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Luise von François.

Eine persönliche Erinnerung: In jedem Herbst der Jahre 1886 bis 1888 erschien am festlich und zierlich gedeckten Kaffeetisch meiner Großmutter in Halle die berühmte Frau, die unser Kinderleben mit dem aufregenden Stolz erfüllte, einer Dichterin nahe gewesen zu sein. Die fast siebzigjährige war sehr schlank und gerade, trug immer ein einfaches, fast wie eine Stiftsdamentracht wirkendes, graues Kleid, schwarze Spitzen über einer hohen Stirn und einem Gesicht, dessen sehr regelmäßige Züge kühl gewesen wären, wenn nicht sehr gütige und von innerer Lebendigkeit strahlende Augen ihre formvolle Vornehmheit menschlich herzlich überwunden hätten. Wenn wir unsern Knicks vor ihr machten, fühlten wir ihre freundliche, Zutrauen erweckende Aufmerksamkeit – anders als diese gedankenlose und uninteressierte Fragerei nach Schule und Garten, die manche Tanten so an sich hatten. Wir fühlten die lebendige Teilnahme einer Frau, der Konrad Ferdinand Meyer ernsthaft berichten konnte: »mein Töchterchen hat seiner neuen Puppe den Kopf zerbrochen«. Wir hätten sie menschlich geliebt, auch wenn sie nicht Luise von François gewesen wäre, deren Bücher neben der Familie Mendelssohn, den Briefen der Freifrau von Bunsen und Hermann Grimms Michelangelo die kleine Handbibliothek auf dem Marmortisch neben Großmutters Sekretär füllten.

Diese Erinnerung würde zur Charakteristik der Luise von François nicht viel bedeuten, wenn sie sich nicht verbände mit dem starken Eindruck der geistigen Atmosphäre, in der mir ihr Bild steht: die deutsche Bildungsschicht der achtziger Jahre, die Gesellschaft der Beamten, Gelehrten und Offiziere im neuen Reich. Ich sehe sie neben der unbeschreiblich gütigen Gestalt der Freundin, bei der sie in Halle regelmäßig einkehrte, bei der ewig jungen Frau mit den strahlenden blauen Augen und dem schönen gewellten weißen Haar, der einst Roquette »Waldmeisters Brautfahrt« gewidmet hatte und die heute die gütige Mutter ungezählter Studenten war, die in ihrem Hause aus- und eingingen – ich sehe neben dem klaren ruhigen Gesicht des Gastes den feinen Kopf auf der kleinen gebückten Figur von Rudolf Haym.

Mir scheint, als würde dieser Kreis der deutschen Bildungsschicht, der so ganz und gar unberührt blieb von den Begehrlichkeiten der Gründerjahre, heute in seiner gediegenen, vornehmen und äußerlich anspruchslosen Kultur nicht mehr richtig gekannt.

Im Künstlerischen wurzelte man ganz in der Vergangenheit. Der musikalische Geschmack war streng und anspruchsvoll, durchaus an klassischer Kunst gebildet und ihr unerschütterlich verbunden. Hier war nichts der Bereitschaft zur Vertiefung und Aneignung zu spröde, aber Wagner wurde aus tiefstem Instinkt abgelehnt.

In der bildenden Kunst war man gut vertraut mit der Renaissance. Die gleichen guten Stiche Raphaelscher Bilder hingen über allen Sofas, und in den Schlafzimmern traf man die weniger schätzenswerten Blätter des Düsseldorfer Kunstvereins: Tancred, der die Klorinde tauft, spielende Kinder im Walde, die heimkehrende Bäuerin, oder König und Königin trauernd in der Halle: »Hast du das Schloß gesehen, das hohe Schloß am Meer.« Man las viel Geschichte. Die Sachlichkeit des Bismarckschen Zeitalters zog das gebildete Bürgertum aus biedermeierischen Idyllen in die Beziehung zu den großen realen Mächten des Völkerlebens. Der literarische Geschmack war fern allem Artistischen und Absonderlichen, weniger ästhetisch als stofflich gerichtet.

