Honoré de Balzac
Seraphita
Honoré de Balzac

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Seraphita – Seraphitus

Wilfrid wollte sich entfernen, von geheimem Zauber gefesselt verweilte er aber noch einige Augenblicke vor dem Schwedenschlosse und betrachtete das durch die Fenster schimmernde Licht.

»Was habe ich gesehen?« fragte er sich. »Nein, das ist kein menschliches Geschöpf, eine ganze Schöpfung ist es! Von jener durch Wolken nur erblickten Welt bleibt mir nichts als ein kaum tönender Widerhall, ähnlich der Erinnerung an einen längst verflogenen Schmerz, oder wie Traumbilder, in denen wir das in die harmonische Musik höherer Sphären, in denen alles Licht ist und Liebe, übergehende Todesröcheln vergangener Geschlechter zu vernehmen meinen. – Wache ich? Bin ich noch in Schlaf versunken? – Blieb mir noch der scharfe Blick, vor dem die lichten Räume sich in die Unendlichkeit verloren? – Trotz der grimmigen Kälte der Nacht strömt Feuer in meinen Adern! – Fort in das Pfarrhaus! Bei dem Pastor und seiner Tochter kann ich vielleicht meine Gedanken sammeln.«

Noch aber verließ er nicht die Stelle, von der sein Blick in Seraphitas Gemach zu dringen vermochte. Das geheimnisvolle Geschöpf schien der strahlende Mittelpunkt eines Kreises zu sein, der um sie eine weit größere Atmosphäre als um jedes andere Wesen zog, und jeder, der sie betrat, erlag der Macht verzehrender Gedanken und einer ungeheuern Lichtmasse. Kräftig, aber nicht ohne harten Kampf entriß sich Wilfrid dieser unerklärlichen Gewalt. Als er endlich die das Haus umgebende Mauer hinter sich hatte, fühlte er sich wieder im Besitze seines freien Willens, stürzte fort zur Pfarrwohnung und befand sich bald unter dem hohen Holzdache, das schützend über die geistliche Pforte hinausragte. Er öffnete hastig die äußere gut verwahrte Tür, gegen welche der Sturm den Schnee hintrieb, und klopfte rasch an die zweite mit den Worten: »Wollen Sie mir wohl vergönnen, lieber Pastor, den Abend bei Ihnen zuzubringen?«

»Gern!« entgegneten zumalen zwei Stimmen.

Als Wilfrid das Zimmer betrat, kehrte er nach und nach wieder in das wirkliche Leben zurück. Zärtlich grüßte er Minna, drückte dem Alten die Hand und überflog mit seinen Augen ein Bild, dessen Ruhe den Aufruhr seines ganzen Wesens stillte, wobei eine Erscheinung stattfand, die hin und wieder bei tiefen Denkern angetroffen wird.

Wenn irgend ein hoher Gedanke einen Gelehrten, einen Dichter auf den Fittichen der Phantasien emporträgt, ihn gänzlich den irdischen drückenden Sorgen entrückt und ihn in endlose Fernen versetzt, wo die größten Massen der Tatsachen reine Abstraktionen werden, wo die höchsten Werke der Natur nur als Bilder erscheinen, wie tief unglücklich fühlt er sich dann, wenn ein plötzliches Geräusch seine Sinne trifft und seinen umherschweifenden, weit entfernten Geist in den aus Fleisch und Knochen gebauten Kerker zurückruft? Der Zusammenstoß dieser beiden Mächte – Körper und Geist –, von denen die eine mit der unsichtbaren Kraft des Blitzes, die andere mit jenem der sinnlichen Natur eigenen nachgebenden Widerstand ausgerüstet ist, der zeitweise der Vernichtung kühn entgegentritt, dieser Kampf, oder wenn man lieber will, diese furchtbare Mischung erzeugt unerhörte Leiden. Der Körper ist wieder der ihn verzehrenden Flamme verfallen, und die Flamme hat wieder ihre Beute erfaßt; allein dieses Zusammenschmelzen wird nicht bewerkstelligt ohne furchtbares Aufwallen, ohne schreckliche Explosionen, wie wir deren in der Chemie erblicken, wenn feindliche Elemente sich wieder scheiden, die sie mit Mühe verbunden hatte.

Seit einigen Tagen geschah es, daß, so oft Wilfrid bei Seraphita eintrat, er sich der Körperwelt entrückt fühlte. Ein einziger Blick dieses sonderbaren Geschöpfes reichte hin, seinen Geist in jene Sphäre zu entrücken, in die tiefes Nachdenken den Gelehrten, das Gebet die gottergebene Seele, die Vision den Künstler, der Schlummer sogar einige Menschen versetzt; denn jeder zieht seines eigenen Weges in die erhabenen Tiefen, jeder hat seinen eigenen ihn dort leitenden Führer, jeder fühlt aber schwere gleiche Leiden bei seiner Rückkunft. In solchen Augenblicken allein zerreißen die Schleier und zeigen uns klar die Offenbarung, das furchtbare brennende Geheimnis der unbekannten Welt, von welcher der Geist nur unscheinbares Stückwerk zur Erde zurückbringt. Eine bei Seraphita verlebte Stunde erschien Wilfrid gewöhnlich nicht anders als jener von den Opiumessern so sehr geliebte und unaufhörlich begehrte köstliche Taumel des Traumes, in dem jede Nervenfaser der Mittelpunkt des höchsten Entzückens ist. Erschöpft gleich einem jungen Mädchen, das vergeblich sich abgemüdet hat, um dem Laufe eines Riesen zu folgen, kehrte er von ihr heim. Die Kälte begann vermöge ihrer scharfen Stiche das innere Beben zu beruhigen, das die Vereinigung seiner beiden so heftig getrennten Naturen hervorgebracht hatte; auch kam er wohl deshalb ins Pfarrhaus zurück, um sich bei Minna durch den Anblick des gewöhnlichen Lebens zu erlaben, nach welchem er ebenso begierig war, wie ein abenteuernder Europäer begierig sein wird, sein Vaterland wieder zu sehen, wenn das Heimweh ihn mitten in den orientalischen Feenszenen ergreift, die ihm anfangs so verführerisch erschienen.

Mehr als je angegriffen, sank Wilfrid in einen Sessel und schaute einige Zeit lang so befremdet um sich her, wie ein aus schwerem Schlafe Erwachender. Der alte Pfarrherr, wahrscheinlich ebenso wie seine Tochter an die auffallende Sonderbarkeit ihres Gastes gewöhnt, fuhr nebst dieser in seiner Beschäftigung fort.

Im Gemach hingen eine Insektensammlung und Muscheln aus Norwegens Meer. Geschickt angebracht auf dem gelben, die Wände bekleideten Getäfel von Tannenholz, bildeten diese Seltenheiten eine recht reiche, nur etwas vom Tabaksrauche des Pastors gebräunte Tapete. Im Hintergrunde, dem Haupteingange gegenüber, erhob sich ein gewaltiger Ofen, der, sorgfältig von der Magd abgerieben, wie polierter Stahl glänzte.

In einem großen, mit ausgenähter Arbeit überzogenen Großvaterstuhl saß hart neben dem Ofen, die Füße in einen Fußsack gehüllt, der alte Pfarrherr an einem Tische und las in einem großen Folianten, dem andere Bücher zur Unterlage dienten. Zu seiner Linken stand eine Schleifkanne voll Bier nebst einem Glase, zu seiner Rechten eine dampfende, mit Fischtran genährte Lampe. Der Alte schien ein Sechziger zu sein. Sein Gesicht gehörte zu denen, die Rembrandts Pinsel mit vorzüglicher Liebe schilderte, dieselben kleinen, lebhaften, in vielen Runzeln eingehüllten und von graulichweißen dicken Brauen überschatteten Augen, dieselben weißen, sich in zwei reichen Locken unter der schwarzen Samtmütze hervorstehlenden Haare, dieselbe mächtige und kahle Stirn, derselbe von der Fülle des Kinns fast viereckig erscheinende Schnitt des Gesichts, dieselbe tiefe Ruhe endlich, die den scharfen Beobachter irgend eine vorherrschende Macht wahrnehmen läßt, bestehe sie entweder in der vom Gelde verliehenen Königswürde, oder in der hart ausgeprägten richterlichen Gewalt des Bürgermeisters, oder in dem Selbstbewußtsein innen wohnender Kunst, oder in der massiven Kraft glücklicher Unwissenheit. Der schöne Greis, dessen wohlgenährte Gestalt eine kernhafte Gesundheit vermuten ließ, war mit einem von grobem Tuche verfertigten und schlicht mit einer Sahlleiste verzierten Schlafrocke bekleidet. Sehr ernsthaft hielt er in seinem Munde ein langes Rohr mit einem Meerschaumkopfe, blies in gleichen Zeiträumen Rauchwolken aus, folgte mit nachdenklichen Blicken ihren phantastischen Gebilden und war sonder Zweifel eben im Begriffe, in die Gedanken des von ihm gelesenen Schriftstellers durch eine beschauliche Überlegung ganz einzudringen.

Auf der anderen Seite des Ofens und nahe einer in die Küche führenden Türe zeigte sich Minna in unbestimmten und durch die ihr vermöge der Gewohnheit nicht beschwerlich fallenden Tabakswolken in dämmerhaften Umrissen. Auf einem kleinen vor ihr stehenden Tische befanden sich alle einer Näherin notwendigen Gerätschaften, nebst einem Stoße Tischzeug und einer Menge der Ausbesserung bedürftiger Strümpfe, welches alles von einer Lampe erhellt wurde, die ganz derjenigen glich, welche die weißen Blätter des von ihrem Vater gelesenen und seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmenden Buches beleuchtete. Ihr frisches Gesicht, dessen zarte Umrisse die größte Reinheit ausdrückten, stand in voller Harmonie mit dem ihrer weißen Stirn und ihren hellen Augen eingeprägten offenen Gemüte. Etwas vorgebeugt gegen das Licht, um besser zu sehen, zeigte sie ohne ihr Wissen die ganze Schönheit ihres Brustbildes. Ein Nachtgewand von weißem Baumwollenzeuge umfloß ihre Glieder; ein einfaches weißes Häubchen, nur mit einigen Schleifen von demselben Stoffe verziert, verbarg ihren reichen Lockenschmuck. Gleich vielen Frauen schien sie ganz einer tiefen geheimen Beschauung hingegeben zu sein, die sie aber nicht hinderte, die Fäden ihrer Serviette oder die Maschen ihres Strumpfes zu zählen. So stellte sie das vollkommenste, treueste Bild eines ganz dem irdischen Wirken geweihten Weibes auf, dessen Blick wohl die Wolken des Heiligtums zu durchdringen imstande wäre, das aber ein demütiger und zugleich mildtätiger Gedanke in dem Bereiche der Menschen festhält.

Zwischen diesen beiden Tischen hatte sich Wilfrid in einen Sessel geworfen. Mit einer Art Trunkenheit betrachtete er das harmonische vor seinen Augen liegende und durch die Rauchwolken nicht verunstaltete Bild. Das einzige, dieses Gemach während der schönen Jahreszeit erhellende Fenster war sorgfältig verhängt. Ein alter über einen Stock geworfener Teppich fiel vor demselben in schweren Falten als Vorhang herunter. Nichts Pittoreskes, nichts Glänzendes, dagegen aber eine strenge Einfachheit, eine wahre natürliche Herzlichkeit und alle Gewohnheiten eines häuslichen, ruhigen, sorgenlosen Lebens waren hier vereinigt. Viele Wohnungen gleichen einem schimmernden Traume; der über sie hingegossene Glanz des Vergnügens scheint unter dem kalten Lächeln des Luxus Ruinen zu verbergen; dieses Gemach aber war eine erhabene Wirklichkeit, harmonisch in allen Farben, und erweckte patriarchalische Gedanken eines vollen und gesammelten Lebens. Die in ihm herrschende Stille wurde nur zuweilen durch das Hin- und Hergehen der mit Zubereitung des Nachtessens beschäftigten Magd und das Aufzischen des nach Landessitte in gesalzener Butter gerösteten trockenen Fisches in der Küche unterbrochen.

»Wollen Sie nicht auch eine Pfeife rauchen?« fragte der Pfarrherr in einem Momente, in dem er glaubte, daß Wilfrid ihn vernehmen könnte.

»Großen Dank, bester Pastor!« antwortete dieser.

»Sie scheinen heute viel leidender als gewöhnlich!« meinte Minna, betroffen über seine große Schwäche anzeigende Stimme.

»Ich bin stets so, wenn ich vom Schlosse komme.«

Minna fuhr zusammen.

