Honoré de Balzac
Die Bauern
Honoré de Balzac

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XII

In welcher Weise die Schenke das Parlament des Volkes ist

Als die alte Tonsard aus vollem Halse schrie, hatte sie einige Leute aus Blangy angelockt, die gerne wissen wollten, was im Grand-I-Vert vor sich ging; denn die Entfernung zwischen Dorf und Schenke war nicht beträchtlicher als zwischen der Schenke und dem Blangytore. Einer der Neugierigen war gerade der Biedermann Niseron, der Großvater der Péchina, welcher, nachdem er den zweiten Angelus geläutet hatte, zurückkam, um seinen kleinen Weinberg, sein letztes Stück Land, zu bearbeiten.

Durch die Arbeit gekrümmt, weiß von Gesicht, mit Silberhaaren, war dieser alte Weinbauer, der allein die ganze Rechtschaffenheit der Gemeinde vorstellte, während der Revolution Präsident des Jakobinerklubs in Ville-aux-Fayes und Geschworener beim Distriktsrevolutionstribunal gewesen. Jean François Niseron, der aus demselben Holze geschnitzt war wie die Apostel, bot ehedem das für alle Pinsel immer gleiche Bildnis dieses heiligen Petrus, in dem die Maler allesamt die viereckige Stirn des Volkes, das natürlich frisierte starke Haar des Arbeiters, die Muskeln des Proletariers, die Hautfarbe des Fischers, die mächtige Nase, den halb spöttischen Mund, der das Unglück geringschätzt, endlich die Haltung des Starken dargestellt haben, der Holz im benachbarten Walde schlägt, um sein Mittagbrot zu kochen, während die Doktrinäre die Sache erörtern.

So war mit vierzig Jahren zu Beginn der Revolution dieser stahlharte, wie Gold so lautere Mensch beschaffen. Als Volksverteidiger glaubte er an eine Republik, als er das Rollen dieses Namens hörte, der vielleicht noch fürchterlicher ist als der Gedanke selbst. Er glaubte an Jean-Jacques Rousseaus Republik, an die Brüderlichkeit der Menschen, an den Austausch schöner Gefühle, an die feierliche Bekanntmachung des Verdienstes, an die Wahl ohne Bewerbung, kurz an alles, was die mäßige Ausdehnung eines Bezirks wie Sparta ermöglicht, die Größenverhältnisse eines Kaiserreichs aber zum Hirngespinst machen. Er vertrat seine Gedanken mit seinem Blute: sein einziger Sohn ging an die Grenze ab. Er tat noch mehr, er vertrat ihn – ein letztes Opfer der Selbstsucht – mit seinen Interessen. Als Neffe und einziger Erbe des Pfarrers von Blangy, konnte der allmächtige Tribun des Landes der schönen Arsène, der hübschen Magd des Entschlafenen, die Erbschaft wieder wegnehmen, achtete aber des Testators Willen und wählte das Elend, das sich für ihn ebenso prompt einstellte wie der Verfall für seine Republik.

Niemals kam ein Heller, ein Baumzweig, der einem anderen gehörte, in die Hände dieses erhabenen Republikaners, der, wenn er Schule machen könnte, die Republik annehmbar machen würde. Er weigerte sich, Nationalgüter zu kaufen; er bestritt der Republik das Recht der Einziehung. In Beantwortung der Fragen des Komités für öffentliches Wohl wünschte er, daß Bürgertugend fürs heilige Vaterland die Wunder bewirke, welche die Wucherer der Macht durch Geldaufwand hervorbringen wollten. Dieser antike Mann warf Gaubertins Vater öffentlich seine geheimen Verrätereien, seine Gefälligkeiten und seine Veruntreuungen vor. Er schalt den tugendhaften Mouchon aus, jenen Volksvertreter, dessen Tugend ganz einfach in seiner Untätigkeit bestand, wie bei so vielen anderen, die, vollgepropft mit den ungeheuersten politischen Hilfsmitteln, die eine Nation jemals geliefert hat, kurz, mit der ganzen Macht eines Volkes ausgerüstet, daraus nicht soviel Größe hervorholten, wie Richelieu in eines Königs Schwäche zu finden wußte. So wurde der Bürger Niseron denn ein lebender Vorwurf für zu viele Leute. Bald stürzte man den Biedermann in die Flut des Vergessens mit jenem schrecklichen Worte: »Er ist mit nichts zufrieden!« dem Worte jener, die sich während des Aufstandes gesättigt haben.

Dieser andre Bauer von der Donau suchte sein Dach in Blangy wieder auf, sah seine Illusionen eine nach der anderen wieder versinken, sah seine Republik als Schleppenträgerin des Kaisers enden und versank unter Rigous Augen, der ihn heuchlerisch dahin zu bringen wußte, in völlige Armut. Wißt ihr warum? Niemals wollte Jean-François Niseron von Rigou etwas annehmen. Wiederholte abschlägige Antworten zeigten dem tatsächlichen Besitzer der Erbschaft an, welche Geringschätzung der Neffe des Pfarrers ihm entgegenbrachte. Schließlich wurde diese eisige Verachtung durch die furchtbare Drohung mit Bezug auf seine Enkelin gekrönt, von welcher Abbé Brossette der Gräfin erzählt hatte.

Von den zwölf Jahren der französischen Republik hatte der Greis eine Geschichte für sich geschrieben, die ausschließlich voll von den großen Zügen war, welche jener heroischen Zeit Unsterblichkeit verleihen werden. Die Ruchlosigkeiten, die Metzeleien, die Beraubungen wollte der Biedermann nicht kennen; er bewunderte immer die Beispiele von Aufopferung, den »Rächer«, die Opfer für das Vaterland, den Schwung des Volkes an den Grenzen, und er setzte seinen Traum fort, um dabei einzuschlafen.

