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Elftes Kapitel

Der Besuch beim Pfarrer Rixner ließ in der Gräfin nur ein bitteres Gefühl der Enttäuschung zurück. Welcher Unsinn auch, sagte sie sich, von einem Pfaffen Verständnis für die Logik des Herzens zu erwarten! Wer die Macht der Liebe nicht aus eigener Erfahrung kennt, ja sie nicht kennen, geschweige denn gar anerkennen darf, wie soll sich der die Zuversicht, ja die heiligende Macht einer reinen Leidenschaft auch nur vorstellen, wie soll er sie gar würdigen können? Er wird sich immer nur auf das Gesetz berufen, was aber ist Gesetz anderes als ein Vertrag, der mich doch bloß so lange binden kann, als die Bedingungen fortdauern, unter denen er geschlossen wurde. Die Bedingung meines Vertrags mit Gandolf war das Gefühl inniger Verehrung und herzlicher Zuneigung, das ich mit Liebe verwechseln konnte, so lang ich die Leidenschaft nicht kannte. Soll ich wünschen, ich hätt sie nie kennen gelernt? Unnütze Frage, denn ich kenn sie jetzt und keine Reue kann sie mir nehmen, und könnte sie's selbst, ich will es nicht, ich will mir nicht nehmen lassen, wodurch mein ganzes Leben erst verschönt, beglückt, ja geheiligt worden ist! Von dem inwendigen Garten hat mir der Pfarrer erzählt und das hört sich ja wunderschön an, aber wenn nun in diesem jahrelang treu behüteten, innig gehegten Garten dann plötzlich wie vom Himmel herab der Schuß eines unbekannten Samens fällt, von so wunderbarer Kraft, daß er, aufkeimend, erblühend, fruchtbringend, alles um sich überwuchernd verdrängt und alle die lieben zarten kleinen Blüten erstickt, die ich mir selber jahrelang unermüdlich aufzog, ist das meine Schuld? Soll ich diesen mir unverhofft geschenkten ungeheuren neuen Segen gewaltsam zertreten, ihn kalt von mir stoßen, statt auf die Kniee zu sinken und dem lieben Gott zu danken für das unverdiente Glück – von mir stoßen aus Gehorsam gegen ein Gelöbnis, das mich nicht binden kann, weil ich doch jetzt nicht mehr dieselbe bin, die sich damals band! Und wem zuliebe? Einem Manne, dem ich so wenig wert bin, den der Verlust meiner Liebe so wenig schmerzt, daß er mir gelassen alle Liebeslust in den Armen eines anderen gönnt, wenn nur das Gesetz zum Schein gewahrt bleibt! Und warum? Warum so viel Verstellung, so viel Erniedrigung vor Dienstboten, die man ins Vertrauen ziehen muß, so viel Gemeinheit? Alles angeblich bloß aus Ehrfurcht vor der Heiligkeit der Ehe! Da glaub ich doch einen höheren Begriff von beiden zu haben: vom Wesen der Ehe und vom Wesen des Heiligen! Mir gilt sie schon gebrochen, wenn sich auch nur das leiseste, selbst ein ganz reines, ein noch ganz unsinnliches Verlangen nach einem anderen als dem mir angetrauten Gatten in mein Herz stehlen will!

Die Verwirrung der Gräfin wuchs noch, da jedes Zeichen von Raderer ausblieb. Er blieb ihr fern, er ließ sich auf dem Schlosse nicht mehr blicken, doch, um die Form zu wahren, immer wieder einen neuen Vorwand ersinnend, um abzusagen. Wenn er sich wenigstens bei ihr entschuldigt hätte! Aber nein! Er schrieb immer dem Grafen, allerdings niemals versäumend, seine besten Empfehlungen an die verehrte Gräfin und seinen Handkuß beizufügen. O er blieb immer korrekt. Gerade das empörte sie ja so! Sein Ehrgeiz war, nur ja stets das Richtige zu tun! Aber fragt denn das Herz, was richtig ist? Das ist ja doch gerade das Wunderschöne, daß, wenn das Herz spricht, alle solche Fragen verstummen müssen vor der reinen Stimme des unwiderstehlichen Diktats in unserer Brust! Alles verschwor sich gegen sie, doch da kannten sie sie schlecht! Sie war zu jedem Opfer entschlossen, sie nahm willig jedes Leid auf sich, sie war zu jeder Entsagung bereit, wenn ihr Gewissen es ihr gebot, aber ihr Gewissen ist es doch gerade, das ihr verwehrt, ein Gefühl zu heucheln, das in ihr erstorben ist, und ein Gefühl zu leugnen, das ihr so klar und laut ansagt, wem sie jetzt angehört!

