hörte eben im Stalle ihre Lieblingskuh brüllen. – Der Bauer war inzwischen weitergegangen; so trat sie noch einmal in den Stall, um gleichsam im stillen und unter Tränen Abschied von ihrem lieben Vieh zu nehmen; denn frommem Hausgesinde wird das Vieh seiner Herrschaft so lieb, als wäre es sein eigen.

Und da stand nun die Dirn' im Stalle und weinte sich aus und streichelte noch einmal jede Kuh, und ihr Liebling leckte ihr noch einmal die Hand – und siehe, da kam auch die Schlange mit dem Krönlein gekrochen. »Leb wohl, du armer Wurm, dich wird nun auch niemand mehr füttern«, sprach die Magd.

Da hob sich das Schlänglein empor, als wollte es ihr seinen Kopf in die Hand legen, und plötzlich fiel das Natterkrönlein in des Mädchens Hand, und die Schlange glitt aus dem Stalle, was sie vorher nie getan hatte. Das war ein Zeichen, daß auch sie aus dem Hause scheide, wo man ihr fürder nicht mehr ein Tröpflein Milch gönnen wollte. Jetzt ging die arme Dirne ihres Wegs und wußte nicht, wie reich sie war. Sie kannte des Natterkrönleins große Tugend nicht. Wer es aber besitzt und bei sich trägt, dem schlägt alles zum Glücke aus, der ist allen Menschen angenehm, dem wird eitel Ehre und Freude zuteil.

Draußen vor dem Dorfe begegnete der scheidenden und so schwer betrübten jungen Magd der reiche Schulzensohn, dessen Vater vor kurzem gestorben war, der schönste junge Bursche des Dorfes. Der gewann gleich die Dirne lieb, und er grüßte sie und fragte sie, wohin sie gehe und warum sie aus dem Dienst scheide. Da sie ihm nun ihr Leid klagte, hieß er sie zu seiner Mutter gehen, und sie solle dieser nur sagen, er sende sie.

Wie aber die Dirne zu der alten Frau Schulzin kam und ausrichtete, was der Schulzensohn ihr aufgetragen, da faßte die Frau gleich zu ihr ein gutes Vertrauen und behielt sie im Hause. Als am Abend die Knechte und die Mägde des reichen Bauern zum Essen kamen, da mußte die Neuaufgenommene das Tischgebet sprechen, und es deuchte allen, als flössen des Gebetes Worte von den Lippen eines heiligen Engels, und wurden alle von einer wundersamen Andacht bewegt und gewannen zu der Dirne eine große Liebe. Und als abgegessen war und die fromme Dirne wieder das Gebet und den Abendsegen gesprochen und das Gesinde die Stube verlassen hatte, da faßte der reiche Schulzensohn die Hand der ganz armen Dirne und trat mit ihr vor seine Mutter und sagte: »Frau Mutter, segnet mich und die – denn die nehm' ich zur Frau oder keine. Sie hat mir's einmal angetan!«

»Sie hat's uns allen angetan«, antwortete die alte Frau Schulzin. »Sie ist so fromm, als sie schön ist, und so demütig, als sie makellos ist. Im Namen Gottes segne ich dich und sie und nehme sie von Herzen gern zur Tochter.« So wurde die arme Magd zur reichsten Frau des Dorfes und zu einer ganz glücklichen noch dazu, denn wegen ihrer Mildtätigkeit wurde sie von jedermann geliebt und geehrt.

Mit jenem geizigen, hartherzigen Bauern aber, der um die paar Tröpflein Milch sich so erzürnt und die treueste Magd aus dem Hause getrieben hatte, ging es gar bald den Krebsgang. Mit der Krönleinnatter war all sein Glück hinweg; bald mußte er sein Vieh verkaufen, dann seine Äcker und zuletzt noch Haus und Hof. Alles kaufte aber der reiche Schulzensohn, und seine Frau führte die lieben Kühe, die nun ihre eigenen waren, mit grünen Kränzen geschmückt in ihren Stall und streichelte sie und ließ sich wieder die Hände von ihnen lecken und molk und fütterte sie mit eigener Hand.

Als sie wieder einmal so im Stalle beschäftigt war, erschien plötzlich die weiße Schlange, der sie ihr Glück verdankte. Hocherfreut zog die junge Frau schnell das Krönlein hervor und sagte: »Das ist schön von dir, daß du zu mir kommst. Nun sollst du auch alle Tage frische Milch haben, so viel du willst, und da hast du auch dein Krönlein wieder.«

Da nahm die weiße Schlange ihr Krönlein wieder und wohnte in dem Stalle der jungen Frau, und auf deren ganzem Gute blieben Friede, Glück und Gottes Segen ruhen.

 


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