Honoré de Balzac
Die Bauern
Honoré de Balzac

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III

Die Schenke

Das sogenannte Blangytor, das man Bouret zu verdanken hatte, setzte sich aus zwei Pilastern zusammen mit bandartig verzierten Steinvorsprüngen. Beide wurden von einem auf seinen Hinterpfoten sich aufrichtenden Hunde überragt, welcher zwischen seinen Vorderpfoten ein Wappenschild hielt. Die Nachbarschaft des Pavillons, wo der Verwalter wohnte, hatte den Finanzmann davon entbunden, eine Pförtnerwohnung zu bauen. Zwischen diesen beiden Pilastern tat sich ein prächtiges Gitter, in der Art jener zur Zeit Buffons für den Jardin des Plantes geschmiedeten, nach einem Stück Pflaster hin auf, das nach der Kantonalstraße führte, die ehedem sorgsam von Les Aigues und dem Hause Soulanges erhalten wurde, und die Conches, Gerneux, Blangy, Soulanges mit Ville-aux-Fayes wie durch eine Girlande verbindet, so sehr ist diese Straße von heckenumgürteten Erbgütern geschmückt und mit Häuschen mit Rosenstöcken, Geißblatt und Schlingpflanzen übersät.

Dort befanden sich längs einer koketten Mauer, die sich bis zu einer Wolfsfalle erstreckte, durch die der Blick vom Schloß aus über das Tal bis über Soulanges hinaus schweifte, der verfaulte Pfahl, das alte Rad und die gezähnten Pflöcke, welche die Werkstatt eines Dorfseilers bilden. Gegen halb eins, im Augenblick, wo Blondet sich dem Abbé Brossette gegenüber an eine Ecke des Tisches setzte und die liebenswürdigen Vorwürfe der Gräfin entgegennahm, langten Vater Fourchon und Mouche bei ihrer Werkstatt an. Unter dem Vorwande, Stricke herzustellen, überwachte Vater Fourchon von dort aus Les Aigues und konnte die Herrschaften ein- und ausgehen sehen. So entgingen weder die geöffneten Jalousien, noch die Spaziergänge zu zweit, noch der kleinste Zwischenfall im Schloßleben der Spionage des Alten, der sich erst seit drei Jahren als Seiler etabliert hatte, ein recht geringfügiger Umstand, welchen weder die Wächter von Les Aigues, noch die Dienerschaft, noch die Herrschaften bisher bemerkt hatten.

»Gehe durch das Avonnetor, während ich unser Zeug wegtun will,« sagte Vater Fourchon, »und wenn du ihnen die Sache vorgebetet hast, wird man mich zweifelsohne im ›Grand-I-vert‹ suchen, wo ich mich stärken will, denn das macht mir Durst, auf diese Weise am Wasser zu stehen! . . . Wenn du dich dort so aufführst, wie ich's gesagt habe, wirst du ihnen ein gutes Frühstück ablisten; versuche mit der Gräfin zu sprechen und spiele in der Weise auf mich an, daß ihnen der Gedanke kommt, mir ein Lied von ihrer Moral zu singen, was! . . . Einige Gläser guten Weins wird es da hinter die Binde zu gießen geben!«

Nach diesen letzten Anweisungen, die Mouches schlaue Miene fast überflüssig machten, verschwand der alte Seiler, seine Otter unter dem Arme tragend, auf der Bezirksstraße.

Auf halbem Wege von diesem hübschen Tore zum Dorf stand im Augenblick, wo Émile Blondet nach Les Aigues kam, eines jener Häuser, die man nur in Frankreich sieht, überall, wo Steine selten sind. Von allen Seiten zusammengetragene Ziegelstücke, dicke Kieselsteine, die wie Diamanten in eine tonige Erde eingefaßt waren, bildeten tüchtige, wiewohl brüchige Mauern; das Dach wurde von dicken Stangen gestützt und war mit Binsen und Stroh bedeckt. Die plumpen Fensterläden, die Tür, alles an dieser Hütte rührte von glücklichen Funden oder von Geschenken her, die man sich durch zudringliches Bitten verschafft hatte.

Der Bauer besitzt für seine Wohnung den Instinkt, den das Tier für sein Nest oder für sein Erdloch hat. Und dieser Instinkt schimmerte aus allen Anlagen dieser Hütte durch. Erstens gingen das Fenster und die Tür nach Norden. In dem Hause, das auf einer kleinen Erhöhung an der steinigsten Stelle eines Weinbergterrains stand, mußte gesundes Wohnen sein. Man ging auf drei Stufen hinan, die geschickt aus Pfählen, aus Planken und Steinen als Füllwerk hergestellt worden waren. Das Wasser lief also schnell ab. Zweitens konnte, da in Burgund der Regen selten von Norden kommt, keine Feuchtigkeit die Grundmauern, so leicht sie auch waren, faulen lassen. Unten, längs einem Fußsteig, machte sich ein bäuerlicher Pfahlzaun breit, der sich in einer Weißdorn- und Brombeerhecke verlor. Eine Weinlaube, unter der erbärmliche Tische im Verein mit plumpen Bänken die Vorübergehenden zum Sitzen einluden, nahm mit ihrem Gewirr den Raum ein, der die Hütte von der Straße trennte. Im Innern zeigte die Höhe der Böschung Rosen, Goldlack, Veilchen und alle die Blumen als Schmuck, die nichts kosten. Ein Geißblatt- und ein Jasminstock schmiegten ihre kleinen Zweige an das Dach an, welches trotz seines geringen Alters bereits mit Moos bedeckt war.