Diese Menschen besaßen alle eins: Maß, Maß für sich selbst und die Dinge. Die materielle Jagd, die das deutsche Wirtschaftsleben umzutreiben begann, berührte sie nicht. Die Größe der geschichtlichen Vorgänge, an denen sie alle teilgehabt hatten, gaben ihrem Leben Stil und Haltung. Sie waren bescheiden in ihren Forderungen an das Leben und an die Gesellschaft, viel stärker davon durchdrungen als die heutigen, daß man mehr zu leisten als zu verlangen habe und viel eher bereit, die äußeren Verhältnisse als gegebene hinzunehmen, überhaupt nicht übermäßig mit sich selbst beschäftigt. Das Subjekt galt ihnen nicht viel, das Übertriebene verletzte sie. Vielleicht waren sie etwas pharisäerhaft, sicher ein wenig konventionell, aber ohne Prätensionen und Engherzigkeit und voll tiefer innerer Achtung vor dem, was ihnen groß erschien. Noch nicht so dem Vielerlei versklavt, in das einzelne Buch, das einzelne Kunstwerk, das einzelne Musikstück liebevoll und mit Muße vertieft.

Dieser Generation gehört Luise von François an. Sie würde sicher bei dem Gedanken, daß man ihre Persönlichkeit und ihr Leben darstellen wollte, das peinliche Gefühl gehabt haben, daß darin eine Aufbauschung und ein Mißverhältnis liege. Und es ist richtig: es ist über sie, ihre klare Persönlichkeit und ihre einfache Kunst wenig zu sagen, wenn man sie für sich allein nimmt. Sie ist bedeutsam als Typus einer bestimmten deutschen Geistigkeit und eines bestimmten Frauentums.

In der Zeit, von der ich spreche, am Ende der achtziger Jahre, hat Luise von François nichts mehr geschrieben. Sie hörte auf, als sie sich erschöpft fühlte. Sie hat überhaupt niemals aus rein künstlerischem Schaffensdrang gearbeitet und sie ist so aufrichtig und so fern von der Furcht, den eigenen dichterischen Ruhm durch dieses Geständnis zu beeinträchtigen, daß sie ruhig zugibt: »Ich habe niemals aus innerem Drang geschrieben, nicht wie viele andere gute und schlechte Autoren, weil ich es nicht lassen konnte, sonst würde ich mich auch wohl nicht den Vierzigen genähert haben, ehe ich mich, von außen gedrängt, dazu entschloß.« Und dazu fügt sie das andere eben so bescheidene Geständnis: »Ich habe allezeit langsam und mühsam gearbeitet, Gewissenhaftigkeit ist mein einziges Verdienst.«

Sie kommt aus einer Soldatenfamilie, aus jenem preußischen – ihre Freundin Marie Ebner-Eschenbach sagte »fritzischen« – Geschlecht, das sein Recht auf die Führung anderer durch eigene Anspruchslosigkeit und durch Verzicht auf eigene Vorteilsjägerei erwarb. Als ihr Vater im Jahre 1818 starb, wurde er seiner Bestimmung gemäß im einfachen Soldatenmantel zu Grabe getragen und das Geld für den Sarg wurde an Arme verteilt. Über dem pflichtvollen Leben und der reinen, vornehmen Gesinnung dieser soldatischen Geschlechter leuchtet das Wort der platonischen Republik: »Nein, ihnen allein im Staate ist es nicht erlaubt, Gold und Silber in die Hand zu nehmen und zu berühren oder unter einem Dache mit ihm zu sein. Gold und Silber bergen sie als gutes Geschenk stets in ihrer Seele – Irdisches bedürfen sie daneben nicht. Frevelhaft ist es, dieses Gut mit dem Besitz irdischen Goldes zu mischen und zu beflecken, denn schon viele Frevel sind mit dem gemeinen Gold verübt worden. Ihr Gold aber bleibt stets.«

