Honoré de Balzac
Die dreißig tolldreisten Geschichten – Drittes Zehent
Honoré de Balzac

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Ausdauernde Liebe

In den ersten Jahren des dreizehnten Jahrhunderts nach der Geburt unsres Herrn und Heilands ereignete sich in der Stadt Paris, und zwar durch einen Mann aus Tours, eine Liebesgeschichte, durch welche die ganze Stadt und auch der königliche Hof in das höchste Erstaunen versetzt wurden. Was die Geistlichkeit anlangt, so wird aus dem, was hier erzählt werden soll, klar, welchen Teil sie an der Geschichte hat, deren Akten und Urkunden durch diese selbe Geistlichkeit auf uns gekommen sind.

Der genannte Mann, von dem gemeinen Volk nur ›der Tourainer‹ genannt, eben weil er aus dieser lustigen Stadt gebürtig war, hieß mit seinem wahren Namen Anselm. Er kehrte auch in seinen alten Tagen in seine Geburtsstadt zurück und wurde Bürgermeister der Gemeinde von Saint-Martin, wie es in den Chroniken der Stadt und der Abtei bezeugt ist; aber zu Paris war er ein edler Goldschmied. Schon in früher Jugend wurde er durch seine Rechtschaffenheit, seinen Fleiß und seine andern Tugenden Bürger der Stadt Paris und Untertan des Königs, dessen Schutz er sich unterstellte nach der Sitte der Zeit.

Er besaß in der Nähe der Kirche von Saint-Leu, an der Straße zum heiligen Dionys ein selbstgebautes Haus frei von aller Zinsbarkeit, wo sich auch seine Werkstatt befand, die von allen Liebhabern schöner Kleinodien viel besucht wurde. Obwohl der Mann ein Tourainer war, was etwas heißen will, und Jugend und Gesundheit nur so zum Verkaufen hatte, hatte er dennoch ein Leben geführt wie ein Heiliger, allen Verführungen dieser Stadt zum Trotz, und hatte all die Tage seiner blühenden Jugend dahingehen lassen, ohne auch nur ein einziges Mal in die bekannte verbotene Frucht zu beißen. Viele werden sagen, dies zu glauben übersteige die Glaubensfähigkeit, die der Mensch von Gott erhalten hat und die es uns ermöglicht, an die heiligen Mysterien der Religion zu glauben, wie es uns befohlen ist. Darum wird es nötig sein, die verborgenen Ursachen dieses keuschen Lebens eines Goldschmieds etwas näher zu beleuchten.

Zunächst müßt ihr bedenken, daß der Mann zu Fuß nach Paris kam, ärmer als Hiob, wie seine alten Freunde zu sagen pflegten, und daß er im Gegensatz zu seinen Landsleuten, die mehr feurig als ausdauernd sind, einen wahrhaft eisernen Charakter besaß und einen Weg, den er einmal eingeschlagen hatte, mit einer Hartnäckigkeit verfolgte wie nur ein Korse seine Rache. Er war Gesell und arbeitete Tag und Nacht; er wurde Meister und arbeitete mehr als je: immer auf der Suche nach neuen Rezepten, nach den verborgensten Geheimnissen seiner Kunst, immer von einer Erfindung zu einer andern Erfindung fortschreitend. Die guten Leute, die nach Feierabend noch einen Gang zu tun hatten, oder Diebe und sonstiges Nachtgevögel sahen hinter dem Fenster des Goldschmieds immer die Lampe brennen und sahen in deren Schein den Goldschmied, der bei verschlossener Tür in Gesellschaft irgendeines Lehrbuben eifriger Beschäftigung oblag. Sie sahen ihn hämmern und meißeln, feilen und ziselieren, löten und schmelzen. Seine Armut hatte ihn fleißig gemacht, sein Fleiß machte ihn weise, seine Weisheit machte ihn reich. Bedenket das wohl, ihr Kinder Adams, die ihr an nichts denkt, als wie ihr euch die unsauberen Gedärme füllen mögt.

Wenn in dem guten Goldschmied sich wohl auch einmal gewisse phantastische Wünsche regten, wie sie von Zeit zu Zeit den armen Menschen, der allein lebt, zu zwicken und zu zwacken pflegen, daß er meint, der Teufel müsse ihn lebendig holen, da hämmerte der Tourainer nur um so wütender auf sein Metall los und hämmerte damit nicht nur die bösen Geister zum Haus hinaus, nämlich aus seinem Körper, der Wohnung seiner Seele, es entstanden zugleich unter seinen Händen die wundervollsten Bildwerke und Figuren in Gold und Silber wie auch schmuckreiche Gefäße in so schönen Formen, daß er die schönen Formen der Frau Venus ganz und gar darüber vergaß. Außerdem war dieser Tourainer ein einfacher Mann, eine Art großes Kind, der vor allem Gott, noch mehr aber die Diebe fürchtete, ja vielleicht noch mehr als diese die großen Herren, über alles aber jede Art Tumult und Unordnung.

Obwohl er zwei Hände hatte, beschäftigte er sich stets nur mit einer Sache. Seine Rede war sanft wie die einer Ehefrau vor der Hochzeit. Obwohl Pfaffen und Kriegsleute seine Gelehrsamkeit nicht gelten lassen wollten, verstand er sehr gut das Latein seiner Mutter und sprach es fehlerlos, ohne sich darum bitten zu lassen. Die Pariser hatten ihn nach und nach gelehrt, geradeaus zu gehen, kein Wasser für andre Leute zu schöpfen, seine Ausgaben mit der Elle seiner Einnahmen zu messen, niemand zu erlauben, sich aus seinem Leder Riemen zu schneiden, überall seine Augen offenzuhalten, niemals dem Inhalt einer verschlossenen Kiste zu trauen, nicht leicht zu sagen, was er tat, oder zu tun, was er sagte, nichts von sich zu lassen als sein Wasser, ein besseres Gedächtnis zu haben als die Spatzen, seinen Kummer für sich zu behalten und auch sein Halleluja, auf der Straße nicht nach den Wolken zu sehen und seine Juwelen teurer zu verkaufen, als sie ihn selber gekostet hatten: lauter Dinge, deren kluge Befolgung ihm Weisheit genug eintrug, um bequem und zufrieden leben zu können.

Also tat er und war auch darauf bedacht, daß er niemand lästig falle. Die Leute aber, die sahen, wie weise er sich das Leben eingerichtet, beneideten ihn, und manch einer sagte: »Bei Gott, ich möchte dieser Goldschmied sein, und sollte ich auch dafür hundert Jahre lang bis über die Knie im Kot von Paris waten müssen.« Aber ebensogut hätte sich einer wünschen können, König von Frankreich zu sein; denn der Goldschmied hatte ein paar Arme wie nicht leicht einer, feste, nervige, haarige Arme und von so erstaunlicher Härte, daß, wenn er die Faust ballte, sein stärkster Gesell sie ihm auch mit einer Beißzange nicht zu öffnen vermocht hätte. Ihr könnt euch denken, daß er nicht leicht fahrenließ, was er einmal festhielt. Zähne hatte er, um Eisen zu kauen, einen Magen, um es zu verdauen, Gedärme, um es aufzusaugen, und einen Sphinkter, um gefahrlos die Schlacken weiterzubefördern – überdies ein paar Schultern, um sich gegen die ganze Welt zu stemmen, gleich jenem alten Heiden, der ehemals dieses Amt hatte, bis die Ankunft unsres Herrn und Heilands ihn, es war höchste Zeit, davon befreite. Die Wahrheit zu sagen, war das ein Mann so recht aus dem Groben gehauen. Das ist immer die beste Art Mensch und ist mehr wert als die, an denen die Natur allzuviel gebosselt hat und die aus allzu feinen Stücken zusammengesetzt sind. Kurz, Meister Anselm war in der Wolle gefärbt, er hatte ein Gesicht wie ein Löwe, und in seinen Augen brannte ein Feuer, worin er sein Gold hätte schmelzen können, wenn ihm die Glut auf der Esse einmal ausgegangen wäre. Aber ein Etwas in diesen Augen, von der gütigen Mutter Natur hineingelegt, milderte dieses Feuer, ansonst sie alles verbrannt hätten. Und nun sagt, ob das nicht ein Mordskerl war von einem Menschen.

