Honoré de Balzac
Die dreißig tolldreisten Geschichten – Zweites Zehent
Honoré de Balzac

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Die abgeschnittene Wange

Zur Zeit, als König Karl der Achte es sich in den Kopf setzte, das Schloß von Amboise in seiner späteren Gestalt auszubauen, brachte er von Italien eine große Anzahl Werkleute mit, Maler, Steinmetzen und Maurer oder Architekten, die aus der Galerie des Schlosses ein schönes und berühmtes Kunstwerk machten, das aber aus Achtlosigkeit wieder verdorben wurde.

Weilte also zu jener Zeit der Hof an diesem lustigen Ort, und liebte es der junge König, wie jedermann weiß, den Künstlern bei der Ausführung ihrer Erfindungen zuzuschauen. Nun war unter den fremden Meistern ein Florentiner mit Namen Angelo Cappara, ein verdienstvoller Mensch, Bildhauer seines Zeichens, der allgemein bewundert wurde, da er so geschickt und gelehrt war in der Kunst zu bilden und zu formen, obwohl er erst im Lenz seiner Jugend stand und ihm kaum der erste Flaum auf der Lippe sproß.

Die Damen besonders waren alle in den Unbärtigen verschossen; denn er war schön wie ein Traum und melancholisch wie eine Taube, die allein im Neste zurückgeblieben ist, weil man ihr den Gefährten weggefangen hat. Und das hatte seine guten Gründe. Der gute Bildhauer krankte an der Armut, als welches eine Krankheit ist, die das Leben verengt und verdüstert. Er lebte hart, aß wenig, und voll Mißmut über seine armselige Lage warf er sich mit einer wahren Verzweiflung auf die Arbeit, um durch seine Kunst und mit übermenschlicher Anstrengung sich die Mittel zu einem müßigen Leben zu erwerben, das allen denen so köstlich scheint, deren Geist beschäftigt ist. Weil er sich seiner Armut schämte, kleidete er sich besser als die andern, wenn er zu Hofe ging. Auch wagte er nicht aus jugendlicher Schüchternheit und Verschämtheit seinen Sold zu verlangen vom König, der ihn wohlversorgt glaubte, da er ihn so reich gekleidet sah. Herren und Damen bewunderten seine Werke und nicht weniger den Autor, aber das war auch die einzige Bezahlung, die er erhielt. Besonders die Damen hielten ihn für reich genug in der Fülle und Pracht seiner Jugend, mit dem leuchtenden schwarzen Haar und den funkelnden Augen, und konnten sich nicht denken, daß ein Adonis unglücklich sein könne, weil es ihm an Groschen fehlte. Sie hatten auch vollkommen recht, da schon so mancher höfische Geck mit solchen körperlichen Vorzügen Rittergüter und Dukaten in Haufen gewonnen hat. Ungeachtet seines knabenhaften Aussehens hatte Meister Angelo die Zwanzig bereits hinter sich. Er war auch kein Dummkopf, ein hoher Ehrgeiz schwellte ihm das Herz, und sein Kopf war erfüllt von poetischen Gedanken und schönen Bildern; aber die Bescheidenheit machte ihn zaghaft, und es ging ihm wie allen Armen, der Erfolg der Dummen schüchterte ihn noch mehr ein. Er dachte dann schlecht von sich selber, hielt sich für mißraten an Leib und Seele und wurde immer kleinmütiger und verschlossener. Er würgte alle Gedanken in sich hinein, oder vielmehr er vertraute sie heimlich der Nacht und dem Schatten, den Sternen und dem Mond, vertraute sie Gott und dem Teufel. Er bedauerte sich selber, ein so heißes Herz in der Brust zu haben, daß ohne Zweifel die Damen sich davor hüteten wie vor einem glühenden Eisen. Dann sagte er sich oft vor, wie heftig er seine Geliebte lieben würde, wie er sie halten würde gleich einer Königin, wie er ihr in Treue anhängen und mit welchem Eifer er ihr dienen wollte, wie er ihr den leisesten Wunsch an den Augen ablesen und wie er sie aufheitern wollte mit seinen Erfindungen, wenn sie traurig wäre oder auch nur ein Wölkchen von Melancholie sich am Himmel ihrer Seele zeigte.

