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Fünftes Kapitel

Hedwig fragte lächelnd: »Was hast du denn heut? Du bist so still vergnügt und schaust immer nach der Tür. Wen erwartest du denn?«

»Du erwartest ihn ja auch.« Und da Hedwig errötete, fuhr der Graf lächelnd fort: »Dir fehlt Raderer genau so wie mir und wenn er einmal eine Viertelstunde später kommt, schaun wir beide ungeduldig nach der Uhr. Er ist ein Hausübel, das wir schon beide nicht mehr entbehren können.«

»Wie du doch gleich alles übertreibst!« sagte die Gräfin. »Wir sind unsere Whistpartie gewohnt und –«

»Und langweilen uns ohne ihn!«

»Langweilst du dich mit mir? Ich könnte fast eifersüchtig werden auf ihn!«

»Und ich vielleicht nicht?« sagte der Graf lachend. »Nur mit dem Unterschied, daß ich bei solchem Verdacht nicht gleich bis in die Ohren hinein rot werde, was dir übrigens reizend steht – da kann ich mit meinen alten Wascheln leider nicht konkurrieren! Also komm, Versöhnungskuß!, verzeihen wir uns feierlich unsere gegenseitigen Untreuen, die noch sträflicher sind, weil sie demselben Objekte gelten!«

»Du weißt doch, daß ich derlei nicht mag, selbst im Scherz nicht!« sagte die Gräfin und entwand sich seiner Umarmung.

Da trat Pfarrer Modl ein, von Raderer gefolgt. »Hochwürden,« sagte der Graf, dem Geistlichen die Hand reichend, »hüten Sie sich vor der Gräfin, sie meint es falsch! Die Herren kommen beide später als sonst, aber dieses treulose Geschöpf war nur um den Windhund Raderer besorgt, während ich meine Sehnsucht gerecht verteile, so daß niemand zu kurz kommt!«

»Man soll Scherze nicht zu Tode hetzen, Gandolf,« sagte die Gräfin, die sonst für die gern zuweilen etwas täppischen Späße Gandolfs geduldiger war.

»Jetzt spann uns aber nicht länger auf die Folter, wir platzen vor Neugier!«, rief Raderer. »Was geht vor? Der Bürgermeister im Pfarrhaus! Man weiß es schon im ganzen Ort, kein Mensch kennt sich aus! Und wenn nun die Leut erst noch morgen mich beim Bürgermeister anmarschieren sehn, mit einer Amtsmiene, die ich noch die ganze Nacht vor dem Spiegel einüben will, dann –«

»Du hast also den Antrag angenommen?« sagte der Graf.

»Das kannst du dir doch denken! Erstens macht es mir einen unbändigen Spaß, schon weil ich ja nicht ahne, warum, wieso, wozu! Dann aber auch die Masse Geld, ganz unversehens! Ich hab nämlich einen unverschämten Gehalt verlangt, in der Erwartung, der Bürgermeister, wie ich ihn kenn, handelt mir ja doch davon zwei Drittel ab! Aber nein! Keine Spur, er war einverstanden, er war überhaupt so zahm, nicht wieder zu erkennen! Und der Herr Pfarrer kann sich doch auch nicht erklären, was der ganz unerwartete Besuch des sonst so frechen Kerls bedeuten soll – und auf deinen Wunsch angeblich!«

»Wie hat er sich denn benommen?« fragte der Graf, mit einem Blick auf den Pfarrer, der lächelnd erwiderte: »Eigentlich ganz gut! Zunächst etwas verlegen, aber ich muß ja gestehen, ich selber war's doch auch! Es kam mir ganz unerwartet, ich war auf eine nicht sehr angenehme Szene gefaßt. Aber nein, er war sehr höflich und eigentlich auch ganz verständig, er meinte, daß man ja natürlich nicht in allen Fragen übereinstimmen kann, daß deswegen aber doch ein gegenseitiges Verständnis zwischen dem Bürgermeister und dem Pfarrer eines Ortes im Interesse beider und auch im allgemeinen Interesse wünschenswert sei, worin ich ihm natürlich nur lebhaft beistimmen konnte. Nicht ganz verständlich war mir der Eifer, mit der er mir immer wieder versicherte, gewisse Richtlinien trotz aller Bereitwilligkeit zu gegenseitiger aufrichtiger Verständigung unbedingt festhalten zu müssen. Er ließ sich leider auf eine Erklärung nicht ein, sondern blieb nur immer dabei: Nein, Herr Pfarrer, eine Grenze muß sein – Konzessionen, darüber läßt sich reden, aber, wie er mir wiederholt versicherte, deswegen muß man nicht gleich nach Kanossa gehen – später vielleicht einmal, aber so was darf man ja nicht überstürzen! Er erging sich dann in heftigen Klagen über die Gefahr von Wühlern, gegen die sich alle gutgesinnten Elemente des Ortes vereinigen müßten, weil Autorität nun einmal unentbehrlich ist, wenn, wie er sich etwas drastisch ausdrückte, wenn nicht überhaupt alles zu Dreck werden soll. Ich konnte wieder sachlich nur durchaus zustimmen und muß gestehen, daß ich mir, als er fort war, innerlich vorwarf, aus einer vielleicht entschuldbaren Reserve nicht ganz die volle Herzlichkeit aufgebracht zu haben, die man einem Manne schuldet, der zwar viel Ärgernis gegeben hat, aber durch seine aufrichtige Reue und Teilnahme vielleicht fast unsere Bewunderung verdient. Ich war nur so wenig darauf gefaßt, daß ich es leider daran fehlen ließ!«