»Eine höchst rätselhafte Person wohnt dort, lieber Pastor!« fing Wilfrid nach einer Pause wieder an. »Während der sechs Monate, die ich hier schon zubringe, habe ich noch nie gewagt, Fragen über sie zu tun, und selbst heute fällt es mir sehr schwer, mit Ihnen von ihr zu reden. Anfangs war es mir sehr unwillkommen, meine Reise durch den Winter unterbrochen und mich hier zu längerm Verweilen gezwungen zu sehen; jetzt aber, und hauptsächlich seit den letzten zwei Monden, hat jeder Tag die mich an Jarvis kettenden Fesseln enger zusammengeschnürt. Ich fürchte, meine Tage hier beschließen zu müssen. Sie wissen, wie ich Seraphita das erstemal sah, welchen Eindruck ihre Stimme und ihr Blick mir machte, Sie wissen, wie es mir endlich gelang, Zutritt bei ihr zu erhalten, die Jedem unzugänglich ist. Seit dem ersten Tage kehrte ich stets mit dem Vorsatze zu Ihnen zurück, Sie um Aufklärungen über dieses rätselhafte Geschöpf zu bitten, denn schon damals begann für mich jene Reihe von Bezauberungen . . .«

»Von Bezauberungen!« rief der Pfarrherr und leerte seine Pfeife in eine große, plumpe, mit Sand gefüllte Schüssel, die ihm als Spucknapf diente. »Gibt es denn Bezauberungen?«

»Gewiß!« entgegnete Wilfrid hastig. »Sie, der Sie in diesem Momente das Buch des Johannes Wier von Bezauberungen und Beschwörungen lesen, werden sicher mich verstehen, wenn ich es unternehme, Ihnen meine Empfindungen zu schildern. Studiert man aufmerksam die Natur sowohl in ihren größten Revolutionen, als auch in ihren kleinsten Werken, so ist es schlechthin unmöglich, nicht einzusehen, daß Zauberei im eigentlichsten Wortverstande unter die Unmöglichkeiten gehört. Der Mensch vermag keine Kräfte zu schaffen, sondern nur die einzig und allein bestehende Kraft, die alle übrige in sich begreift, nämlich die Bewegung anzuwenden, den Atem des höchsten Schöpfers der Welten! Die verschiedenen Gattungen sind zu genau gesondert, als daß des Menschen Hand sie unter einander mengen könnte, das einzige ihm mögliche Wunder war vollbracht, als es ihm gelang, zwei feindliche Substanzen zu einem Körper zu vereinigen. Das Schießpulver ist noch des Blitzes Blutsverwandter! Ist es möglich, plötzlich eine neue Schöpfung entstehen zu lassen? Jede Schöpfung erfordert Zeit, und unbeweglich muß die Zeit verharren unter der schöpferischen Hand. Die schaffende Natur gehorcht folglich außer unsrem Bereiche Gesetzen, deren Ausübung keines Menschen Hand hindern oder stören kann. Wenn wir nun aber der Materie ihr volles Recht zugestehen, so würde es unverständig sein, wollten wir nicht auch in uns die Existenz einer ungeheuern Kraft anerkennen, deren Wirkungen so sehr über alle menschlichen Bewegungen erhaben sind, daß alle bis jetzt auf Erden gelebt habenden Generationen nicht einmal imstande waren, sie nur in ein geregeltes System zu bringen. Ich rede hier nicht von der dem Menschen verliehenen Fähigkeit, alles zu abstrahieren und die ganze Natur in das Wort einzuzwängen, – eine riesenhafte Unternehmung, die aber vom großen Haufen so wenig beachtet wird wie die Bewegung –, die jedoch die indischen Theosophen darauf geleitet hat, die Schöpfung durch ein Wort zu erklären, dem sie auch wiederum eine umgekehrte Wirkung beilegten. Der kleinste Teil ihrer Nahrung, ein Reiskorn, aus welchem eine ganze Schöpfung hervorgeht, dieselbe Schöpfung aber auch in demselben zusammengedrängt erscheint, bot ihnen ein so reines Bild des schaffenden und des abstrakten Wortes dar, daß es keine Schwierigkeiten haben konnte, dieses System auch auf Schaffung der Welten auszudehnen. Die Mehrzahl der Menschen mußte sich mit dem Reiskörnchen begnügen, mit dem alle Schöpfungsgeschichten beginnen. Als der Apostel Johannes sprach: ›Im Anfange war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort‹, wurden die Schwierigkeiten nur noch größer. Das Keimen, Wachsen, Blühen unserer Gedanken ist aber nur eine Kleinigkeit, vergleichen wir diese vielen Menschen verliehene Eigentümlichkeit mit der ganz anormalen Fähigkeit, dieser Eigentümlichkeit mehr oder weniger durch irgend eine Konzentrierung hervorgebrachte tätige Kräfte mitzuteilen, sie auf drei-, neun-, siebenundzwanzigfache Potenz zu steigern, sie so auf die Massen heftig wirken zu lassen und durch Kondensation der natürlichen Wirkungen endlich zu magischen Resultaten zu gelangen. Zauberei, Bezauberung nenne ich übrigens jene ungeheuren, zwischen zwei Membranen unserer Gehirnhaut spielenden geistigen Tätigkeiten. Man findet hin und wieder menschliche Wesen, die in der unerforschten und moralische Welt genannten Natur ausgerüstet sind mit jenen unerhörten Kräften, vergleichbar der im Gas, in Säuren und Salzen verborgenen Macht, die andern Wesen auf das innigste sich anzuschmiegen, sie als tätiges Prinzip so zu durchdringen und sie mit solchem Zauber zu umstricken wissen, gegen den solche arme Heloten ganz verteidigungslos sind. Sie unterwerfen solche bedauernswerte Kreaturen einer furchtbaren Herrschaft und lassen sie schwer das Bleigewicht des Szepters einer höhern Natur empfinden, wenn sie einmal auf sie wirken, wie der den unglücklichen Fischer elektrisierende und betäubende Krampfrochen, oder ein anderesmal wie eine das Leben aufreizende und verflüchtigende Dosis Phosphor, oder unter anderer Gestalt wie das die körperliche Natur einschläfernde Opium den Geist seiner Fesseln entledigt, ihn über die Welt erhebend ihm diese durch ein Prisma zeigt und ihn auf die ihm wohlgefälligste Weide führt, oder wenn sie in Starrsucht versetzt, die alle körperliche Tätigkeit zugunsten irgend einer Vision vernichtet.

»Wunder, Zaubereien, Beschwörungen, Hexereien, kurz alles, was wir sehr uneigentlich übernatürlich zu nennen pflegen, ist nicht anders möglich und kann nur durch die Gewalt erklärt werden, mit der ein Geist uns zwingt, die Wirkungen einer rätselhaften Optik auszuhalten, welche uns die gesamte Schöpfung ganz nach seiner Willkür bald vergrößert oder verkleinert, verschönert oder scheußlich entstellt erscheinen läßt, und uns jetzt bis in den Himmel entzückt, jetzt zur Hölle hinabstürzt, – die höchste Wonne und den höchsten Schmerz bezeichnende Ausdrücke. Diese Phänomene sind nicht außerhalb uns, sondern in uns selbst zu suchen. Nun scheint mir das von uns Seraphita genannte Wesen einer der seltenen aber furchtbaren Dämone zu sein, denen die Gewalt verliehen ist, Menschen an sich zu fesseln, die Natur genau zu erforschen und an der geheimnisvollen Macht Gottes selbst teil zu nehmen. Den Reigen der von mir empfundenen Zaubereien eröffnete das mir auferlegte Schweigen. So oft ich auch entschlossen war, Sie über Seraphita zu befragen, so oft wurde ich auch durch den Gedanken davon abgehalten, irgend ein Geheimnis an das Licht zu ziehen, dessen unbestechlicher Hüter ich sein müsse; jedesmal schien ein feuriges Siegel meine Lippen zu schließen; zum hundertsten Male sehen Sie mich hier ermattet, gänzlich erschöpft vor sich, weil ich mit dieser Zauberwelt zu spielen gewagt hatte, die Ihnen beiden als sanftes zartes Mädchen, mir aber als die unerbittlichste Zauberin, als eine Hexe erscheint, die in ihrer Rechten einen unsichtbaren, den Erdball in Aufruhr setzen könnenden Apparat, in ihrer Linken den Blitzstrahl hält, der nach ihrer Willkür alles vernichten kann. Ich bin so weit gebracht, daß es mir nicht mehr möglich ist, ihr frei in die Stirn zu blicken, – sie ist zu unerträglich rein! Seit einigen Tagen streife ich aber zu nahe hin an dem Abgrunde des Wahnsinns, als daß ich auch jetzt noch nicht reden sollte; und ergreife dazu den Moment, in welchem ich Mut in mir fühle, diesem Ungeheuer, das mich hinter sich herschleppt, ohne zu fragen, ob ich auch seinem Fluge folgen könne, Widerstand zu leisten. – Wer ist sie? – Kannten Sie sie als Kind? Wurde sie jemals geboren und hat sie Eltern gehabt? Wurde sie erzeugt aus der Vereinigung der Sonne und des Eises, denn sie setzt in Flammen und macht alles erstarren? Sie zieht mich an und stößt mich ab, abwechselnd gibt sie mir Tod und Leben, ich liebe und hasse sie! So länger zu leben, ist unmöglich, und lieber will ich ganz im Himmel oder der Hölle verfallen sein!«

Der alte Pfarrherr hielt in der einen Hand seine unterdessen gestopfte Pfeife, in der andern den Deckel, ohne ihn aufzusetzen. Geheimnisvoll lächelnd und zuweilen seine Tochter ansehend, die diese völlig zu dem sie inspirierenden Wesen passende Sprache zu verstehen schien, horchte er Wilfrids langer Rede, der schön wie Hamlet erschien, als dieser dem Geiste seines Vaters Rede stand, der nur ihm allein, mitten unter den andern Lebenden, sichtbar war.

»Das klingt alles ungefähr wie das Geschwätz eines Verliebten!« antwortete endlich ganz unbefangen treuherzig der gute Pastor.

»Ein Verliebter!« entgegnete Wilfrid, »ja allerdings, nach der gewöhnlichen Ansicht der Menge. Aber mein teuerster Herr Becker, kein Wort vermag den Wahnsinn auszudrücken, der mich zu diesem wilden Geschöpfe hinreißt.«

»Sie lieben folglich dieses Geschöpf?« fragte Minna mit einem Tone, der nicht ganz ohne einige Bitterkeit erschien.

»Ja, Fräulein, wenn ich sie sehe, durchrieselt mich ein so eigentümliches Beben, wenn ich sie nicht sehe, bemächtigt sich meiner eine so tiefe Traurigkeit, daß solche Empfindungen bei jedem andern Manne Liebe genannt werden müßten; Liebe aber zieht feurig die Wesen zu einander hin, während sich zwischen ihr und mir stets ein Abgrund auftut, dessen Kälte mich in ihrer Gegenwart eisig anhaucht, von dem ich aber, von ihr entfernt, nichts empfinde. Stets verlasse ich sie trostloser, stets aber kehre ich entflammter zu ihr zurück, gleich den Gelehrten, die ein von der Natur verschlossenes Geheimnis zu erforschen begehren, gleich dem Maler, der seiner Leinwand Leben einhauchen will, alle Mittel der Kunst aber vergebens an diesen nutzlosen Versuch verschwendet.«

»Alles, was Sie da sagen,« versetzte das Mädchen, »scheint mir sehr richtig.«

»Wie kannst du darüber urteilen, Minna?« fragte der Alte.

»O, mein lieber Vater! Wären Sie heute früh mit uns auf dem Gipfel des Falbergs gewesen und hätten Sie sie beten sehen; gewiß würden Sie mich nicht so fragen! Wie Herr Wilfrid, als er sie das erstemal in unserer Kirche sah, würden Sie ausrufen: das ist der Genius des Gebetes.«

Eine ziemlich lange Stille folgte diesen letzten Worten.

»Ach,« fing endlich Wilfrid wieder an, »sie hat nichts gemein mit andern auf diesem jämmerlichen Erdenrunde sich herumtreibenden Geschöpfen!«

»Auf dem Falberg!« rief verwundert der alte Pfarrherr. »Wie konnte euch dessen Besteigung gelingen?«

»Darüber vermag ich keine Auskunft zu geben,« antwortete Minna. »Der ganze Weg erscheint mir jetzt gleich einem fern liegenden Traume! Ohne dieses Wahrzeichen würde ich alles für gar nicht möglich halten.«

Bei diesen Worten zog sie die Blume aus ihrem Busen, und alle drei konnten nicht genug das zierliche, noch ganz frische Steinbrechpflänzchen bewundern, das, obgleich gut von den zwei Lampen beleuchtet, doch mitten durch die Rauchwolken in einem eigentümlichen Lichte strahlte.

»Das ist höchst seltsam, fast übernatürlich!« meinte der Alte.

»Ein Abgrund!« ließ Wilfrid sich vernehmen.

»Ihr Wohlgeruch verursacht mir Schwindel!« rief Minna. »Noch jetzt vermeine ich ihren Worten zu lauschen, die in Musik verwandelten Gedanken gleichen, noch jetzt sehe ich ihren flammenden Blick, der die reinste Liebe ist.«

»Erbarmen Sie sich meiner, verehrtester Herr Pastor, erzählen Sie mir das Leben dieser rätselhaften menschlichen Blume, als deren Symbol mir diese geheimnisvolle Blüte erscheint.«

»Wenn ich Ihnen, mein werter Gast,« antwortete der Greis und blies eine starke Dampfwolke von sich, »das Leben dieses Wesens erklären soll, so ist es unumgänglich notwendig, daß ich Ihnen eine Skizze von der dunkelsten aller christlichen Doktrinen entwerfe; ein sehr schwieriges Unternehmen, verständlich zu reden von der allerunbegreiflichsten der Offenbarungen, dem letzten Strahle des Glaubens, wie man behauptet, der unserm Jammertale geleuchtet hat. Haben Sie je von Swedenborg gehört?«

»Ja, nur dem Namen nach, nichts aber von ihm selbst, seinen Werken, seiner Religion.«

»So! nun da will ich Ihnen einen Abriß vom ganzen Swedenborg geben.«

Nach einer Pause, in welcher der Pfarrherr alle seine Erinnerungen gesammelt zu haben schien, begann er folgendermaßen:

»Emanuel von Swedenborg wurde in Upsala in Schweden im Monat Januar des Jahres 1688 nach der Angabe einiger Autoren, im Jahre 1689, wie sein Epitaphium besagt, geboren. Sein Vater Jasper Swedberg war Bischof von Scara in Westgotland. Er lebte bis in das fünfundachtzigste Jahr und soll am 29. März 1772 in London gestorben sein. Ich bediene mich mit Fleiß dieses Ausdrucks, denn, den Behauptungen seiner Schüler zufolge, wäre Swedenborg lange nach dieser Zeit noch in Jarvis lebend gesehen worden.

»Erlauben Sie, mein werter Herr Wilfrid«, unterbrach sich der alte Pastor selbst, um diesem jeden Einwurf abzuschneiden, »ich berichte Tatsachen, ohne sie weder zu bestätigen, noch zu leugnen. Hören Sie jetzt aufmerksam zu, und dann denken Sie über alles ganz nach Ihrem Belieben, was Sie wollen. Ich will Sie benachrichtigen, wenn ich Swedenborgs Lehrsätze vor den Richterstuhl der Kritik ziehen werde, um meine geistige Neutralität zwischen der Vernunft und zwischen ihm dadurch zu beurkunden!

