Honoré de Balzac
Die Bauern
Honoré de Balzac

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII

Der Landwucherer

Strategisch genommen, war Rigou in Blangy das, was im Kriege ein vorgeschobener Posten ist: er überwachte Les Aigues, und niemals wahrlich wird die Polizei Spione haben, die denen vergleichbar sind, welche sich in den Dienst des Hasses stellen.

Bei der Ankunft des Generals in Les Aigues baute Rigou zweifelsohne einen Plan auf ihm auf, den Montcornets Heirat mit einer Troisville zum Scheitern brachte; denn er hatte, wie es schien, den Großgrundbesitzer protegieren wollen. Seine Absichten waren damals so offenbar, daß Gaubertin es für nötig erachtete, ihm einen Gewinnanteil zu versprechen, indem er ihn in die gegen Les Aigues angezettelte Verschwörung einweihte. Ehe Rigou diesen Gewinnanteil und eine Rolle in der Sache annahm, wollte er den General, wie er sagte, in die Enge treiben.

Als die Gräfin eingetroffen war, hielt eines schönen Tages ein kleiner grüner Korbwagen im Schloßhofe von Les Aigues. Der Herr Bürgermeister mit seiner Bürgermeisterin neben sich stieg aus und kam die Gartentreppe herauf. Rigou bemerkte die Gräfin an einem Fenster. Dem Bischof, der Kirche und dem Abbé Brossette völlig ergeben, welch letzterer eiligst vor seinem Feinde gewarnt hatte, ließ die Gräfin durch François sagen, die gnädige Frau sei nicht zu Hause.

Diese einer in Rußland geborenen Frau würdige Ungehörigkeit färbte des Benediktiners Gesicht gelb. Wenn die Gräfin so neugierig gewesen wäre, den Mann zu sehen, von dem der Pfarrer sagte: »Er ist ein Verdammter, der sich zur Abkühlung in die Schlechtigkeit taucht, wie in ein Bad!« würde sie es vielleicht vermieden haben, zwischen dem Bürgermeister und dem Schlosse den eisigen und berechneten Haß zu stellen, den die Liberalen den Royalisten gegenüber empfinden, einen Haß, der vermehrt wurde durch nachbarliche Reibereien, wobei die Erinnerung an eine gekränkte Eigenliebe stets von neuem lebendig wird.

Einige Einzelheiten über diesen Mann und seine Sitten werden das Verdienst haben, indem sie seine Teilnahme an dem von seinen beiden Bundesgenossen eine Hauptaktion genannten Komplott aufhellen, einen außerordentlich interessanten Typus zu schildern, nämlich den ländlicher Existenzen, die Frankreich eigentümlich sind; einen Typus, den noch kein Pinsel festzuhalten versucht hat. Uebrigens ist an diesem Menschen nichts gleichgültig, weder sein Haus noch seine Weise, das Feuer anzublasen, noch seine Art zu essen; seine Sitten, seine Meinungen, alles wird der Geschichte dieses Tales mächtig zustatten kommen. Dieser Renegat gibt endlich den Nutzen der Demokratie zu erkennen, deren Theorie und Praxis, Alpha und Omega, deren höchster Grad er ist.

Ihr erinnert euch vielleicht gewisser, schon in einigen früheren Szenen geschilderter Meister des Geizes? Zuerst des Provinzgeizhalses, des Vaters Grandet in Saumur, der geizig war wie ein Tiger grausam ist, dann des Halsabschneiders Gobseck, des Jesuiten des Goldes, dessen Macht allein er kostete und sich an den Tränen des Unglücks labte, dann des Barons von Nucingen, der die Geldschiebereien bis zur Staatsaktion erhob. Endlich erinnert ihr euch zweifelsohne jenes Portraits der häuslichen Knickerei, des alten Hochon von Issoudun, und jenes anderen Geizhalses aus Familiensinn, des kleinen la Baudraye aus Sancerre? Nun wohl, die menschlichen Gefühle, und vor allem der Geiz, haben so verschiedene Abstufungen in den verschiedenen Lebenskreisen unserer Gesellschaft, daß noch ein Geizhals auf den Brettern des Theaters unserer Sittenstudien übrig blieb. Rigou blieb übrig! Der egoistische, das heißt, der seine Genüsse hätschelnde Geizhals, der anderen gegenüber nüchtern und kalt ist, endlich der geistliche Geizhals, der Mönch geblieben, Mönch, um den Wohlleben genannten Zitronensaft auszupressen, und Weltgeistlicher geworden ist, um Staatsgelder wegzuschnappen. Setzen wir zuerst das andauernde Glück auseinander, das er darin fand, unter eigenem Dach und Fach zu schlafen.

Blangy, das heißt die sechzig von Blondet in seinem Briefe an Nathan beschriebenen Häuser, ist auf einer Bodenerhöhung auf der linken Seite der Thune gelegen. Da alle Häuser dort von Gärten umgeben sind, bietet das Dorf einen reizenden Anblick. Einige Häuser liegen längs des Wasserlaufs. Auf dem höchsten Punkte dieses ausgedehnten Erdhügels befindet sich die Kirche, einstmals mit ihrem Pfarrhaus zur Seite, deren Friedhof, wie das bei vielen Dörfern der Fall ist, die Kirchenfront umgibt.

Der gottvergessene Rigou hatte es nicht unterlassen, dies Pfarrhaus zu kaufen, das vordem von der guten Katholikin Mademoiselle Choin auf einem eigens dazu von ihr erstandenen Stück Boden erbaut worden war. Ein sich abstufender Garten, von dem aus das Auge über die Ländereien von Blangy, Soulanges und Cerneux schweifte, trennte das alte Pfarrhaus von der Kirche. Auf der entgegengesetzten Seite zog sich eine Wiese hin, die von dem letzten Pfarrer kurz vor seinem Tode erworben und von dem mißtrauischen Rigou mit einer Mauer umgeben worden war.

Da der Bürgermeister sich geweigert hatte, dem Pfarrhaus seine ursprüngliche Bestimmung wieder zu geben, hatte die Gemeinde sich genötigt gesehen, ein bei der Kirche gelegenes Bauernhaus zu kaufen. Man mußte fünftausend Franken ausgeben, um es zu vergrößern, wieder herzurichten und einen kleinen Garten hinzuzufügen, dessen Mauer die Sakristei bildete, so daß wie früher die Verbindung zwischen Pfarrhof und Kirche wieder hergestellt war.

