Honoré de Balzac
Die Bauern
Honoré de Balzac

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VII

Der Windhund

Gegen Mitte des Septembermonds kam Émile Blondet, der zur Veröffentlichung eines Buches nach Paris gereist war, zurück, um sich in Les Aigues auszuruhen und dort die Arbeiten zu überlegen, die er für den Winter vorhatte. In Les Aigues kam in dem gewiegten Journalisten der liebenswürdige und treuherzige junge Mann jener ersten Tage, die auf das Jünglingsalter folgen, wieder zum Vorschein.

»Welch eine schöne Seele!«

So hatten ihn der Graf und die Gräfin genannt.

Die Menschen, die daran gewöhnt sind, sich in den Abgründen der sozialen Welt herumzutreiben, alles zu begreifen, nichts zu unterdrücken, schaffen sich eine Oase im Herzen. Sie vergessen ihre und anderer Leute Verkehrtheiten, werden in einem engen und zurückhaltenden Kreise kleine Heilige, besitzen weibliches Zartgefühl und überlassen sich einer augenblicklichen Verwirklichung ihres Ideals. Für eine einzige Person, die sie anbeten, sind sie Engel und spielen dabei keine Komödie; sie bringen ihre Seele sozusagen auf die Weide. Sie haben es nötig, ihre Schmutzflecke abzubürsten, ihre Narben auszuheilen und ihre Wunden zu verbinden. Émile Blondet war ohne Gift und fast ohne Geist nach Les Aigues gekommen, er sagte nicht ein Epigramm, hatte eine Lammsgeduld und war von einem milden Platonismus.

»Er ist ein so guter junger Mann, daß er mir fehlt, wenn er nicht da ist!« sagte der General. »Ich möchte gern, daß er sein Glück machte und sein Pariser Leben nicht weiter führte.«

Nie waren die herrliche Landschaft und der Park von Les Aigues wonnevoller schön gewesen als damals. In den ersten Herbsttagen, im Augenblick, da die Erde, ihrer Geburten müde, ihrer Erzeugnisse ledig, köstliche pflanzliche Düfte ausatmet, sind die Wälder besonders wundervoll; sie beginnen jene grünen Bronzetöne anzunehmen, jene warmen Terra-di-Siena-Farben, aus welchen die schönen Teppiche sich zusammensetzen, unter denen sie sich verbergen, wie um es mit dem Winterfroste aufzunehmen.

Nachdem die Natur sich im Frühling prunkend und froh wie eine hoffende Brünette gezeigt hat, wird sie dann traurig und sanft wie eine Blondine, die in Erinnerungen lebt. Die Rasenflächen vergolden sich, die Herbstblumen zeigen ihre blassen Blütenkronen, die Margareten durchbrechen sparsamer die Wiesengründe mit ihren weißen Augen, man sieht nur noch blaßviolette Kelche. Gelb ist in Fülle vorhanden, die Schatten werden heller im Laub und ausgesprochener in ihren Farben. Die schon schräger stehende Sonne wirft orangerote flüchtige Lichtbündel hinein, lange leuchtende Spuren, die schnell davoneilen wie die Schleppkleider lebewohlsagender Frauen.