Doch nach Aufzählung dieser Musterchen von Kardinaltugenden möchten einige vielleicht noch immer fragen, warum der gute Goldschmied wie eine Auster lebte, nämlich als Zölibatär und Junggesell, und also die reichen Gaben der Natur in so vielem Betracht ungenutzt ließ. Aber wissen diese hartnäckigen Frager, was es heißen will zu lieben? Hollala, sie wissen es keineswegs.

Das Amt eines Verliebten ist, zu kommen und zu gehen, zu horchen und aufzupassen, zu reden und zu schweigen, sich niederzuducken und sich hoch aufzurichten, vor allem sich klein zu machen, sich zu einem Nichts zu machen. Sein Amt ist, angenehm zu sein und Geduld zu üben, zu musizieren und verliebte Verse zu machen, Blumen unter dem Schnee zu suchen, den Mond anzuschwärmen, den Hund und die Katze des Hauses zu streicheln, der Tante über ihren Schnupfen und über ihre Gicht angenehme Sachen zu sagen, der ganzen Verwandtschaft zu schmeicheln, niemand auf die Hühneraugen zu treten, Grillen einzufangen, Mohren weiß zu waschen, Nichtigkeiten zu plappern, der Dame den Spiegel vorzuhalten und über ihren Putz in Ekstase zu geraten, alles das in tausenderlei Wiederholungen. Sein Amt ist, geschniegelt und gebügelt zu sein wie ein Höfling, klug und launig zu sein in seiner Rede, lachend alle Teufeleien hinzunehmen, all seinen Zorn hinunterzuschlucken, seinem Temperament die Zügel anzulegen und den Finger Gottes und den Schwanz des Teufels zugleich in der Hand zu haben. Sein Amt ist, die Mutter, die Base, die Zofe in guter Laune zu erhalten, unter allen Umständen, auch wenn es ihm nicht ums Herz ist, die liebenswürdigste Miene aufzustecken und trotzdem darauf gefaßt zu sein, daß das Weibsen ihm entschlüpft und ihn stehenläßt, ohne ihm einen einzigen christlichen Grund dafür anzugeben.

Hat aber ein Verliebter auch gesprochen wie ein Buch, Sprünge gemacht wie ein Floh, sich gedreht wie ein Kreisel, musiziert wie der König David, tausend Höllenqualen ausgestanden, dem Weibsen eine Säulenhalle der korinthischen Ordnung erbaut, zum Teufel noch einmal, und auch angenommen, das Mädchen sei der sanftesten eine, die Gott in einer guten Laune erschaffen hat: wenn er es nun in etwas versieht, wofür die Dame eine besondere Vorliebe hat, ohne daß es jemand weiß sie weiß es oft selber nicht, verlangt aber, daß der Verliebte es wisse – ihr könnt darauf schwören, daß die Schneegans ihn verlassen wird wie einen räudigen Hund. Und sie ist in ihrem Recht, da ist kein Wort zu sagen. Mancher wird dann zornmütig, ja ganz närrisch, mehr als sich sagen läßt, und viele haben sich bei solchen Gelegenheiten das Leben genommen. Darin unterscheidet sich der Mensch vom Tier; denn noch kein Tier hat den Verstand verloren aus Liebeskummer, was hinlänglich beweist, daß die Tiere keine Seele haben.

Das Amt eines Verliebten ist also das Amt eines Soldaten und Galeerensträflings, eines Marktschreiers und eines Hanswurstes, eines Fürsten und eines Lumpen, eines Königs und eines Bettlers, eines Nichtstuers und eines Vielbeschäftigten, eines Betrogenen und eines Betrügers, eines Großmauls, eines Lügners, eines Spions, eines Hohlkopfs, eines Windmachers, eines Schurken; es ist eine Sache, deren sich der Herr Jesus enthalten hat und die darum alle Menschen eines höheren Geistes verachten; eine Sache, wofür ein Mann, was er auch wert sei, alles ausgeben muß, sein Geld und seine Zeit, sein Blut und sein Leben, seine Reden und seine Gedanken, sein Herz, seine Seele, sein Gehirn. Die Weibsen sind merkwürdig lüstern nach diesen Leckerbissen, sie begnügen sich nicht mit einem Teil davon, und oft hört man sie unter sich sagen, daß sie von einem Manne so gut wie gar nichts haben, wenn sie nicht alles von ihm haben. Ja, es gibt darunter solche Luder, die auch dann noch murren und die Stirne runzeln, wenn ein Mann tausend Dinge für sie getan hat, denn sie sagen, er hätte das tausendundeinste noch tun müssen. Dergestalt sind sie vom Geist der Eroberung und Tyrannei besessen, daß, wenn sie auch alles haben, sie doch noch mehr haben wollen. Besonders in der guten Stadt Paris war das immer ein heiliges und unverbrüchliches Gesetz; denn hier, müßt ihr wissen, erhalten die Weiblein bei der Taufe mehr Salz als sonst in der Welt und sind darum bösartig von Geburt an.

Der Goldschmied aber, immer über seine Arbeit gebeugt, immer damit beschäftigt, sein Gold und sein Silber anzuglühen, fand keine Zeit, das Feuer der Liebe zu schüren und seine Phantasie daran zu entzünden und zu einem lustigen Feuerwerk oder sonst auf irgendeine Art den Kratzfüßler und Schwerenöter zu machen und vor einer Puppe auf der Lauer zu liegen. Und da in Paris keine Jungfrauen vom Himmel herunter ins Bett der Junggesellen fallen, sowenig als es in den Straßen gebratene Tauben regnet, auch wenn diese Junggesellen königliche Goldschmiede sind, so suchte der Tourainer einstweilen, so gut es ging, sich in sein Schicksal zu fügen, was ihm bei seiner Art Charakter, wie wir oben gesehen haben, leichter gelang als einem andern.

