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Das fünfte Kapitel, welches berichtet von dem Ballette, das der Venus Komödianten tanzten

Eine Schar von Faunen und Sylvanen hatte Früchte und frischen Wein aufgetragen und nun steckte man die Kerzen im Orchester an, während die Musikanten auf ihre Plätze eilten. Der beste aller Dirigenten, der herrliche Titurel de Schentefleur war Chef d'orchestre. Tief tauchte sein Taktstock in die Partitur und holte an den Tag, was sie an Pracht und Zauberei enthielt, und es schien, als ob er selber jedes Instrument spiele, weit mehr als daß er dirigiere. Selbst dem Scarlati konnte er noch um eine Grazie mehr geben, und noch um ein Wunder mehr dem Beethoven. Es war ein dünnes, kleines Männchen, mit wulstigen Lippen und einer gestülpten Nase, mit schwarzen Haarsträhnen und einem Bärtchen à la Grolière. Über seinen Geschmack in der Liebe wußte niemand im Venusberg etwas zu sagen. Titurel galt für vollkommen jungfräulich; Cathes nannte ihn spöttisch den Einsiedler.

In dieser Nacht trug er ein ordenfunkelndes Hofkleid aus weißer Seide, und das Haar schimmernd gewellt, daß es bei jeder heftigen Bewegung des Armes erzitterte und in den Ohrläppchen die Brillanten sichtbar machte, die Venus ihm geschenkt hatte.

Das Orchester trug die übliche Uniform – rote Jacken und ebensolche Beinkleider, mit Goldspitzen besetzt, weiße Strümpfe, rote Schuhe. Titurel hatte nach Bergérac's Komödie Les Bacchanales de Fanfreluche ein Ballett für den Abend geschrieben, die Choreographie sowohl wie auch die Musik. Der Vorhang ging auf: ein flußdurchströmtes entlegenes Tal Arkadiens bot sich dem Anblick, frisch und pastoral wie eine reine Quint. Eben ging die Sonne auf und weckte, wie der Prinz im Dornröschen, die Erde aus dem Schlafe mit ihren strahlenden Lippen. Aller Tau der Nacht lag gefangen in dem Gold ihrer Arme, daß es leuchtete; es wachten die Bäume auf aus ihren dunklen Träumen, die Vögel öffneten die Augen und die Blumen erfaßte Freude, denn vorüber waren ihre Ängste vor dem Dunkel.

Da sprang zu Pfeife und Horn aus dem Grund des Waldes eine Schar Satyrn hervor mit Zweigen und Blüten in den Händen, mit Wurzelwerk und Früchten des Waldes, um es vor den Altar des großen Pan zu legen, in der Mitte der Bühne errichtet. Und vom Hügel nieder stiegen Schäfer und Schäferinnen, trieben ihre Herden vor sich her mit blumenumkränzten Stäben. Zuletzt kam langsam der weißgekleidete, ehrwürdige Priester der Hirten aus dem Tale, von einer Schar strahlender Kinder umgeben.

Das Ganze war sehr reizend für die Bühne erdacht in seiner mannigfaltigen und doch harmonischen Buntheit. Der einfache Gottesdienst war im Ritus genügend ausgestaltet, um dem Corps de Ballet Gelegenheit für seine Geschicklichkeit zu geben. Der Tanz der Satyrn fand starken Beifall, und beim Schlußsegen des Priesters bildeten alle auf der Bühne ein so kompliziertes und elegantes Tableau, daß es nur die eine Meinung gab, Titurel hätte nie zuvor etwas schöneres erfunden.

Die Bühne war nur für einen Augenblick leer, denn schon betrat sie Sporion mit einem glänzenden Gefolge von Dandys und äußerst eleganten Damen. Sporion war ein langer, schlanker, verdorbener junger Mann mit etwas gebeugter Haltung, etwas unsicherem Gang, einem ovalen starren Gesicht, tiefroten Lippen, schmalen japanischen Augen und einem hohen goldenen Toupet. Er trug einen lachsfarbnen Atlasmantel mit hohem Kragen, von dem lange schwarze Bänder lose um seinen Körper hingen. Unter dem Mantel trug er einen meergrünen Frack aus Musselin, in der Taille von einer purpurnen Schärpe mit ausgezackten Enden umschlungen und über den Hüften mit einer Spitze besetzt, die sechs Zoll von seinem Leibe abstand. Lose faltige Beinkleider reichten bis ans Ende der Waden, wo sie sich in brokatnen Rüschen reich um die Knöchel legten. Er hatte Zehenstrümpfe aus weißem Handschuhleder an und darüber reizende rote Sandalen gebunden. Das Auffallende aber waren seine kleinen Hände, die aus dem Spitzengefalbel der Ärmel zum Vorschein kamen, sehr geschmeidige, gespitzte Finger mit ganz dünnen rosafarbnen Nägeln, Handteller mit exquisiten zarten Buckeln und Linien, wie der Lord Fanny in Love at all Hazards, und bläulich geäderte Handrücken ohne ein Härchen. In der Linken hielt er ein zärtliches, mit einer Krone besticktes Spitzentaschentuch.

Sporions Begleitung stellte dazu die übermütigste und scharmanteste Gesellschaft – ein Kapitel wäre allein darauf zu wenden, bloß die Toiletten zu beschreiben, und es wäre nicht kürzer als jenes berühmte 10. in Pénillière's Geschichte der Unterwäsche. Es genügt daher die Feststellung, daß es ein äußerst distinguiertes Ensemble war.