Am zweiten Tage nach seiner Ankunft stand Émile morgens an seinem Zimmerfenster, das auf eine jener Terrassen mit modernem Balkon hinausging, von wo aus man eine schöne Aussicht entdeckte. Dieser Balkon lief längs der Zimmer der Gräfin auf der Seite entlang, die auf die Wälder und die Landschaft von Blangy blickte. Von dem Weiher, den man einen See genannt hätte, wenn Les Aigues näher bei Paris gelegen haben würde, sah man nur ein wenig, ebenso von seinem Kanal; die vom Jagdpavillon kommende Quelle floß mit ihrem moirierten und sandglitzernden Bande durch eine Rasenfläche. Ueber den Park hinweg sah man gegen die Dörfer und die Mauern zu die Felder von Blangy, einige Wiesen, wo Kühe weideten, heckenumgebene Höfe mit ihren Fruchtbäumen: Nußbäumen und Apfelbäumen; dann als Rahmen die Höhen, auf denen sich stufenweise die schönen Bäume des Waldes aufbauten. Die Gräfin war in Pantoffeln hinausgegangen, um die Blumen auf ihrem Balkon zu betrachten, die ihren Morgenduft ausströmten. Sie trug einen Batistmorgenrock, durch den das Rosa ihrer schönen Schulter schimmerte; eine hübsche kokette Morgenhaube war keck auf ihre Haare gesetzt, die vorwitzig darunter hervorquollen. Ihre kleinen Füße leuchteten fleischfarben durch ihren durchsichtigen Strumpf, ihr Morgenrock wallte gürtellos und ließ einen gestickten Batistunterrock sehen, der schlecht an einem Leibchen angeknöpft war, das man auch sah, wenn der Wind das leichte Morgengewand öffnete.

»Ach, Sie sind da?« sagte sie.

»Ja.

»Was beschauen Sie?«

»Schöne Frage! Sie haben mich der Natur entrissen. Sagen Sie doch, Gräfin, wollen wir heute morgen vor dem Frühstück einen Spaziergang in die Wälder machen?«

»Welche Idee! Sie wissen, daß ich das Marschieren hasse.«

»Wir werden nur ganz wenig marschieren; ich werde Sie im Tilbury fahren, Joseph nehmen wir mit, acht darauf zu geben . . . Sie setzen nie einen Fuß in Ihren Wald, und ich bemerke dort ein seltsames Phänomen: es gibt da stellenweise eine gewisse Anzahl Baumkronen, welche die Farbe von Florentiner Bronze haben; die Blätter sind trocken . . .«

»Gut, ich will mich anziehen!«

»Dann werden wir in zwei Stunden nicht fort sein! Nehmen Sie einen Schal, setzen Sie einen Hut auf . . . ziehen Sie Halbstiefel an . . . das ist alles, was nottut . . . Ich werde anspannen lassen.«

»Man muß immer tun, was Sie wollen . . . Ich komme im Moment . . .«

»General, wir gehen spazieren; wollen Sie mitkommen?« fragte Blondet, den Grafen weckend, der das Schnarchen eines Mannes hören ließ, den der Morgenschlummer noch umfangen hielt.

Eine Viertelstunde später rollte der Tilbury, dem in einiger Entfernung ein großer livrierter Diener zu Pferde folgte, durch die Parkalleen.

Es war ein Septembermorgen. Das tiefe Blau des Himmels strahlte stellenweise inmitten der Schäfchenwolken, die als der Grund erschienen, während der Aether nur als zufällige Erscheinung wirkte. Lange lasurblaue Linien zeigten sich am Horizonte, aber sie wechselten schichtweise mit anderen, sandiggrauen, Wolken ab. Diese Töne wechselten und färbten sich über den Wäldern grün. Unter dieser Decke war die Erde matt wie eine Frau beim Aufstehen. Sie atmete köstliche und heiße, aber ungewohnte Düfte aus; der Duft der Felder hatte sich mit dem Dufte der Wälder vermischt.

In Blangy wurde der Angelus geläutet; die Glockentöne vermischten sich mit dem seltsamen Konzerte der Wälder und verliehen dem Schweigen Harmonie. Hier und da stiegen weiße, durchsichtige Dunstschleier auf. Beim Anblick dieses Zaubers der Landschaft hatte Olympe Lust bekommen, ihren Gatten zu begleiten, der einem seiner Wächter, dessen Haus nicht fern war, einen Befehl zu erteilen hatte. Der Arzt von Soulanges hatte ihr angeraten, spazierenzugehen, ohne sich zu ermüden; sie fürchtete die Mittagshitze und abends wollte sie nicht spazierengehen. Michaud führte seine Frau. Sein Lieblingshund folgte ihm, ein hübscher, mausgrauer Windhund mit weißen Flecken, ein Feinschmecker wie alle Windhunde und voller Fehler, wie ein Tier, das genau weiß, daß man es liebt und daß es gefällt.

