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Das fünfzehnte Kapitel, welches von einem Liebesabenteuer des Chevalier Tannhäuser berichtet

Es mußte im Programm von des Chevalier Education sentimentale liegen, daß er eine Liebesgeschichte erlebte, ihm die Abenteuer mit Venus und ihrem Hofe zu einer Erkenntnis zu läutern besser geeignet, als die Gespräche mit von Pâris und Sholeros, die dem Abenteuer aber doch, wie leicht man erkennen wird, vorausgehen mußten, die Gespräche sowohl wie die Scherze im Venusberge.

Die Einform ihrer Tage entmutige sie und sie träume von einer Wunde, die ihr von ganz hoch oben ins Herz falle, sagte das blonde Kind Amaryllis und: »ich dankte dem Schmerz, an mein Herz gedacht zu haben«. – »Freutest du dich nicht in deinem unverwundeten Herzen, spräche einer deinen Namen mit aller Zärtlichkeit der Liebe aus?« fragte Tannhäuser, und Amaryllis sagte: »Liebte ich, müßte die Ewigkeit auf meine Tagesblüte eifersüchtig sein.« Man sieht, das Mädchen trank mit der Naivität ihrer blauen Augen weiß Gott für eine himmlische Ambrosia. Darum sagte der Chevalier auch: »Selbst der Gottessohn konnte nur leben durch Leiden und Tod.« Die Kleine von siebenzehn Jahren wollte Flügel, ob samtene der Fledermaus oder stachlige des Magrabu, sie wollte. Sie wollte. »Tu meinem Willen nicht Gewalt an,« sagte sie auf Tannhäusers Wort: »Gib dich hin, denn liebend liebst du dich, also bist du prädestiniert.«

»Nimm mich,« sagte sie.

»Ganz?«

»Bin ich zwei?«

»Es ist Fleisch und es ist Geist.«

»Ich bin nicht eins, nicht das andere. Ich bin Frau. Ich werde, was du aus mir machst.«

»Ich kann dich nur pflücken und dich den Preis des Saftes fühlen machen, der aus deiner Wunde träufelt. Freu dich, Traube zu sein, die ausgepreßt wird, reiner Wein zu sein, der getrunken wird für königlichen Rausch. Sei zwiefache Jungfrau, sei vergeistigtes Fleisch, sei leibhaft gewordener Geist.« Aus einer Kapelle nah bei kam im Chore:

Procul recedant somnia
Et noctium phantasmata.

»Stimmen bitten für die Reinheit deiner Träume und daß die Phantasmen weichen« sagte der Chevalier.

Ihre Jungfräulichkeit erfuhr das Erstaunen, einen fremden Mann aufgenommen zu haben und fragte sich, wie sie nur zuvor so Unsinniges reden, so Törichtes hatte anhören können. Alles war ihr nämlich nun ganz klar, Licht in halbgeschlossenen Augen und Gedanken sich schwingend wie Vögel im Gezweig. Sie begriff die Konvergenz aller Wahrheiten zu einem zentralen Punkt ihres Fleisches. In einer fast Ewigkeit währenden Sekunde wurde sie überzeugt, daß ihr eigenes Wesen für immer das Wesen des All und Ganzen eingesogen habe und hielte. Sie verging darüber.

Erwacht empfand sie nichts als große Müdigkeit und das Unerträgliche, düpiert worden zu sein. Aber es hatte Tannhäuser keine andern Mittel gebraucht als freundschaftliche Art des sich Insinuierens, entzückend zärtliche Frechheit, einige besondere Gesten und den etwas verwirrenden Aplomb von Männern, die ihre Kraft kennen und die Konsequenzen eines kühnen Coups zu messen verstehen. Nichts weiter. Amaryllis schenkte dem Chevalier ohne Ranküne eine gewisse Freundschaft, was ihn, der richtig lieben wollte, verstimmte. Denn sie zeigte nur Überraschtheit, nichts weiter, und war weiterhin traurig, so wenig zu leben, jetzt aber traurig aus Enttäuschung, nicht mehr aus Unwissenheit. Sie war von der Empfindung jener defloranten Sekunde schon so weit entfernt, daß sie auf eine daran rührende Frage Tannhäusers sagte: »Es ist nicht viel mehr als wenn man einen Pfirsich ißt.«

Der Chevalier erlebte Minderung seiner Lust bis auf Null, erfahrend, daß das sexuelle Vergnügen nur Echo dessen ist, das man gibt. Er pflückte weiterhin Amaryllis wie man zerstreut eine Frucht greift, die über eine Mauer hängt. Er begann an der Legitimität dieser Defloration zu zweifeln. Aber mit der Wiederholung gleicher Sensationen stärkte sich das Gedächtnis Amaryllis' und sie konnte aussagen, daß jener Sekunde Inhalt ein undeutliches Gefühl Fliegens in den Äther sei – »aber es sollte dauern, immer sein, nicht nur einen Augenblick, ob kurz oder weniger kurz, es ist doch immer nur ein Augenblick.«

»Es gibt nur Augenblicke. Man kann in einem Kuß nicht die Unendlichkeit einfangen,« sagte der Chevalier.

