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Das sechszehnte Kapitel, welches den Schluß des Abenteuers erzählt

Der Chevalier ließ Amaryllis, die von vielfarbigen Schleiern bedeckt auf dem Divan lag, und trat mit dem Bilde ihrer entblößten Brüste, zwei Magnolienknospen im Schnee, ans Fenster, blickte in die Nacht, über schwarze Baumkronen weg in einen mit schwachem Flimmern atmenden tiefblauen Himmel.

Er war im Hause Loges, des Schriftstellers, der ihm ganz unbewegt schien von Fragen des Glückes und Nicht-Glückes, so unverständlich war ihm Teilnahme, ja auch nur Interesse an der eigenen Person in der wirklichen Welt, deren Geschehnisse er, soweit sie ihn berührten, erlebte mit allereinfachsten Entscheidungen aus Recht und Unrecht, passend und unpassend, ohne dem Bedeutung über solches jeweilige Entscheiden hinaus zu geben oder gar Schlüsse daraus zu ziehen. Denn er lebte mit seiner ganzen Teilnahme nur seiner inneren Person, die sich schreibend äußerte und mit welcher er sich in einer völlig andern Welt befand als jene ist, welche handelt und in der Anstrengung, Denken und Handeln in eine moralische Abhängigkeit von einander zu bringen, sich sehr dramatisch wohl, aber auch immer nur im Vorläufigen, im à peu près vollzieht. Als Schriftsteller, der er in seiner Essenz war – und das bedeutet nicht einen Bedichter, Schön- oder Schwarzfärber des wirklichen Lebens, dem er sittlich damit dient – als Schriftsteller in seiner Essenz lebte Loge in einem Leben ohne Polaritäten, also in einem absoluten Leben, nämlich dem der Lüge, was eine metaphysische Kategorie bedeutet, keine im Sinn des andern Lebens sittliche. In diesem andern, dem wirklichen Leben war, wie schon gesagt, dieser Mann ganz dem gewöhnlichen Brauche gebeugt, arm an Worten, höchst simpel, einfältig fast. Hier funktionierte er, soweit Funktion von ihm verlangt wurde und hätte sie seinen gewaltsamen Tod mit sich gebracht, hätte er ihn ohne weiteres hingenommen als das Sterben seines ganz zufälligen Leibes, ohne Gestikulation, ohne die Attitüde von Zustimmung oder Protest. Den im Leeren laufenden Mechanismus dieses wirklichen Lebens hatte er längst als ein kleines Detail des Irrtums des Menschen über sich selbst erkannt, woraus neben der sich abrasenden Mannigfaltigkeit des wirklichen Lebens auch dessen Nicht-Sein sich ergebe, wenn man es, wie Leidenschaft der Menschen sei, an der Wahrheit messen wolle, einem sittlichen Begriff des Demiurgen.

An diesen seinen Gastgeber dachte der Chevalier und hatte die kleinen Brüste der schlummernden Frau vergessen, die auf dem Divan lag.

Aber sie lag nicht mehr da, als er sich zurück in den Saal wandte. Amaryllis war in den flandrischen Gobelin zurückgekehrt, der die Wand neben dem Kamin deckte. Da stand sie im verblaßten Gewebe, dem liebend beschauendes Auge die Farben gibt, stand sie, blickte mit grauen Augen weiß Gott wohin und hielt mit schlanken Fingern den Schnee, in den zwei Magnolienknospen versanken.

 


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