So erfuhr denn die Gräfin, als der Tilbury am Gatter des Jagdpavillons vorfuhr und sie fragte, wie es Madame Michaud gehe, daß sie mit ihrem Manne in den Wald gegangen war.

»Dies Wetter begeistert jedermann,« sagte Blondet und lenkte sein Pferd auf gut Glück in einen der sechs Waldwege.

»Na, Joseph, du kennst dich im Walde aus?«

»Ja, gnädiger Herr!«

Und los ging's! Dieser Weg war einer der köstlichsten des Waldes; er bog bald um, verengerte sich und wurde zu einem gewundenen Pfad, auf den die Sonne durch das Blättergewirr des Laubdaches fiel, das ihn wie eine Laube umfing, die der Wind mit den Düften des Quendels, Lavendels und der wilden Minze erfüllte. Geknickte Zweige und Blätter fielen mit leichtem Geräusch. Tautropfen, auf Blätter und Kräuter gesät, sprühten bei der Vorbeifahrt des leichten Wagens ringsum, und je weiter er kam, um so mehr entdeckten die Spazierenfahrenden die geheimnisvollen Phantasien des Waldes: jene frischen Gründe, wo das Grün feucht und dunkel ist, wo das Licht sammetartig wirkt, indem es sich verliert; die Lichtungen mit anmutigen Birken, die von einem hundertjährigen Baume, dem Herkules des Waldes, beherrscht werden; die prachtvollen Gruppen knorriger, bemooster, weißlicher Stämme mit tiefen Rillen, die gigantischen Skizzen gleichen, und die Einfassung von zarten Kräutern mit schlanken Blumen, die in den Wagenspuren wachsen. Die Bäche sangen. Wahrlich, es ist ein unerhörtes Wonnegefühl, eine Frau zu fahren, die auf den schlüpfrigen Wegen, wo die Erde mit Moos überzogen ist, tut, als ob sie Furcht habe oder sich wirklich ängstigt, und sich an euch schmiegt und euch einen unwillkürlichen oder berechneten Druck der frischen Feuchtigkeit ihres Armes, des Gewichts ihrer runden, weißen Schulter fühlen läßt und zu lächeln beginnt, wenn man ihr sagt, sie hindere einen am Fahren. Das Pferd scheint in diese Unterbrechung eingeweiht zu sein, es blickt nach rechts und nach links.

Dies für die Gräfin neue Schauspiel, diese in ihren Wirkungen so kraftvolle, so wenig bekannte und so große Natur versenkte sie in eine weiche Träumerei. Sie lehnte sich in den Tilbury zurück und überließ sich dem Vergnügen, bei Émile zu sein; ihre Augen waren beschäftigt, ihr Herz sprach, sie antwortete dieser inneren Stimme, die mit der seinigen im Einklang war. Auch er sah sie verstohlen an und hatte seine Freude an der träumerischen Nachdenklichkeit, während welcher die Bänder des Kapotthutes aufgegangen waren und die seidenweichen Locken des blonden Haares mit einer wollüstigen Hingabe dem Morgenwinde überließen. Da sie fuhren, wohin der Zufall sie führte, kamen sie an eine verschlossene Schranke, und sie hatten keinen Schlüssel. Man rief Joseph, er hatte ebenfalls keinen Schlüssel.

