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Erstes Kapitel

Es wäre das erste Mal,« sagte der Graf lächelnd, »das erste Mal, daß wir uns streiten! Sollten wir das nicht doch noch etwas verschieben, Hedl?«

»Ich hab nicht angefangen«, erwiderte die Gräfin, ihr hartes Kinn vorschiebend. »Übrigens weißt du ja, daß ich deinen Wünschen gehorche. Da du mich aber fragst, darf ich sagen, daß mich ein banges Vorgefühl warnt«.

»So seids ihr!«, rief der Graf, halb ärgerlich lachend. »Wenn es euch an Gründen fehlt, muß ein Gefühl herhalten und dagegen kommt dann natürlich kein Argument auf!«

»Du hast mich gefragt und ich antworte. Es bleibt dir unbenommen zu beschließen, was dir gutdünkt. Das weißt du doch. Aber wenn ich nicht nach meinem Sinn antworten darf, dann frag mich erst lieber nicht!«

»Du nimmst gleich immer alles tragisch! Was will ich denn? Raderer schreibt mir in seiner gewohnten lustigen Art, die sein Elend kaum durchblicken läßt, ob ich ihm nicht irgendwo eine Stellung weiß, als Bergführer, Hofmeister, Stallknecht, Portier oder Hausdiener. Wenn ich nicht von anderen wüßte, wie verzweifelt es mit ihm steht, gar seit er sich durch seinen Ungestüm, seinen Haß gegen alle Kompromisse, seinen Trotz, der keine Geduld kennt, nun auch gar noch selbst mit den Legitimisten überworfen hat, in seinem Brief steht kein Wort davon, keine Klage, keine Bitte! Er fragt bloß an, und eigentlich bloß halb im Scherz, als wär's bloß eine Laune von ihm, bloß ein Spaß, von dem alle Welt sagen wird: das sieht dem verrückten Raderer wieder ähnlich, er spielt wieder einmal Harun al Raschid, um alle Welt zu verblüffen und mit sich selbst zu spaßen. Wenn ich nicht von anderen wüßte, wie verzweifelt es um ihn steht, sein Brief verrät davon nichts. Sein Stolz ist derselbe geblieben, er ist unbeugsam, er hat's oft genug bewiesen, im Krieg und in der Gefangenschaft und dann noch erst recht nach seiner Heimkehr, den neuen Machthabern gegenüber, während wir anderen alle doch gehorsam kuschen. Ich tadl keinen, es stünde mir auch nicht an, ich hab selbst mitgekuscht. Aber ich freu mich, daß es doch einen gibt, einen Einzigen, der zur Fahne hält, nicht bloß im stillen, nicht bloß unter vier Augen, nicht bloß unter uns, sondern öffentlich, ja geradezu herausfordernd. Das alles weißt du so gut wie ich und ich versteh gar nicht, daß du zögerst! Dein Vater war ein Intimus des seinen: wenn der Herr Hofrat von Rentwich erschien, konnte man sicher sein, da ist der Hofrat Raderer auch nicht weit! Platz haben wir wahrhaftig genug, das halbe Schloß steht leer! Und du jammerst doch immer, daß wir einen Verwalter brauchen, daß du selbst, so leicht es dir wird, Ordnung im Schlosse zu halten, doch von der Ökonomie zu wenig verstehst, um nicht, gar jetzt, wo man sich auch auf die eigenen Leute selbst durchaus nicht mehr verlassen kann, bei jeder Gelegenheit betrogen und bestohlen zu werden. Und ich denk ja zunächst gar nicht daran, uns an ihn zu binden, ich will ihn einfach einladen, er soll kommen, es wird sich hier sicherlich etwas für ihn finden und indessen kann er uns auf dem Schloß helfen, da ich schon einmal zum Landwirt ganz verdorben bin und ein unverbesserlicher Sektionschef bleib. Gefällt er dir und hast du den Eindruck, daß er der Mann ist, den wir brauchen, so wär ihm und uns geholfen. Gefällt er dir nicht, so wird sich schon eine Gelegenheit bieten, ihn anderwärts unterzubringen, und wie ich ihn kenne, hat er Takt genug, nicht erst abzuwarten, bis wir ihn fühlen lassen, daß es Zeit für ihn ist, sich von uns zu verabschieden.«

Da die Gräfin schwieg, sagte der Graf nach einer Zeit lächelnd: »Wenn du dich so verbockst und dein liebes Gesicht! dann plötzlich Stein wird, bist du womöglich noch schöner als sonst, aber du wirst doch die Freundlichkeit haben müssen, dein malerisches Schweigen zu brechen und mir wenigstens die Gründe zu sagen, die du gegen meinen Wunsch hast.«

Die Gräfin zauderte, bevor sie sich zur Antwort entschloß: »Gründe? Mein Gott! Gründe? Das ist ja das Schlimmste, daß ich keine hab! Gar keine! Im Gegenteil! Wir kennen einander doch von klein auf. Im Haus seines Vaters wurde gern Theater gespielt und das war ja damals meine große Passion und von allen meinen Partnern war mir doch der Maxl Raderer weitaus der angenehmste, schon weil er uns immer vom Burgtheater erzählte; wir schrien vor Vergnügen, wenn er Kainz und Mitterwurzer oder gar die Hohenfels kopierte. Wir schworen damals alle darauf, daß aus dem Maxl Raderer ein berühmter Schauspieler wird. Warum versucht er es nicht heute noch?«

