Honoré de Balzac
Die dreißig tolldreisten Geschichten – Zweites Zehent
Honoré de Balzac

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III. Wie es der Sukkubus angefangen hat, sich der Seele des alten Richters zu bemächtigen, und welches die Folgen waren dieses neuen Hexenzaubers

Das Folgende ist die Beichte in extremis, feierlich und öffentlich abgelegt am Ersten des März im Jahre Eintausendzweihundertundzweiundsiebzig nach Unsres Herrn Geburt, durch den Priester Hieronymus Cornill, Chorherrn im Kapitel der Kathedrale von St-Maurice, geistlichem Ober-Strafrichter, als welcher sich dieser Ämter und Ehren unwürdig erklärte und, wie sein letztes Stündlein herannahte, sich solchergestalt also von seinen Sünden, Übeltaten und Verfehlungen in seinem Gewissen beängstigt fühlte, daß er zur Verherrlichung der Wahrheit, zur größern Ehre Gottes, zur Rechtfertigung des Gerichtshofs wie auch zur Erleichterung seiner Strafen in der andern Welt mit einem öffentlichen und allgemeinen Sündenbekenntnis Genugtuung zu leisten wünschte. Der genannte Hieronymus Cornill lag auf den Tod danieder in seinem Bett, und waren, um seine Erklärungen entgegenzunehmen, herbeigerufen worden: Jan van dem Haag (de Haga), Vikar vom Münster zu St-Maurice, Pierre Guyard, Schatzmeister des Kapitels, beauftragt von Unserm gnädigen Herrn, dem Erzbischof, die Worte des Beichtenden niederzuschreiben; außerdem Louis Pot, ein Mönch von Marmoustiers, vom Sterbenden zu seinem geistlichen Vater und Beichtiger erwählt; wohnte überdies dem Akt bei der hochgeborne und hochgelehrte Doktor Guilelmo de Censoris, römischer Archidiakonus und gegenwärtig in unsrer Diözese anwesend als Abgesandter (legatus) unsres Heiligen Vaters, des Papstes. Vor den genannten geistlichen Herren und in Gegenwart einer großen Anzahl christlicher Mitbürger, die zum Tode des genannten Hieronymus Cornill herbeigeeilt waren, und nachdem dieser Wunsch und Willen bekanntgegeben, öffentliche Buße zu tun, weil die Fasten zu Ende gingen und seine Worte allen Christen, die auf dem Weg des Verderbens wandelten, die Augen öffnen könnten:

hat vor ihm, dem genannten Hieronymus, als welcher vor großer Schwäche nicht reden konnte, Louis Pot unter großer Bewegung der genannten Versammlung die folgende Beichte vorgelesen:

›Meine Brüder, bis zum neunundsiebzigsten Jahre meines Lebens, in dem ich noch stehe, glaube ich, ausgenommen einige läßliche Sünden, deren sich wohl jeder Christ, so heilig er sein mag, gelegentlich schuldig macht und deren Verzeihung wir durch aufrichtige Reue von Gott erhoffen dürfen, ein christliches Leben geführt und das Los und die Ehrenstellung verdient zu haben, wie sie mir in unsrer Diözese zugefallen sind, wo mir das hohe Amt eines obersten Strafrichters in geistlichen Angelegenheiten übertragen worden ist, dessen ich mich zuletzt so unwürdig gezeigt. In diesem Bewußtsein und in Anbetracht der unendlichen Herrlichkeit Gottes wie in Angst vor dem ewigen Strafgericht, das den Sünder und Übeltäter im Jenseits erwartet, habe ich gedacht, durch einen höchsten Akt der Buße, dessen ich in meiner letzten Stunde fähig bin, die Ungeheuerlichkeit meiner Missetaten abzuschwächen. Zu dem Ende habe ich von unserer heiligen Kirche, deren Rechte und juridische Gewalt ich verkannt und verraten habe, die Gnade erbeten und erlangt, mich öffentlich anklagen und Buße tun zu dürfen, wie die Christen der ersten Zeit gepflogen haben.