»Schön. Lustwandeln wir. Joseph wird auf den Tilbury aufpassen, wir werden ihn schon wiederfinden!«

Émile und die Gräfin drangen in den Wald ein und gelangten zu einer kleinen in den Forst eingebetteten Landschaft, wie man sie oft in Wäldern trifft. Zwanzig Jahre vorher haben die Köhler hier ihren Meiler gemacht, und der Platz ist so geblieben; alles ist in einem ziemlich weiten Umkreise versengt worden. In zwanzig Jahren hat die Natur dort den Garten ihrer Blumen, ein Parterre für sich, anlegen können, so wie ein Maler sich eines Tages das Vergnügen macht, ein Gemälde für sich selber zu malen. Dieses köstliche Blumenbeet ist von schönen Bäumen umstanden, deren Kronen in breiten Fransen herabhängen; sie bilden einen ungeheuren Baldachin für das Lager, auf dem die Göttin ruht. Die Köhler haben einen Fußsteig benutzt, um Wasser zu holen aus einem Tümpel, einer stets vollen Lache, wo das Wasser klar ist. Dieser Fußsteig ist noch vorhanden, er ladet euch ein, auf einem anmutigen Umweg hinabzugehen, und plötzlich hört er auf; ihr seht tausend Wurzeln zu Tage treten und eine Art Stickereikanevas bilden. Dieser unbekannte Weiher hat einen flachen schmalen Rasenrand; man sieht da einige Pappeln, einige Weiden, die mit ihrem lichten Schatten die Rasenbank schützen, die dort von einem nachdenksamen oder faulen Köhler geschichtet worden ist. Dort springen die Frösche, baden sich die Knäkenten, kommen und gehen die Wasservögel, ein Häschen springt davon. Ihr seid Herren dieser entzückenden Badestelle, die mit den prachtvollsten lebenden Binsen geschmückt ist. Ueber eurem Haupte recken sich Bäume in verschiedenen Haltungen auf: hier gibt's Stämme, die in Boa-constrictor-Form niederhängen, dort Buchenschäfte gleich griechischen Säulen. Schnecken, mit oder ohne Haus, kriechen in Frieden umher. Eine Schleie zeigt euch ihr Maul, Eichhörnchen blicken euch an. Endlich, als Émile und die Gräfin sich müde hingesetzt hatten, ließ ein Vogel, ich weiß nicht welcher, einen Herbstgesang hören, einen Abschiedsgesang, den alle Vögel vernehmen, einen jener mit Liebe gefeierten Gesänge, die von allen Organen zugleich verstanden werden.

»Welch eine Stille!« sagte die Gräfin bewegt und mit leiser Stimme, wie um diese Ruhe nicht zu stören.

Sie betrachteten die grünen Wasserlachen, die Welten sind, in denen sich Leben bildet; sie zeigten sich die in der Sonne spielende und bei ihrem Nahen fliehende Eidechse; ein Verhalten, das ihr den Namen »Menschenfreund« verschafft hat: »Sie beweist damit, wie gut sie ihn kennt,« sagte Émile. Sie zeigten sich die Frösche, die vertrauensseliger an die Wasseroberfläche auf die Kressebetten zurückkamen und ihre Karfunkelaugen schimmern ließen. Die einfache und sanfte Poesie der Natur bemächtigte sich dieser beiden Seelen, welche für die künstlichen Dinge der Welt gleichgültig waren, und erfüllte sie ganz und gar mit einer beschaulichen Erregung . . . als Blondet ganz plötzlich zitterte und, sich zu dem Ohre der Gräfin neigend:

»Hören Sie? . . .« fragte.

»Was?«

»Ein seltsames Geräusch . . .«

»Da haben wir die Literaturleute und Zimmerhocker, die nichts vom Lande wissen; das ist ein Grünspecht, der sein Loch hämmert. Ich wette, Sie kennen nicht einmal den seltsamsten Zug aus der Geschichte dieses Vogels: sobald er einen Hieb mit seinem Schnabel getan hat, – und er tut deren Tausende, um eine Eiche, die zweimal dicker ist als Ihr Körper, auszuhöhlen – sieht er hinten nach, ob er den Baum durchbohrt hat; und das tut er jeden Augenblick.«

»Dies Geräusch, liebe Naturgeschichtslehrerin, ist kein von einem Tier verursachtes Geräusch, es ist darin sozusagen etwas überlegtes, das den Menschen anzeigt.«

Die Gräfin wurde von einem panischen Schrecken ergriffen; sie rettete sich in das Blütenbeet, indem sie ihren Weg wieder zurückging, und wollte den Wald verlassen.