Die Revolution hat sehr viele Vater Niseron ähnliche Dichter gehabt, die ihre Gedichte in ihrem Herzen oder bei den Heeren, heimlich oder am hellen Tage sangen durch Taten, die begraben sind unter dem Dunst jenes Orkans, ebenso wie unter dem Kaiserreich vergessene Verwundete »Es lebe der Kaiser!« schrien, ehe sie starben.

Solche Erhabenheit ist Frankreich zu eigen. Der Abbé Brossette hatte diese harmlose Ueberzeugung geachtet. Der Greis hatte sich allein auf jenes vom Priester geäußerte Wort hin: »die wahre Republik ruht im Evangelium«, ganz treuherzig an den Pfarrer angeschlossen. Und der alte Republikaner trug das Kreuz, zog das halb rote, halb schwarze Gewand an, war würdig und ernst in der Kirche und ging in der dreifachen Funktion auf, mit der Abbé Brossette ihn bekleidet hatte. Dieser wollte dem braven Manne nicht seinen Lebensunterhalt geben, sondern ihn vor dem Verhungern bewahren.

Dieser Greis, der Aristides von Blangy, sprach wie all die edlen Betrogenen, die sich in den Mantel der Resignation hüllen, wenig; unterließ es aber niemals, das Böse zu tadeln; so fürchteten ihn die Bauern denn, wie Diebe die Polizei fürchten. Er kam keine sechs Mal im Jahre ins »Grand-I-Vert«, obwohl man ihn dort immer feierte. Der Greis verwünschte die geringe Nächstenliebe der Reichen; ihre Selbstsucht empörte ihn, und durch diese Faser schien er stets mit den Bauern zusammen zu hängen. So sagte man: »Vater Niseron liebt die Reichen nicht, er ist einer der unsrigen!«

Als Bürgerkrone wurden diesem schönen Leben im ganzen Tale die Worte zu teil: »Der brave Vater Niseron, es gibt keinen ehrenwerteren Menschen!« Häufig zum obersten Schiedsrichter bei gewissen Streitigkeiten gewählt, verwirklichte er das magische Wort: »der Dorfälteste«.

Dieser, obwohl sehr arme, doch peinlich saubere Greis trug stets Hosen, dicke Wollstrümpfe, eisenbeschlagene Schuhe, den sozusagen französischen Rock mit großen Knöpfen, den die alten Bauern beibehalten haben, und den breitrandigen Filzhut. An gewöhnlichen Tagen aber hatte er ein Wams aus blauem Tuch an, so geflickt, daß es einer Stickerei glich. Der Stolz des Mannes, der sich frei und der Freiheit würdig fühlt, verlieh seinem Gesichte, seiner Haltung etwas Edles; kurz er trug ein Kleidungsstück und keine Lumpen!

»He, was gibt's denn Ungewöhnliches, Alte? Ich hörte Euch auf dem Glockenturme!« fragte er.

Man erzählte Vatels Attentat auf die Alte, doch sprachen alle nach Bauerngewohnheit auf einmal.

»Wenn Ihr den Baum nicht abgehauen habt, ist Vatel im Unrecht; habt Ihr ihn aber abgehauen, so habt Ihr zwei schlechte Handlungen begangen,« sagte Vater Niseron.

»Nehmt doch ein Glas Wein,« sagte Tonsard, dem Biedermann ein volles Glas anbietend.

»Gehn wir?« fragte Vermichel den Gerichtsvollzieher.

»Ja, wir werden auf den Vater Fourchon verzichten und den Adjunkten von Conches nehmen. Geh voran, ich hab' im Schloß einen Akt abzugeben; Vater Rigou hat seinen zweiten Prozeß gewonnen, ich zeige das Urteil an.«

Und Herr Brunet, der zwei Gläschen Branntwein genehmigt hatte, bestieg seine graue Stute wieder, nachdem er Vater Niseron guten Tag gewünscht hatte; denn jedermann im Tale legte großes Gewicht auf des Alten Wertschätzung.

Keine Wissenschaft, nicht einmal die Statistik kann Rechenschaft über die mehr als telegraphische Schnelligkeit ablegen, mit welcher Neuigkeiten sich auf dem Lande verbreiten, noch auf welche Weise sie diese Art unbebauter Steppen durchqueren, die in Frankreich eine Anklage wider die Verwalter und Kapitalisten sind. Es gehört der zeitgenössischen Geschichte an, daß der berühmteste der Bankiers, nachdem er seine Pferde zwischen Waterloo und Paris zu Tode gejagt hatte (man weiß weshalb! er gewann alles, was der Kaiser verlor: ein Königtum) dem Eintreffen der verhängnisvollen Nachricht nur um einige Stunden zuvorkam. Eine Stunde nach dem Streite zwischen der alten Tonsard und Vatel fanden sich daher mehrere andere Stammgäste im »Grand-I-Vert« zusammen.

Der Erstankömmling war Courte-Cuisse, in dem man nur schwer den jovialen Jagdhüter, den hochroten Kanonikus, wiedererkannt hätte, dem seine Frau, wie man in der Erzählung zurückliegender Begebnisse gesehen hat, morgens seinen Milchkaffee kochte. Gealtert, abgemagert, blaß, bot er für alle Augen eine schreckliche Lehre, die indeß niemandem die Augen öffnete.

