Honoré de Balzac
Die dreißig tolldreisten Geschichten – Drittes Zehent
Honoré de Balzac

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II. Wie Berthe erfuhr, was die Liebe sei, und was sich alles daraus ergeben hat

Besagter junger Page war der edle Herr Jehan von Sacchez, ein Vetter des Herrn von Montmorency, an welchen später durch den Tod des genannten Jehan die Lehen von Sacchez den Verträgen gemäß zurückfielen. Jehan war zwanzig Jahre alt, blühend vom Feuer der Jugend, und ihr könnt euch denken, wie langsam ihm dieser erste Tag herumschlich.

Als dann der alte Imbert endlich davongeritten, setzten sich die beiden Frauen in den Erker über der Fallbrücke, um dem Scheidenden so lange als möglich nachzusehen und ihm tausend Abschiedsgrüße zuzuwinken. Nachdem aber das letzte Staubwölkchen von den Hufen der Pferde am Horizont verraucht war, stiegen sie herunter und zogen sich in das Gemach zurück.

»Was wollen wir treiben, schöne Muhme?« sagte Berthe zu der falschen Sylvia. »Liebt Ihr die Musik? Wir könnten ein Duett singen, eines der alten Minnelieder vielleicht? Sagt, ist das Euer Geschmack? So kommt an mein Instrument. Tut mir die Liebe. Singen wir eines zusammen.«

Hierauf nahm sie Jehan bei der Hand und zog ihn zu ihrer Harfe, wo sich der gute Junge zierlich nach Art der Frauen niederließ.

»Oh, schöne Muhme«, rief Berthe, nachdem die ersten Noten erklungen und der Page ihr den Kopf zuwandte, damit sie den Gesang zusammen anstimmten, »oh, Ihr habt seltsame Augen, Ihr bewegt mir mit Euren Blicken, ich weiß nicht wie, das Herz.«

»Meine süße Muhme«, log die falsche Sylvia, »diese Augen waren die Ursache meines Verderbens. Ein edler Lord von jenseits des Meeres fand soviel Zauber darin und küßte sie so gern und so oft, daß ich, da ich sie zu gern küssen ließ, dabei gestrauchelt bin.«

»So schleicht sich die Liebe also durch die Augen ein?«

»Im Feuer der Augen werden Kupidos Pfeile geschmiedet«, antwortete der Verliebte, indem er Berthe einen flammenden Blick zuwarf.

»Singen wir, Sylvia?«

Und also sangen sie auf den Wunsch der falschen Base ein Lied der Christine von Pisan, in dem viel von der Liebe die Rede war.

»Oh, Sylvia, welche Tiefe, welcher Klang ist in Eurer Stimme, sie dringt mir bis ins Innerste der Seele.«

»Und wo sucht sie Eure Seele?« fragte die verdammte Sylvia.

»Hier«, antwortete Berthe und deutete auf die Gegend des Zwerchfells, auf das in der Tat die Klänge der Liebe stärker wirken müssen als auf das Trommelfell des Ohrs, da es dem Herzen näher liegt, wie auch der anderen Sache, die ihr kennt und die im Weibe das Gehirn vertreten muß, wie nicht weniger das Herz und das Ohr – was ich in allen Ehren und allein aus physikalischen Gründen hier ausgesprochen haben will.

»Lassen wir die Musik«, hauchte Berthe, »sie erregt mich zu sehr. Kommt zum Fenster, wir wollen bis zur Vesper kleine Handarbeiten machen.«

»Oh, teure Muhme, ich habe nicht gelernt, mit der Nadel umzugehen, ich hatte anderes zu tun bisher.«

»Aber womit brachtet Ihr den ganzen Tag zu?«

»Mit der Liebe, die die Tage zu Augenblicken umwandelt, die Monate zu Tagen und die Jahre zu Monden; die, wenn sie ewig ist, die Ewigkeit zum Hauch macht, da alles an ihr Glück ist und himmlische Seligkeit.« Nachdem er so gesprochen, senkte der Jüngling die Wimpern seiner schönen Augen und verfiel in trauriges Nachsinnen, wie eine Dame, die ihrem ungetreuen Liebhaber nachtrauert und ihm alles verzeihen möchte, wenn er nur wieder in ihre treuen Arme zurückkehren wollte.

»Sagt, Muhme, ist die Liebe auch im Ehestand zu finden?«

»O nein«, antwortete Sylvia, »in der Ehe ist alles Pflicht, aber in der Liebe ist alles ein freies Geschenk. Dieser Unterschied verleiht den Liebkosungen, die die Blüten der Liebe sind, einen ganz besonderen Duft.«

»Lassen wir dies Gespräch, Muhme, das ist noch aufregender als Musik.«

Sie läutete einem Diener, befahl ihm, ihren Sohn herzuführen, und Sylvia, ihn erblickend, rief aus:

»Ah, er ist schön wie Gott Amor.« Dabei küßte sie ihn auf die Stirne.