»Was haben Sie?« rief Blondet ihr zu und lief ihr nach.

»Es schien mir, als säh' ich Augen! . . .« sagte sie, als sie einen der Pfade wieder erreicht hatte, auf denen sie zu dem Meilerplatze gekommen waren.

In diesem Moment hörten sie das dumpfe Todesröcheln eines plötzlich erwürgten Wesens, und die Gräfin, deren Furcht sich verdoppelte, rettete sich so schnell, daß Blondet ihr kaum zu folgen vermochte. Sie lief, lief wie ein Irrlicht und hörte nicht auf Émile, der ihr zurief: »Sie täuschen sich . . .« Sie lief immerzu. Blondet konnte sie nicht einholen, und so liefen sie immer weiter und weiter. Endlich wurden sie von Michaud und seiner Frau angehalten, die Arm in Arm daherkamen. Émile keuchte, die Gräfin war atemlos, und sie konnten eine Weile nicht sprechen, dann gaben sie Aufschluß. Michaud half Blondet, sich über den Schrecken der Gräfin lustig zu machen; und der Wächter brachte die beiden verirrten Spaziergänger auf den Weg zurück, damit sie den Tilbury erreichen könnten. Als sie an der Barriere ankamen, rief Madame Michaud:

»Prinz!«

»Prinz! Prinz!« schrie der Wächter.

Er pfiff, pfiff wieder, kein Windhund kam. Émile sprach von den merkwürdigen Geräuschen, mit denen das Abenteuer angefangen hatte.

»Meine Frau hat das Geräusch auch gehört, und ich hab' mich lustig über sie gemacht.

»Man hat Prinz getötet!« rief die Gräfin, »jetzt bin ich dessen ganz gewiß; und hat ihn getötet, indem man ihm mit einem einzigen Hieb die Kehle abgeschnitten hat; denn, was ich gehört habe, war das letzte Röcheln eines sterbenden Tieres.«

»Zum Teufel,« sagte Michaud, »es verlohnt sich, die Sache aufzuklären.«

Émile und der Wächter ließen die beiden Damen bei Joseph und den Pferden und kehrten nach dem natürlichen Boskett zurück, das um den alten Meiler herumgewachsen war. Sie gingen nach dem Pfuhl hinunter, durchforschten die Böschungen dort und fanden kein Anzeichen. Blondet war als erster wieder hinaufgestiegen; er sah in einer der Baumgruppen der höheren Lage einen jener Bäume mit verdorrtem Laub. Er zeigte ihn Michaud und wollte ihn sehen. Alle beide gingen in gerader Linie quer durch den Wald, indem sie Stümpfe vermieden, den Dornenbüschen und undurchdringlichen Stechpalmensträuchern aus dem Wege gingen, und fanden den Baum.

»Eine schöne Ulme ist das,« sagte Michaud, »aber der Wurm ist drin, ein Wurm, der sich rund um die Rinde des Fußes herumgefressen hat.«

Und er bückte sich, faßte die Rinde und hob sie auf.

»Sehen Sie, welch eine Arbeit!«

»Es gibt viele Würmer in Ihrem Walde!« entgegnete Blondet.

In diesem Augenblick bemerkte Michaud in einiger Entfernung eine rote Spur und etwas weiterhin den Kopf seines Windhundes. Er stieß einen Seufzer aus:

»Die Schurken! . . . Madame hatte recht! . . .«

Blondet und Michaud betrachteten den Kadaver und fanden die Wahrnehmung der Gräfin bestätigt, daß man Prinz den Hals abgeschnitten hatte; um ihn am Bellen zu hindern, hatte man ihn mit etwas frisch gesalzenem Schweinefleisch, das er noch zwischen seiner Zunge und dem Gaumensegel hielt, angelockt.