»No Gott sei Dank!« fiel ihm der Graf ins Wort. »Lassen Sie's, bitte, Herr Pfarrer, auch künftig immer daran fehlen! Der Lumpenkerl haßt Sie, wie er mich haßt, wie er alles haßt, was irgendwie aus dem Dreck ragt. Und bloß, um mich zu vergewissern, daß ich ihn jetzt ganz in der Hand hab, hab ich ihm diesen Besuch bei Ihnen zur Bedingung gestellt!«

»No und die Buchführung,« rief Raderer lachend, »die mir unverhofft auf einmal so viel einbringt, ist das auch nur Buße?«

»Ja, mein verehrter Herr Oberst!« sagte der Graf in einem Ton, aus dessen Heiterkeit doch eine gewisse Gereiztheit durchklang, »auch!, aber für dich, der mir seit einiger Zeit verdächtig wird, unsere Gastfreundschaft, wie du pathetisch nennst, was doch einfach selbstverständlich und überdies sehr egoistisch von uns ist, drückend zu empfinden! Schämst du dich nicht? Aber gut, stolzer Spanier! Du sollst nicht länger das lästige Gefühl der Abhängigkeit von uns –«

»Das meinst du doch unmöglich im Ernst? Dazu kennst du mich doch zu gut, es kann dir unmöglich entgangen sein, daß ich arrogant genug bin, niemals auf den Gedanken zu kommen, ich könnte dir oder überhaupt irgend wem in der Welt zur – wie nennt man das? – zur Last fallen! Dazu bin ich wirklich zu sehr Spanier, um mich auf derlei falsche Bescheidenheit einzulassen!«

»No gut!« sagte der Graf. »Es ist jedenfalls selbstverständlich, daß du wie bisher bei uns wohnst, und wenn du schon töricht genug bist, daß du dich jetzt verpflichtet meinst, wirklich die Bücher der Gemeinde zu prüfen, was kein Mensch von dir verlangt, der Bürgermeister am allerwenigsten!, so wirst du die ganze übrige Zeit genau so mit uns leben wie bisher, aber ohne das dumme Gefühl, uns zur Last zu fallen, das dich bedrückt – widersprich nicht! ich sehe dir's ja am Nasenspitzel an – du gehörst zu den Narren, die sich einbilden, durchaus auf eigenen Füßen stehen zu müssen – das sollst du haben, mein stolzer Herr Oberst! Schande genug, daß es dich bedrückt, unser Gast zu sein!«

Raderer zögerte noch einen Augenblick, bevor er, die Hand des Grafen ergreifend, sagte: »Du hast recht! Es war albern von mir! Es war wieder einmal ein Anfall meiner falschen Empfindlichkeit, die mir immer wieder einen Streich spielt, weil ich doch auch von Jugend auf stets in einer schiefen Stellung war!«

»Du bist eben der richtige Sohn deines Vaters,« sagte der Graf. »Situationen sind nie schief, wenn wir uns nur in ihnen gerade halten.«

