Ernst Barlach
Güstrower Fragmente
Ernst Barlach

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Frost-Sonntagsmorgen

12. Jan. 1913

Alle Erde, jedes Feld, jeder Weg ist im Ostwind vertrocknet, im Frost eingedickt, gehärtet, erstarrt. Das Eis der Teiche und Tümpel trägt, aber ein wenig knarrt es doch, wenn man den ersten Fuß drauf setzt; Schlammgewächs, Grasbülten und was im Wasser hängt oder überm Grund schwebt und lagert, rucken unterm Eis, wo man über sie schreitet, als duckten sie sich beiseite. Und der feingestäubte Schnee hat Rillen und Furchen, Hänge und Hecken gesucht, überall, wo der Wind nicht stäuben kann, wo Ruhe ist »achtern Oewer«, da sitzt Schnee wie frischer Schimmel anzusehen. Die Mühle mahlt frostigen Ostwind, schwingt die Flügel, als müßte sie sich wärmen, und läßt das Gesaus der Windwirbel zwischen schräg gestellten Flügelbrettern durchdrängen und ist so heftig am Werke, als wüßte sie, wie viel tausend Meilen der Osten tief ist, den sie durchzufiltern, zu zerreißen und zerfetzen, zu Windmehl zu mahlen auf dem robusten Rücken ihres Stand-Hügels, von den Feldern ringsum mit unbeschränkter Ellbogenfreiheit ausgestattet, berufen ist. Vom Kamelshöcker sieht man sie in ganzer Gestalt und hört ihr Sausen gegen den Wind. Aber in dem Dornwerk und Gesträuch saust der Wind wie ein ewiger Kälteschauder, selbstklagend und Klagen erpressend, unter dem Wipfel des niedrigen Baums liegt der Mist der Krähen, die wir von weitem schon, vom Wind durcheinandergedrängt, aber über demselben Punkte hängend, die gemeinsame Not gesellschaftlich bekrächzen hörten, und die Rehspuren im harten Boden, zwei gegeneinander gestellte Kommas, die schon vor einer Woche der weichen, saftigen Erde eingestochen wurden, stehen beim Frost wie scharfe Fußeisen für Däumlinge schnappgierig überall auf grausamer Lauer. Von wilden Gänsen hängt ein Keil in der Luft und zielt seinen Riesenpfeilschuß grade auf den Sumpfsee, von dem sie aufgestanden sind, dem Winterquartier nördlicher Gäste. Harmonisch klingt ihr Geschrei, was auch der klavierspielende Bürger sagen möge, von kalter Höhe durch den strömenden Ostwind herab. Kein Beklatschen gemeinsamer Not, denn von Not ist vorläufig kein Anzeichen da. Eher könnte man es als das zufriedene Ächzen des Winterwetters nehmen, das nun endlich so etwas wie Kristallisierung seiner Art spürt und dabei ein Knacken in den Winkeln, ein Knirschen in den Fugen nicht lassen kann. Der Winter streckt sich behaglich übers Land, da schnurren aus seinem Behagen allerlei Töne heraus, und da streckt sich das Biegsame und unsicher Geformte langsam zum Starren und zieht sich zum Harten zusammen.


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