Diese beiden Häuser, die in einer Linie mit der Kirche gebaut worden waren, mit welcher sie durch ihre Gärten verbunden zu sein schienen, blickten auf eine baumbestandene Fläche, die um so besser dem Marktplatz von Blangy bildete, als der Graf der neuen Pfarre gegenüber ein Gemeindehaus erbauen ließ, das dazu bestimmt war, die Bürgermeisterei, die Wohnung des Flurwächters und jene vom Abbé Brossette so vergeblich geforderte Schule der Brüder vom Orden der christlichen Lehre zu bilden. So waren nicht nur die Häuser des ehemaligen Benediktiners und des jungen Priesters, durch sie ebensowohl getrennt wie vereinigt, mit der Kirche verwachsen, sondern sie überwachten einander noch obendrein. Das ganze Dorf belauerte übrigens den Abbé Brossette. Die Hauptstraße, die ihren Anfang an der Thune nahm, stieg in Schlangenwindungen bis zur Kirche hinauf. Weinberge und Bauerngärten, ein kleines Gehölz, hinten der Hügel von Blangy.

Rigous Haus, das schönste des Dorfes, war aus großen, Burgund eigentümlichen Feldsteinen erbaut, mit gelbem Mörtel verputzt, der in der ganzen Breite der Kelle winkelrecht geglättet worden war, was Wellenlinien erzeugte, die da und dort durch die in der Hauptsache schwärzlichen Außenseiten dieser Steine unterbrochen wurden. Eine Mörteleinfassung, in der kein Stein eine dunkle Stelle bildete, bildete um jedes Fenster einen Rahmen, den die Zeit mit feinen unregelmäßigen Rissen, wie man sie auf alten Zimmerdecken sieht, bekritzelt hatte.

Die plump gezimmerten Fensterläden empfahlen sich durch einen soliden dragonergrünen Anstrich. Einige flache Moospolster hafteten an den Schiefern des Daches. Es ist der Typ eines burgundischen Hauses; die Reisenden erblicken solche zu Tausenden, wenn sie diesen Teil Frankreichs durchqueren.

Eine mittelgroße Tür öffnete sich nach einem Flur, in dessen Mitte sich der Mantel einer Holztreppe befand. Beim Eintreten sah man die Tür eines weiten Saales mit drei auf den Platz gehenden Fenstern. Die Küche, die unter der Treppe eingerichtet war, bekam vom Hof her Licht und war sorgfältig mit Steinen belegt. Man betrat sie durch eine Hintertüre. Das war das Erdgeschoß.

Der erste Stock enthielt drei Zimmer und außerdem einen kleinen Mansardenraum.

Ein Holzverschlag, ein Wagenschuppen und ein Pferdestall stießen an die Küche und bildeten einen rechteckigen Vorsprung. Ueber diesem leichten Bauwerk hatte man Speicher, eine Obstkammer und ein Leutezimmer eingerichtet.

Ein Wirtschaftshof, ein Viehstall und ein Schweinekoben war mit der Front gegen das Haus hin gerichtet.

Der etwa ein Arpent große und mit Mauern eingefriedete Garten war ein Pfarrergarten, das heißt voll von Spalieren, Obstbäumen, Weingeländern, sauber eingefaßten Sandwegen und quadratischen Gemüsebeeten, die mit dem aus dem Pferdestalle stammenden Mist gedüngt wurden.

Oberhalb des Hauses grenzte ein zweiter, baumbestandener, mit Hecken umgebener Garten an, der so groß war, daß beide Kühe dort ihre Nahrung zu allen Zeiten finden konnten.

Immer war der in Brusthöhe getäfelte Saal mit alten Teppichen behangen. Die altersbraunen und mit Nadelarbeit bezogenen Nußbaummöbel stimmten mit der Täfelung und dem gleichfalls aus Holz bestehenden Fußboden überein. Die Decke zeigte drei ausgekragte, aber bemalte Balken; die Zwischenräume waren verschalt. Der Kamin aus Nußbaumholz, welcher von einem Spiegel in einem grotesken Rahmen überragt wurde, zeigte keinen anderen Schmuck als zwei kupferne eiförmige Gebilde, die auf einem Marmorfuße ruhten und sich in zwei Teile teilten; der obere, umgebogene Teil bildete einen Leuchtereinsatz.

Diese zweiflammigen, mit Kettchen verzierten Leuchter, eine Erfindung der Louis-XV.-Zeit, begannen selten zu werden. An der den Fenstern gegenüberliegenden Wand stand auf einem grün-goldenen Sockel eine gewöhnliche, aber ausgezeichnete Uhr. Vorhänge, die traurig an ihren eisernen Gardinenstangen hingen, stammten aus der Zeit vor fünfzig Jahren; ihr Baumwollenstoff mit rosa und weißen Karos, ähnlich dem der Bettbezüge, stammte aus Indien. Ein Speiseschrank und ein Eßtisch vervollständigten das übrigens außerordentlich wohlgepflegte Mobiliar.

In der Kaminecke erblickte man einen gewaltigen Lehnstuhl, Rigous speziellen Platz. Im Winkel, über dem Vertikow, der ihm als Sekretär diente, sah man an dem gewöhnlichsten Haken einen Blasebalg hängen, von dem Rigous Glück ausgegangen war.

Nach dieser kurzen Beschreibung, deren Stil mit dem der Auktionsplakate wetteifert, kann man sich leicht vorstellen, daß die beiderseitigen Zimmer von Monsieur und Madame Rigou nur das unbedingt Notwendige enthalten durften; doch würde man sich täuschen, wenn man dächte, daß eine solche Sparsamkeit die materielle Güte der Dinge ausschließen könnte. So würde sich die anspruchvollste Zierpuppe erstaunlich gut in Rigous Bett untergebracht gefunden haben, das aus ausgezeichneten Matratzen und feinen Leintüchern bestand, auf denen ein Federbett prunkte, das ehedem von einer Betschwester für irgendeinen Abbé gestiftet worden war. Durch gute Vorhänge wurde das Bett vor Luftzug geschützt. Und so stand es mit allem, wie man sehen soll.

Zuerst hatte der Geizhals seine Frau, die weder lesen, noch schreiben, noch rechnen konnte, zu einem absoluten Gehorsam gezwungen. Nachdem sie den Entschlafenen beherrscht hatte, endigte die arme Kreatur als Magd ihres Gatten, indem sie Küche und Wäsche besorgte, kaum unterstützt von einem sehr hübschen, neunzehnjährigen Mädchen namens Annette, die Rigou ebenso gehorsam war wie ihre Herrin und dreißig Franken jährlich als Lohn bekam.