Mit der Lebhaftigkeit seiner bildnerischen Phantasie stellte er sich vor und malte sich aus, wie er sich vor ihr niederwarf, wie er ihr den Fuß küßte, ihr die Hand streichelte, sie mit den Augen verschlang und liebkoste; und wahrlich, er glich dem Gefangenen, der durch ein Mauerloch einen Fleck Wiese sieht und sich alsbald hinausversetzt und lustwandelt über blühende Fluren. Immer mehr ging die Phantasie mit ihm durch, er führte ganze Reden mit der Geliebten, er schloß sie gewaltsam in seine Arme, trotz des hohen Respekts und biß zuletzt seine Zähne in das Kissen, aus Wut, daß ja alles gar nicht war, nirgends eine Dame und er allein mit seiner Verlassenheit. Je kühner er träumte, um so schüchterner und befangener war er am andern Tag, wenn er in Wirklichkeit einer Dame gegenüberstand.

Er ließ dennoch nicht von seinen verliebten Phantastereien, sie feuerten ihn an bei der Arbeit, und unter seinen Meißelhieben formten sich so die weiblichen Brüste, daß dem Beschauer das Wasser im Munde zusammenlief vor diesen Äpfeln der Liebe, von andern Dingen nicht zu reden, die er rundete mit seinem Meißel, die er liebkoste mit seiner Feile, daß sie immer reiner in der Form, immer lebensvoller herauskamen und dem Dümmsten ihren Sinn verraten, den Tölpelhaftesten enttölpeln mußten. Und siehe, so manche Dame glaubte sich zu erkennen in den marmornen Schönheiten des Meisters Angelo und verliebte sich in den knabenhaften Wundertäter, der verstohlen nach den Gestrengen hinschielte und bei sich schwur, daß er die erste beste, die ihm auch nur einen Finger zum Küssen reichen sollte, haben wollte ganz und gar, mit Haut und Haar.

Eine dieser Damen, eine solche hohen Geblüts, wandte sich eines Tages ohne weiteres in Person an den herzigen Jüngling und fragte ihn, warum er so den Scheuen spiele und ob es wohl keiner der Damen am Hof gelingen werde, ihn zu fesseln. Und unter vielen Schmeicheleien lud sie ihn für den Abend zu sich ein.

Und Meister Angelo beeilte sich, sich zu parfümieren, sich einen samtenen Mantel mit seidenen Fransen zu kaufen, sich bei einem Freund ein Wams mit langen Ärmeln und ein Paar durchbrochene, mit Seide gefütterte Pluderhosen zu leihen und also ausgerüstet die Treppe hinaufzusteigen zu seiner Schönen, die Seele geschwellt von Hoffnung und nicht wissend, wohin mit seinem Herzen, das hüpfte wie ein Zicklein am Ostermorgen, so groß war seine Liebe, so voll war er davon zum voraus.

Die Dame war nämlich wirklich schön, und Angelo Cappara wußte es besser als irgendeiner; denn als Meister seines Handwerks hatte er sich eine vollkommene Kennerschaft erworben in Sachen des menschlichen Körpers und wußte Bescheid über seine Linien und Proportionen in Armen und Beinen und Hals und Brust und sonstigen kallipygischen Mysterien. Diese Dame aber erfüllte nicht nur alle noch so strengen Forderungen seines Künstlerauges, sie war nicht nur weiß wie ein Schwan und von zierlichen Formen, sie hatte außerdem eine Stimme, die tief zu Herzen drang oder wo sonst das Leben sitzt, um es aufzupeitschen und Seele und Hirn und alles in Flammen zu setzen. Kurz, sie war derart, daß sie in der Phantasie vom ersten Augenblick an die wollüstigen Bilder von Dingen aufregte, an die sie doch, worin eben die Stärke dieser verdammten Weibsen liegt, selber gar nicht zu denken schien.

Der Bildhauer fand sie in einem hohen Sessel am Kaminfeuer sitzend, und alsbald fing sie an, ihn mit ihrem süßen Geplauder ganz einzuspinnen, während Meister Angelo in seiner Schüchternheit nichts zu kennen schien von ihrer Sprache als ›Ja‹ und ›Nein‹ und außer den beiden armselig kahlen Vokabeln kein Wort in seiner Kehle und in seinem Gehirn keinen noch so kleinen Gedanken fand, so daß er sich wie der ärmste Tropf der Welt vorgekommen wäre, wenn er nicht das Glück gehabt hätte, sie anzuschauen und ihr zuzuhören, deren Geplauder so wohlig klang wie das Gesumse einer Mücke, die in einem Strahl der Frühlingssonne tanzt.