»Emanuel Swedenborgs Leben zerfällt in zwei scharf geschiedene Hälften. Bis zum Jahr 1745 trat der Freiherr Swedenborg in der Welt als einer der größten Gelehrten auf; geschätzt und geliebt wegen seiner Tugenden lebte er ganz vorwurfsfrei und dem Nutzen der Menschheit beharrlich alle seine Kräfte weihend: Mit hohen Ämtern in Schweden bekleidet, gab er zwischen den Jahren 1709 und 1740 über Mineralien, Physik, Mathematik und Astronomie zahlreiche und gediegene, die Wissenschaften fördernde Werke heraus. Er erfand eine neue Art von Schiffsdocken, er schrieb Abhandlungen über die wichtigsten Gegenstände, über Ebbe und Flut, über die Lage der Erde. Er gab neue Konstruktionen zu verbesserten Schleusen an und vereinfachte das Verfahren beim Schmelzen der Metalle, er beschäftigte sich mit einem Worte mit keiner Wissenschaft, ohne ihr zu einem bedeutenden Fortschritte zu verhelfen. In seiner Jugend studierte er die hebräische und lateinische Sprache nebst den orientalischen Sprachidiomen und war in ihnen so sehr bewandert, daß nicht nur mehrere berühmte Gelehrte sich bei ihm Rats erholten, sondern daß er sich auch in den Stand gesetzt sah, in Asien und besonders in der Tartarei Spuren des ältesten Buches, des ›Worts‹ nachzuweisen, welches ›Der Streit des Herrn‹ und ›Sprüchwörter‹ genannt wird, und das Moses in seinem 4. Buche XXII, 14, 27, Josua, Jeremias und Samuel erwähnen. Er behauptete in dem ersten den historischen und in dem zweiten den prophetischen Teil dieses Buches zu erkennen, welches älter als das erste Buch Mosis sei. Swedenborg war sogar überzeugt, daß das Buch ›Jaschar‹ oder ›Buch des Gerechten‹, von dem Josua spricht, sich in der östlichen Tartarei vorfinde und die ganze Lehre der Korrespondenzen und deren Verehrung enthalte.

»Ein Franzose soll, wie man erzählt, in neuester Zeit Swedenborgs Behauptungen gerechtfertigt und angekündigt haben, daß von ihm in Bagdad mehrere in Europa unbekannte Bücher der Bibel aufgefunden worden seien. Bei dem im Jahre 1785 in Paris wegen des animalischen Magnetismus entstandenen Streites, an dem fast alle europäische Gelehrte teilnahmen, brachte der Marquis von Thomé Swedenborgs Namen zu großen Ehren, als er einige Behauptungen angriff, die den vom Könige zur Untersuchung des Magnetismus aufgestellten Kommissarien entschlüpft waren. Diese Herren hatten nämlich den Satz aufgestellt, es gäbe bis jetzt keine Theorie des natürlichen Magnets, während er bewies, daß Swedenborg schon im Jahre 1720 eine solche verfaßt habe. Der Marquis bewies ferner bei dieser Gelegenheit, die Ursache, warum die berühmtesten Gelehrten Swedenborg so in Vergessenheit geraten ließen, bestände darin, daß sie sich mit den seinen verborgenen Schätzen insgeheim geraubten Federn schmücken wollten, und er spielte dabei auf Buffons Theorie der Erde an. Kurz, es gelang ihm durch viele aus Swedenborgs enzyklopädischen Werken gezogene Zitate der vollständige Beweis, daß dieser große Seher dem langsamen Schritte der menschlichen Wissenschaften weit vorausgeeilt war. Um sich selbst vollkommen hiervon zu überzeugen, darf man auch nur seine philosophischen und mineralogischen Abhandlungen lesen. So tritt er in einer Stelle als der Vorläufer der heutigen Chemie auf, wenn er verkündet, alle Erzeugnisse der organischen Natur seien zersetzbar, und Wasser, Luft, Feuer gehörten keinesweges zu den Elementen. In einer anderen Stelle dringt er mit einigen Worten in die tiefsten Mysterien des Magnetismus und bringt dadurch Meßmer um die Ehre der ersten Entdeckung. Hier sehen Sie endlich, um es kurz zu machen,« fuhr der alte Pfarrer fort und deutete dabei auf ein langes, zwischen dem Ofen und dem Fenster befestigtes Brett, auf dem Bücher von jedem Formate standen, »hier sehen Sie siebzehn verschiedene Werke von ihm, deren ein einziges, seine im Jahre 1734 herausgegebenen philosophischen und mineralogischen Abhandlungen, drei Folianten ausmachen. Diese, Swedenborgs positive und reelle Gelehrsamkeit beurkundenden Werke wurden mir von seinem Vetter Seraphitus, dem Vater unserer Seraphita, als teures Andenken hinterlassen.

»Swedenborg verfiel im Jahre 1740 in ein vollständiges Schweigen, welches er nur verließ, um allen seinen zeitlichen Beschäftigungen Valet zu sagen und sich ganz der spirituellen Welt hinzugeben. Die ersten Befehle des Himmels empfing er im Jahre 1745. Hören Sie selbst, wie er seine himmlische Vokation schildert: Eines Abends verbreitete sich, als er damals in London mit vielem Appetite sein Mahl verzehrte, in seinem Gemache ein gewaltiger Nebel. Nachdem das Gewölk sich verzogen hatte, erhob sich aus dem einen Winkel des Zimmers eine Gestalt mit menschlicher Form und sprach zu ihm mit furchtbarer Stimme: ›Speise nicht so viel!‹ Er beobachtete ein strenges Fasten. In folgender Nacht erschien ihm dieselbe Gestalt, diesmal aber in vollem Lichtglanze, und sprach: ›Ich bin gesendet von Gott, der dich auserkoren hat, um den Menschen sein Wort und seine Schöpfungen auszulegen. Schreibe, was ich dir in die Feder sage!‹ Die Vision dauerte nur wenige Momente. Der Engel war, wie er behauptete, in Purpur gekleidet. Während dieser Nacht wurden die Augen seines innern Menschen geöffnet und empfänglich gemacht zum Schauen des Himmels, der Geisterwelt und der verschiedenen Höllen, dreier verschiedener Sphären, in denen er viele seiner früheren Bekannten traf, die zum Teil in ihrer menschlichen Gestalt längst gestorben waren, zum Teil das irdische Leben erst vor kurzem verlassen hatten.

»Von dieser Stunde an lebte Swedenborg fortwährend das Leben der Geister, und blieb in dieser Welt der Gesendete Gottes.

»Wurde seine himmlische Deutung auch von vielen Ungläubigen bestritten, so zeugte sein ganzes Betragen doch für ein der Menschheit überlegenes Wesen. Obgleich sein Vermögen sich nur auf das Notwendigste beschränkte, so gab er doch unermeßliche Summen aus, und beurkundet ist es, daß er in mehreren Handelsstädten große gefallene oder am Falle stehende Häuser wieder rettete. Kurz, keiner, der seine Großmut in Anspruch nahm, verließ ihn ohne volle und schnelle Befriedigung.

»Ein nicht an ihn glaubender Engländer folgte ihm nach, traf ihn in Paris und berichtete, daß alle Türen unausgesetzt bei ihm offen ständen. Eines Tages beklagte sich sein Diener über diese Unvorsichtigkeit, die ihn bei den unausbleiblichen Diebstählen in schweren Verdacht bringen würde. – ›Er soll nur ruhig sein,‹ sprach lächelnd Swedenborg, ›denn er sieht freilich nicht den an meiner Pforte wachenden Hüter!‹ Wirklich schloß er auch nie in irgend einem Lande eine Tür, ohne daß ihm jemals etwas abhanden gekommen wäre.

»In Gotenburg, einer sechzig Meilen von Stockholm entlegenen Stadt, verkündigte er drei Tage vor Ankunft des Eilboten die in Stockholm wütende Feuersbrunst und bemerkte dabei, sein Haus sei ohne Schaden geblieben; was sich auch später bestätigt fand.

»Die Königin von Schweden erzählte in Berlin ihrem Bruder, dem Könige, eine ihrer Damen sei wegen einer Summe angefordert worden, die ihr Gemahl kurz vor seinem Tode, wie sie gewiß wisse, bezahlt habe, da sie aber die Quittung nicht hätte finden können, sei sie zu Swedenborg geeilt und habe ihn gebeten, ihren Mann zu befragen, wo dieses wichtige Dokument liege. Am folgenden Tage bezeichnete Swedenborg der Dame den Ort, wo sie aufbewahrt sei, und als er auf ihren Wunsch den Verstorbenen gebeten hatte, ihr selbst zu erscheinen, erblickte sie im Traume ihren Gatten in dem Nachtgewande, das er vor seinem Tode getragen, und sah, wie er ihr an der von Swedenborg bezeichneten Stelle die Quittung zeigte, die sich auch wirklich daselbst vorfand.

»Als er sich in London mit dem Kapitän Diron einschiffte, hörte er eine Dame die Frage stellen, ob man auch hinreichend mit Mundvorrat versehen sei. – ›Es wird dessen nicht zu viel bedürfen,‹ antwortete er, ›in acht Tagen, um 2 Uhr sind wir an dem Hafen von Stockholm.‹ Und so geschah es auch.

»Der visionäre Zustand, in welchen sich Swedenborg in Beziehung auf irdische Dinge ganz nach seinem Belieben versetzen konnte, und der alle ihm Nahende vermöge seiner wunderbaren Wirkungen in das größte Erstaunen versetzte, war nur unbedeutend zu nennen im Vergleiche zu seiner Macht, in die Himmel zu sehen. Unter seinen Visionen sind diejenigen, in welchen er von seinen Reisen in die Astral-Länder erzählt, nicht die am wenigsten merkwürdigen, und seine davon hinterlassenen Schilderungen müssen durch die Unbefangenheit, mit der sie bis in die kleinsten Einzelheiten gehen, notwendig überraschen. Ein Mann, dessen umfassendes Wissen unwiderlegbar feststeht, und der Verstand, Kraft und Erfindungsgaben in sich vereinigte, würde gewiß besser erfunden haben, hätte er Dichtungen in die Welt ausgehen lassen wollen. Die phantastische Literatur der Orientalen besitzt nichts, was sich mit diesem Schwindel erregenden und unendlich viele, aber noch im Keime verschlossen liegende Poesie enthaltenden Werke vergleichen ließe, wenn es erlaubt ist, ein Werk des Glaubens mit den Erzeugnissen der arabischen Phantasie in Vergleich zu stellen. Swedenborgs Entrückung durch den ihm auf seiner ersten Reise als Führer dienenden Engel ist mit einer Erhabenheit geschildert, die in Rücksicht auf die von Gott zwischen Erde und Sonne gelegte Entfernung alles übertrifft, was Klopstock, Milton, Tasso und Dante in ihren Epopöen zu schildern versucht haben. Dieser Teil, der seinem Werke über die Astral-Länder als Einleitung dient, ist nie gedruckt worden, er gehört zu den von Swedenborg seinen drei Lieblingsjüngern hinterlassenen mündlichen Überlieferungen; Silveriem, sein Neffe und ehemaliger Hofkaplan des Königs von Schweden, besitzt ihn handschriftlich. Der verstorbene Seraphitus hat seiner oft gegen mich erwähnt, das Andenken an das Wort seines Vetters war aber so feurig bei ihm, daß er schon bei den ersten Sätzen inne hielt und in ein durch nichts zu verscheuchendes schwärmerisches Nachdenken versank. Die Rede, in welcher der Engelgeist Swedenborg beweist, daß jene Himmelskörper nicht geschaffen sind, um bloß in den endlosen Räumen unbewohnt umher zu irren, vernichtet, wie mir der Freiherr versicherte, durch das Erhabene einer göttlichen Logik alle menschliche Wissenschaft. Jupiters Bewohner beschäftigen sich nicht mit Wissenschaften, die sie Schatten nennen; die Merkurier verabscheuen den Gebrauch des Wortes um ihre Gedanken auszudrücken als zu grobsinnlich und bedienen sich der Augensprache; die Saturner werden unausgesetzt von bösen Geistern in Versuchung geführt; die Einwohner der Venus sind riesengroß, aber einfältig, und leben von Straßenräubereien, demungeachtet aber wird ein Teil dieses Planeten von sehr sanftmütigen und in der Liebe zum Guten lebenden Leuten bewohnt. Kurz, Swedenborg beschreibt die Sitten der auf diesen Planeten wohnenden Völker so genau und äußert sich über ihre Existenz mit Bezugnahme auf das ganze Universum so bestimmt, er gibt Erklärungen, die so gut zu den Wirkungen ihrer sichtbaren Umwälzungen in dem allgemeinen Weltsystem passen, daß in vielleicht nicht zu fernen Zeiten die Gelehrten sich an diesen Lichtquellen erfrischen.

»Hier haben Sie,« fuhr der Alte fort, langte ein Buch von der Wand herunter und schlug es bei einer bezeichneten Stelle auf, »hier haben Sie eine seiner Visionen, die Ihnen zum Beispiel seiner höchst einfachen Erzählungsweise dienen kann. Er war damals im Planeten Mars.

›Auf diesem Planeten sah ich einst eine mächtige halb purpurne und halb weiße Flamme, die sich auf eine Hand setzte und zwar anfangs auf die obere und sodann auf die innere Fläche, zuletzt spielte sie rings um dieselbe herum. Die von der Flamme ganz umflossene Hand entfernte sich, setzte sich dann in einiger Entfernung fest; schien sich gänzlich in Flamme zu verlieren und verwandelte sich in einen mit denselben lebhaften Farben geschmückten Vogel, der unter stets wechselndem Farbenspiele voller Leben meinen Kopf umschwirrte. Während des Flugs verließen ihn allmählich seine Kräfte und endlich auch sein Leben, als ein in Stein verwandelter, anfangs perlfarbiger, zuletzt schwarzer und des Lebens beraubter Vogel setzte er dennoch seinen Flug fort. Als er noch lebend um meinen Kopf schwebte, hatte ich einen Geist bemerkt, der an meiner Seite heraus auf meine Brust kletterte und den Vogel zu erhaschen suchte, der damals noch durch seine Schönheit alle mich Umstehenden entzückte; der Geist glaubte, der Herr sei in ihm verborgen. Endlich fing er ihn, der Himmel aber bewährte jetzt seine Macht. Denn er war nicht imstande, ihn festzuhalten, und mußte ihn loslassen. Allen Zeugen dieser Vision war ihr himmlischer Ursprung klar und gewiß. Sie wußten, die Flamme bedeute die Liebe und die Hand die Macht; das Farbenspiel sei das Sinnbild der im geistigen Leben vorkommenden Veränderungen und der Vogel bedeute die Intelligenz, und ebenso wußten sie, die in den Farben und in dem Leben des Vogels dargestellten Veränderungen seien auf die verschiedenen Grade der Intelligenz zu deuten.