»Er hat höher steigen wollen als die Leiter ist,« sagte man zu denen, die den Exjagdhüter beklagten, indem sie Rigou anklagten: »Er hat Bourgeois werden wollen!«

Tatsächlich hatte Courte-Cuisse, als er die Domäne la Bâchelerie kaufte, damit geprahlt, Bourgeois werden zu wollen. Seine Frau ging und sammelte Mist! Sie und Courte-Cuisse standen vor Tag auf, hackten ihren tüchtig gedüngten Garten um, ließen ihn mehrere Ernten hervorbringen, ohne etwas anderes als die Rigou für den Rest des Kaufpreises geschuldeten Zinsen bezahlen zu können. Ihre in Auxerre in Dienst stehende Tochter schickte ihnen ihren Lohn; doch trotz so vieler Mühen, trotz dieser Hilfe sahen sie sich am Rückzahlungstage ohne einen roten Heller. Frau Courte-Cuisse, die sich ehedem von Zeit zu Zeit eine Flasche gekochten Weines und Braten leistete, trank nur noch Wasser. Die meiste Zeit wagte Courte-Cuisse nicht, das Grand-I-Vert zu betreten, da er dort drei Sous zu lassen fürchtete. Seiner Macht entkleidet, wie er war, hatte er seine freie Zeche in der Schenke verloren und schimpfte wie alle dummen Tröpfe über die Undankbarkeit. Kurz, gleichwie bei allen vom Teufel des Besitzes gerittenen Bauern nahm gegenüber den wachsenden Mühen die Nahrung ab.

»Courte-Cuisse hat zuviele Mauern gebaut,« sagte man, ihn um seine Lage beneidend; »um Spaliere zu errichten, mußte er warten, bis er Herr war.«

Der Biedermann hatte die drei von Rigou gekauften Morgen Landes gedüngt und ertragreicher gemacht; der an das Haus anstoßende Garten fing an zu tragen, und er fürchtete, aus dem Eigentum vertrieben zu werden. Er, der ehedem Stiefel und Jagdgamaschen trug, ging wie Fourchon gekleidet, hatte Holzschuhe an den Füßen und klagte die Bourgeois von Les Aigues an, sein Unglück verursacht zu haben! Die nagende Sorge gab dem dicken kleinen Manne mit seiner vordem lachenden Miene ein finsteres und vertiertes Aussehen, das ihn einem von Gift oder chronischem Leiden verzehrten Kranken ähneln ließ.

»Was haben Sie denn, Monsieur Courte-Cuisse? Hat man Ihnen die Zunge abgeschnitten?« fragte Tonsard, als er den Biedermann schweigen sah, nachdem er ihm über die eben stattgehabte Schlacht berichtet hatte.

»Das würde schade sein,« sagte die Tonsard, »er kann sich nicht über die Wehmutter beklagen; sie hat da eine schöne Operation ausgeführt, die ihm die Zunge gelöst hat.«

»Da friert einem schon der Schnabel ein, wenn man sich überlegt, wie man mit Monsieur Rigou zu Ende kommen kann,« antwortete traurig der altgewordene Alte.

»Bah,« entgegnete die alte Tonsard, »Sie haben eine hübsche Tochter, sie ist siebzehn Jahre alt; wenn sie klug ist, werden Sie leicht mit dem alten Krippensetzer ins Reine kommen.«

»Wir haben sie vor zwei Jahren nach Auxerre geschickt zu der alten Madame Mariotte, um sie vor allem Unglück zu bewahren,« sagte er, »lieber will ich verrecken, als . . .«

»Er ist verrückt,« sagte Tonsard, »sehen Sie meine Töchter an, sind die gestorben? Wer da leugnen wollte, daß sie verständig wie Heiligenbilder sind, hätte sich vor meiner Flinte zu verantworten!«

»'s wäre bitter, wenn's dahin käme!« rief Courte-Cuisse, den Kopf schüttelnd, »lieber sähe ich's, wenn man mich bezahlte, auf einen von den Arminacs zu schießen!«

»Ah! besser ist's, seinen Vater zu retten als seine Tugend sauer werden zu lassen!« erwiderte der Schankwirt.

Tonsard spürte einen harten Schlag, den Vater Niseron ihm auf die Schulter versetzte.

»Was du da redest, ist nicht gut!« sagte der Alte. »Ein Vater ist der Hüter der Ehre in seiner Familie. Wenn ihr euch aufführt, wie ihr's tut, werdet ihr die Verachtung auf uns ziehen, und man wird das Volk anklagen, daß es der Freiheit nicht würdig sei! Das Volk muß den Reichen das Beispiel bürgerlicher Tugenden und der Ehre geben. Alle, wie ihr da seid, verkauft ihr euch dem Rigou um Gold. Wenn ihr ihm nicht eure Töchter ausliefert, liefert ihr ihm eure Tugenden aus! Das ist schlimm!«

»Seht doch, wohin es mit Courtebotte gekommen ist,« sagte Tonsard.

»Sieh, wie's mir geht,« antwortete Vater Niseron; »ich schlafe ruhig; in meinem Kopfkissen gibt's keine Dornen.«

»Laß ihn reden, Tonsard,« rief die Frau ihrem Manne ins Ohr; »du weißt ja, das ist das Steckenpferd des armen guten Mannes.«

Bonnébault und Marie, Cathérine und ihr Bruder traten in diesem Augenblick in einer Erbitterung ein, die mit Nicolas' Mißerfolg eingesetzt und den die Mitteilung des von Michaud gefaßten Planes zum Sieden gebracht hatte. So ließ Nicolas denn auch, als er die väterliche Schenke betrat, eine furchtbare Verwünschung gegen das Michaudsche Paar und Les Aigues vom Stapel.

»Die Ernte ist da; wohlan, ich werde nicht abreisen, ohne meine Pfeife an ihren Schobern angesteckt zu haben!« schrie er, indem er mit derber Faust auf den Tisch schlug, an den er sich setzte.

»Sowas darf man nicht vor den Leuten ausschreien,« sagte Godain, auf Vater Niseron hinweisend, zu ihm.