Rechts von seinem Hause hatte der Besitzer einen Stall für zwei Kühe angebaut. Vor diesem Gebäude aus schlechten Planken diente eine Fläche aus gestampftem Lehm als Hof, und in einem Winkel erblickte man einen umfangreichen Misthaufen. Auf der anderen Seite des Hauses und der Weinlaube erhob sich ein auf zwei Baumstämme sich stützender Schuppen mit Strohdach, unter dem sich die Gerätschaften der Weinbauern breitmachten, ihre leeren Fässer, aufgeschichtetes Bündelholz um den Buckel herum, welchen der Backofen bildete, dessen Mund sich in den Bauernhäusern fast stets unter dem Kaminmantel öffnet. Ans Haus stieß ein ein Arpent großer, mit einer lebenden Hecke umfriedigter Garten an, der voll Weinstöcke stand und gepflegt war, wie es die der Bauern sind, welche alle so gut düngen, absenken und umgraben, daß ihre Reben drei Meilen im Umkreise zuerst grünen. Einige Bäume, Mandeln, Pflaumen und Aprikosen, zeigten ihre schmalen Kronen da und dort in der Umfriedigung. Zwischen den Weinstöcken zog man meistens Kartoffeln oder Bohnen. Nach dem Dorf hin und hinter dem Hofe grenzte an diese Behausung noch ein kleiner, feuchter und niedriger beilförmiger Landstreif, der für Kohl- und Zwiebelzucht günstig war, den Lieblingsgemüsen der arbeitenden Klasse. Er wurde von einem weitgeflochtenen Gitter verschlossen, durch das sich die Kühe hindurcharbeiteten, indem sie den Boden aushöhlten und ihre breitgeklatschten Fladen dortließen.

Das aus zwei Räumen im Erdgeschoß bestehende Haus hatte seinen Ausgang nach dem Weinberg hin. Auf der Seite der Weinstöcke führte eine Holzrampe, die sich an die Hausmauer anlehnte und mit einer Strohbedeckung versehen war, nach dem Speicher, der durch ein Ochsenauge Licht bekam. Unter dieser ländlichen Treppe enthielt ein ganz aus Burgunder Ziegeln gemauerter Keller einige Stücke Wein. Obwohl das Küchengeschirr des Bauern gewöhnlich aus zwei Geräten besteht, in denen man alles macht, einer Pfanne und einem Eisenkessel, befanden sich in dieser Hütte zwei große Kasserolen, die unter dem Kaminmantel über einem kleinen tragbaren Ofen aufgehängt waren. Trotz diesem Symptom von Wohlhabenheit stand das Mobiliar im Einklänge mit dem Aeußeren des Hauses. So gab's, um Wasser zu fassen, einen großen irdenen Krug; als Geschirr Holz- oder Zinnlöffel, außen braune und innen weiße Tonteller, die aber abgestoßen und mit Eisenbändern ausgeflickt waren, endlich, um einen sehr soliden Tisch herum, Stühle aus weichem Holz und als Diele festgestampfte Erde. Alle fünf Jahre erhielten die Mauern einen Kalkmilchanstrich, desgleichen die dürftigen Deckenbalken, an denen Speck, Zwiebelbündel, Kerzenbündel und die Säcke hingen, in welche der Bauer sein Korn tut. Beim Backtrog bewahrte ein antiker Schrank aus altem Nußbaum den geringen Wäschevorrat, die Kleider zum Wechseln und die Feiertagsgewänder der Familie. Auf dem Kaminmantel glänzte eine alte Wilddiebsflinte. Keine fünf Franken würdet ihr für sie geben; das Holz ist fast verbrannt, der Lauf ist unansehnlich und scheint nicht geputzt. Ihr denkt, daß die Verteidigung einer Hütte ohne Riegel, deren äußere Tür im Pfahlwerk angebracht und niemals geschlossen ist, nichts Besseres verlangt, und werdet auch fragen, wozu eine solche Waffe nützen kann. Zunächst: wenn die Holzteile auch von üblicher Einfachheit sind, so stammt der Lauf, der sorgsam gewählt ist, doch von einer teuren Büchse, die gewiß irgendein Jagdaufseher hergeschenkt hat. Auch verfehlt der Besitzer dieser Flinte niemals sein Ziel. Es besteht zwischen seiner Waffe und ihm die intime Bekanntschaft, die der Arbeiter mit seinem Werkzeug hat. Ob man den Lauf einen Millimeter über oder unter das Ziel erheben muß, weil die Büchse um so viel zu hoch oder zu tief schießt, weiß der Wildschütz und gehorcht diesem Gesetz, ohne sich zu täuschen. Ferner würde ein Artillerieoffizier die wesentlichen Bestandteile der Waffe in gutem Zustande finden: nichts mehr und nichts weniger. In allem, was er sich zu eigen macht, in allem, was ihm dienen muß, entfaltet der Bauer die genügende Kraft; was nötig ist, verwendet er darauf und nichts darüber. Die äußerliche Vollkommenheit begreift er nie. Als untrüglicher Sachverständiger der Bedürfnisse in allen Dingen kennt er alle Grade von Kraftentfaltung und weiß, wenn er für den Bürger arbeitet, so wenig wie möglich für so viel wie möglich zu leisten. Kurz, diese elende Büchse hatte großen Einfluß auf die Existenz der Familie und ihr sollt gleich hören, warum.