›Hegt man Zweifel,‹ spricht er am Ende seines Werkes, ›daß ich wirklich in eine große Anzahl der Astral-Welten versetzt gewesen bin, so erinnere man sich meiner Bemerkungen über die Entfernungen in dem zweiten Leben, denn diese bestehen nur in bezug auf den äußern Zustand des Menschen. Weil ich nun aber in meinem Innern ebenso gestaltet war, wie die Engelsgeister jener Erden, so war mir auch die Möglichkeit gegeben, sie kennen zu lernen.‹

»Die besonderen Verhältnisse, denen wir die Anwesenheit des Freiherrn Seraphitus, Swedenborgs geliebten Neffen, in unserer Gegend zu danken hatten, verheimlichten mir kein einziges öffentliches Ereignis dieses höchst seltenen Lebens. So wurde er vor noch nicht langer Zeit in den öffentlichen Blättern Europas, die folgende Tatsache nach einem Briefe des Chevalier Beylon bekannt machten, eines Betruges angeklagt.

»Swedenborg, behauptete man, der durch die Reichsräte von der geheimen Korrespondenz der hochseligen Königin von Schweden mit dem Prinzen von Preußen, ihrem Bruder, unterrichtet worden war, entdeckte ihr manche in derselben enthaltenen Geheimnisse und machte sie glauben, er sei durch übernatürliche Mittel zu dieser Kenntnis gekommen.

»Ein sehr glaubwürdiger Mann, Karl Leonhard von Stahlhammer, Hauptmann in der Königlichen Garde und Ritter des Schwertordens antwortete dieser Verleumdung durch folgenden Brief.« Der Pfarrherr suchte lange in der Schublade seines Tisches unter vielen Papieren, fand endlich eine alte Zeitung, reichte sie Wilfrid, der laut folgendes Schreiben daraus vorlas:

»Stockholm, am 13. Mai 1788.«

»Mit großem Erstaunen habe ich den Brief gelesen, der die Unterhaltung berichtet, welche der berühmte Swedenborg mit der Königin Louise Ulrike gehabt hat. Die daselbst erzählten Umstände sind ganz falsch, und Verzeihung hoffe ich vom Verfasser desselben zu erhalten, wenn ich durch eine getreue und von mehreren angesehenen dabei gegenwärtigen und noch am Leben befindlichen Personen beglaubigt werden könnende Geschichtserzählung ihm seinen großen Irrtum nachweise.

»Im Jahre 1758, kurz nach dem Tode des Prinzen von Preußen, erschien Swedenborg bei Hof, wo er sich regelmäßig einzufinden pflegte. Kaum war er von der Königin bemerkt worden, so wendete sie sich mit der Frage an ihn: ›A propos, Herr Bergassessor! Haben Sie nicht meinen Bruder gesehen?‹ Swedenborg antwortete mit Nein, worauf die Königin hinzusetzte: ›Wenn Sie ihm gelegentlich begegnen, so grüßen Sie ihn von mir!‹ Diese Worte sagte sie wohl nur in einem Anfall von scherzhafter Laune zu ihm und dachte dabei keineswegs daran, irgend etwas ihren Bruder betreffendes von ihm erfahren zu wollen. Nicht nach vierundzwanzig Tagen und nicht in einer Privataudienz, sondern acht Tage darauf kam Swedenborg wieder an Hof, aber so früh, daß die Königin ihr Appartement, das weiße Zimmer genannt, wo sie mit ihren Hofdamen und andern bei ihr Zutritt habenden Frauen sich unterhielt, noch nicht verlassen hatte. Swedenborg wartete aber nicht auf das Erscheinen der Königin, sondern trat geradezu in ihr Gemach und sagte ihr etwas leise in das Ohr. Die Königin, höchst betroffen, wandelte eine Ohnmacht an, und sie bedurfte einige Zeit, um sich wieder zu erholen. Als sie wieder zu sich gekommen war, sagte sie zu den sie umgebenden Personen: ›Nur Gott und meinem Bruder ist bewußt, was er mir zugeflüstert hat!‹ Sie gestand, er habe ihr aus ihrem letzten Briefwechsel mit dem Prinzen Dinge erzählt, die nur ihnen beiden bekannt gewesen wären. – Ich vermag nicht zu erklären, wie Swedenborg in Besitz dieser Geheimnisse gekommen ist, allein ich kann mit meinem Ehrenworte bekräftigen, daß weder, der Graf H . . ., wie der Verfasser des Briefes behauptet, noch sonst irgend jemand die Briefe der Königin aufgefangen oder gelesen hat. Der Reichsrat verstattete ihr damals ohne alle Schwierigkeit, an ihren Bruder schreiben zu dürfen, und betrachtete diesen Briefwechsel als eine den Staat ganz und gar nicht interessierende Sache. Es ist auch augenscheinlich, daß der Verfasser des obigen Briefes den Charakter des Grafen H . . . nicht im mindesten gekannt hat. Dieser ehrwürdige Mann, der seinem Vaterlande die wichtigsten Dienste geleistet, verbindet mit Talenten des Geistes die vorzüglichsten Eigenschaften des Herzens; sein vorgerücktes Alter hat keineswegs diese kostbaren Gaben geschwächt. Während seiner ganzen Verwaltung hat er stets die aufgeklärteste Politik mit der gewissenhaftesten Rechtlichkeit zu verbinden gewußt und war ein offener Feind aller geheimen Intrigen und Umtriebe, die er als unwürdige Mittel zu Erreichung seines Zweckes betrachtete. Nicht besser kannte der Verfasser den Bergassessor Swedenborg. Die einzige Schwäche dieses wahrhaft ehrenwerten Mannes war sein Glaube an Geistererscheinungen, ich aber habe ihn während eines so langen Zeitraums gekannt, daß ich die feste Versicherung geben kann, er sei so bestimmt überzeugt gewesen, wirklich mit Geistern zu reden und umzugehen, als ich überzeugt bin, in diesem Augenblicke Gegenwärtiges zu schreiben. Die Erklärung, die der Chevalier Beylon über diese Tatsache hat geben wollen, ist folglich ganz und gar unbegründet; ebenso ist der von den Grafen H . . . und J. T . . . in der Nacht bei Swedenborg gemachte Besuch gänzlich erdichtet.

»Schließlich muß ich noch dem Verfasser jenes Schreibens die Versicherung erteilen, daß ich nichts weniger als Swedenborgianer bin, nur die Liebe zur Wahrheit allein konnte mich bewegen, eine schon so oft ganz entstellte Tatsache wortgetreu zu berichten, und dieselbe mit Beisetzung meiner Namensunterschrift zu bekräftigen.«

»Die Beweise, die Swedenborg dem schwedischen und preußischen Königshause von seiner höhern Sendung gab, trugen wahrscheinlich nicht wenig dazu bei, daß mehrere an diesen beiden Höfen lebende Personen Anhänger der von ihm gestifteten Kirche wurden,« nahm der Pfarrherr wieder das Wort und legte das Zeitungsblatt in seinen Tisch. »Ihnen aber noch außerdem viel von seinem materiellen und sichtbaren Leben zu erzählen, ist mir nicht gut möglich, denn seine ganze Lebensweise war zu eingeschränkt, als daß viel von ihm in das Publikum hätte kommen können. Er lebte höchst zurückgezogen und wollte weder Reichtum noch Berühmtheit erlangen. Er zeichnete sich sogar durch eine Art von Abneigung, seine Anhänger zu vermehren, aus, schenkte nur wenigen sein Vertrauen, und teilte seine innere Gabe nur solchen Männern mit, die große Fortschritte in Weisheit, Glauben und Liebe gemacht hatten. Mit einem einzigen Blicke vermochte er den Seelenzustand der sich ihm Nahenden zu erkennen, und erhob diejenigen zu Sehenden, denen er sein inneres Wort mitteilen wollte. Seit dem Jahre 1745 hat keiner seiner Jünger ihn irgend etwas aus einem irdischen Beweggrunde unternehmen sehen. Ein einziger Mensch, der schwedische Geistliche Matthesius, beschuldigte ihn des Wahnsinns; allein durch einen sonderbaren Zufall geschah es, daß eben dieser Matthesius, Swedenborgs und seiner Schriften Feind, kurze Zeit darauf selbst wahnsinnig wurde; in diesem Zustande lebte er noch vor wenigen Jahren von einer ihm vom Könige von Schweden erteilten Pension in Stockholm. Eine in Beziehung auf sein bürgerliches Leben sehr sorgfältig ausgearbeitete Lobrede wurde ihm überdies im Jahre 1786 in öffentlicher Sitzung der königlichen Akademie der Wissenschaften in Stockholm von dem beim Bergkollegium angestellten Rat Sandel gehalten. Eine vom Lordmayor von London ausgestellte Erklärung berichtet endlich die geringsten Umstände von Swedenborgs Tode und der demselben vorgehenden Krankheit, in welcher er von Ferelius, einem der angesehensten Geistlichen Schwedens, den sorgfältigsten Beistand erhielt. Die aufgeforderten Personen bezeugen, daß Swedenborg, weit entfernt, den Inhalt seiner Schriften abzuleugnen, noch auf dem Sterbebette beharrlich ihre Wahrheit bestätigte. ›In hundert Jahren,‹ sprach er zu Ferelius, ›wird meine Lehre die Kirche regieren.‹ Mit größter Genauigkeit hat er den Tag und die Stunde seines Todes vorhergesagt. Am Todestage selbst, Sonntag, den 29. März 1772, fragte er, welche Stunde es sei, und als er die Antwort empfing: ›Fünf Uhr!‹ setzte er hinzu: ›So ist es aus mit mir! Gott segne euch!‹ Zehn Minuten später verschied er, unter Aushauchung eines leisen Seufzers, in größter Ruhe.

»Einfachheit, Bescheidenheit, Zurückgezogenheit waren folglich die charakteristischen Kennzeichen seines Lebens. Hatte er eine seiner Abhandlungen vollendet, so ging er zur See nach London oder Amsterdam, um sie in einer dieser Städte drucken zu lassen, und redete fernerhin nie mehr von derselben. So sendete er nach und nach siebenundzwanzig verschiedene Abhandlungen in die Welt, die alle, wie er behauptete, von Engeln ihm in die Feder gesagt worden waren. Mag es sich nun aber damit verhalten, wie es wolle, so ist so viel gewiß, daß wenig Menschen stark genug sind, das Feuer ihrer Worte auszuhalten.«

»Hier sind sie alle versammelt,« fuhr Pastor Becker fort und deutete auf ein zweites ungefähr sechzig Bände enthaltendes Brett. »Die sieben Abhandlungen, aus denen der Geist Gottes am hellsten leuchtet, sind betitelt: ›Die Wonne der ehelichen Liebe‹, ›Das Buch vom Himmel und von der Hölle‹, ›Die enthüllte Offenbarung‹, ›Enthüllung des innern Sinnes‹, ›Die göttliche Liebe‹, ›Das wahre Christentum‹, ›Die Weisheit der Engel, betreffend die göttliche Liebe und Weisheit‹. –

»Seine Erklärung der Apokalypse fängt mit diesen Worten an«, sprach der Alte, langte den ersten nahe bei ihm stehenden Band herunter, schlug ihn auf und las: »Ich habe von dem Meinigen hier nichts hinzugefügt, sondern mich nur der Worte des Herrn bedient, der durch denselben Engel dem Johannes hatte gebieten lassen: versiegle nicht die Worte der Weissagung in diesem Buche, denn die Zeit ist nahe! (Offenbarung 22, 10).«

»Ja, mein lieber Herr,« nahm der Pfarrherr nach einer Pause wieder das Wort, »oft habe ich in den Winternächten heftig an allen meinen Gliedern gezittert, wenn ich in den furchtbaren Werken las, in welchen dieser Mann mit der unschuldigsten Miene die größten Wunder darlegt.

›Ich habe geschaut‹, sagt er, ›die Himmel und die Engel. Der geistige Mensch sieht den geistigen Menschen viel deutlicher, als der irdische Mensch den irdischen Menschen. Wenn ich die in den Himmeln und unter den Himmeln erblickten Wunder beschreibe, so gehorche ich nur dem mir deshalb vom Herrn erteilten Gebote. Jedem stehet frei, meinen Worten Glauben zu schenken oder nicht, denn ich vermag niemand in den mir von Gott verliehenen Zustand zu versetzen, und nicht von mir hängt es ab, anderen die Gabe der Unterhaltung mit Engeln mitzuteilen oder ihnen das Verständnis durch ein Wunder zu öffnen. Sie selbst sind die einzigen Werkzeuge, die ihnen zu englischer Entzückung verhelfen können. Seit achtundzwanzig Jahren verkehre ich in der geistigen Welt mit Engeln, auf der irdischen Welt mit Menschen, denn es gefiel dem Herrn, mir die Augen des Geistes zu öffnen, wie er sie erschloß dem Apostel Paulus und den Propheten Daniel und Elias.‹

»Nicht wenige Menschen haben aber doch Visionen aus der geistigen Welt und zwar vermöge der durch den Somnambulismus hervorgebrachten gänzlichen Trennung des äußern vom innern Menschen. ›In diesem Zustande‹, sagt Swedenborg in seiner im Jahre 1762 erschienenen ›Weisheit der Engel‹ in Nr. 257, ›kann sich der Mensch bis ins himmlische Licht erheben, denn dann sind seine irdischen Sinne abgetan, und ohne Hemmnis wirkt der Himmel auf den innern Menschen.‹

