Honoré de Balzac
Die dreißig tolldreisten Geschichten – Zweites Zehent
Honoré de Balzac

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Die Predigt des lustigen Pfarrers von Meudon

Als Meister François Rabelais zum letztenmal an den Hof König Heinrichs kam, des Zweiten seines Namens, war er bereits darauf gefaßt, dem Gesetz der Natur zu folgen und sein schlampig gewordenes Wams, will sagen sein Fleisch, von sich zu legen (wie es auch noch in demselben Winter geschah), um allein in dem pracht- und machtvollen Geist, in dem herrlichen Geist jener exzellenten menschlichen Philosophie, auf die wir immer wieder zurückkommen, durch alle Ewigkeit weiterzuleben. Der gute Mann hatte damals siebzig wohlgezählte Frühlinge hinter sich, sein harmonisches Haupt war längst kahl geworden, aber war umrahmt von einem wahrhaft patriarchalischen Bart, seine Stirne strahlte vom Glanz des Gedankens, und das stumme Lächeln seines Mundes sprach von einem ewig jungen Herzen. Kurz, er war ein schöner Greis, wie es alle die bezeugen, die das Glück gehabt haben, ihm noch ins Antlitz zu schauen, in dem die Züge des Sokrates und des Aristophanes, zweier Geister, die sich im Leben gehaßt, aber hier Freunde geworden waren, in eins zusammenflossen.

Da nun also in dem genannten Winter dem guten Mann die Ahnung kam, daß über kurz oder lang sein letztes Stündlein schlagen werde, beschloß er bei sich, dem König von Frankreich noch vorher seine Aufwartung zu machen, als welcher in sein Schloß Tournelles gekommen war, infolgedessen Meister François, der in einem Hause bei den Gärten von Sankt Paul wohnte, sich den Hof fast auf Steinwurfweite nahe gerückt sah.

Befanden sich aber, als er ankam, in den Gemächern der Königin Cathérine: Frau Diana, die von der Königin aus Gründen der hohen Politik empfangen wurde, der König, der Herr Feldzeugmeister, der Kardinal von Lothringen und der Kardinal Dubellay, die Herren von Guise und mehrere Italiener, die bereits anfingen, sich unter den Fittichen der Königin in großer Zahl am Hof einzuschmuggeln. Waren auch gegenwärtig der Admiral, der Herzog Montgomery, die Herren vom Dienst und einige Hofpoeten, wie Melin de Saint-Gelais, Philibert de l'Orme und Meister Brantôme.

Als der König den Meister François bemerkte, den er wie viele für nichts weiter als einen ausgelassenen Spaßvogel achtete, richtete er sofort das Wort an ihn, und nach einigem Hinundherreden sagte er:

»Hast du denn deinen Pfarrkindern von Meudon auch einmal eine Predigt gehalten?«

Meister François nahm dies für einen Scherz, denn er hatte sich in seinem Leben um seine Pfarrei nicht weiter gekümmert, als daß er deren Einkünfte erhoben.

»Herr König«, antwortete er, »meine Pfarrkinder wohnen allerorten, und meine Predigten hört man, soweit die Christenheit reicht.«

Mit einem ruhigen Blick streifte der Meister diese Höflinge, die, ausgenommen die Herren Dubellay und von Castillon, nichts andres in ihm sahen als so eine Art gelehrten Triboulet, da er doch der König der Geister war, in einem höhern Sinn König als derjenige, vor dessen gnadenspendender Krone sie alle sich beugten. Und den Guten, der sich bereits mit einem Fuß im Grabe fühlte, wandelte plötzlich die boshafte Lust an, dem Geschmeiß einmal gehörig die Köpfe zu waschen und ihnen, figürlich versteht sich, auf die hohlen Schädel herunterzupissen wie Gargantua auf die der guten Pariser von den Türmen von Notre-Dame.

»Wenn Eure Majestät guter Laune ist«, sagte er, »könnte ich Höchstderselben wohl mit einer kleinen Predigt dienen, die ich mir längst zu gelegentlichem Gebrauch hinters Ohr geschrieben habe und wobei es nichts zu bedeuten haben soll, daß mein Sermon auf eine mehr redliche als hofrätliche Parabel hinausläuft.«

»Meine Herren«, antwortete drauf der König, »Meister François hat das Wort. Und da es sich um unser Seelenheil handelt, so haltet euch ruhig und spitzt mir die Ohren. Der gute Meister steckt voll von spaßigen Evangelien.«

»Majestät«, erwiderte Meister Rabelais, »ich fange an.«

Das Geplauder der Höflinge verstummte, sie traten in einem geschmeidigen Halbkreis um den Pfarrherrn in partibus, den Vater des Pantagruel, der ihnen in Worten, deren Poesie und Beredsamkeit kein Mensch auf Erden zu wiederholen vermöchte, die folgende Historie zum besten gab. Sie ist uns nur mündlich überliefert worden, und so möge es dem Autor verstattet sein, sie hier in seiner Weise nachzuerzählen.

»In seinen alten Tagen war Gargantua ein wenig seltsam geworden, worüber die Leute seines Hauses sich sehr verwunderten, ohne es ihm aber übelzunehmen, denn er war rund siebenhundertundvierzig Jahre alt, wenn auch der heilige Klemens von Alexandrien in seinen ›Stromates‹ zu beweisen sucht, daß er zu dieser Zeit einen Vierteltag jünger war, was uns aber wenig kümmert. Wie nun der väterliche Herr so sah, daß man ein wenig allzusehr in Saus und Braus lebte in seinem Hause und seine Gäste sich nicht nur satt aßen, sondern auch noch obendrein die Taschen füllten, bekam er es mit der Angst, es könnte ihm zuletzt am Nötigsten fehlen. Und er beschloß, eine vollkommnere Verwaltung seiner Domänen einzurichten. Das war weise und vernünftig gedacht. Er ließ also auf einem Speicher des gargantualischen Schlosses seine besten Vorräte zusammentragen, einen großen Haufen roter holländischer Käse, zwanzig gewaltige Töpfe eingemachter Mustarde, ganze Kübel voll Zwetschgenmus, Latwergen und Tourainer Pflaumen, große Fässer eingesalzener Butter, ganze Kisten voll Hasenpasteten, in Fett gelegte Enten, im Schmalz vergrabene Schweinsfüße und Gänsekeulen, dreihundertundsiebenundneunzigtausend Büchsen voll grüner Erbsen und Bohnen, siebenhundertunddreiundfünfzigtausend Gläser des feinsten Orleaner Quittengelees, viele Fässer getrockneter Lampreten, marinierter Heringe, geräucherter Aale und eingepökelter Seezungen, ganze Kufen eingetrockneter Weintrauben, endlich Eingezuckertes für die Gargamella an den Feiertagen und tausend andre gute Sachen, die ins einzelne aufgezählt sind in den ripuarischen Gesetzen und auf gewissen Seiten der königlichen Kapitularien, Edikte, Pragmatiken, Ordonnanzen und Institutionen jener Zeit.

