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»Ich glaube an keine Opfer« – – »wer sicher ist, die Folge nie zu bejammern, darf thun, was ihm gut dünkt.«
Die beiden Sätze, die Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling so gut charakterisieren, schrieb sie 1791, als sie 28 Jahre alt und seit drei Jahren Witwe war. Die innere Sicherheit, mit der sie damals – in ungewisser und dürftiger Lebenslage – die bürgerliche Versorgung mit einem ehrwürdigen Superintendenten in Gotha ausschlug, weil »weltliches Ansehen sie nicht über den wahren Wert des Lebens verblenden konnte«, hat ihr ganzes wechselvolles Schicksal geführt. Lange ehe die zierliche kleine Dame im Kreise der jungen Romantiker das neue Lebensideal der Zeit kennen lernte, hatte sie für sich die schwerere Aufgabe, danach zu handeln, so seelenruhig und selbstverständlich angefaßt wie alles, was sie tat.
Warum war eigentlich die lebensdurstige, ihrer Besonderheit früh bewußte Caroline Michaelis dem langweiligen braven Dr. Böhmer in das entlegene Harzstädtchen Clausthal gefolgt, wo es so grönländisch viel Schnee gab?
Sie selbst schreibt schon nach einem Jahr voll Resignation »als an der Jahresfeier des Tages, der mich heut zwischen vier Wände, bey einem geheizten Ofen, wie eine Mistbeetpflanze, die Sonne und Luft nur durch Glas geniest, verbant.«
Sicher geschah es ohne Liebe in ihrem eigentlichsten Sinn. Ein wenig aus Versorgungsgründen. Die Göttinger Professoren? Du lieber Himmel! Mit den »Professors« konnte man »umher ziehn wie mit einer Bande Pufjungen – hätten die Brodfreßers nur Brod«. So war es schließlich noch das beste, was sich finden ließ: der Freund eines Bruders, der Bruder einer Freundin, der Sohn eines in Göttingen sehr angesehenen Geheimen Justizrats. Sie wollte natürlich nicht alte Jungfer werden, trotzdem von Gefühls wegen ihr Freundschaft, wie sie selbst schreibt, damals mehr bedeutete als Liebe. Und sie war auch noch nicht zum Weibe erwacht – wie dieser Ausspruch deutlich zeigt. Selbst im ersten Eheglück weiß sie deutlich: »meine Zärtlichkeit für ihn trägt nicht das Gepräge auflodernder Empfindungen«. Aber sie wußte wohl damals schon instinktmäßig, daß kein äußeres Schicksal die Macht hatte, sie unglücklich zu machen. Jedenfalls ist es charakteristisch, wie sie sich in Clausthal einrichtet. Auf Vorliebnehmen war sie nicht gestellt. Lieber verzichtete sie auf Gesellschaft, als daß sie sich mit schlechter und langweiliger abmühte. In allem behauptete sie ihre eigenen Ansprüche. Für ihre Kleidung, immer ein weiblich wichtiger Punkt bei ihr, sorgt sie auch in dem verlassenen Nest mit Hingabe und Feuer: »Ich putze mich nicht für das Schlaraffenvolk aus den Gebirgen, ich putz mich blos für mich selbst«. – Der kleine Zug ist symbolisch für jenen eigentümlichen Hochmut an ihr, der sich niemals ihrer Umgebung mit Selbstbescheidung anbequemte, sondern standhielt auf dem eigenen Niveau. »Ich werfe mich immer mehr in Clausthal herein, ohne mich in die hiesige Form zu gießen.« Sie half sich an dem verhaßten Ort, so gut sie konnte. »Da ist immer die Rede von schwachen Stunden. Weh mir, wenn in guten es mir an Freuden mangelte. So eingeschränkt bin ich nicht. Durch Intereße an Dingen außer mir, durch Betrachtung, durch Mutterschaft, durch alles waß ich thu, genieß ich mein Daseyn.« Sie verschlang Bücher über Bücher. Nicht nur gute, und nicht immer mit sicherem Geschmack, aber doch voll einer je nach dem Gegenstand wohl abgestimmten Genußfreude. Französische Trauerspiele, kleinere Romane und Memoiren liest man auf dem Sofa liegend; aber man muß auch Bücher haben, die man sitzend mit dem Tisch vor sich liest, z. B. Plutarch und englische Geschichte.
Ihre Briefe aus Clausthal – an Schwester und Freundin – sind anmutig und witzig, heut lustig, morgen voll drolliger Verzweiflung und tapferen Galgenhumors, und ein zuweilen durchschimmerndes Heimweh gibt ihnen einen weicheren Zug. Die Mutter soll, so bestimmt sie für den heiß ersehnten Besuch bei ihren Eltern, nichts für sie anders machen als es immer war. Sie soll nicht etwa, wenn sie am Sonnabend kommt, das Tischzeug schon am Tag ihrer Ankunft wechseln, sondern ja wie immer damit bis zum Sonntag warten.
So recht erwacht sie aber erst nach dem Tode ihres Mannes, wie sie als Witwe mit ihren zwei kleinen Kindern zunächst ins Elternhaus zurückkommt. Es ist merkwürdig, wie fast mit einem Schlage ihre Briefe jene eigentümliche Note bewußter innerer Selbständigkeit gewinnen, die fast ihr stärkster Zug ist – der sichere Rückhalt für das kühne leichte Spiel ihrer Grazie und Laune, der eigentliche Hort, aus dem sie königlich schenken und spenden konnte.
Ein Jahr nach dem Tode ihres Gatten schreibt sie an ihren fragwürdigen Freund Friedrich Meyer – eine der nicht wenigen halben und trüben Beziehungen, die sie nicht unterlassen konnte zu knüpfen – wie von einer Art neuen Lebensbeginns. »Grausam bin ich herausgerißen, doch fühle ich, daß ich es bin, denn es ist so hell um mich geworden, als wenn ich zum erstenmal lebte, wie der Kranke, der ins Leben zurückkehrt und eine Kraft nach der andern wieder erlangt und neue reine Frühlingsluft athmet, und in nie empfundenem Bewußtseyn schwelgt. Ein Schleier fällt nach dem andern, es ist mir nichts mehr sehr wichtig … ich schätze nichts mehr als was wir mein Herz giebt, und erwerbe nichts als was ich mir selbst bereite. – – Mir ists, als hätte ich die Menschen nie weniger bedurft und höher herabgeschaut, als seit sie wohl gar meinten, ich würde mich fester an sie anschließen. – Wir sind stolze Bettler …«
Es ist das Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit und Selbstbestimmung, die Lust zu einem Leben ganz in eigner Regie, auf neuem Boden, das sie treibt, nach Marburg zu ziehen, wo ihr Bruder Professor ist. »So offen wie jezt alles vor meinen Sinnen daliegt, so jeder Möglichkeit unterworfen, verzweifle ich an nichts, ich erwarte aber auch nichts – was mein Wille kan, das wird er – und was die Nothwendigkeit fordert, werd' ich ihr einräumen, doch niemals mehr ihr geben, als sie wirklich fordert.«
Sie mußte in Marburg ihre Kunst, keine Leere und Langeweile zu kennen, tüchtig anspannen, in einer wenig anregenden und wenig angeregten Gesellschaft sich dadurch beliebt machen, daß ihr »Herz ein Gewand über die Vorzüge des Kopfes wirft«, und setzt bald ihrem Bleiben ein Ziel. Der beinahe fatalistische Glaube an sich selbst führt sie weiter – auf kühnere Wege. »Auf Wunder rechnet man nicht, wenn man sich fähig fühlt, Wunder zu thun, und ein wiederstrebendes Schicksal durch ein glühendes, überfülltes, in Schmerz wie in Freuden schwelgendes Herz zu bezwingen.«
Sie geht nach Mainz, wo ihre Jugendfreundin Therese Heyne mit dem Weltumsegler Forster verheiratet lebt. In die Zeit der Enttäuschung durch Marburg, des Schwankens, wo eine Existenz finden (es handelte sich auch um die äußere Grundlage dazu!), fällt die Werbung, von der eingangs die Rede war, und die instinktsichere Ablehnung. Vergebens bieten ihre wohlmeinenden Gothaer Freunde alle Überredungskünste auf, sie möge sich nicht durch schwärmerische Begriffe von Freiheit über die Dornen ihres selbstgewählten Weges täuschen; vergebens legt der Herr Superintendent die Perücke ab und erscheint adonisiert und um zehn Jahre verjüngt. Sie ist ganz sicher, daß sie dem geheimen Hang des Herzens folgen muß, der ihr sagt, daß ihre Bestimmung wo anders auf sie wartet.