»Viele Personen, die keineswegs an Swedenborgs himmlischen Offenbarungen zweifeln, sind dessenungeachtet der Meinung, daß nicht alle seine Schriften unter gleich göttlicher Inspiration geschrieben seien. Andere fordern für den ganzen Swedenborg eine volle Anerkennung, obgleich sie zugeben, daß er viele unerklärbare Stellen enthalte, sie glauben aber, der Prophet habe wegen Unvollkommenheit der irdischen Sprache seine geistigen Visionen nicht besser ausdrücken können, auch würden die Dunkelheiten dem Verständnis der vom Geiste Wiedergebornen weichen; denn nach dem hohen Ausspruche eines seiner Jünger ist das Fleisch nur eine äußere Geburt. Dichtern und andern Profanschriftstellern öffnet seine Wunderwelt ein unermeßliches Gebiet, den Lehrern ist sie eine unbestrittene Wahrheit, manchen andern Christen gereichten aber seine Schilderungen zum Ärgernis, andere spöttische Gemüter machten sich lustig über seine himmlischen Tempel, seine goldenen Paläste, seine prächtigen Städte, in denen die Engel sich erlustigen, nebst seinen aus rätselhaften Bäumen bestehenden Boskets, seinen mit sprechenden Blumen und weißer Luft versehenen Gärten, in denen mystische Edelgesteine, Sardonyx, Karfunkel, Chrysolith, Chalzedon, Beryll, der Urim und Thumim, mit Sprachvermögen begabt, himmlische Wahrheiten bedeuten und Fragen durch Veränderungen ihres Lichtglanzes beantworten und die Farben selbst die köstlichste Harmonie vernehmen lassen (Wahre Religion, 219). Viele gute Köpfe wollten auch nichts von seinen Welten wissen, wo Farben als Konzert ertönen, wo Rede flammt, wo sich das Wort zum Gewinde formt (Wahre Religion, 278). Selbst im Norden haben einige Autoren seine Pforten von Perlen, die Diamanten, die sein neues Jerusalem ausschmücken, lächerlich gefunden, denn dort sind die gewöhnlichsten Geräte aus den auf unserer Erde kostbarsten Stoffen verfertigt. Ist aber, behaupten dann seine Anhänger, die Seltenheit dieser Dinge auf Erden ein vernünftiger Grund, daß sie in jenen Welten auch so sparsam zu finden sein müssen? Auf Erden bestehen sie aus irdischer Substanz, während sie in den Himmeln, ebenso wie die dort wohnenden Engel, himmlisch verklärt erscheinen. Bei dieser Gelegenheit bediente sich übrigens Swedenborg des Ausspruchs unsres Herrn Jesus Christus, wenn er im Evangelium Johannis 3, 12, spricht: ›Glaubet ihr doch nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie würdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde?‹

»Ich, lieber Herr, habe den ganzen Swedenborg gelesen,« fing der Pfarrherr nach einer Pause und mit selbstzufriedener Miene wieder an, »und zwar sage ich dies mit Stolz, weil ich meinen Verstand dabei nicht eingebüßt habe, denn wenn man Swedenborg liest, muß man entweder wahnsinnig oder ein Seher werden. Gelang es mir aber auch glücklich, diesem zweifachen Wahnwitz zu entgehen, so will ich doch nicht leugnen, daß ich oft seltsame Entzückungen, tiefes Weh und innere Freuden empfand, die nur allein aus der Fülle der Wahrheit, aus der Evidenz des göttlichen Lichts entspringen konnten. Alles erscheint klein, wenn die Seele die verzehrenden Blätter dieser Werke durchfliegt, und unmöglich kann man seine Bewunderung zurückhalten, wenn man bedenkt, daß dieser Mann in einem Zeitraume von dreißig Jahren nur allein über die Wahrheiten der geistigen Welt fünfundzwanzig Quartanten, jeden zu fünfhundert enggedruckten Seiten in lateinischer Sprache herausgeben konnte. Er hat, wie man behauptet, deren noch zwanzig andere in London hinterlassen, die sein Neffe, der schon früher erwähnte Silveriem in Verwahrung hat. Ein Mann, der vom zwanzigsten his zum sechzigsten Lebensjahre sich durch eine Art von Enzyklopädie fast erschöpft hatte, bedurfte wohl übernatürlichen Beistandes, um jene wunderbaren Bücher in einem Alter zu verfassen, in dem die Kräfte des Menschen abzunehmen beginnen. In diesen Schriften befinden sich Tausende von mit Zahlen bezeichneten Sätzen, von denen auch kein einziger mit irgend einem andern im Widerspruch steht. Überall wendet er eine unbegreifliche Genauigkeit und eine unendliche Geistesgegenwart an, um das Dasein der Engel hervorzuheben und zu beweisen. Seine ›Wahre Religion‹, in welcher er sein ganzes Dogma zusammengefaßt niedergelegt hat, ein lichtkräftiges Werk, wurde in einem Alter von dreiundachtzig Jahren begonnen und vollendet. Seine an Allwissenheit grenzende Allseitigkeit ist von keinem seiner Rezensenten, von keinem seiner Feinde angefochten worden. Obgleich ich mich in meiner Jugend an diesem Strome himmlischen Lichtes reichlich gelabt habe, so hat mir Gott doch nicht meine innern Augen geöffnet, und so war es mir möglich, seine Schriften mit dem Verstande eines nicht wiedergebornen Menschen zu beurteilen. So bin ich denn hin und wieder auf Stellen gestoßen, bei welchen Swedenborg, der Inspirierte, die Engel nicht ganz gut verstanden haben muß. Bei manchen seiner Visionen wandelte mich ein Lächeln an, wo ich, wäre ich ein Schauender gewesen, bewundernd hätte glauben müssen. Nie vermochte ich die hörnerförmigen Schriftzüge der Engel noch ihre Gürtel zu begreifen, die aus mehr oder weniger starkem Golde bestehen. Wenn seine Behauptung: ›Es gibt einsame Engel‹ mich anfangs in eine seltsame Rührung versetzte, so war ich bei einigem Nachdenken nicht imstande, diese Einsamkeit mit ihren Heiraten in Einklang zu bringen. So konnte ich auch nicht einsehen, warum die Jungfrau Maria im Himmel ihre weißseidenen Gewänder beibehält. Ich fragte mich, warum die gigantischen Dämonen Enakim und Hephilim sogar noch in den apokalyptischen Gefilden Armageddons zum Streite mit den Cherubim auszögen, und begriff auch nicht, wie es den Satanen möglich wurde, zu den Engeln zu gelangen, um mit ihnen zu disputieren. Der Baron Seraphitus wandte mir ein, diese Einzelheiten beträfen die Engel, die in menschlicher Gestalt auf Erden wohnten. Seine Visionen sind oft durch seltsame Figuren verunstaltet. In seinen ›Memorabilien‹, wie er eine Schrift benannt hatte, beginnt er mit den Worten: ›Ich erschaute eine Menge versammelter Geister, die hatten Hüte auf ihren Köpfen.‹ In einem andern Memorabilium empfängt er vom Himmel ein kleines Papier, auf welchem er, wie er sagt, Buchstaben sah, wie sich deren die Völker der Urzeit bedienten, und die aus krummen, oben mit kleinen Ringen versehenen Linien bestanden. Mir wäre es sehr recht gewesen, wenn er, um seine Verbindung mit den Himmeln noch besser zu beweisen, diesen Zettel bei der königlichen Akademie der Wissenschaften in Stockholm niedergelegt hätte. Vielleicht habe ich aber auch unrecht, und diese in seinen Werken hin und wieder anzutreffenden scheinbaren Albernheiten mögen eigentümliche Bedeutungen mit sich führen, denn seine Kirche zählt heutigen Tages mehr als dreimalhunderttausend Anhänger, sowohl in den Vereinigten amerikanischen Freistaaten, wo verschiedene Sekten sich zu ihr halten, als auch in England, wo die einzige Stadt Manchester allein siebentausend Swedenborgianer enthält. Außerdem bekennen sich eine Menge durch Kenntnisse und Rang ausgezeichnete Männer in Deutschland und im Norden öffentlich zu dem von Swedenborg verkündigten Glauben, der zuletzt mehr Trost gewährend erscheint als manche andere christliche Gemeinschaft.

»Nun würde es mir selbst lieb sein, könnte ich Ihnen mit wenigen Worten einen bestimmten Umriß der Hauptpunkte der Lehre entwerfen, die Swedenborg in seiner Kirche aufgestellt hat, allein eine solche bloß aus dem Gedächtnis gemachte Skizze müßte notwendig unzuverlässig und fehlerhaft ausfallen; ich darf mir folglich nur erlauben, Ihnen von den geistigen und körperlichen Geheimnissen zu erzählen, die sich hauptsächlich auf Seraphitas Geburt beziehen.«

Der alte Pastor hielt eine Zeit lang inne, während welcher er seine Erinnerungen zu sammeln schien.

»Nachdem Swedenborg mit mathematischer Gewißheit den Satz aufgestellt hat, der Mensch sei bestimmt, in den untern oder obern Sphären ewig zu leben, belegt er mit dem Namen Engelgeister diejenigen Wesen, die, auf der Erde zum Himmel vorbereitet, in diesen als Engel aufgenommen werden. Seiner Meinung nach hat Gott keine Engel besonders erschaffen; es gibt folglich keinen Engel, der nicht früher auf Erden Mensch gewesen wäre; die Erde ist demnach die Pflanzschule des Himmels. Allein die Engel sind keineswegs Engel von sich selbst, sondern sie werden Engel vermöge der Verbindung mit Gott; dieser Verbindung verweigert Gott sich niemals; denn Gottes Wesen ist niemals negativ, sondern unaufhörlich aktiv.

»Diese Engelgeister müssen durch drei Naturen der Liebe gehen, weil der Mensch nur gradweise wiedergeboren werden kann (›Wahre Religion‹). Zuerst durch die Liebe zu sich selbst; der höchste Ausdruck dieser Liebe ist das menschliche Genie, das wir in seinen Werken bewundern. Dann folgt die Liebe der Welt, die Propheten, mächtige Herrscher, kurz Menschen erschafft, welchen die Welt als leitenden Gestirnen folgt, und die sie mit dem Namen göttlich begrüßt. Zuletzt erscheint die Liebe des Himmels, die zu Engeln macht. Diese Geister sind sozusagen die Blüte der Menschheit, die sich in ihnen zusammendrängt. Sie müssen notwendig in der Liebe des Himmels oder in der Weisheit des Himmels sein, stets aber zuvor in der Liebe, ehe sie in die Weisheit gelangen. Die erste Umwandlung des Menschen ist folglich die Liebe.

»Um zu dieser ersten Stufe zu gelangen, muß sein früheres Wesen durch Gebet und Hoffnung zum Glauben und zur Liebe geläutert werden. Die durch Ausübung dieser Tugenden erhaltenen Gedanken bleiben für immer und werden mit übergetragen auf jede neue menschliche Hülle, unter welche sich jede Verwandlung des innern Wesens verbirgt; denn nichts wird abgesondert, alles ist notwendig: Gebet vermag nicht zu sein ohne Hoffnung, Glaube nicht ohne Liebe, die vier Seiten dieses Vierecks sind eine durch die andere bedingt. ›Mangelt eine dieser Tugenden,‹ spricht er, ›so gleicht der Engel einer zerbrochenen Perle.‹ Jeder dieser Zustände ist demnach ein Zirkel, in welchem die Reichtümer des vorigen Zustandes sich fortwährend kreisförmig bewegen. Die große Vollkommenheit der Engelgeister entspringt aus dieser geheimnisvollen Progession, in welcher keine der gradweise errungenen Tugenden, die notwendig zur Erlangung der glorreichen Inkarnation sind, verloren geht, während sie sich bei jeder Umwandlung ganz unmerklich des noch anklebenden Fleisches und seiner Irrtümer entledigen. Wenn er in der Liebe lebt, hat der Mensch alle seine schlechten Eigenschaften schon abgelegt. Gebet, Hoffnung, Liebe, Glaube haben ihn schon durch das Sieb geschickt, wie Jesaias spricht, und sein Inneres darf durch keine irdische Neigung mehr befleckt werden. Daher das große Wort des Apostel Lucas: ›Sammelt euch einen Schatz, der im Himmel nicht verderbe!‹ Und der Ausspruch Jesu: ›Lasset diese Welt den Menschen, denn sie gehört ihnen; reiniget euch und gehet ein zu meinem Vater!‹

»Die zweite Umwandlung ist die Weisheit, und Weisheit heißt das volle Verständnis aller himmlischen Dinge, zu welchem der Geist durch die Liebe geleitet wird. Der Geist der Liebe hat Stärke erlangt, er ist das Resultat der gesammelten besiegten irdischen Leidenschaften, er liebt Gott blind; der Geist der Weisheit weiß aber, warum er Gott liebt. Die Schwingen des einen breiten sich aus und tragen ihn empor zu Gott, die Schwingen des andern liegen zusammengefaltet vermöge der durch die Weisheit empfangenen Furcht, er kennt Gott; der erste wünscht inbrünstig ihn zu sehen und sich in ihn zu stürzen, der zweite steht in Berührung mit ihm und zittert.

»Geschieht die Vereinigung eines Geistes der Liebe und eines Geistes der Weisheit in einem Menschen, so beginnt für ihn ein göttlicher Zustand, während dessen seine Seele Weib, sein Körper Mann ist, die letzte Zuckung des Menschentums, wo Geist und Form um die Oberherrschaft kämpfen, denn Form und Fleisch sind unwissend und wollen sinnlich bleiben. Diese letzte Prüfung erzeugt unerhörte Leiden, deren einzige Zeugen die Himmel sind und die auch Jesus Christus am Ölberge so bitter durchkämpfen mußte. Nach dem Tode öffnet sich der erste Himmel der gereinigten menschlichen Doppelnatur. Daher sterben auch die andern Menschen in Verzweiflung, während der Engelgeist in Entzückung verscheidet.

»Die drei Grade der Existenz, durch welche der Mensch zum Himmel gelangt, sind demnach folgende: Der natürliche Zustand, in welchem die noch nicht wiedergebornen Wesen leben, der geistige Zustand, in welchem die Engelgeister sich befinden, und endlich der göttliche Zustand, in welchem der Engel verharrt, bis er seine Hülle sprengt. Eine einzige Betrachtung Swedenborgs wird Ihnen wunderbar schnell den Unterschied zwischen natürlich und geistig erklären.

»Für die Menschen, sprach er, geht das Natürliche in das Geistige über, sie betrachten die Welt unter sichtbaren Formen und lernen sie erkennen, so weit als ihre Sinne es erlauben. Für den Engelsgeist aber geht umgekehrt das Geistige über in das Natürliche, und er betrachtet die Welt in ihrem innern Zusammenhange und nicht bloß in ihrer Form.