Klemmte dann der Gevatter sein Binokel auf die Nase und seine Nase in das Binokel und ging aus, einen fliegenden Drachen oder ein Einhorn zu suchen, die ihm seine kostbaren Schätze bewachen könnten. Also suchend und in Sorgen durchwanderte er seine Gärten. Er wollte keinen geschopften Kranich, mit dem schon die Ägyptianer, wie aus den Hieroglyphen hervorgeht, schlechte Erfahrungen gemacht haben. Mit einer Handbewegung scheuchte er die Kohorten der Kobolde und Alraunen hinweg, weil er wußte, daß diese schon den Kaisern und auch den alten Römern zuwider waren, wie ein gewisser Fürwitz namens Tacitus überliefert hat. Auch das Geschlecht der Pikrokoller verwarf er. Ebenso die Legionen der Druden, Wichtelmänner, Nachtmahre, Zwerggeschlechter der Erdhöhlen und ähnliches Gesindel, die wie Hundszahn wucherten und alles Gegründ und Geschlucht erfüllten mit ihrem Gewimmel und Gewusel, also wie es in der Reisebeschreibung des Sohnes Pantagruel zu lesen war. Er ging im Geist alle Historien, Genealogien und Geschlechtsregister seines Reichs durch, aber zu keiner einzigen gallischen Rasse konnte er ein Vertrauen fassen. Er hätte sich am liebsten eine neue geschaffen, unbekannt selbst dem Schöpfer aller Dinge. Je länger er erwog, um so unmöglicher schien es ihm, eine Wahl zu treffen, und er fürchtete schon, seine kostbaren Schätze und Reichtümer dem Verderben preisgeben zu müssen. In dieser sorgenvollen Lage begegnete er einem kleinen hübschen Spitzmäuserich aus dem alten und edlen Geschlecht der Spitzmäuseriche, die als Wappen einen roten Balken im blauen Schilde führen. Und was für ein Prachtkerl das war! Er trug den schönsten Schwanz seiner Familie und spreizte und spiegelte sich in der Sonne als ein echter edler Spitzmäuserich von Gottes Gnaden. Man sah es ihm an, wie er stolz darauf war, seine Ahnenreihe bis auf die Sintflut zurückverfolgen zu können in ununterbrochenen Geschlechtsregistern, von Fall zu Fall, gestützt auf Brief und Siegel und Parlamentsakten, wie denn ein Protokoll ausdrücklich und unwiderleglich bezeugte, daß bereits ein Spitzmäuserich mit dem Patriarchen Noah in die Arche gegangen ist ...«

Hier lüpfte Meister Algofripas ein wenig seine Mütze, und in salbungsvollem Predigerton fuhr er fort:

»Noah, meine Herren, gemeint ist jener Noah, der die Rebe gepflanzt hat und zuerst das Glück hatte, sich im Wein zu berauschen. Denn es steht fest und sicher, daß ein Spitzmäuserich auf dem Schiffe war, aus dem wir alle hervorgegangen sind. Aber die Menschen haben sich untereinander vermischt und ihre Rasse verunreinigt. Nicht so die Spitzmäuseriche. Sie sind stolzer auf ihr Wappen als alle andern Tiere, sie würden niemals einen Hamster in ihre Familie aufnehmen, und wenn er auch alle Reichtümer der Welt in seinem Bau zusammengetragen hätte. Dieser echt edelmännische Geist gefiel dem guten Gargantua. Und kurzerhand übertrug er dem Spitzmäuserich die Statthalterschaft auf seinen Speichern mit den ausgedehntesten Rechten, Privilegien und Machtvollkommenheiten, hoher und niederer Gerichtsbarkeit, Committimus, Missi Dominici, mit Gewalt über den Klerus und dem Oberbefehl im Heere, kurz, mit allem, was sich nur denken läßt. Der Spitzmäuserich versprach, sein Amt getreu zu verwalten und seine Pflicht zu tun, wie man von einem feudalen Spitzmäuserich erwarten kann; er stellte nur die eine Bedingung, auf dem Kornhaufen wohnen zu dürfen, was der gute Gargantua gerecht und billig fand.

Und also hättet ihr den Spitzmäuserich sehen müssen in seinem neuen Palast: wie er Sprünge machte, wie er glücklich war, glücklich wie ein Fürst, der glücklich ist; wie er stolz seine Länder und Reiche inspizierte, seine Schinkenprovinzen, seine Latwergengrafschaften, seine Domänen von Mustarden, seine Traubenherzogtümer, seine Blutwurstfürstentümer, seine Baronate jeder Art; wie er auf Bergen von Weizen thronte und mit seinem Schwanz die Körner peitschte. Wo der Spitzmäuserich erschien, standen ehrfurchtsvoll und begrüßten ihn stumm alle Töpfe. Und wo zwei goldene Becher beieinanderstanden oder auch ein silberner Humpen bei einem goldenen Becher, stießen sie aneinander und machten ein Geläute wie mit Kirchenglocken, wenn der Fürst einzieht, dessen der Spitzmäuserich sehr zufrieden war und sich freundlich bedankte mit einem leisen Nicken des Kopfes nach rechts und nach links.

