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Zweites Kapitel

Der Kreuzfahrer Bonifaz Ahamb soll aus dem heiligen Lande das wundertätige Gnadenbild der heiligen Jungfrau nach Maria Pram gebracht haben. Es müßte dann entweder später durch ein neues ersetzt oder im Laufe der Zeiten wesentlich verändert worden sein, denn es ist jetzt unverhohlen barock. Urkunden darüber fehlen. Wallfahrten an den berühmten Gnadenort waren in der josefinischen Zeit, als unser alter Glaube zu verdämmern schien, immer seltener geworden. Erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, in den Tagen des gewaltigen Bischofs Rudigier von Linz, entsann sich das katholische Volk wieder der uralten Stätte. Graf Gandolf erinnerte sich aus seiner Kindheit noch ganz gut, wie sein Großvater die kleine, schon halb verfallene Kapelle in eine stattliche, wenn auch nicht eben geschmackvolle Kirche umbauen oder richtiger von ihr überbauen ließ, dem Geiste jener Zeit gemäß auf Anraten des damaligen Linzer Landeskonservators Adalbert Stifter in einem angeblich gotischen Stil. Lange noch bestand dann Maria Pram bloß aus dem Ahambschloß und aus der Wallfahrtskirche. Aber als die Wallfahrten wuchsen, siedelten sich allmählich immer mehr Händler mit Rosenkränzen, Herzen und anderen Devotionalien an, ein Wirtshaus nach dem andern entstand und Gandolfs Vater ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, ein Brauhaus zu bauen; es blieb nicht das einzige. So war das Stichwort zur Entstehung eines neuen Orts gegeben, aus dem bald ein ansehnliches Landstädtchen erwuchs, um so rascher, als seine wunderschöne Lage mit dem weiten Blick über den sanften Waldabhang auf die grüne Dreisach mit der altertümlichen hölzernen Brücke, bald auch Scharen von Sommerfrischlern herbeizog. Zunächst am Ufer der Dreifach, bald auch den sich immer mehr lichtenden Hang entlang kauften sich Sommerfrischler oder auch Spekulanten auf Sommerfrischler an, zu so niedrigen Preisen, daß Graf Gandolf, wenn er nachrechnete, wieviel ihm heute die Gründe einbrächten, und damit die Summe verglich, für die sein Großvater sie verschleudert hatte, sich einer melancholischen Stimmung kaum erwehren konnte. Das alte Schloß wurde von dem wachsenden Landstädtchen immer mehr bedrängt und stand in Gefahr, von ihm sozusagen verschluckt zu werden.

Man kann nicht behaupten, daß diese langsame Verwandlung aus einem Wallfahrtsort in eine Sommerfrische, die beide miteinander allmählich in eine Kleinstadt verwuchsen, von guter Wirkung auf den Sinn der Einwohner war. Die Herrschaft über die Stadt hatten ein paar Bodenspekulanten, der Herkunft nach teils kleine Bauern der Umgebung, teils Zugewanderte, nach dem Umsturz aber und dann gar in der Zeit der Inflation landfremde Leute, gescheiterte Existenzen, die nun hier mit den Resten ihrer Habe noch ein kümmerliches Dasein zu fristen hofften, ohne durch Begegnung mit früheren Freunden unliebsam an ihr versunkenes Glück erinnert zu werden. Alle Mundarten Altösterreichs klangen in dem Städtchen durcheinander und wirkten allmählich auch auf die Zungen der altansässigen Einwohner abfärbend ein, so daß im Ort bald weder Hochdeutsch noch irgendeine Mundart, sondern ein seltsames Kauderwelsch gesprochen wurde, eine Art Slang. Graf Gandolf, von Jugend auf gewohnt, entweder mit einfachen Leuten die