»Komm, mein Liebling«, sprach die Mutter, in deren Schoß sich der Kleine warf, »komm, du bist mein Glück, mein Himmelsgeschenk, mein herziger Schatz, mein Goldkind, mein Engel, mein Spielzeug und mein Zeitvertreib, das Licht meiner Tage und meiner Nächte. Komm, ich will ein Stückchen von deinen Händen aufessen. So, nun beiß ich dir ein Ohr ab. Gib dein Köpfchen her, daß ich dir die Haare küsse. Sei glücklich, mein Herzblatt, dann bin ich's auch.«

»Ah, meine Muhme«, sprach Sylvia, »Ihr redet in der Sprache der Liebe zu dem Kinde.«

»So ist die Liebe also ein Kind?«

»Ja, schon die Heiden haben sie als Kind dargestellt.« Und die beiden Schönen machten sich daran, mit dem Kleinen zu spielen, bis die Stunde des Nachtmahls kam, und fanden doch immer wieder einen Gesprächsstoff, in dem die Liebe den Hauptgegenstand bildete.

»Wünscht Ihr Euch nicht ein zweites Kind?« flüsterte Jehan in so günstigem Augenblick seiner Cousine ins Ohr, das er mit seinen heißen Lippen streifte.

»Ach, Sylvia, ich würde gern Höllenqualen erdulden, wenn der Herr sie mir auferlegte, nur um noch ein Kind zu bekommen. Aber trotz aller Anstrengungen, trotz aller Arbeit und Mühe, die sich mein Gemahl damit macht und die mir wenig Freude bereiten, will sich meine Gestalt nicht im geringsten mehr ändern. Ach, es ist nichts, nur ein einziges Kind zu haben. Wenn ich einen Schrei im Schlosse höre, so meine ich, das Herz stehe mir still. Ich lebe in beständiger Angst um meinen Liebling, ich fürchte überall Gefahren für ihn, sei es von Menschen oder von Tieren, ich zittre bei seinen Waffenspielen, seinen Reitübungen, einfach bei allem. Ich atme allein nur in ihm, nur für ihn bete ich zu den Heiligen und Aposteln. Aber laßt mich schweigen, ich würde sonst kein Ende finden, Euch mein Leid zu klagen, denn meine Seele, so scheint mir, wohnt nur noch in ihm, nicht in mir.«

Während sie also sprach, drückte sie den Kleinen an ihre Brust mit einer Inbrunst und Zärtlichkeit, deren kein andres Wesen als nur eine Mutter fähig ist. Wenn ihr daran zweifelt, so betrachtet einmal eine Katze, die ihr Junges im Maule trägt, und ihr werdet meiner Beobachtung recht geben. Der gute Jüngling aber fühlte sein Gewissen durch diese Reden der Dame auffallend beruhigt. Hatte er vorher gezweifelt, ob er recht daran tue, diese nach Regen dürstende blumige Wiese mit dem Wasser der Lust zu begießen, so schien es ihm jetzt, als ob er dem Befehl Gottes gehorche, indem er dieser einsamen Seele die Liebe lehrte, und er hatte nicht unrecht.

Nach dem Abendbrot forderte Berthe ihre Muhme auf, mit ihr, der Sitte jener Zeit gemäß (wovon die Damen inzwischen abgekommen sind), das Lager in dem großen ehelichen Bett zu teilen, und die falsche Sylvia erwiderte, um nicht aus ihrer Rolle des wohlerzogenen vornehmen Mädchens zu fallen, daß ihr dies eine große Ehre sei.

Als die Abendglocke geläutet hatte, zogen sich die beiden also in das mit kostbaren Teppichen und seidenen Vorhängen reich ausgestattete Schlafgemach zurück, wo sich Berthe unverzüglich von ihren Kammerzofen entkleiden ließ, während Sylvia sich dessen schamhaft weigerte, indem sie dunkel errötete. Seit ihr vielgeliebter Freund, log sie, ihr nicht mehr diesen Dienst leiste, habe sie sich daran gewöhnt, sich allein zu bedienen, denn jeder dieser Handgriffe rufe eine süße Erinnerung in ihr wach: zärtliche Worte, mit denen ihr Liebster ihr geschmeichelt, und verliebte kleine Tollheiten, wenn er sie des letzten Kleidungsstückes entledigt hatte.