Die undeutliche Antwort des Mädchens meinte Häufung dieser Augenblicke, fast ein Kontinuum; es geschah das Möglichste und wurde Gewohnheit. Man schüttelte Erinnerung daran unwillig ab, daß, was man erst unter mystischen Liturgien zelebrieren zu müssen glaubte, dem Gemeinen so benachbart war: eine Enttäuschung, Kindern sehr wertvoll, die für Verlust halten, was in der Tat Gewinn ist. Denn der Mann begreift nun die absolute Nutzlosigkeit der Bewegung, geht in sich selbst zurück, interessiert sich nur noch für den Gedanken und schränkt seine Beziehungen zur Welt auf das unbedingt Notwendige, auf das Urgente des materiellen Substrates ein. Fragen, welche die Völker und Individuen bewegen, bekommen nun die Bedeutung des Strohhalmes, der einen Ameisenhaufen revolutioniert.

Amaryllis schien sich geeignet, solche Wendung des Chevaliers anzunehmen; man nannte sich »Die Liebe« und kletterte den Kreuzberg hinan.

Auf dem Wege glaubte Tannhäuser es der Frau und ihrer Unwissenheit in einer so sehr geschätzten Kunst schuldig zu sein, die letzten Körner des profanen Weihrauches zu verbrennen. Hätte er es auch lieber gehabt, daß sie darauf als ihr widerwärtig verzichtete, so fand er sich doch mit ihrer Neugierde ab, welche diese Probe ertrug, und man verbrauchte also methodisch alle Artikel des gnostischen Evangeliums bis hart an die Grenze der Erschöpfung.

Die erwartete Katastrophe des Fleisches traf ein. Amaryllis bemerkte, daß die Gleichheit der Mittel bei aller scheinbaren Differenz der Wollüste sich aus dem immer gleichbleibenden Ziele ergäbe, ja, daß das Ungewöhnliche durch seine Wiederholung sich in nichts vom Banalen unterscheide. Das Beendete immer wieder beginnen, also beim Nichts beginnen, ergäbe als Ganzes immer wieder das Nichts. »O Tannhäuser, ich bin vielfach betrogen und kann es dir nicht sagen, wie sehr müde ich bin! Warum hast du mich in das Gräuliche dieser Lüste gezogen!« Der Chevalier sprach doch wie Tertullianus, als er darauf antwortete: »Auf daß du wahrhaft ohne fleischliche Hoffnung seiest und die Demütigung erführest, ein unersättliches und lügnerisches Geschlecht zu haben.

– »Führen wir so fort, ich würde dich verachten,« sagte Amaryllis, »deine schrecklichen Lippen schmerzen meine Augen, wenn ich sie ansehe, nachher.«

– »Es graut mir vor deinem Leibe, Amaryllis, aber dein Profil zu sehen ist mir Lust.«

– »Gib mir meine Reinheit wieder, Tannhäuser!«

In solchen menschlichen höchsten Nöten werden immer die Schutzengel hörbar, die uns mit der Luft umgeben. Also sagte jetzt eine Stimme: Hostemque vostrum comprime, Ne polluantur corpora! Denn das Wort wird manchmal zu Worten verdichtet in einer hilfreichen, die Hand reichenden Metaphorie.

»Daß Besudelung unseren Leibern fernbleibe,« wiederholte der Chevalier, und Amaryllis sagte: »Jetzt, in Zukunft und im Vergangenen, denn was gewesen ist, das soll entwesen, bis auf das Erinnern. Denn dies, Tannhäuser, möchte ich bewahren: das Erinnern an dein Eindringen in meinen Leib zu dessen leuchtender, aber vergeblicher Verherrlichung. Denn ich will Frau bleiben, was ich durch dich wurde. Es war so entzückend, als wir uns mit Ungeschick gegen die Lust wehrten, den bittern Apfel zu teilen.«

Relativ wie alle Frauen wollte Amaryllis den Kreis nicht ohne Hoffnung auf eine Lösung schließen. Nah an den Gipfel des Scherbenberges geführt, im Schatten schon, den das Kreuz warf, wehrte sie sich noch dagegen, das Heil, als nur der Person zukommend, zu erkennen und wollte sich nicht Dispens geben von der Liebe zum Nächsten, was auch immer Tannhäuser sagen mochte, der auf dieser Station keine andere Beziehung als die zum Unendlichen gelten lassen wollte. Denn hier befände man sich unmittelbar vor der seligen Schauung, in der völligen Nacht des Willens, im Wissen des Nichts, nicht durch eine logische Deduktion zu gewinnen, sondern durch einen Akt des Glaubens. – »Ach, wir sind so pharisäisch!« rief Amaryllis.