Auf seinem Kornhaufen setzte er sich gern in einen Streifen Sonne, der durch die Dachluke fiel. Da leuchtete dann sein seidenweiches glattes Fellchen in einem bläulichen Schimmer, und er sah ganz und gar aus wie ein nordischer König in seinem Zobelpelz. Oft auch vergnügte er sich mit Springen und Tanzen, mit Kapriolen und Purzelbäumen, dann bekam er guten Appetit, ließ sich ein, zwei Weizenkörner schmecken, die er mit Behagen knusperte, und saß dann wieder zuoberst auf dem Haufen wie ein König auf dem Thron vor dem versammelten Hofe und mit dem Bewußtsein, der tapferste und treueste Spitzmäuserich der Welt zu sein.

Erschienen da an ihren gewohnten Schlupflöchern und sonstigen Vorposten unheimliche nachtwandlerische Völker, lichtscheues Gesindel, das auf vier Pfoten läuft, an Wänden und Balken klettert, in versteckten Höhlen haust, kurz, das zahlreiche Geschlecht der Mäuse, Ratzen, Hamster und andrer Nager, die alles beknuppern und beschnuppern, bebeißen und bescheißen und der Schreck und die Landplage aller guten Hausfrauen sind. Als sie den Spitzmäuserich erblickten, schreckten sie zurück und drückten sich hinter die Schwelle ihrer Wohnungen, nur ängstlich hinblinzelnd nach dem neuen unerwarteten Feind. Ein alter grauer Mausling aber aus dem wispernden, knuspernden Geschlecht der Mauselinge, ein frecher und respektwidriger Geselle, streckte trotz aller Gefahr seinen Kopf ein wenig aus dem Fenster und besah sich fast furchtlos den Spitzmäuserich, der auf der Höhe des Weizenbergs mit aufgerichtetem Schwanz auf seinem Hintern saß, kam aber bald zu der Überzeugung, daß das der Teufel sei, vor dessen Krallen man sich in acht nehmen müsse; denn der gute Gargantua hatte seinem Statthalter, damit er den andern Spitzmäusen und Mäusen, Ratten und Ratzen, den Hamstern, Wieseln, Iltissen und Katzen, kurz, dem ganzen nächtlichen Raub- und Diebsgesindel um so mehr Respekt einflöße, hatte dem Statthalter, sage ich, ein wenig Muskatöl um die spitzige Schnauze geschmiert, dessen Geruch seitdem alle Spitzmäuse geerbt haben, da der Statthalter trotz dem weisen Rat Gargantuas die Mitglieder seiner Sippe nicht immer in gehörigem Abstand gehalten hat, infolgedessen die berühmten und langwierigen Spitzmäusekriege entstanden sind, die ich euch in einem ernsten weltgeschichtlichen Werke erzählen würde, wenn ich die Zeit dazu hätte.

An diesem Muskatgeruch erkannte der graue Mausling oder Ratterich – denn die Gelehrten des Talmud sind über die beiden naturgeschichtlichen Spezies nicht im klaren und verwechseln oft die eine mit der andern –, erkannte der Mausling, daß dem Spitzmäuserich da oben Amt und Vollmacht geworden, über das Getreide des Gargantua zu wachen, durch welche Investitur er quasi ein andres Wesen geworden, ein Tier, das nur noch Pflicht war, nur noch Spion, Aufpasser und Leuteschinder, kurz, ein Amtsmensch vom Kopf bis zu den Füßen, ganz in Waffen, ganz nur Drohung und Gefahr, der alle mausigen Schwächen, Sitten und Gewohnheiten weit von sich getan, alle Liebhabereien seiner Sippschaft wie Specklecken, Krümchenknuppern, Käsebeschnuppern, Rindenbenagen und andres als pöbelhaften Geschmack verachtete und nichts mehr davon hören wollte, sondern dergleichen tat, als ob er nie eine Käserinde geknappert, nie sein Zünglein an einer Speckschwarte gewetzt hätte.

Dennoch beschloß der Mausling, ein Kerl, gerieben wie ein alter Höfling, der zwei Regentschaften und drei Könige überdauert hat, dem guten Spitzmäuserich ein wenig auf den Zahn zu fühlen und, wenn es möglich wäre, die Würmer aus der Nase zu ziehen zum Heil und Segen aller ratamorphen Kinnbacken auf zehn Meilen im Umkreis.

Sich dergestalt zum Nutzen andrer in die Gefahr zu begeben wäre schon für einen Menschen eine schöne Tat gewesen, um so mehr bei einem Parlamentarier der Mäuse und Ratten, die ohne Gemeinsinn in egoistischer Vereinzelung leben und keine Scham und Tugend kennen, die ohne Gewissen in der Angst eine Hostie bepissen, die ein Meßgewand benagen und blasphemisch, Gott hin, Gott her, aus dem Kelch des Altars trinken würden. Wagte sich also der kühne Mausling unter zierlichen Bücklingen ein paar Schritte vor, dann wieder ein paar Schritte, bis er dem Spitzmäuserich ganz nahe stand, der an Kurzsichtigkeit litt wie alle seine Brüder und Vettern. Alsdann begann dieser Mirabeau des Nagervolks mit pathetischer Rede, nicht im Dialekt der Mäuse, sondern im schönsten und reinsten spitzmäuserischen Hochdeutsch den Gefürchteten folgendermaßen zu harangieren:

»Hoher Herr«, sprach er, »viel Ruhmreiches habe ich vernommen über Eure glorreiche Familie, dessen untertänigsten Diener ich mich zu nennen die Ehre habe, ich kenne alle Chronikbücher, Legenden und Sagen Eurer Vorfahren, die bei den alten Ägyptianern göttlich verehrt wurden wie das Krokodil und andere heilige Vögel. Aber Euer Pelzmantel verbreitet einen so königlichen Duft und ist so unerhört von Farbe und von einem so mirakulös schillernden Glanze, daß ich Mühe habe, Euch als einen Eurer Rasse zu erkennen, da ich noch nie einen Vetter von Euch in solcher Herrlichkeit angetroffen habe. Ich sehe Euch dennoch das Korn knappern nach der guten alten spitzmausigen Methode, Eure Schnauze ist eine unverfälschte Spitzmauseschnauze; ich sehe auch, daß Ihr Euch im Kampf haltet wie ein echter, edler, alter Spitzmäuserich. Aber ein so vollkommener und ganzer Spitzmäuserich Ihr auch sein mögt, so müßt Ihr dennoch, ich weiß nicht in welchem Winkel Eures Ohrs, ich weiß nicht was für einen besonderen Gehörgang haben, den, ich weiß nicht was für eine mirakulöse Klappe auf, ich weiß nicht was für eine besondere Art schließt, und zwar nur auf Euren heimlichen Befehl in gewissen, ich weiß nicht welchen Augenblicken, um Euch in den Stand zu setzen, gewisse, ich weiß nicht was für Dinge nicht zu hören, die Euch, ich weiß nicht aus welchem Grund, mißfallen könnten, weil ihr Anhören Euer feines sakrosanktes, Euer göttliches Ohr, ich weiß nicht warum, unheilbar verletzen müßte.«

»So ist es«, antwortete der Spitzmäuserich, »eben hat sich die Klappe geschlossen, ich höre nichts mehr.«

»Laßt uns sehen«, antwortete der mausige Frechling oder freche Mausling. Dann bestieg er den Kornhaufen und fing an, sich seinen ganzen Proviant für den Winter aufzuladen.