»Wenn er sprechen sollte, würd' ich ihm den Hals umdrehen, wie einem Hühnchen,« erwiderte Cathérine, »der hat seine Zeit hinter sich, der alte Ausschreier übler Vernunftgründe! Man nennt ihn tugendhaft: das ist sein Temperament und das ist alles!«

Einen seltsamen und merkwürdigen Anblick boten all die erhobenen Köpfe der in dem schmutzigen Loche versammelten Leute, an dessen Türe die alte Tonsard Wache hielt, um den Trinkern das Geheimnis ihrer Reden zu sichern. Von all diesen Gesichtern machte Godains, der Cathérine nachstellte, obwohl es das am wenigsten ausgesprochene war, den fürchterlichsten Eindruck. Godain, der Geizhals ohne Gold, welcher der grausamste aller Geizhälse ist; denn, muß man den, der Geld sucht, nicht dem voranstellen, der auf seinem Gelde sitzt? Der eine blickt in sich selber hinein, der andere blickt mit schrecklicher Beharrlichkeit geradeaus. Dieser Godain hätte euch den Typus der häufigsten Bauerngesichter dargeboten.

Dieser Tagelöhner, ein kleiner Mann, der nicht zum Militär gekommen war, weil er das Mindestmaß nicht besaß, von Natur dürr, noch vertrockneter durch die Arbeit und die stupide Nüchternheit, unter der erbitterte Arbeiter wie Courte-Cuisse auf dem Lande erlöschen, wies ein faustgroßes Gesicht auf, das sein Licht aus zwei grünen, gelbgetigerten Augen mit braunen Punkten bezog, für die der Durst nach Geld um jeden Preis sich mit Begierde löschte, die jedoch der Hitze entbehrte; denn das anfangs kochende Verlangen war wie ein Lavastrom erstarrt. Auch klebte seine Haut an den Schläfen fest, die braun wie die einer Mumie waren. Sein dünner Bart stach aus seinen Runzeln hervor wie die Stoppeln aus den Furchen. Godain schwitzte niemals; er sog seine Substanz wieder auf. Seine haarigen und gekrümmten nervigen, unermüdlichen Hände schienen aus altem Holz zu bestehen. Obwohl er kaum siebenundzwanzig Jahre alt war, sah man bereits weiße Fäden in einem fuchsigen schwarzen Haupthaar. Er trug eine Bluse, durch deren Schlitz schwarz ein Hemd aus derber Leinwand sichtbar wurde, das er länger als einen Monat tragen und selber in der Thune waschen mußte. Seine Holzpantinen waren mit altem Eisen beschlagen. Den Stoff seiner Hose konnte man bei der unendlichen Zahl der Flicken und Stopfstellen nicht mehr erkennen. Schließlich trug er auf dem Kopfe eine schreckliche Mütze, die er wahrscheinlich in Ville-aux-Fayes auf irgendeiner Bürgerhausschwelle aufgelesen hatte.

Da er klarsehend genug war, um die unter Cathérine verborgenen Vermögenswerte zu schätzen, wollte er Tonsard im Grand-I-Vert nachfolgen. Er wandte daher all seine List, seine ganze Macht auf, um sie zu fangen: er versprach ihr Reichtum, versprach ihr den Fortbestand der großen Freiheit, welcher die Tonsard sich erfreut hatte, schließlich versprach er seinem künftigen Schwiegervater eine ungeheure Rente, jährlich fünfhundert Franken aus seiner Schenke bis zur vollen Abzahlung, indem er sich auf eine mit Monsieur Brunet gehabte Unterredung über die Bezahlung verließ, in Stempelpapieren. Zeugschmiedgeselle seines Zeichens, arbeitete der Gnom beim Stellmacher, solange es viel Arbeit gab, vermietete sich aber zu teuer bezahltem Frondienst. Obwohl er etwa achtzehnhundert Franken besaß, die ohne Wissen der ganzen Gegend bei Gaubertin angelegt waren, lebte er wie ein Bettler, hauste in einem Speicher bei seinem Meister und hielt bei der Ernte Nachlese. Gaubertins Wechsel, der jedes Jahr erneuert und um seine Zinsen und Ersparnisse vergrößert wurde, trug er eingenäht im Oberteil seiner Sonntagshose.

»Ach, was macht mir das!« schrie Nicolas, auf Godains klugen Einwurf antwortend. »Wenn ich Soldat werden muß, ist's mir schon lieber, wenn das Sägemehl des Henkerkorbs mein Blut auf einmal trinkt, als es tropfenweise herzugeben . . . Und ich werde das Land von einem dieser Arminacs befreien, die der Teufel auf uns losgelassen hat.«

Und er erzählte das belauschte angebliche Komplott Michauds gegen ihn.

»Woher soll Frankreich denn deiner Meinung nach seine Soldaten nehmen?« fragte ernst der weiße Alte, indem er aufstand und sich während des tiefen Schweigens, das diese furchtbare Drohung erzeugte, vor ihm aufpflanzte.

»Man hat seine Zeit abgedient und kommt zurück,« sagte Bonnébault, indem er seinen Schnurrbart strich.

Als der alte Niseron die übelsten Subjekte des Landes vereinigt sah, schüttelte er den Kopf und verließ die Schenke, nachdem er Madame Tonsard einen Heller für sein Glas Wein gereicht hatte. Als der Biedermann den Fuß auf die Stufen gesetzt, würde die Bewegung der Befriedigung, welche sich in der Versammlung der Trinker kundtat, dem, der sie gesehen hätte, gesagt haben, daß all diese Leute sich von dem wandelnden Bilde ihres Gewissens befreit fühlten.