Sporion trat vor und erklärte in deutlichen Gesten, daß er und seine Begleitung, aller kümmerlichen Freuden einer bürgerlichen Welt müde, dieses arkadische Tal in der Hoffnung aufgesucht hätten, neue Frissons darin zu finden, daß sie die Unschuld dieser Hirten und Satyrn zerstören und die Wirkung ihres Giftes auf diese einfachen Waldmenschen beobachten wollten. Der Chor akkompagnierte mit müden, aber ausdrucksvollen Bewegungen.

Voller Neugierde, aber ohne Furcht vor dieser weltlichen Gesellschaft, spähten die Waldbewohner durch das Gezweig der Bäume auf die feinen Damen und Herren, und da krochen auch schon ein, zwei Faune, ein und der andere Hirt vorsichtig hervor. Mit schmeichelnden Gesten lockten sie Sporion und die Damen herbei und luden die Ländlichen sehr graziös ein, ihnen Gesellschaft zu leisten. In stockenden Schritten kamen sie nun zurück, angezogen vom seltsamen Aussehen, vom neuartigen Getu und den fremdartigen Kleidern, ja manche kamen schon ganz nah und betasteten mit furchtsamen Fingern Stoffe und Gewebe. Nun ergriff Sporion und jeder seiner Freunde einen Satyr oder einen Schäfer bei der Hand und huben an die ersten Pas eines höfischen Tanzes, für den Titurel die entzückendsten Figuren und die reizendste Musik erfunden hatte.

Das ob der gemessnen und graziösen Bewegungen ganz verblüffte Vollmachte die verzweifeltsten und komischsten Anstrengungen, sie nachzuahmen. Es war ein köstlicher Anblick, dio mio! Und hübschen Effekt machte auch dieses pêle-mêle von bestrumpften Waden und behaarten Beinen, von brokatnen Taillen und simplen Kitteln, von kunstvollen Coiffüren und ungezähmten Locken. Nach diesem Tanze brachten Sporions Diener Champagner herbei und gossen ihn mit vielen Pirouetten grandios in die Stengelgläser, bewegten sich tänzelnd und bedienend ununterbrochen unter den arkadischen Schafsköpfen, die zum ersten Male solches königliche Getränk genossen. Der Vorhang fiel mit einer schamhaften Schnelligkeit über dieser Szene.

Er brauchte nicht lange Zeit, daß sich die Eindringlinge der ersten Früchte ihres Unternehmens freuen konnten und sie pflückten sie mit ihren polierten Fingern und servierten sie ihren Lippen, Zähnen und Zungen auf das festlichste, während die Schäfer, Satyrn und Schäferinnen brav im Zauber dieser ungekannten neuen Freuden schwitzten und keuchten – was an Vergnügungen gekostet hatten, war zum größten Teil für ihre einfache und undurchfurchte Natur zu gewagt. Aber Sporion und die andern Lüstlinge wie auch die Damen, reizte der Kitzel und sie tollten wie Lämmer auf einer grünen Wiese umher; aufs neue machte der Wein die laufende Runde und machte das Tal lebendig wie einen Markt. Nun sprangen die lieblichen Kinder, von denen ich schon sprach, angelockt von Lärm und Lust, auf die Szene, klatschten die Hände lachenden Gesichts und ahmten das atemlose geile Stakkato der Sprünge und Tänze in ihrer kindlichen naiven Art nach.

Da riß sich Sporion aus dem Kreise und mimte mit Händen und Beinen, als wollte er sagen: »O, die entzückenden Kinderchen! Nein, diese süßen Schreihälse! Ach, diese allerliebsten Püppchen!« Er hatte Kinder gern. Und da hatte er auch schon eines beim Schenkelchen erwischt und da griff auch schon alles nach diesen leckeren Gliedern, tätschelte und pätschelte. Wie alles aufkreischte kann man sich vorstellen. Aber es gab natürlich nicht für jeden ein Kind und manche mußten sich in eins teilen. Ich darf übrigens nicht vergessen eine gleichgültige Haltung zu erwähnen, die sechs oder sieben aus der Gesellschaft einnahmen, die mit halbgeschlossenen Augen, atmenden Nüstern und aufeinandergepreßten, von den Lippen entblößten Zähnen saßen oder standen und sich benahmen wie der Fürst von Broglie, wenn er den Liebesschlachten des Regenten Orléans zusah.

Sporion und seine Genossen begannen erschöpft zu werden in ihrem Kinderspiel, aber sie bemühten sich um nichts Neues mehr, ließen ihre Muskeln sich entspannen und gaben sich nur noch den erleidenden Genüssen hin, heulend in den Glutumarmungen der Satyrn, deren Ausdauer kein Ende zu haben schien. Gelehrig in den neuen, diesen Morgen erfahrenen Tricks übten sie sie voll wilder Leidenschaft in dem gepflegten Fleische, wobei herrlichste Fräcke und entzückendste Kleider in Fetzen hingen. Herzoginnen und Herzöge, Marquis und Prinzessinnen, Marquisen und Prinzen wurden geschändet, zerspalten, zerquetscht und zerknüllt von der maßlosen Kraft der haarbrüstigen Waldmenschen, die in die weißen Schenkel einbissen und ihren Rüssel wie wütend in alle Öffnungen des Leibes bohrten. Rücklings hockten sie auf den Busen der Damen und trieben es wie toll mit ihren Brüsten. Packten ihr Opfer bei den Hüften und Backen und pflöckten wirbelnd mit verblüffendem Geschmack. Das Tal Tempe hatte seinen Triumph. Die Sonne war hoch in den Zenit gestiegen, alle Luft durchwärmend mit spendenden Händen, und die Schatten wurden kurz und scharf. Leichtflügelig taumelten nun Schmetterlinge über die Szene, Bienen summten in den Blumenkelchen, Vögel konzertierten das Durcheinander ihres Refrains, an dem Hügel hin blökten die Lämmer, und das Orchester spielte weiter Titurels maliziöse Melodie.

 


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