»Armes Tier, wo es sündigte, ist es umgekommen.«

»Genau wie ein Prinz,« erwiderte Blondet.

»Hier war einer,« sagte Michaud, »der ausgekniffen ist, da er von uns nicht überrascht sein wollte, und der folglich etwas Böses ausgefressen hat; aber ich sehe weder Zweige noch abgeschnittene Bäume.«

Blondet und der Wächter schickten sich an, vorsichtig umherzuspüren; bevor sie einen Fuß auf den Boden setzten, prüften sie die Stelle. Einige Schritte weiter zeigte Blondet einen Baum, vor dem das Gras aufgewühlt und abgesichelt worden war, und zwei eingedrückte Spuren sich zeigten.

»Da hat jemand gekniet, und es war eine Frau; denn eines Mannes Beine hinterlassen nicht von den Knien abwärts eine so große Menge niedergedrückten Grases; hier ist der Abdruck des Rockes! . . .«

Nachdem er den Fuß des Baumes untersucht hatte, stieß der Wächter auf die Arbeit eines angefangenen Lochs, ohne jedoch jenen Wurm mit der kräftigen, glänzenden, schuppigen, braun punktierten Haut zu finden, dessen Kopfende schon dem des Maikäfers ähnelt, indem es dessen Kopf und Fühler zeigt, sowie die starken Freßzangen, mit denen er die Wurzeln durchschneidet.

»Mein Lieber, ich verstehe nun die große Menge ›abgestorbener‹ Bäume, die ich heute früh von der Schloßterrasse aus gesehen habe, und die mich hierher gezogen haben, um nach der Ursache dieses Phänomens zu suchen. Die Würmer rühren sich, es sind aber Ihre Bauern, die aus dem Holz herauskommen!«

Der Wächter stieß einen Fluch aus und lief, von Blondet gefolgt, zur Gräfin zurück, die er bat, seine Frau mit sich zu nehmen. Er nahm Josephs Pferd, den er zu Fuß nach dem Schlosse zurückgehen ließ, und verschwand mit äußerster Schnelligkeit, um dem Weibe, das seinen Hund eben getötet hatte, den Weg abzuschneiden und sie mit einer blutigen Hippe und dem Werkzeug, mit dem sie die Einschnitte in die Stämme machte, zu überraschen.

Blondet setzte sich zwischen die Gräfin und Madame Michaud und erzählte ihnen Prinzens Ende und die traurige Entdeckung, die es verursacht hatte.

»Mein Gott, sagen wir's dem General, ehe er frühstückt,« rief die Gräfin, »ihn könnte sonst vor Zorn der Schlag rühren! . . .«

»Ich werde ihn vorbereiten,« sagte Blondet.

»Sie haben den Hund umgebracht . . .« sagte Olympe und wischte ihre Tränen ab.

»Sie liebten also den armen Windhund sehr, meine Gute,« sagte die Gräfin, »weil Sie ihn so beweinen?«

»Ich denke an Prinz nur als an eine unheilvolle Vorbedeutung; ich zittre, daß meinem Manne ein Unglück zustößt!«

»Wie haben sie uns diesen Morgen verdorben!« sagte die Gräfin, indem sie auf entzückende Weise den Mund verzog.

»Wie sie das Land verderben!« antwortete die junge Frau traurig.

Sie trafen den General am Tore.

»Woher kommen Sie denn?« fragte er.

»Sie sollen's erfahren,« antwortete Blondet mit geheimnisvoller Miene und ließ Madame Michaud, deren Traurigkeit den Grafen befremdete, aussteigen.

Einen Augenblick später standen der General und Blondet auf der Terrasse vor den Gemächern.