»Nun, was sagst du zu alledem, he! Courtebotte?« fragte Vaudoyer, der plötzlich hereingekommen war und dem Tonsard Vatels Versuch erzählt hatte.

Courte-Cuisse (Kurzschenkel), dem fast jedermann den Spitznamen Courtebotte (Kurzstiefel) gab, ließ seine Zunge gegen den Gaumen schnalzen und setzte sein Glas auf den Tisch.

»Vatel ist im Unrecht,« antwortete er, »an der Mutter Stelle würde ich mir die Rippen quetschen, ins Bett kriechen, mich krank stellen und den Tapezier und seinen Hüter anzeigen, um ihnen zwanzig Sous Schmerzensgeld abzuzapfen. Monsieur Sarcus würde sie zubilligen . . .«

»Auf alle Fälle würde der Tapezier sie herausrücken, um den Spektakel zu vermeiden, den das machen kann,« sagte Godain.

Vaudoyer, der alte Feldhüter, ein Mann von fünf Fuß sechs Zoll, mit einem pockennarbigen Nußknackergesicht, bewahrte mit zweifelnder Miene Schweigen.

»Nun,« fragte Tonsard, verführt durch die sechzig Franken, »was ärgert dich, alter Gimpel? Man wird meine Mutter für zwanzig Taler beschädigt haben, auf diese Weise ließe sich etwas aus ihr herausschlagen! Wir werden für dreihundert Franken Lärm machen und Monsieur Gourdon könnte denen in Les Aigues gut sagen, daß der Hüftknochen der Mutter ausgerenkt ist.«

»Und man würde ihn ihr ausrenken! . . .« fuhr die Schankwirtin fort; »sowas macht man in Paris!«

»Das würde zu teuer kommen,« erwiderte ihr Godain.

»Zu oft hab ich Juristen reden hören, um zu glauben, daß die Dinge nach eurem Willen gehen werden,« sagte endlich Vaudoyer, der dem Gericht und den Amtshandlungen des Exbrigadiers Soudry oft beigewohnt hatte. »Solange es sich um Soulanges handelte, möchte es noch gehen; Monsieur Soudry repräsentiert die Regierung und will dem Tapezier nicht wohl. Doch wenn ihr den Tapezier und Vatel angreift, werden sie so boshaft sein, sich zu verteidigen und werden sagen: ›Die Frau war im Unrecht, sie hatte einen Baum; andernfalls würde sie ihr Bündel auf dem Wege haben untersuchen lassen und nicht fortgelaufen sein; wenn ihr ein Unglück zugestoßen ist, soll sie sich nur an ihr Vergehen halten.‹ Nein, das ist keine sichere Sache.«

»Hat der Bourgeois sich verteidigt, als ich ihn vor Gericht gefordert habe?« sagte Courte-Cuisse. »Er hat mich bezahlt.«

»Wenn ihr wollt, will ich nach Soulanges gehen,« sagte Bonnébault, »werde Monsieur Gourdon, den Kanzlisten, um Rat fragen, und ihr sollt heut abend wissen, ob was dabei rauskommt.«

»Du suchst nur nach Vorwänden, um das große Kalb, Socquards Tochter, zu umschwänzeln,« sagte Marie Tonsard zu ihm, indem sie ihm einen solchen Klaps auf die Schulter versetzte, daß seine Lungen tönten.

In dem Augenblicke hörte man folgende Strophe eines alten burgundischen Weihnachtsliedes:

Der schönste Tag des Lebens sein
War, als er einst bei Tische
Verwandelt in Madeirawein
Des lautern Wassers Frische . . .

Jeder erkannte Vater Fourchons Stimme, dem diese Strophe besonders zu gefallen schien, und den Mouche im Falsett begleitete.

»Ach, sie sind voll,« rief die alte Tonsard ihrer Schwiegertochter zu. »Dein Vater ist rot wie ein glühender Ofen und der Kleine schwankt wie eine Ranke im Winde!«

»Seid gegrüßt!« schrie der Alte, »hier sind ja viele Lumpen zusammen! . . . Sei gegrüßt,« sagte er zu seiner Enkelin, die er überraschte, als sie Bonnébault umarmte, »sei gegrüßt, Marie, du Lastersack, der Satan sei mit dir, sei verflucht unter allen Weibern etc. Gruß der Gesellschaft! Ihr seid geleimt! Könnt euren Garben Lebewohl sagen! Es gibt was Neues! Ich hab's Euch ja gesagt, daß der Bourgeois euch mürbe machen würde, nun gut, er wird euch mit dem Gesetze peitschen! . . . Ah, das kommt dabei heraus, wenn man gegen die Bourgeois kämpft. Die Bourgeois haben so viele Gesetze gemacht, daß sie für alle Kniffe welche haben! . . .« Ein furchtbarer Rülps gab den Gedanken des ehrenwerten Redners plötzlich einen anderen Lauf.

»Wenn Vermichel hier wäre, würd' ich ihm ins Maul blasen; er würde einen anderen Begriff davon kriegen, was Alikantewein ist! Welch ein Wein! Wenn ich kein Burgunder wäre, möchte ich Spanier sein! Ein Götterwein! Ich glaube wohl, daß der Papst seine Messe damit liest! . . . Sackerlot, welch ein Wein! . . . Ich bin jung! . . . Höre, Courtebotte, wenn dein Weib hier wäre, . . . würde ich sie jung finden! Spanierwein übertrifft ganz gewiß den gekochten Wein! Nur um die Keller leerzusaufen, sollte man eine Revolution machen!«

»Aber was habt Ihr für eine Neuigkeit, Papa?« fragte Tonsard.

»'s gibt keine Ernte für euch alle, der Tapezier will euch das Stoppeln untersagen.«

»Das Stoppeln untersagen!« schrie die ganze Schenke mit einer einzigen Stimme, die von den scharfen Tönen der vier Weiber beherrscht wurde.