Groß, dürr und mager, verließ Madame Rigou, eine Frau mit gelbem, nur um die Backenknochen herum geröteten Gesicht, die den Kopf immer mit einem Tuch verhüllt und das ganze Jahr über ein und denselben Rock trug, das Haus keine zwei Stunden im Monat und nährte ihren Eifer mit all der Sorgfalt, die eine ergebne Dienerin einem Hause weiht. Der gewiegteste Beobachter würde keine Spur von der prachtvollen Figur, der Rubensschen Frische, der glänzenden Fülle, der herrlichen Zähne und der Madonnenaugen entdeckt haben, die einstmals das junge Mädchen der Aufmerksamkeit des Pfarrers Niseron empfahlen. Die erste und einzige Entbindung von einer Tochter, der jungen Madame Soudry, hatte die Zähne dezimiert, die Wimpern ausfallen lassen, die Augen um ihren Glanz gebracht und die Hautfarbe welken gemacht. Scheinbar hatte der Finger Gottes sich auf des Priesters Gattin gelegt. Wie alle reichen ländlichen Hausfrauen hatte sie ihre Freude daran, ihre Schränke voller Seidenkleider, entweder in Stoffen oder fertig und neu, voller Spitzen und Geschmeide zu sehen, die ihr nur dazu dienten, die Sünde des Neides zu erwecken und Rigous junge Mägde ihren Tod herbeiwünschen zu lassen. Sie war eines jener halb weiblich, halb tierischen Wesen, die geboren wurden, um instinktmäßig zu leben. Da diese Exschöne Arsène uneigennützig war, würde das Vermächtnis des verstorbenen Pfarrers Niseron ohne das merkwürdige Ereignis, das es zur Folge hatte, unerklärlich sein; und man muß es zur Belehrung der unendlichen Schar der Erbenden berichten.

Madame Niseron, die Frau des alten Sakristans, überhäufte ihres Gatten Onkel mit Aufmerksamkeiten; denn die nahe bevorstehende Erbschaft eines zweiundsiebzigjährigen Greises, die auf vierzig und einige tausend Livres geschätzt wurde, mußte der Familie des einzigen Erben zu Wohlstand verhelfen. Und dieser wurde ungeduldig von der verstorbenen Madame Niseron erwartet, die sich außer ihres Sohnes einer reizenden kleinen Tochter erfreute, eines kleinen Schelms, eines Unschuldsengels, eines jener Geschöpfe, die vielleicht nur so vollkommen sind, weil sie bald hinschwinden müssen; denn sie starb mit vierzehn Jahren an der Bleichsucht, wie die Chlorose volkstümlich genannt wird. Als Irrlicht des Pfarrhofs war das Kind bei ihrem Großonkel, dem Pfarrer, wie zu Hause, machte dort gutes und schlechtes Wetter, liebte Mademoiselle Arsène, die hübsche Dienstmagd, welche ihr Onkel 1789 dank der in der Disziplin durch die ersten revolutionären Stürme eingeführten Freiheit zu sich nehmen konnte. Arsène, die Nichte der alten Pfarrersköchin, wurde zu deren Beistand gerufen; denn als die alte Mademoiselle Pichard ihr Ende nahen fühlte, wollte sie zweifelsohne ihre Rechte auf die schöne Arsène übertragen sehen.

Im Jahre 1791, im Augenblick, da Pfarrer Niseron Dom Rigou und dem Bruder Jean eine Zuflucht bot, erlaubte sich die kleine Niseron eine sehr unschuldige Eulenspiegelei. Als die kleine Geneviève mit Arsène und anderen Kindern jenes Spiel spielte, welches darin besteht, daß jeder einen Gegenstand versteckt, den die anderen suchen müssen, und bei dem man, je nachdem die Suchenden sich ihm nähern oder von ihm entfernen, »heiß« oder »kalt« ruft, kam sie auf den Gedanken, den Blasebalg des Zimmers in Arsènes Bett zu stecken. Der Blasebalg war nicht zu finden; das Spiel hörte auf. Geneviève, die von ihrer Mutter fortgebracht wurde, vergaß, den Blasebalg wieder an seinen Nagel zu hängen, Arsène und ihre Tante suchten ihn eine Woche lang, dann suchte man ihn nicht weiter, man konnte ohne ihn auskommen; der alte Pfarrer fachte sein Feuer mit einem Pustrohr an, das zu der Zeit hergestellt worden war, wo die Pustrohre in Mode waren und zweifelsohne von einem von Heinrichs III. Höflingen herstammte. Eines Abends schließlich, einen Monat vor ihrem Tode, lamentierte die Köchin nach einem Mittagessen, an dem der Abbé Mouchon, die Familie Niseron und der Pfarrer von Soulanges teilgenommen hatten, endlos über den Blasebalg, ohne sich sein Verschwinden erklären zu können.

»Ei, er liegt ja seit vierzehn Tagen in Arsènes Bett,« sagte, in Gelächter ausbrechend, die kleine Niseron; »wenn das große Faultier sein Bett ordentlich machte, würde es ihn gefunden haben.«

1791 konnte jedermann in Gelächter ausbrechen; doch diesem Lachen folgte das tiefste Schweigen.

»Da gibt's doch garnichts zu lachen,« sagte die alte Köchin, »seit ich krank bin, schläft Arsène bei mir.«

Trotz dieser Erklärung warf Pfarrer Niseron auf Madame Niseron und ihren Ehemann den vernichtenden Blick eines Priesters, der an ein Komplott glaubt. Die Köchin starb. Dom Rigou wußte des Pfarrers Haß so zu schüren, daß Abbé Niseron François Niseron zu Gunsten von Arsène Pichard enterbte.

1823 bediente Rigou sich immer noch aus Dankbarkeit des Pustrohrs, um das Feuer anzufachen, und ließ den Blasebalg an seinem Nagel hängen.

Die närrisch in ihre Tochter verliebte Madame Niseron überlebte ihr Kind nicht: Mutter und Tochter starben 1794. Als der Pfarrer gestorben war, nahm sich Bürger Rigou selber Arsènes Angelegenheiten an, indem er sie zu seiner Frau machte.

Der ehemalige Laienbruder der Abtei, der Rigou anhing wie ein Hund seinem Herrn, wurde mit einem Male der Stallknecht, Gärtner, Kuhhirt, Kammerdiener und Verwalter des sinnlichen Harpagon.