– »Das sind wir, weil wir Geschlecht sind. Du tust, als ob du mir zuhörtest und du denkst an Umarmung,« sagte der Chevalier etwas grob, wie Amaryllis ihm vorwarf, denn sie wollte doch noch immer seine Illusion sein. Eine zerstreute Hand streichelte ihr blondes Haar.

– »War denn unsere Sünde nicht sehr rein?« fragte die Frau mit reizender Unvernunft.

– »Die Sünde kann nicht rein sein, denn sie ist immer mittelmäßig, ein in sich unvollständiger Akt, dumm aus eigener Natur. Im Gegensatz zum göttlichen Gedanken bleibt sie auf dem halben Wege des Widerspruches stehen, denn das Absolute ist im Bösen nicht möglich.«

Aber Amaryllis beharrte: »Ich lebe von den Empfindungen, auch wenn sie nichtig sind, auch wenn sie unvollkommen sind: ich lebe davon,« und umschlang seine Knie. Ein kleiner Hügel von Kissen war Dekor des Zwischenspieles, nach dem Amaryllis mit einem raschen Aufblick sagte: »So kann man mich kennen, anders nicht.« Und der Chevalier dachte: Die Seele mit der einzigen Drogue zu behandeln, welche sie reinigt, mit dem Schmerze, das ist sicher höchste Caritas, aber nie schwerer zu üben als gegen Geschöpfe, die man liebt! Und man weiß nicht, wird das Opfer die Hand des Henkers lecken oder beißen. Ganz mir hingegeben, wie sie sagt, ist sie doch für sich selbst nicht mehr: kann etwas, das nicht ist, sich auflehnen? Imbecilla pluma est velle sine subsidio Dei. Sie hätte eine Seele? Eine ewig verneinde, deren Rauch nur den Blick ins Unendliche verdunkelt und deren Fleischgeruch sich in meinem Hause des reinen Verlangens einnistet.

– »Sprich nicht so, Tannhäuser! Mach die Kohle, die nicht brennt, zu Staub, zunichte, und ich werde sterbend noch zu deinen stummen Lippen beten.« – »Du verfluchst mich, Amaryllis.« – »Dann trenne mich nicht von deiner Verfluchtheit, und wir werden zu zweit in der Hölle sein.«

Wie dumm sind die überregten verliebten Frauen, dachte der Chevalier. »Wenn du verdammt bist, so hassest du mich ja, denn die Hölle ist nichts als Haß. Und wenn in Augen Freude aufleuchtet, so in den toten Augen eines Verdammten, der neben jener leidet, der er ehmals den Springquell seines geopferten Herzens geöffnet hat.«

Da warf sich Amaryllis auf ihren Henker und küßte die Hände, welche ihr die Glieder brachen und welche hart blieben. Und der Henker tat sein grausamstes Werk, indem er, sie hinwerfend, die vom Grauen gelähmte Frau böse besaß. Sie erstarb in einem infernalischen Paradiese, und als ihren Augen Tränen entflossen, trank Tannhäuser sie wie Tropfen Blutes. Nun begriff der Chevalier reuevoll den Irrtum dieser mystischen und intellektuellen Kommunion mit einem Weibsgeschöpfe, denn je höher er diese Freundin bringen wollte in der Liebe wie im Wissen, um so mehr gefiel es sich in Abstürzen, der Logik seiner Natur folgend, die schwerer war als die geistige Luft. Sie ahnte seine Meinung und paßte ihr sich naiv an: so bekam er von ihrem Wesen nur negative Kenntnisse. Sie trank, was er dachte, ihm aus den Augen. Lebte sie denn überhaupt für sich? Sehr wenig. Was ihre Seele tat, schien sie aus dem intellektuellen und sinnlichen Kontakt mit seiner Person zu ziehen. War der Chok zu heftig, so daß er sie kongestionierte, so verstummten ihr Fiebern und sie lag neben ihm mokant in Sterilität wie ein stumpfes Tier. So wurde dem Chevalier Gewißheit daß er die Frau ihrem normalen Wesen zurückgeben müsse und für sich selber wieder den Weg finden ohne indiskrete Aspirationen.

 


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