In Mainz war eher ein Boden für Schicksale. Als Caroline mit der kleinen Auguste, die von ihren Kindern allein übriggeblieben ist, im April des Jahres 1792 in ihrem eigenen Zimmerchen sitzt und Halstücher ausnäht (wohl für Geld!), da spürt sie mit geheimer Wonne durch ihr enges Gäßchen zukunftschwere Frühlingsstürme wehen. »Wenn der Krieg ausbrechen sollte – ich ginge ums Leben nicht von hier.« Es liegt etwas Stolzes und Freies darin, wie sie mit ihrem kleinen Mädchen in enger Behausung ein Leben ganz auf eigene Hand führt. Sie liest Mirabeaus Briefe aus dem Kerker an Sophie de Monnier und fühlt schwellenden Herzens die Nähe gewaltiger Begebenheiten. Als am 27. Oktober 1792 die Heere der französischen Republik Mainz nahmen und Forster in die Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit eintrat, kamen die Ereignisse ihr brennend nahe. Bis zu welchem Grade sie für die Revolution Partei nahm, läßt sie selbst im unklaren. Es war wohl mehr das große Schicksal an sich, das sie auf seinen schweren Flügeln mit hinauftrug. Parteinahme lag ihr eigentlich nicht – aber das Große lag ihr: ob es nun der feurige Schwung der Freiheitsideen war oder die tragische Rolle der Aristokraten. Sie lebte mit, glücklich, daß eine mächtigere Flut ihr fahrtfrohes Schifflein endlich hob und mitnahm. Anfang Dezember wurde Frankfurt von den Preußen besetzt und Mainz – im Sinne aller, die mit Forster für Frankreich schwärmten – war bedroht. Für Therese Forster wurde dies der äußere Anlaß, mit ihren Kindern Mainz zu verlassen und damit zugleich die lange zerrüttete Ehe mit Forster zu lösen. Caroline hatte diese in trübsten Menschlichkeiten zu Ende gehende Ehegeschichte mit stärkerer Teilnahme für Forster als für Therese miterlebt. Sie war eigentlich immer eher geneigt, die Partei der Männer als ihres Geschlechts zu nehmen, und die Freundschaft mit Therese Heyne war von früh an durch ein wenig Eifersucht, médisance, und ganz aufrichtige Abneigung gegen die Taktlosigkeit und den Ungeschmack der tüchtigen, aber von Hause aus ein wenig verwilderten und vulgären Therese verpfeffert gewesen. Daß sie Forsters wegen in Mainz blieb, ist gleichwohl nicht anzunehmen, noch viel weniger, daß sie den Zurückbleibenden in mehr als freundschaftlichem Sinne habe trösten wollen. An Männer wie Forster, begabt, aber weichlich, unbeherrscht, eitel und von einer unverfeinerten Sinnlichkeit, die Therese Heynes Ekel erregt hatte, gab sich Caroline gewiß nicht weg. Sie nennt ihre Rolle bei ihm die einer »moralischen Krankenwärterin«, gibt zu, daß sie sich dadurch leichtsinnig sowohl politisch als moralisch verdächtig gemacht habe und führt zur Begründung ihres Dortbleibens nur ihre Gleichgültigkeit gegen fremdes Geschwätz an. Sie wollte eben gern in Mainz bleiben, mochte die mühsam behauptete Freiheit nicht aufgeben und wußte nicht, wohin sich wenden, ohne wieder in Abhängigkeit von Verwandten und Freunden zu geraten.
Am 25. März 1793 geht Forster als Deputierter nach Paris. Carolines Name ist wegen ihrer Beziehung zu Forsters Kreis proskribiert, und sie hält es nun an der Zeit, aus dem von den Preußen eingeschlossenen Mainz zu entfliehen. Auch noch aus anderen als politischen Gründen. In einer Ballnacht des zu Ende gehenden Winters hatte die fast dreißigjährige Caroline dem neunzehnjährigen Adjutanten des französischen Feldmarschalls Doyré eine Liebesstunde geschenkt. Die Einzelheiten dieser dunklen Geschichte waren bis jetzt Philologengeheimnis. Denn der erste Herausgeber von Carolinens Briefen, Waitz, hat alle auf diese Angelegenheit bezüglichen Briefe und Briefstellen unterdrückt, wie überhaupt so vieles Intimere – ihre Derbheiten und médisancen vor allem, die doch nun einmal zu ihr gehören. Die vorzügliche neue Ausgabe, die letzte größere Arbeit des verstorbenen Erich Schmidt, Caroline, Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt herausgegeben von Erich Schmidt. Zwei Bände. Insel-Verlag, Leipzig 1913. Preis 12 M., gebunden 14 M. bringt die Briefe vollständig und fügt in den ungemein sorgfältigen Anmerkungen auch über dieses Erlebnis alles dokumentarische Material hinzu.
Über der Stunde, in der sich die beherrschte, kluge Caroline, die, weniger aus Moral wie aus Geschmack, auch ihren glühenderen Lebensdrang »stets im Schleier der stillsten Gewöhnlichkeit mit der Wirklichkeit zu vermählen« suchte, zu diesem Schritt hinreißen ließ, muß die ganze abenteuerliche Wildheit und Leidenschaft der Revolution gelegen haben. Die Offiziere der französischen Armee fanden sich mit der republikanisch und französisch gesinnten Mainzer Gesellschaft zu einer Geselligkeit zusammen, deren Temperatur der Krieg, der gemeinsame Freiheitsrausch, die Spannung durch das Fremdartige auf beiden Seiten in die Höhe trieb. Die Zeit war aus den Fugen. Der neue Tag, die neue Menschheit begann. Man war gelöst von dem Gestern, und das Morgen stand da in unbestimmter Herrlichkeit. Dazu das Temperament einer leichtlebigen, feurigen Stadt am Rhein. Augenzeugen erinnern sich, wie Madame Böhmer an einem dieser Abende festlichen Rausches mit dem jungen Crancé die Carmagnole tanzte – ein lange gebändigtes Element in ihr schlug in hellen Flammen auf.
Sie wußte nachher, daß sie, nicht nur im bürgerlich-konventionellen, sondern im tieferen Sinn der Treue gegen sich selbst, aus ihrer Bahn geschritten war. Sie war Mutter eines achtjährigen kleinen Mädchens, und wirklich Mutter aus voller Seele und mit der ganzen Kraft ihres Herzens und Verstandes. »Ich habe vergeßen, was ich meinem Kinde schuldig war – ich habe in einer gespannten Lage meines Gemüths aus leichtsinniger Kühnheit mich hingegeben, und« – so fährt sie fort, »die Folgen rächen sich in dem Nahmen, gegen den ich sündigte.«
In Mainz selbst spürte sie von diesen Folgen noch nichts. Dabei wußte sie wohl, wie kompromittiert sie war – hier hielt man sie für die Geliebte Forsters, dort für die Maitresse Custines. Zudem hatte sie sorglos eine übelberüchtigte Göttinger Bekannte bei sich aufgenommen: »Ich habe keinen Haß gegen Sünder,« schrieb sie darüber. Mit dieser Frau Liebeskind und einer anderen Göttingerin versuchte Caroline Mainz zu verlassen. Aber ihr fatalistischer Mut brachte ihr diesmal Unglück. Sie scheint die Gefahr ihrer Lage unterschätzt zu haben und unterwegs nicht vorsichtig genug gewesen zu sein. Jedenfalls wurde sie in Frankfurt von den Preußen gefangengenommen und mit ihrer Reisegesellschaft und anderen Klubbisten aus Mainz nach dem Königstein im Taunus gebracht.
Eine schlimmere Lage für eine Frau ließ sich kaum denken. Wenn sie nicht bald ihre Freiheit erhielt, ließ sich ihr Zustand nicht mehr verbergen, und der Skandal war offenkundig. Daß sie als Republikanerin und Frankreichfreundin politisch bloßgestellt war, nahm ihr den Schutz der Freunde und setzte sie zugleich allen Gehässigkeiten und böswilligen Verdächtigungen der gegen die Mainzer Republikaner gereizten öffentlichen Meinung aus. Es ist das erstaunlichste in ihrem ganzen Leben, daß sie in dieser Lage aber auch keinen Augenblick die Ruhe, den Mut, die Energie verliert. Sie muß alle ihre Freunde anspannen, viele vergebliche Bitten tun, viel Demütigungen hinnehmen. Dazu die Qualen der Gefangenschaft selbst: zeitweise, unter einem übelwollenden Kommandanten, war sie mit sieben anderen Menschen in einem Zimmer, »ohne einen Augenblick von Ruhe und Stille, und genötigt, sich stündlich mit der Reinigung deßen, was Sie umgiebt, zu beschäftigen, damit Sie im Staube nicht vergehn.« Dazu war sie krank. Und trotzdem steht in all den peinlichen Briefen, mit denen sie um Hilfe bittet, kein Wort der Kläglichkeit, des Jammerns, der Demütigung. Sie sagt von sich, daß sie sich mit Entschuldigungen nicht verzärtelt habe, aber der Rettung für wert hält, daß sie selbst zu bitter büße, um sich durch fremde Vorwürfe noch anfechten zu lassen. Einzig Meyer gegenüber, dem sie in auffällig insistierender Weise ihr Vertrauen schenkt, scheint sie aus der Hochburg ihres Stolzes herauszutreten, wenn sie gerade in dieser ihrer Lage dringlicher um sein Gefühl wirbt, vom »Sie« zum »Du« übergeht und mit Geständnissen weiblicher Schwäche (»ich bin ja niemals eine unnatürliche Heldin, nur immer ein Weib gewesen«) an seine Männlichkeit appelliert. »Denk, ich sey dieselbe Frau geblieben, die Du immer in mir kantest, geschaffen um nicht über die Gränzen stiller Häuslichkeit hinweg zu gehn, aber durch ein unbegreifliches Schicksaal aus meiner Sphäre gerißen, ohne die Tugenden derselben eingebüßt zu haben, ohne Abendtheurerin geworden zu sein.«
Das war wörtlich wahr und ihr eigentlicher Halt in dieser verzweifelt haltlosen Lage: sie fühlte sich nicht entgleist, sie hatte immer Freiheit, aber nicht Vagabondage und Bohème gewollt; sie hatte einen sicheren Instinkt für die Vorzüge gesellschaftlichen Klassiertseins und wollte sie nicht aufgeben. Sie haßte, aus Geschmacksgründen, in der Leute Munde zu sein. Mit einem Wort, sie war durch und durch Dame und wollte sich so behaupten.