»Sie sind wohl mit genügend moralischem Mute versehen, Sie werden nicht in Zorn geraten, nicht wahr?«

»Nein,« antwortete der Graf, »aber kommen Sie zur Sache, oder ich glaube, Sie wollen sich über mich lustig machen.«

»Sehen Sie dort die Bäume mit abgestorbenem Laubwerk?«

»Ja.«

»Sehen Sie die, welche sich verfärben?«

»Ja.«

»Nun gut; all die abgestorbenen Bäume sind von jenen Bauern vernichtet worden, die Sie durch Ihre Wohltaten gewonnen zu haben glaubten.«

Und Blondet erzählte, was sie am Morgen erlebt hatten.

Der General war so bleich, daß Blondet erschrak.

»Nun, fluchen Sie, poltern Sie los, geraten Sie außer sich! . . . Wenn Sie alles still hinterschlucken, so kann Ihnen das noch mehr schaden als der Zorn.«

»Ich will rauchen!« sagte der Graf und ging in seinen Kiosk.

Während des Frühstücks kam Michaud zurück; er hatte niemanden finden können. Der vom General herbeibefohlene Sibilet erschien auch.

»Monsieur Sibilet und Sie, Monsieur Michaud, machen Sie vorsichtig im Lande bekannt, daß ich dem tausend Franken geben will, der mir hilft, die in flagranti zu erwischen, die mir meine Bäume so vernichten. Man muß das Werkzeug kennenlernen, dessen sie sich bedienen, muß erfahren, wo es gekauft ist, und ich habe meinen Plan.«

»Die Leute verkaufen sich nie,« antwortete Sibilet, »wenn es sich um Verbrechen handelt, die zu ihrem Nutzen und mit Vorbedacht ausgeführt werden; denn man kann nicht leugnen, daß diese teuflische Erfindung überlegt und berechnet ist.«

»Ja, aber tausend Franken bedeuten für sie ein oder zwei Arpent Ackerland.«

»Wir wollen's versuchen,« sagte Sibilet; »bei fünfzehnhundert stehe ich dafür, einen Verräter zu finden, besonders wenn man ihm Verschwiegenheit zusichert.«

»Aber wir wollen tun, als ob wir nichts wüßten, ich vor allem. Es ist viel besser, wenn Sie das alles ohne mein Wissen entdeckt haben; sonst werden wir Opfer eines Schwindels. Diesen Räubern muß man mehr mißtrauen als dem Feinde in Kriegszeit.«

»Aber das ist ja der Feind!« sagte Blondet.

Sibilet sah ihn mit dem versteckten Blick eines Menschen an, der die Tragweite dieses Wortes verstand, und ging hinaus.

»Ich liebe Ihren Sibilet nicht,« fuhr Blondet fort, als er ihn das Haus hatte verlassen hören, »er ist ein falscher Kerl.«

»Bis jetzt gibt's nichts gegen ihn einzuwenden,« antwortete der Graf.

Blondet zog sich zurück, um Briefe zu schreiben. Er hatte den unbekümmerten Frohsinn seines ersten Aufenthalts verloren; er war unruhig und sorgenvoll. Er hatte nicht Vorahnungen wie Madame Michaud, er sah vielmehr das sichere Eintreten von Unglücksfällen voraus.

Er sagte sich:

»Alles das wird übel ausgehen; und wenn der General nicht einen entscheidenden Entschluß faßt und ein Schlachtfeld verläßt, wo er durch die Zahl zermalmt wird, wird's hier viele Opfer geben; wer weiß, ob er selber, er und seine Frau, heil dabei wegkommen? Mein Gott! Das so anbetungswürdige, so hingebende, so vollkommene Wesen solcher Gefahr aussetzen! . . . Und er glaubt sie zu lieben! Nun gut, ich will ihre Gefahren teilen und, wenn ich sie nicht retten kann, mit ihnen umkommen!«


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