Über diese Rede erstaunte sich Berthe höchlich, ließ aber ihre Muhme gewähren, die hinter den Bettvorhängen ihre Abendandacht verrichtete und dann, ganz flammend von Begierde, sich unter der Bettdecke verbarg, glücklich, durch einen Spalt des Vorhangs etwas von den wunderbaren Reizen der Schloßherrin erspähen zu können. Berthe, im guten Glauben, in der Gesellschaft eines Mädchens zu sein, benahm sich ganz wie sonst; sie wusch ihre Füße, ohne darauf zu achten, ob sie dieselben ein wenig höher oder niederer aufhob, zeigte ihren feinen Hals mit den zarten Schultern und tat danach, was alle Damen tun, ehe sie schlafen gehen. Endlich schlüpfte sie ins Bett und streckte sich bequem aus, nachdem sie ihre Muhme auf die Lippen geküßt, die ihr auffallend heiß erschienen.

»Seid Ihr krank, Sylvia? Ihr glüht ja wie im Fieber.«

»Ich glühe immer so, wenn ich mich zu Bett lege«, antwortete Sylvia, »denn da kommen mir alle die süßen und feurigen Zärtlichkeiten wieder ins Gedächtnis, die mein Liebster erfand, um mich damit zu beglücken.«

»Oh, meine Muhme, erzählt mir doch ein wenig von dieser Liebe. Ich lebe ja im Schatten eines grauen Hauptes, das wird mich schützen vor den verzehrenden Flammen. Und Ihr, Ihr seid ja geheilt von der Liebe, Ihr tut ein gutes Werk, wenn Ihr mir Eure schlimmen Erfahrungen anvertraut; dies wird Euch und mir zum Heile sein.«

»Ich weiß nicht, ob ich Euch willfahren soll, schöne Muhme«, erwiderte der Geselle.

»Sagt, warum nicht?«

»Ach, es ist besser, diese Dinge zu tun, als darüber zu sprechen«, sprach Sylvia mit einem Seufzer, der aus dem innersten Herzen zu kommen schien. »Und dann hat dieser Mylord mich so mit Glück überhäuft, daß ich fürchten muß, Euch auch ein wenig davon abzugeben, was gerad genüg wäre, Euch eine Tochter zu bescheren, während in mir alles abgetötet ist, womit dies Ziel erreicht werden mag.«

»Wäre es möglich?« rief Berthe, »und würde das unter uns nicht Sünde sein?«

»Im Gegenteil, große Freude würde darüber entstehen im Himmel und auf Erden, die Engel würden Euch mit Rosen überschütten und Euch himmlische Melodien spielen.«

»Sagt denn ohne Umschweife, Base«, hauchte Berthe.

»Nun denn, so tat mein Freund, wenn er mich glücklich machen wollte.«

Und indem der schlimme Jehan also sprach, nahm er Berthe in seine Arme und umfaßte sie mit einer Begierde ohnegleichen und waren beide beim Schein der Lampe und in ihrem weißen Gewande nicht anders in dem verdammten Bette, möchte man sagen, als die schlanken zeugenden Organe der Lilie in deren jungfräulichem Kelch.

»Wenn er mich dann«, lispelte der Jüngling, »so in seinen Armen hielt, wie ich Euch jetzt halte und umfasse, so sprach er zu mir mit einer noch viel zärtlicheren Stimme, als die meinige ist. ›Berthe‹, seufzte er, ›ich liebe dich! Ich liebe dich in alle Ewigkeit, du bist mein einziger Schatz, du bist meine Sonne und mein Mond, du bist leuchtender als der Tag; ich liebe dich mehr, ab ich Gott liebe, und ich möchte tausend Tode um dich leiden für die Seligkeit, die du mir gibst.‹ Und dann küßte er mich, aber nicht auf die Art der Ehemänner, welche roh und derb ist, sondern sanft und zärtlich, wie Turteltauben sich küssen.«

Und um Berthe zu beweisen, wieviel angenehmer die Methode der Liebhaber sei als die der Ehemänner, saugte er allen Honig aus Berthes Lippen und lehrte sie, wie sie mit ihrer zierlichen rosigen Zunge zärtlich reden könne, ohne ein Wort zu sagen. Und sich immer mehr bei diesem Spiel erhitzend, übergoß er zuletzt mit dem Feuer seiner Küsse Hals und Schultern Berthes und die zierlichsten kleinen Brüstchen, an die je eine Mutter ihren Säugling gelegt, daß er sie mit Bissen verwundete. Und wahrlich, wer an des Pagen Platz gewesen wäre, würde sich verachtet haben, wenn er anders gehandelt hätte.