Arsène Rigou, die 1821 ohne Mitgift mit dem Generalprokurator verheiratet wurde, erinnerte ein bißchen an die Alltagsschönheit ihrer Mutter und besaß ihres Vaters Verschlagenheit.

Der damals siebenundsechzigjährige Rigou hatte in dreißig Jahren nicht eine einzige Krankheit zu überstehen gehabt, und nichts schien dieser wahrhaft unverschämten Gesundheit etwas anhaben zu können. Ihr würdet den großen hageren Mann, dessen Augen mit einem braunen Kreis umrändert und mit fast schwarzen Wimpern versehen waren, am Morgen, wenn er seinen runzligen, roten und narbigen Hals zeigte, um so eher mit einem Kondor verglichen haben, als seine sehr lange, am Ende spitze Nase diese Aehnlichkeit noch durch eine blutrote Färbung betonte. Sein fast kahler Schädel würde Kenner durch einen oben spitzzulaufenden Hinterkopf, das Merkmal eines despotischen Willens, erschreckt haben. Seine ins Graue spielenden Augen, die durch seine buschigen Wimpern fast verschleiert wurden, waren zur Heuchelei prädestiniert. Zwei Haarsträhnen von unbestimmbarer Farbe aus so spärlichen Haaren, daß sie die Haut nicht verbargen, fielen über breite, lange Ohren ohne Saum, ein Zug, der, wenn er nicht auf Aberwitz deutet, Grausamkeit in sittlicher Beziehung offenbart. Der scharfgeschnittene Mund mit seinen dünnen Lippen kündigte einen beharrlichen Esser, einen leidenschaftlichen Trinker durch die herabfallenden Winkel an, welche das Aussehen zweier Kommata hatten, aus denen die Brühe herunterlief oder sein Speichel troff, wenn er aß oder sprach. Heliogabal mußte so ausgesehen haben.

Sein unveränderliches Kostüm bestand in einem langen blauen Ueberrock mit Militärkragen, in einer schwarzen Halsbinde, einem langen Beinkleid und einer weiten Weste aus schwarzem Tuch. Seine Schuhe mit derben Sohlen waren außen mit Nägeln beschlagen und innen mit Einlegesohlen versehen, die seine Frau an Winterabenden strickte. Annette und ihre Herrin strickten auch Monsieurs Strümpfe.

Rigou hieß Grégoire.

Obwohl diese Skizze den Charakter zeichnet, würde sich niemand ausmalen können, wie weit der alte Benediktiner ohne Widerstand und in der Einsamkeit die Wissenschaft des Egoismus, des Wohllebens und der Wollust in allen Formen getrieben hatte. Zuerst aß er allein, von seiner Frau und Annette bedient, die sich nachher mit Jean in der Küche zu Tische setzten, während er sein Mahl verdaute und seinen Wein beim Lesen der »Nachrichten« schlürfte.

Auf dem Lande kennt man die Namen der Journale nicht, dort heißen sie alle »Nachrichten«. Das Mittagbrot, ebenso das Frühstück und Abendessen, die sich stets aus den erlesensten Gerichten zusammensetzten, waren mit jener Erfahrung zubereitet, durch die sich die Pfarrersköchinnen auszeichnen. So butterte Madame Rigou zweimal wöchentlich selber. Sahne bildete den Grundstoff zu allen Tunken. Die Gemüse wurden dergestalt gepflückt, daß sie direkt vom Beet in den Kochtopf wanderten. Die Pariser, die daran gewöhnt sind, Grünzeug und Gemüse zu essen, welche ein zweites Wachstum durchmachen, indem sie der Sonne, den Straßenausdünstungen, der Ladengährung ausgesetzt sind, und von den Gemüsehändlerinnen mit Wasser besprengt werden, wodurch sie ihnen die trügerischste Frische geben, kennen den köstlichen Geschmack nicht, den diese Produkte haben, denen die Natur flüchtige, aber kräftige Eigenschaften verliehen hat, wenn sie auf irgendwelche Weise ganz frisch gegessen werden. Der Schlächter in Soulanges brachte sein bestes Fleisch, da er sonst die Kundschaft des gefürchteten Rigou verloren hätte. Das im Hause aufgezogene Geflügel mußte von größter Zartheit sein. Diese peinliche Sorgfalt erstreckte sich auf alle Dinge, die für Rigou bestimmt waren. Wenn die Pantoffeln des klugen Thelemisten aus derbem Leder bestanden, bildete ein gutes Schaffell ihr Futter. Wenn er einen Ueberrock aus festem Stoff trug, geschah es nur, weil er niemals seine Haut berührte; denn sein im Hause gewaschenes und gebügeltes Hemd war von den geschicktesten Händen Frieslands gewebt worden. Seine Frau, Annette und Jean tranken Landwein, den Wein, welchen Rigou von seiner Ernte aufhob; in seinem besonderen Keller aber, der gut versorgt war wie ein belgischer Keller, lagerten die feinsten Weine Burgunds neben denen von Bordeaux, der Champagne, des Rhonetals, von Roussillon und Spanien, die alle zehn Jahre zuvor gekauft und immer von Bruder Jean auf Flaschen gefüllt wurden. Die von den Inseln stammenden Liköre kamen von Madame Amphoux; der Wucherer hatte sich für den Rest seiner Tage bei der Parzellierung eines burgundischen Schloßgutes damit versehen.

Rigou aß und trank wie Ludwig XIV., der einer der größten bekannten Esser war, was die Aufwendungen eines mehr als genießerischen Lebens verriet. Verschwiegen und geschickt in seiner heimlichen Verschwendung, feilschte er um seine geringsten Einkäufe, wie Kirchenleute zu feilschen verstehen. Anstatt unsägliche Vorsichtsmaßregeln zu treffen, um bei seinen Erwerbungen nicht betrogen zu werden, hob der listige Mönch eine Probe auf und ließ sich die Abmachungen schriftlich geben; wenn aber sein Wein oder seine Einkäufe unterwegs waren, teilte er mit, daß er beim geringsten Fehler die Annahme verweigern würde.

Jean, der Vorstand des Obstkellers, war dazu abgerichtet worden, wie man die Erzeugnisse des berühmtesten Obstgartens des Bezirks aufzubewahren habe. Rigou aß zu Ostern noch Birnen, Aepfel und manchmal auch Weintrauben.

