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s war einmal ein armer Taglöhner, der hatte zwei Kinder, einen Sohn mit Namen Abraham und eine Tochter, die hieß Christinchen. Beide Kinder waren noch sehr jung, als der Vater starb, und gute Menschen mußten sich ihrer annehmen, sonst wären sie umgekommen, so arm waren sie. Das Mädchen wurde eine herrlich aufblühende Schönheit, die nicht ihresgleichen hatte weit und breit. Abraham ward ein kräftiger Jüngling und kam durch Vermittlung eines Gönners als Bedienter zu einem reichen Grafen. Ehe er aber von seiner Schwester schied, ließ er sich von einem guten Freunde ihr Porträt malen, und nahm es mit sich, denn er hatte sie sehr lieb. Der Graf war mit Abraham sehr wohl zufrieden, bemerkte jedoch öfters, daß er ein weibliches Porträt aus dem Busen zog und küßte; er verwunderte sich darüber, da Abraham still und sittsam war und kaum aus dem Hause kam; er fragte ihn deshalb, ob das Porträt seine Geliebte vorstelle und betrachtete sich's genauer, als Abraham sagte, es sei seine Schwester. »Ist deine Schwester so schön«, sagte der Graf, »so wäre sie wohl wert, eines Edelmanns Weib zu sein!« – »Sie ist noch weit schöner!« entgegnete Abraham. Der Graf war entzückt und sandte heimlich seine Amme nach dem Orte, wo sich Christinchen befand, um sie nach seinem Schlosse zu holen.
Die Amme fuhr mit einem vierspännigen Wagen vor das Haus von Christinchens Pflegeeltern, grüßte sie von ihrem Bruder und sie solle mit ihr nach dem gräflichen Schloß fahren. Christinchen sehnte sich sehr, ihren Bruder wieder zu sehen und war bereit zu folgen; sie besaß aber ein Hündchen, das sie einst aus dem Wasser gerettet hatte, das hieß Zitterinchen und hegte große Anhänglichkeit an sie. Das Hündchen sprang mit Christinchen in den Wagen. Die Amme hatte jedoch einen schlimmen Plan gefaßt. Als sie am steilen Ufer eines großen Flusses hinfuhren, machte sie Christinchen auf die Goldfische aufmerksam, die in den blauen Wellen spielten, und da Christinchen unbefangen aus dem Kutschenschlag hinaussah, stürzte sie sie in den Fluß, während der Wagen weiterfuhr. Die Amme hatte eine Base, die schon eine alte Jungfer war; mit dieser hatte sie bereits verabredet, an einem gewissen Ort zu warten, und als der Kutscher seine Pferde tränkte, stieg sie heimlich in den Wagen. Sie trug einen dichten Schleier, und die Amme unterwies sie, dem Grafen zu sagen, sie habe ein Gelübde getan, ihren Schleier innerhalb eines halben Jahres nicht zu lüften.
Die verhüllte Dame ward vor den Grafen geführt, der sie inständig bat, den Schleier zurückzuschlagen, sie verweigerte es jedoch standhaft und der Graf ward um so begieriger. Er vertraute der Redlichkeit seines Abraham, der die Schwester ihm noch viel schöner geschildert hatte, als das Porträt war. Er erbot sich daher, sie zu seiner Gemahlin zu erheben. Der Priester ward gerufen und die Trauung vollzogen. Nach dieser Feierlichkeit weigerte sich die Dame nicht länger, den Schleier zu lüften; doch wie erschrak der Graf, als er statt eines jugendlich frischen ein abgeblühtes Gesicht sah! Er geriet in den höchsten Zorn und ließ Abraham in ein Gefängnis werfen, trotz dessen Beteuerungen, daß dies seine Schwester nicht sei; das betrügerische Bildnis ließ er in den Rauchfang hängen.