»Ach«, sagte Berthe, ganz erglüht vor Liebe, ohne es zu wissen, »das gefällt mir, das muß ich Imbert zeigen.«

»Seid Ihr von Sinnen, Muhme? Ihr dürft Eurem alten Manne hiervon nichts sagen. Kann er seine rauhen Hände zart und glatt machen wie die meinigen? Und darf er mit seinem struppigen Bart diesen Kelch der Freuden berühren, diese geheimnisvolle Rose, in der alle unsre Lust eingeschlossen ist, all unser Geist, unser Glück, unsre Seligkeit? Wißt Ihr nicht, daß eine solche Blume sanft geliebkost werden will und nicht gekitzelt und zerzaust mit Hellebarden und Morgensternen? Seht, so lehrte mich mein Freund, der schöne Engländer, die Liebe.«

Und der gute Jüngling machte seine Sache so geschickt, daß die unschuldige Berthe, als er sein stärkstes Gewehrfeuer ins Feld führte, ausrief:

»Oh, meine Muhme! Die Engel sind herniedergekommen! Sie singen so himmlisch, daß ich nichts mehr unterscheide, und ihr Licht blendet mich so, daß ich die Augen schließen muß.«

Und dann vergaß sie sich ganz in ungehemmter Hingebung, und es umbrauste sie wie Musik der Orgel und umflammte sie mit tausend Morgenröten, daß ihr die Sinne vergingen und sie die Lust schlürfte wie berauschenden himmlischen Nektar. Von diesem paradiesischen Traum erwachte sie in den Armen ihres Gefährten.

»Ach, meine Freundin«, seufzte sie, »warum bin ich nicht in England verheiratet worden!«

»Meine schöne Herrin«, sprach Jehan, der glücklich war wie noch nie in seinem Leben, »hier in Frankreich ist das noch viel schöner, denn jetzt seid Ihr mit mir verheiratet, mit einem Manne, der tausend Leben haben möchte, um sie tausendmal für Euch hingeben zu können.«

Da stieß Berthe einen so durchdringenden Schrei aus, daß die Wände zitterten; sie sprang aus dem Bette, warf sich vor ihrem Betstuhl in die Knie, rang die Hände und weinte heißere und bitterere Tränen als alle heiligen Magdalenen zusammen.

»Ach, wäre ich tot!« jammerte sie. »Ein Teufel mit dem Gesicht eines Engels hat mich hintergangen. Ich bin verloren. Ich habe ein Kind empfangen und fühlte mich nicht schuldiger als du, o Heilige Jungfrau. Bitte für mich an Gottes Thron, daß er mir Gnade schenke, wenn mich die Menschen verdammen, oder laß mich sterben, damit ich nicht vor Scham vergehen muß vor meinem Herrn und Gebieter.«

Als Jehan hörte, daß sie gegen ihn nichts Böses sagte, erhob er sich, noch immer voll Bestürzung darüber, daß Berthe dieses schöne Spiel zu zweien so tragisch nahm. Aber sowie sie hörte, daß ihr Engel Gabriel sich bewege, war sie auch schon auf ihren Füßen und blickte ihn mit tränenüberströmtem Antlitz und mit Augen an, in denen ein heiliger Zorn flammte, der sie aber nur noch schöner erscheinen ließ.

»Wenn Ihr Euch einen Schritt nähert, so bin ich des Todes!« rief sie, indem sie einen zierlichen Dolch ergriff.

»Nicht an Euch ist es zu sterben, sondern an mir, geliebteste Herrin«, rief Jehan aus, der ihren furchtbaren Jammer endlich begriff, »denn mehr liebe ich Euch, als je eine Frau auf dieser Erde geliebt worden ist.«

»Wenn Ihr mich wahrhaft liebtet«, entgegnete Berthe, »so hättet Ihr mir nicht so übel mitgespielt, denn ich will lieber sterben, als den Unwillen meines Gemahls erdulden.«

»So ist es Euer Wunsch zu sterben?«

»Ja.«

»Nun denn, wenn ich hier von Dolchstichen durchbohrt niedersinke, so werdet Ihr von Eurem Gemahl leicht die Verzeihung erlangen. Ihr werdet ihm sagen, wie Eure Unschuld getäuscht und überfallen wurde und daß Ihr Eure Ehre gerächt, indem Ihr den Betrüger getötet. Und ich, ich wünsche mir kein besseres Glück, als für Euch sterben zu dürfen, da Ihr es mir verweigert, für Euch zu leben.«

Als Berthe diese zärtlichen, von Tränen überströmten Worte hörte, ließ sie die Waffe fallen; Jehan griff danach und stieß sich den Dolch in die Brust.

»Solche Seligkeit kann nur mit dem Tod bezahlt werden«, rief er aus und schlug wie leblos hin.

