Ernst Barlach
Güstrower Fragmente
Ernst Barlach

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Weidegang am Abend

Aus der Stadt das Licht fängt sich in der feuchten Luft und hängt wie ein verankerter trüb-leuchtender Lichtschaum geballt oben fest. Aber vorsichtig leises Ausklingen des Lichts hinein in das Dunkel-Meer ringsum läßt sich nicht abhalten, weithin zu lispeln. Wer auf der Weide geht, sieht die Fläche nahe der Stadt gegen den pechschwarzen Waldstreifen unwirklich wie dünn überschneit daliegen, kann auch keine Falten oder Flächen in diesem Helldunkel finden und denkt, da man kein Streichen des Nahen zur Ferne wahrnimmt, dieses Düster-Weißliche könnte ebenso gut ein langes, dünnes Leintuch sein, mit dem die Weide umsteckt ist. Aber wo der Lichtschaum über der Stadt am allerletzten angetrieben ist, wo seine letzten Spuren hingeschwommen, bei der flachen Wölbung auf der Weide, wo die jungen Lindenbäume in ihrer Dünne jämmerlich frieren und im feuchten Wind seufzen, da ist der Grund des schwarzen Luft-Meeres, das bis zu den Wolken geht. Nur hier und da wird das Heben und Senken des Bodens der Weide im Schwarzen deutbar; da spielen sich wie durch krumme Wirbel auf krummen Wegen die allerletzten Lichtstrahlen hin; angstzitternde Neugierige haben ihre Art; das Leuchten und Schimmern ist In-sich-zergehen-lassen und bringt es nur noch zu einem sportlichen Ergrauen, zur Schauererhellung in Gespensterscheue.

Aber der Abendgang führt weiter im Dunkeln, man stolpert über Maulwurfshügel, und die Füße treiben ein Vermutenspielen mit den Dunkelrätseln des unsichtbaren Bodens. Aber alles Wasser ist ein Lichtverwandter, selbst bei stockfinsterer Nacht. Wenn der Abendgänger seine Stirn gegen die leuchtende Wolke über der Stadt kehrt, sieht er den Tümpel, der stadtwärts liegt, sein Kreisrund wie einen leuchtenden Schatz gegen alle zudringende Schwärze bewahren. Und selbst der Nebelfluß gegen den finstern Osten ist mit tiefem Bleigrau überzogen, und wenn man an seinem Rand längs auf Deichhöhe langsam wieder gegen Wind und Westen streicht und die Stadtatmosphäre schwimmen sieht, hat auch die Nebel schon den Schleier abgestreift, läßt sich vollstreuen vom Glanz und versenkt in sich den Abgang vom Licht der fernen Straßen. Wenn man aber dabei an Gräben kommt, die schnurgerade im schwarzen Wiesengrund gerissen sind, dann sieht man ihre ganze Länge hell hindurchblitzen, wie man vorübergeht; nur ein Schritt vorbei, und beim selben Schritt sieht man sie wie eine glänzende Lanze durchs Finstre schießen und verschwinden.

Mitten in der Lichtwolke aber steht ein matter Stern, das ist das erleuchtete Fenster des Türmers, und da, wo am Rande der Stadt hinter Bäumen ein starker Schein aufsteigt und sich im Trüben und Feuchten verliert, hebt sich schwer der Schatten der Bäume wie eine Rußwolke auf und baut sich immer höher ins neblige Wetter hinein. Wenige Außenstraßen sind aber von ihren Laternen begleitet, ein Zug von Auswanderern aus der hellen Heimat in die dunkle Fremde, und ihr ungemütliches Stechen scheint Verachtung aller der Lichtgeselligkeit und Wärme zu bedeuten, und ihre Träger scheinen unbehagliche Absonderer zu sein, die gegen einander kalt und bissig sind, wenn sie auch in Reihen zum Tor hinausmarschieren. Man könnte auch denken, es wäre ein Leichenzug von Lichtern, die ein Verlöschtes im Dunkeln begraben wollen.


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