»Ja,« sagte Mouche, »er will eine Entscheidung herbeiführen, sie von Groison veröffentlichen, sie im Bezirk aushängen lassen, und nur die, welche Dürftigkeitszeugnisse haben, dürfen stoppeln!«

»Und, versteht es recht!« sagte Fourchon, »die Leckermäuler der anderen Gemeinden werden nicht zugelassen werden!«

»Was! Was!« sagte Bonnébault. »Weder meine Großmutter noch ich, noch deine Mutter, Godain, dürfen hier stoppeln? Das sind mir Obrigkeitsstreiche! Ich halte sie zum Narren! Ist denn der General von Bürgermeister ein losgelassener Höllenhund?«

»Wirst du trotzdem stoppeln, Godain?« fragte Tonsard den Wagnergesellen, der auf Cathérine einredete.

»Ich, ich hab' nichts, bin bedürftig,« antwortete er, »ich werd' um einen Erlaubnisschein bitten.«

»Was hat man meinem Vater denn für seine Otter gegeben, mein Herzchen?« fragte die schöne Wirtsfrau Mouche.

Obwohl er böse mit seinem Magen zu kämpfen und von zwei Flaschen Wein verglaste Augen hatte, neigte Mouche, der auf den Knien der Tonsard saß, seinen Kopf auf den Hals seiner Tante und antwortete ihr leise ins Ohr:

»Ich weiß es nicht, aber er hat Gold! . . . Wenn Ihr mich einen Monat lang lecker füttern wollt, werde ich vielleicht sein Versteck entdecken; er hat einen . . .«

»Der Vater hat Gold! . . .« sagte die Tonsard ihrem Manne ins Ohr, der mit seiner Stimme den durch die lebhafte Unterhaltung, an der alle Trinker teilnahmen, hervorgerufenen Tumult beherrschte.

»Pst! Groison kommt!« schrie die Alte.

Ein tiefes Schweigen herrschte in der Schenke. Als Groison in einer angemessenen Entfernung war, machte die alte Tonsard ein Zeichen und die Diskussion über die Frage, ob man wie im vergangenen Jahre ohne Dürftigkeitszeugnis stoppeln würde oder nicht, ging wieder von neuem los.

»Ihr müßt schon gehorchen,« sagte Vater Fourchon, »denn der Tapezier hat den Präfekten aufgesucht, um ihn um Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu bitten. Wie Hunde, die wir ja sind, wird man euch totschlagen!« schrie der Alte, der die durch den Spanierwein hervorgerufene Schwere seiner Zunge zu besiegen suchte.

So toll diese andere Meldung Fourchons auch war, sie stimmte doch alle Trinker nachdenklich: sie hielten die Regierung für fähig, sie mitleidlos niederzumetzeln.

»Es hat derartige Unruhen in der Umgebung von Toulouse gegeben, wo ich in Garnison stand,« sagte Bonnébault; »wir sind losmarschiert, die Bauern sind niedergesäbelt und verhaftet worden . . . Da gab's was zu lachen, als man sah, wie sie der Truppe Widerstand leisten wollten. Zehn wurden vom Gericht in Ketten gelegt, elf ins Gefängnis gesteckt; alles ist zuschanden gemacht worden, was! . . . Soldat ist Soldat, ihr seid Zivilisten, man hat das Recht, euch niederzusäbeln und hott! . . .«

»Nun,« sagte Tonsard, »was habt ihr anderen denn, daß ihr wie Zicklein erschreckt? . . . Kann man meiner Mutter, meinen Töchtern was nehmen? . . . Man wird Gefängnis aufgebrummt kriegen? . . . Schön, dort kriegt man zu fressen; das ganze Land wird der Tapezier nicht hineinbringen. Uebrigens werden sie beim Könige besser gefüttert werden als zu Hause, und im Winter heizt man bei ihnen ein! . . .«

»Ihr seid Einfaltspinsel,« brüllte Vater Fourchon, »besser ist's, den Bourgeois auszusaugen als ihn von vorne anzugreifen, geht doch! Anders werdet ihr lendenlahm gemacht werden. Wenn ihr das Bagno liebt, ist's eine andere Sache! Man arbeitet dort nicht so viel wie auf den Feldern, das stimmt, hat dort aber seine Freiheit nicht.«

»Vielleicht,« sagte Vaudoyer, der sich als einer der kecksten in seinen Ratschlägen zeigte, »wär's besser, wenn einige von uns ihr Fell riskierten, um das Land von jenem Tier aus dem Gévaudan zu befreien, das sich am Avonnetor verschanzt hat . . .«

»Michaud eins auswischen? . . .« fragte Nicolas. »Ich bin dabei.«

»Die Sache ist noch nicht reif,« sagte Fourchon, »wir würden zu viel dabei verlieren, liebe Kinder. Wir müssen in Not geraten, Hunger schreien: der Bourgeois von Les Aigues und sein Weib werden uns dann Gutes tun wollen, und wir würden uns besser dabei stehen, als beim Stoppeln.«

»Ihr seid Maulwurfsfänger!« schrie Tonsard. »Vorausgesetzt, es gibt Händel mit dem Gericht und mit den Truppen, – ein ganzes Land steckt man nicht ins Gefängnis, und in Ville-aux-Fayes und in den alten Edelleuten werden wir Leute haben, die durchaus gewillt sind, uns beizustehen.«

»Das stimmt,« erklärte Courte-Cuisse, »nur der Tapezier beklagt sich, die Herren von Soulanges, von Ronquerolles und andere sind zufrieden! Wenn man bedenkt, daß ich, wenn dieser Kürassier den Mut gehabt hätte, sich wie die anderen töten zu lassen, noch glücklich sein würde in meinem Avonnetor, wo er das Unterste zu oberst gekehrt hat, daß man es nicht wiedererkennt! . . .«