Aufs äußerste erschrocken, rief Berthe ihre Zofe. Das Mädchen kam und ward starr vor Entsetzen, als sie einen blutenden Mann in dem Gemach ihrer Herrin fand. Sie sah Berthe den Toten in ihren Armen aufrichten mit dem Ausruf: »Was habt Ihr getan, mein Freund?« Denn Frau von Bastarnay glaubte nicht anders, als daß Jehan tot sei. Und im Nachschauer ihrer großen Seligkeit dachte sie bei sich, wie schön der Jüngling sein müsse, da ihn jedermann für ein Mädchen gehalten hatte. In ihrem Schmerz erzählte sie alles der Zofe; sie weinte und jammerte, daß sie nun ein Kind empfangen und daß, nicht genug damit, ihr auch noch der Tod eines Menschen auf der Seele liege. Als der arme Verliebte diese Worte hörte, strengte er sich an, ein klein wenig die Augen zu öffnen, so daß man gerade das Weiße darin sehen konnte.

»Herrin, weinet nicht«, tröstete die Zofe, »wir dürfen nicht den Kopf verlieren, sondern müssen daran denken, den hübschen Junker zu retten. Ich will zur alten Fallotte laufen, damit wir keinen Chirurgus oder Apothekarius einzuweihen brauchen. Die Alte versteht sich aufs Hexen und kann gewiß der gnädigen Frau zu Gefallen ein Wunder tun und das Blut stillen.«

»Eile«, versetzte Berthe, »ich will dir's lohnen und dich lieben für deinen Beistand.«

Dann kamen Herrin und Dienerin dahin überein, daß sie über das Abenteuer schweigen und den Jüngling vor aller Augen verbergen wollten. Die Zofe aber lief mitten in der Nacht zur alten Fallotte, nachdem Berthe sie bis zur Zugbrücke begleitet hatte, die der Wächter nur auf besonderen Befehl der Schloßfrau herablassen durfte. Bei ihrer Rückkunft fand Berthe ihren schönen Freund ohnmächtig vor Blutverlust, denn der rote Saft wollte noch immer nicht versiegen, sondern rann unablässig aus der Wunde. Berthe trank einige Tropfen davon in dem Gedanken, daß Jehan es für sie vergossen hatte, und gerührt von dieser großen Liebe und in der Angst um sein Leben küßte sie dem schönen Junker zärtlich den Mund, versuchte sein Blut zu stillen, indem sie es mit ihren Tränen vermischte, und flehte ihn an, er solle nicht sterben, sie wolle ihn mit all ihren Kräften lieben, wenn er nur am Leben bleibe. Ihr könnt euch denken, wie überrascht die Schloßherrin war, als sie die Beobachtung machte, daß ein Jüngling wie Jehan, weiß und zart und flaumig, so ganz anders beschaffen sei als ihr alter, gelber, haariger Gemahl. Dieser Unterschied rief ihr zugleich ins Gedächtnis, wie verschieden das Gefühl war, das sie sonst in der Vereinigung der Liebe empfunden hatte, und durch diese Erinnerung aufgestachelt, wurden ihre Küsse immer heftiger, so daß Jehan davon erwachte, sein Blick klarer wurde und er Berthe erkannte, die er mit schwacher Stimme um Verzeihung anflehte. Aber die junge Frau bat ihn, nicht zu sprechen, bis die alte Fallotte dagewesen wäre. Und so brachten die beiden die Zeit des Wartens damit zu, sich ihre Liebe mit den Augen zu beteuern. Aus denen Berthes blickte zwar nur das Mitleid, aber das ist unter dieser Verkettung der Umstände von der Liebe nicht weit entfernt.

Die Fallotte, ein buckliges altes Weib, stand sehr im Verdacht der Zauberei, und man sagte, daß sie jede Nacht des Sabbats auf dem Besen durch den Kamin davonreite. Viele wollten sie gesehen haben, wie sie in ihrer Stallung, als welches bei den Hexen bekanntlich die Dachtraufe ist, ihren Besen schmierte und anschirrte. Die Wahrheit zu sagen, war sie in den Geheimnissen der Heilkunst wohlerfahren und leistete den vornehmen Damen und Herren in mancherlei Angelegenheiten gute Dienste, infolgedessen sie ihr Leben in ungestörter Ruhe verbrachte und ihre Seele nicht auf einem Holzstoß, sondern in einem guten Federnbett aushauchte, nachdem sie einen ganzen Haufen Gulden zusammengespart hatte, was wohl der Grund war, warum die Physikusse und Apothekariusse sie immer verdächtigt hatten, mit Giften und Zauberkünsten einen schlimmen Handel zu treiben. Die Gifte und Salbereien stimmten übrigens, was aus dieser Geschichte klar hervorgehen wird. Kam also die alte Fallotte, zwar nicht auf einem Beselein, dafür aber auf einem Eselein, eiligst mit der Kammerzofe angeritten, so daß der Tag noch nicht graute, als sie im Schlosse anlangten.

»Nun, Kinder, was gibt's?« fragte sie, als sie in die Halle eintrat. Es war so ihre Art, ohne viel Federlesens mit den großen Damen und Herren umzuspringen, die ihr sehr klein vorkamen. Sie setzte ihre Brille auf und untersuchte die Wunde sehr geschickt.