»Aus diesem folgt nun, daß unsere menschlichen Wissenschaften nichts weiter sind als eine Zergliederung der Form; der Gelehrte dieser Welt ist rein äußerlich, wie sein ganzes Wissen; sein Inneres dient ihm nur zu seines Erkennens Erhaltung. Der Engelgeist schreitet viel weiter vor, sein Wissen ist der Gedanke, während des Menschen Wissenschaft nur das Äußere bildet. Er schöpft seine Kenntnis der Dinge aus dem Worte, er kennt folglich alle Korrespondenzen, durch welche die Menschheit mit den Himmeln übereinstimmt. Es gibt, behauptet Swedenborg, eine unzählige Menge von Arkanen in dem innern Sinne der Korrespondenzen, daher befinden sich auch diejenigen Menschen, welche die Propheten und das von ihnen verkündigte Wort verspotten, im Stande der Unwissenheit, und gleichen den Menschen auf der Erde, die nichts von einer Wissenschaft wissen und demungeachtet über die Wahrheit derselben sich lustig machen. Die Korrespondenzen verstehen, die zwischen dem Worte und den Himmeln stattfinden, und diejenigen kennen, die zwischen den sichtbaren und wägbaren Dingen der irdischen Welt und dem Auge unsichtbaren, der Hand des nicht wiedergebornen Menschen unwägbaren in der geistigen Welt vorgefunden werden, das heißt, das Verständnis der Himmel besitzen. Weil alle Objekte der verschiedenen Schöpfungen von Gott ausgegangen sind, so müssen sie notwendigerweise einen geheimen Sinn in sich tragen, wie es die hohen Worte Jesaias 51, 6: ›Der Himmel wird wie ein Rauch vergehen, und die Erde wie ein Kleid veralten‹ andeuten. Dieses geheimnisvolle Band zwischen den kleinsten Teilen der Materie und den Himmeln bildet dasjenige, was Swedenborg ein himmlisches Arkanum nennt. Sein Werk ›Von den himmlischen Arkanen‹, in welchem die Korrespondenzen oder Beziehungen des Irdischen zum Geistigen erklärt werden, um nach Jakob Böhmes Ausdruck die ›Signatur aller Dinge‹ abzugeben, umfaßt nicht weniger als sechzehn Bände und dreizehntausend Propositionen oder Sätze. ›In dieser wunderbaren Kenntnis der Korrespondenzen, welche Swedenborg durch die Güte Gottes verliehen war,‹ sagt einer seiner Jünger, ›liegt das Geheimnis der großen Anziehungskraft, die seine Werke ausüben. Seiner Lehre gemäß wird alles vom Himmel abgeleitet und alles dahin zurückgeführt. Seine Schriften sind klar und erhaben. Er spricht im Himmel, seine Rede wird aber auf Erden vernommen. Über jeden seiner Sätze könnte man ein Buch schreiben.‹ Unter tausenden zitiert dieser Schüler folgenden Satz: ›Das Reich des Himmels,‹ spricht Swedenborg in seinen Himmlischen Arkanen, ›ist das Reich der Beweggründe. Die Tat wird erzeugt im Himmel, teilt sich von dort aus der Welt und dem unendlich Kleinen der Erde mit; weil nun die irdischen Wirkungen von ihren himmlischen Ursachen ausgehen, so folgt daraus, daß alles bei ihnen korrespondierend und bedeutungsvoll ist. Der Mensch ist das vermittelnde Glied zwischen dem Irdischen und dem Geistigen.‹

»Die Engelgeister kennen ganz genau die Korrespondenzen und den innern Sinn der Prophezeiungen. Daher hat alles hienieden für diese Geister Bedeutung. Eine Blume ist ihnen ein Gedanke, ein Leben, welches in einigen Zügen dem großen All entspricht, von dem sie eine fortdauernde Anschauung haben. Für sie bedeuten Ehebruch und Sünden, von denen die so oft von sogenannten Schriftstellern verstümmelten heiligen Schriften und die Propheten reden, den Zustand der Seelen, die aus Erden fortfahren, sich mit irdischen Leidenschaften zu besudeln, und solcher Gestalt ihren Ehebruch mit dem Himmel unausgesetzt forttreiben. Wolken sind ihnen Schleier, die Gott einhüllen. Flammen, Rosse und ihre Reiter, unzüchtige Weibspersonen, Edelsteine, alles hat in der heiligen Schrift für sie eine auserwählte Bedeutung und enthüllt ihnen durch seine Beziehung zu dem Himmel die Zukunft irdischer Begebenheiten. Alle können die Wahrheit der Offenbarung Johannis ergründen, die menschliche Wissenschaft nur materiell zu deuten vermag, zum Beispiel: ›Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde ist des Menschen nicht mehr‹ (Offenbarung XXI, l). Sie kennen die Feste, ›wo man isset das Fleisch der Könige und der Hauptleute und das Fleisch der Starken und der Pferde und derer, die darauf sitzen, und das Fleisch aller Freien und Knechte, beide der Großen und der Kleinen‹ (Offenbarung XIX, 18), zu denen ein in der Sonne stehender Engel alle unter dem Himmel fliegenden Vögel, als zu dem Abendmahle des großen Gottes, einladet. Sie schauen die geflügelte und mit der Sonne bekleidete Frau und den stets gewappneten Mann. Das Pferd der Apokalypse und der auf ihm reitende Tod, sagt Swedenborg, ist das sichtbare Bild der der Vernichtung geweihten menschlichen Intelligenz, denn diese trägt ihr zerstörendes Prinzip schon in sich. Sie erkennen ebenso die unter seltsamen und abgeschmackten Bildern verborgenen Völker. Besitzt ein Mensch Empfänglichkeit zu Erlangung des prophetischen Verständnisses der Korrespondenzen, so erweckt sie in ihm den Geist des Wortes, er sieht dann ein, daß die Schöpfungen nichts anderes sind als Verwandlungen; diese Empfänglichkeiten belebt seine Intelligenz und flößt ihm einen brennenden Durst nach den Wahrheiten ein, den er erst im Himmel stillen kann. Er empfängt nach der größeren oder geringern Vollkommenheit seines Innern die Macht der Engelgeister, und geht, vom Verlangen der untersten Stufe des nicht wiedergebornen Menschen geleitet, in den Grad der Hoffnung über, der ihm die Welt der Geister öffnet; dann erreicht er den Grad des Gebetes und mit ihm den Schlüssel zu den Himmeln. Welches Geschöpf würde nicht den inbrünstigen Wunsch hegen, würdig zu werden zu dem Eintritt in das Gebiet des Verständnisses, das im Verborgenen von Liebe und Weisheit genährt wird? Während ihres Erdenlebens hienieden bleiben solche Geister rein, sie sehen, denken und reden nicht gleich andern Menschen. Es gibt zwei Wahrnehmungen, eine innere und eine äußere; der Mensch ist ganz im Äußern, der Engelgeist ganz im Innern. Der Geist geht den Zahlen auf den Grund, begreift sie in ihrer Allheit, kennt ihren Sinn. Er verfügt über die Bewegung und vereint sich vermöge seiner Allgegenwart mit allem! Nach dem Ausspruche des schwedischen Sehers ist ein Engel dem andern auf dessen einfachen Wunsch gegenwärtig; denn er besitzt die Gabe, sich von seinem Körper zu trennen, und sieht die Himmel, wie die Propheten sie sahen, und wie sie Swedenborg selbst schauete. ›In diesem Zustande,‹ sagte er, ›ist der Geist des Menschen von einem Ort zum andern entrückt, während der Körper an seiner Stelle bleibt, ein Zustand, in dem ich mich sechsundzwanzig Jahre lang befand.‹ So sind alle die biblischen Stellen zu verstehen, wenn es heißt: ich wurde im Geiste entrückt.

»Die Weisheit der Engel verhält sich zur Weisheit der Menschen, wie die unzähligen Kräfte der Natur sich zu ihrer Urkraft verhalten. Alles lebt, bewegt sich und besteht in dem Geiste, denn er ist in Gott, wie der Apostel Paulus besagt: »In Gott leben, weben und sind wir.« Die Erde bietet ihm so wenig ein Hindernis dar, wie das Wort eine Dunkelheit. Seine nahe bevorstehende Göttlichkeit erlaubte ihm, den durch das Wort verschleierten Gedanken Gottes zu sehen, ebenso wie er, nur durch den Geist lebend, mit dem allen irdischen Dingen beiwohnenden geheimen Sinne vertraut ist. Die Wissenschaft ist die Sprache der zeitlichen, die Liebe die der geistigen Welt. Daher beschreibt auch der Mensch mehr, als er erklärt, während der Engel sieht und begreift. Die Wissenschaft macht den Menschen traurig, die Liebe entzückt den Engel, die Wissenschaft ist im Suchen begriffen, die Liebe hat gefunden. Der Mensch beurteilt die Natur in Beziehung auf sich selbst, der Engel in Beziehung auf den Himmel. Alles hat Sprache für die Geister, sie sind im Geheimnis der unter den Schöpfungen herrschenden Harmonien. Sie verstehen die Sprache der Töne, der Farben, der Pflanzen. Sie können das stumme Reich der Metalle befragen und es antwortet ihren Gedanken. Was sind für sie alle Wissenschaften und Schätze der Erde, die sie in jedem Momente mit einem Blicke umfassen? Was sind für sie die den Menschen so viel Nachdenken verursachenden Welten, die ihnen nur als letzte Staffel gelten, von der sie sich mit Gott vereinigen? Die Liebe oder die Weisheit des Himmels kündigt sich an ihnen durch einen sie umgebenden Lichtkreis an, den die Auserwählten sehen. Ihre Unschuld, deren irdische Form die Unschuld der Kinder ist, besitzt die Kenntnis der Dinge, die den Kindern mangelt; sie sind unschuldig und gelehrt. ›Und,‹ sagt Swedenborg, ›die Unschuld der Himmel macht einen solchen Eindruck auf die Seele, daß diejenigen, die mit besonderer Vorliebe an ihr hängen, ihr ganzes Leben ein Entzücken davon behalten, wie ich an mir selbst erprobt habe. Es genügt vielleicht,‹ fügt er hinzu, ›nur die geringste Vorstellung davon zu haben, um für alle Zeiten verändert zu sein und um den Wunsch zu hegen, zum Himmel aufsteigen und in die Sphäre der Hoffnung eingehen zu können.

»Seine Lehre über die Ehe kann auf folgende wenige Sätze zurückgeführt werden. ›Der Herr hat die Schönheit und Zierlichkeit aus dem Leben des Mannes genommen und sie auf das Weib verpflanzt. Ist nun der Mann mit dieser Schönheit und Zierlichkeit seines Lebens nicht vereinigt, so ist er hart, traurig und unbändig, damit verbunden, wird er freudig, denn er ist vollendet.‹

»Die Engel sind stets mit der tadellosesten Schönheit begabt. Ihre Vermählungen werden mit wunderbaren Zeremonien gefeiert. Zu dieser Vereinigung, aus welcher aber keine Kinder entspringen, liefert der Mann das Verständnis, das Weib den Willen. Sie werden ein einziges Wesen, ein Fleisch hienieden; endlich, mit himmlischer Gestalt bekleidet, steigen sie zu den Himmeln empor. In dem irdischen Zustande ist die gegenseitige Neigung der beiden Geschlechter zur Wollust eine hinreichende, erschöpfende, ekelerregende Wirkung; wenn das Paar aber in seiner himmlischen Gestalt ein und derselbe Geist geworden ist, so findet es in sich selbst eine unvergängliche Ursache der höchsten Lust. Swedenborg hat diese Ehe der Engel gesehen, die nach dem Evangelisten Lucas weder freien noch sich freien lassen, und die nur geistige Lust gewährt. Ein Engel erbot sich, ihn zum Zeugen einer solchen Vermählung zu machen, und entrückte ihn auf seinen Schwingen (Flügel sind bei ihnen nur ein Symbol und keine irdische Wirklichkeit). Er bekleidete ihn mit seinem Festgewande, und als Swedenborg sich in Licht gekleidet sah, wollte er wissen, warum dies geschehen sei. – ›Bei solchen Gelegenheiten,‹ antwortet der Engel, ›werden unsere Gewänder feurig und hochzeitlich glänzend.‹ Dann sah er zwei Engel, die kamen einer von Mittag und einer vom Aufgang; der Engel des Mittags fuhr in einem mit zwei weißen Rossen bespannten Wagen, deren Zügel wie Morgenrot schimmerten, doch als beide im Himmel in seine Nähe kamen, sah er weder Rosse noch Wagen. Der in Purpur gekleidete Engel des Aufgangs und der in die Farbe der Hyazinthe gekleidete Engel des Mittags eilten wie zwei Lufthauche einander entgegen und wurden nun eins, der eine war ein Engel der Liebe, der andere ein Engel der Weisheit. Swedenborgs Führer bedeutete ihm, beide seien auf Erden, obgleich durch weite Räume getrennt, durch innere und festdauernde Freundschaft verbunden gewesen.