heimische Mundart oder aber, unter Gebildeten, leise näselnd das übliche Hofratwienerisch zu sprechen, konnte die neue Mischung nicht ausstehen; eine Diebssprache hieß er sie. Doch auch die Sitten und Bräuche der alten Zeit verkamen. Man schämte sich der angestammten Tracht und gerade der Trachtenverein, dessen Obmann Graf Gandolf war, trug mit seinen Festen ahnungslos bloß dazu bei, daß die alte Tracht von den jüngeren Leuten als Kostüm empfunden wurde. Mit den alten Bräuchen zugleich schwanden auch die guten Sitten. Was man tugendhaft nennt, waren die Mädchen von Maria Pram auch früher nicht gewesen. Es gab immer schon uneheliche Kinder genug, sie waren fast Landesbrauch; nur wurden sie damals fast immer legitimiert, indem der Bursche bei seiner Heirat die vorgeborenen Kinder übernahm, seine eigenen ebenso wie die der Ehefrau. Durch den Zuwachs an unehelichen Kindern von Sommerfrischlern geriet dies außer Brauch. Leichte Mädchen gewöhnten sich an, in der Erpressung von Abstandsgeldern für angebliche Kinder verlockter Gäste nach und nach eine Art nach ihrem Gefühl eigentlich ganz legitimen Erwerbs zu sehen. Gegen den Sommergast galt überhaupt alles für erlaubt, gewissermaßen aus Rache für das beleidigte sittliche Gefühl. Den Einheimischen entging es nicht, wie wenig Ernst in dem äußerlich guten Betragen der Sommergäste stak. Diese jungen Herren, so sittsam sie sich in Gegenwart ihrer Schwestern betrugen, waren insgeheim wild hinter jeder Schürze her. Die Schürzen schlossen daraus, daß bei den Gästen überhaupt alles nur Schwindel sei. Der eben verstorbene alte Pfarrer, ein Landeskind von Maria Pram bestärkte sie darin. Er konnte die Gäste nicht ausstehen, da sie, wenn sie sich überhaupt herabließen, sonntags zum Hochamt zu kommen, entweder so spät erschienen oder sich so früh wieder entfernten, daß dies fortwährende Kommen und Gehen, Grüßen und Nicken, Rücken in den Bänken, das unaufhörliche Tuscheln, selbst wenn er predigend auf der Kanzel stand, die Andacht störte, er aber dennoch seinen Unmut unterdrücken und zu diesen Unsitten schweigen mußte, bloß um das Geschäft nicht zu stören, bloß weil die Gemeinde ja nun einmal von dieser sakrischen Sommerindustrie lebte. Wenn aber dann endlich der letzte Gast weg war und der alte Pfarrer sich sicher vor unberufenen Zuhörern fühlte, brach sein aufgespeicherter heiliger Zorn los. Die Großstadt als ein Sodom und Gomorrha schildernd, beschwor er seine getreuen Landeskinder, sich ihren angestammten Glauben und ihre frommen Sitten durch dieses schändliche Beispiel nicht verwirren zu lassen, sondern den alten Bräuchen treu zu bleiben! Er war dabei der allgemeinen Zustimmung gewiß, denn die guten Leute schämten sich ehrlich der windigen Gäste, die man nun doch einmal nicht entbehren konnte, bei diesen schweren Zeiten. Wenn man sie gehörig rupfte, so geschah dies nicht bloß aus Eigennutz, sondern nebenbei schon auch aus ehrlicher und nicht unberechtigter Entrüstung. Die Gäste trieben es arg. Auch dem Grafen Gandolf, dem die Rolle des Sittenrichters gar nicht oblag, war ihr Unwesen, als er nach Jahren zum erstenmal den Sommer wieder auf dem Schlosse verbrachte, so verhaßt geworden, daß er seither stets, wenn es irgend ging, sobald die »Saison« begann, zu Freunden flüchtete, deren Wohnort noch nicht von Fremden verpestet war.