Seine stumme Bewunderung hinderte aber nicht, daß beide bis gegen Mitternacht zusammenblieben, daß sie ihn immer fester an sich fesselte mit den Rosenketten der Liebe und daß er mit noch kühneren Hoffnungen von ihr Urlaub nahm, als die waren, mit denen er gekommen. Wenn eine so vornehme Dame, sagte er bei sich, einen vier Stunden in der Nacht an ihre Röcke heftet, so kann es nicht fehlen, daß sie ihn das nächstemal bis zum Morgen bei sich behält. Unter solchen Erwägungen wurde er immer entschlossener und nahm sich vor, nicht jede Nacht mit Präludien vorliebzunehmen. In seiner erhitzten Phantasie tötete er schon den Ehemann, der dazwischentrat, dann wieder die Frau in seiner Wut, dann sich selber aus Verzweiflung. Die Liebe war ihm schon so über den Kopf gewachsen, daß ihm das Leben in diesem Spiel ein geringer Einsatz, ein Tag mit der Geliebten mehr dünkte als tausend Leben.

Den ganzen Tag, während er auf seinen Stein einhieb, dachte er nur an den Abend, hieb oft daneben und verdarb manche Nase, während er ganz andre Dinge vor Augen hatte. Und um nicht noch größeren Schaden anzurichten, warf er Meißel und Feile von sich, schmückte sich und eilte zu seiner Schönen, in der festen Hoffnung, ihre süßen Schmeichelreden unvermerkt in Handlungen hinüberzuleiten. Aber in der Gegenwart seiner Herrin und getroffen vom Strahl weiblicher Majestät, fühlte sich der arme Cappara, so gewalttätig in Gedanken, in das frömmste Lämmlein verwandelt.

Nach und nach jedoch wurde er kühner und kühner, und nicht allzu lange dauerte es, so hatte er sich bereits mit List und Gewalt einen Kuß geraubt. Das war mehr, als wenn sie ihn freiwillig gegeben hätte. Denn wenn eine Dame einen Kuß gibt, kann sie ihn das nächstemal verweigern; wenn sie sich ihn aber rauben läßt, ist sie nicht imstande, zu verhindern, daß ihr der Geliebte zu dem einen tausend dazunimmt. Aus diesem Grund sind die Damen längst übereingekommen, keine Küsse zu geben, sondern sie sich lieber nehmen zu lassen, die Küsse und das andere.

Auch der Florentiner war unterdessen längst nicht mehr beim ersten, und die Berauschtheit machte ihn so kühn, daß er von dem letzten Ziel seiner Wünsche nur noch um einen Strohhalm entfernt war, als die Dame, die sich durchaus in der Gewalt hatte, plötzlich ausrief:

»Mein Mann!«

Erschien in der Tat der Hausherr, der vom Ballspiel zurückkam, auf der Schwelle, und der Bildhauer konnte entwischen, nicht ohne von seiner Angebeteten einen Blick voll Liebe und Bedauern mit auf den Weg zu nehmen.

Das war all sein Glück, Schmerz, Hoffnung und Verzweiflung während eines Monats. Immer in dem Augenblick, wo er im Begriffe stand, die Schwelle seines Paradieses zu überschreiten, erschien der Herr Gemahl auf der Schwelle des Gemachs, erschien wie verabredet immer zwischen einer Weigerung und einer zärtlichen Besänftigung, womit die Damen ihre Körbchen, die sie geben, gleichsam wie mit Rosen bekränzen und dem Verliebten Mut machen, sich immer neuen Niederlagen auszusetzen und neue Körbe zu holen.