Die Frauen der Familien mit solcher Gesinnung und solcher Lebenshaltung pflegen es nicht leicht zu haben. Luise von François hat einen mühsamen Daseinskampf durchgekämpft. Das väterliche Gut ging durch die Unvorsichtigkeit des Pupillengerichtes in fremde Hände über. Ihr erblühte daraus das sentimentale Schicksal des armen Fräuleins, das sie so durchaus unsentimental ertrug. Wie ihre letzte Reckenburgerin, so hat auch sie nur »beinahe Rosen getragen«. Ihr Bräutigam läßt die Verarmte im Stich. Sie legt ihre seidenen Kleider in die Koffer und verbringt zwanzig Jahre in Weißenfels in der Pflege einer gelähmten Mutter und eines erblindeten Stiefvaters. »Ich war allezeit neben absterbendes Leben gestellt«, so schrieb sie voll jener klaglosen stolzen Hinnahme des Schicksals, die sie in kleinsten Verhältnissen niemals kleinlich und unfrei, sondern stets voll Würde und Überlegenheit sein läßt. In schlichten, zurückhaltenden, unpathetischen Worten bekennt sie sich zu der unerfüllten Sehnsucht ihrer Frauenseele: »Ich habe mich nach Kindern gesehnt, wie nach nichts anderem.« Aus äußerer Not hat sie angefangen zu schreiben. »Die letzte Reckenburgerin« erschien in einer Romanzeitung gegen ein Honorar von 300 Mark, nachdem das Manuskript jahrelang von Redaktion zu Redaktion gewandert war.

Wie sie als reifer Mensch erst zu schreiben begonnen, so kennen wir sie überhaupt nur als Alternde, jenseits der Lebenshöhe. Ihre Jugend erschließt sich uns nur aus ihrem eigenen Rückblick, einem wehmütig resignierten, aber doch klaglosen und gelassenen Rückblick.

Ihre Generation steht noch jenseits des Kampfes und der Auflehnung gegen ein beklagenswertes Frauenschicksal; ihre Überwindung vollzieht sich nicht in dem entschlossenen Zertrümmern der Glasglocke, unter der ihr Leben stand. Sie fand den Weg, als Gefangene doch frei zu sein, sie fand Spielraum für den Aufbau ihres geistigen Daseins nach innen zu in der engsten äußeren Einschränkung.

Wer war sie denn? Eine alte Jungfer in einer sehr reizlosen thüringischen Kleinstadt, in einer ärmlichen Mansarde, herzbeklemmend entblößt von jeder Freundlichkeit des äußeren Schicksals. Aus diesem engsten und ereignislosesten äußeren Leben kommen die Dokumente, aus denen wir sie kennen lernen: die Briefe an Marie Ebner-Eschenbach und Konrad Ferd. Meyer mit dem eigentümlichen, vornehmen, ernsthaften Reiz ihres gleichwohl weichherzigen und warmen Stoizismus. Es ist so schön, wie sie sich selbst gar nicht wichtig nimmt, von sich so vollkommen gelöst ist, von sich reden kann ohne diese philisterhafte Rührung über das eigene Schicksal, das kläglichste berichten kann, so daß doch jeder weiß, es berührt sie im Grunde nicht. Ihr »Schusterparadies« ist der Rahmen eines vollkommen stilvollen, vornehmen Daseins.

Sie ist ein starker Mensch und nicht ohne lebendige Wünsche des Herzens und der Sinne. Ihre lebenslange Sehnsucht war ein Haus – sie, die bodenständige, paßte so wenig in den Rahmen einer gemieteten Wohnung. »Jetzt im Alter bin ich dankbar, es wenigstens zu einer Mansarde gebracht zu haben.« Sie hätte gern ein weites Zimmer und weiche Möbel gehabt. Aber sie hatte eben nur die steifen, gewissermaßen als Erziehungsmittel zur Selbstzucht gedachten Stühle ihres Elternhauses. So ist ihr Leben ganz und gar von Verzichten umgeben, aber sie versteht es, diese Strenge und undurchbrechliche Begrenzung nicht zur Enge werden zu lassen, versteht ohne Wehleidigkeit und Selbstbemitleidung ihr Leben so abzurunden, daß es seinen vornehmen Stil gewinnt, nicht von außen, sondern von innen geprägt wird und in jedem Zuge ihr Eigentum und nicht äußere Nötigung des Schicksals ist.

Wie gewinnt sie die innere Kraft dazu? Sie spricht einmal davon, daß ihre Lebensregel bestehe im Ausnutzen der Stundengunst und bescheidenem Weichen vor der Ungunst. Ihre Hilfe ist ihr starkes wahrhaft aristokratisches Gefühl für Maß. Was nicht zu ihr paßt, das meidet sie mit größter innerer Sicherheit. In einem ständigen Konflikt zwischen Ansprüchen und Erfüllungen hätte sie nicht leben können.