Der tugendhafte Bürger war dennoch nicht blind für die Gaben und Geschenke der Natur, womit die Damen und Bürgersfrauen, denen er seine Juwelen verkaufte, reich ausgerüstet waren und die sie keineswegs ängstlich versteckten. So geschah es wohl, daß er von manch einer Dame, die ihm nicht ohne weibliche Berechnung schöngetan und den Bart gekraut hatte, ganz aufgeregt nach Hause zurückkehrte, den Kopf voller Phantasien wie ein Dichter und ganz verzweifelt wie ein Kuckuck, der kein Nest findet; er sagte dann zu sich selber:

›Ich sollte mir doch eine Frau nehmen. Sie würde mir die Wohnung kehren, die Schüsseln warm stellen, die Wäsche fein bügeln, die Kleider in Ordnung halten, das ganze Haus mit ihrem Gesang erheitern, mich so lange quälen, bis ich ihr alles zu Gefallen täte; und wie alle zu ihren Männern sagen, wenn sie einen Schmuck haben wollen, würde sie auch tun. ›Schau, mein Schatz, mein Liebling‹, würde sie sagen, ›schau doch nur, ist das nicht reizend?‹ Und jedermann in der Nachbarschaft würde von meiner Frau träumen und würde mich beneiden und glücklich preisen.‹

Dann heiratete er, machte Hochzeit, koste die Frau Goldschmiedin, kleidete sie über alles kostbar und schön, schenkte ihr eine goldene Kette, liebte sie vom Kopf bis zu den Füßen, überließ ihr das ganze Regiment im Hause, die Spartruhe ausgenommen, richtete ihr die obere Stube ein mit schönen Scheiben in den Fenstern, weichen Teppichen auf dem Boden, gewirkten Tapeten an den Wänden, mit einem breiten weiten Bett in einem entzückenden Alkoven, einem Bett mit gedrechselten Säulen und seidenen Vorhängen; er kaufte ihr tausend entzückende Kleinigkeiten, und bis er zu Hause angelangt war, hatte er von ihr ein halbes Dutzend schöner Kinder, die ihm lustig entgegensprangen.

Doch zu Hause eintretend, ging das ganze geträumte Glück in Rauch auf. Er machte aus seinen melancholischen Einbildungen wieder phantastische Zeichnungen, aus seinen Liebesgedanken entzückende Kleinodien und Juwelen, zur höchsten Lust und Verwunderung der Käufer, die nicht ahnten, wieviel wundersame Frauen und herzige Kinder in all die zarten goldigen Gebilde hineingearbeitet waren.

Je mehr aber die Kunst des guten Mannes bewundert wurde, desto mehr magerte er ab an seinem Leibe und wurde mutlos in seiner Seele; und wenn Gott nicht endlich Mitleid mit ihm gehabt hätte, wäre er sicher von dieser Welt abgereist, ohne die Liebe auch nur gekannt zu haben; aber er würde sie dann in der andern Welt kennengelernt haben, ohne die Unflätereien der fleischlichen Verhüllung, die ihr so sehr zur Verhäßlichung gereichen, wie Meister Plato autoritativen Angedenkens meint, der aber als blinder Heide und Ketzer sich sicher geirrt hat.

Genug. Diese Prologe, Vorreden und Weitschweifigkeiten sind wahrhaftig ein unnützer und überflüssiger Ballast, womit ein Erzähler der Übelwollenden wegen seine Geschichten einbündeln muß, wie man ein Kind in Windeln wickelt, das doch nackt viel schöner wäre. Möge der Teufel dieses Gesindel mit seiner dreizinkigen glühenden Gabel kitzeln! Ich will von jetzt an alles kurz und geradeheraus sagen.

Also hört, was dem Goldschmied in seinem einundvierzigsten Lebensjahre begegnet ist. Eines schönen Tages erging er sich auf dem linken Ufer des Flusses, den man dort die Seine nennt, und während er wieder allerlei kühne Heiratspläne im Kopfe herumwälzte, kam er bis zu jenen Wiesen, die später unter dem Namen der ›Studentenwiesen‹ bekannt waren, damals aber noch zur Domäne der Abtei von Saint-Germain und nicht der Universität gehörten. So fortschreitend, kam der Tourainer ins freie Feld hinaus und sah plötzlich ein armes Mädchen vor sich, das ihn, da er seine besten Sonntagskleider anhatte, ehrfurchtsvoll grüßte.

»Gott sei mit Euch, edler Herr!« sprach sie demutsvoll. Ihre Stimme klang dabei so sanft und herzlich, daß der Goldschmied wie behext wurde von dieser weiblichen Musik und plötzlich in heftiger Liebe entbrannte für das arme Ding, das in seine Heiratsphantasien und Liebesträume, mit denen er sich gerade wieder beschäftigt hatte, hineinpaßte wie ein Stöpsel in die Flasche. Aber er war bereits an ihr vorüber und wagte nicht umzukehren, denn er war schüchtern wie ein Mädchen, das lieber in seinen Röcken stirbt, als sie zu seiner Lust aufzuheben. Doch als er eine Ackerlänge gegangen, überlegte er sich, daß ein Mann, der seit zehn Jahren Goldschmiedemeister des Königs und Bürger der Stadt Paris, auch längst doppelt so alt war, als ein Hund je alt werden kann, eigentlich keine Angst haben sollte vor einer Weiberschürze, wenn ihm alle Sinne danach standen. Und der seinige stand ihm sehr danach.

Er kehrte sich also kurzerhand um, wie wenn er sich besonnen hätte, seinem Spaziergang eine andre Richtung zu geben, und kam von neuem auf das Mädchen zu, das seine arme Kuh am Stricke hielt, die an dem Grabenrand längs des Wegs das Gras abweidete.

»Ei, ei, meine Kleine, du mußt sehr arm sein, daß du dich nicht scheust, Handarbeit zu verrichten am Sonntag. Hast du keine Angst, ins Gefängnis geworfen zu werden?«

»Edler Herr«, antwortete das Mädchen, indem es die Augen niederschlug, »ich habe nichts zu befürchten, denn wir gehören zur Abtei, und der Herr Abt hat uns die Erlaubnis erteilt, die Kühe nach der Vesper auf die Weide zu führen.«

»Du liebst also deine Kuh mehr als dein Seelenheil?«

»Wahrhaftig, edler Herr, unser Vieh ist fast unser halbes Leben.«

»Ich wundre mich, mein Kind, wenn ich dich so arm sehe, angetan mit Lumpen wie eine Vogelscheuche, mit nackten Füßen am Sonntag, während du doch Schätze an dir trägst, wie sie so reich und herrlich in der ganzen Abtei nicht zu finden sind, und ich denke mir, daß die aus der Stadt dir schön nachstellen und dich mit Anträgen quälen und verfolgen werden.«

»Aber nein, edler Herr, ich gehöre der Abtei«, sprach sie, indem sie dem Goldschmied einen ledernen Riemen an ihrem linken Arm zeigte. Es war ein ähnlicher Riemen, wie ihn die Kühe auf der Weide um den Hals tragen, nur daß keine Glocke dranhing. Bei ihren Worten richtete sie einen so traurigen Blick auf den Meister, daß er diesem tief in die Seele drang. Denn oft liegt in Blicken eine magische Kraft.

»Was soll das heißen?« erwiderte er, im höchsten Grade neugierig geworden, und griff nach dem ledernen Armband, wo auf einem Blechschild das Wappen der Abtei deutlich eingraviert war; doch in Wahrheit interessierte ihn das sehr wenig.