»Hört Ihr etwas?« fragte er.

»Ich höre das Klopfen meines Herzens.«

»Kui, kui«, riefen alle Mäuse, »den können wir über den Löffel barbieren.«

Unser Spitzmäuserich aber, der geglaubt hatte, einen ergebenen Diener vor sich zu haben, öffnete plötzlich die Klappe zu seinem übernatürlichen Gehörgang und hörte das Geräusch von Weizenkörnern, die in Mauselöcher rollten. Da ergrimmte er so sehr, daß er, unbekümmert um die Prozeßordnung, unbekümmert um mündliches und schriftliches Verfahren, sich über den alten Mausling warf und ihn erwürgte. Glorreicher Tod! Dieser Held starb auf dem Feld der Ähren, will heißen der Kornähren oder ihres Inhalts; er wurde als Märtyrer kanonisiert. Der Spitzmäuserich aber nahm ihn und nagelte ihn mit beiden Ohren an das Speichertor, wie man im Reich der ›Hohen Pforte‹ zu tun pflegt, wo man um ein Haar meinen guten Panurg festgenagelt hätte.

Bei dem Todesschrei des Mauslings verschwanden entsetzt alle Ratten und Mäuse, das ganze Volk, in seinen Löchern. Die Nacht darauf aber versammelten sie sich im Keller zu einer großen Volksversammlung, um über die öffentlichen Angelegenheiten zu beraten, wobei nach der Lex papyria unter andern auch die legitimen Ehefrauen Sitz und Stimme hatten. Hier wollten nun die Ratten den Mäusen vorangehen, und der Streit um den Vortritt hätte fast das ganze Vorhaben zunichte gemacht. Da bot ein dicker Ratterich einem zierlichen Mäuschen seinen Arm, diesem Beispiele folgten die übrigen, und bald saßen sie also in gemischter Reihe im Kreis, Herr Rattemann mit Frau Mausin, jeder auf seinem Hintern, den Schwanz hochgestellt, die Nase in der Luft, die feinen Schnurrbärtchen zitternd vor Aufregung, die kleinen Äuglein funkelnd wie schwarze Diamanten.

Dann begannen die Verhandlungen. Sie liefen bald in ein wirres Geschimpf und Geschelte aus, kurz, es ging zu wie auf einem ökumenischen Konzil. Die einen sagten ja, die andern sagten nein; einer Katze, die in der Nähe vorüberkam, wurde es angst und bang. War das ein Stimmengewirr mit: zwiwiwi! bu bu bu!, mit: nak nak! zwiwiwi, mit: zrr zrr zrr zrr!, mit: ui ui ui!, mit: za za zazazaa!, mit: fui, fui, zwiwi zwiwi zwiwi! Alles floß zusammen in ein einziges Tohuwabohu. Die Stadtväter auf dem Rathaus hätten es nicht schöner gekonnt.

Ein kleines Mäuschen, das nicht ganz volljährig war und keinen Zutritt zum Parlament hatte, kam während dieses Tumults an die Tür und streckte sein vorwitziges Schnütchen durch die Ritze, denn das kleine Ding war gar zu neugierig. Und ein Fellchen hatte es, so glänzend, als nur ein jungfräuliches Mäuschen haben kann. Wie nun der Lärm immer größer wurde, drückte es sich so ungestüm in den Spalt, daß es sich endlich mit seinem ganzen Körperchen hindurchzwängte und drin zu Boden gefallen wäre, wenn es sich nicht an einem Faßreif, der an der Türe hing, festgehalten hätte. Darauf saß es nun so zierlich, man hätte glauben können, es sei ein kleines Meisterwerk in einem gotischen Relief.

In diesem Augenblick geschah es, daß ein alter Ratterich mit einem frommen Augenaufschlag ein Stoßgebet zum Himmel sandte in dieser höchsten Not des gemeinen Wesens. Da gewahrte er plötzlich das zierliche, weiße, weichfellige Mäuschen und erklärte laut vor der ganzen Versammlung, das sei eine Erscheinung des Himmels, gesandt zum Heil des Volks und zur Rettung des Staats.

Sofort wandten sich alle Schnauzen erstaunt nach dieser Lieben Frauen von der göttlichen Hilfe, und eine große Stille trat ein. Zuletzt aber beschloß das Parlament trotz der Einsprache einiger Neidhammel das hübsche Weibsen dem Spitzmäuserich zum Geschenk zu machen. Im Triumph wurde sie vor die Versammlung geführt, und wenn ihr sie gesehen hättet, wie sie mit kleinen zierlichen Schrittchen einhertrippelte, mit Grazie ihren Hintern schwenkte, das feine Köpfchen ein wenig auf die Seite neigte, wie sie unnachahmlich mit den dünnen durchsichtigen Öhrchen wackelte und sich mit ihrem Rosenblättchen von Zunge den zarten Flaum ihres Schnütchens leckte, wenn ihr sie gesehen hättet, ihr würdet euch nicht verwundern, daß die alten, dickbäuchigen, runzelgesichtigen, graubärtigen Rattenhäuptlinge sich einer wie der andere bis über die Ohren in das hübsche Ding verliebten und, als sie vorüberzog, Maul und Augen aufsperrten und sich Hals und Augen verrenkten gleich den Wackelgreisen von Troja, wenn die schöne Helena aus ihrem Badehaus kam.