Um noch vollkommener meine Bußhaftigkeit an den Tag legen zu können, möchte ich wünschen, noch soviel Leben und Kraft in mir zu haben, um vor dem Portal der Kathedrale, ausgesetzt dem Schimpf und der Verhöhnung aller meiner Brüder und mit bloßen Füßen, eine Kerze in der Hand und einen Strick um den Hals, einen ganzen Tag lang auf den Knien zu verharren zur Sühne meiner ungeheuren Schuld. Aber in diesem großen Schiffbruch meiner zerbrechlichen Tugend, der euch zur Lehre dienen möge, das Laster und die Fallstricke des Satans zu fliehen und euch in den Schutz der Kirche zu flüchten, wo allein Heil und Sicherheit wohnt, bin ich durch teuflischen Zauber so geknickt und vernichtet worden, daß Unser Herr und Heiland Jesus Christus durch euer aller Fürbitten, um die ich flehe, Mitleid haben wird mit mir armen und verführtem Christen, dessen Augen schmelzen in Tränen der Reue und der sich ein neues Leben wünschen möchte, um es ganz hinzubringen in Kasteiung und bußfertiger Zerknirschung. Hört also meine Schuld und zittert!

Erwählt und ausersehen vom versammelten Kapitel zur Einleitung, Sichtung, Instruktion und Durchführung des Prozesses in Sachen eines Dämons, der Weibsgestalt angenommen hat in der Person einer flüchtigen, lasterhaften und gottesleugnerischen Nonne, die im Land der Heiden, woher sie gekommen, mit Namen Zulma geheißen, in unsrer Diözese aber als Schwester Claire vom Kloster der Karmeliterinnen gekannt war, in welcher Gestalt der genannte Dämon viel Wehgeschrei und Klagen über die Stadt brachte und die Seelen einer großen Anzahl Männer den Fürsten der Hölle, als da sind Mammon, Astaroth und Satan, in den Rachen geliefert hat, indem er sie im Stand der Todsünde von dieser Welt in die andre expedierte und sie den Tod trinken ließ am Quell des Lebens selber: bin ich, erwählter Richter, auf der Neige meiner Tage selber in seine Schlingen gefallen und habe so ganz und gar den Verstand verloren, daß ich zum Verräter wurde an den Funktionen meines Amts und meines Auftrags, als welche mir in Anbetracht und mit Rücksicht auf mein hohes Alter von dem hochwürdigsten Kapitel in vollem Vertrauen übertragen worden sind. Vernehmet, wie fein die Fallstricke des Teufels sind, und lernt daraus, euch davor zu bewahren!

Indem ich zum ersten Male den obengenannten Sukkubus zum Verhör vorführen ließ, sah ich mit Entsetzen, daß die schweren eisernen Ketten, die er an Händen und Füßen trug, dort nicht die leiseste Spur hinterlassen hatten, und diese geheime Kraft und Gewalt bei so augenscheinlicher Schwäche setzte mich in Erstaunen, von dem ich mich nicht erholen konnte. Mein Verstand verwirrte sich bei dem Anblick so hoher Vollkommenheiten der Natur, unter denen sich der Teufel versteckt hatte, die Musik seiner Stimme entzündete ein unbekanntes Feuer in meinem Blut, und ich hätte jung sein mögen, um wie die andern Unglücklichen mich ihm ohne Besinnen zu übergeben; denn mich dünkte die ganze ewige Seligkeit ein Spauz gegen die andere Seligkeit, die einer finden mußte in den schneeigen Armen dieses verhexten und verzauberten Weibes. Alle Festigkeit und Strenge, die ein Richter haben muß, schmolzen bei ihrem Anblick dahin wie Märzenschnee in der Mittagssonne. Von mir befragt und in Verhör genommen, antwortete mir der Dämon in Weibsgestalt derart mit Worten und Reden, daß ich mich schon bei dem zweiten Verhör für überzeugt hielt, ein Verbrechen zu begehen, wenn ich die arme kleine Kreatur, als welche weinte wie ein unschuldiges Kind, den Schrecken der Folter und Tortur überantworten ließ. Da wurde ich durch eine Stimme von oben ermahnt, meine Pflicht zu tun und zu bedenken, daß die goldenen Worte und die scheinbar himmlische Musik nichts seien als eine Mummerei des Teufels und daß dieser weiße und engelsüße Körper sich eines Tags in ein entsetzliches haariges Tier mit scharfen Krallen, seine sanften Augen in Kohlen aus dem höllischen Feuer, ihr wollustvoller Rücken und Bug sich in einen schuppigen Schwanz, ihre rosigen Lippen und ihr kleiner lieblicher Mund in einen Krokodilsrachen verwandeln müsse.