»Edler Herr«, erklärte das Mädchen, »ich bin die Tochter eines Leibeigenen, und das will heißen, daß, wer mich heiratet, leibeigen wird wie ich selber. Wäre er auch der reichste Bürger von Paris, würde er doch mit Leib und Gut der Abtei verfallen. Hätte er Kinder von mir, ohne mich zu ehelichen, würden die Kinder leibeigen. Aus diesem Grunde läßt man mich in Ruhe, und wie die Tiere des Felds bin ich von allen verlassen. Wenn ich auch weniger häßlich wäre, als ich es bin, der verliebteste Verliebte würde beim Anblick meines Armbands vor mir fliehen wie vor dem schwarzen Tod, und so werde ich eben, was mir leid tut, eines Tages vom Herrn Abt mit dem ersten besten leibeigenen Mann kopuliert werden.«

Sie zog bei diesen Worten den Strick an, um ihre Kuh hinter sich herzuziehen.

»Wie alt bist du?« fragte der Goldschmied.

»Ich weiß es nicht, edler Herr, aber unser Herr Abt hat es aufgeschrieben.«

Diese große Armut rührte das Herz des Bürgers, in dessen Leben es auch schon schmal zugegangen war. Er hielt also mit dem Mädchen gleichen Schritt, und sie näherten sich zusammen dem Fluß in größtem Stillschweigen. Der Mann betrachtete die schöne Stirne, die runden geröteten Arme, die stolzen Hüften, die nackten Füße, die, obwohl über und über mit Staub bedeckt, schön waren wie die der Jungfrau Maria. Ein Gesichtchen hatte das Mädchen wie eine Heilige. Und wahrhaftig, sie war das würdige Ebenbild der heiligen Genoveva, der Patronin von Paris und der armen Mädchen auf dem Lande. Aber der Schlingel von Goldschmied brachte es fertig, sich die knospenhaften Formen vorzustellen, die das Mädchen unter einem groben häßlichen Tuch mit schamhafter Sorgfalt versteckt hielt und die das Werden einer so süßen Blüte der Schönheit ankündigten, ganz vollkommen in ihrer Art wie alles, was den Mönchen gehört. So deutlich sah seine Phantasie die süßen Früchte, daß dem Armen, der doch nicht daran rühren durfte, das Wasser im Mund danach zusammenlief wie einem Schüler, wenn es ein heißer Tag ist, nach einem rotbackigen Apfel. Immer höher stieg ihm das Herz zur Kehle hinauf.

»Du hast eine schöne Kuh«, sagte er.

»Möchtet Ihr vielleicht ein wenig Milch haben?« antwortete sie. »Es ist heiß in diesen Tagen des Monats Mai, und Ihr habt einen weiten Weg nach der Stadt.«

In der Tat, die Sonne brannte nur so vom blauen wolkenlosen Himmel, und alles strahlte von Jugend, das Laub, die Luft, die Jungfrauen, sogar der Goldschmied; alles glühte, blühte und duftete. Das kindliche Anerbieten des armen Mädchens, mit einer ganz eignen unbezahlbaren Anmut ausgesprochen und von einer unvergleichlich rührenden Gebärde begleitet, bewegte erst recht das Herz des Goldschmieds, nicht anders, als wenn ihm in der Gestalt der leibeigenen Kreatur eine leibhaftige Prinzessin begegnet wäre.

»Ach nein, mein Liebchen, ich habe keinen Durst nach Milch, aber nach dir, und ich wünschte mir nichts mehr, als dich aus der Knechtschaft erlösen zu können.«

»Nein, nein, das ist nicht möglich, ich müßte sterben, denn ich bin Eigentum der Abtei. In diesem Stand leben wir seit alter Zeit und immer so fort von Vater zu Sohn, von Mutter zu Tochter, und wie meine armen Vorfahren sollen auch meine Kinder in diesem Stande bleiben, daß der Abt nicht seine Hand von uns abziehe.«

»Wie«, sprach der Tourainer, »deine schönen Augen haben keinen vermocht, dich freizukaufen, wie ich mich freigekauft habe vom König?«

»Ach, das wäre viel zu teuer«, sagte sie. »Wohl gefalle ich vielen auf den ersten Blick, aber dann gehen sie wieder ihrer Wege.«

»Und hast du noch nicht daran gedacht, zu Pferd mit einem Geliebten aus dem Gebiet der Abtei zu entfliehen?«

»O ja, edler Herr, aber wenn man mich einfinge, wäre der Galgen das wenigste, was mich erwartete, und ein so großer Herr mein Geliebter sein möchte, er würde seine Güter und alles verlieren. Soviel bin ich doch nicht wert. Der Herr Abt hat lange Arme, da wären meine Füße nicht schnell genug. Also lebe ich denn in demütiger Unterwerfung unter den Willen Gottes, der mich an diesen Ort gepflanzt hat und nicht anderswohin.«

»Und was treibt Euer Vater?«

»Er besorgt die Weinberge und Gärten der Abtei.«

»Und Eure Mutter?«

»Sie wäscht im Kloster.«

»Du hast mir noch nicht deinen Namen gesagt.«

»Ich habe keinen Namen, edler Herr. Mein Vater ist in der Taufe Estienne genannt worden, meine Mutter heißen sie auch nicht anders als die Estienne. Und mich nennen sie Tinette, Euch zu dienen.«

»Mein Liebchen«, sprach der Goldschmied, »noch nie hat mir ein Mädchen so gefallen, wie du mir gefällst, und trotz deiner Armut vermute ich unermeßliche Reichtümer bei dir. Und nun hat dich der liebe Gott mir gerade vor die Augen gestellt, wo ich in meinem Herzen beschloß, mir eine Frau zu nehmen; ich sehe darin einen Wink des Himmels, und wenn ich dir nicht mißfalle, so will ich dein Freund und dein Beschützer sein.«

Das Mädchen schlug von neuem die Augen nieder. Der Goldschmied hatte seine Rede in einem so ernsten und aufrichtigen Ton vorgetragen, daß das arme Ding seine Tränen nicht zurückzuhalten vermochte.

»Nein, edler Herr«, antwortete sie, »das wäre Euer Unglück, und wie soll das alles ein armes leibeigenes Mädchen verantworten?«

»Oho!« rief Meister Anselm, »ich sehe wohl, mein Kind, du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast.«

Der Tourainer bezeichnete sich mit dem Zeichen des Kreuzes, faltete die Hände und sprach: »Vor dem großen heiligen Eligius, dem Patron und Beschützer der Goldschmiede, tue ich hier feierlich das Gelübde: Ich will von vergoldetem Silber zwei Gehäuse machen, so reich mit Verzierungen geschmückt, als es mir nur möglich ist, das eine für eine Statue Unsrer Lieben Frau, zum ewigen Dank für die Freiheit meines Gemahls, das andre für den genannten Patron und Schutzheiligen, daß er mir seine Unterstützung verleihe in meinem Unternehmen, nämlich in der Freimachung der hier gegenwärtigen leibeigenen Tinette. Ich schwöre außerdem bei meinem eigenen ewigen Heil, dieses Ziel mit Mut und Ausdauer zu verfolgen, mein ganzes Vermögen draufzuwenden und nicht davon abzustehen, es sei denn, daß der Tod selber mich abruft. Des ruf ich Gott zum Zeugen an. Hast du mich verstanden, Liebchen?« sprach er, indem er sich gegen das Mädchen wandte.