Die Grafen Ahamb sind ein uraltes Geschlecht. Jener Kreuzfahrer freilich, der das wundertätige Gnadenbild aus dem heiligen Lande mitgebracht haben soll, schien dem Grafen Gandolf, der in allen möglichen Archiven vergebens nach Urkunden davon geforscht hatte, sehr verdächtig, aber daß sein Geschlecht zu den ältesten des Landes gehörte, stand fest. Ein Othmar Ahamb zeichnete sich schon in dem von Stephan Fadinger geführten Bauernaufstand von 1626 durch seine Kühnheit, ja blutrünstige Wildheit gegen die Rebellen aus und seit der barocken Zeit hat das Haus Habsburg keinen Krieg geführt, in dem nicht ein Ahamb seinen Mut bewiesen hätte. Mit der Zeit war es Familienbrauch geworden, daß der älteste Sohn, der Schloßerbe, bei den Welser Dragonern diente, bis ihn der Tod des Vaters heimrief, der zweite trat in den geistlichen Stand, der Rest in den Staatsdienst. Graf Adalbert, Gandolfs Vater, hatte drei Söhne und eine Tochter. Diese ward Äbtissin, Gandolf, der Jüngste, 1868 geboren, ging den üblichen Weg jüngerer Söhne, vom Bezirkshauptmann allmählich bis zum Sektionschef im Ministerium, wo er sich dann unversehens in die Tochter eines Statthaltereirats von Rentwich verliebte, zunächst um ihrer zwar kleinen, aber wohlgebildeten Stimme willen und aus Bewunderung für ihr artiges Klavierspiel, dann aber auch wohl aus jener Sehnsucht nach einem ruhigen Heim, die Junggesellen im kritischen Alter selten erspart bleibt. Das Fräulein von Rentwich, ein kluges Mädchen von einer angeborenen Heiterkeit des Gemüts, die sich durch einen klaren Verstand von klein auf in die Schranken der sehr engen Verhältnisse gewiesen sah, verhehlte sich nicht, daß an eine Liebesheirat nicht zu denken war, und empfand die Werbung des um so viele Jahre älteren Grafen als ein unverhofftes Glück, das durch treue Dankbarkeit nun auch zu verdienen sie vom ersten Tage an entschlossen war und immer entschlossen blieb. Es wurde ihr anfangs nicht leicht. Der charmante Graf ahnte nicht, welcher Egoist er im Grunde war. Sich etwas zu versagen lag nicht in seinen Gewohnheiten. Schulden war er von Jugend auf gewohnt. Sie drückten ihn nicht. Die junge Frau bewunderte diesen behaglichen Leichtsinn, der aber ihr, die mit jedem Heller zu rechnen gewohnt war, durchaus versagt blieb. Der Graf pflegte, wenn ihn einmal einer der Gläubiger etwas nachdrücklicher mahnte, lachend zu sagen: Lieber Freund, lassen's mich halt pfänden, das ist der einzige Rat, den ich Ihnen geben kann, aber so weit ich meine Verhältnisse kenne, werden Sie dabei nur daraufzahlen und überdies verlieren Sie dann meine Kundschaft für alle Zukunft! Hedwig, ganz anders erzogen, war darüber oft ganz unglücklich, ärgerte sich aber dabei heimlich zugleich, daß sie's war, denn sie schämte sich, so bürgerlich gesinnt und einer solchen gräflichen Behandlung kleiner äußerer Sorgen durchaus unfähig zu sein. Sie gestand sich kaum ein, wie glücklich sie war, als ihres Gatten ältester Bruder Clemens, der Erbe, samt seinen beiden Söhnen im Kriege fiel und so das Schloß ganz unverhofft an Gandolf kam. Er hätte sich das niemals träumen lassen, als der jüngste von den drei Söhnen Adalberts. Sein Bruder Paul, 1864 geboren, war, noch nicht zwanzig, im Duell erschossen worden. Nach dem Tode des Clemens und seiner beiden Söhne ruhte das Geschlecht der Ahamb jetzt nur noch auf Gandolf, der, nun auch schon ein Fünfziger, Hedwig in die größte Verlegenheit setzte, wenn er sie, besonders gern in Gegenwart anderer, immer wieder ermahnte: »Vergiß nicht unsere Pflicht, das hochedle Geschlecht der schon in den Kreuzzügen berühmten Ahamb nicht aussterben zu lassen, du bist das dem Vaterlande schuldig, es blickt erwartungsvoll auf dich!« Hedwig ärgerte sich dann im Stillen über sich, daß sie so kleinlich war, jedesmal wieder erröten zu müssen. Sie liebte den Gatten so zärtlich, sie sah mit solcher Bewunderung zu ihm empor, sie war so stolz darauf, eine Gräfin Ahamb zu sein, daß ihr niemals einfiel, sich zu fragen, ob sie ihm nicht vielleicht innerlich überlegen und von einem sicheren Herzenstakt war, den die Standesgenossen Gandolfs, ja seine besten Freunde selbst, ihm nicht zusprechen konnten.


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