August Wilhelm Schlegel, ein früher abgewiesener Bewerber, wurde jetzt ihr Beschützer. Er mußte ihr Gift verschaffen für den Fall, daß sie nicht rechtzeitig aus der Haft entlassen wurde. Sie hätte ihren Entschluß, dann ihrem Leben ein Ende zu machen, gewiß ausgeführt. Noch eben rechtzeitig wurde sie frei. August Wilhelm Schlegel bringt sie nach Leipzig und vertraut sie dort dem Schutz seines Bruders Friedrich an, eines jungen Studenten, ohne ihn zunächst doch ganz aufzuklären. Vor den Ihren begründet Caroline ihr geheimes Exil klug und glaubhaft mit der politischen Gefahr, in der sie bis zur Erledigung des Prozesses gegen die Mainzer Klubbisten schwebe. Es gelang, das Geheimnis vollkommen zu wahren.
Die Situation ist seltsam genug. Eine nicht mehr junge Frau sieht unter dem Schutz eines Studenten, der sich selbst mitten im Sturm und Drang seiner erotischen »Lehrjahre der Männlichkeit« befand, der Geburt eines zu verheimlichenden Kindes entgegen. Er weiß von ihr zunächst nichts als die üblen Gerüchte, die sie von Mainz her umgaben, er konnte sie kaum anders ansehen wie als irgend jemandes Kurtisane.
Carolines Sicherheit hat einen Triumph ohne gleichen gefeiert, indem sie in dieser Lage Friedrich Schlegel zu einem bewundernden Freund machte. Mit diesem Sieg begann die Rolle, die sie zu einer anerkannten Macht in der Geschichte der deutschen Literatur werden ließ. Wenn Friedrich von Leipzig in das kleine verlorene Städtchen Lucka kam, wo Caroline in vollkommener Zurückgezogenheit ihrer Niederkunft entgegensah, so besprach er mit der geistig beweglichen, enthusiastischen, unermüdlich teilnehmenden Frau seine Studien und literarischen Pläne, sie liest ihm herrlich die Iphigenie und läßt sich von ihm in die Griechen einführen. Wie eindringend sie Friedrichs geschichtsphilosophische Ideen aufnahm und mit durcharbeitete, zeigt ein späterer Brief über die bekannte geschichtsphilosophische Schrift Condorcets von dem Fortschritt des menschlichen Geistes, auf die sie Friedrich hinweist. Er ist das erste Zeugnis ihrer erstaunlich feinen, geistvollen und sicheren Auffassung philosophischer Dinge, ihres bei aller Ungelehrtheit unbefangen treffenden Kulturinstinkts, und zugleich, geistesgeschichtlich eingeordnet, ein Dokument für die beginnende Auseinandersetzung der Geschichtsauffassung und Kulturstimmung des achtzehnten Jahrhunderts mit der in Goethe erschienenen, von der Romantik gepflegten, modernen. Condorcet knüpft in der optimistischen, angesichts des Todes verfaßten Schrift, dem Glaubensbekenntnis eines edlen Idealismus, den geschichtlichen Fortschritt an die gesetzmäßige Entwicklung der Intelligenz. Caroline empfindet das einseitig Rationalistische dieser Konstruktion und meint kühn und demütig zugleich (die Demütigsten seien eben oft die Stolzesten), daß dem, der den kunstreicheren Instinkt des Brückenbaues entbehrt, der einfache Instinkt des Fliegens gegeben sei, durch den die Lerche an einem schönen Morgen hoch in den Lüften schwebt. Kunst und Intuition stellt sie als Kulturmächte neben die berechnende Vernunft, und mit tiefgefühltem Unglauben steht sie der Meinung gegenüber, als ließen sich für die Entwicklung geistiger Dinge Gesetze finden und Berechnungen anstellen.
Aber nicht nur geistig war sie Friedrich Schlegel viel, sondern auch noch in persönlicherer Hinsicht: »Sie hat meine Freundschaft auf immer. Ich bin durch sie besser geworden, und das weiß sie vielleicht nicht«, schreibt er damals von ihr. Und nach drei Jahren, voll Ernst und Liebe: »Heute ists drey Jahr, daß ich Sie zu erst sah. Denken Sie, ich stände vor Ihnen, und dankte Ihnen stumm für Alles, was Sie für mich und an mir getan haben. – Was ich bin und seyn werde, verdanke ich mir selbst, daß ich es bin, zum Theil Ihnen!« Caroline, die in mannigfachen Herzenserfahrungen auf eigen gewähltem Wege reif gewordene Frau, erschien dem Jüngling, der nach neuen Lebensidealen suchte, wie eine zeitgemäße Inkarnation der »selbständigen Diotima«, der auf sich gestellten, aufrechten politischen Frau in Platos Republik. Wie sicher und unbefangen muß sie sich gegeben haben, um einem jungen Studenten, der ihr nicht mit höchster Achtung entgegenkam, diesen Eindruck zu machen. Die Erinnerung an diese Zeit spiegelt sich in der Schilderung Carolines in der Lucinde, die von jeher als das beste zeitgenössische Bild von ihr gegolten hat:
»Sie war heiter und leicht in ihrem Glück, sie ahndete nichts, scheute also nichts, sondern ließ ihrem Witz und ihrer Laune freies Spiel … Überhaupt lag in ihrem Wesen jede Hoheit und jede Zierlichkeit, die der weiblichen Natur eigen sein kann; jede Gottähnlichkeit und jede Unart, aber alles war fein, gebildet und weiblich. Frei und kräftig entwickelte und äußerte sich jede einzelne Eigenheit, als sei sie nur für sich allein da, und dennoch war die reiche, kühne Mischung so ungleicher Dinge im Ganzen nicht verworren, denn ein Geist beseelte es, ein lebendiger Hauch von Harmonie und Liebe. Sie konnte in derselben Stunde irgendeine komische Albernheit mit dem Mutwillen und der Feinheit einer gebildeten Schauspielerin nachahmen, und ein erhabenes Gedicht vorlesen mit der hinreißenden Würde eines kunstlosen Gesanges. Bald wollte sie in Gesellschaft glänzen und tändeln, bald war sie ganz Begeisterung, und bald half sie mit Rat und Tat, ernst, bescheiden und freundlich wie eine zärtliche Mutter. Eine geringe Begebenheit ward durch ihre Art sie zu erzählen so reizend wie ein schönes Märchen. Alles umgab sie mit Gefühl und Witz, sie hatte Sinn für alles, und alles kam veredelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süß redenden Lippen. Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre leidenschaftlichste Teilnahme. Sie vernahm jede Andeutung, und sie erwiderte auch die Frage, welche nicht gesagt war. Es war nicht möglich, Reden mit ihr zu halten; es wurden von selbst Gespräche, und während dem steigenden Interesse spielte auf ihrem feinen Gesichte eine immer neue Musik von geistvollen Blicken und lieblichen Mienen. Dieselben glaubte man zu sehen, wie sie sich bei dieser oder bei jener Stelle veränderten, wenn man ihre Briefe las, so durchsichtig und seelenvoll schrieb sie, was sie als Gespräch gedacht hatte. Wer sie nur von dieser Seite kannte, hätte denken können, sie sei nur liebenswürdig, sie würde als Schauspielerin bezaubern müssen, und ihren geflügelten Worten fehle nur Maß und Reim, um zarte Poesie zu werden. Und doch zeigte eben diese Frau bei jeder großen Gelegenheit Mut und Kraft zum Erstaunen, und das war auch der hohe Gesichtspunkt, aus dem sie den Wert der Menschen beurteilte.«
Das Kind »der Nacht und Glut«, ein Knabe, wurde am 3. November 1793 geboren. Sie mußte ihn natürlich in Pflege geben, hatte aber die bestimmte Absicht, ihn später zu sich zu nehmen. (An Meyer am 7. Juni 1794: »An allen den Orten z. B., die Du nenst, kan ich nie das thun, was ich thun will und muß – meinen Sohn zu mir nehmen in ein bis zwey Jahren.«) Er starb jedoch schon im Mai 1795, und es scheint, als ob Caroline bitter darunter gelitten habe.
Das Asyl in Lucka war für sie fast eine glückliche Zeit, verglichen mit dem, was sie beim Wiedereintritt in die Gesellschaft durchzumachen hatte. Sie versucht es zuerst bei den Freunden in Gotha und stößt, trotz aller Mühe, die sich Gotters gaben, auf die allgemeinste und empfindlichste Ablehnung. Vergebens, daß sie »mit Sanftheit« ihre Feinde zu entwaffnen sucht, ebenso vergebens, daß sie dem direkten Affront tapfer und offen die Stirn bietet und es mit Auseinandersetzungen versucht. Ihre Lage in Mainz war zu bösen Deutungen ausgesetzt gewesen, das Politische gab den Vorwand, aber die moralische Anfechtung war (obgleich man ihre wirkliche Schuld nicht kannte) schließlich der stärkere Grund, sie gesellschaftlich zu ächten.