»Das sagt sich so leicht,« erwiderte Raderer. »Sohn eines Hofrats, hat sich mein Vater als junger Konzeptspraktikant bei der Statthalterei in eine Schauspielerin verliebt, ein Mädchen aus einer angesehenen bürgerlichen Familie, die Tochter eines Notars, deren Unglück Strakosch war, der Freund Laube's, als Entdecker von Talenten berühmt, der, von meinem Vater um Rat befragt, das heimlich schon mit meinem Vater verlobte Mädchen vorsprechen ließ und für eine Begabung höchsten Ranges erklärte: eine zweite Wolter! Ob Strakosch sich getäuscht hat oder ob meine Mutter, wie mein Vater stets behauptete, bloß ein Opfer der gemeinsten Kabalen wurde, darüber kann ich nicht urteilen. Den Warnungen meines Großvaters, daß man eine Schauspielerin nicht heiratet, begegnete mein Vater, sobald der Vertrag mit dem Burgtheater abgeschlossen war, mit der kategorischen Erklärung: Wenn der Graf Sullivan die Wolter geheiratet hat, hat der Statthaltereirat Raderer das Recht, die zweite Wolter zum Altare zu führen. Das ist ihm auch gar nicht bestritten worden, aber leider scheint sich die Begabung meiner lieben Mama mit der äußeren Wolterähnlichkeit begnügt zu haben. Ich war schon als Kind eher skeptisch. Ich kannte den ganzen Kulissentratsch zu gut, um noch einer rechten Illusion fähig zu sein. Für mich blieb das eben immer der Herr von Sonnenthal, aber daß dieser freundliche Herr mit den Tränensäcken dann auf einmal der Prinz von Dänemark sein sollte, das ließ ich mir so wenig einreden als die Verwandlung meiner Mama, bloß durch ein bißchen Schminke, in die Jungfrau von Orleans. Ja, mein Argwohn, einmal geweckt, ging so weit, daß ich mich eines Tages fragte, ob denn, wie meine Mama nur so tat, als ob sie von sieben bis zehn die Jungfrau von Orleans wäre, ob denn nicht auch mein Vater vielleicht den Hofrat bloß gab, so wie er früher einen Statthaltereirat gegeben hatte und vielleicht nächstens einen Minister geben wird. Jahrelang hat mich die Frage gequält, ob denn nicht vielleicht überhaupt alles im Leben bloß angeschminkt, bloß Schein und Trug ist oder ob sich schließlich irgendwo doch etwas finden läßt, was standhält, was stichhält. Dadurch wurde meine technische Begabung geweckt. Das Werk des Schauspielers ist aus, wenn der Vorhang fällt. Ja, es ist nicht bloß aus, sondern es ist einfach weg; nichts davon bleibt. Und vom Akt, den der Hofrat schreibt, bleibt doch auch nicht viel mehr, er kommt in die Registratur, doch es geschieht nichts durch ihn. Aber wenn ein Kutscher ein Pferd einspannt, kann er fahren, und das Brot, das der Bäcker backt, essen wir. Ich schloß daraus zunächst, daß die Hand des Menschen für die Menschheit viel wichtiger als der Kopf sei, was mir schon darum einging, weil von klein auf meine Hand geschickter war als mein Kopf, ich bin zum Techniker geboren. Als mir dann allmählich klar wurde, daß auch die beste Hand ganz ohne den Kopf doch nicht recht auskommt, erkannte ich, daß das menschliche Dasein auf der vom Kopfe beratenen und zurechtgewiesenen Handarbeit beruht. Mein Vater schalt mich einen Narren und was in seinem Munde noch weitaus ärger klang: einen Sozialdemokraten! Der Narr bin ich heute noch, Gott sei Dank! Und wenn ich der Sozialdemokrat nicht blieb, so sind die Sozialdemokraten selber schuld, sie blieben's auch nicht, sie benützten eiligst jede Gelegenheit, sich in die greulichsten Spießer zu verwandeln. Es war natürlich ein Unsinn, mich studieren zu lassen, aber bei uns hätte doch auch der Edison zunächst schön das Gymnasium absolvieren und langsam Hofrat werden müssen und sich erst in Pension erlauben dürfen, mit seinen Erfindungen Allotria zu treiben! Ich war ein gehorsamer Sohn, ich hab schön brav studiert, ich trat in den Staatsdienst und wär als Hofrat gestorben, wenn nicht, Gott sei Dank, noch rechtzeitig der Krieg ausgebrochen wäre! Ich bin jauchzend eingerückt und wenn dann schon auch Stunden kamen, wo das Jauchzen zuweilen etwas nachließ, ich fühlte mich immer in meinem Element, sogar in der Gefangenschaft noch, denn auch da gab's immer wieder was zu richten, ich war, wie im Krieg, auch als Gefangener für meine Soldaten Gewehrputzer, Koch, Feldscheer, Schneider und Schuster zugleich, und wo es nur immer irgendwas zu basteln gab, mit Freuden bereit, ich bin ein geborener Bastler! Chacun a son plaisir, also warum willst du mir das meine nicht lassen? Was ist das für ein teuflischer Einfall, daß ich plötzlich bei diesem schleichenden Bürgermeister hocken und Bücher überprüfen soll? Ich und Bücher! Ich, ein geborener Analphabet! Lieber auswandern und betteln gehen!«

»Das sieht dir gleich!« sagte der Graf lächelnd. »Aber du wirst dich zunächst schon noch etwas gedulden müssen. Vorderhand brauchen wir dich hier noch. Und kein Mensch mutet dir zu, Bücher zu prüfen, die sind schon ohnedies in Unordnung, da brauchen wir nicht dich erst zu bemühen! Und je seltener du dich beim Bürgermeister blicken lassen wirst, desto dankbarer wird er dir sein. Er hat sich entweder ganz dumm ausgedrückt, oder du hast wieder einmal ganz falsch gehört. Ich will dir in zwei Worten sagen, worum es sich handelt. Du sollst das dumme Gefühl los sein, uns zur Last zu fallen, wie du dir in gewissen Anfällen einbildest, und zugleich will ich dadurch den albernen Bürgermeister in meine Hand kriegen und verhindern, daß er seine schon stark verblaßte Popularität auf meine Kosten wieder auffrischt. Frage die Gräfin, die wird dir das bestätigen.«

»Ich?« fragte die Gräfin errötend.

»Zu dir hat er doch viel mehr Vertrauen, mich hält er ja für einen Ränkeschmied. Jetzt aber genug von diesen Dummheiten! Es ist höchste Zeit, uns wieder auf den Ernst des Lebens zu besinnen und endlich an unsere Whistpartie zu gehen!«


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