Der Bildhauer aber wurde mit der Zeit ungeduldig und begann von da an den Kampf immer sofort bei seiner Ankunft. Auf diese Weise hoffte er, früher zum Sieg zu gelangen, als der Herr Gemahl nach Hause kam, um die Frucht der Liebe zu genießen, die in dem Feuer des andern gerade reif geworden. Die schöne Dame aber, die ihm seine Absicht an den Augen ablas, vereitelte durch ihr verändertes Betragen alle seine Hoffnungen. Sie verstand es aufs vortrefflichste, jeden Abend einen andern Zank vom Zaun zu brechen, jeden Abend eine andre Komödie zu spielen und ihn nach ihrem Belieben hinzuhalten. Bald machte sie die Eifersüchtige, daß er sich in langen Liebesschwüren ergehen und schon glücklich sein mußte, wenn sie sich ihm nur einigermaßen wieder gnädig zeigte, in welchem Moment ihn dann ein flüchtiger Kuß das Höchste deuchte. Bald versuchte sie es mit hinhaltenden Worten, öffnete alle Schleusen ihrer femininen Beredsamkeit, gab ihm eine Lektion nach der andern in der höheren Philosophie der galanten Liebe, setzte ihm lang und breit auseinander, wie er vernünftig zu sein, wie er sich zu kuschen habe, wie der Wille der Herrin ihm höchstes Gesetz sein müsse, wenn er erwarte, daß sie ihm ihre Seele und ihr Leben gebe, und daß nicht viel dazu gehöre und es wenig heißen wolle, der Geliebten seine Wünsche entgegenzubringen, die ihrerseits viel mehr Mut nötig habe, mehr Liebe und mehr Wagnis, die tausendmal mehr opfere, tausendmal mehr aufs Spiel setze ... Solche weise Reden unterbrach sie dann gelegentlich mit einem: »Laßt das!«, ausgesprochen mit dem Ton und der Miene einer erzürnten Königin, und wenn sich Cappara über ihre Härte beschwerte, sagte sie schmollend:

»Wenn Ihr nicht so sein wollt, wie ich Euch mir wünsche, werde ich Euch nicht mehr lieben.«

Kurz, der arme Italiener merkte endlich, daß er es nicht mit einem edlen und großen Herzen zu tun habe, einem Herzen, das nicht mit der Liebe schachert wie ein Krämer mit seiner Ware, vielmehr daß die Schöne sich ein Vergnügen daraus mache, ihn zappeln zu lassen an ihren Fäden und ihn mit faden Süßigkeiten hintanzuhalten und ihm alles zu gewähren, nur nicht das eine.

Cappara wurde wütend bei dieser Erkenntnis und beschloß, sich zu rächen. Er verabredete mit seinen Freunden, daß sie den Gemahl, wenn er abends aus der Gesellschaft des Königs zurückkehrte, ergreifen und an einem sicheren Orte festhalten sollten. Er selber begab sich zur gewohnten Stunde zu der Dame, wo alsbald das alte Spiel begann mit geraubten Küssen, mit zerwirrten Kleidern und Haaren, mit verliebten Bissen in den Arm, ins Ohr, in den Nacken, kurz, das ganze bekannte Geplänkel mit alleinigem Ausschluß dessen, was die anständigen Autoren mit Recht abscheulich finden.

»Mein süßer Schatz«, sagte der Florentiner nach einem etwas längeren Kuß, »liebst du mich auch über alles in der Welt?«

»Ich liebe dich über alles in der Welt«, antwortete sie. Denn mit Worten war sie immer freigebig.

»Wenn du mich also liebst«, entgegnete er, »so gehöre mir auch ganz.«

»Wenn ich sicher wäre vor meinem Gemahl.«

»Ist es nichts als das?«

»Nichts als die Furcht.«

»Ich habe mit meinen Freunden verabredet, daß sie ihn heute abend ergreifen und so lange festhalten, bis ich einen Leuchter an das Fenster stelle. Wenn er sich beim König beklagen sollte, werden sie sagen, sie hätten ihn für einen der Unsrigen gehalten, dem sie einen Possen spielen wollten.«

»Oh, mein Freund«, antwortete sie, »so laß mich einen Augenblick, daß ich nachsehe, ob meine Leute zu Bett gegangen und alles im Hause ruhig ist.«

Mit diesen Worten erhob sie sich und stellte das Licht ans Fenster. Als der Florentiner das sah, löschte er die Kerze, ergriff seinen Degen und richtete sich stolz auf vor dem Weibe, dessen verächtliche kleine Seele er nun erkannte.