Sie empfand das sehr schwer. So gleichgültig ihr die Menschen persönlich waren, so wenig sie nach ihrer Freundschaft und Zuneigung begehrte, so unbedingtes Bedürfnis war ihr die gesellschaftliche Achtung. »Der gewöhnten Achtung entbehren ist das härteste« – sie war nun einmal keine Bohème-Natur, die sich unbehaust wohlfühlte; sie wollte wieder Wurzel fassen und hatte die Mächte unterschätzt, die es ihr verwehrten. Sie war gebrandmarkt. In ihrer Vaterstadt Göttingen wurde durch ein Reskript des Universitätskuratoriums der derzeitige Prorektor angewiesen, ihre Verwandten schonend zu verständigen, daß man ihr den Aufenthalt nicht gestatten könne. Friedrich Schlegels vorsichtige Fragen bei seiner Schwester in Dresden ergaben, daß auch dort für ihre Wiedereinführung in die Gesellschaft kein Boden war. Schließlich ging sie nach Braunschweig und erwartete dort August Wilhelm Schlegels Rückkehr von Holland. Nach allerlei kühnen Plänen, in Amerika oder in Rom sich eine Zukunft zu gründen, fand sich für Schlegel der Wirkungskreis in Jena. Am 1. Juli 1796 wurde die Ehe zwischen ihm und Caroline geschlossen. Am 9. Juli zogen sie in Jena ein, und Caroline schreibt erleichtert: »Nun geht es doch aber endlich über Stock und Block, die wir hinter uns laßen, weg, im graden Gleise.«
Man spürt es an ihren Briefen, wie wohl ihr diese Sicherheit tat. So viel leichter, heller, behaglicher wird ihr Ton. Von der Güte und dem Ansehen Schlegels gestützt, kann sie nun ihren geistigen Heißhunger aus reichsten Quellen befriedigen, ihre Laune, ihren Witz, ihre Fähigkeiten zum Mitdenken, Mitdichten, Mitgenießen sprühen lassen. Ihr Geist hatte sein Element gefunden; ihr Geist, noch nicht ihr Herz. Denn der pedantische Schlegel, von dem sie schon ein Jahr vor ihrer Ehe seufzt: »Ach, ich werde ihm noch Leidenschaftslosigkeit ablernen – und dann ist meine Erziehung vollendet«, dieser klare, feine, ordentliche, aber doch im Grunde kleinliche Gehirnmensch, der »keinen Faden liegen sehen kann, ohne darüber zu stolpern«, hat in ihrem Herzen nie andere Empfindungen geweckt als eine von Dankbarkeit erwärmte Freundschaft, gerade genug Gefühl, um eine Ehe davon bestreiten zu können, wenn als stärkerer Reiz noch die gemeinsame Arbeit in einem Kreis dichtester Geistigkeit, gedrängtester Bedeutung hinzukam. Den Kundgebungen ihres Wesens in dieser Zeit fehlt die Weichheit, der Schmelz, den das Mitschwingen eines starken Gefühls sogar den oft so peinlich entgegenkommenden Briefen an Meyer gegeben hatte. Sie war nun in der Mitte der Dreißig, und in dem geistigen Frühling um sie herum kam ihr Reichtum zu rascher voller Blüte.
Es erfüllt den Rückschauenden noch immer wieder mit einem Gefühl von Feuer und Spannkraft, sich Jena-Weimar in den letzten Jahren des achtzehnten Jahrhunderts vorzustellen, diese geballte geistige Energie, diese strahlende Fülle in einem kleinsten Kreis erlesener Menschen zusammengedrängt. Goethe, der mit dem letzten Teil von Wilhelm Meisters Lehrjahren auf den Sattelknopf geschnallt, von Weimar herüberreitet, Schiller, der Wallensteins Lager auf die Bühne des neuen Weimarer Theaters bringt und sich, wie man im Schlegelschen Kreis meint, nach den »gereimten Metaphysiken« des Musenalmanachs damit dem Teufel des Realismus ergibt, um sich die Sentimentalität vom Leibe zu halten; Fichte, feurig, aufrührerisch und voll ungeheurer geistiger Energie, der feine kluge Humboldt, Schelling und Hardenberg. Dem Xenienkampfe Schillers und Goethes folgte das Athenäum der Schlegels, die Luft war voll Kampf und Spannung.
Goethe hatte in den Schlegels seinen ersten wahrhaften Jüngerkreis, eine junge Generation, die sein Lebensgefühl rein und frei aufzunehmen vermochte, ungestört durch den Geist des achtzehnten Jahrhunderts, der Schillers Schranken bezeichnete. Diese Genesung vom Rationalismus war ein unvergleichlich herrliches Erlebnis. Zu fühlen, wie alle Steifheit und Starrheit des theoretischen Menschen sich auflöste, einfach zerging in der Sonne der neuen künstlerischen Betrachtungsweise, zu fühlen, wie alles beweglich, leicht und erdig frisch war, wenn man den einschnürenden Geist der Abstraktion abgeschüttelt und vertrieben hatte, Kunst als ein Elementares unmittelbar und sinnlich zu atmen und zu schmecken, das war wie Rausch wiedergeborenen Lebens unter strahlenderem Himmel.
Caroline war durch die Art ihrer geistigen Natur in dieser neuen Welt vollkommen zu Hause. Sie besaß einen scharfen philosophischen Verstand, aber sie vertraute sich ihm nicht an, sondern bewahrte bei aller Vielseitigkeit ihres Wissens und durchdringenden Kraft der Erkenntnis dem Gefühl die Führung in ihren Urteilen und Wertungen. Und so vereinigte sie Kritik und Intuition, die beiden Organe, deren eine zugleich kämpfende und oppositionelle wie aufbauende und schöpferische (wenn auch schöpferisch nicht im Kunstsinn) Bewegung bedarf. Und vor allem: sie hatte ein ganz deutliches, kaum beirrbares Gefühl für das Große, Wesenhafte, für Fixsternlicht. Vielleicht war dies Gefühl ihr einziger Ernst und ihre einzige Moral.
Kraft dieses Gefühls hat sie Tiecks zaubernächtliche Romantik gewogen und zu leicht befunden. »Viele liebliche Sonenaufgänge und Frühlinge sind da«, so sagt sie vom Sternbald. »Tag und Nacht wechseln fleißig, Sonne, Mond und Sterne gehen auf, die Vöglein singen; es ist alles sehr artig, aber doch leer, und ein kleinlicher Wechsel von Stimmungen und Gefühlen im Sternbald, kleinlich dargestellt. Die Verse sind nun fast zu viel, und sie fahren so lose in und aus einander, wie die angeknüpften Geschichten und Begebenheiten, in denen gar viele leise Spuren von mancherley Nachbildungen sind. – Eine Fantasie, die immer mit den Flügeln schlägt und flattert und keinen rechten Schwung nimmt.« Mit solcher Kritik schont sie auch die Nächsten nicht. Der verzogene Friedrich Schlegel wendet sich einmal beschwerdeführend an August Wilhelms eheherrliche Gewalt: »Deine Frau hat mir einen sehr heftigen und beleidigenden Brief über das Athenäum geschrieben, den Du wohl nicht gesehen hast vor der Absendung.«
Warum hat sie – die Selbständige, wie Friedrich sie schon in früheren Briefen anredet – nicht selbst literarisch gearbeitet? Sie hat an der Shakespeareübersetzung geholfen, einige Rezensionen und Charakteristiken geschrieben, die in Wilhelms Aufsätze (Über Romeo und Julia, das Gespräch: Die Gemälde) verflochten wurden. Friedrich Schlegel hat ihr zum Schreiben zugeredet und über die »Naturform« ihrer literarischen Äußerung nachgedacht. Er sucht sie in der »Rhapsodie« (für sich nimmt er das »Fragment« in Anspruch). Sehr fein empfindet er, was jeder Biograph der Caroline erfährt, wenn er etwa aus ihren Briefen charakteristische Stellen herausheben will: das einzelne, eine gute Bemerkung, ein Aperçu, so hübsch und geistreich es sein mag, gibt den Reiz und Glanz, die Anmut und Musik ihrer Briefe nicht wieder: »Was sich aus Ihren Briefen drucken ließe«, schreibt er, als man nach Stoff für den aphoristischen Teil des Athenäums sucht, »ist viel zu rein, schön und weich, als daß ich es in Fragmente gleichsam zerbrochen und durch die bloße Aushebung kokett gemacht sehen möchte.« Übrigens hatte sie dieselbe Fühlung für Friedrichs Art, eine Fühlung, die freilich zugleich jene Kritik seiner Fragmente enthielt, die ihn so kränkte. Sie empfand die Unstimmigkeit zwischen Friedrichs großen geschichtsphilosophischen Ideen und der fragmentarischen Form, und sprach dies Urteil wohl um so rückhaltloser aus, als die Lösung dieses Widerspruchs in nichts anderem als in Friedrichs Faulheit und Mangel an Arbeitsdisziplin lag. Friedrich wollte sich mit Gewalt aus der Not seiner Bequemlichkeit, die ihn große philosophische Zusammenhänge aphoristisch andeutend behandeln ließ, eine Tugend machen, und das wollte sie ihm nicht durchgehen lassen.
