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Kaiser Karl

So wenig der Österreicher in Deutschland durch Verständnis für Österreich verwöhnt wird, zuweilen geschieht's doch, daß er, auch noch so sehr abgehärtet, noch so fest entschlossen, sich über gar nichts mehr zu wundern, dennoch wieder von neuem erstaunen muß. So jetzt wieder angesichts der Befriedigung, mit der man im Deutschen Reiche, sichtlich angenehm überrascht, gar nicht genug rühmen konnte, wie »glatt sich doch der Thronwechsel vollzogen«! Wir Österreicher, immer schon ein bißchen ängstlich, wenn man uns im Reiche lobt, wußten erst gar nicht gleich, was man damit denn eigentlich meinte. Uns war nichts aufgefallen; alles begab sich, wie wir es vorausgesehen; es konnte sich gar nicht anders begeben. Denn so sehr wir geneigt sind, schwarz zu sehen, so leicht wir kleinmütig werden, so wenig wir uns sicher fühlen, eins bleibt uns doch gewiß, und eins steht fest, daß wir in einer Monarchie leben, und in einer wirklichen. Das Gefühl, das wir für den alten Kaiser hatten, galt nicht bloß, wie man offenbar im Reiche meinte, seiner ehrwürdigen, auch noch durch Leiden geheiligten und durch das Alter verklärten Person, es galt nicht bloß dem Menschen Franz Joseph, es galt vor allem einfach dem Kaiser: es gilt dem Kaiser. Der Kaiser von Österreich, wer und was er auch sei, ist uns liebenswert, weil wir ja sonst nichts haben, was alle, welchen Volkes, welchen Standes, welchen Sinnes immer, lieben können. In ihm treffen wir uns. Er ist das Einzige, worin sich alle vereinigen. (Dem Denker genügt dazu die Idee, der einfache Mann braucht etwas Sichtbares, Greifbares, eine Gestalt, und Gott sei Dank, daß der Österreicher noch ein einfacher Mann ist und kein Josephiner.) Auf die Person kommt's im Grunde dabei gar nicht an; nicht das Individuum wird geliebt, sondern der Kaiser, in welcher Person immer. Weil er der Kaiser ist, wird er geliebt. Daß wir einen Kaiser haben, lieben wir. Und wir lieben ihn desto mehr, je mehr die Person im Kaiser verschwindet, je mehr sie ganz zur Erscheinung des Kaisers wird, wie das Volk diese braucht. Der bloße Verstand wird das »mystisch« finden. Österreich ist mystisch. Ganz auf Anschauung und Gefühl beruhend, bleibt es für den zerlegenden Verstand inkommensurabel. Österreich ist katholisch. Der Österreicher steht zum Monarchen ganz in demselben Verhältnis wie zum Priester, der sich, bei uns Katholiken, auch Achtung und Ehrfurcht nicht erst durch seine persönlichen Eigenschaften verdienen muß, weil in ihm ja nicht die Person, sondern die Weihe verehrt wird, der sich nicht erst anstrengen muß aufzufallen, etwas Besonderes zu tun, etwas Besonderes zu scheinen, dem sein Amt genügt. Auch unser Kaiser muß sich. nicht erst anstrengen. Indem er der Kaiser ist, hat er schon alles, was er braucht. Das Manifest des jungen Kaisers spricht das wunderschön aus: »Als kostbares Erbe meines Vorfahren übernehme ich die Anhänglichkeit und das Vertrauen usw.« Das ist das Geheimnis unsrer Kraft: er »übernimmt«. Es ist ein Schatz da, seit Rudolf von Habsburg her, der wird von Geschlecht zu Geschlecht übernommen; der Erbe hat nichts erst anzufangen, er »übernimmt« und bewahrt, was von ihm einst sein Erbe wieder »übernehmen« wird. Weshalb der Österreicher auch am Kaiser nicht irre werden kann. Auch wenn er den Erben in Person nicht liebte, er müßte noch immer an ihm das Erbe lieben, und diese Liebe ist über alles stark, es ist die Liebe zum Willen Gottes. Daher auch des Österreichers Freiheit im persönlichen Urteil über den Regenten, die auch »draußen« oft mißverstanden wird. Sie hängt mit unsrer Neigung zur Selbstkritik zusammen und zeigt nur, wie sehr wir uns mit ihm identifizieren. Wir haben es auch nicht erst nötig, den Kaiser zur Heldengestalt oder Romanfigur zu machen: er steht als Kaiser so hoch, daß sein persönliches Verdienst, und wäre es noch so groß, an dieser Würde gemessen, gering erscheint; und wir sind auf ihn so stolz und unsres Gefühls für ihn so gewiß, daß wir lieber davon schweigen; es ist uns viel zu lieb, um Lärm damit zu machen, es wäre uns leid darum.