Daß sie der Graf schonend, mit einer ihm sonst ungewohnten Aufmerksamkeit, ja fast zärtlich behandelte, half ihr nicht, es erbitterte sie nur noch mehr, eben weil sie sich »behandelt« fühlte, wie eine Kranke, die man schonen muß, ja eigentlich als wäre sie geisteskrank! Es gab Stunden, in denen sie zuweilen fast selber an ihrer gesunden Vernunft zu zweifeln begann. Wer ist gesund, wer ist krank? Wer entscheidet darüber? Was meiner Umgebung recht scheint, ist für mein Gefühl falsch. Was ich als meine Pflicht erkenne, gilt ihr als Unrecht, alles ist vertauscht! An wen soll ich mich halten? Die Stimme des Gewissens mußt du hören, so hat man mich von Jugend auf gelehrt, und das darf ich von mir sagen: ich hab mich immer redlich bemüht, ihr zu gehorchen, als kleines Kind schon und dann Jahr für Jahr immer ängstlicher, immer eifriger. Aber es scheint, daß auf einmal das Gewissen viele Stimmen hat und sie sprechen oft so wirr durcheinander, daß ich mich jetzt gar nicht mehr auskennen kann! Hat das Gewissen in jedem Mund ein anderes Gebot? Und welchem darf ich, welchem muß ich gehorchen? Und wenn die sämtlichen Gewissen der ganzen Welt mir etwas gebieten, was mir mein eigenes Gewissen verwehrt, darf ich dann, kann ich denn der so klaren, hellen, lauten Stimme meiner eigenen Brust den Gehorsam kündigen, der mich doch mein ganzes Leben lang bisher immer zum Rechten geleitet hat? Wenn mir die ganze Welt sagt: das ist falsch, das darfst du nicht!, mein Gewissen aber dabei bleibt, daß es recht, ja daß es meine Pflicht ist, kann ich denn, darf ich denn nun zum ersten Male der lieben Stimme meines Gewissens untreu werden, das mich bisher immer so lieb und lind durch mein ganzes Leben sicher geleitet hat? Wenn ich meinem Gefühl nicht mehr trauen kann, dann bricht mir der Bau der Welt zusammen!

Es gab Stunden, in denen sich die Gräfin von einer so bangen Ratlosigkeit umfangen fühlte, daß ihr das ganze Leben gewissermaßen in der Hand zu zergehen schien; sie ließ einfach alles mit sich geschehen, sie verstand sich selbst nicht mehr, sie hatte sich doch stets so viel Mühe gegeben, das Rechte zu tun und es gelang ihr nie! Der einzige Trost, der ihr blieb, der einzige Halt, den sie noch in ihrer Verwirrung, in der Verstörung ihrer Gefühle fand, die letzte Stütze war das unverändert heitere, gütige Wesen des stets wohlgelaunten Grafen. Jeder Tag ließ sie von neuem seine Kraft bewundern. Die Gelassenheit, mit der er sich den Anschein gab, ahnungslos zu sein, die gute Laune, mit der er die Konversation so kunstgerecht bestritt, daß er unversehens dann auf einmal auch seine schweigsame Partnerin, eigentlich gegen ihren Willen, in ein angenehm tändelndes Gespräch einbezog, die Sicherheit, mit der er alles von sich abwies, was ihm unbequem war – wie klein, wie jämmerlich, wie ratlos kam sie sich selber neben ihm vor! Sie wehrte sich vergebens gegen den Zauber, der von ihm ausging. Es half ihr nichts, daß sie, jedes Wort von ihm abwägend, sich immer wieder bewies, wie wenig eigentlich an Sinn und Gehalt in seiner gerühmten Konversation stak, deren unwiderstehlicher Reiz eigentlich doch bloß in dem Hochmut lag, daß er es erst gar nicht nötig fand, irgend etwas zu sagen, weil sich doch auch das Nichtssagende in seinem Munde legitimierte, schon dadurch allein, daß es eben aus dem Munde des Grafen Gandolf kam und daß man eben, was aus diesem Munde kommt, anhört, auch wenn es nichts sagt, weil auch das Nichtssagende, wenn er es sagt, dadurch Bedeutung gewinnt, daß dahinter der Graf Gandolf steht! Der Graf Gandolf, dachte Hedwig, der Graf Gandolf an Raderers Stelle hätte sich nicht gedrückt, er hätte sie sich ertrotzt, Aug in Aug! Und welche Feigheit von ihr, Abend für Abend traulich, so nennt man das doch, mit dem Gatten zu plauschen, der er doch für ihr Gefühl längst gar nicht mehr war und der das wußte, ja dessen gelassen auf ihr ruhender Blick es ihr, halb spöttisch, halb mitleidig, täglich sagte: Armes Hascherl, das hilft dir alles nichts, du bist und bleibst, wie du dich auch winden magst, doch einmal mein Eigentum und da gibts nichts, ich laß mir mein Eigentum nicht nehmen! Wenn ihr Gefühl, ihr verändertes Gefühl eine Schuld, wenn es eine Sünde war, so büßte sie sie schwer genug in diesen endlosen Abendstunden gemütlichen Zusammenseins mit dem angetrauten Gatten, dem ihr Herz nicht mehr gehörte.