Der Graf sagte lächelnd: »Warum versuchst du's mit ihm nicht hier? Haustheater im Schloß, ich kann mir gar nichts Angenehmeres denken! Und ganz Maria Pram soll eingeladen sein!«

»Dazu ist doch die Zeit zu ernst!«

»Ein Grund mehr,« sagte der Graf, »jede Gelegenheit zur Aufheiterung zu begrüßen! Und jedenfalls laß dich doch nicht erst so lang bitten! Es ist nun einmal mein Wunsch, ihn hier zu haben! Es wäre ja, seit wir uns kennen, das erstemal, daß wir streiten!«

Die Gräfin erwiderte: »Wir streiten doch nicht, du streitest!« Und ihr Gesicht wurde hart. Er fand sie nie schöner, als wenn der reine Schnitt ihrer Züge dann zuweilen förmlich erstarrte. Nach einer Pause sagte sie dann noch: »Wenn es dein Wunsch ist, soll's natürlich geschehen.«

»Antworten muß ich ihm und wenn es irgend möglich ist, will ich ihm helfen. Ist er erst hier, so findet sich Rat, vielleicht im Ort oder es fällt mir jemand ein, an den ich ihn empfehlen kann. Acht oder zehn Tage wirst du ja seine Gegenwart ertragen und deine bösen Ahnungen beherrschen können. Ihn mit vagen Hoffnungen zu vertrösten, ist mir unmöglich. Die paar Menschen, die noch Ehrgefühl haben und treu geblieben sind, es wär zu schändlich, wenn auch sie einander verraten wollten. Darüber denkst du ganz ebenso wie ich und darum wird es dir leicht sein, dich meinem Wunsch zu fügen. Er hat Takt genug, um zu fühlen, wenn es Zeit für ihn sein wird, uns zu verlassen. Inzwischen will ich alles aufbieten, um ihn irgendwo unterzubringen, noch bevor er fühlt, dir unbequem zu sein. Einverstanden?«

»Selbstverständlich!« sagte die Gräfin. »Und von ganzem Herzen! Es war meine Pflicht, dir zu gestehen, daß mich irgend ein dunkles Gefühl davor warnt. Aber vielleicht bekehrt mich sein bloßer Anblick! Und wenn er mich nicht bekehrt, so will ich dir das nach den vierzehn Tagen, für die du ihn einladest, bekennen und du wirst dann schon richtig entscheiden!«

Ihre Hand ergreifend und in die seine schließend sagte der Graf: »Da bin ich schon sehr froh! Wir wollen alles tun, daß er sich unter uns behaglich fühlen soll!«

»Liegt dir so viel daran?« fragte Gräfin Hedwig, leise verwundert.

»Lach mich nur aus! Aber warum soll ich dir's nicht eingestehen? Ich hab jetzt manchmal, wenn ich daran denk, was andere alles verloren haben und wie mir nach geringen Belästigungen schließlich doch unser Dasein ungestört geblieben ist, ich hab da zuweilen ein unbehagliches Gefühl. Du kennst die Geschichte vom Polykrates. Da wendet sich der Gast mit Grausen! Das Opfer, das dir vielleicht durch die Gegenwart des unbequemen Besuches zugemutet wird, soll uns den Neid der Götter versöhnen!«

»Das ist doch aber wirklich ein dummer heidnischer Aberglaube! Das meinst du doch nicht im Ernst?«

Achselzuckend sagte der Graf: »Wer weiß? Ich bin ein guter katholischer Christ, aber es ist ganz gut, auch den alten Heidengöttern den gebührenden Respekt nicht zu versagen. Zur Rückversicherung gewissermaßen. Man weiß ja doch nicht!« Er sagte dies in einem ihm gewohnten Ton, der, zwischen Ernst und Scherz schwebend, seinen Versicherungen immer noch einen Ausweg offen ließ.

»Wenn das der Pfarrer Modl hört!« sagte Gräfin Hedwig, mit dem Finger drohend.

»Gerade für den Pfarrer Modl is es doch ein wahres Glück, wenn Raderer kommt! Er hat dann doch einen Menschen, mit dem er sich aussprechen kann! Er würde das ja nicht zugeben, er gesteht's ja vielleicht nicht einmal sich selber ein, wie sehr er einen ihm angemessenen geistigen Verkehr hier entbehrt, der arme Kerl!«

»Uns scheinst du dazu nicht zu rechnen?«, sagte Hedwig lächelnd. »Das ist nicht sehr schmeichelhaft für uns, aber wenn ich's überdenke, hast du vielleicht recht.«