Und also faßte ich den festen Entschluß, den genannten Sukkubus foltern zu lassen, bis er eingestände, was Wir von ihm wissen wollten, wie es Brauch und Herkommen ist überall in der Christenheit. Als aber dieser Dämon fasernackt vor mir stand, um auf die Folterbank gestreckt zu werden, fühlte ich mich plötzlich von neuem von der Gewalt seines Zaubers überwältigt. Mein Kopf wurde mir heiß, mein Herz schwoll an von Strömen Blutes, ich fühlte mich jung wie mit einem Schlag. Mein langes christliches Leben, das hinter mir lag, war plötzlich vergessen, und ich kam mir vor wie ein Knabe, der der Schule entlaufen ist und süße Trauben maust in den Weinbergen. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft, das Zeichen des heiligen Kreuzes zu machen, und Kirche, Gott und Heiland waren wie weggelöscht aus meinem Gedächtnis. Wie ein Träumender wandelte ich durch die Straßen, immer die süße Stimme dieser Verdammten im Ohr, immer den satanisch lieblichen Körper dieses Dämons vor Augen, der mir unausgesetzt häßliche und schlechte Gedanken ins Ohr flüsterte.

Und endlich konnte ich dem Antrieb des Teufels nicht mehr widerstehen. Wie angestachelt von seiner glühenden Gabel, trieb es mich hin zum Kerker der Unglücklichen, und es nützte nichts, daß mein heiliger Schutzengel mich von Zeit zu Zeit am Ärmel zupfte und warnte vor den Versuchungen der Hölle. Ungeachtet seiner Mahnungen und seines Beistands fühlte ich mich fortgezogen wie von scharfen Krallen, die sich in mein Herz einbohrten. So kam ich in den besagten Kerker. Die Türe wurde mir aufgetan, aber was ich da sah, glich keinem Gefängnis; denn der Sukkubus hatte mit Hilfe höllischer Genien oder sonstiger Zauberwesen ein Zelt von Purpur und Seide um sich her gebaut, wo es duftete wie auf einer Wiese im Frühling und wo das schöne Weib sich erlustigte, angetan mit köstlichen Kleidern und ohne die Spur einer Fessel an den Händen, am Hals oder an den Füßen. Ich ließ mir meine geistlichen Gewänder abnehmen und mich in ein duftendes Bad führen. Dann bekleidete mich der Dämon mit einem morgenländischen Gewand, ließ mir ein Festmahl anrichten, seltene Gerichte in kostbaren Gefäßen und morgenländischen Wein in goldenen Kannen; dazu ertönte eine bezaubernde Musik, und mit Gesang und süßen Schmeichelreden kitzelte sie meine Seele. Immer hielt sich der genannte Sukkubus an meiner Seite, und ihre satanischen Berührungen entzündeten neue Feuer mir im Herzen und Hirn. Mein heiliger Schutzengel verließ mich. Ich lebte ganz von der Kraft des Lichts, das aus den schrecklich schönen Augen der Mohrin leuchtete, und von der Zaubergewalt, die mit der Wärme ihres Körpers in meinen Körper strömte. Ich wollte ihre roten Lippen fühlen, und ich hatte keine Angst vor den Bissen ihrer Zähne, die in den Schlund der Hölle zerren. Ich war glücklich, ihre weichen, zarten Hände zu fühlen, und dachte nicht daran, daß es in Wahrheit scheußliche Krallen waren; kurz, ich zitterte wie ein Bräutigam, der sich anschickt, zu