Der Graf fragt sie zuweilen, ob sie sich nicht langweilt. »Es ist etwas einsam geworden um uns. Die Waldeinsamkeit oben auf der Hütte, die dir Raderer erbaute, war schöner als diese etwas triste winterliche Schloßeinsamkeit. Es ist zu dumm von Raderer, sich so rar zu machen! So gern ich ihn mag, du hast doch recht gehabt – denn, erinner dich, du warst ja dagegen, als ich ihn einlud, du warst mit einer fast komischen Erbitterung dagegen! Du hast doch eine gute Witterung für Menschen. Ich will ihm nicht jetzt aus Ärger auf einmal Unrecht tun, er ist und bleibt ein Prachtkerl, menschlich genommen, nur daß er in irgend einer letzten inneren Falte halt doch den Bourgeois von Geburt nicht ganz verleugnen kann, der schlägt immer wieder plötzlich in ihm durch! Ich hab ihm die Stelle bei der Gemeinde verschafft, bloß damit er nicht das unangenehme Gefühl hat, auf unsere Kosten zu leben, ein dummer Ausdruck, der allein schon den Bourgeois verrät! Aber gut, sein blödes Gefühl soll geschont werden und der Bürgermeister hat ihn also mit der Revision der Bücher betraut und zahlt ihm dafür einen Gehalt, mit dem er gemächlich auskommen kann! Er aber nimmt es ernst und fängt wirklich die Bücher zu revidieren an, er will sich seinen Gehalt von der Gemeinde nicht schenken lassen, er will dafür auch etwas »leisten«, ganz wie es für ihn vorher ein drückendes Gefühl war, uns »zur Last zu fallen«, o Narr! Ja das hab ich mir natürlich nicht träumen lassen können! Aber das ist eben der Bourgeois in ihm, der immer wieder durchschlägt! Schad, denn er ist und bleibt dabei doch im Grund ein Prachtkerl!«

»Wenn man dich hört,« sagte die Gräfin, könnte man meinen, daß für dich jeder anständige Mensch ein verkappter Bourgeois ist, du schmeichelst dem Adel nicht!«

Der Graf sagte lachend: »No du drückst das vielleicht doch ein bißl übertrieben aus, so tragisch ist es nicht gemeint, aber der Adel paradiert nicht mit seiner Anständigkeit und er weiß, daß ein kleiner Seitensprung vom rechten Weg zuweilen ganz erfrischend und jedenfalls noch grad kein Unglück ist.«

»Es kommt nur darauf an,« sagte die Gräfin, »was du unter einem kleinen Seitensprung verstehst.«

»Mein Gott,« sagte der Graf, »ein Seitensprung ist erlaubt, solang er keine Ärgernis erregt, aber es kann auch Ärgernis erregen, wenn man sich gar zu sehr gegen einen Seitensprung wehrt – es kommt wie in allen Dingen auch hier auf die nötige Diskretion an, mit der richtigen Diskretion ist schließlich alles erlaubt, ohne sie aber eigentlich gar nichts, und in der Ausübung der richtigen Diskretion besteht das Geheimnis des Adels.«


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