Aber warum schreibt sie nicht? An dem Fleiß dazu hätte es ihr nicht gefehlt. Was sie zurückhielt, war der Instinkt, daß sie ihre stärksten Wirkungen, den vollkommensten und eigenartigsten Ausdruck ihrer Natur und ihrer Gaben nicht hier suchen dürfte. Sollte sie – um des literarischen Namens oder gar um des Erwerbes willen – als mittelmäßige Schriftstellerin den Eindruck ihres unvergleichlichen und einzigen persönlichen Wesens beeinträchtigen? Sollte sie Zeit und Kraft verlieren an eine ihr minder gemäße Wirkensform? Schon mit achtzehn Jahren (in einer abfälligen Bemerkung über die Gelehrsamkeit der Dorothea Schlözer, die ihr Vater promovieren ließ) wußte sie, daß »man ein Frauenzimmer nur nach dem schätzt, was sie als Frauenzimmer ist«. Sie wollte nicht als literarische Persönlichkeit gekannt sein, so wenig wie sie sich in einem unvorteilhaften Kleide gezeigt hätte. Schöpferisch begabt war sie zudem nicht. Ein Romanentwurf, den sie hinterlassen, zeigt nur, wie gut sie sich selbst kannte, und daß ihr vielleicht Lust zu einer Selbstanalyse in Romanform, aber kaum ein Erfindungsdrang eigen war. Als Selbstdarstellung ist das Fragment von höchstem Interesse. Nicht nur, weil es das treffendste Porträt ihres Wesens gibt, sondern auch, weil es den Zug äußerster Bewußtheit, der für ihre Natur so bezeichnend ist, in wahrhaft überraschendem Grade enthüllt. Um dieser Selbstschilderung willen sei die kurze Skizze hier in ihrem Hauptabschnitt wiedergegeben.
»Der Hauptgegenstand des Romans wäre ein Weib – das wir Gabriele nennen wollen –, ein selbständiges und zugleich ein liebenswürdiges Wesen. Die Thorheit müste auf den ersten Blick stärker bey ihr hervorschimmern als die Vernunft; sie wäre ihre verführerische Seite, die sie selbst mehr aus Frohsinn als aus Leichtsinn geltend machte. Aber im Innern wohnte Würde, Adel, der heiligste Ernst eines schönen Herzens. Ihr Geist müste hell seyn, ihr angebohren, und auch ausgebildet – die allzu rege Empfänglichkeit dürfte ihn zuweilen verwirren – nur ganz verblendet dürfen wir sie nicht sehen; selbst wo sie mit Leidenschaft liebt, und wo ihre Leidenschaft Unrecht hat, muß sie es ahnden, fast wißen, und nur sich durch eine andere Ausflucht täuschen. So kan sie hoffen die Fehler oder die Mängel eines Geliebten zu besiegen oder zu ergänzen. Sie darf ganz hingegeben lieben, aber wenn der nächste Augenblick nach einer glücklichen Stunde sie auffordert, so muß sie sich ganz auf sich allein verlassen können. Noth, Liebe, Genuß müßen die vielleicht vernachläßigte Überlegung mit Blitzesstrahlen wieder in ihr erleuchten, statt sie zu verfinstern. Sie kan hingerißen werden, ohne sich hinterdrein als die Betrogne zu fühlen – der ist der Betrogne, der sie getäuscht zu haben glaubt.
Vorurtheilsfrey durch Instinkt soll ihr das Raisonnement mehr Gründe gegen andre als für sich leihen. Die äußre Sitte schont sie in allem, nicht sowohl aus Grundsaz als gewohnter Bescheidenheit. Sie soll glänzend seyn, wenn sie lebhaft wird, aber nicht immer gleich sich als lebhaft ankündigen. Mögen manche nur häusliche Tugenden in ihr kennen. Ohne sich selbst eigentlich zu kennen mag sie früh in die Welt geworfen werden. Keine zärtlichen Bande knüpfen sie an ihre erste fast bedeutungslose Jugend – sie hat nach dem Tode ihres Vaters keine nahen Verwandte, ein Mann, an den sie verheirathet wurde, starb früh. Ihr Nachdenken muß erwachen, indem sie sich so allein wie vor den Thoren eines Daseyns sieht, dessen Fülle sich in ihr zu bewegen anfängt – ihr Nachdenken, ihr dennoch unbefangenes Zutraun, aber kein stolzes Bewustseyn, noch sichre Rechnung auf einen Himmel auf Erden, der dem in ihrer Brust entspräche.«
Wie gut sie sich kannte! Die seltsame Mischung von Kühle und Gefühlsdrang, Klarheit und Leidenschaft, Hingabe und Selbstbeherrschung! Und so wußte sie auch, daß es ihr gemäßer war, Fragmente für die Schlegelsche Zeitschrift »auszuschmecken«, als selbst welche zu schreiben. Sie hütete sich.
* * *
Ihr persönliches Leben blieb zunächst glatt – im »graden Gleise«. Wilhelm Schlegel war der kleinen Auguste, dem Gustelinettchen, ein ritterlich-zärtlicher Vater, der sich in die eigentümliche Vertrauensstellung der frühreifen kleinen Dame zu ihrer Mutter taktvoll hineinfand. Caroline verband ihren literarischen Esprit mit geselligen und hausfraulichen Tugenden zur schönsten Harmonie. Sie muß sich ausgezeichnet darauf verstanden haben, ein Heim zu schaffen, mit den kleinen Mitteln Schlegels solid und wirtschaftlich umzugehen und daraus mit hausfraulicher Kunst Behagen und Schönheit zu zaubern. Sie war selbstverständlich gastlich und gesellig, kleidete sich anmutig, geschmackvoll und mit Abwechslung – sie machte sich ihre Kleider fast alle selbst, war, ohne schön zu sein, ebenso wie ihr Heim stets erfreulich anzusehn, ließ bei zarter Gesundheit doch niemals häusliche Nöte über ihre Beweglichkeit und Laune Herr werden, sondern wurde leicht und elastisch mit allem fertig. Sie gefiel allen, außer solchen, bei denen es ihr selbst nicht darauf ankam – z. B. Schillers, zu denen die »Dame Luzifer« auch ohne das bald eintretende Zerwürfnis der Männer wohl nie ein Verhältnis gewonnen hätte. Man muß sich vorstellen, daß ihre Briefe nur einen schwachen Abglanz ihrer Unterhaltung geben können, man muß diese schwungvolle Begeisterung, diese feinnervige Einfühlung, diesen sprühenden, übermütigen Witz, diese Grazie in der Liebe und Freundschaft, diese blitzende Schlagfertigkeit in Spott und Abneigung, gesprochen, gelächelt, aus blauen Augen blitzend, von anmutigen Gesten bekräftigt denken. Begreiflich, daß sie alle starken und sicheren Menschen entzückte, allen philiströsen aufs äußerste ungemütlich war. Denn so gutmütig und freundschaftlich sie, wenn sie wollte, auch einfacheren Menschen, z. B. den alten Freunden Gotters gegenüber sein konnte, so unbarmherzig war ihr Spott, so schonungslos und ungroßmütig ihre Médisance, wo sie sich Feinden gegenüber fühlte, besonders aber, wo sie anmaßender Unfähigkeit entgegentrat.
Ihre bösen Seiten entfaltete ihre Natur in dem höchst bedenklichen Wagnis der Hausgemeinschaft à quatre mit Friedrich und Dorothea Veit. Caroline hatte sich nie mit einer ebenbürtigen Frau vertragen. »Es giebt keine Freundschaft unter Weibern« – hatte sie schon früh behauptet. Mit der guten Luise Gotter, die in engen Verhältnissen schlecht und recht ihre große Familie versorgte, war sie schließlich immer nur vorübergehend zusammen, die stellte keine Ansprüche, war voll unerschütterlicher Bewunderung für die glänzende abenteuerliche Caroline und voll treuer Hilfsbereitschaft. Aber schon mit Therese Heyne war es zu den empfindlichsten Konflikten gekommen. Und mit Dorothea konnte es schon gar nicht gut ausgehen.