Dieses Formgefühl, diese sichere Würde hätte wohl etwas Starres und Leeres bekommen, wenn ihr nun nicht das andere Größere in höchstem Maße gegeben wäre: ein aufrichtiges, vollkommen reines und ergebenes Verhältnis zu aller Güte und Größe der Welt. Sie ist kein religiöser Mensch, eher ist etwas von antiker Haltung in ihrer eigentümlichen Würde dem Schicksal gegenüber. Sie sieht ihr bescheidenes Leben im weiten Horizont der Völkergeschichte, mächtiger geistiger Bewegungen, ungeheurer Nöte und imposanter Siege und das Gefühl eigener Wichtigkeit auslöschend, bekennt sie: »Ich habe kein Recht, die Wehklage der Welt durch einen Laut zu vermehren.«

Sie ist eine heroische Natur, so recht ein Kind der Freiheitskriege, deren Ethos ihr im Blut lag. Aber sie wächst in eigentümlich großartiger Weisheit über die ausschließliche gefühlsmäßige Anteilnahme an der eigenen Nation, über die Verbundenheit mit ihrer Nation hinaus in ein Verhältnis zur Universalgeschichte, zur Menschheit, zur Geschichte an sich.

Von Kind auf ist sie auf das Heroische eingestellt. Der Geschmack an den Leutnants ist ihr in einem einzigen Ballwinter durch den Childe Harold absolut vergangen. Charakteristisch kommt diese großlinige, unsentimentale Wertung zum Ausdruck in mancherlei kritischen Bemerkungen über die Dichtungen des Konrad Ferdinand Meyer, z. B. in der Kritik des Leubelfing: »Liebesnot und Lust ist überflüssig in diesem Stoff. Was entbehrten wir, wenn es im Wallenstein keine Thekla, im Tell keine Bertha gäbe.« Sie mag auch nicht in Konrad Ferdinand Meyers Mönch, daß Dante als Erzähler auftritt, ein richtiges Gefühl für den Stil und die Größe dieses der Geselligkeit entrückten und als bloßer Vermittler verschwendeten Geistes. Sie hat den schönen Valentin der Helene Böhlau gelesen und ist peinlich berührt davon, wie hier »das Ungenügende ernsthaft genommen wird«. Ebenso streng ist ihre Kritik alles Theatralischen, alles künstlich Schwungvollen, literarisch Gemachten bei andern zeitgenössischen Dichtern. Die Turbane in den Karolingern von Wildenbruch ärgern sie und was Ebers anlangt, so schämt sie sich für ihr Geschlecht, daß er Leserinnen findet.

Unwillkürlich sieht man sie vor sich, durch den schwer zu ertragenden Winter in ihre Mansarde gesperrt, vollkommen einsam und auf sich gestellt und dabei ganz und gar erfüllt von der Lektüre des Gregorovius, zufrieden damit, daß das Große besteht und daß man Zuschauer, ja, in einer Sphäre jenseits von Raum und Zeit, entfesselter Teilnehmer sein kann.

Sie sieht das Historisch-Menschheitliche nicht ausschließlich nationalpolitisch wie Treitschke. Läßt sich ein reiferes, abgewogeneres Urteil denken als ihre Äußerung an Konrad Ferdinand Meyer: »Nun freilich stehe ich im deutschen Ring; wenn die Nationalität auch nicht mein Horizont ist und ich weiß, daß in einer gewissen Zeitspanne dieser Standpunkt ein überwundener, vielleicht kaum begreiflicher sein wird als der der Kreuzzüge. Innerhalb seiner Zeitschranken Stellung zu nehmen muß aber auch dem bescheidensten Frauenzimmer gestattet sein, wie die Einseitigkeit im gegebenen Moment dem universalst gebildeten Mann eine Ehrenpflicht ist. So haben denn Friedensliebe à la Elihu Burritt (amerikanischer Friedensapostel) und Bewunderung zu Bismarck-Jenatsch gleichzeitig in einem alten Weiberherzen Platz.« Sie besitzt neben der starken selbstverständlichen Bodenständigkeit, aus der ihr ihre nationale Pflicht mit unerschütterlicher Sicherheit erwächst, einen reinen Idealismus, eine aus allen eigenen und fremden Schmerzen genährte Güte, die ihr geschichtliches Urteil klärt. Und die vollkommene Redlichkeit und Weitherzigkeit ihres Wesens ebenso wie die Tatsache, daß sie ihren Blick über Völkerschicksale hatte hingehen lassen, erheben sie über ein fanatisches Nationalitätenbewußtsein zu der Weite, die sie zugleich als deutsch empfindet. Diese innere Sicherheit will gewiß etwas sagen für ihre Generation: »Der Nationalitätenhaß ist vandalisch und eigentlich antideutsch. Hat denn Goethe, dieser urdeutsche Kosmopolit, ganz vergeblich gelebt.« – »Das Schlagwort Nationalität hat den konfessionellen Hader früherer Jahrhunderte abgelöst. Daß meine persönliche Wenigkeit auf ihrem Frauenrecht beharrt und eine barbarische Maßregel nicht gutheißt, weil sie politisch zweckmäßig ist, nun, derart kennen Sie mich wohl hinlänglich.«