»Ach, edler Herr«, rief sie weinend zu seinen Füßen, »seht Ihr meine Kuh? Sie ist mir ausgerissen. Ich will Euch lieben mein Leben lang, aber nehmt Euer Gelübde zurück.«

»Komm, fangen wir die Kuh«, erwiderte der Goldschmied, indem er das Mädchen aufhob, aber ohne sie zu küssen, was sie doch wahrscheinlich nicht übelgenommen hätte.

»Ihr habt recht«, sagte sie, »wenn die Kuh davonläuft, werde ich geschlagen.«

Und eiligst lief der Goldschmied hinter der verfluchten Kuh her, die sich bei den Liebesgesprächen offenbar gelangweilt hatte; aber bald wurde sie an den Hörnern gefaßt, und nicht viel fehlte, daß der Tourainer sie wie einen Ball in die Luft warf aus lauter Freude und Jubel.

»Und nun behüt dich Gott, meine Freundin. Wenn du in die Stadt kommst, besuche mich in meiner Wohnung, nahe bei der Kirche von Saint-Leu, ich heiße Meister Anselm und bin Goldschmied unsres gnädigen Herrn, des Königs, wie einst der heilige Eligius. Versprich mir vor allem, den nächsten Sonntag wieder hier zu sein, du darfst das nicht versäumen und wenn es Hellebarden hageln sollte.«

»O Herr, für Euch würde ich über Gräben und Hecken springen; aus Dankbarkeit möchte ich Euch gehören ohne Rückhalt, und lieber wollte ich auf mein zukünftiges Glück verzichten, als daß Ihr die geringste Beschwerde haben solltet. Unterdessen will ich täglich für Euch beten aus allen meinen Kräften.«

Unbeweglich stand sie da, anzusehen wie ein gemaltes Heiligenbild, und schaute unverwandt dem Meister nach, der sich langsamen Schrittes entfernte, indem er sich von Zeit zu Zeit gegen sie umwandte und ihr freundlich zuwinkte. Auch als der Meister ihr längst aus den Augen war, stand sie immer noch so, ganz verloren in Gedanken, bis die Nacht hereinbrach, und es war ihr, als ob sie das alles nur geträumt hätte. So geschah es, daß sie viel zu spät nach Hause kam. Wegen dieser Verspätung wurde sie geschlagen, aber sie spürte die Schläge nicht.

Der gute Meister verlor Hunger und Durst, er schloß seine Bude und dachte an nichts als an das Mädchen. Wo er stand und ging, hörte und sah er nichts andres.

Am dritten Tage machte er sich auf nach der Abtei und konnte es nicht erwarten, mit dem Abt zu sprechen. Es war ihm ein wenig schwer ums Herz. Da unterwegs hatte er den klugen Einfall, er wolle sich unter den Schutz des Königs stellen, und also richtete er seine Schritte nach der königlichen Hofhaltung, die sich gerade in der Stadt befand. Wegen seines klugen Betragens war er von jedermann geachtet und war hochgeschätzt und beliebt um seiner köstlichen Arbeiten willen; auch fügte es sein Geschick, daß er noch jüngst dem Kämmerer des Königs für seine Dame eine äußerst zierliche Büchse oder Schatulle von Gold und edlem Gestein gemacht hatte, davon der Kämmerer und seine Freundin in höchstes Entzücken geraten waren. Versprach demnach dieser hohe Beamte des Königs dem Goldschmied ungesäumt Hilfe und Beistand. Er ließ sofort sein Pferd satteln, auch eines für den Goldschmied, ein recht frommes und zahmes, und also hoch zu Roß kamen sie zur Abtei des heiligen Germain und fragten nach dem Abt.

Das war Monsignore Hugo von Sennecterre, ein Greis von dreiundneunzig Jahren. Ihn bat der Kämmerer, daß er ihm die Erfüllung eines Wunsches zusage, der leicht zu gewähren sei und womit ihm eine große Gnade geschehe. Der Goldschmied aber wagte unterdessen nicht zu atmen vor Erwartung und Bangigkeit. Jedoch der Abt schüttelte den Kopf und antwortete ernst, daß ihm durch die kanonischen Gesetze aufs strengste verboten sei, etwas im voraus zu versprechen und sein Wort zu verpfänden.

»Wisset also, ehrwürdiger Vater«, sprach der Kämmerer, »daß dieser Meister, Goldschmied unsres gnädigen Herrn, des Königs, eine große Liebe zu einem leibeigenen Mädchen gefaßt hat, das der Abtei angehört, und ich bin gekommen, Euch zu bitten, die Freilassung dieses Mädchens zu gewähren, wogegen ich meinerseits Euch jeden Wunsch, soweit es in meiner Gewalt steht, zu erfüllen willens und bereit bin.«

»Wer ist das Mädchen?« fragte der Abt den Goldschmied.

»Sie heißt Tinette mit Namen«, sprach schüchtern der Meister.

»Oho!« rief der Abt lächelnd, »so hat also kein schlechter Gründling in den Köder gebissen. Der Fall ist ernst, ich kann ihn nicht allein entscheiden.«

Aber der Kämmerer runzelte die Stirne:

»Was eine solche Rede heißen will, ehrwürdiger Vater, können wir uns wohl denken.«

»Gut«, erwiderte der Abt; »aber wißt Ihr auch, mein Herr, was das Mädchen wert ist?«

Der Abt gab Befehl, daß man Tinette herbeirufe. Er sagte dem Schreiber, daß man sie zuvor aufs beste kleide und ihr Mut einrede, so gut man vermöge.

Der Kämmerer aber zog den Goldschmied auf die Seite.

»Freund«, sprach er, »ich fürchte Gefahr für Eure Liebe, ja, ich rate Euch, den phantastischen Plan ganz aufzugeben. Warum auch nur? Ihr könnt überall, sogar bei Hofe, junge und hübsche Frauen genug finden, die Euch gern heiraten, und wenn es nötig ist, wird Euch der König zu diesem Zweck einen Adelsbrief nicht verweigern, kraft dessen Ihr mit der Zeit zu Glanz und Ehren kommen möget. Wenn Ihr nur eine genügend große Truhe voll Taler habt, kann es Euch nicht fehlen.«

»Daran ist nicht zu denken, Herr«, antwortete Anselm; »ich habe ein Gelübde getan.«

»Gut denn, so kauft die Freilassung des Mädchens. Ich kenne die Mönche. Für Geld ist alles bei ihnen zu haben.«

»Hochwürdiger Herr«, sprach der Goldschmied, indem er sich dem Abt näherte, »Ihr habt Amt und Auftrag, auf Erden Gottes Güte und Barmherzigkeit vorzustellen, die für uns arme Menschen ein Hort unerschöpflicher Gnade sind. Ich will mein Leben lang jeden Abend und jeden Morgen Euch in mein Gebet einschließen und niemals vergessen, daß ich all mein Glück aus Eurer Hand empfangen habe, wenn Ihr mir behilflich sein wollt, daß ich dieses Mädchen in rechtmäßiger Ehe heiraten kann, ohne daß Ihr Anspruch erhebt auf die Dienstbarkeit der Kinder, die daraus entspringen. Zum Danke dafür will ich Euch eine Monstranz machen, so sorgfältig gearbeitet, so reich an Gold und Edelgestein, geziert mit geflügelten Engeln und andern heiligen Figuren, daß es in der ganzen Christenheit keine schönere geben soll. Ganz einzig in ihrer Art soll sie sein, daß sich Euer Auge erfreut, wenn Ihr sie anseht; sie soll ein ewiger Ruhm sein für Euren Altar, und aus der Stadt und von weither sollen die Menschen zusammenströmen, um sie zu sehen: ein solches Wunder der Kunst soll sie sein.«