»Das ist schönes Blut, meine Liebe«, schmunzelte sie. »Ihr habt gewiß davon gekostet. Er hat nach außen geblutet, das ist gut.«

Und sie wusch bei diesen Worten die Wunde mit einem feinen Schwamm, alles vor den Augen der Dame und ihrer Zofe, die atemlos dabeistanden. Dann erklärte sie mit bestimmtem Ton, daß der edle Herr an diesem Stoß nicht sterben, aber dennoch, wie sie in seiner Hand lese, infolge dieser Nacht dereinst durch einen gewaltsamen Tod umkommen werde. Über diesen unheimlichen prophetischen Ausspruch entsetzten sich Berthe und ihre Dienerin nicht wenig. Die alte Fallotte aber gab die nötigsten und dringlichsten Vorschriften und versprach, in der nächsten Nacht wiederzukommen.

Sie pflegte in der Tat den Verwundeten während vierzehn Tagen, indem sie jede Nacht heimlich auf das Schloß kam. Den Bediensteten des Schlosses sagte die Kammerzofe, Fräulein Sylvia von Rohan sei infolge einer Geschwulst des Leibes auf den Tod erkrankt, was mit Rücksicht auf deren Base, die gnädige Frau, geheimbleiben solle. Jeder war durch diese Lüge befriedigt und hatte das Maul so voll davon, um auch den andern noch etwas abgeben zu können.

Die guten Leute schwatzten viel von dem gefährlichen Übel, aber in Wirklichkeit lag die Gefahr in der Genesung. Denn je stärker der Jüngling wurde, um so schwächer wurde Berthe und ließ sich immer williger in die Rosenlauben des Paradieses locken, das ihr Jehan erschlossen hatte. Kurz, sie liebte ihn mehr und immer mehr. Aber mitten im Taumel ihrer Seligkeiten ward sie beständig gefoltert durch die drohenden Worte der alten Fallotte und ward gequält durch ihr frommes Gewissen und die Furcht vor Herrn Imbert, dem sie schreiben mußte, daß sie ein Kind von ihm empfangen, mit dem sie ihn bei seiner Rückkehr überraschen werde. Diese dicke Lüge lag ihr schwer auf der Seele, und an dem Tag, an dem sie diesen heuchlerischen Brief schrieb, mied die arme Berthe ihren Freund Jehan, denn sie weinte so bitterlich, daß ihr Nastüchlein von ihren Tränen ganz durchnäßt war. Da Jehan sich so verlassen sah (denn sonst ließen sie ebensowenig voneinander als das Feuer vom Holz), glaubte der Jüngling nicht anders, als daß ihn Berthe nicht mehr liebe, und verbohrte sich so in seinen Schmerz, bis ihm selber die Tränen aus den Augen quollen.

Beim Nachtmahl gewahrte Berthe in ihres Freunds Augen die Spuren seiner Tränen, obwohl er versucht hatte, sie zu trocknen, und gestand ihm bewegten Herzens den Grund ihres Kummers und ihre Angst vor der Zukunft. Sie zeigte ihm, wie sehr sie beide gefehlt, und hielt ihm so schöne, so christliche, so mit Tränen untermischte Reden, daß Jehan im Innersten getroffen wurde von der gläubigen Frömmigkeit seiner Geliebten. Diese mit bittrer Reue getränkte Liebe, diese Zartheit des Gewissens bei aller Schuld, diese Schwäche und zugleich diese Kraft würden, wie die schlechten Schriftsteller sich ausdrücken, ein Tigerherz erweicht haben. Wundert euch also nicht, daß Jehan bei seiner Knappenehre schwur, ihr zu gehorchen und alles zu tun zu ihrer Rettung in dieser und in der andern Welt.

Als sie dieses Vertrauen und das redliche Herz ihres Geliebten sah, warf sich Berthe zu seinen Füßen und bedeckte sie mit Küssen.