Habt ihr auch wohl die tausend Einzelheiten dieser, fünfhundert Schritte von dem hübschen Tore von Les Aigues stehenden, Hütte erfaßt? Seht ihr sie da sich niederkauern wie einen Bettler vor einem Palaste? Nun, ihr mit sammetartigem Moos bedecktes Dach, ihre gackernden Hühner, ihr Schwein, das sich da wälzt, ihr umherlaufendes Kalb, alle diese ländlichen Poesien hatten einen schrecklichen Sinn. An der Pfahlwerktüre hing an einer großen Stange in einer gewissen Höhe ein welkes Bukett, das aus drei Kiefernzweigen und Eichenlaub bestand, die mit einem Fetzen zusammengebunden worden waren. Oberhalb der Tür hatte ein fremder Maler für ein Frühstück auf einer Tafel von zwei Fuß im Quadrat auf weißem Felde ein großes I in Grün gemalt und für die, welche zu lesen verstanden, dieses Wortspiel in zwölf Buchstaben: Au Grand-I-vert (hiver): Im tiefen Winter. Zur Linken der Tür leuchteten die lebhaften Farben des üblichen Plakats: Gutes Märzbier, wo zu beiden Seiten, einen überschäumenden Krug neben sich, eine Frau in einem allzu reichlich ausgeschnittenen Kleide und ein Husar, beide roh koloriert, sich spreizen. Trotz Blumen und Landluft strömte auch diese Hütte den starken und ekelhaften Wein- und Speisegeruch aus, der einen in Paris überfällt, wenn man an Vorstadtkneipen vorübergeht.

Die Lokalitäten kennt ihr nun. Jetzt zu den Lebewesen und ihrer Geschichte, die für Philanthropen mehr als eine Lektion enthält.

Der Besitzer des Grand-I-vert, mit Namen François Tonsard, empfiehlt sich der Aufmerksamkeit der Philosophen durch die Art und Weise, wie er das Problem des müßiggängerischen Lebens und des beschäftigten Lebens gelöst, indem er den Müßiggang ertragbringend und die Beschäftigung gleich Null zu machen gewußt hatte.

Als Gelegenheitsarbeiter wußte er das Land zu bestellen, aber nur für sich. Für andere Leute grub er Gräben, band er Reisholz zusammen, schälte oder fällte er Bäume. Bei solchen Arbeiten ist der Laie ganz auf den Arbeiter angewiesen. Tonsard verdankte seinen Flecken Landes Mademoiselle Laguerres Edelmut. Von frühester Jugend an stand Tonsard in Tagelohn bei dem Schloßgärtner, denn er hatte nicht seinesgleichen im Schneiden der Alleebäume, der Hainbuchen, der Hecken und der indischen Kastanienbäume. Sein Name Tonsard (Scheerer) kündet gleichsam ein angeerbtes Talent an. Tief in der Provinz gibt es Privilegien, die man mit ebensoviel Kunstgriffen erlangt und festhält wie sie die Handelstreibenden entfalten, um sich die ihrigen anzumaßen. Als Madame lustwandelte, hörte sie Tonsard, der ein schlanker, kräftiger junger Mann war, eines Tages sagen: »Gleichwohl würde mir ein Arpent Land zum Leben und zwar zum glücklichen Leben genügen.« Das gute Mädchen, welches ja gewohnt war, Männer glücklich zu machen, schenkte ihm diesen Arpent in einem Weinberg vor dem Blangytore gegen hundert Tage Arbeit (ein wenig verstandenes Zartgefühl!), indem sie ihm erlaubte, in Les Aigues zu bleiben, wo er mit den Schloßleuten zusammenlebte, denen er der beste Bursche von Burgund zu sein schien.

Dieser arme Tonsard (so nannte ihn jedermann) füllte von den hundert Tagen, die er schuldig war, dreißig mit Arbeit aus; den Rest der Zeit über bummelte er, indem er mit Madames Frauen und vor allem mit Mademoiselle Cochet, der Kammerfrau, schäkerte, wiewohl sie wie alle Kammerfrauen schöner Theaterdamen häßlich war. Das Lachen mit Mademoiselle Cochet hatte zur Folge, daß Soudry, der glückliche Gendarm, von dem in Blondets Briefe die Rede gewesen, Tonsard noch nach fünfundzwanzig Jahren schief ansah. Der Nußbaumschrank und das schöne Himmelbett, die Zierden des Schlafzimmers, waren zweifelsohne die Frucht irgendeines »Lächelns«.

Einmal im Besitz seines Feldes antwortete Tonsard dem ersten, der ihm sagte, daß Madame es ihm geschenkt:

»Sackerdi, teuer hab' ich's gekauft und teuer bezahlt. Schenken uns die feinen Leute jemals was? Ist eine Arbeit von hundert Tagen nichts wert? Das hat mich dreihundert Franken gekostet und ist ganz steinig!«

Diese Aeußerung war der unteren Volksschicht durchaus entsprechend. Tonsard baute sich dann das Haus selber; das Material dazu nahm er von hier und dort, ließ sich von dem einen oder anderen unter die Arme greifen, stahl im Schlosse abgelegte Sachen zusammen oder erbat sie sich und erhielt sie immer. Eine schlechte Flügeltür, die zertrümmert worden war, um fortgeschafft zu werden, wurde die des Stalls. Die Ueberreste des Schlosses dienten also dazu, diese verhängnisvolle Hütte aufzubauen.

Vor der Aushebung durch Gaubertin gerettet, den Verwalter von Les Aigues, dessen Vater Bezirksstaatsanwalt war, und der überdies Mademoiselle Cochet nichts abschlagen konnte, verheiratete Tonsard sich, sobald sein Haus fertig und sein Weinberg instand gesetzt war. Ein Bursche von dreiundzwanzig Jahren, in Les Aigues wie zu Hause, besaß dieser Schelm, dem Madame eben einen Arpent Land geschenkt hatte, und der ein tüchtiger Arbeiter zu sein schien, die Kunst, alle seine negativen Werte hinauszuposaunen, und er erhielt die Tochter eines Pächters der Besitzung Ronquerolles, die oberhalb des Waldes von Les Aigues lag.