»Mein Sohn«, antwortete der Abt, »Ihr wißt nicht, was Ihr redet. Wenn Ihr entschlossen seid, dieses Mädchen in rechtlicher Ehe zu heiraten, so seid Ihr damit auf ewige Zeit der Abtei verfallen, Ihr mit allen Euren Gütern und Nachkommen.«

»Oh, hochwürdiger Herr, ich bin dem Mädchen in aufrichtiger Liebe zugetan und bin mehr gerührt von seiner Armut und seinem christlichen Herzen als von seinen körperlichen Vorzügen; aber« – dem Armen traten die Tränen in die Augen – »noch größer als meine Liebe ist mein Erstaunen über Eure Härte. Das sage ich Euch, obwohl ich weiß, daß mein Schicksal in Euren Händen liegt. Ja, ehrwürdiger Herr, ich kenne das Gesetz. Meine Güter können in Eure Gewalt kommen, ich kann Euer Leibeigener werden, ich kann mein Haus und mein Bürgerrecht verlieren; aber was ich durch meine Mühen und Studien gewonnen habe, meine Kunst, die hier liegt« – er deutete dabei auf seine Stirn –, »an sie kann außer Gott und mir selber niemand in der Welt ein Herrschaftsrecht beanspruchen, und die reichen Schöpfungen, die daraus hervorgehen, Ihr könnt sie mit Eurer ganzen Abtei nicht bezahlen. Mein Leib, mein Weib, meine Kinder können Euch verfallen, aber kein Gesetz der Welt kann Euch meine Kunst zusprechen, durch keine Tortur der Welt könnt Ihr in deren Besitz kommen, denn ich bin stärker, als das Eisen hart, und geduldiger, als der Schmerz groß ist.«

Als der Goldschmied so gesprochen hatte, ergriff ihn eine ungeheure Wut über die kühle Ruhe des Abts, der entschlossen schien, die Dukaten des guten Meisters seinem Kloster nicht entgehen zu lassen; er schlug mit seiner Faust auf einen eichenen Stuhl, der vor ihm stand, und zersplitterte ihn, wie wenn der große Schmiedehammer darauf niedergesaust wäre, in tausend Stücke. »Seht, ehrwürdiger Herr«, sprach er, »was Ihr für einen Knecht gewinnen werdet! Aus einem Schöpfer göttlich schöner Dinge ein Lasttier zu machen, das ist alles, was Ihr könnt.«

»Mein Sohn«, antwortete der Abt, »Ihr tut sehr unrecht, mir meine Stühle zu zerbrechen, und unrecht tut Ihr auch, meine Seele so obenhin zu beurteilen. Dieses Mädchen ist Eigentum der Abtei, nicht mein persönliches Eigentum; ich aber bin von diesem glorreichen Kloster aufgestellt, ein getreuer Verwalter und Anwalt seiner Satzungen und Gerechtsame zu sein. Wenn ich nun auch diesem leibeigenen Weibe die Freiheit geben kann, freie Kinder zu gebären, so habe ich doch darüber Gott und der Abtei Rechenschaft abzulegen. Wisset darum, daß, seitdem hier ein Altar steht und seitdem es hier Leibeigene und Mönche gibt, id est seit undenklichen Zeiten, es niemals erhört worden, daß ein freier Bürger durch Heirat mit einem leibeigenen Mädchen Eigentum der Abtei geworden wäre. Also ist es erforderlich, genau zu handeln wie es rechtens, und das Recht durch den Brauch zu festigen, daß es nicht geschwächt werde und in Verfall gerate, ja, auch nicht eines Haares Breite davon verlorengehe, woraus unabsehbare Verwirrung entstehen müßte. Das ist alles für den Staat und die Abtei eine unendlich wichtigere Sache als Eure Monstranzen, so schön sie sein mögen, denn um Juwelen und Kostbarkeiten zu kaufen, besitzen wir einen genügenden Schatz; aber kein Schatz der Welt ist imstande, Bräuche und Gerechtsame gültig aufzustellen. In diesem Punkt berufe ich mich auf den hier gegenwärtigen Kämmerer des Königs, der täglich Zeuge ist, welche unendliche Mühe und Arbeit unser gnädiger Herr fortwährend auf sich nimmt, um seinen Gesetzen und Verordnungen Festigkeit und Bestand zu verleihen.«

›Aha‹, dachte der Kämmerer bei sich, ›damit soll mir der Mund gestopft werden.‹

Der Goldschmied war kein großer Rechtskundiger, er schwieg nachdenklich. Unterdessen trat Tinette ein, blank gescheuert wie ein zinnerner Teller, die Haare fein aufgesteckt, das weiße linnene Gewand mit einem blauen Gürtel zusammengehalten, die Füße mit weißen Strümpfen und zierlichen Schuhen bekleidet, kurz, so königlich schön, so vornehm in ihrer Haltung, daß der Goldschmied ganz starr wurde vor Erstaunen und der Kämmerer gestehen mußte, niemals eine so vollkommene Kreatur gesehen zu haben. Er bedachte, daß dieser Anblick dem armen Goldschmied allzu gefährlich sei. Darum beeilte er sich, den guten Mann ohne Vorschub in die Stadt zurückzubringen, und redete ihm zu, sich die Sache sehr zu überlegen, da doch der Abt niemals zugeben würde, daß ein so feiner Lockvogel, auf den Bürger und Edelleute hineinfallen, aus dem Käfig der Abtei entweiche.

Und wirklich tat das Ordenskapitel dem armen Verliebten kund und zu wissen, daß, wenn er das Mädchen heirate, er sich entschließen müsse, Haus und Hof der Abtei zu überlassen und sich mit allen seinen Kindern, die aus dieser Ehe kämen, als Leibeigener des Klosters zu betrachten, doch solle er durch eine ganz besondere Gnade des Abts fernerhin in seinem Hause wohnen dürfen unter der Bedingung, daß er dafür und für alles, was sich darin befand, dem Kloster Zins zahlte und alljährlich acht Tage eine Gesindestube im Kloster bezöge zum Zeichen und zur Bestätigung seiner Dienstbarkeit.