Am 6. November 1799 schreibt die fünfzehnjährige Auguste Böhmer unschuldig an ihre Freundin: »Du weißt wohl von meiner Mutter, was wir in Jena diesen Winter für angenehme Gesellschaft haben; erstlich ist Fritz aus Berlin da, dann wohnt unten in unserm Hause eine Dame aus Berlin Madam Veit.«
Friedrich Schlegel kam mit seiner Freundin Dorothea Veit-Mendelssohn nach Jena zu einem Versuch, sich dort eine Existenz zu gründen; die unsichere bürgerliche und wirtschaftliche Lage der beiden war wohl eher als ein rein freundschaftlicher Wunsch der Anlaß, daß ein gemeinsamer Haushalt versucht wurde. Es war von Carolines, der selbst mühsam rehabilitierten, Seite gewiß großherzig und gutmütig, daß sie Dorothea in ihrer halben und heiklen gesellschaftlichen Stellung unter ihren Schutz nahm und sie in die Jenaer Gesellschaft einführte – ganz abgesehen von der auch nicht geringen Zumutung der häuslichen Doppelwirtschaft. Aber wie hätte dieses Zusammenleben überhaupt in ein glattes Gleis kommen können! Standen doch nicht zwei von den beteiligten Menschen (außer Caroline und ihre Tochter) in einem klaren, guten, widerstandsfähigen Verhältnis zueinander. August Wilhelms und Carolines Ehe charakterisiert Dorothea als »ein rechtes freiwilliges Zusammenleben gebildeter Menschen ohne viel vom Sakrament« – womit wohl nicht nur der unabhängige, sondern auch der lose und kühle Charakter ihrer Gemeinschaft bezeichnet werden soll. Wenn Caroline schon überhaupt »an Opfer nicht glaubte«, so hätte sie August Wilhelm gewiß keine gebracht. Dorothea und Friedrich standen auf dem schwankenden Boden der »freien« Liebe. Doppelt unsicher für Naturen wie sie beide: der eine unerzogen, selbstbewußt, genial und reich an Gefühl, aber sinnlich, egoistisch und unordentlich, die andere viel zu demütig, voll blinder weiblicher Parteilichkeit für Friedrich (begreiflicherweise – stieg und sank doch die Schale ihrer Selbsteinschätzung mit dem Wert, den sie dem Gott ihrer bitteren Opfer beilegen konnte!), ohne Leichtigkeit und Anmut, immerhin durch den glänzenden Berliner Kreis, aus dem sie kam, verwöhnt und schließlich nicht ohne Prätensionen. Alles in allem: weicher, gütiger, wehrloser als Caroline – und viel reizloser.
Der Stein des Ärgernisses in diesem Kreise mußte Friedrich werden. Caroline nahm ihn gleichmütig überlegen, vielleicht noch ein wenig unterstrichen respektlos, denn sie war wohl Eva genug, um Friedrich den Übergang zu neuen Göttinnen trotz allem ein klein wenig zu verdenken und um Dorothea ein bißchen von ihrer ehemaligen Macht über Friedrich zeigen zu müssen. Friedrich aber, von Dorothea angebetet, verhätschelt und in Paschastimmung gewiegt, war gegen Carolines Ton empfindlich, um so mehr, als er auch ehrlich brüderlich fühlte, wie kühl sie August Wilhelm gegenüberstand. Und Dorothea schreibt: »Friedrich begegnet sie höchst unwürdig und ist durchaus nicht im stande ihn zu begreifen, sie ist ganz übermüthig gegen ihn, und das ist der Punkt, worüber ich keinen Spaß verstehe.« Sie tritt als zürnende Priesterin vor ihren beleidigten Gott und betrachtet fortan Caroline als »Friedrichs Feindin«, mit der es keine Gemeinschaft für sie geben kann.
Während sich so das unbedacht begonnene Zusammenleben aus seiner eigenen Beschaffenheit heraus kläglich zu trüben begann, führten zwei Ereignisse Carolines Schicksal noch einmal, zum letztenmal, zu einer entscheidenden Katastrophe: der Eintritt Schellings in ihr Leben und der Tod ihrer Tochter.
Auguste Böhmer hatte das unstet abenteuerliche Leben der Mutter in zarter, ernsthafter Kinderkameradschaft geteilt. Erstaunlich, wie harmlos und schlafwandlerisch unbefangen sie sich mit all den problematischen Verhältnissen ihrer Umgebung abfand, mit einem kleinen Bruder, dessen Dasein nicht verraten werden durfte, mit einem jugendlichen Stiefvater, auf welchen den Vaternamen anzuwenden ihr nie in den Sinn gekommen wäre, mit einem Stiefonkel und Kameraden, der ihr reizend anmutige, scherzhaft huldigende Briefe schreibt, und seiner eher mütterlich ausschauenden, aber sich keineswegs so verhaltenden Freundin. In dieser auf den Kopf gestellten Welt wächst das junge Mädchen einfach und naiv heran, nicht prinzeßchenhafter als es jedes anmutige, zärtliche kleine Ding werden würde, dem die Frauen mütterlich sorgsam und die Männer mit jovialer Ritterlichkeit begegnen – ein wenig keck und naseweis sich der Neckereien der Freunde erwehrend und altklug gönnerhaft ihre Huld verteilend. Aber alles doch, trotz Dorotheas gehässiger Urteile, ohne Prätension und Ziererei, als das spielerische Außen eines warmen, aufrichtigen, treuen Herzens.
Es ist gewiß nicht zu viel gesagt, daß Caroline daran ein wesentliches Verdienst hat. Das Verdienst einer wahrhaft guten Mutter, der es tiefster und heiligster Ernst war um die Seele des Menschen, den sie doch schließlich in ihrem rastlosen Leben am selbstlosesten geliebt hat. So merkwürdig es anmutet, daß Caroline, Fritz und alle anderen dieses Kind in die kühne Ironie ihres Kreises so ganz und gar mit hineinziehen, es ist doch Ernst und Kraft, etwas Stählernes, Gerades in der Art, wie Caroline ihre Tochter beeinflußt. Sie verlangt Ausdauer und Energie von der Kleinen in der Pflege ihres musikalischen Talents, sie sucht ihr große, ernste Interessen zu geben. So wenn sie etwa sich in einem Bericht über Jenenser Personalien unterbricht und mit festerer Hand hinschreibt: »Lauserey das alles! Buonaparte ist in Paris! O Kind, bedenke, es geht alles wieder gut. Die Russen sind aus der Schweiz vertrieben – die Russen und Engländer müssen in Holland schmählich capitulieren, die Franzosen dringen in Schwaben vor. Und nun komt der Buonaparte noch. Freue Dich ja auch, sonst glaub ich, daß Du blos tändelst und keine gescheiten Gedanken hegst.«
Auguste starb am 12. Juli 1800 in dem Bade Bocklet, wohin sie ihre erkrankte Mutter begleitet hatte, nach einer ganz kurzen Krankheit. Für Caroline war ihr Tod die tiefste Erschütterung, die das Leben der Schicksalgefeiten bereitet hatte und bereiten konnte, etwas, das ihr blutende Wunden bis in den Grund der Seele hinein riß und die Starke, Gewappnete, die so oft von sich gesagt hatte, daß sie nie unglücklich werden könnte, wahrhaft überwältigte und wehrlos machte. Im Freundeskreis zitterte der Schlag, der diese blühende, heitere Jugend getroffen, weithin nach. Tieck, der gerade noch in Jena einige Zeit mit ihr zugebracht hatte, schreibt später: »Wie traurig, daß das Andenken eines so schönen Wesens, wie diese Auguste war, so schnell erlöschen muß. Diese natürliche Heiterkeit, der Frohsinn dieses Mädchens, ihr unschuldiger Witz und sanfte Schalkheit, gepaart mit Verstand und Geschmack, war in ihrer schönen Jugend eine zauberhafte Erscheinung.« Und August Wilhelms karge Natur gab schmerzlich schöne, wirklich von einem starken Gefühlsstrom getragene Verse in dem »Totenopfer«, das durch die echte Feierlichkeit seines Tones so edel absticht gegen Friedrichs gekünstelten »welken Kranz«.
Oft, wenn sich ihre reine Stimm' erschwungen
Schüchtern und kühn, und Saiten drein gerauschet,
Hab' ich das unbewußte Herz belauschet,
Das aus der Brust melodisch vorgedrungen.
Vom Becher, den die Wellen eingeschlungen,
Als aus dem Pfand, das Lieb' und Treu' getauschet,
Der alte König sterbend sich berauschet,
Das war das letzte Lied, so sie gesungen.
Wohl ziemt sich's, daß der lebensmüde Zecher,
Wenn dunkle Fluten still sein Ufer küssen,
In ihren Schooß dahingiebt all sein Sehnen.
Uns ward aus liebevoller Hand gerissen,
Schlank, golden, süßgefüllt, bekränzt, der Becher;
Und uns zu Füßen braust ein Meer von Thränen.
Vielleicht hätte dieser von Schlegel so aufrichtig geteilte Schmerz zu einem neuen Band zwischen den in kühler Freundschaft nebeneinander lebenden Gatten werden können. Aber über Carolines weiterem Leben war schon in anderem Sinne der Würfel gefallen, und die Erschütterung dieses Todes konnte sie nun nur noch um so entschiedener aus allen halben und flachen Verhältnissen heraus der großen schicksalhaften Liebe zutreiben, die ihrem unbehausten Herzen endlich die dauernde Heimat schuf.
Im Oktober 1798 war Schelling, dreiundzwanzigjährig, als außerordentlicher Professor der Philosophie nach Jena gekommen. »Ein Mensch, um Mauern zu durchbrechen, eine rechte Urnatur, ächter Granit«, schreibt Caroline nach dem ersten Eindruck an den kritischen Friedrich Schlegel, dessen absprechendes Urteil über Schelling durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte.