»Oh, mein Freund«, rief sie aus, »den ich lieben muß, trotzdem es eine Todsünde ist, du mein einziger, der du so gut, so barmherzig mit deiner armen Berthe bist; wenn du willst, daß sie immer an dich denken soll wie jetzt und den Strom ihrer Tränen, dessen Quelle so süß und lieb ist, eindämmen soll (hier ließ sie sich, um ihn ganz zu überzeugen, einen Kuß von ihm rauben), mein Geliebter, wenn du willst, daß die Erinnerung meiner Himmelsfreuden mir nicht auf dem Gewissen lasten, sondern immer wie Gesang der Engel im Gedächtnis bleiben und mir ein Trost sein möge in trüben Tagen: so tue, was die Heilige Jungfrau mir befohlen hat. Im Traum habe ich sie angefleht, in meine Verwirrung und Verirrung mit ihrer himmlischen Klarheit zu leuchten. Ich flehte sie an, mir zu erscheinen, und sie hat mich Unwürdige ihres Anblicks gewürdigt. Ich zeigte ihr die furchtbare Qual meines Herzens, wie mir bange ist für das Kind, das sich schon in mir bewegt, und wie ich erzittre für dessen wahren Vater, der, der Rache meines Gemahls ausgeliefert, eines gewaltsamen Todes sterben muß, wenn die alte Fallotte wahr prophezeit hat. Die Heilige Jungfrau lächelte. Die Kirche gewährt uns die Verzeihung unsrer Sünden, sprach sie, wenn wir ihren Befehlen gehorchen, wenn wir freiwillig unsern Teil der Strafe schon hier auf Erden abbüßen und nicht freventlich abwarten, bis der Zorn des Himmels über uns hereinbricht. Dann zeigte sie mit ihrem Finger auf einen jungen Mann, der ganz dir glich und so gekleidet war, wie du es sein solltest und wie du dich bald kleiden wirst, wenn du deine Berthe mit einer ewigen Liebe liebst.«

Da versicherte ihr Jehan nochmals, ihr in allen Stücken gehorchen zu wollen, er hob sie auf seine Knie und küßte sie innig. Zitternd vor Angst, eine abschlägige Antwort zu bekommen, gestand ihm Berthe, daß das Gewand, in das er sich kleiden müsse, eine Mönchskutte sei und daß er sich in das Kloster von Marmoustiers in der Nähe der Stadt Tours zurückziehen solle; dann wolle sie ihm vorher noch eine letzte Liebesnacht gewähren und danach weder ihm noch einem andern Manne auf der Welt je wieder gehören. Jedes Jahr einmal aber solle er auf einen Tag zu ihr kommen, um sein Kind zu sehen. Das werde seine Belohnung sein.

Jehan, gebunden durch seinen Schwur, beteuerte ohne Zögern, daß er ihr zuliebe Mönch werden und damit das Mittel ergreifen wolle, ihr treu zu bleiben und keine andern Freuden der Liebe mehr zu genießen nach ihrer seligen Verbindung, in deren Erinnerung er leben und sterben werde.

»So ungeheuer groß auch meine Schuld ist«, rief Berthe, als sie diese Worte hörte, »und was mir auch von Gott vorbehalten sein mag zu erdulden, diese Stunde wird mir helfen, das Schwerste zu ertragen; denn nun glaube ich sicher, daß ich einem Engel, nicht einem Menschen angehört habe.«

Und so warfen sie sich aufs Lager, wo ihre Liebe zuerst erblüht war, um all den süßen Freuden ein letztes und erhabenes Lebewohl zu sagen. Da schien es, daß der Gott der Liebe an diesem letzten Opfer sein besonderes Wohlgefallen fand. Er ließ die Opfernden untertauchen in die tiefsten Abgründe der Ekstase, wie selten Weib und Mann sie auf Erden gekannt haben. Denn das Eigentümliche der wahren Liebe besteht in einer solchen Gegenseitigkeit, die bewirkt, daß jeder Teil um so mehr empfängt, je mehr er gibt, und die Wirkungen sich in geometrischen Proportionen bis ins Unendliche steigern. Aber das kann man Leuten mit engem Verstand nur begreiflich machen unter dem Bild des Kaleidoskops, wo aus einer Figur tausende Figuren werden. Und so erstaunten die Liebenden selber über die Fülle von Verzückungen und den Reichtum und die Stärke der Zärtlichkeit, deren sie fähig waren, ohne sich zu erschöpfen. Sie hätten gewünscht, daß diese Nacht die letzte ihres Lebens wäre; und als eine süße Ermattung sich allmählich über ihre Sinne lagerte, glaubten sie, daß es ihnen bestimmt sei, in einem tödlichen Liebeskuß zu vergehen und ihre Seelen in einshin auszuhauchen; aber sie überlebten sogar unzählbare Wiederholungen ihrer Zärtlichkeiten.

Am andern Morgen mußte sich Fräulein Sylvia, da die Ankunft des Herrn von Bastarnay nahe bevorstand, von Berthe verabschieden. Das arme Mädchen fiel ihrer Muhme mit Tränen um den Hals. Jeder Kuß sollte ihr letzter sein, und der letzte dauerte bis zur Vesperstunde. Dann mußte sie sich losreißen, trotzdem ihr Herzblut zu erstarren schien, gleich dem Wachs, das von einer Osterkerze träufelt. Seinem Versprechen gemäß begab sich Jehan nach Marmoustiers und ließ sich dort unter die Novizen einreihen. Dem Herrn von Bastarnay aber teilte man mit, daß Sylvia in die Arme ihres ›Lords‹ zurückgekehrt sei, was soviel bedeutete wie in die Arme des ›Herrn‹ und also nicht einmal eine Lüge war.