Da erkannte der Goldschmied, dem alle Welt die bösartige Hartnäckigkeit der Mönche in grellen Farben schilderte, daß der Abt seinen Beschluß unverbrüchlich aufrechterhalten werde. Er geriet darüber in einen Zustand heller Verzweiflung. In seiner Desperation wollte er bald das Kloster an allen vier Ecken anzünden, bald den Abt an einen bequemen Ort locken und ihn so lange durchbleuen, bis er den Freibrief für Tinette unterzeichnen würde, und so tausend Phantastereien, die alle in Rauch aufgingen. Zuletzt aber, nach vielem Schmerz und Jammer, faßte er den festen Entschluß, das Mädchen zu entführen und sich mit ihr in ein Land zu flüchten, wo ihn selbst der lange Arm des Abts nicht erreichen sollte. In diesem Sinne traf er seine Vorbereitungen. Denn er dachte, wenn er nur einmal außerhalb des Königreichs sei, könnten seine Freunde und der König die Mönche leichter zur Vernunft bringen. Der Mann machte aber seine Rechnung ohne den Wirt, das heißt ohne den Abt, denn wie er sich nun auf die Lauer legte nach seinem Schatz, bekam er von Tinette auch nicht das kleinste Zipfelchen zu sehen, sondern hörte, wie man sie in der Abtei in strengstem Gewahrsam hielte, daß er das Kloster hätte erstürmen müssen, um ihrer habhaft zu werden. Da kannte erst die Verzweiflung des Meisters Anselm keine Grenzen mehr, und er brach bald in lautes Wehklagen, bald in fürchterliche Flüche aus. So kam es, daß in der ganzen Stadt die Hausväter und Hausmütter von nichts anderem mehr sprachen als von diesem seltsamen Abenteuer, derart, daß das Gerücht sogar vor die Ohren des Königs kam.

Dieser ließ den greisen Abt an seinen Hof entbieten und machte ihm ernsten Vorhalt darüber, daß er sich von der großen und außerordentlichen Liebe des Goldschmieds in seinem harten Sinn nicht erweichen ließ, um an Stelle des unbeugsamen Rechts die christliche Milde und Gnade walten zu lassen.

»Aber wißt Ihr nicht, allergnädigster Herr«, antwortete der Priester, »daß alle Rechte so ineinander gefügt und verhäkelt sind wie die einzelnen Teile einer Rüstung, so zwar, daß, wenn man ein Stück herausnimmt, das Ganze allen Halt und alle Festigkeit verlieren muß! Wenn man uns dieses Mädchen nehmen dürfte gegen unsern Willen und unser Recht, was sollte Eure Untertanen hindern, Euch die Krone vom Kopf zu reißen und in heller Empörung sich gegen Abgaben und Frondienste aufzulehnen, die das gemeine Volk vor allem drücken?«

Der schlaue Abt wußte nicht nur einem Kämmerer, sondern auch einem König das Maul zu stopfen.

Und da war nun jeder aufs äußerste begierig, was für einen Verlauf die Sache nehmen werde. So groß war die allgemeine Teilnahme, daß sogar Wetten eingegangen wurden. Die Herren wetteten darauf, daß der Tourainer seine Liebe aufgeben werde, die Damen das Gegenteil.

Da kam der Goldschmied auf den Gedanken, sich der Königin zu Füßen zu werfen und ihr weinend zu klagen, daß ihm die Mönche nicht einmal den Anblick seiner Geliebten gönnten; er rührte so sehr das Herz der hohen Frau, daß sie ihm versprach, sich ins Mittel zu legen. Und in der Tat erwirkte sie vom Herrn Abt die Erlaubnis, daß der Tourainer täglich an das Sprechgitter des Klosters kommen durfte, wo Tinette alsdann erschien, doch immer in Begleitung eines alten Mönches. Und immer erschien sie in festlichem Anzug wie eine große Dame. Den beiden Liebenden wurde nichts weiter erlaubt, als sich zu sehen und zu sprechen ohne ein Haar darüber hinaus, und ihre Liebe wuchs darum nur um so mehr.

Eines Tages sprach Tinette also zu ihrem Geliebten: »Mein teurer Herr, ich habe bei mir beschlossen, Euch mein Leben zum Geschenk zu machen, daß Ihr Trauer und Kummer ablegen sollt. Höret mich an, ich habe mich über alles wohlunterrichtet und habe ein Mittel gefunden, die Gesetze der Abtei zu umgehen und Euch alles Glück zu geben, das Ihr von meinem Besitz erwartet. Der geistliche Richter hat mir erklärt, daß Ihr, als nicht in der Leibeigenschaft geboren, sondern nur darein verfallen durch eine besondere Ursache, auch wieder davon frei werden müßt, sobald die Ursache, die Euch in die Dienstbarkeit zwingt, nicht mehr vorhanden ist. Wenn Ihr mich also liebt über alles in der Welt, gebt all Euer Gut daran, mich zu erwerben und zu ehelichen; dann besitzet mich zu Eurem Glück, erfreut Euch meiner, soviel es Euch gefällt. Doch bevor ich Euch Nachkommen bringen werde, will ich mich freiwillig töten, und mein Tod wird Euch die Freiheit geben. Bei diesem Handel werdet Ihr den König, unsern gnädigen Herrn, der Euch überaus wohlwill, wie man sagt, auf Eurer Seite haben, und mir, daran zweifle ich nicht, wird Gott meinen Tod in Gnaden verzeihen, weil ich damit meinem Herrn und Gemahl die Freiheit schenke.«

»Meine liebe Tinette«, rief der Goldschmied, »darüber kein Wort mehr, ich will leibeigen werden, und du sollst leben und mein Glück und meine Freude sein bis an das Ende meiner Tage. Wenn du bei mir bist, sollen die schwersten Ketten mich nicht drücken, und wenig soll es mich anfechten, daß ich keinen Pfennig mein eigen nenne; denn ein größerer Reichtum als alle Reichtümer der Welt ist dein Herz, und kein höheres Gut wüßte ich auf Erden als deinen süßen Leib. Großes Vertrauen setze ich in den heiligen Eligius, er wird sich in seiner Gnade und Barmherzigkeit uns. zuwenden und vor dem Schlimmsten bewahren. Noch zu dieser Stunde will ich zu einem Schreiber gehen, um Brief und Vertrag aufsetzen zu lassen. Und dessen sei sicher, du Blume meines Lebens: da uns der Abt lassen muß, was ich mit meiner Kunst fortan verdiene, sollst du besser wohnen, vornehmer gekleidet und aufmerksamer bedient sein als eine Königin.«

Tinette lachte und weinte zugleich, sie wehrte sich gegen ihr Glück und wollte durchaus sterben, um einen freien Mann nicht in die Dienstbarkeit zu bringen; aber der gute Anselm gab ihr so liebe Worte und drohte zuletzt, ihr in das Grab nachzufolgen, daß Tinette sich endlich fügte und zur Heirat bereit erklärte, weil sie dachte, daß sie sich nach dem Glück der Liebe jederzeit töten könne.

Als es in der guten Stadt Paris bekannt wurde, daß der Tourainer sich den Forderungen des Abts unterwerfen und lieber auf seine Habe und seine Freiheit als auf seine Geliebte verzichten wolle, wurde er wie ein Mirakel angestaunt, und jedermann wollte sich das Meerwunder ansehen. Die Damen des Hofes kauften zu diesem Zwecke mehr Juwelen, als sie tragen konnten. Bis zum Überdruß überliefen ihn die Frauen, und jetzt hätte er sich schadlos halten können für die Zeit, da er ihrer gänzlich beraubt war. Aber wenn auch einige an Schönheit seiner Tinette glichen, hatte doch keine ihr goldenes Herz.