seiner Braut zu gehen, und vergaß ganz und gar, daß diese Braut der ewige Tod war. Ich vergaß Gott und die Welt und hatte nur die Liebe dieses Weibs im Kopf, die mich wie mit einer Flamme umgab. Und nach nichts brannte ich heißer, als mich in die ewige Höllenpforte zu stürzen, die sie mir auftat. Drei Tage und drei Nächte dauerte das, ohne daß, ich weiß selbst nicht wie, der Strom versiegte in meinen Lenden, in die sich die Hände des Sukkubus wie teuflische Klauen einkrallten. Zuerst war es eine sanfte Wollust, die mir wie süße Milch durch die Adern floß; doch immer heftiger und heftiger wurde sie und wurde wie ein brennender, schneidender Schmerz von scharfen Messern. Ich fühlte ihn in den Knochen, im Mark und Gehirn. Es war zuletzt die wahrhaftige Qual der Hölle. Wie mit glühenden Zangen fühlte ich mich gezwackt. Es war eine unglaubliche, unerträgliche, tödliche Wollust. Ihr üppiges Haar floß über meinen Körper, und es war mir, als ob Feuerströme sich über meine Haut ergössen. Ihre Strähnen brannten mich wie die Eisenstangen eines glühenden Rostes. Sie aber lachte und sagte mir tausend aufreizende Worte: wie, daß ich ihr Ritter wäre, ihr Herr und Gebieter, ihr heller Tag, ihre laute Freude, ihr Blitz und Donner, ihr Leben mit einem Wort. Unter dem Sporn dieser Reden, die mir die Seele aus dem Leibe saugten, tauchte ich immer tiefer unter in den Abgrund der Hölle, in einen grundlosen, bodenlosen Abgrund, bis ich keinen Tropfen Blut mehr in den Adern fühlte, meine Seele weggelöscht war aus meinem Körper und nichts von mir übrigblieb als ein schwacher Leichnam. Sie aber war immer frisch und blühend, leuchtend von Jugend und Lust.

»Armer Narr«, sprach sie lachend, »mich für einen Dämon zu halten. Aber sage doch, wenn ich dich aufforderte, mir deine Seele zu verkaufen für einen Kuß, würdest du sie mir nicht mit Freuden geben?«

»Mit tausend Freuden«, antwortete ich.

»Und wenn das Blut Neugeborner dir die Kraft geben könnte, immer am Werk zu sein über meinem weißen Leib und dich auszuströmen in meinen Schoß, würdest du nicht von Herzen die Unschuldigen töten und ihr Blut trinken?«

»Von ganzem Herzen«, antwortete ich.

»Und um den Preis, immer mein Ritter zu sein und als ein Mann in der Blüte des Lebens mit vollen Zügen aus dem Becher der Lust zu trinken und immer von neuem unterzutauchen in mir, wie ein Schwimmer untertaucht im Fluß, würdest du um diesen Preis nicht Gott verleugnen und deinem Jesus ins Angesicht speien?«

»Ich würde es«, antwortete ich.

»Wenn dir noch zwanzig Jahre eines klösterlichen Lebens gegeben wären, würdest du sie nicht hingeben für zwei Jahre dieser Liebe, deren Feuer dich zugleich verzehrt und erhält?«

»Ja!« antwortete ich.

Da hatte ich ein Gefühl, wie wenn tausend Krallen sich in meine Lenden schlügen und tausend Raubvogelschnäbel sich in meine Brust hackten. Und reitend auf dem genannten Sukkubus, der seine Flügel ausbreitete, fühlte ich mich hingetragen durch die Lüfte, hoch über der Erde.