»Der gleichgestimmte gegenseitige Wille, der die Grundfeste der irdischen Ehen bildet, ist der gewöhnliche Zustand der Engel im Himmel. Liebe ist das Licht ihrer Welt. Das ewige Entzücken der Engel entsteht aus der ihnen von Gott verliehenen Eigenschaft, ihm selbst ihre dadurch empfundene Wonne zurückzugeben. Diese unendliche Wechselwirkung macht ihr ganzes Leben aus. Im Himmel werden sie unendlich, weil sie teilnehmen am Urwesen Gottes, das sich fortwährend selbst erzeugt. Die Unermeßlichkeit der von den Engeln bewohnten Himmel ist so groß, daß ein Mensch, wäre sein Gesicht auch mit der Geschwindigkeit des Sonnenlichtes begabt, doch nie den sie begrenzenden Horizont entdecken würde. Das Licht allein erklärt die Glückseligkeiten des Himmels. Es ist, spricht Swedenborg, eine reine Emanation von der Gott innewohnenden Klarheit, und zwar von einer Reinheit, gegen die unser irdisches Licht Finsternis ist. Diese Klarheit vermag, verjüngt alles, zehrt sich nicht auf, umfließt den Engel, und bringt ihn in Berührung mit Gott durch unendliche, sich selbst stets unendlich vermehrende Wonne, sie tötet aber unausbleiblich jeden nicht dazu vorbereiteten Menschen. Weder hienieden noch selbst im Himmel vermag ein Geschöpf Gott lebend zu schauen. Darum heißt es in der Schrift (2. Moses XIX, 12, 13, 21–23): ›. . . und mache dem Volk ein Gehege umher (das heißt um den Berg, wo Moses mit dem Herrn sprach) und sprich zu ihm: Hütet euch, daß ihr nicht auf den Berg steiget, noch sein Ende anrühret, denn wer den Berg anrühret, soll des Todes sterben.‹ Und ferner (ebendaselbst XXXIV, 29–35): ›Da nun Moses vom Berge Sinai ging, hatte er die zwo Tafeln des Zeugnisses in seiner Hand und wußte nicht, daß sein Angesicht glänzete, davon daß er mit dem Herrn geredet hatte, und legte er eine Decke auf sein Angesicht, damit niemand stürbe, wenn er zu dem Volke redete.‹ Die Verklärung Jesu Christi beweist ebenso das Licht, das von einem himmlischen Boten ausstrahlt, und die unaussprechliche über den unausgesetzten Genuß desselben von den Engeln empfundene Wonne. ›Und nach sechs Tagen‹, spricht der Evangelist Matthäus XVII, 1–5, ›nahm Jesus zu sich Petrum und Jacobum und Johannem, seinen Bruder, und führete sie beiseite auf einen hohen Berg, und ward verkläret vor ihnen und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß als ein Licht, und eine Lichtwolke überschattete die Jünger.‹

»Wenn nun endlich die Welt nur solche Menschen noch enthält, die gegen den Herrn streiten, wenn sein Wort vergebens gepredigt wird, wenn die Engel aus allen vier Winden versammelt sind, dann sendet Gott einen Vertilgungsengel, um die widerspenstige Welt zu zerstören, die für ihn in der Unendlichkeit des Universums nicht mehr als für uns ein Sandkorn ist. Wenn der Würgengel auf einem Kometen sich der Erde nähert, so hemmt er ihre Bewegung um ihre Achse; festes Land wird Meeresgrund, Gipfel der höchsten Gebirge werden Inseln, und die sonst von der See bedeckten Länder erheben sich in jugendlicher Frische, gehorchen Moses und den Propheten und das Wort Gottes wird mächtig auf einer Erde, die überall die verheerenden Wirkungen des irdischen Wassers und des himmlischen Feuers bewahrt. Dann wird das vom Engel von oben mitgebrachte Licht die Sonne erbleichen machen, und es wird geschehen, wie es heißt in der Offenbarung VI, 15-17: ›Und die Könige auf Erden und die Obersten und die Reichen und die Gewaltigen und alle Knechte und alle Freien verbergen sich in den Fellen und Klüften an den Bergen und sprechen zu den Bergen und Felsen: fallet auf uns und verberget uns vor dem Angesicht des, der auf dem Throne sitzet, und vor dem Zorne des Lammes, denn es ist kommen der große Tag seines Zorns und wer kann bestehen?‹ Das Lamm ist das Bild der auf Erden mißkannten und verfolgten Engel. Hat nicht auch Jesus gesagt: ›Selig sind die, die da Leid tragen, selig sind die Sanftmütigen, selig sind die Barmherzigen (Matthäus 5, 3–7).‹ Der ganze Swedenborg liegt in den Worten: Leiden, Glauben, Lieben! Muß man nicht, um recht zu lieben, gelitten haben, und muß man nicht glauben? Liebe gibt Stärke und Stärke gibt Weisheit und folglich auch Eröffnung der Intelligenz, denn Stärke und Weisheit vertragen sich mit dem Willen. Heißt das Verständnis besitzen nicht eben so viel als Willen, Wollen und Können, die drei Attribute des Engelgeistes?

»Wenn das Universum einen Sinn hat, so ist dieser Gottes am würdigsten!« sagte zu mir Saint-Martin, den ich während seiner schwedischen Reise kennen lernte.

»Allein, mein bester Herr,« fing der Pfarrherr Becker nach einigem Schweigen wieder an, »was will dieses Stückwerk bedeuten, genommen aus der ganzen Masse eines Werkes, von dem man nur dann eine Idee zu geben vermag, wenn man es mit einem Licht-, einem Flammenstrome vergleicht? Nähert sich ihm ein Mensch, so wird er hinweggerissen vom furchtbaren Strudel und Dante Alighieris gewaltiges Gedicht erscheint wie ein Punkt, verglichen mit den unzähligen Abschnitten, durch welche Swedenborg die himmlischen Welten zugänglich gemacht hat; so erbaute Beethoven seine Harmonie-Paläste durch Tausende von Noten, so errichteten die alten Werkmeister ihre mächtigen Münster durch Tausende von Steinen. Swedenborgs Visionen versenken Sie in bodenlose Abgründe, in denen Ihr Geist Sie nicht immer aufrecht zu halten vermag; ein mächtiger Verstand wird erfordert, um aus ihnen mit heiler Haut zu unseren sozialen Ideen zurückzukehren. – Swedenborg,« fuhr der Alte fort, »liebte vor allen den Freiherrn von Seraphitz, dessen Name nach altschwedischem Gebrauche seit langer Zeit die lateinische Schlußsilbe us angenommen hatte. Der Freiherr war der eifrigste Jünger des schwedischen Propheten, der ihm die Augen seines innern Menschen geöffnet und ihn zu einem nach den Geboten Gottes zu führenden Leben vorbereitet hatte.

»Unter den Frauen suchte er nach einem auf der Stufe der Engelgeister stehenden Geschöpfe; Swedenborg fand die Gesuchte in einer Vision, und verlobte ihn mit der Tochter eines Schuhmachers in London, in der das Leben des Himmels zum Durchbruche gekommen, und die in den frühern Prüfungen wohl bestehend erfunden geworden war. Nach der Verwandlung des Propheten ließ sich der Freiherr in Jarvis nieder, um seine himmlische Vermählung unter dem Segen der Gebete zu vollbringen. Ich, der ich keineswegs unter die Sehenden gehöre, konnte daher auch meine Beobachtungen nur auf das irdische Wirken dieses Paars ausdehnen. Ihr Leben glich ganz dem Lebenswandel der von der römisch-katholischen Kirche so hoch gepriesenen Heiligen; sie linderten das Elend ihrer Nachbarn und verliehen allen einen gewissen nicht ohne einige Arbeit zu erlangenden, ihren Bedürfnissen aber angemessenen Wohlstand. Ihre nächste Umgebung hat niemals irgend einen Ausbruch von Zorn oder Ungeduld an ihnen bemerkt, beständig erschienen sie sanft und wohltätig, voll Anmut und echter Herzensgüte. Ihre Ehe war die gleichgestimmte Harmonie zweier unauflöslich verbundener Seelen. Zwei in gleichem Fluge dahin schwebende Eidervögel sind vielleicht das passendste Bild ihres Vereins. Hier liebt sie jeder mit der Zuneigung, von der die Liebe der Pflanze zur Sonne allein eine Idee zu geben vermag. Die Frau war einfach in ihren Sitten, schön von Gestalt und Gesicht, und glich durch den Adel ihres Benehmens den hochgestelltesten Personen. Im Jahre 1783, im sechsundzwanzigsten Jahre ihres Lebens, fühlte sie sich in andern Umständen. Ernste Freude breitete sich über sie während ihrer Schwangerschaft. Die beiden Gatten bereiteten sich aber zu ihrem Abschiede von der Welt vor, denn sie sagten mir, ganz gewiß stände ihnen eine Umwandlung bevor, sobald ihr Kind nicht mehr ihrer elterlichen Sorgfalt bedürfe und zu dem Alter gelangt wäre, wo es kräftig genug sein würde, um allein bestehen zu können. Das Kind erblickte endlich das Licht der Welt und war die uns in diesem Augenblicke so sehr beschäftigende Seraphita. Gleich nach ihrer Empfängnis lebten ihre Eltern noch weit einsiedlerischer als früher, und erhoben sich durch Gebet immer mehr zum Himmel. Ihre Hoffnung war, Swedenborg zu sehen, und ihr Glauben verwirklichte sich. Am Tage vor Seraphitas Geburt erschien Swedenborg in Jarvis und erfüllte mit Licht das Gemach, in dem das Kind geboren wurde. Seine Worte sollen, wie man sagt, gewesen sein: ›Das Werk ist vollbracht, darüber jauchzen die Himmel!‹ Die Dienerschaft vernahm fremde Töne einer Melodie, die, wie sie behaupten, aus allen vier Ecken der Welt gehaucht schienen. Der Geist Swedenborgs entrückte den Vater aus dem Hause und führte ihn an den Fjord, wo er ihn verließ. Einige Männer aus Jarvis, die sich darauf dem Freiherrn genähert hatten, wollen die schönen Worte der Schrift von ihm ausrufen gehört haben; ›Wie schön sind auf den Bergen die Füße des Engels, den uns der Herr sendet!‹ Ich verließ grade meine Wohnung, um in das Schloß zu gehen, das Kind dort zu taufen, und überhaupt die mir von den Gesetzen gebotenen Pflichten zu erfüllen, als ich dem Freiherrn begegnete.

›Ihr Amt ist überflüssig,‹ sprach er zu mir. ›Unser Kind soll ohne Namen auf dieser Erde weilen. Sie sollen mit dem Wasser der irdischen Kirche nicht dasjenige taufen, über welches das Feuer des Himmels hingerollt ist. Dieses Kind soll eine Blume bleiben, Sie werden es nicht altern, sondern nur vorüberschweben sehen, Sie besitzen ein Dasein, das Kind aber ein Leben, Sie haben nur Sinn für das Äußere, das Kind nicht, denn seine Richtung geht nur nach innen.‹

»Diese Worte wurden mit einer ganz überirdischen Stimme gesprochen, die mich mehr ergriff als der Lichtglanz, der von seinem ganzen Gesichte ausstrahlte. Sein Anblick verwirklichte die phantastischen Bilder, die wir uns von den in der Bibel geschilderten Inspirierten machen. Ich fragte ihn um die Ursache seiner Begeisterung.

›Swedenborg ist gekommen,‹ antwortete er, ›eben verlasse ich ihn. Ich habe die Luft des Himmels geatmet!‹

›Unter welcher Gestalt ist er Ihnen erschienen?‹ fragte ich weiter.

›Ganz in seiner sterblichen Hülle,‹ entgegnete er, ›gekleidet wie ich ihn das letztemal sah in London, bei Richard Shearsmith im Julius des Jahres 1771. Er trug denselben Changeantrock mit Stahlknöpfen, die bis oben hinauf geschlossene Weste, die weiße Halsbinde und dieselbe Ratsherrnperücke mit gepuderten Seitenlocken, deren vorn aufgestrichenes Haar seine hohe und lichtvolle, ganz mit seinem vollen Gesichte in Harmonie stehende Stirn frei sehen ließ, es war sein altes Gesicht, in dem alles auf ruhige aber gewaltige Macht deutete. Ich erkannte seine majestätische Nase mit den feueratmenden Nüstern, ich erblickte wieder jenen göttlichen Mund, dem die mir so glückverheißenden Worte entströmten: ›Nur noch kurze Zeit!‹ Ich habe empfunden den Widerschein der göttlichen Liebe.

»Die von den Gesichtszügen des Freiherrn widerstrahlende volle Überzeugung untersagte mir jede Bemerkung. Schweigend hörte ich zu, seine Stimme besaß eine ansteckende Wärme, die bis in mein Innerstes drang. Seine Schwärmerei wirkte auf mein Herz, wie der Zorn eines Dritten unsere Nerven aufregt. Schweigend folgte ich ihm und trat in sein Haus, wo ich das namenlose Kind, geheimnisvoll von der Mutter verhüllt, bei ihr liegen sah. Seraphita hörte mich kommen, und hob ihr Köpfchen gegen mich auf. Ihre Augen glichen nicht denen eines gewöhnlichen Kindes; wollte ich den von ihnen empfangenen Eindruck schildern, so müßte ich sagen, daß diese Augen bereits sahen und dachten.

»Die Kindheit dieses zur Seligkeit bestimmten Geschöpfes war von seltsamen in unsrem Klima ganz außerordentlichen Umständen begleitet. Neun Jahre lang waren unsere Winter viel milder, unsere Sommer viel länger als gewöhnlich. Diese Erscheinung verursachte gar manchen Streit unter den Gelehrten; erschienen aber auch ihre Erklärungen den Akademikern hinreichend zu sein, so erregten sie dem Freiherrn, dem ich sie mitteilte, doch nur ein Lächeln.

»Keines Menschen Auge erblickte Seraphitas entblößten Körper, wie es wohl sonst bei Kindern geschieht. Keines Mannes oder Weibes Hand berührte sie jemals. Der alte David wird Ihnen diese Tatsache bestätigen, wenn Sie ihn nach seiner Gebieterin befragen, für welche er übrigens eine so tiefe Verehrung, ja Anbetung fühlt, wie sie der König, dessen Namen er führt, kaum für die heilige Bundeslade fühlen konnte.

»Von ihrem neunten Jahre an begann sie sich in den Zustand des Gebetes zu erheben. Gebet ist ihr Leben. Sie haben sie ja gesehen in unserer Kirche am heiligen Christfeste, dem einzigen Tag, an dem sie den Tempel des Herrn betritt, in welchem sie aber durch einen beträchtlichen Raum von den andern Christen getrennt ist. Liegt dieser Raum nicht zwischen ihr und den Menschen, so fühlt sie Schmerzen, auch verweilt sie die meiste Zeit im Schlosse.

»Ihr häusliches Lehen ist übrigens unbekannt wegen ihrer gänzlichen Zurückgezogenheit. Den größten Teil ihrer Zeit bringt sie in mystischen Kontemplationen zu, wie sie nach Behauptung papistischer Schriftsteller den frühern einsiedlerischen Christen, den Bewahrern der Überlieferungen des neuen Testamentes, eigen gewesen sein sollen. Seele und Körper, alles ist jungfräulich rein an ihr, gleich dem Schnee unserer Gebirge.