Über das Verhängnis, das den wuchtigen, dunkelgenialen, in jedem Zug seiner Seele groß geformten Mann und die ewig nach dem Heroischen sehnsüchtige Frau zusammenführte, kann man ein Wort setzen, das Caroline einmal (mit geringerem Recht) mit Bezug auf Friedrich Schlegel sagt: »Es giebt Dinge, die nicht zu verdammen, nicht zu tadeln, nicht wegzutäuschen, nicht zu ändern sind.« Der romantische, auch Schleiermacher erfüllende Glaube an eine überzeitliche mystische Vermählung der Seelen, der das Leben Wirklichkeit verleihen muß, und wenn darüber Berge zu versetzen wären, dieser Glaube hat in keinem der vielfältigen Liebesschicksale dieses Kreises eine so vollkommene Bewährung gefunden, wie in der Liebe der fünfunddreißigjährigen Caroline zu dem zwölf Jahre jüngeren Schelling. Sie ist nach dem Tode Augustens nicht nach Jena zurückgekehrt; sie ging nach Braunschweig in das Haus ihrer Mutter und einer verheirateten Schwester, während Schlegel teils dort, teils in Berlin war, und Schelling verzweifelnd, in tiefer Schwermut in Jena zurückblieb. Wir danken diesen äußeren Umständen ihre Briefe, die hinreißend beredten Zeugnisse einer Leidenschaft ohne Schranken und Zügel. Sie hatte kein anderes Mittel als dieses, dem Geliebten sich selbst, den schmerzlichen Trost ihres heißen Gefühls zu schenken. Und in der Not und Angst um ihn zwingt sie sich die Sprache zu einer unbeschreiblichen und einzigen Macht des Ausdrucks. Nie hat die Bewegliche, Enthusiastische solche Worte und Bilder, Sätze von so inniger Einfachheit gefunden, bei denen man unmittelbar fühlt, wie sie sich aus dem innersten Herzen ihres Lebens lösen und emporquellen. Man denkt an das Märchen von der Meerfrau, die durch eines Menschen Liebe eine unsterbliche Seele bekommen hat. Denn niemals war ihr Leben so von den tiefsten Gründen her lebendig, die sie uns nun erschließt,
wie sie »aus | Tod | X | Wonne | Leben und Frieden herauszubringen« versucht. | ||||||
Schmerz | Liebe |
Dazu arbeitet sie sich mit dem Ernst, den die Unpedantische allen großen Dingen entgegenbrachte, in Schellings Philosophie hinein, sie begleitet seine wissenschaftliche Tätigkeit, wenn auch nicht mit der Schulung des Gelehrten, so doch mit einem treffsicheren Instinkt für Wesen und Kern in Schellings religiös-philosophischer Persönlichkeit, und mit einem zarten, anmutig sich gebenden Bewußtsein ihres Dilettantismus. Sie schaut »recht wie durch ein Schlüsselloch in eine unermeßliche Landschaft« in Schellings Reich hinein und erfaßt davon so viel, wie zum Begreifen seiner Richtung und Bedeutung notwendig ist.
Aber wie konnte ihr das Schicksal aus den vier schmerzlich-süßen Prämissen »Leben und Frieden« als Fazit gewähren? Daß dieses, irdisch-menschlich betrachtet, so seltsame Verhältnis zu Schelling zur Ehe werden sollte, schien unmöglich. Sicherlich scheute Caroline den neuen Konflikt mit der Gesellschaft, den die Scheidung bedeutete. Aber das war vielleicht ebensowenig wie die noch bestehenden finanziellen Schwierigkeiten oder die Rücksicht auf Schlegel das eigentliche Hindernis. Hinter dem allen stand wohl der Instinkt der reifen Frau, daß eine so einzigartige Verbindung nicht rasch und gewaltsam in die für andere Menschen und Umstände bestimmte bürgerliche Form gefaßt werden dürfe, daß sie ungefesselt werden müsse, was sie aus eigenem Wesen zu sein vermochte. »Nimm unser wunderbares Bündniß, wie es ist, jammre nicht mehr über das, was es nicht seyn konnte, nicht die reine irdisch schöne beschränkte Liebe zweyer Wesen, die frey von allen Fesseln sich zum erstenmal begegnen um ihre Freiheit mit einander auszutauschen, ja nicht einmal ein muthiges Zerreißen aller vorher gegangner Bande, das sich die Liebe selbst in meiner Lage nie als Tugend hätte anrechnen können. Und doch, so zerstückt wie es den einfachen Wünschen dasteht, ist es alles in allem, als Freund, als Bruder, als Sohn und Geliebten schließe ich Dich an meine Brust« – und dann folgt das in seiner Kühnheit fast blasphemisch wirkende Gleichnis »es ist wie das Geheimniß der Gottheit, gleich der Jungfrau, die Mutter ist, und Tochter ihres Sohnes, und Braut ihres Schöpfers und Erlösers. So laß es uns denn endlich still und gläubig ansehen.«
Wieder geht sie mit staunenswerter innerer Sicherheit ihren Weg – den leidenschaftlich drängenden Schelling beschwichtigend, und durch die eindringliche Wärme und Innigkeit ihres Gefühls mit dem im Ungewissen schwebenden Schicksal ihrer Liebe versöhnend – so weit, daß der Stürmische seine Liebe in der gefaßten Resignation seines Weihnachtsgedichtes aussprechen konnte:
Als in der ernsten frühen Weihestunde
Aus freiem Trieb das Heil'ge ich erwählt,
Hat auch ein Gott zu ewig schönem Bunde
Auf ewig Dich mit meinem Geist vermählt.
Wenn auch von unsrer Lieb' die süße Kunde
Kein weiches Lied der künft'gen Welt erzählt,
Doch wird aus des Gedichtes dunklen Chiffern
Sie das Geheimniß unsrer Lieb' entziffern.
Was sorgsam wir dem Aug' der Welt verborgen,
Das Glück, was nur die Unsichtbaren sehn,
Wird an des künft'gen Tages schönem Morgen
Aus dem Geheimniß glorreich auferstehn.
Begierig seh' ich späte Zeiten horchen
Der Melodie, die nimmer kann vergehn,
Denn mit des Weltalls ew'gen Harmonieen
Wird dieses Lied zur fernen Nachwelt ziehen.
Nach außen hin entsteht trotz allem ein peinliches Bild: wenn die Briefe an den Gatten mit denen an den Geliebten wechseln und in ihrem Inhalt mit der Fortdauer der Ehe rechnen. Allerdings konnte von einer groben persönlichen Untreue nicht die Rede sein, da Schlegel um die Beziehung zu Schelling wußte. Ihre Ehe war auf Freiheit für beide gestellt, und Schlegel machte auch seinerseits von dieser Freiheit in Berlin Gebrauch. Es ist kein Zweifel, daß sie gehalten hat, was sie Schlegel in der für sie so charakteristischen Form versprach: »Was ich Dir zu sagen habe, ist jetzt blos das – ich kann niemals Schelling als Freund verläugnen, aber auch in keinem Falle Eine Gränze überschreiten, über die wir einverstanden sind. Dies ist das erste und einzige Gelübd meines Lebens, und ich werde es halten, denn ich habe ihn angenommen in meiner Seele als den Bruder meines Kindes. Dadurch daß ein verrätherisches Geheimniß zwischen uns wegfält, gewinnt alles eine andre Gestalt, zuerst für uns selbst, und diese Sicherheit geht in die Umgebungen über. Ich glaube daher nach Jena gehn zu können.« Peinlich aber bleibt in der Ehe mit Schlegel die Unwahrhaftigkeit des Namens für ein Verhältnis, das nicht mehr bestand und nur aus Not und Opportunismus aufrechterhalten wurde. Und dieses Peinliche wird – trotz des nicht zu bezweifelnden Innehaltens der Grenze – noch peinlicher, als nun Caroline wirklich nach Jena zurückkehrt und, während August Wilhelm in Berlin bleibt, die Freundschaft mit Schelling in täglichem Zusammensein weiter pflegt. Da nun jetzt auch der durch Augustes Tod zunächst in den Hintergrund gedrängte Klatsch sein Haupt erhebt und die gehässigsten Auseinandersetzungen mit und über Friedrich und Dorothea als klägliche Folge der mißglückten Hausgemeinschaft beginnen, sehen wir Caroline ihre Liebe durch einen trüben, mißfarbigen Nebel von Menschlichkeiten hindurchsteuern. Hatte Friedrich recht, wenn er sie zu den »sehr edlen außerordentlichen Naturen von so hoher Korruptibilität« rechnet, »daß sie sich in einem Moment vom guten zum bösen Prinzip wenden können«? Sicher war nicht das die Formel für ihre eigentümlich hinhaltende, moralisch genommen unmögliche Stellung zwischen den beiden Männern. Denn ein »Prinzip«, weder ein gutes noch ein böses, hatte sie niemals. Es war alles wie ein dämonischer Naturtrieb – wenn man so will, Egoismus –, der sie in Liebe und Haß, im Schenken und Versagen führte. Sie war nicht sittlicher in ihrer Treue wie in ihrer Untreue, nicht moralischer in der Liebe wie in der Kälte. Sie folgte mit aller hellen Energie ihres Willens und aller Schärfe ihres Verstandes einer inneren Macht, die nichts war als der innerste Lebensdrang ihres Wesens. »Ich sage nicht heut – ich will das thun – und morgen – ich will ein andres, und jedesmal so zuversichtlich, als wenn es ewig gelten würde – nein, es mahlt sich wohl sehr deutlich in meinen Äußerungen, daß ich nicht weiß, was ich thun soll – bis der Moment komt.«