»Reite, reite, mein Reiter«, rief sie mir zu, »halte dich fest auf dem Bug deiner Stute, greif in ihre Mähne, umklammere ihren Hals, reite, mein Reiter, reite! Alles reitet.«

Wie einen Nebel sah ich die Städte der Erde unter mir, und durch eine besondere Gabe des Hellsehens sah ich Millionen Menschen zusammengekuppelt mit weiblichen Dämonen in wilder, wüster Hurerei; ihre Schreie der Lust, ihr Liebesgestöhn erschütterten die Luft. Und immerfort dahinfahrend, an Bergen und Wolken vorüber, lächelte mein Monstrum mit dem lieblichen Angesicht eines Weibs und zeigte mir, wie der Erdball mit der Sonne sich kuppelte und eine Milchstraße von Sternen sie umstiebte in ihrer Vereinigung. Und diese Millionen Sterne und Weltkörper kuppelten sich wieder, jeder männliche mit seinem weiblichen, und ihr Liebesgestöhn waren brausende Stürme von einem Weltufer zum andern, und Blitz und Donner waren ihre Schreie der Lust. Und mein Sukkubus setzte mich in das Zentrum des taumelnden Wirbels, wo ich mir vorkam wie ein verlorenes Sandkorn in der Unendlichkeit des brausenden Ozeans, und immer wiederholte mein weißes Pferd seinen Refrain:

»Reite, mein Reiter, reite!«

Da fühlte ich, wie wenig ein armes Priesterlein ist in diesem Strom der Welten, in diesem Samenstrom der Schöpfung, ich sah das All in einem ewigen Taumel von Liebe und Begattung, die Steine und die Metalle, Wasser und Luft, Blitz und Donner, die Sonnen und die Planeten, die Tiere, die Menschen und die Geister aller Welten, und mit einem wilden Schwur verleugnete ich meinen Glauben. Und immer weiter ging der Ritt, und mein Sukkubus zeigte mir Millionen Milchstraßen und sagte mir, jede Milchstraße sei ein Samentropfen aus dem großen Strom der zeugenden Weltkräfte. Und immer weiter ging der Ritt bei dem Schein von Millionen und Millionen Sternen, und reitend, immer weiter reitend hätte ich schauen und erkennen mögen die Natur dieser Millionen und Millionen Welten. Aber wie vernichtet in jeder Faser meines Wesens von dieser übermenschlichen Anstrengung, tat ich einen furchtbaren Fall und hörte das entsetzliche Hohnlachen der Hölle.

In meinem Bett fand ich mich wieder. Um mich her waren meine Diener, die unterdessen tapfer mit dem Dämon gekämpft hatten. Unter eifrigem Beten hatten sie einen ganzen Kübel Weihwasser über das Bett gegossen, in dem ich lag. Aber trotz ihres Beistands mußte ich noch einen furchtbaren Kampf aushalten mit dem genannten Sukkubus, dessen Klauen sich noch immer in mein Herz krallten, daß ich unsagbare Schmerzen litt.

Ermuntert von meinen Dienern, meinen Verwandten und meinen Freunden, strengte ich mich an, das Zeichen des heiligen Kreuzes zu machen; aber da sah ich den Sukkubus auf meinem Bett, ich sah ihn zu meinen Häupten und zu meinen Füßen, ich sah ihn rings um mich, wie er lachte und Grimassen schnitt, wie er mir tausend Bilder der Unzucht vor die Augen stellte und mir tausend böse Begierden im Herzen weckte. Als aber hierauf Unser gnädiger Herr, der Erzbischof, in seiner Barmherzigkeit mir die Reliquien des heiligen Gatian schickte, da hatte kaum der heilige Schrein mein Bett berührt, als plötzlich der genannte Sukkubus die Flucht ergriff, indem er einen Gestank von Schwefel und andern höllischen Düften hinter sich zurückließ, daß meine Diener, meine Freunde und alle, die anwesend waren, den ganzen Tag nicht aus dem Niesen herauskamen.