Dieser Pächter hatte einen halben Pachthof inne, der in Ermangelung einer Pächterin unter seinen Händen verfiel. Als untröstlicher Witwer versuchte er seinen Kummer nach englischer Manier im Weine zu ersäufen; doch, als er nicht mehr an seine arme liebe Entschlafene dachte, fand er sich, einem Dorfscherz zufolge, mit der Flasche verheiratet. In kurzer Zeit ward aus dem Pächter-Schwiegervater wieder ein Arbeiter, aber ein trunksüchtiger, fauler, boshafter und tückischer Arbeiter, der zu allem fähig war, wie eben Leute aus dem Volke, die aus einer gewissen Wohlhabenheit ins Elend zurücksinken. Dieser Mann, den seine praktischen Kenntnisse – außerdem verstand er sich auf Lesen und Schreiben – über andere Arbeiter stellten, den seine Laster jedoch Bettlern gleichstellten, hatte sich eben, wie man gesehen hat, an den Ufern der Avonne mit einem der geistreichsten Männer von Paris in einer von Vergil vergessenen Bucolica gemessen.

Vater Fourchon, der zuerst Schulmeister in Blangy wurde, verlor seine Stelle um seiner schlechten Aufführung und seiner Ansichten über öffentliche Erziehung willen. Er half den Kindern viel lieber Schiffchen und Püppchen aus ihren Abcbüchern zu machen, als sie lesen zu lehren, er tadelte sie so seltsam, wenn sie Obst stibitzt hatten, daß seine Ermahnungen für Lehren durchgehen konnten, auf welche Weise man die Mauern zu übersteigen habe. Man zitiert noch in Soulanges seine Antwort an einen kleinen Jungen, der zu spät gekommen war und sich folgendermaßen entschuldigte:

»Verzeihung, Herr Lehrer, ich hab' use Perd zur Tränke geführt!«

»Unser Pferd heißt's, Perdshöttel du!«

Vom Lehrer sank er zum Landbriefträger herunter. Auf diesem Posten, der so vielen alten Soldaten eine Zuflucht bietet, bekam er alle Tage Verweise. Entweder ließ er die Briefe in den Wirtschaften liegen, oder hob sie bei sich auf. Wenn er betrunken war, brachte er die Pakete für die eine Gemeinde in die andere, und wenn er nüchtern war, las er die Briefe durch. Er ward also schnell abgesetzt. Da er im Staate nichts sein konnte, war Vater Fourchon schließlich Gewerbetreibender geworden. Auf dem Lande üben die armen Leute irgendein Gewerbe aus; alle schützen sie eine anständige Existenz vor. Im Alter von achtundsechzig Jahren fing der Greis eine Seilerei im kleinen an, eines jener Gewerbe, die ein Minimum an Einlagekapital verlangen. Die Werkstatt ist, wie man gesehen hat, die nächstbeste Mauer, die Werkzeuge sind kaum zehn Frank wert, der Lehrling schläft wie sein Meister in einer Scheune und lebt von dem, was er zusammenrafft. Die Raubsucht des Türen und Fenster besteuernden Gesetzes erlischt sub die. Man leiht sich das Rohmaterial, um es verarbeitet zurückzugeben. Die Haupteinnahmequelle des Vaters Fourchon und seines Lehrlings Mouche, des natürlichen Sohnes einer seiner natürlichen Töchter, bildete jedoch seine Otternjagd; die Frühstücksbrote und Mittagessen gaben ihnen die Leute, welche, da sie weder zu lesen noch zu schreiben verstanden, Vater Fourchons Talente ausnutzten, falls es einen Brief zu beantworten oder eine Rechnung auszustellen gab. Endlich verstand er die Klarinette zu spielen und unterstützte einen seiner Freunde, namens Vermichel, den Fiedler von Soulanges, bei den Dorfhochzeiten oder den großen Balltagen im Tivoli von Soulanges. Vermichel hieß Michel Vert; doch das mit seinem richtigen Namen vorgenommene Wortspiel wurde so allgemein gebräuchlich, daß Brunet, der Gerichtsdiener des Friedensgerichts von Soulanges, in seine Akten setzte: »Michel-Jean-Jérôme Vert genannt Vermichel, Sachverständiger.« Vermichel, einem sehr ausgezeichneten Violinisten des alten Regiments von Burgund, hatte Vater Fourchon aus Dankbarkeit für die Dienste, die er ihm geleistet, diese Sachverständigenstelle verschafft, eine Pfründe, die jedem Menschen auf dem Lande zufällt, der seinen Namen zu schreiben versteht. Vater Fourchon diente also als Zeuge oder Sachverständiger in den richterlichen Akten, wenn Sieur Brunet in den Gemeinden von Cerneux, Conches und Blangy Urkunden ausstellte. Vermichel und Fourchon, die durch eine Freundschaft miteinander verbunden waren, welche zwanzig Flaschenjahre zählte, bildeten beinahe eine Firma.

Mouche und Fourchon, durch das Laster aneinandergeschweißt, wie es ehedem Mentor und Telemach durch die Tugend waren, reisten wie sie auf der Suche nach ihrem Brote, dem panis angelorum, den einzigen lateinischen Worten, die im Gedächtnis der alten Bauern haften geblieben waren. Sie bettelten um die Speisereste im Grand-I-vert und um die der benachbarten Schlösser; denn in den beschäftigtsten, blühendsten Jahren hatten sie zu zweit niemals durchschnittlich dreihundertsechzig Ellen Leine herstellen können. Erstens würde kein Kaufmann im Umkreis von zwanzig Meilen weder Fourchon noch Mouche Werg anvertraut haben. Der Alte, der den Wundern der modernen Chemie zuvorkam, verstand Werg nur allzugut in gesegneten Rebensaft umzuwandeln. Zweitens schadete, wie er sagte, seine dreifache Funktion als öffentlicher Schreiber dreier Gemeinden, als Sachverständiger des Friedensgerichts und als Klarinettenspieler den Entwicklungen seines Handels.