In ihrem politischen Urteil ist sie ebenso unabhängig wie in ihrer ganzen Lebenshaltung: »In einer Mansarde, wie der meinigen, wird man naturgemäß Demokrat.« Sie entzieht sich dem Bilde nicht, das ihr das Schicksal gezeigt hat: das Leben, wie es sich dem Kleinen, Armen und Gedrückten gegenüber verhält, voll Ungerechtigkeit, Gewalttätigkeit und Herzenskälte.

Eigentümlich hellseherisch muten uns heute ihre und Konrad Ferdinand Meyers Urteile über den Kaiser an. Im Bismarckkonflikt sagt sie über Bismarck und Wilhelm II.: »Er (Bismarck) gibt Raum einer der seinen gleichgearteten Natur, aber einer unerprobten, von zweifelhafter Konzentration der Kraft, in welcher kein staatlicher Regenerator und Erhalter es Bismarck auf gleiche Dauer jemals zuvor getan hat.« Sie fügt aber hinzu – ihr Urteil sofort wieder ins Gleichgewicht setzend – »daß sie als Frau keine blinde Bewunderin Bismarcks sein könne. Frauen halten es mehr mit einem wenig erfolgreichen Marc Aurel als mit einem Cäsar, mit einem scheiternden Joseph als mit einem sieghaften Napoleon.« Konrad Ferdinand Meyer antwortet ihr über Wilhelm II., den sie mütterlich kritisch »unsern jungen kaiserlichen Experimentator« nennt: »Der Kaiser ist überall und auch mir wahrhaft sympathisch, behüte ihn Gott, daß er, wenn er der Welt Lohn empfängt (das heißt: den Undank), nicht verbittert und reaktionär werde, daß hieße: es war ein redlicher Versuch, die soziale Frage monarchisch zu lösen, und da er mißlang, ist die monarchische Lösung unmöglich und die Tragik wäre da« (1890).

Auf dem Hintergrunde dieser großen Dinge gewinnt Luise von François das Maß für sich selbst und aus ihrer nicht zu erstickenden Liebe erwächst ihr der feine gütige Humor, mit dem sie der kleinen äußeren Ungelegenheiten Herr wird. Ihr einsames Dasein unterbrechen die regelmäßigen Reisen nach Halle, wo sie im Kreise der Universität wissenschaftliche, künstlerische und gesellige Anregung gewinnt. Manchmal wagt sie es auch mit weiteren Reisen, obgleich sie, wie sie selber lächelnd gesteht, darin immer eine Stümperin bleibt. In dem gerissenen und rücksichtslosen Betrieb von Fremdenverkehr, Hotels, Fuhrleuten und Bourgeois wird sie, ohne Ellenbogen, mit bescheidenem Geldbeutel und der Ungeübtheit der Kleinstädterin, dabei der Reserve der Aristokratin immer zurückgesetzt und beiseite gedrängt. Aber auch über diese feindseligen Hindernisse hinweg gerät es ihr, zu Natur, Geschichte und Menschen die Fäden zu knüpfen, die sie gesucht hat.