Indem nun der Tag der Sklaverei und der Liebe immer näher kam, nahm Anselm all sein Gold und formte eine königliche Krone; darein setzte er alle Perlen und Diamanten, die er besaß. Diese Krone übergab er in einer geheimen Audienz der Königin, indem er also sprach:

»Allergnädigste Frau, hier ist mein bestes Hab und Gut, ich weiß nicht, wem ich es vertrauen soll. Was man morgen noch in meiner Wohnung findet, wird den verdammten Mönchen anheimfallen, die ohne Nachsicht und Barmherzigkeit gegen mich waren. Wollet darum gnädigst geruhen, mir diesen Schatz zu bewahren. Er ist ein schwacher Dank für das Glück, das Ihr mir verschafft habt, die zu sehen, die ich liebe; denn ein einziger Blick von ihr ist mehr wert als alle Schätze der Erde. Ich weiß nicht, was mein Schicksal sein wird; aber meine Kinder, die vielleicht einst frei werden, empfehle ich Eurer königlichen Großmut.«

»Das habt Ihr wohl gesprochen, Gevatter«, antwortete freundlich der König. »Gewiß kommt einmal der Tag, wo der Abt mich nötig haben wird, dann will ich ihn an Euch erinnern.«

Die Abtei konnte kaum die Menschen alle fassen, die herbeiströmten, um der Vermählung der schönen Tinette beizuwohnen. Die Königin hatte ihr das Hochzeitskleid geschenkt, und der König verlieh ihr die ganz besondere Gnade, alle Tage des Jahrs goldene Ohrringe tragen zu dürfen. Als das schöne Paar die Abtei verließ und in dem Hause des Goldschmieds, der nun Leibeigener geworden war, seinen Einzug hielt, sah man in den Straßen alle Fenster beleuchtet, und Tausende von Menschen bildeten Reihe, wie wenn es der König gewesen wäre. Der arme Ehemann hatte sich selber ein silbernes Armband an seinen linken Arm geschmiedet und trug es als Zeichen seiner Abhängigkeit von dem Kloster zu Saint-Germain. Aber wenngleich er nur ein leibeigener Mann war, rief das Volk »Heil! Heil!« wie bei der Verkündigung eines neuen Königs. Und der Gevatter grüßte mit viel Anstand, er war glücklich, wie nur ein Verliebter sein kann, und hocherfreut über die Huldigungen, die man der Anmut und Bescheidenheit seiner jungen Frau entgegenbrachte. Vor seinem Hause fand der gute Tourainer einen Kranz von grünen Zweigen und Kornblumen über seiner Tür, und die vornehmsten Meister des Stadtviertels waren versammelt; Musik ertönte zu seinem Empfang, und der Zunftmeister rief: »Ihr werdet immer ein edler Mann sein, der Abtei zum Trotz.«

Wie die beiden nun ihr Glück genossen, könnt ihr, verständnisinnige Leser, euch selber ausmalen; ich kann euch nur so viel sagen, daß das Kampfspiel heftig war, bei dem das gute Kind vom Lande die Ausfälle des Mannes gut parierte, und daß die beiden einen Monat in Freuden hinlebten wie zwei Turteltauben, die im Frühling Reis um Reis ihr Nest bauen. Recht wie in einem solchen warmen Nest fühlte sich Tinette in dem schönen Hause, und wenn sie gewahrte, wie sie von den Kunden, die ab und zu gingen, angestaunt und bewundert wurde, da kannte ihr Glück keine Grenzen.

Als nun die Flitterwochen vorüber waren, da kam eines Tages in großem Pomp der gute alte Abt Hugo, ihr Herr und Meister, in das Haus, das jetzt nicht mehr dem Goldschmied, sondern dem Kloster gehörte. Er hielt dem überraschten Ehepaar folgende Rede: »Meine Kinder«, sagte er, »ihr seid frank und frei und losgesprochen von allem, auch muß ich euch sagen, daß ich vom ersten Anfang an von eurer Liebe zueinander aufs tiefste gerührt war. Die Gesetze und Gerechtsame der Abtei mußte ich wahren und hochhalten; aber nun, da ihr vor dem Altar des Allerhöchsten eure Unterwerfung unter das Gesetz feierlich kundgetan, hindert mich nichts mehr, euch ganz glücklich zu machen. Nicht einen Silberling soll euch eure Freimachung kosten.«

Als der Abt so gesprochen, gab er jedem von beiden einen leisen Backenstreich, sie sanken in die Knie, heiße Freudentränen rannen ihnen über die Wangen, und das aus guten Gründen. Dann riß der Tourainer das Fenster auf und machte dem Volk, das zusammengeströmt war, die Mitteilung von dem großmütigen Geschenk und seiner Begnadigung durch den guten Abt Hugo. Unterdessen schickte dieser sich an, seine Stute wieder zu besteigen; da griff Meister Anselm nach den Zügeln und schritt in großer Ehre neben dem Abte her bis zum Stadttor. Er hatte sich eine Tasche mit Silbermünzen umgehängt, und auf dem ganzen Wege warf er Geld unter die Armen und Notleidenden, indem er ausrief: »Gnade und Barmherzigkeit Gottes! Gott schütze und segne den Abt! Es lebe der gnädige Herr Hugo!«

In sein Haus zurückgekehrt, bewirtete er alle seine Freunde und machte von neuem Hochzeit. Diese dauerte eine ganze Woche. Der Abt aber wurde von seinem Kapitel für seine Gnade und Freigebigkeit nicht wenig ausgescholten. Denn diesen Mönchen war schon das Wasser im Munde zusammengelaufen beim Gedanken an den fetten Bissen aus dem Hause des reichen Goldschmieds. Und als ein Jahr darauf der gute Hugo krank wurde, verfehlte sein Prior nicht, ihm zu Gemüte zu führen, daß dies eine Strafe des Himmels sei dafür, daß er ein ungetreuer Verwalter war an der Sache Gottes und des Klosters.

»Ich müßte mich in dem Manne sehr irren«, antwortete der Abt, »wenn er sich nicht daran erinnerte, was er uns schuldig ist.«

Das war aber gerade der Jahrestag der Hochzeit, und ein Mönch, der in die Zelle trat, meldete, draußen sei der Goldschmied und bitte um eine Unterredung mit seinem Wohltäter. Bald darauf erschien Meister Anselm in dem Gemach und enthüllte vor den Augen des Abts zwei wunderbare Gebetsrahmen, wie sie von keinem Meister der Christenheit je schöner gemacht worden sind und die nachher berühmt wurden unter dem Namen der ›Stiftung einer ausdauernden Liebe‹. Wie jedermann weiß, wurden diese Meisterwerke auf dem Hauptaltar der Kirche von Saint-Germain aufgestellt. Sie gelten noch heute für Arbeiten von ganz unschätzbarem Wert. Der Goldschmied hatte sein ganzes Vermögen dafür ausgegeben. Dennoch verringerte er durch dieses Geschenk seine Wohlhabenheit nicht; diese wuchs vielmehr von Jahr zu Jahr wie der Ruhm seiner Kunst, und der fromme Goldschmied konnte sich nicht nur ein Adelsdiplom kaufen, sondern auch die Ländereien, die dazu gehörten. Er wurde der Stammvater derer von Anselm oder Anseau, die in unserm Tourainer Land durch viele Jahrhunderte in hoher Blüte standen.

Daraus können wir lernen, daß wir in unsern Unternehmungen auf Gott und seine Heiligen vertrauen und treu ausharren sollen in allen Dingen, die wir als gut anerkannt haben; außerdem, daß wahre Liebe alles überwindet, als welches zwar ein uralter Satz ist, den aber der Autor als eine erfreuliche Wahrheit gern von neuem niederschreibt.


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