»Mit dem zehnten Jahre war sie so ausgebildet wie heute. In ihrem neunten Jahre starben schmerzlos und ohne sichtbare Krankheit fast zu gleicher Zeit ihre beiden Eltern, nachdem sie ihre Todesstunde vorher bestimmt vorausgesagt hatten. Am Fuße ihres Sterbelagers stehend, betrachtete sie sie mit ruhigen Augen, ohne Schmerz oder irgend eine andere sichtbare Gemütsbewegung zu zeigen. Vater und Mutter lächelten sie an. Als wir endlich die beiden Leichen abholen wollten, sprach sie: ›Tragt sie fort!‹

›Fühlen Sie keine Betrübnis, Seraphita,‹ fragte ich sie, denn diesen Namen hatte sie von uns erhalten, ›bei dem Tode Ihrer Eltern?‹ ›Tot!‹ entgegnete sie. ›Nein, denn sie leben in mir für alle Ewigkeit. Das ist Nichts‹ fügte sie hinzu und deutete ohne die geringste Gemütsbewegung auf den Sarg, den man soeben aufhob. Seit ihrer Kindheit sah ich sie jetzt zum drittenmale. In der Kirche kann man sie nur mit Mühe bemerken, denn sie steht dort nahe an der die Kanzel tragenden Säule, in einer Dunkelheit, die ihre Züge zu unterscheiden nicht erlaubt. Von allen Dienern ihres Hauses blieb nach dieser Begebenheit nur der alte David zurück, der trotz seiner zweiundachtzig Jahre zur Bedienung seiner Gebieterin hinlängliche Kräfte besitzt.

»Die Leute aus Jarvis erzählen von diesem Mädchen wunderbare Dinge, und weil ihre Geschichte in einem so sehr zum Wunderglauben geneigten Lande ein gewisses Ansehen gewann, so machte ich mich darüber her, die Bezauberungen des alten Johannes Wier und noch manches andere auf Dämonologie bezügliche Werk zu studieren, in welchen sogenannte für Menschen übernatürliche Tatsachen verzeichnet stehen, um ähnliche Fälle mit denen, die ihr beigelegt werden, aufzusuchen.«

»Sie glauben also nicht an sie?« fragte Wilfrid.

»Nein!« versetzte gutmütig der Pfarrherr. »Ich erblicke in ihr ein sehr eigensinniges, von ihren Eltern verzogenes Mädchen, die ihr den Kopf mit solchen religiösen Ideen verwirrten, von denen ich Ihnen soeben einen kurzen Abriß geliefert habe.«

Minna schüttelte hierbei unwillkürlich den Kopf und zeigte hierdurch, daß sie anderer Meinung sei. »Armes Mädchen!« fuhr der Pastor fort. »Ihre Eltern haben ihr eine traurige Exaltation zum Vermächtnis hinterlassen, welche die Mystiker auf Abwege leitet und sie gewissermaßen mehr oder weniger zu überspannten Toren macht. Sie legt sich Fasten auf, deren Strenge den alten David zur Verzweiflung bringen. Der gute Alte gleicht einer zärtlichen, vom geringsten Winde bewegten und von jedem Sonnenstrahle verwelkenden Pflanze. Seine Herrin, deren unverständliche Sprache er ganz angenommen hat, ist sein Sturm und seine Sonne; für ihn sind ihre Füße von Diamanten, ihre Stirn ist mit Sternen übersät, ihr Gang von einer lichtweißen Atmosphäre umstrahlt, ihre Stimme von den herrlichsten Melodien begleitet, auch besitzt sie die Gabe, sich unsichtbar zu machen. Verlangen Sie, bei ihr gemeldet zu werden, so kann er Ihnen antworten, sie reise soeben in den Astralländern umher. – Schwer ist es, solche Märchen zu glauben! Jedes Wunder gleicht, wie Sie wissen, der Geschichte vom goldenen Horn. Ein solches goldenes Horn haben wir in Jarvis, das ist das Ganze. So behauptet Duncker, der Fischer, er habe einmal gesehen, wie sie im Fjord untergetaucht und als Eidervogel wieder zum Vorschein gekommen sei; ein andermal will er sie mitten im Sturme auf den Wellen wandelnd gesehen haben. Fergus, der Hirt, hat nach seiner Aussage bemerkt, daß während Regenwetters der Himmel über dem Schwedenschlosse stets hell und über Seraphitas Haupte, wenn sie ausging, stets blau gewesen ist. Wenn Seraphita in das Gotteshaus kommt, so wollen mehrere Frauen Töne einer ungeheuern Orgel vernommen haben, und fragen ganz ernsthaft ihre Nachbarinnen, ob sie diese Töne nicht auch gehört hätten. Meine Tochter aber, die seit zwei Jahren von Seraphita sehr gern gesehen wird, hat weder Musik vernommen, noch die himmlischen Düfte gerochen, die, wie man behauptet, die Lüfte durchbalsamen sollen, wenn sie spazieren geht. Oft ist zwar Minna ganz begeistert, wie ein junges Mädchen, von den Schönheiten unsres Frühlings heimgekommen, und ganz berauscht von den Düften der ersten Triebe der Lärchen, der Tannen oder der Blumen, die sie in ihrer Gesellschaft eingeatmet habe, allein nichts ist nach einem so langen Winter natürlicher erklärbar als ein so übertriebenes Vergnügen. Sprich, mein Kind, hat die Gesellschaft dieses dämonischen Geschöpfes sehr viel Ungewöhnliches?«

»Seine Geheimnisse sind nicht die meinigen,« entgegnete Minna. »In seiner Nähe weiß ich alles, entfernt von ihm weiß ich nichts. In seiner Nähe bin ich nicht mehr ich selbst, entfernt von ihm habe ich gänzlich dies köstliche Leben vergessen. Ihn sehen, ist ein Traum, dessen ich mich nur nach seinem Willen erinnere. Ich habe in seiner Nähe, ohne mich ihrer, entfernt von ihm, erinnern zu können, die Töne vernommen, von denen Bankers und Erichsons Frauen reden; ich habe in seiner Nähe himmlische Düfte empfunden, Wunder erschaut, und besitze jetzt kaum eine Ahnung davon.«

»Was mich am meisten an ihr, so lange ich sie kenne, gewundert hat, war, daß Sie von ihr in ihrer Nähe geduldet wurden«, begann der Pfarrherr von neuem zu Wilfrid gewendet.

»In ihrer Nähe!« rief der Fremde. »Noch nie hat sie mir nur eine Berührung ihrer Hand, viel weniger noch einen Kuß auf dieselbe vergönnt. Als sie mich zum ersten Male sah, erschreckte mich ihr Blick. Sie sprach zu mir: ›Seien Sie mir hier willkommen, denn Sie mußten kommen.‹ Sie schien mich zu kennen. Ich habe gezittert. Schrecken ließ mich an sie glauben!«

»Und mich die Liebe«, meinte Minna, ohne zu erröten.

»Werden Sie nicht über mich spotten,« sprach der Pfarrherr wohlwollend lächelnd, »wenn ich dich, meine Tochter, einen Geist der Liebe nenne, und Sie, lieber Herr, zu einem Geiste der Weisheit mache?« und bemerkte, ein Glas Bier trinkend, nicht den seltsamen Blick, den Wilfrid auf Minna fallen ließ.

»Doch Scherz beiseite,« begann der Alte von neuem, »ich bin nicht wenig erstaunt gewesen, als ich heute erfuhr, jene zwei törichten Geschöpfe hätten den Gipfel des Falbergs erstiegen. Das ist aber sicher nichts weiter als ein Mädchengeschwätz und Übertreibung, untersucht man es näher, so schwindet das Ganze auf die Besteigung einiger kleinen Hügel zusammen. Die Spitze des Falbergs ist noch von keinem Menschenfuße betreten worden!«

»So muß ich folglich, lieber Vater, unter dem Schutze eines Dämons gewesen sein,« entgegnete Minna tiefbewegt, »denn ich habe den Falberg mit ihm erklettert.«

»Jetzt wird die Sache ernsthaft,« sprach der Alte, »Minna hat nie ein unwahres Wort gesagt.«

»Auch ich, teuerster Herr Becker,« versetzte Wilfrid, »muß Sie versichern, daß Seraphita eine so ganz außerordentliche Macht über mich ausübt, wie ich sie gar nicht durch Worte zu schildern vermag. Sie hat mir Dinge enthüllt, die nur mir allein bewußt waren.«

»Somnambulismus!« meinte Minnas Vater. »Johannes Wier erwähnt übrigens mehrere ähnliche Fälle solcher leichterklärlicher und sonst schon in Ägypten beobachteter Erscheinungen.«

»Vertrauen Sie mir Swedenborgs theosophische Werke an,« bat Wilfrid, »ich will mich in diese lichtstrahlenden Schlünde versenken, auf die Sie mich so äußerst begierig gemacht haben.«

Der alte Becker reichte Wilfrid einen Band hin, der alsbald sein Lesen begann. Es mochte gegen neun Uhr abends sein, als die Magd das Abendessen brachte und Minna den Tee bereitete. Nach geendigtem Mahle fuhr jedes schweigend in seiner früheren Beschäftigung fort, der Pfarrherr las in seiner Abhandlung über Beschwörungen, Wilfrid suchte in Swedenborgs Geist einzudringen, Minna besserte ihre Wäsche aus und verlor sich in ihren Erinnerungen. Es war ein echt nordischer, friedlicher, zum Nachdenken und Studieren einladender Abend. Die Blätter des Propheten mehr verschlingend als lesend, war Wilfrid für alle äußern Eindrücke tot. Zuweilen deutete der Pastor halb ernst, halb spottend auf ihn gegen Minna, die dann schwermütig lächelte, denn auf sie schien Seraphitus' Haupt aus den sie alle drei umhüllenden Rauchwolken anmutig freundlich herabzusehen. Es schlug eben Mitternacht, als die äußere Pforte mit Heftigkeit aufgerissen wurde. Schwere und eilige Tritte, die Schritte eines erschrockenen Greises, ließen sich in dem schmalen vorgemachartigen Raume zwischen den beiden Türen vernehmen, und plötzlich trat der alte David in das Wohnzimmer.

»Gewalt! Gewalt!« schrie er, »kommen sie, eilen sie alle zu Hilfe! Die Teufel der Hölle sind entfesselt! Sie tragen feurige Mützen. Geister aller Art sind los, Sirenen und Silenen, Adonis und Vertumnen sonder Zahl führen sie in Versuchung, wie Jesus Christus in der Wüste in Versuchung geführt wurde. Helfen sie das Gesindel verjagen!«

»Erkennen Sie hier Swedenborgs Sprache und zwar in ihrer reinsten Gestalt?« fragte der Pastor.

Schaudernd sahen aber Wilfrid und Minna auf den alten David, der mit seinen verwirrten Locken, seinen stieren Augen, seinen zitternden und schneebedeckten Füßen, denn er war in der Eile ohne Schneeschuhe fortgerannt, vor ihnen, wie vom heftigsten Sturm geschüttelt, bebend stand.

»Was ist vorgefallen?« fragte ihn Minna.

»Alle Teufel der Hölle sind vereinigt, um ihn abtrünnig zu machen.« Bei diesen Worten zitterte Wilfrid. »Seit beinahe fünf Stunden liegt sie mit gen Himmel gerichteten Augen, ausgebreiteten Armen auf den Knieen und ruft in furchtbaren Leiden zu Gott. Ich vermag den sie einbannenden Zauberkreis nicht zu durchbrechen, furchtbare Geister sind von der Hölle als Schildwachen ausgestellt, und Eisenmauern sind zwischen ihr und ihrem alten David emporgeschossen. Was soll ich tun, wenn sie meiner bedürfte? Kommen Sie zu Hilfe! Helfen Sie beten!« Schrecklich war die Verzweiflung dieses armen Greises anzusehen.

»Noch schützt sie Gottes Allmacht; wenn sie nun aber doch der Gewalt unterliegen müßte!«

»Still David! Schwätzet kein albernes Zeug! Diese Geschichte muß untersucht werden, wir wollen Euch begleiten,« sprach der Pfarrherr, »und dann werdet Ihr Euch überzeugen, daß bei Euch weder ein Vertumnus, noch Teufel oder Sirenen anzutreffen sind.«

»Ihr Vater ist blind«, flüsterte David der geängstigten Minna zu.

Wilfrid, auf den das rasche Lesen einer der ersten Abhandlungen Swedenborgs äußerst heftig gewirkt hatte, war schon im Vorgemach mit Anlegung seiner Schneeschuhe beschäftigt. Auch Minna war sogleich reisefertig. Beide ließen die zwei Alten weit hinter sich und eilten geflügelten Laufes gegen das Schwedenschloß.

»Hören Sie das Krachen?« fragte Wilfrid.

»Das Eis des Fjords bricht,« entgegnete Minna, »der Frühling rückt mit starken Schritten näher.«

Wilfrid schwieg. Als beide im Hofe angelangt waren, fühlten sie sich außerstande, das Haus zu betreten.

»Was denken Sie von ihr?« fragte Wilfrid von neuem.

»Welche unendliche Klarheit!« rief Minna, die vor ein Fenster des Wohnzimmers getreten war. »Da ist er! Mein Gott! wie schön er ist! O mein Seraphitus, nimm mich auf! . . .«

Dieser entzückte Ausbruch des Mädchens war aber nur innerlich. Sie erblickte Seraphitus aufrecht stehend und von einem leichten regenbogenfarbig schimmernden Lichtnebel umgeben, der seinem fast phosphorartigen Körper entströmte.

»Wie wundervoll schön ist sie!« rief auch Wilfrid in seiner Brust.

In diesem Augenblicke langte der alte Becker in Davids Begleitung an, und als er seine Tochter und den Fremden vor dem Fenster stehend erblickte, trat er zu ihnen, sah auch in das Zimmer und sprach: »Nun David? Sie betet!«

»Versuchen Sie aber nur, Herr, und wollen Sie eintreten!«

»Warum Betende stören?« entgegnete der Pfarrherr. In diesem Moment fiel ein Strahl des eben über den Falberg aufsteigenden Mondes auf das Fenster. Betroffen von dieser doch so natürlichen Erscheinung, sahen sie sich nach der Ursache um; als sie aber gleich darauf wieder in das Zimmer blickten, war Seraphita verschwunden.

»Das ist seltsam!« rief Wilfrid verwundert.

»O! ich vernehme die köstlichsten Himmelstöne!« sprach Minna.

»Was ist es nun weiter?« meinte der Pastor, »sie ist ohne Zweifel schlafen gegangen!«

David war jetzt ohne Hindernis in das Haus gegangen. Schweigend kehrten die andern heim; jedes legte sich diese Erscheinung auf seine eigene Art aus, der alte Pfarrherr hegte seine bescheidenen Zweifel, Minna war voller Anbetung, Wilfrid voller Wünsche.

*


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