Und also wurde das zarte weiße Fräulein nach den Speichern abgesandt, ob sie vielleicht den Spitzmäuserich lüstern machen und Gnade finden möchte vor seinen Augen, zum Heil des ganzen nagenden, leider jetzt am Hungertuch nagenden Volks, gleich jenem hebräischen Weibe mit Namen Esther, auf die der Sultan Ahasver ein Auge geworfen hatte und die sein Herz wendete und günstig stimmte ihrem unterdrückten Volke, wie es geschrieben steht im Buch der Bücher, nämlich der Bibel, welches Wort von dem griechischen Worte Biblos kommt, id est das Buch an sich.

Die schöne Maus versprach zu tun, was in ihren Kräften stände, und sie durfte sich schon etwas zutrauen, denn wahrlich, sie war die Königin der Mäuse, eine Maus so zartfellig und so zartfühlig, so mockelig, so hell-lichtblond, kurz, das lieblichste Fräulein, das nur je an Balken hingeklettert, an Wänden hinaufgekrabbelt ist und kindische Juchzer und Freudenschreie ausgestoßen hat, wenn es auf seinem Weg eine Apfelschale gefunden, ein Stückchen von einem Nußkern oder ein Brotkrümelchen. Eine wahre Nymphe war's, eine wahre Fee von einer weißen Maus, mit einem Köpfchen voller Tollheiten und Lustigkeiten, einem so kleinen, zierlichen Köpfchen, mit einem Blick so hell wie ein Diamant, mit einem Haar, feiner wie Sonnenstrahl und weicher wie Seide, mit einem so weißen, kitzligen, molligen Körperchen, mit einem Schwanz wie Samt, mit Pfötchen wie Rosenblätter; ein wohlgebornes Mäuslein war's, mit einem flinken Zünglein und wohlgewandter Rede, ein Mäuslein, das sich nicht gern plagte, sondern seiner Natur nach lieber herumlag auf weichen Unterlagen, ein listiges, schlaues, durchtriebenes Mäuslein, schlauer als ein alter Doktor der Sorbonne, der die Dekretalien auswendig weiß; ein Mäuslein war's mit weißem Bauch und gestreifeltem Rücken, mit allerliebsten kleinen Zitzen, mit Grübchen in den Wangen, mit einer Reihe Zähnchen, die schimmerten wie Perlen, mit einem Wort: ein Fressen für einen König.«

Die Schilderung war so kühn, und so auf ein Haar war die geschilderte Maus ein Ebenbild der gegenwärtigen Frau Diana, daß alle Höflinge zitterten für den verwegenen Erzähler. Die Königin Catherine lächelte boshaft, aber dem König war's nicht ums Lachen. Meister François jedoch fuhr fort, ohne auf das verstohlene Zublinzeln der Kardinäle Dubellay und von Castillon zu achten, die das Schlimmste für den Gevatter befürchteten.

»Diese hübsche Maus«, fuhr er fort, »verlor ihre Zeit nicht, und schon am ersten Abend verdrehte sie dem guten Spitzmäuserich ganz und gar den Sinn und nahm ihn für immer gefangen mit ihrem Liebäugeln und verschmitzten Schöntun, mit Lüsternmachen und zimperlichem Verweigern, mit all den Kniffen eines entzückenden Luderchens, das möchte und nicht wagt, mit tausend halben Liebkosungen und Hinhaltungen, mit all den vertrackten Vorbereitungen und Einleitungen einer Maus, die weiß, was sie wert ist, die ihren Preis kennt; mit all den kitzligen Aufreizungen, versprechenden Blicken, versagenden Zurückweisungen, mit Böswerden zum Scherz und Scherzen zum Böswerden, kurz, all den verfänglichen und fänglichen Teufeleien, wie sie die Weibsen aller Länder mit so großer Meisterschaft handhaben: bis endlich, nach unendlichem Kurbettieren und Pfötchenlecken und was die sonstigen spitzmäuserigen verliebten Galanterien mehr sind, nach so viel zornigem Stirnrunzeln, unendlichen Seufzern, Serenaden und nächtlichen Liebesmählern auf dem Kornhaufen und Mahlzeiten zu allen Tageszeiten – bis endlich es so weit kam, daß der Statthalter aller Kornkammern über die Gewissensskrupel und religiösen Bedenken des leckeren Frauenzimmerchens den Sieg davontrug.

Und alsbald fanden beide soviel Geschmack an der blutschänderischen und verbrecherischen Liebe, daß die verdammte kleine Maus den Spitzmäuserich am Bändel hielt wie nur eine und die wahre Königin wurde in seinen Reichen, die von allem naschte, wo es nur zu naschen gab, Süßem und Herbem, kurz, über alles verfügte, ohne daß der Spitzmäuserich im geringsten zu mucksen sich erlauben durfte. Er war dieser Königin seines Herzens zu Willen in allem und jedem und vergaß trotz warnenden Gewissens alle Treueschwüre gegen den guten alten Gargantua.

Die schlaue Maus merkte bald, daß er ihr nichts mehr versagen könne, und in einer schönen Nacht, als sie wieder einmal andres zusammen taten als Paternoster beten, erinnerte sich das gute Kind an seinen armen Vater daheim, den ein Körnlein von ihrem Überfluß glücklich machen konnte, und sie drohte dem Spitzmäuserich, ihn zu verlassen und wegzugehen aus seinem Palast, wenn er ihr nicht erlauben wolle, ihre kindliche Pflicht gegen ihren Vater zu erfüllen. Ein klein wenig leistete der Statthalter Widerstand, aber nicht lange, sondern lieferte ihr ein Patent aus mit dem großen königlichen Siegel in grünem Wachs und mit hochroten seidenen Schnüren, kraft dessen dem Vater des Weibsens das Privilegium zugestanden wurde, in dem gargantuanischen Palast frei aus und ein zu gehen und seine tugendhafte Tochter zu sehen und ans Herz zu drücken, wann es ihm beliebte, auch von allem zu essen, wonach ihm das Herz stand. Doch sollte er seine Mahlzeit in der Küche halten.