»Man wird die Truppen nicht marschieren lassen eines Lumpen von Bourgeois wegen, der sich mit einem ganzen Lande schlecht steht!« sagte Godain. »Das ist sein Fehler! er will hier alles auf den Kopf stellen, alle Welt unterdrücken; die Regierung wird: ›Hände weg!‹ sagen.«

»Die Regierung spricht nicht anders; sie ist dazu verpflichtet, die arme Regierung,« sagte Fourchon von einer plötzlichen Liebe zur Regierung gepackt; »ich beklage die gute Regierung! . . . Sie ist unglücklich, ist ohne einen roten Heller, wie wir; . . . das ist dumm für eine Regierung, die ihr Geld selber prägt . . . Ach, wenn ich die Regierung wäre! . . .«

»Aber in Ville-aux-Fayes hat man mir erzählt,« rief Courte-Cuisse, »daß Monsieur de Ronquerolles im Parlament von unseren Rechten gesprochen hat.«

»Das steht in Monsieur Rigous Journal,« sagte Vaudoyer, der in seiner Eigenschaft als Exflurhüter zu lesen und zu schreiben verstand; »ich hab' es gelesen.«

Trotz seiner falschen Zärtlichkeiten folgte der alte Fourchon, wie viele Leute aus dem Volke, deren Fähigkeiten durch die Trunkenheit belebt worden sind, mit klugem Auge und aufmerksamen Ohres der Unterhaltung, welche viele Selbstgespräche seltsam machten. Plötzlich nahm er, sich erhebend, mitten in der Schenke Aufstellung.

»Hört den Alten an, er ist voll!« sagte Tonsard; »dann besitzt er die doppelte Bosheit: seine eigene und die des Weines! . . .«

»Spaniens! . . . das macht drei!« unterbrach ihn Fourchon, wie ein Faun grinsend. »Liebe Kinder, man darf die Sache nicht von vorn anpacken; ihr seid zu schwach; greift sie mir von der Seite an! . . . Macht tot, wie die Hunde! Die kleine Frau hat schon große Bange; ihr werdet sehen, man wird mit ihr bald zum Ziele kommen; sie wird das Land verlassen, und wenn sie's verläßt, wird ihr der Tapezier folgen, er kann ohne sie nicht sein. Das ist der Plan. Doch um ihre Abreise zu beschleunigen, meine ich, muß man ihnen ihren Ratgeber, ihre Kraft, unsern Spion, unsern Affen nehmen.«

»Wer ist das?«

»Ei, der verfluchte Pfarrer!« sagte Tonsard; »ein Sündenaufspürer, der uns mit Hostien satt machen will . . .«

»Ja, das ist wahr!« rief Vaudoyer, »wir waren glücklich ohne den Pfaffen. Man muß sich dieses Liebengottfressers entledigen; in die Hölle mit ihm!«

»Der Schwachmatikus,« fuhr Fourchon fort, indem er den Abbé Brossette bei seinem Spitznamen nannte, den letzterer seinem schwächlichen Aussehen verdankte, »wird vielleicht irgendeinem schlauen Weibe erliegen, da er alle Fasten hält. Und, indem man's durch eine Katzenmusik ausposaunt, wenn man ihn beim Schäferstündchen ertappt hat, wird sein Bischof gezwungen sein, ihn anderswohin zu schicken. Das würde dem braven Vater Rigou verteufelte Freude machen. Wenn Courte-Cuisses Tochter ihre Bürgersfrau in Auxerre verlassen wollte – sie ist so hübsch, daß sie, wenn sie die Fromme spielte, das Vaterland retten würde. Und bum berum bum!«

»Und warum solltest du das nicht sein?« sagte Godain ganz leise zu Cathérine; »da wird's einen Sack voll Geld einzuheimsen geben, um den Lärm zu vermeiden; und überdies würdest du Herrin hier sein . . .«

»Stoppeln wir? Stoppeln wir nicht?« fragte Bonnébault. »Was kümmert mich euer Abbé, ich, ich bin aus Conches, und wir haben dort keinen Pfarrer, der unser Gewissen mit seiner Klapper bearbeitet . . .«

»Halt,« meinte Vaudoyer, »man muß durch den Biedermann Rigou, der die Gesetze kennt, zu erfahren suchen, ob der Tapezier uns das Stoppeln verbieten kann, und er wird uns sagen, ob wir recht haben. Wenn der Tapezier im Rechte ist, dann wollen wir, wie der Alte sagt, die Sache von der Seite anpacken . . .«

»Es wird Blut fließen! . . .« sagte Nicolas, sich mit finsterer Miene erhebend, nachdem er eine ganze Flasche Wein ausgetrunken, die Cathérine ihm eingefüllt hatte, um ihn am Sprechen zu hindern. »Wenn ihr auf mich hören wollt, so schießt man Michaud ab! Aber ihr seid Lappärsche und Drückeberger!«

»Ich nicht!« sagte Bonnébault. »Wenn ihr Freunde seid, die ihren Schnabel zu halten wissen, so nehme ich's auf mich, den Tapezier abzutun! Welche Freude, eine blaue Bohne in seinen dicken Wanst zu placieren! Das würde mich an allen meinen Stänkern von Offizieren rächen! . . .«

»So, so!« rief Jean Louis Tonsard, der ein bißchen für Gaubertins Sohn galt und hinter Fourchon eingetreten war.