So wurde Tonsard gleich zu Anfang in seiner liebsten Hoffnung betrogen, durch die Vermehrung seiner Besitztümer einen gewissen Wohlstand zu erlangen. Der faule Schwiegersohn traf durch einen gewöhnlichen Zufall auf einen nichtstuenden Schwiegervater. Die Geschäfte mußten um so schlechter gehen, als die Tonsard, die mit einer Art von ländlicher Schönheit begabt, groß und wohlgebaut war, unter freiem Himmel nicht zu arbeiten liebte. Tonsard zankte mit seiner Frau über den väterlichen Bankrott und mißhandelte sie aus Rache, wie das beim Volke üblich ist, dessen Augen, die sich einzig mit der Wirkung befassen, selten bis zur Ursache vordringen.

Als das Weib seine Kette als drückend empfand, wünschte es sie sich zu erleichtern. Sie bediente sich Tonsards Laster, um ihn nach ihrem Willen zu lenken. Als eine ihre Bequemlichkeit liebende Feinschmeckerin unterstützte sie die Faulheit und Leckerhaftigkeit des Mannes. Zuerst wußte sie sich die Gunst der Schloßleute zu verschaffen, ohne daß Tonsard ihr die Mittel vorwarf, da er ja die Resultate sah. Er beunruhigte sich herzlich wenig über das, was seine Frau tat, vorausgesetzt, daß sie alles tat, was er wollte. Das ist der Geheimvertrag der Hälfte der Ehen. Die Tonsard schuf also die Weinschenke zum Grand-I-vert, deren erste Besucher die Leute von Les Aigues, die Wärter und die Jäger waren.

Gaubertin, Mademoiselle Laguerres Haushofmeister, war einer der ersten Kunden der schönen Tonsard und schenkte ihr einige Stücke ausgezeichneten Weins, um das Geschäft in Gang zu bringen. Die Wirkung dieser Geschenke, die, solange der Verwalter Junggeselle war, sich von Zeit zu Zeit wiederholten, und der Ruf der wenig spröden Schönheit, welche die Don Juans des Tales auf das Weib aufmerksam machten, führten dem Grand-I-vert Gäste zu. In ihrer Eigenschaft als Feinschmeckerin wurde die Tonsard eine ausgezeichnete Köchin, und obwohl ihre Talente sich nur an landesüblichen Gerichten, an Hasenpfeffer, Wildbretsaucen, an der Matelote und Omeletts übten, galt sie im ganzen Lande als beste Köchin dieser Speisen, welche man so zwischendurch ißt und die so übermäßig gewürzt sind, daß sie zum Trinken reizen. In zwei Jahren hatte sie die Herrschaft über Tonsard errungen und trieb ihn einer üblen Neigung in die Arme, der er sich mit Freuden hingab.

Der Halunke wilderte ständig, ohne etwas befürchten zu müssen. Die Liebschaften seiner Frau mit dem Haushofmeister Gaubertin, mit den Privatwächtern und den ländlichen Autoritäten und die Nachlässigkeit der Zeit schützten ihn vor Strafe. Sobald seine Kinder groß genug waren, machte er sie zu Werkzeugen seines Wohlstandes, ohne sich in bezug auf ihre Moral bedenklicher zu zeigen als in bezug auf die seiner Frau. Er hatte zwei Töchter und zwei Söhne. Tonsard, der wie sein Weib in den Tag hinein lebte, würde sein frohes Leben haben zur Neige gehen sehen, wenn er bei sich nicht ständig an dem quasi Kriegsgesetze, an der Erhaltung seines Wohlstandes zu arbeiten, festgehalten hätte, an dem seine Familie übrigens teilhatte. Wenn seine Familie auf Kosten derer erzogen wurde, denen seine Frau Geschenke abzulisten wußte, so waren folgendes der Freibrief und das Budget des Grand-I-vert:

