Honoré de Balzac
Die dreißig tolldreisten Geschichten – Zweites Zehent
Honoré de Balzac

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Epilog des zweiten Zehent

Obwohl dieses zweite Zehent an seiner Fassade die Aufschrift trug, welche besagte, daß es bei Schnee und Kälte seiner Vollendung entgegengeführt worden, erscheint es nun doch erst im schönen Monat Juni, im Rosenmond; denn der guten Muse, deren Diener und Untertan der Autor ist, schien die Zeit der Kränze allein würdig für ihre Früchte; die Dame hat mehr Grillen und Launen als die Liebe einer phantastischen Königin, und niemand wird sich je rühmen können, ihrer Unbeständigkeit Herr zu werden. Oft, wenn ein ernstes Problem den Geist des Autors beschäftigt und schwere Gedanken wie Geier an seinem Gehirn fressen, ist das Luderchen da, flüstert ihm lachend und kichernd ihre Tollheiten ins Ohr, kitzelt ihn mit der Feder unter der Nase, tanzt eine Sarabande vor seinen Augen, kurz, tut, als ob sie das Haus zum Fenster hinauswerfen wollte. Wenn zu seinem Unglück dann der arme Schreibersmann seine strenge Wissenschaft verläßt und sagt: Warte, mein Liebchen, gleich bin ich bereit! – und wenn er sich schon erhebt, um mit der Dirne sich einen vergnügten Tag zu machen, husch, ist sie weg und hockt irgendwo in einem versteckten Winkel und schmollt. Es nützt gar nichts, die Rute, den Stock und die Peitsche gegen sie aufzuheben, es nützt auch nichts, sie wegen ihrer Unart noch so sehr auszuzanken, da kauert sie und schmollt. Ob man ihr das Haar zerrauft und die Kleider zerreißt, sie schmollt; ob man sie liebkost und ihr gute Wörtlein gibt, sie schmollt. Ihr könnt sie in den Arm nehmen und auf den Mund küssen, ihr könnt sie euer Vielliebchen heißen, sie grollt und schmollt. Sie klagt und wimmert, sie friert, sie will sterben vor Elend. Zum Teufel dann die Liebe, zum Teufel das Lachen und die Lust, zum Teufel alle guten Schwänke und Geschichten.

Aber legt ihr dann Trauer an um ihren Tod und fangt an, um sie zu weinen, heisa, hebt sie das Köpfchen, bricht in ein tolles Lachen aus, entfaltet ihre weißen Flügel, erhebt sich in die Lüfte, schlägt tausend Purzelbäume, zeigt bald den greulichen Schwanz eines Teufels, bald die weißen Brüste eines schönes Weibs; zeigt bald ihre üppigen Hüften, bald das Gesicht eines Engels, schüttelt ihr reiches, duftiges Haar, wälzt sich auf den Strahlen der Sonne, leuchtet ganz von Schönheit, schillert in farbigem Glanz wie der Hals einer Taube und lacht dann wieder, daß ihr die Tränen in die Augen treten. Und ihre Tränen fallen nieder ins Meer, wo die Fischer sie als Perlen wiederfinden, um die Stirn schöner Königinnen damit zu schmücken. Kurz, sie vollführt Kapriolen und Sprünge wie ein junges losgelassenes Füllen und zeigt hundertmal ihren weißen jungfräulichen Bug und noch köstlichere Dinge, bei deren Anblick ein Papst sich in die Verdammnis stürzen würde.

Während dieser Tollheiten der ungezähmten Range kommen dann die Dummköpfe und Philister und fragen den armen Dichter: »Wo ist dein Pegasus? Wo ist dein neues Zehent? Ihr seid ein schlechter Worthalter. Nun ja, man kennt Euch. Dreiviertel Eurer Zeit verpraßt Ihr, und in den Zwischenpausen liegt Ihr auf der faulen Haut. Wo ist nun Euer Werk?«

Obwohl ich von Natur sanften Gemüts bin, möchte ich einmal einen dieser Herren an einem türkischen Marterpfahl angebunden sehen, um ihm zu sagen: »Wie geht's, Freundchen, nicht auf der Hasenjagd heut?«

Hier endet das zweite Zehent. Möge der Teufel es auf seinen Hörnern dahintragen, so kann ich sicher sein, daß es von der lustigen Christenheit gut aufgenommen wird.


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