Da fiel ein Strahl himmlischen Lichts in meine Seele, und ich sah, daß ich infolge meiner Sünden und der schweren Kämpfe mit dem höllischen Geist dem Tode nahe war; ich flehte aber zu Gott um die besondere Gnade, mir um der Verdienste Jesu Christi willen, der den Tod des Kreuzes erlitten zum Heil aller Christen, noch eine kurze Spanne Zeit das Leben zu schenken, um zu seiner Ehre und zum Ruhm der Kirche Genugtuung leisten zu können für meine schrecklichen Verbrechen. Durch dieses Gebet erhielt ich die Gunst, noch einmal so weit zu Kräften zu kommen, um mich meiner Sünden anzuklagen und den Beistand aller Mitglieder unseres Münsters zu St-Maurice anzuflehen, daß sie mir mit ihren Bitten und guten Werken zu Hilfe kommen in der Not des Fegfeuers, wo entsetzliche Qualen meiner warten.

Zum letzten Ende habe ich noch die Erklärung abzugeben: daß mein richterlicher Beschluß, wonach, auf dessen Berufung, der genannte Sukkubus durch ein Gottesurteil, id est durch die doppelte Probe des Feuers und des Wassers, seine Unschuld darzutun ermächtigt und aufgefordert wird, auf einer höllischen List des Dämons beruhte, der auf diese Weise der Strafgewalt des geistlichen Gerichts und Unsres hochwürdigen Kapitels zu entrinnen trachtete, weil er, wie er mir heimlich gestanden hat, an seiner Statt einen andern Dämon in die Probe zu schicken die Macht hatte, als welcher seit langer Zeit in diesen Übungen abgehärtet ist.

Um nun zum Schluß zu kommen, gebe und vermache ich dem Kapitel unsres Münsters zu St-Maurice all meine Habe und Besitztümer jeglicher Art zu dem Zweck, in dem genannten Münster eine Kapelle zu bauen, auszuschmücken und unter die Anrufung des heiligen Hieronymus und des heiligen Gatian zu stellen, deren einer mein Patron, wie der andre der Retter meiner Seele ist.«

Nachdem dies von den Anwesenden gehört worden, hat Herr Jan van dem Haag (Johannes de Haga) die also niedergeschriebene Beichte dem erzbischöflichen Gericht unterbreitet.

Erwählt von der Versammlung des Kapitels zu St-Maurice, nach Brauch und Herkommen dieser Kirche, zum obersten Pönitentiarius und Strafrichter in geistlichen Angelegenheiten und betraut mit der Wiederaufnahme und Fortführung des Prozesses gegen einen bösen Dämon von der Art der Sukkubi, gegenwärtig in den Gefängnissen des Kapitels, haben Wir, Jan van dem Haag (Johannes de Haga), befohlen und angeordnet:

Daß eine neue Untersuchung in dieser Sache eingeleitet und alle Mitglieder der Diözese, als welche davon Kenntnis erhalten, von neuem vorgeladen und vernommen werden sollen. Und erklären Wir für null und nichtig alle andern Prozeduren, Verhöre und Beschlüsse und verdammen sie aus Auftrag und Machtvollkommenheit des versammelten Kapitels unsrer Kirche. Nicht stattgegeben werden soll vor allem der heuchlerischen Berufung des Dämons auf ein Gottesgericht in Anbetracht der Hinterlist und Tücke dieses Teufels, die dabei zu befürchten wären. Und soll dieses Verdikt unter dem Schall der Trompete öffentlich ausgerufen werden überall und an allen Orten der Diözese, wo vorher die falschen Edikte Unsres Vorgängers ausgerufen worden sind, die einzig und allein durch Verführung und Einflüsterung des Dämons zustande gebracht wurden, wie es der verstorbene Hieronymus Cornill selber eingestanden hat.

Mögen alle guten Christen unsrer heiligen Kirche und deren Ordnungen und Geboten ihren Beistand leihen.

Jan van dem Haag.


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