Erschien also im Schloß ein ehrwürdiger Greis mit weißem Schwanz, ein fünfundzwanzig Unzen schwerer Ratterich, gravitätisch wie ein Kanzler von Frankreich, mit wackligem Kopf, begleitet von einem Stücker zwanzig Neffen, ein jeder dünn wie eine Säge, die alle dem Spitzmäuserich ihre Aufwartung und in wohlgesetzten Reden und Argumentationen begreiflich machten, daß er keine treueren und ergebeneren Diener finden könne als sie, seine Anverwandten, Blutsverwandten, Vettern und Schwäger. Darum möge er seine drückendsten Lasten auf ihre jungen Schultern abladen, sie wollten Ordnung in die Verwaltung bringen, alles aufs sorgfältigste notieren, registrieren und etikettieren, gute Buchhaltung führen, also daß Gargantua, wenn er einmal eine Visitation halten werde, mit dem Stand der Finanzen, Ersparnisse und Vorräte zufriedener sein solle als je.

Ihr Gründe schienen durchaus einleuchtend. Dennoch war es dem armen Spitzmäuserich nicht ganz wohl bei der Sache, und sein Gewissen warnte ihn, denn das war nicht nur ein spitzmausiges, sondern auch ein spitzfindiges Gewissen. Und nicht umsonst fürchtete er seinen Herrn, der Macht über ihn hatte. Er verlor seine gute Laune und wurde düster und sorgenvoll; das bemerkte eines Morgens, als sie sich miteinander vergnügten, die Dame Maus, die um diese Zeit schwanger war, und beschloß bei sich, durch eine sorbonnistische Konsultation und das Befragen einer hohen theologischen Fakultät seine Zweifel zu heben und sein Gewissen zu beruhigen.

War da ein gewisser Herr Maultasch, der als Einsiedler in einem Käse lebte, der Abstinenz wegen, ein alter und hochangesehener Beichtvater im Land der Ratzen und Mäuse, ein fettes, wohlgemästetes Mönchlein mit einem lachenden Gesicht über der schwarzen Kutte, mit einer winzigen Tonsur auf dem Haupt, die ihm eine Katze beigebracht, der er eines Tages in die Krallen geraten. War ein wahrhaft ehrwürdiger Ratterich, ein Ratterich im geistlichen Gewand, der sich auf die höchsten Autoritäten der Wissenschaft berufen konnte, der die Dekretalien und Klementinischen Gesetze Paragraphos für Paragraphos auswendig wußte, vielmehr er hatte sie inwendig, weil er an allen diesen Büchern schon genagt, papierenen und pergamentenen, und viele davon ganz aufgefressen hatte.

Sein Ruf in den hohen Wissenschaften, verbunden mit der tiefsten christlichen Demut, und besonders sein heiliges Einsiedlerleben in der Käsehöhle hatten ihm eine große Schar Jünger gewonnen, und wo er ging und stand, folgte ihm ein Haufen schwarzer Ratteriche nebst zugehörigen hübschen Mäuschen, denn die kanonischen Gesetze des Konzils von Ratzenburg waren damals noch nicht in Kraft getreten, also daß es jedem Kuttenmanne freistand, seine Konkubine offen mit sich herumzuführen. Dieser heilige Mann nebst seinem präbendierten und benifizierten Anhang war der Dame des Statthalters sehr ergeben, die die ehrwürdige Gesellschaft eiligst herbeirufen ließ. In feierlichem Aufzug, in zwei Reihen geordnet, so daß es aussah, als ob die ganze Pariser Universität in Prozession nach dem Münster zöge, erschienen sie vor dem Statthalter. Ihre Nasen schnüffelten links und rechts nach den aufgehäuften Vorräten.

Nachdem der Zeremonienmeister einem jeden seinen Platz angewiesen, nahm ihr Meister und Oberratterich, sozusagen Kardinalratterich, das Wort und hielt im schönsten Rattenlatein oder radodatischen Latein eine Ansprache, worin er dem Spitzmäuserich bewies mit Gründen aus der Schrift und den Vätern: daß über ihm niemand stehe als Gott allein, daß er niemand Rechenschaft und Gehorsam schuldig sei außer Gott und daß er allein Gott zu fürchten brauche, aber sonst niemand auf der Welt.

Diese Ansprache, geschmückt mit unendlichen Periphrasen und Zitaten aus den Evangelien und alles so kunterbunt ineinandergequirlt mit alten Fetzen gesunden Menschenverstandes, daß es den Zuhörern grün und gelb vor den Augen wurde, endete mit einer Lobrede auf das erlauchte Geschlecht der Spitzmäuseriche im allgemeinen und des hochselbst hier anwesenden Herrn Statthalters im besondern, von dem gesagt wurde, daß er seine Vettern an Göttlichkeit übertreffe wie die Sonne die Sterne. Dem gargantuanischen Speicherverwalter wurde ganz schwindlig bei soviel Lob.

So sehr hatte ihm die Rede den Kopf verdreht und mit dem Kopf den Sinn, daß er der ganzen wohlrednerischen schwarzen Schar Wohnung anweisen ließ in seinem Palast, als welche sich hingegen verpflichtete, ihn Tag und Nacht mit Schmeichelworten zu füttern, auch seine Dame zu preisen und anzusingen und ihr den Hintern zu küssen, sooft sie es haben wollte.

Diese aber, die wohl wußte, wie hungrig ihr Volk war, wollte ihrem Werk die Krone aufsetzen. Sie gebrauchte also ihre Zunge, öffnete die Schleusen ihrer verliebten Beredsamkeit und beklagte sich zugleich bitter in verliebten Vorwürfen bei ihrem Spitzmäuserich, daß er die schönste Zeit auswärts zubringe, immer auf Reisen und Inspektionen sei, immer unterwegs, so daß sie auch gar nichts mehr von ihm habe. Wie oft rufe sie nach ihm in schmerzlicher Sehnsucht, und immer sei er weit weg, auf den Hohlziegeln oder in der Dachrinne, immer auf der Jagd nach Missetätern, während sie ihn allezeit bei sich haben möchte, bereit wie eine Lanze und lustig wie ein Vogel.

Also beklagte sie sich, riß sich ein graues Haar aus, nannte sich die unglücklichste Maus der Welt und weinte bitterlich. Der Spitzmäuserich bewies ihr, daß sie Herrin sei über ihn, über alles und daß sie sich mit Unrecht beklage. Aber ein Strom von Tränen erweichte ihn, er entschuldigte sich und erklärte sich bereit, alles zu gewähren.