Keinem Propheten, der fähig war, ein Gott zu werden, wurde blinder gehorcht, als es bei Rigou in seinen geringsten Launen der Fall war. Die Bewegung seiner dicken schwarzen Augenbrauen versetzte seine Frau, Annette und Jean in die tödlichste Unruhe; er hielt seine drei Sklaven durch die minutiöse Vielfältigkeit ihrer Pflichten, die wie eine Kette auf ihnen lastete, in Schach. Jeden Augenblick sahen die armen Leute sich unter dem Druck einer Zwangsarbeit, einer Ueberwachung; schließlich hatten sie aber eine Art von Vergnügen in dem Vollziehen dieser ständigen Arbeiten gefunden und langweilten sich nicht. Alle drei sahen sie in dem Wohlbehagen dieses Mannes den einzigen und alleinigen Gegenstand ihrer Sorgen.

Annette war seit 1795 das zehnte hübsche Mädchen, das Rigou gemietet hatte, der sich Hoffnung machte, mit diesem Wechsel junger Mädchen die Grube zu erreichen. Mit sechzehn Jahren war Annette zu ihm gekommen, mit neunzehn mußte sie fortgeschickt werden. Jede dieser in Auxerre, in Clamecy, im Morvan mit peinlichster Sorgfalt ausgewählten Mägde war durch das Versprechen eines schönen Lebensloses angelockt worden. Madame Rigou hatte es sich aber in den Kopf gesetzt, leben zu bleiben. Und immer machte am Ende von drei Jahren ein Streit, welcher durch die Unverschämtheit der Magd ihrer armen Herrin gegenüber herbeigeführt wurde, die Entlassung notwendig.

Annette, ein wahres Meisterwerk feiner, erfinderischer und pikanter Schönheit, war einer Herzoginnenkrone würdig. Es fehlte ihr nicht an Verstand; Rigou wußte nichts von Annettes Bändelei mit Jean-Louis Tonsard, was bewies, daß er sich von diesem hübschen Mädchen nasführen ließ, dem einzigen, dem der Ehrgeiz die Schmeichelei als Mittel, den Luchs zu blenden, eingegeben hatte.

Dieser Ludwig XV. ohne Thron hielt sich nicht einzig und allein an die hübsche Annette. Der hypothekarische Zwingherr von Ländereien, die von den Bauern über ihre Mittel gekauft worden waren, machte das ganze Tal von Soulanges bis fünf Meilen über Conches hinaus gegen Brie zu seinem Serail, ohne daß er etwas anderes als Klageaufschübe ausgab, um jene flüchtigen Schätze zu erlangen, welche das Vermögen so vieler Greise verschlingen.

Dies köstliche Leben, das dem Bourets vergleichbar war, kostete also fast nichts. Dank seiner weißen Negersklaven ließ Rigou seine Bäume, sein Heu, sein Korn schneiden, bündeln und einfahren. Für den Bauer will Arbeit wenig heißen, besonders in Anbetracht einer Stundung zu zahlender Zinsen. Während Rigou niedrige Gebühren für den Aufschub von einigen Monaten verlangte, sog er seine Schuldner aus, indem er Arbeitsleistungen, wahrhafte Frondienste von ihnen verlangte, zu denen sie sich hergaben, weil sie glaubten, nichts damit zu zahlen, da sie ja keinen Pfennig aus ihrem Beutel holten. So zahlte man Rigou manchmal mehr, als die ganze Schuldsumme ausmachte.

Gründlich wie ein Mönch, schweigsam wie ein Benediktiner bei einer historischen Arbeit, verschlagen wie ein Priester, gleisnerisch wie jeder Geizhals, sich stets in den Grenzen des Rechts haltend, wäre dieser Mensch in Rom Tiberius, unter Ludwig XIII. Richelieu und Fouché gewesen, wenn er den Ehrgeiz besessen hätte, in den Konvent zu gehen, doch er besaß die Klugheit, ein Lucullus ohne Prunk und ein wollüstiger Geizhals zu sein. Um seinen Geist zu beschäftigen, erfreute er sich eines aus dem Ganzen geschnittenen Hasses. Er plagte den General Graf von Montcornet. Er ließ die Bauern sich durch das Spiel verborgener Fäden bewegen, deren Handhabung ihn wie eine Schachpartie ergötzte, bei welcher die Bauern lebten, die Reiter zu Roß saßen, die Läufer wie Fourchon schwatzten, die feudalen Türme in der Sonne prunkten und die Königin boshafterweise dem König Schach bot.

Alle Tage beim Aufstehen sah dieser Mann von seinem Fenster aus die stolzen Giebel von Les Aigues, die Kamine der Pavillons, die herrlichen Tore und sagte sich: »All das wird niedersinken, ich werd' die Bäche dort trocken legen und die schattigen Buschwerke abschlagen.« Kurz, er hatte sein großes und sein kleines Opfer. Wenn er über den Ruin des Schlosses nachdachte, schmeichelte sich der Renegat, den Abbé Brossette mit Nadelstichen zu töten.

Um den Exgeistlichen vollends zu malen, wird es genügen, wenn man sagt, daß er mit dem Bedauern, daß seine Frau lebe, in die Messe ging und das Verlangen offenbarte, sich, sobald er Witwer geworden sei, mit der Kirche wieder zu versöhnen. Ehrerbietig grüßte er den Abbé Brossette, wenn er ihm begegnete, und sprach sanft mit ihm, ohne sich jemals hinreißen zu lassen. Gewöhnlich haben alle Leute, die zur Kirche halten oder aus ihr hervorgegangen sind, eine Engelsgeduld; sie verdanken sie der Verpflichtung, ein Dekorum zu wahren, eine Erziehung, welche seit zwanzig Jahren der weitaus größten Majorität der Franzosen, selbst denen, die sich für wohlerzogen halten, fehlt. All die Konventualen, welche die Revolution ihre Klöster verlassen ließ und die sich auf Geschäfte geworfen haben, haben durch ihre Kühle und ihre Zurückhaltung die Ueberlegenheit gezeigt, welche die geistliche Zucht allen Kindern der Kirche, selbst denen, die ihr den Rücken kehren, verleiht.