Tonsards alte Mutter und seine beiden Töchter, Cathérine und Marie, gingen ständig ins Holz und kamen zweimal täglich gebeugt unter der Last eines Bündels zurück, das bis zu ihren Knöcheln hinunterging und ihren Kopf um zwei Fuß überragte. Obwohl es äußerlich aus trocknem Holz bestand, bildete das Innere doch grünes Holz, das häufig unter den jungen Bäumen abgeschnitten war. Tonsard nahm sein Holz für den Winterbedarf buchstäblich aus den Wäldern von Les Aigues. Vater und beide Söhne wilderten fortgesetzt. Von September bis März schossen sie Hasen, Kaninchen, Rebhühner, Krammetsvögel, Rehböcke; alles Wild, das man nicht im Hause verbrauchte, verkaufte man in Blangy und der kleinen Stadt Soulanges, dem Bezirkshauptorte, wohin die beiden Tonsardtöchter Milch lieferten und von wo sie täglich die Neuigkeiten mitbrachten, und dort die von Les Aigues, Cerneux und Conches auftischten. Wenn man nicht mehr jagen konnte, legten die drei Tonsards Schlingen. Wenn die Schlingen überreich lieferten, machte die Tonsard Pasteten, die man in Ville-aux-Fayes absetzte. In der Erntezeit lasen die sieben Tonsards: die Alte, die beiden Jungen, solange sie nicht siebzehn Jahre alt waren, die beiden Töchter, der alte Fourchon und Mouche Aehren nach und rafften fast sechzehn Scheffel täglich zusammen, indem sie Roggen, Gerste, Weizen, alles gut zu mahlende Getreide stoppelten. Die beiden Kühe, die anfänglich von der jüngsten der Töchter längs der Straßen geweidet wurden, entwischten die meiste Zeit in die Wiesen von Les Aigues. Da aber bei dem geringsten Delikt, das zu sehr ins Auge sprang, als daß der Wächter umhin konnte, es festzustellen, die Kinder entweder verprügelt wurden oder irgendwelcher Leckereien verlustig gingen, so hatten sie sich eine merkwürdige Fähigkeit erworben, die feindlichen Schritte zu hören, und wurden fast nie von den Flurschützen oder dem Wächter von Les Aigues ertappt Im übrigen machte diese würdigen Beamten ihr vertrauter Umgang mit Tonsard und seinem Weibe blind. Die Tiere, die an langen Stricken geführt wurden, gehorchten um so lieber einem einzigen Aufforderungszeichen, einem besonderen Ruf, die sie auf den Gemeindeboden zurückführten, als sie wußten, daß sie nach bestandener Gefahr ihre Mahlzeit beim Nachbar fortsetzen konnten. Die alte Tonsard, die immer hinfälliger wurde, war Mouches Nachfolgerin geworden, seitdem Fourchon seinen natürlichen Enkel unter dem Vorwande, für seine Erziehung zu sorgen, bei sich hatte. Marie und Cathérine holten Grünfutter aus dem Walde. Sie hatten dort Plätze entdeckt, wo das so schöne und zarte Waldheu wuchs, das sie mähten, trockneten, bündelten und einscheuerten; dort fanden sie zwei Drittel der Winternahrung für die Kühe, die man im übrigen an schönen Tagen an bekannten Stellen weiden ließ, wo Futter wuchs. An bestimmten Stellen des Tals von Les Aigues gibt es wie in allen von Gebirgsketten beherrschten Landstrichen Grundstücke, wo, wie in Piemont und in der Lombardei, im Winter Grün sprießt. Diese in Italien marciti genannten Wiesen sind sehr wertvoll, in Frankreich aber haben sie weder allzuviel Eis noch allzuviel Schnee nötig. Dieses Phänomen ergibt sich jedenfalls aus einer besonderen Lage und aus dem Einsickern der Wassermengen, die eine warme Temperatur bewahren.

Die beiden Kälber brachten etwa achtzig Franken ein. Abzüglich der Zeit, wo die Kühe nährten oder kalbten, trug die Milch gegen hundertsechzig Franken ein; und sie sorgten überdies für den Milchbedarf des Hauses. Tonsard verdiente ferner fünfzig Taler durch Tagelöhnerarbeit, die er hier und dort leistete.

Aus Speise- und Weinverkauf ergaben sich, alle Unkosten abgezogen, hundert Taler, denn die kleinen Schmausereien fanden eigentlich nur hier und da zu bestimmten Zeiten und während bestimmter Jahreszeiten statt. Ueberdies benachrichtigten die Leute, die dort feiern wollten, die Tonsard und ihren Ehemann, welche dann das bißchen Fleisch und die nötigen Einkäufe in der Stadt besorgten. Der Wein aus Tonsards Weinberg wurde bei gewöhnlichem Jahresertrage zu zwanzig Franken exklusive Faß an einen Schenkenwirt in Soulanges, mit dem Tonsard in Geschäftsbeziehungen stand, verkauft. In bestimmten ertragreichen Jahren erntete Tonsard zwölf Stück auf seinem Arpent; eine Mittelernte aber brachte acht Stück und die Hälfte davon behielt Tonsard für sein Geschäft. In Weinländern bringt die Nachlese in den Weinbergen die Hallebotage mit sich. Durch die Hallebotage erntete die Familie etwa drei Stück Wein. Doch im Schutze der Gebräuche führte die Familie sich wenig gewissenhaft auf: sie ging in die Weinberge, ehe die Winzer sie verlassen hatten, ebenso wie sie sich auf die Getreidefelder stürzte, wenn die aufgehäuften Garben der Wagen harrten. So wurden die zur Hälfte geernteten und zur Hälfte aus der Nachlese gewonnenen sieben oder acht Stück Wein zu einem guten Preise verkauft. Doch auf Kosten dieser Summe erlitt das Grand-I-vert Einbußen, die sich aus dem Verbrauch Tonsards und seiner Frau ergaben, welche alle beide gewohnt waren, die besten Bissen zu essen, besseren Wein als den zu trinken, welchen sie verkauften und der ihnen als Bezahlung für den ihrigen von ihrem Geschäftsfreunde in Soulanges geliefert wurde. Die von der Familie gewonnene Geldsumme belief sich also auf ungefähr neunhundert Franken, denn sie machten auch noch jährlich zwei Schweine, eins für sich und eins zum Verkaufen, fett.

Die Arbeiter, die üblen Subjekte des Landes, faßten mit der Zeit eine Vorliebe für die Schenke des Grand-I-vert, ebensosehr wegen der Talente der Tonsard wie wegen der Kameradschaft, die zwischen der Familie und dem gewöhnlichen Volke des Tales bestand. Die beiden Töchter – alle beide waren sie auffallend schön – setzten die Sitten ihrer Mutter fort. Schließlich verlieh das Alter dem Grand-I-vert, das aus dem Jahre 1795 stammte, auf dem Lande einen Nimbus. Von Conches bis nach Ville-aux-Fayes kamen die Arbeiter dorthin, um ihre Käufe abzuschließen und dort die Neuigkeiten zu hören, die von Tonsards Töchtern aus ihm, aus Mouche und Fourchon herausgeholt oder von Vermichel und von Brunet ausgeplaudert wurden, dem renommiertesten Gerichtsdiener in Soulanges, wenn er seinen Sachverständigen dort besuchte. Dort wurden die Preise für Heu, Wein, die für Tages- und Akkordarbeiten festgesetzt. Tonsard, ein unübertrefflicher Beurteiler dieser Dinge, gab dort, indem er mit den Trinkern anstieß, Gutachten ab. Soulanges war, wie man in der Gegend sagte, lediglich eine Gesellschaftsstadt, wo man sich amüsierte; und Blangy war Handelsstadt, die nichtsdestoweniger von dem großen Zentrum: Ville-aux-Fayes unterdrückt wurde, das in fünfundzwanzig Jahren die Hauptstadt dieses herrlichen Tales geworden war. Der Vieh- und Getreidemarkt behauptete seinen Platz in Blangy und seine Preise dienten der Provinz als Marktbericht.