Da versiegten plötzlich ihre Tränen, und indem sie ihm die Pfote zu küssen gab, riet sie ihm, er möge doch diese Schwarzen da als Soldaten bewaffnen, es seien sichere, erprobte Leute, ehemalige Kondottieri, die mit Vergnügen für ihn die Runde machten und besser Polizei und Ordnung hielten als er selber. Und der Spitzmäuserich erließ unverzüglich die gewünschten Verfügungen. Er hatte nun das herrlichste Leben von der Welt. Er brauchte nichts mehr zu tun, als zu tanzen, zu spielen, die Madrigale und Balladen seiner Hofpoeten anzuhören, auf der Laute und auf der Mandoline zu spielen, witzige Rätsel aufzugeben und, wenn er Hunger und Durst oder auch wenn er weder Durst noch Hunger hatte, zu essen und zu trinken und zu trinken und zu essen.

Eines Tags, als seine Liebste vom Wochenbett aufstand, wo sie ihm ein allerliebstes mausiges Spitzmäuschen oder spitzmausiges Mäuschen geschenkt, ich weiß nicht welchen Namens, das, ihr könnt euch denken, die Pelzmützen des Parlaments so rasch als möglich legitimierten, da ...«

Hier bekam der Konnetable von Montmorency, der seinen Sohn mit einer Bastardtochter des genannten gegenwärtigen Königs verheiratet hatte, einen roten Kopf, fuhr mit seiner Faust an den Schwertknauf und rollte mit seinen Augen, um dem Teufel angst zu machen.

»... da wurden« – fuhr Meister François fort – »auf den Speichern solche Feste gefeiert, daß kein Galafest des Hofs sich damit vergleichen kann, das Ordensfest vom Goldenen Vlies nicht ausgenommen. Nie hatten die Mäuse ein solches Hochzeiten gesehen. Das war ein Tanzen der Ratten und der Ratzen – Walzer, Galopp und Mazurka – ein Schmausen und Bankettieren, ein Hochausbringen und Hurrarufen, kurz, ein Lärmen und Tollen, als ob sie den Speicher zu den Dachluken hinauswerfen wollten. Die Ratten hatten alle Konservenbüchsen erbrochen, alle Töpfe zerschlagen, alle Fässer angebohrt. Da flossen Ströme von Senf und Latwergen, da lagen ganze Haufen angenagter Schinken umher. Alles ging zum Teufel. Die jungen Ratten wälzten sich nur so in der Kapernsauce, die Mäuschen spielten Huschhusch und Blindekuh in den ausgehöhlten Pasteten. Andere taten mit geräucherten Ochsenzungen wie Kinder mit ihren Steckenpferden. Wieder andre schwammen in Fluten von Honig oder tauchten unter in Töpfen von Schmalz, die Klügsten schafften das Korn haufenweise in ihre Löcher und benutzten den allgemeinen Saus und Braus, um auf die Seite zu bringen, was nur auf die Seite zu bringen war, kurz, es ging zu wie auf einem römischen Karneval.

Das Knistern der Öfen, das Zischen des heißen Schmalzes, das Krachen der Kisten und Fässer, das Gesing der Drehspieße, das Rascheln in Körben und Näpfen, das Bumbum der Mörser, das Gluckgluck der Flaschen und Krüge, das Klingling der Gläser und Kelche und tausend andere unbestimmbare Geräusche machten zusammen eine unsagbare, lukullische Musik oder Symphonia gastronomica. Ein wahrhaft hochzeitliches Treiben war's, ein Hin und Her, ein Kommen und Gehen von Mundschenken und Mundbäckern, Kämmerern und Stallmeistern, Kellnern und Köchen, Küchenjungen und Troßbuben, von Musikanten, Tänzern, Jongleuren und andern Spielleuten ohne Zahl. Das war ein Tuschblasen, ein Tamburinengesurr, ein Beckengerassel, ein Paukenschlagen. Immer ausgelassener wurde die Lust, immer berauschter die Berauschtheit, immer toller die Tollheit dieser närrischen Nacht.

Da plötzlich hörte man den schrecklichen Gargantua, der mit schweren, dröhnenden Schritten die Treppe heraufstieg und unter dessen Last die Balken sich bogen und die Sparren knarrten. Einige alte Ratteriche hörten zuerst das verdächtige Gedröhn, aber sie wußten nicht, was es zu bedeuten habe; denn sie kannten ja noch nicht den Tritt des fürchterlichen Großherrn. Sie ergriffen aber vorsichtigerweise die Flucht und taten wohl daran, denn schon in diesem Augenblick erschien Gargantua unter dem Tor des Speichers.

Mit einem einzigen Blick übersah er die saubere Wirtschaft, sah seine Konserven am Boden zerstreut, seine Krüge und Flaschen geleert, seine Fässer angebohrt, den ganzen Boden bedeckt mit Brühen und Saucen, sah seine Käse ausgehöhlt, seine Schinken zerfressen und bepißt, bebissen und beschissen. Da erfaßte ihn eine Wut, daß er mit einem einzigen gewaltigen Fußtritt das lustige Geschmeiß über den Haufen warf und zertrat mitsamt ihren schönen Pelzen und Perlen, samtenen und seidenen Gewändern. Also machte er dem Schmaus einen entsetzlichen Garaus.«

*

»Und was geschah mit dem Spitzmäuserich?« fragte der König, nachdem er eine Zeitlang träumerisch vor sich hin geblickt.

»Majestät«, antwortete Meister François, »in dem Punkt war Gargantua ungerecht. Der Spitzmäuserich wurde zum Tode verurteilt, und zwar wegen seines hohen Adels zum Tode mit dem Schwert, und er war doch nur übertölpelt worden.«

»Du gehst ein wenig weit, Gevatter«, brummte der König.