»Ich werde Euch nicht töten, schöne Frau«, sprach er; »nur zeichnen will ich Euch im Gesicht, daß es Euch nicht wieder einfallen soll, mit der Liebe und dem Leben eines armen Verliebten Euer elendes Spiel zu treiben. Ihr seid schamlos mit mir umgegangen, Ihr seid keine ehrsame Frau. Ihr wißt wohl, was Ihr mir hundertmal mit Euren Küssen versprochen habt, und Ihr dachtet nicht daran, Euer Versprechen zu halten. Ihr habt mir meine Jugend vergiftet, Ihr habt mir mein Leben vernichtet, das ich von mir werfe wie ein schlechtes Kleid. Ihr seid schuld an meinem Tod, Ihr sollt ewig daran denken. Nie mehr wieder sollt Ihr in Euren Spiegel schauen, ohne neben Eurem Gesicht das meinige zu erblicken.«

Er erhob seine Waffe, um sein Vorhaben auszuführen.

»Ihr handelt unritterlich«, rief ihm die Dame zu.

»Schweigt!« sagte er. »Ihr habt behauptet, mich über alles zu lieben. Jetzt sagt Ihr andere Dinge. Ihr habt mich jede Nacht hierhergelockt, Ihr habt mich jeden Abend ein wenig höher zum Himmel erhoben, aber nur, um mich jedesmal um so tiefer in die Hölle zu stürzen, und nun glaubt Ihr, daß Euer Weiberrock Euch schützen könne vor der Wut eines gefoppten Geliebten?«

»Oh, mein Angelo«, rief sie voll Verwunderung über die Kraft seiner Liebe, die sie in Rache verwandelt sah, »nimm mich, mein Angelo, ich will dir gehören mit Leib und Leben.«

Er aber wich einen Schritt zurück:

»Aha«, zischte er, »elende Kurtisane, du liebst dein Gesicht mehr als deinen Geliebten.«

Sie erblaßte und hielt ihm demütig ihr Gesicht hin; denn sie begriff, daß ihre augenblickliche Liebe ihre lange Falschheit nicht gutmachen konnte.

Angelo aber schnitt ihr eine Wange aus dem Gesicht, eine frische blühende Wange mit den Spuren seiner Küsse, ja noch feucht von seinem letzten, schnitt sie ihr ab und warf sie ihr vor die Füße und verließ das Haus und das Land.

Ihr Gemahl war nicht weiter behelligt worden, da die Italiener das Licht am Fenster gesehen; er fand seine Frau ohne die linke Wange, versuchte aber vergeblich, ein Wort aus ihr herauszulocken. Seit ihrer Verwundung liebte sie Cappara mehr als ihr Leben. Da aber niemand ins Haus zu kommen pflegte als der Florentiner, beschwerte sich der Eheherr beim König, der den Tod des Bildhauers befahl und eine reitende Stafette hinter ihm herjagen ließ. In Blois wurde der Flüchtling eingeholt. An dem Tage aber, da er gehängt werden sollte, kam einer vornehmen Dame die Laune an, den mutigen Mann zu retten, der ihr wie keiner das Zeug zu einem Geliebten zu haben schien. Sie erbat sich also den Verurteilten vom König zum Geschenk, der ihr gern den Gefallen tat. Aber Cappara erklärte, daß er die geschundene Dame noch immer über alles liebe und die Erinnerung an sie niemals aus seinem Herzen verbannen könne. Er trat in einen religiösen Orden und wurde ein großer Gelehrter, später ein mächtiger Kardinal. Als solcher pflegte er in seinen alten Tagen gern zu sagen, daß er sein Leben lang nur gelebt habe von der Erinnerung an jene armen qualvollen Stunden, in denen ihn seine Dame so unglücklich und doch so glücklich gemacht. Einige Autoren behaupten, er sei später, nachdem ihre Wange geheilt war, weitergekommen bei dieser Dame als bis zu den Unterröcken. Aber ich glaube es nicht, denn dieser Italiener war ein Mann mit starkem Herzen und einem hohen poetischen Sinn; er hatte einen andern Begriff als die gemeinen Seelen von den heiligen Entzückungen der wahren Liebe.

Diese Anekdote enthält weiter keine Lehre, als daß man im Leben schlimme Begegnungen haben kann; dafür ist sie aber auch wahr und wahrhaftig in allen Punkten. Möge es um ihretwillen dem Autor verziehen werden, wenn er an andern Orten die Dame Wahrheit manchmal etwas allzu mutwillig auf den Kopf gestellt hat.


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