Der alte Kaiser war hoch in Jahren. Das jetzt wirkende Geschlecht hat ihn nur noch aus der Ferne gekannt; er war schon halb mythisch geworden. Der junge Kaiser ist leibhaft im Schützengraben gewesen; das Heer kennt ihn von Angesicht; er wandelt mitten unter uns, in Payerbach. Und er hat eine wunderschöne junge Kaiserin, und den kleinen Kronprinzen mit den blonden Locken umspinnt schon Legende. Wir sind ein heiteres Augenvolk, das nach Gestalt, nach Erscheinung verlangt. Und der Kaiser ist jung; da fühlen wir uns nun alle selber wieder jung; Frühling pocht in allen Herzen. Wie's im Elpenor heißt:

»Ein alter König drängt die Hoffnungen der Menschen
In ihre Herzen tief zurück
Und fesselt dort sie ein;
Der Anblick aber eines neuen Fürsten
Befreit die lang gebundnen Wünsche.
Im Taumel dringen sie hervor,
Genießen übermäßig, töricht oder klug,
Des schwer entbehrten Atems.«

Und der junge Kaiser steht ja nicht allein. Er hat einen mächtigen Helfer bei sich. Denn seit dem ersten Tage fühlen wir: In ihm ist uns Franz Ferdinand auferstanden! Der teure Name ist seitdem auf allen Lippen, sein Werk geschieht jetzt und wir sind indessen für ihn gereift. Jetzt verstehen wir ihn erst, seit seinem Tode lebt er erst! Nun dürfen wir es ja eingestehen: wir sind seiner unwert gewesen, sind seiner die längste Zeit unwert geblieben. Er war sein Leben lang unbeliebt, er war uns fast unheimlich. Er war der Ernst, die Sachlichkeit, das Gewissen; das alles fand man damals doch eher unösterreichisch. Er lag auf dem Lande wie eine Drohung. Wir lassen uns so gerne Zeit, er war die Ungeduld selbst. Morgen ist auch noch ein Tag, pflegen wir zu sagen; er, vielleicht im Vorgefühl seines Schicksals, wollte davon nichts wissen. Wir waren gewohnt, selbst das Schwerste mit einer angenehmen Leichtigkeit zu behandeln; er nahm auch das Geringste noch schwer. In unserm heiteren Land blieb dieser tragische Mann unbekannt. Wir wußten nicht, daß er mehr als alle wußte, daß er voraus wußte. Wir lebten im Augenblick, er der Zukunft. Daß wir noch eine haben, noch einer Zukunft fähig sind, verdanken wir ihm, nur ihm, jetzt wissen wir's. Dieser tief einsame, scheu gewordene Mann, dieser Fremde, dieser so gar nicht »gemütliche« Sonderling, der wie ein Gewitter an unserm Horizont stand, hat, er ganz allein, die Pflicht seiner ganzen Generation erfüllt. Erst in der Mobilisierung erfuhren wir, was durch ihn geschehen war: Österreich war gerüstet! Wir verdanken es diesem einzigen Mann. Die österreichische Mobilisierung war der Triumph des toten Franz Ferdinand. Der hat in furchtbaren Jahren uns durch seinen unbeugsamen Willen unsre Wehrkraft abgetrotzt, aufgedrängt. Dem danken wir's, daß der Krieg uns bereit fand. Und ihm danken wir's auch, daß die große Stunde den jungen Kaiser Karl gerüstet und bereit fand: bereit, das Testament Franz Ferdinands zu vollstrecken, ein neues starkes Österreich. Ihm danken wir die gelassene Sicherheit, mit der unser junger Kaiser jetzt die rechten Männer an die rechten Stellen zum Werk bringt.


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