Dieser Bursche, der seit einigen Monaten Rigous hübscher Magd den Hof machte, folgte seinem Vater im Berufe eines Heckenstutzers und anderer tonsardischenWortspiel: tonsard heisst Scherer. Fähigkeiten nach. Er ging in die Bürgerhäuser, schwatzte dort mit dem Herrn und dem Gesinde und sammelte dort Ideen, die ihn zum Orakel der Familie, zum Schlaukopf machten. In der Tat wird man sofort sehen, daß Jean Louis, indem er sich an Rigous Magd hielt, die gute Meinung rechtfertigte, die man von seiner Schlauheit hatte.

»Nun, was hast du auf der Pfanne, Prophet?« fragte der Schenkwirt seinen Sohn.

»Ich sage, daß ihr das Spiel der Bourgeois spielt,« erwiderte Jean Louis. »Die Leute von Les Aigues erschrecken, um eure Rechte zu wahren, schön; doch sie aus dem Lande treiben und Les Aigues verkaufen lassen, wie es die Bourgeois des Tales wollen, das geht gegen unsere Interessen. Wenn ihr die großen Güter aufteilen helft, woher soll man denn Ländereien nehmen, die bei der nächsten Revolution zu verteilen wären? . . . Dann werdet ihr Land für ein Butterbrot kriegen, wie Rigou es bekommen hat. Wenn ihr es jedoch den Bourgeois in den Rachen werft, so werden diese es euch gründlich ausgebeutet und verteuert ausspeien. Ihr werdet für sie arbeiten, wie alle, die für Rigou arbeiten. Seht euch Courte-Cuisse an! . . .«

Diese Rede war von zu tiefgründiger Politik, um von trunkenen Leuten verstanden zu werden, die alle, außer Courte-Cuisse, Geld zusammenscharrten, um ihren Anteil am Kuchen von Les Aigues zu haben.

»Ei, geht mir doch! Ihr werdet Rigous Geschöpfe sein!« schrie Fourchon, der allein seinen Enkel verstanden hatte.

In diesem Augenblick ging Langlumé, der Müller von Les Aigues, vorüber, die schöne Tonsard rief ihn an:

»Ist's wahr,« sagte sie, »Herr Beigeordneter, daß man das Stoppeln verbieten will?«

Langlumé, ein kleiner munterer Kerl, mit mehlbestäubtem Gesicht, in grauweißes Tuch gekleidet, kam die Stufen hinauf, und sofort setzten die Bauern ernste Mienen auf.

»Gewiß, liebe Kinder, ja und nein. Die Bedürftigen sollen stoppeln, doch die Maßnahmen, die man treffen will, werden sehr vorteilhaft für euch sein . . .«

»Und wie das?« fragte Godain.

»Nun ja, wenn man all die armen Schlucker davon abhält, sich hier zu Tode zu schwitzen,« antwortete der Müller, die Augen pfiffig zusammenkneifend, »werdet ihr anderen nicht gehindert sein, wo anders hinzugehen, falls nicht alle Bürgermeister so handeln wie der von Blangy.«

»Also ist's wahr? . . .« sagte Tonsard mit drohender Miene.

»Ich,« erklärte Bonnébault, seine Polizeimütze aufs Ohr stülpend und seinen Haselnußstecken pfeifen lassend, »gehe nach Conches zurück und benachrichtige die Freunde . . .«

Und der Geck des Tales machte sich davon, indem er die Weise eines bekannten Soldatenliedes vor sich hin pfiff:

Der du die Gardehusaren kennst,
Kennst du nicht die Regimentsposaune?

»He da, Marie, er schlägt ja einen seltsamen Weg ein, um nach Conches zu gehen, dein guter Freund!« rief die alte Tonsard ihrer Enkelin zu.

»Er geht, Aglaë besuchen,« sagte Marie, die an die Türe sprang; »ich muß sie einmal gründlich verhauen, die Watschelente die!«

»Paß auf, Vaudoyer,« sagte Tonsard zu dem ehemaligen Flurhüter, »such den Vater Rigou auf: wir werden dann wissen, wie wir uns zu verhalten haben, er ist unser Onkel, und was er ausschleimt, kostet uns nichts!«

»Wieder eine Dummheit!« stieß Jean Louis leise hervor. »Er verkauft alles. Annette hat's mir eigens gesagt; es ist gefährlicher ihn anzuhören, als ein böses Wort.«

»Ich rate euch, vernünftig zu sein,« fügte Langlumé hinzu; »denn der General ist eurer Freveltaten wegen auf die Präfektur gefahren, und Sibilet sagt, er habe bei seiner Ehre geschworen, bis nach Paris zu gehen, um mit dem Kanzler von Frankreich, mit dem Könige, mit der ganzen Bagage zu reden, wenn es nötig sein sollte, um mit seinen Bauern fertig zu werden!«

»Seinen Bauern! . . .« schrie man.

»Alle Wetter! wir wären also nicht mehr unsere eigenen Herren?«

Auf diese Frage Tonsards hin ging Vaudoyer hinaus, um den alten Bürgermeister aufzusuchen. Langlumé, der bereits hinausgegangen war, drehte sich auf den Stufen um und erwiderte: »Ihr Nichtstuerpack, habt ihr etwa Renten, um euer eigener Herr sein zu wollen? . . .«

Obwohl er das lachend sagte, wurde dies starke Wort fast in der gleichen Weise empfunden, wie Pferde einen Peitschenhieb empfinden.

»Bum berum bum, eure eigenen Herrn! . . . Sag doch, mein Freundchen, nach deinem Streich von heute früh wird es nicht meine Klarinette sein, die man dir zwischen die vier Finger und den Daumen steckt,« sagte Fourchon zu Nicolas.

»Reize ihn nicht, er ist imstande, dich deinen Wein wieder von dir geben zu machen, indem er dir den Bauch reibt!« erwiderte Cathérine ihrem Großvater roh.


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