Berthes Schwangerschaft zeigte sich bereits so weit vorgeschritten, daß sie ohne Gürtel ging, und die Freude ihres Gemahls über ihren Zustand war der Anfang ihres Martyriums. Denn das Lügen wurde ihr sehr schwer, und nach jedem unwahren Wort eilte sie zu ihrem Betstuhl, weinte sich ihr Herzblut aus der Seele und betete inbrünstig zu allen Heiligen des Paradieses. Sie rief laut um Erbarmen zu Gott, und siehe, er hörte sie; denn er ist der Herr, der Allsehende und Allhörende, vor dessen Ohr alles dringt, das Rollen des Sandkorns im Ozean wie jede Klage, die ein Armer zu ihm emporschickt. Wenn ihr aber das Glück und die Stärke eines solchen Glaubens entbehren solltet, werdet ihr, was ich jetzt erzähle, für unmöglich halten.

Gott befahl also dem Erzengel Michael, dieser bußfertigen Sünderin schon auf Erden die Hölle zu bereiten, damit sie nachher ungehindert ins Paradies eingehen könne. Der heilige Michael begab sich hierauf an das Höllentor und überantwortete dem Fürsten Satan für die Dauer dieses Lebens alle drei Seelen, die der Mutter, des Vaters und des Kindes, indem er ihm Vollmacht gab, dieselben während dieses Erdendaseins durch alle menschliche Drangsal zu schleifen, sie zu ängstigen mit jeder Angst, sie zu martern mit jeder Marter. Und der Teufel, der nach dem Willen Gottes der Herr über das Böse ist, antwortete dem Erzengel, daß er sich des Auftrags gern entledigen wolle.

Während der Ausführung des göttlichen Befehls ging auf Erden das Leben seinen Gang. Die edle Dame von Bastarnay schenkte dem Herrn Imbert das schönste Kind der Welt, einen Knaben wie aus Milch und Blut, voll Geist und Verstand wie ein kleiner Jesusknabe, lachend und voll Tollheiten wie ein heidnischer Liebesgott, immer schöner werdend von Tag zu Tag. Die glänzenden körperlichen und geistigen Eigenschaften seiner Eltern hatten bei ihm eine Mischung von wunderbar scharfem Verstand und holdester Grazie hervorgebracht, während sein älterer Bruder seinem Vater nachschlug, dem er zum Erschrecken ähnlich wurde. Der alte Bastarnay, der dieses Wunder von Schönheit und Geist täglich wie ein himmlisches Mirakel anstaunte, hätte gern seine ewige Seligkeit darangegeben, um dem jüngeren die Rechte der Erstgeburt zu verschaffen, und er hoffte dies durch die Protektion des Königs wirklich zu erreichen. Berthe wußte nicht, wie sie sich zu der Sache stellen sollte. Sie vergötterte das Kind des Geliebten, während sie ihren Erstgeborenen nur mäßig lieben konnte; aber trotzdem verteidigte sie diesen gegen die üblen Absichten seines Vaters. Sie war nicht unzufrieden mit dem Lauf der Dinge und überredete sich gern, ihr Gewissen betäubend, daß die Sachen so bleiben würden, wie sie jetzt standen, da inzwischen zwölf Jahre verflossen waren, ohne daß ihre Freude durch anderes als Zweifel und Furcht getrübt wurde. Einmal jedes Jahr erschien, wie vereinbart, der Mönch von Marmoustiers, den niemand kannte als die Kammerzofe, auf einen ganzen Tag auf dem Schlosse, um seinen Sohn zu sehen, trotzdem Berthe den Bruder Johannes schon mehrere Male gebeten hatte, auf sein Recht zu verzichten. Aber der Mönch deutete auf das Kind und sagte: »Du siehst ihn alle Tage des Jahrs und ich nur einen einzigen!«

Da fand die arme Mutter kein Wort der Erwiderung.

Einige Monate vor der letzten Empörung des Herrn Ludwig gegen seinen Vater, den König, entschloß sich der alte Bastarnay in seinem Vaterstolz, seinen jüngeren Sohn, der gerade sein zwölftes Jahr erreicht hatte und so gelehrt war, daß er einmal eine Leuchte der Wissenschaft zu werden versprach, mit sich an den Hof von Burgund zu führen, wo er hoffen durfte, daß Herzog Karl, ein Freund der Männer von Geist, dem Jüngling eine Laufbahn bereiten werde, um die ihn Fürsten und Prinzen von Geblüt beneiden müßten. Jetzt hielt der Teufel seine Zeit für gekommen und fuhr mit seinem stinkenden Schwanz mitten in das schöne Glück, um es nach seiner Art zurechtzustutzen.


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