Eines Tages hatte der Bediente, der in des Grafen Vorzimmer schlief, eine seltsame Erscheinung. Eine weiße Gestalt stand vor seinem Bette und rasselte mit Ketten und sprach in leisem, wehklagendem Ton: »Zitterinchen, Zitterinchen!« Darauf kroch das Hündchen, das bisher im Schlosse geduldet worden war, unter dem Bette hervor, wo es geschlafen, und antwortete: »Mein allerliebstes Christinchen!« – »Wo ist mein Bruder Abraham?« fragte die Gestalt weiter. »Er liegt gar hart gefangen in Ketten und Banden!« versetzte das Hündchen. »Wo ist mein Bild?« – »Es hängt im Rauch.« – »Wo ist die alte Kammerfrau?« – »Sie liegt in des Grafen Arm.« – »Daß Gott erbarm! Nun komm' ich zweimal noch, und werd' ich nicht erlöst, so bin ich verloren für dieses Leben.« Die Gestalt zerfloß darauf wie ein Nebel. Der Bediente glaubte geträumt zu haben und sagte seinem Herrn nichts von der Erscheinung. Aber in der folgenden Nacht ward dieselbe Szene vor seinem Bett aufgeführt, doch rasselte die Gestalt mit ihren Ketten mehr als das vorige Mal und sagte, sie werde nun noch einmal kommen. Diesmal war der Bediente seiner Sache gewiß; er entdeckte den Vorgang seinem Herrn; dieser ward nachdenklich und entschloß sich, die Erscheinung zu belauschen. Er stand um die zwölfte Stunde hinter der angelehnten Türe des Schlafzimmers und lauschte. Endlich sah er die weiße Gestalt plötzlich in dem Dunkel des Vorzimmers auftauchen, hörte sie mit ihren Ketten rasseln und sprechen: »Zitterinchen, Zitterinchen!« und das Hündchen antwortete: »Mein allerliebstes Christinchen!« – »Wo ist mein Bruder Abraham?« – »Er ist gar hart gefangen und liegt in Ketten und Banden.« – »Wo ist mein Bild?« – »Es hängt im Rauch.« – »Wo ist die alte Kammerfrau?« – »Sie liegt in des Grafen Arm.« – »Daß Gott erbarm!« Da öffnete der Graf rasch die Türe, griff nach der Erscheinung und hielt eine schwere Kette in der Hand, die in dem Augenblick sich von der Gestalt abstreifte. Die gespenstische Erscheinung war zu einem holden Frauenbild geworden, das ihn anlächelte, und das wohl Ähnlichkeit mit jenem Bilde hatte, aber es an Schönheit noch weit übertraf. Der Graf bat um Enträtselung des Geheimnisses. Nun erzählte Christinchen, wie die alte Amme sie ins Wasser gestürzt, die Nixen aber hatten sie mit ihren grünen Schleiern aufgefangen und sie in ihren unterirdischen Palast geführt. Sie habe eine der Ihrigen werden sollen, habe sich doch geweigert und die Nixen hätten ihr endlich erlaubt, in drei Nächten in des Grafen Vorgemach zu erscheinen. Würden zu diesen dreien Malen ihre Ketten nicht gelöst, so sei sie unwiderruflich verbunden, eine Nixe zu werden.
Der Graf war über diesen Bericht ebenso erfreut als erstaunt. Abraham wurde aus seiner Haft entlassen und in die Gunst des Grafen erhoben, in denselben Kerker aber ward die böse Amme geworfen, und ihre Base aus dem Schlosse gepeitscht; Christinchens Bild wurde aus dem Rauchfang genommen und Christinchen selbst ward des Grafen Gemahlin. Zitterinchen leckte schmeichelnd die Hand der Herrin; als sie ihm aber liebkosend versprach, daß es nun gute Tage bei ihr haben sollte, verwandelte sich's in eine schöne Prinzessin, die dem verwunderten Christinchen ihr Schicksal erzählte. Sie war von einer bösen Zauberfrau verwünscht gewesen und war durch Christinchens Erlösung selbst erlöst worden.