Seit 1792 durch die Testamentsgeschichte aufgeklärt, hatte Gaubertin die Verschlagenheit, welche das gallige Gesicht dieses geschickten Gleisners kundtat, zu sondieren gewußt; auch hatte er sich in ihm einen Gevatter geschaffen, indem er mit ihm vor dem goldenen Kalbe kommunizierte. Schon bei der Gründung des Hauses Leclercq sagte er zu Rigou, er möge dort fünfzigtausend Franken anlegen, für welche er ihm gutsagen würde. Rigou wurde ein um so wichtigerer Kommanditär, als er dies Stammkapital um die angesammelten Zinsen sich vergrößern ließ. Augenblicklich betrug Rigous Anteil an diesem Hause noch hunderttausend Franken, obwohl er 1816 eine Summe von etwa hundertachtzigtausend Franken wieder abgehoben hatte, um sie im Stammregister der Staatsschuld eintragen zu lassen, wodurch er siebzehntausend Franken Rente erhielt. Lupin schätzte Rigou auf hundertfünfzigtausend Franken an Hypotheken in kleinen Summen auf großen Gütern. Sichtbarlich zog Rigou aus Ländereien gegen vierzigtausend Franken an reinen Einkünften. Man sah also bei Rigou etwa vierzigtausend Franken Rente. Was aber seinen Schatz anlangte, so war der ein x, das keine Verhältnisregel in Gleichung bringen konnte, ebenso wie der Teufel allein die Geschäfte kannte, die er mit Langlumé abkartete.

Dieser schreckliche Wucherer, der noch zwanzig Jahre zu leben vermeinte, hatte feste Regeln erfunden, nach denen er operierte. Er lieh keinem Bauer etwas, der nicht wenigstens drei Hektar kaufte und die Hälfte des Barpreises bezahlte. Man sieht, daß Rigou die Mangelhaftigkeit des Gesetzes über die bei Parzellen angewandten Expropriationen und die Gefahr genau kannte, welche die übermäßige Aufteilung von Gütern durch den Fiskus und den Besitz laufen läßt. Verfolgt doch einen Bauern, der euch eine Furche nimmt, wenn er ihrer nur fünf besitzt! Der Scharfblick des Privatinteresses wird dem einer Versammlung von Gesetzgebern stets um fünfundzwanzig Jahre den Rang ablaufen. Welche Lehre für ein Land! Immer wird das Gesetz von einem umfassenden Geist, von einem genialen Manne und nicht von neunhundert Intelligenzen herrühren, die, so groß sie auch sein mögen, kleiner werden, indem sie eine Menge bilden. Enthält Rigous Gesetz nicht tatsächlich das Prinzip eines zu schaffenden Gesetzes zur Beseitigung des Unsinns, den die Teilung des Besitzes in halbe, in drittel, in viertel, in zehntel Zentiare darstellt, wie in der Gemeinde Argenteuil, wo man 30 000 Parzellen zählt?

Dergleichen Operationen verlangten eine so ausgedehnte Gevatterschaft wie die, welche auf diesem Bezirke lastete. Da Rigou übrigens den dritten Teil der Verträge, die jährlich in Lupins Bureau abgeschlossen wurden, durch ihn ausfertigen ließ, fand er in dem Notar von Soulanges einen ergebenen Gevatter.

Dieser Pirat konnte also in den Darlehensvertrag, den die Frau des Leihenden, wenn er verheiratet war, immer mit unterschrieb, die Summe mit einschließen, auf die sich die illegalen Zinsen beliefen. Der Bauer, der stets entzückt war, nur fünf von hundert während der Dauer des Darlehens zahlen zu müssen, hoffte immer, es durch eine angestrengte Arbeit, durch Düngemittel, die Rigous Pfand verbesserten, abzahlen zu können.

Daher sind die trügerischen Wunder, die durch das, was törichte Nationalökonomen die Kleinkultur nennen, erzeugt wurden, das Resultat eines politischen Fehlers, dem wir es zu verdanken haben, daß wir französisches Geld nach Deutschland tragen müssen, um dort Pferde zu kaufen, die unser Land nicht liefert, ein Fehler, der die Produktion von Hornvieh derartig vermindern wird, daß das Fleisch nicht nur für das Volk, sondern auch für das Kleinbürgertum bald nicht mehr zu erschwingen sein wird. (Siehe »Der Dorfpfarrer«.)

Darum rann zwischen Conches und Ville-aux-Fayes viel Schweiß für Rigou. Ihn respektierte jeder, während die vom General, dem einzigen, der Geld ins Land brachte, teuer bezahlte Arbeit ihm nur Verwünschungen und den reichen Leuten bezeugten Haß eintrug. Würden solche Tatsachen ohne den Blick, den wir auf die Mediokratie geworfen haben, nicht unerklärlich sein? Fourchon hatte Recht, die Bourgeois waren an die Stelle der Edelleute getreten. Diese Kleinbesitzer, deren Typ durch Courte-Cuisse repräsentiert wird, waren die dem Rechte der toten Hand unterworfenen Hörigen des Tiberius des Avonnetals, wie in Paris die Industriellen ohne Geld die Bauern der Hochfinanz sind.

Soudry folgte Rigous Beispiel von Soulanges bis fünf Meilen oberhalb von Ville-aux-Fayes. Die beiden Wucherer hatten sich in den Bezirk geteilt. Gaubertin, dessen Raubgier sich in einer höheren Sphäre betätigte, machte seinen Gesellschaftern nicht nur keine Konkurrenz, sondern hinderte auch die Kapitalisten von Ville-aux-Fayes, diesen ertragreichen Weg einzuschlagen. Man kann sich nun denken, welchen Einfluß das Triumvirat Rigou, Soudry und Gaubertin bei den Wahlen durch die Wähler erlangte, deren Glücksumstände von ihrer Milde abhingen.

Haß, Klugheit und Vermögen, das war das schreckliche Dreieck, durch welches der Les Aigues am nächsten wohnende Feind, der Ueberwacher des Generals, sich in ständiger Verbindung mit sechzig oder achtzig kleinen Besitzern, Verwandten oder Verbündeten der Bauern, zu erkennen gab, die ihn fürchteten, wie man einen Gläubiger fürchtet.

Rigou stellte sich über Tonsard; der eine lebte von Diebstählen in Naturalien, der andere bereicherte sich durch gesetzlich nicht verfolgbare Räubereien. Alle beide liebten das Wohlleben; es war die gleiche Natur in zweierlei Gestalt, die eine urwüchsig, die andere durch die Klostererziehung verfeinert.

Als Vaudoyer die Wirtschaft zum Grand-I-Vert verließ, um den früheren Bürgermeister um Rat zu fragen, war's ungefähr vier Uhr. Zu dieser Stunde speiste Rigou zu Mittag.