»Nein, Majestät«, erwiderte Rabelais, »ich ziele nur ein wenig hoch. Habt Ihr nicht selber die Kanzel über die Krone gestellt? Ihr habt mich aufgefordert, eine Predigt zu halten, und ich habe sie gehalten im Geist und nach der Vorschrift des Evangeliums.«

»Was meint Ihr, mein lieber Hofprediger«, flüsterte ihm die Dame Diana ins Ohr, »wenn ich nun bösartig wäre?«

»Schöne Frau«, entgegnete ihr Meister François, »findet Ihr nicht auch, daß es höchste Zeit war, den König, Euern Herrn, vor diesen Italienern zu warnen, die wie Mückenschwärme hinter der Königin her sind, Seine Majestät belästigen und unser schönes Land verfinstern?«

»Herr Pfarrer, Herr Pfarrer«, sagte ihm der Kardinal Odet ins Ohr, »brennt Euch nicht der Boden von Frankreich unter den Füßen? Seid klug, sucht Euch jenseits der Grenze ein Örtlein.«

»Ich werde bald abreisen, hoher Herr«, antwortete Meister François, »aber in ein besseres Jenseits.«

»Beim Fleisch Gottes, Herr Schriftenmacher«, sagte der Feldzeugmeister – dessen Sohn, wie jedermann weiß, das Fräulein von Piennes, seine Verlobte, treulos verlassen hatte, um Diana von Frankreich zu heiraten, eine Tochter des Königs und einer Dame von jenseits der Alpen –, »beim Fleisch Gottes, du bist kühn, mein lieber Tintenkleckser. Mit Personen so hohen Ranges hat noch keiner ungestraft angebunden. Du greifst hoch hinauf, Poetlein, und bei meinem Ritterwort, du sollst eine Leiter hinaufsteigen ...«

»Ja, die Himmelsleiter, Herr Konnetable. Wir werden sie alle einmal hinaufsteigen. Wenn Ihr aber ein Freund des Staats und des Königs seid, so müßt Ihr mir danken, daß ich den König vor diesen Lothringern gewarnt habe, diesen hungrigen Ratten, die uns hier arm fressen.«

»Mein Gevatter«, sagte ihm der Kardinal Karl von Lothringen ins Ohr, »wenn du einige Goldgulden brauchst, um das fünfte Buch deines Pantagruel ans Licht zu bringen, stehen sie dir gern zur Verfügung, zum Dank dafür, daß du es dieser Hure des Königs und ihrem Anhang einmal ordentlich gesagt hast.«

»Nun, meine Herren«, sprach der König laut, »was ist eure Meinung über die Predigt?«

»Majestät«, antwortete Melin de Saint-Gelais, als er merkte, daß alles wohl zufrieden war, »ich habe in meinem Leben keine bessere pantagruelistische Parabel gehört; sie war aber auch nicht anders zu erwarten von einem, der in seiner Abtei Thelesma dieses wahrhaft Leoninische Carmen über das Tor geschrieben hat:

Hier dieser Ort sei euch ein Hort,
Zuflucht und stürmesichrer Port,
Die ihr bekämpft mit kühnem Wort,
Der Pfaffheit Meuchelei zum Trutz,
Lug, Schlaffheit, Heuchelei und Schmutz.«

Und also lobten und rühmten alle Höflinge einstimmig den Meister François, der sich empfahl und auf den Heimweg machte, ehrenvoll begleitet von zwei Pagen, die ihm auf ausdrücklichen Befehl des Königs die Fackeln vorantrugen.

Einige Scheißkerle haben diesem Meister François, der höchsten Zierde unsres Lands, den Vorwurf gemacht, daß er mit pöbelhaften Hanswurstiaden und boshaften Affereien die ganze Welt zum Narren gehalten, und haben gemeint, diesen philosophischen Homerus, diesen Fürsten der Wissenschaft, dieses göttliche Urzentrum, auf das so viele große und unsterbliche Werke zurückgehen, zu beschmutzen und herabzusetzen in den Augen der Menschen. Aber Tod und Teufel über ein Gesindel, das geglaubt hat, diesem leuchtenden Genius auf den Kopf scheißen zu dürfen! Mögen sie doch nichts als leeres Stroh und Häcksel zu fressen kriegen und taube Spreu, die die kräftige und gesunde Nahrung dieses Tourainers nicht zu würdigen wissen.

Du Trinker klaren Wassers, du Bewahrer des höchsten Ideals klösterlicher Enthaltsamkeit, du Gelehrter aller Gelehrten, in was für ein unbändiges und nie endendes Lachen müßtest du ausbrechen, wenn du heut unter uns erscheinen und das Gesudel lesen könntest, dieses Gestank und Gezänk, dieses Getratsch und Geschimpf, das täglich über dich losgelassen wird, in b-Moll und in b-Quadrat, von Leuten, die dich herausgeben, die dich kommentieren und interpretieren, die dich zerreißen, schelten, brandmarken, die nach Schmutz und Unrat in dir schnüffeln, dich den Hunden hinwerfen und dich so grandios mißverstehen in jedem Wort. Gleich den panurgischen Hunden, die geifernden Mauls und mit lang heraushängender Zunge hinter der Dame in der Kirche her waren, so ist hinter dir die zweibeinige akademische Meute, Kerle mit schlaffem Gehirn und schlaffem Diaphragma her, und wissen nichts Gescheiteres zu tun, als die leuchtende Marmorpyramide zu besudeln, auf der deine großartigen gargantualischen Phantasien und Lehren der Weisheit für die Ewigkeit eingegraben sind.

Wenn nun aber auch nur wenige imstande sind, dem kühnen Flug deines Schiffs auf dem Ozean der Ideen zu folgen und deine Methoden, Philosophien, Religionen, Wissenschaften und die Wahrheit der ganzen menschlichen Komödie und Narretei in deinem Werk vollkommen zu erfassen und zu würdigen, so hast du doch einige aufrichtige Verehrer. Ihre Bewunderung ist wenigstens ohne heuchlerische Beimischung, und klar erkennen sie und tapfer bekennen sie deine wissenschaftliche, moralische, philosophische und sprachliche Omnipotenz und Allgewalt. Und also hat ein armer Sohn des lustigen Tourainer Lands es unternommen, dich zu rechtfertigen und, wenn auch mit unzulänglichen Mitteln, dein Bild zu reinigen und laut zu rühmen deine ewigen und unsterblichen Werke, deine konzentrierten Werke, wo eng zusammengepreßt wie Sardinen in einer Büchse alle philosophischen Ideen enthalten sind, alle Wissenschaften, alle Künste, alle Beredsamkeiten mitsamt dem ganzen tollen Komödienspiel und Mummenschanz des Lebens.


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