Da die Tonsard sich im Hause hielt, war sie frisch, weiß und rundlich geblieben, im Gegensatze zu den Bauernweibern, die ebenso schnell wie Blumen verblühen und mit dreißig Jahren bereits alt sind. Auch zog die Tonsard sich gern gut an. Sie war zwar nur sauber; doch wird Sauberkeit auf dem Lande für Luxus gehalten. Die Töchter, die besser gekleidet waren, als es ihrer Armut entsprach, folgten dem mütterlichen Beispiel. Unter ihrem, relativ fast eleganten Mieder trugen sie feinere Leibwäsche, als die reichsten Bäuerinnen sie hatten. An Feiertagen zeigten sie sich in hübschen Kleidern, die sie sich, Gott weiß wie, verdient hatten! Die Dienerschaft von Les Aigues verkaufte ihnen zu erschwinglichen Preisen den Plunder der Kammerfrauen, der über die Pariser Straßen gefegt war und, zu Maries und Cathérines Benutzung wieder aufgefrischt, sich triumphierend unter dem Wirtshausschilde des Grand-I-verts breitmachte. Die beiden Mädchen, die Bummlerinnen des Tales, erhielten nicht einen Heller von ihren Eltern, die ihnen einzig die Nahrung gaben, und schliefen mit ihrer Großmutter in elend schlechten Betten auf dem Speicher, wo auch ihre Brüder, wie Tiere in dasselbe Heu gekauert, schliefen. Weder Vater noch Mutter dachten sich etwas bei dieser Vermischung.

Das eiserne und goldene Zeitalter ähneln sich mehr, als man denkt. Im einen hat man auf nichts, im anderen auf alles acht; für die Gesellschaft ist das Resultat vielleicht dasselbe. Die Anwesenheit der alten Tonsard, die mehr nach Notwendigkeit als nach Bürgschaft aussah, war eine Unmoralität mehr.

So sagte der Abbé Brossette, nachdem er die Sitten seiner Pfarrkinder studiert hatte, zu einem Bischof:

»Wenn man sieht, Hochwürden, wie die Bauern ihr Elend ausnützen, errät man, daß sie zittern, den Vorwand zu ihren Zügellosigkeiten zu verlieren.«

Wiewohl jedermann wußte, wie wenig Grundsätze und Skrupeln sich diese Familie machte, fand kein Mensch an den Sitten des Grand-I-verts etwas zu tadeln. Zu Beginn dieser Szene muß man den an die Moral der Bürgerfamilien gewöhnten Leuten ein für allemal erklären, daß Bauern, was häusliche Sitten anlangt, kein Zartgefühl besitzen. Wird eine ihrer Töchter verführt, so berufen sie sich auf Moral nur, wenn der Verführer reich und ängstlich ist. Bis ihnen der Staat die Kinder nimmt, bilden sie Kapitalien oder Werkzeuge des Wohlstandes für sie. Besonders seit 1789 ist Eigennutz die einzige Triebfeder ihrer Gedanken geworden; bei ihnen handelt es sich nie darum zu wissen, ob eine Handlung gesetzlich oder unanständig, sondern ob sie einträglich ist. Die Moralität, die man nicht mit Religion verwechseln darf, beginnt beim Wohlstande; wie man in der höheren Sphäre Zartgefühl in der Seele blühen sieht, wenn das Glück das Mobiliar vergoldet hat. Der durchaus rechtschaffene und moralische Mensch ist im Bauernstande eine Ausnahme. Neugierige werden fragen warum. Von allen Gründen, die man für diesen Status der Dinge angeben kann, ist folgender der Hauptsächlichste: Dank der Natur ihrer sozialen Funktionen leben die Bauern ein rein materielles Leben, das dem wilden Zustande nahekommt, zu dem sie ihre ständige Vereinigung mit der Natur einladet. Wenn die Arbeit den Körper bedrückt, nimmt sie dem Gedanken, besonders bei unwissenden Leuten, seine reinigende Wirkung. Kurz, für die Bauern ist, wie Abbé Brossette sagte, ihr Elend ihre Staatsräson.

In alle Interessen verwickelt, hörte Tonsard die Klagen eines jeden an und veranlaßte die Bedürftigen zu nützlichen Betrügereien. Das Weib, anscheinend eine gutmütige Person, unterstützte die Uebeltäter des Landes durch Stichelreden und verweigerte ihnen niemals weder ihren Beifall, noch ihren Praktiken – was sie auch immer gegen den Bourgeois taten – Hilfeleistungen. In dieser Schenke, einem wahren Vipernneste, erhielt sich also, lebhaft und giftig, hitzig und tätig der Haß des Proletariers und des Bauern gegen den Herrn und den Reichen.