»Der gute Pfarrer Modi wird wahrscheinlich einmal ein glänzender Kardinal sein. Dazu hat er alles. Ein Landpfarrer ist er nicht. Und daß er das selber irgendwie spürt und bei seinem hohen Pflichtgefühl als eine Schuld empfindet, aber hier keinen Menschen hat, dem er sich anvertrauen, mit dem er sich aussprechen könnte das quält ihn. Der alberne Streit mit dem Schuft von Bürgermeister, der den ganzen Ort gegen ihn aufhetzt, die dummen Verleumdungen, der Widerstand, den man ja seit jener unglaublichen Petition an den Bischof geradezu schon einen Aufruhr nennen muß – ich glaube, daß ihn dies alles bei weitem nicht so quält wie das entsetzliche Gefühl seiner Vereinsamung. Er hat keinen einzigen Menschen, mit dem er sich aussprechen könnt. Gewiß, wir nehmen Partei für ihn, wir stehen ihm bei, er ist auf dem Schloß ein willkommener Gast, aber für sein Gefühl eigentlich doch nur, weil er das Amt des Pfarrers versieht und weil es die Pflicht des Schloßherrn ist, dieses Amt zu ehren, unbekümmert um den Menschen, der es versieht. Wir würden morgen seinen Nachfolger mit ganz denselben Gefühlen empfangen, wie wir ja doch sogar die Selbstüberwindung hatten, seinen sehr üblen, noch nicht einmal recht zimmerreinen versoffenen Vorgänger zu empfangen, was wahrhaftig kein Vergnügen war. Daß Pfarrer Modl von einer ganz anderen, von einer sehr hohen Menschenart ist, daß er durch seine Konversion Aufsehen erregt hat, daß man ihn in Wien sozusagen als besondere Rarität in jedem Salon herumreichen würde, macht selbst uns zuweilen im Verkehr mit ihm eher befangen, ihn selber aber auch, weil er doch für uns ja bloß der Pfarrer sein will und sein soll, ohne den reizenden Beigeschmack seiner interessanten Vergangenheit! Was ihm fehlt, ist, wie ich unseren armen lieben jungen Pfarrer zu kennen glaube, eine ganze einfache Beziehung von Mensch zu Mensch, die ganz von seinem Beruf, von seiner Würde, von seinem Amt absieht. Verstehst, was ich meine?«

»Eigentlich,« sagte die Gräfin lächelnd, »eigentlich, wenn ich aufrichtig sein soll, nicht ganz!«

»Ja weil du das seltene Glück hast, daß du dein ganzes Leben lang immer nur du selbst warst! Frauen wird das ja viel öfter beschieden als uns, sie machen leider nur sehr selten Gebrauch davon. Aber wir unglückseligen Männer! Ich erinner mich noch schaudernd der Zeit, als ich noch im Staatsdienst war, wie ich mir da stets in der Frühe wenn ich in mein Büro kam, seufzend sagte: So, jetzt ziehst wieder den Sektionschef an! Und ich hatte doch immerhin, wenn ich nach den Amtsstunden dann den Sektionschef wieder auszog, in mir noch irgend etwas übrig, was mir blieb: ich blieb immerhin der Graf Gandolf Ahamb! Unselig aber, wem, wenn er nach der Amtsstunde seinen Beruf auszieht, nichts mehr von ihm übrig bleibt! Und einem Landpfarrer darf doch aber eigentlich gar nichts mehr von sich übrig bleiben; er wird ja auf Schritt und Tritt von allen kontrolliert! Darum gönn ich unserem hochwürdigen Freunde das bißchen Erholung, das ihm der Verkehr mit einem so lebensfrischen, unbefangenen, tollen Sausewind wie Raderer bieten wird, dem sein Katholizismus wie eine Haut sitzt, der, wahrscheinlich ohne je darüber nachzudenken, ein frommer Katholik ist, weil er es eben sein muß, und der darum nicht erst viel Aufhebens davon macht und daher auch mit dem Pfarrer Modl nicht anders verkehren wird als mit jedem anderen Menschen auch! Gerade das aber fehlt dem Armen doch so! Selbst ein Heiliger hält das ja nicht aus, Tag und Nacht, immerfort ohne Atempause nichts als heilig zu sein, wie man es unserem guten Pfarrer hier aufdrängt! Und sicherlich ganz ohne seine Schuld! Nur das Gefühl, überall vom Verdacht der argwöhnischen Hetzer gegen ihn umlauert zu sein, zwingt seiner klaren Natur eine Feierlichkeit auf, an der er mit der Zeit innerlich Schaden leiden muß. Mich geht's ja nichts an, doch er tut mir leid!«

»Wenn du Raderer schreibst,« sagte Gräfin Hedwig, »so gib mir bitte dann den Brief, ich will ein paar Zeilen von meiner Hand anfügen, um ihm zu sagen, wie herzlich er auch mir willkommen ist und mit welcher Ungeduld ich mich auf seine Ankunft freue.«

»No also,« sagte der Graf, »schließlich bist du dann ja doch immer wieder ganz vernünftig, man muß dich nur zuweilen daran erinnern.«

»Und das besorgst du ja gründlich und ich will niemals aufhören, dir dafür dankbar zu sein.«

»So gehört es sich auch,« sagte der Graf und beide lachten.


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