Als er die Haustür geschlossen fand, blickte Vaudoyer durch die Vorhänge und rief:

»Monsieur Rigou, ich bin's, Vaudoyer . . .«

Jean kam aus der Hintertür und ließ Vaudoyer einen Augenblick später mit den Worten eintreten:

»Komm in den Garten, der Herr hat Besuch.«

Dieser Besuch war Sibilet, der sich unter dem Vorwande, sich über die Bedeutung des Urteils, das Brunet abgegeben hatte, zu erkundigen, mit Rigou über ganz andere Dinge unterhielt. Er hatte den Wucherer bei der Verspeisung seines Nachtisches angetroffen.

Auf einem viereckigen Tische, der mit blütenweißem Leinen gedeckt war – denn, wenig bedacht auf die Mühe seiner Frau und Annettes, verlangte Rigou alle Tage weißes Tischzeug – sah der Verwalter eine Schüssel mit Erdbeeren, Aprikosen, Pfirsichen, Feigen, Mandeln, kurz allen Früchten der Jahreszeit in Fülle bringen, die fast ebenso zierlich wie in Les Aigues auf weißen Porzellantellern und auf Weinblättern serviert wurden.

Als er Sibilet sah, hieß Rigou ihn die Riegel vor die von selber zufallenden inneren Türen schieben. Diese waren an jeder Tür angebracht, um die Kälte abzuhalten und Geräusche zu ersticken. Hierauf fragte er ihn, welche wichtige Angelegenheit ihn nötige, ihn bei hellem Tage zu besuchen, wo er doch so sicher mit ihm während der Nacht sich besprechen könne.

»Weil der Tapezier davon gesprochen hat, nach Paris zu gehen, um den Justizminister zu besuchen; er ist imstande, Euch viel Uebles zuzufügen, die Versetzung Eures Schwiegersohns, der Richter von Villes-aux-Fayes und des Präsidenten zu erbitten, vor allem, wenn er das Urteil liest, das man eben zu Euren Gunsten gefällt hat. Er gerät in Harnisch, ist ein kluger Kopf und hat in dem Abbé Brossette einen Berater, der fähig ist, sich mit Euch und Gaubertin zu messen. Die Priester haben die Macht. Der Herr Bischof liebt den Abbé Brossette sehr. Die Frau Gräfin hat davon gesprochen, ihren Vetter, den Grafen von Castéran, Nicolas wegen aufsuchen zu wollen. Michaud beginnt unser Spiel klar zu durchschauen.«

»Du hast Angst,« sagte der Wucherer ganz ruhige indem er Sibilet einen Blick zuwarf, den der Verdacht weniger trübe machte als gewöhnlich, und der furchtbar war. »Du erwägst, ob es nicht besser ist, dich auf des Herrn Grafen von Montcornet Seite zu stellen?«

»Ich sehe nicht recht, woher ich, wenn Ihr Les Aigues werdet zerstückelt haben, viertausend Franken nehmen soll, um sie alljährlich anständig anzulegen, wie ich es seit fünf Jahren tue,« antwortete Sibilet gerade heraus. »Monsieur Gaubertin hat mir all die Zeit über die schönsten Versprechungen gemacht; doch die Entscheidung kommt heran, man wird sich sicherlich schlagen: versprechen und halten sind zweierlei nach dem Siege.«

»Ich will mit ihm reden,« antwortete Rigou ruhig. »Inzwischen hier das, was ich antworten würde, wenn mich die Sache anginge: Seit fünf Jahren bringst du jährlich viertausend Franken zu Monsieur Rigou, und der brave Mann verzinst sie Dir zu siebeneinhalb Prozent jährlich, was in diesem Augenblick mit Zinseszins alles in allem 27 000 Franken ausmacht. Da aber ein doppelter Privatvertrag zwischen dir und Rigou besteht, würde der Verwalter von Les Aigues am Tage, wo der Abbé Brossette diesen Vertrag vor des Tapeziers Augen bringen würde, entlassen werden, vor allem nach einem anonymen Briefe, der ihn von deiner Doppelrolle unterrichtete. Du würdest also besser tun, mit uns auf die Jagd zu gehen, ohne deinen Knochen im Voraus zu verlangen. Und zwar um so mehr, als Monsieur Rigou, da er nicht gehalten ist, dir gesetzmäßig siebeneinhalb Prozent und Zinseszinsen zu geben, dir reelle Angebote für deine zwanzigtausend Franken machen könnte, und während du auf die Verfügung über dein Geld wartest, würde dein durch Rechtskniffe hinausgezögerter Prozeß vom Gericht in Villes-aux-Fayes entschieden werden. Wenn du dich klug benähmest, könntest du, wenn Monsieur Rigou erst Besitzer deines Pavillons in Les Aigues ist, mit etwa dreißigtausend und anderen dreißigtausend Franken, welche Rigou dir etwa anvertrauen möchte, weiterarbeiten, was um so günstiger sein dürfte, als die Bauern sich über die in kleine Parzellen geteilten Ländereien von Les Aigues herstürzen werden wie die Armut über die Welt. Das könnte dir Monsieur Gaubertin sagen; ich aber habe dir nichts zu antworten, das geht mich nichts an . . . Gaubertin und ich haben uns über dies Kind des Volkes zu beklagen, das seinen eigenen Vater schlägt, und wir verfolgen unsere Idee. Wenn Freund Gaubertin dich nötig hat, ich hab' niemanden nötig; denn alle Welt ist mir ergeben. Was den Justizminister anlangt, so wird der öfter gewechselt, während wir immer da sind.«

»Kurz, ihr seid benachrichtigt,« sagte Sibilet, der sich dumm wie ein Esel fühlte.

»Wovon benachrichtigt?« fragte Rigou schlau.