In aller philosophischen Abgeklärtheit ihres einsamen Daseins ist aber ihr Herz nicht kühler geworden; wo an die Kränkliche, der Einsamkeit Bedürftige, aus Familie und Freundeskreis Ansprüche an weiblich-helfende und tröstende Hände gestellt werden, ist sie unermüdlich bereit, hier an kleiner Flamme sich erwärmend, der die große versagt geblieben war.

Sie selbst hat keine Hilfe für sich in Anspruch genommen. Bezeichnend für den stolzen Stoizismus ihrer Haltung ist der Wunsch, den sie einmal im Ausblick auf ihren eigenen Tod ausgesprochen hat: »ich sterbe, laßt mich allein.«

Über ihr Werk ist wenig zu sagen. Klar und durchsichtig, innerlich selbständig und von spröder Kraft bedarf es gar keiner Kommentare.

Sie sagt von sich, daß sie nicht aus künstlerischem Schaffensdrang geschrieben habe und sie arbeitet nicht künstlerisch. Aber es wäre falsch zu sagen, daß nur der äußere Zwang sie bewegt habe. Im Grunde führt noch etwas anderes ihr die Feder, nämlich die Gestaltung eines unerfüllten Lebenstraumes. Ihre Romane und Novellen umspannen eine Welt, in der sie gern selbst aktiv gearbeitet hätte: das in dem gutsherrlichen Patriarchalismus eingefügte ländliche Volksleben im Zeitraum der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. »Die letzte Reckenburgerin« beginnt mit der Schlacht bei Jena, »Frau Erdmuthes Zwillingssöhne« endet mit der Schlacht von Dennewitz, und die »Stufenjahre eines Glücklichen« umfassen die Zeit nach den Freiheitskriegen bis 1848.

Sie teilt mit dem Offiziersstand »fritzischer Tradition« die Volksfreundlichkeit. Sie hätte gern in einer Stellung voll patriarchalischer Verantwortlichkeit inmitten des ihr vertrauten thüringischen Landlebens gewirkt. Ihre Bücher schildern ihren Kreis: das Landvolk mit Adel, Pfarrer, Doktor, mit dem reichen Bauern und dem armen Lumpen voll Wirklichkeitssinn, wenn auch nicht naturalistisch, aber mit der Liebe dessen, der sich dieser Welt, aus der er längst entwurzelt wurde, immer zugehörig gefühlt hat. Der Geist, der über diesen Schicksalen wertend waltet, ist immer so, wie sie einmal ihr Lebensideal ausgesprochen hat: »ein Aristokrat – das heißt ein herrschender dem Herkommen nach – und ein Demokrat aus Herzenskraft; ein reich begüterter und einfach volksmäßig lebend aus Rechtssinn; ein evangelischer Friedensfreund aus tapferer Kriegerprobe hervorgegangen; ein Wahrheitsforscher, der nach Volksveredlung strebt, ein Dichter, welcher des Glaubens lebt, für diese Veredlung durch seine Kunst zu wirken.«

Es ist auch ihr Vermächtnis, das Vermächtnis ihres Lebens und jedes Wortes, das sie gesprochen hat, was am Ende der Stufenjahre des Glücklichen der Vater dem Sohn mit ins Leben gibt:

Es sind Feiglinge, mein Sohn, und sie waren es seit Jahrtausenden, die da sagten und sagen: Nichts lieben und nichts glauben, nichts erstreben noch ersehnen als die Ruhe des Nichts heiße weise sein und einzig Erdenglück. Schwächlinge und Ärmlinge! Die Ärmsten unter uns! Sie kennen unseren Reichtum nicht einmal, unseren Reichtum selbst in der Traurigkeit, die kein Menschenglück und keine Menschenweisheit löst, weil sie das ewige Erbteil ist, das den Menschen erst zum Menschen macht.

Kämpfe darum mutig, mein Sohn, und scheue der Wunden nicht, um das, was du in dir trägst, zu behaupten im Gestritt der Welt. Denn nur dieses Eigenste ist dein Glück. Das holde Gestirn, an dem wir die Sonnenkraft ermessen, es hat auch über deiner Wiege gestanden und wird dich leiten durch das Leben, bis es als Abendstern dir leuchten wird dort hinüber, wo wir mit reiferen Sinnen das Wandelbare zu ergründen hoffen.


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