Das glückliche Leben der Tonsards gab damals ein sehr übles Beispiel. Jeder fragte sich, warum nicht wie die Tonsards aus den Wäldern von Les Aigues sein Holz für den Backofen, für die Küche und für die Winterheizung holen? Warum dort nicht das Futter für eine Kuh erraffen und wie sie Wildpret zum Essen und zum Verkaufen finden? Warum nicht wie sie bei der Ernte auf dem Felde und im Weinberge ernten, ohne zu säen? So artete der heimliche Raub, der Wälder bestiehlt, der Fluren, Wiesen und Weinberge zehntet, in den Gemeinden von Blangy, Conches und Gerneux, über die sich die Domäne Les Aigues erstreckte, prompt in Recht aus. Aus Gründen, die später am geeigneten Orte gesagt werden sollen, traf diese Plage sehr viel mehr die Besitzung Les Aigues als die Güter Ronquerolles und Soulanges. Glaubt übrigens nur ja nicht, daß Tonsard, sein Weib, seine Kinder und seine alte Mutter sich mit Vorbedacht gesagt hätten: »Wir wollen von Diebstählen leben und sie geschickt anstellen.« Diese Gewohnheiten waren langsam ins Große gegangen. Ins trockene Holz schmuggelte die Familie ein bißchen grünes Holz, dann kühner geworden durch Gewohnheit und eine berechnete Straflosigkeit, die für die Pläne, welche unsere Geschichte enthüllen soll, notwendig war, war sie in zwanzig Jahren dahin gekommen, »ihr« Holz zu holen und fast »ihren« ganzen Lebensunterhalt zu stehlen. Die Weidenutzung der Kühe, der Mißbrauch des Aehrenlesens und der Hallebotage kamen also allmählich auf. Man kann sich denken, daß, als die Familie und die Nichtstuer des Tals einmal die Wohltaten dieser vier von den Armen des Landes erlangten Rechte genossen hatten, die Bauern nur durch eine ihrer Unverschämtheit überlegene Macht gezwungen werden konnten, darauf zu verzichten.

Im Augenblick, wo diese Geschichte anhebt, verbarg der etwa fünfzigjährige Tonsard, ein starker und großer, mehr fetter als magerer Mann mit krausen schwarzen Haaren, von tiefdunkler Gesichtsfarbe, die wie ein Backstein in blaßvioletten Tönen marmoriert war, mit orangegelben Augen, abstehenden, breit besäumten Ohren, von einer muskulösen Konstitution, die aber eingepackt war in ein wabbliges, trügerisches Fleisch, mit einer plattgedrückten Stirn, hängender Unterlippe, seinen wahren Charakter unter einer Stupidität, in die sich die Blitze einer Erfahrung mischten, die um so mehr dem Verstand ähnelte, als er sich in seines Schwiegervaters Gesellschaft eine – um einen Ausdruck aus Vermichels und Fourchons Wörterbuch zu gebrauchen – Frozzelsprache angewöhnt hatte. Seine Nase, die an der Spitze plattgedrückt war, wie wenn der Finger Gottes ihn hätte zeichnen wollen, verlieh ihm eine Stimme, die aus dem Gaumen hervorging, wie bei all jenen Leuten, die eine Krankheit entstellt hat, welche die Nasengänge verengert, durch die die Luft dann nur mühsam austritt.

Seine vorstehenden oberen Zähne ließen jenen nach Lavater schrecklichen Fehler um so mehr hervortreten, als sie weiß waren wie die eines Hundes. Mit der höhnischen Biederkeit des Nichtstuers und dem Sichgehenlassen eines herumzechenden Landmannes hätte dieser Mann auch die harmlosesten Gemüter erschreckt.

Wenn Tonsards Porträt, wenn die Beschreibung seiner Schenke, die seines Schwiegervaters in erster Linie erscheinen, so glaubt bitte, daß dem Manne, der Wirtschaft und der Familie dieser Platz gebührt. Erstens ist diese so peinlich genau geschilderte Existenz für die typisch, welche tausend andere im Tale von Les Aigues führen. Ferner hatte Tonsard, ohne etwas anderes als das Instrument aktiver und tiefer Haßgefühle zu sein, einen ungeheuren Einfluß auf die Schlacht, die geliefert werden soll, denn er war der Ratgeber aller Kläger der unteren Klasse. Wie man sehen wird, diente seine Kneipe den Angreifern als Stelldicheinsort, ebenso wie er ihr Oberhaupt wurde, infolge des Schreckens, den er dem Tale, weniger durch seine Handlungen als durch das einjagte, was man ständig von ihm gewärtig war. Da die Drohung dieses Wilddiebs ebenso gefürchtet war wie die Tat, so hatte er es nie nötig gehabt, eine in Ausführung zu bringen.

Jede offene oder geheime Revolte hat ihr Banner. Das Banner der Plünderer, Nichtstuer, der Trinker war also die schreckliche Stange des Grand-I-vert. Man amüsierte sich dort, was man auf dem Lande ebenso gern tut und ebenso selten kann, wie in der Stadt. Ueberdies gab es auf einer Bezirksstraße von vier Meilen, die beladene Wagen bequem in drei Stunden zurücklegten, keine Kneipen; so hielten denn auch alle Leute, die von Conches nach Ville-aux-Fayes gingen, am Grand-I-Vert Einkehr, und sei es auch nur, um sich zu erfrischen. Endlich kamen auch der Müller von Les Aigues, welcher dem Bürgermeister beigeordnet war, und seine Burschen dahin. Selbst die Diener des Generals verschmähten die Wirtschaft, der Tonsards Töchter Anziehungskraft verliehen, nicht, so daß das Grand-I-Vert unterirdisch mit dem Schlosse durch seine Leute in Verbindung stand und alles davon erfuhr, was sie wissen konnten. Ein Ding der Unmöglichkeit ist's, durch Wohltat oder durch Interesse das ewige Unter-der-Decke-stecken der Dienerschaft mit dem Volke zu verhindern. Domestiken rekrutieren sich aus dem Volke, sie bleiben mit ihm verbunden. Diese furchtbare Kameradschaft erklärt bereits die absichtliche Verschweigung, die in dem letzten Worte lag, welches Charles, der Lakai, zu Blondet an der Freitreppe gesagt hatte.


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