»Von dem, was der Tapezier tun wird,« antwortete der Verwalter bescheiden; »er ist wütend auf die Präfektur gegangen.«

»Mag er gehen! Wenn die Montcornets nicht die Räder abnutzten, was sollte da aus den Wagenbauern werden?«

»Ich werd' Euch heute abend um elftausend Taler bringen, . . .« sagte Sibilet, »aber Ihr müßtet meine Angelegenheiten fördern, indem Ihr mir einige von Euren Hypotheken, die jetzt fällig geworden sind, zediertet . . . eine von denen, die mir einige gute Parzellen Landes einbringen könnten! . . .«

»Ich hab' die von Courte-Cuisse; und ich will behutsam mit ihm umgehen; denn er ist der beste Schütze des Bezirks; wenn ich sie auf dich übertrage, wird's so aussehen, als ob du den Tropf auf Rechnung des Tapeziers quälst; und das hieße zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Er dürfte zu allem fähig sein, wenn er sich noch unter Fourchon stehen sieht. Courte-Cuisse hat sich mit der Bâchelerie abgeplagt, hat den Boden verbessert und Spaliere an den Gartenmauern angelegt. Die kleine Domäne ist viertausend Franken wert, der Graf würde dir die Summe für die drei Arpent geben, die an seine Remisen stoßen. Wenn Courte-Cuisse nicht ein Säufer wäre, hätte er seine Zinsen mit dem bezahlen können, was man dort an Wild tötet.«

»Schön, übertragt diese Schuldforderung auf mich, ich werde meinen Schnitt machen, werde Haus und Garten für nichts kriegen; der Graf wird die drei Arpent kaufen.«

»Und was fällt für mich ab?«

»Mein Gott, Ihr würdet es fertig bringen, einen Ochsen zu melken!« rief Sibilet. »Und ich, der ich dem Tapezier eben den Befehl, das Stoppeln gesetzlich zu regulieren, abgerungen habe . . .«

»Das hast du durchgesetzt, mein Junge?« fragte Rigou, der wenige Tage zuvor Sibilet den Gedanken an solche Bedrückungen eingegeben hatte, indem er ihm empfahl, dem General dazu zu raten. »Wir haben ihn, er ist verloren; doch genügt es nicht, ihn an einem Ende festzuhalten, man muß ihn wie eine Tabakrolle verschnüren . . . Schieb die Riegel zurück, mein Junge; sag meiner Frau, sie solle Kaffee und Liköre bringen, und sage Johann, er solle anspannen. Ich fahre nach Soulanges! Auf heute abend! – Guten Tag, Vaudoyer,« sagte der ehemalige Bürgermeister, als er seinen früheren Flurhüter eintreten sah. »Nun, was gibt's? . . .«

Vaudoyer erzählte alles, was sich in der Schenke zugetragen hatte, und fragte Rigou nach der Gesetzmäßigkeit der vom General ersonnenen Anordnungen.

»Damit ist er im Rechte,« erwiderte Rigou kurz und bündig; »wir haben einen gestrengen Herrn; der Abbé Brossette ist ein Bösewicht; unser Pfarrer flüstert all diese Maßnahmen ein; weil ihr nicht in die Messe geht, ihr Spitzkopfbande! Ich gehe hinein, ich! Es gibt einen Gott, seht ihr! . . . Ihr müßt alles aushalten, der Tapezier wird immer den Vorrang haben! . . .«

»Schön, wir werden stoppeln!« sagte Vaudoyer mit jenem entschlossenen Akzent, der die Burgunder auszeichnet.

»Ohne Bedürftigkeitsschein?« fuhr der Wucherer fort. »Wie es heißt, hat er sich Truppen von der Präfektur erbeten, um euch zur Pflicht zurückzuführen . . .«

»Wir werden wie bisher stoppeln,« wiederholte Vaudoyer.

»Stoppelt! . . . Monsieur Sarcus wird entscheiden, ob ihr im Rechte seid,« sagte der Wucherer mit einer Miene, als wenn er den Stoppelnden den Schutz des Friedensgerichts verspräche.

»Wir werden stoppeln, wir werden in der Uebermacht sein, . . . oder Burgund ist nicht mehr Burgund!« sagte Vaudoyer. »Wenn die Gendarmen Säbel haben, besitzen wir Sicheln und wir wollen sehen!«

Um viereinhalb Uhr drehte das große grüne Tor des alten Pfarrhauses sich in seinen Angeln und der von Jean am Zaume geführte Braune wandte sich dem Platze zu. Madame Rigou und Annette waren auf die Schwelle der Haustüre getreten und sahen den kleinen grüngestrichenen Korbwagen mit Lederverdeck an, in welchem der Herr auf guten Kissen saß.

»Verspätet Euch nicht,« sagte Annette ein wenig schmollend.

Alle Dorfbewohner, die bereits von den drohenden Beschlüssen, welche der Bürgermeister fassen wollte, unterrichtet worden waren, stellten sich in ihre Türen oder blieben auf der Hauptstraße stehen, als sie Rigou vorbeikommen sahen, da sie dachten, er führe nach Soulanges, um sie zu verteidigen.

»Nun, Madame Courte-Cuisse, unser alter Bürgermeister will sich zweifelsohne für uns einsetzen,« sagte ein altes Spinnweib, welches die Forstfrevelfrage sehr interessierte; denn ihr Mann verkaufte Bündel gestohlenen Reisigs in Soulanges.

»Mein Gott, das Herz blutet ihm angesichts der Vorgänge, er ist ebenso unglücklich wie wir,« antwortete die arme Frau, die schon allein beim Nennen ihres Gläubigers bebte und ihm aus Angst sein Lob sang.

»Ach, das ist nicht der Rede wert; aber man hat ihn sehr schlecht behandelt!« »Guten Tag, Monsieur Rigou,« sagte die Spinnerin, welche Rigou ebenso wie seine Gläubigerin grüßte.

Als der Wucherer die allerzeit durchfahrbare Thune durchquerte, sagte Tonsard, der aus seiner Schenke herausgekommen war, auf der Kantonalstraße zu Rigou:

»Nun, Vater Rigou, der Tapezier will also, wir sollen seine Hunde sein?«

»Das wollen wir sehen,« erwiderte der Wucherer, sein Pferd peitschend.

»Er wird uns gut zu verteidigen wissen,« sagte Tonsard zu einer Gruppe von Weibern und Kindern, die sich um ihn geschart hatten.

»Er denkt so viel an euch, wie ein Schankwirt an die Gründlinge denkt, wenn er seine Bratpfanne rein macht,« erwiderte Fourchon.

»Nimm doch den Klöppel aus deiner Klappe, wenn du betrunken bist! . . .« sagte Mouche, zog seinen Großvater an seiner Bluse und ließ ihn auf der Böschung am Fuße einer Pappel hinfallen. »Wenn der Schuft von Mönch das hörte, würdest du ihm deine Worte nicht mehr so teuer verkaufen! . . .«

Wenn Rigou nach Soulanges jagte, so war er tatsächlich aufgeregt über die so wichtige Nachricht, die der Verwalter von Les Aigues überbracht hatte und die ihm für das geheime Bündnis der avonneser Bourgeoisie bedrohlich erschien.

 


 << zurück weiter >>