Und dann: wenn sie es einmal als ihr »innerstes Wesen« aussprach, daß »ein Lächeln grenzen kann an die unsäglichste Noth«, so bezeichnet sie damit ihre merkwürdige Fähigkeit, jederzeit tief beglückt in ihr Gefühl einzukehren, aller Undeutlichkeit der Zukunft, aller Beschränkung und Trübe zum Trotz. Es ist vor allem diese Kraft zur befreiten, äußerer Schicksalsfügung gleichsam entrückten Seligkeit, die sie Schelling immer wieder mitteilt. »Warum bist Du nur so traurig? Ich möchte Dir ganz kindisch sagen: ich bin es ja nicht.« – – »Du wirst mich fragen, ob mir denn der Ausgang gleichgültig ist? Ja, muß ich antworten, und wenn die süße Liebe mich auch zurückhalten will. Ich bin meines unzerstörbaren Glücks, wie meines unheilbaren Unglücks gewiß. Das ist mein Vorrecht.« Es gibt eine Genialität des Erlebens, und die war ihr eigen. Ob Schmerz oder Sehnsucht, Tod oder Liebe sie trug – sie wiegte sich auf den purpurnen Wogen, fühlte ihr Schwellen und Sinken im innersten Herzen und fragte nicht nach Glück oder Unglück. Wie unheimlich fast wird diese dämonische Gabe, den menschlichen Schmerz zu verwandeln, in den Worten über das Mutterleid um Auguste: »Dieses alles muß mir wieder zur Freude werden, glaubst Du es nicht? – Es lößt sich meine Seele mehr und mehr in jenes Wehe auf, und doch bin ich getrost und stark. Dies erhalte Dir gegenwärtig, wenn ich auch nicht verhindern kann, an Deinem Busen zu weinen. Es quillt ein neues Leben aus diesen Augenblicken, sie sind selbst ein hohes Lebenszeichen.«
Im Jahre 1803 ließen Schlegel und Caroline – in den diskretesten, würdigsten Formen, mit Goethes und des Herzogs Beistand – sich scheiden, und nun folgt sie, vierzigjährig, Schelling als seine Gattin nach Würzburg und München zu einer noch sechs Jahre bis zu ihrem frühen Tode währenden, ungetrübt glücklichen Ehe. Sieht man in den Zeugnissen dieser Jahre ihre eigene Ruhe und Weichheit – die uneingeschränkt herzliche Zuneigung von Schellings Eltern, dem würdigen württembergischen Prälatenpaar – das übereinstimmend freundliche Urteil ihres neuen Bekanntenkreises, sieht man Schellings tiefen feierlichen Schmerz bei ihrem Tode, so denkt man an die Worte, die sie einst Schelling schrieb:
»Spotte nur nicht, Du Lieber, ich war doch zur Treue gebohren, ich wäre treu gewesen mein Lebelang, wenn es die Götter gewollt hätten, und ungeachtet der Ahndung von Ungebundenheit, die immer in mir war, hat es mir die schmerzlichste Mühe gekostet, untreu zu werden, wenn man das so nennen will, denn innerlich bin ich es niemals gewesen. Dieses Bewußtsein eben von innerlicher Treue hat mich oft böse gemacht, hat mir erlaubt, mir wagend zu erlauben; ich kannte das ewige Gleichgewicht in meinem Herzen. Konnte mich etwas niederes vor dem Untergang bewahren in meinem gefahrvollen Leben als dieses Höchste? Und wenn ich mir Verzweiflung bereitet hätte in der Verzweiflung der von mir Geliebten – ja, ich würde im Schmerz darüber verzweifeln, im Gewissen nicht, niemals könnte ich wie Jacobi ausrufen: verlasse Dich nicht auf Dein Herz. Ich müßte mich verlassen auf mein Herz über Noth und Tod hinaus, und hätte es mich in Noth und Tod geleitet. Das ist mein unmittelbares Wissen, daß diese Sicherheit sicher ist, und könnte sie in mir zerbrochen werden, so müßte sogleich die Vernichtung eintreten, für mich nehmlich. Denn eine Lehre ist das nicht und kann nicht mitgetheilt werden, eine unsichtbare Kirche wird es aber doch wohl seyn. Du siehst, ich nehme es mit der Treue im Großen …«
»Über Not und Tod hinaus«, aber auch über anderer Schicksale, über gesellschaftliche und rein menschliche Bindungen hinweg war sie ihrem Herzen gefolgt, alles Unvollkommene, Provisorische in ihrem Leben mit der Härte der Natur selbst fortschiebend, die leben muß und ihr Leben erzwingt. So war sie, wo ihr Weg sie führte, verderblich und segensvoll wie die Elemente, aus ungebundenem Herzen schenkend oder versagend, wie sie konnte, mit den gewöhnlichen Maßen von Pflicht, Verantwortung, Dankbarkeit, Treue nicht zu fassen.
Sie, die Bewußte, bei aller Dämonie Verstandeshelle hat auch dieses sich reflektierend geklärt. Die Philosophie ihrer Natur faßt sie etwa in die Worte:
»Die Worte von Jacobi ›ich bin nicht und ich mag nicht seyn, wenn kein Gott ist‹ und ›das Gute – was ist es? – ich habe keine Antwort, wenn kein Gott ist‹, das sind die wo ich nicht mit ihm fühlen kann, und die auch mein bischen Kopf für gefährlich erkennt. Meinem innersten Glauben ist nichts mehr zuwider, als daß das Gute soll auf einer Bedingung beruhn – in so fern ist das Gute mein Gott, von dem ich eine unmittelbare Erkenntniß habe. Nun frag ich für mich nicht weiter nach einer Persönlichkeit – ich stoße sie auch nicht von mir und lasse sie mir gern erscheinen, besonders wenn ich glücklich bin. Nie ist es mir in der Noth eingefallen meine Gedanken an sie zu richten. – Die Seite, daß der Mensch seine Moralität von einer Überzeugung abhängig macht, die er sich nicht geben kann, die der geweihete selbst nur in geweiheten Stunden hat – die kommt mir ewig verderblich vor. Ich verdamme Jacobi nicht um sie, aber das glaub ich, ohne seine unmittelbare Liebe zum Guten führt sie zur Unwürdigkeit und Knechtschaft. Und die Stütze, die Jacobi im Woldemar verwirft, ›traue dem Herzen nicht‹ – nur das Herz kann den Menschen aufrecht erhalten unter solcher Gesinnung.«
Ihre Religion, in der es keinen Gott gab, zu dem man in der Not flehen könnte, war nichts anderes als Urgrund und zugleich umspannendes Firmament ihrer Liebeskraft. »Die Allgegenwart, das ist die Gottheit – und meinst Du nicht, daß wir einmal allgegenwärtig werden müssen, alle, einer in dem andern, ohne deswegen Eins zu seyn? Denn Eins dürfen wir nicht werden, weißt Du wohl, dann würde das Streben, sich zu Eins zu machen ja aufhören.«
Es wäre falsch, sie als grande amoureuse im romanischen Kurtisanensinn zu nehmen. Ihre Liebe reichte aus kreatürlichem Grunde in weit höhere, geistigere Sphären hinein und wurde lebenbestimmend, vollendet, schicksalhaft erst in diesen Regionen. Dafür zeugt, sie selbst und ihren verschlungenen Pfad zugleich in höchstem Sinne rechtfertigend, Schellings männliches Gelöbnis bei ihrem Tode:
»Sie war ein eigenes, einziges Wesen, man mußte sie ganz oder gar nicht lieben. Diese Gewalt, das Herz im Mittelpunkte zu treffen, behielt sie bis ans Ende. Wir waren durch die heiligsten Bande vereinigt, im höchsten Schmerz und im tiefsten Unglück einander treu geblieben – alle Wunden bluten neu, seitdem sie von meiner Seite gerissen ist. Wäre sie mir nicht gewesen, was sie war, ich müßte als Mensch sie beweinen, trauern, daß dies Meisterstück der Geister nicht mehr ist, dieses seltene Weib von männlicher Seelengröße, von dem schärfsten Geist, mit der Weichheit des weiblichsten, zartesten, liebevollsten Herzens vereinigt. O etwas der Art kommt nie wieder!« – –
»Sie ist nun frei und ich bin es mit ihr: das letzte Band ist entzwei geschnitten, das mich an diese Welt hielt; all mein Liebes deckt das Grab, die letzte Wunde öffnet und schließt, je nachdem wir's denken, alle übrigen. Ich gelobe Ihnen und allen Freunden, von nun an ganz und allein für das Höchste zu leben und zu wirken, so lang' ich vermag. Einen andern Werth kann dieses Leben nicht mehr haben; es in Unwerth zuzubringen, da ich es nicht willkürlich enden darf, wäre Schmach; die einzige Art es zu ertragen ist, es selbst als ein ewiges zu betrachten. Die Vollendung unseres angefangenen Werks kann der einzige Grund der Fortdauer sein, nachdem uns in der Welt Alles verschwunden – Vaterland, Liebe, Freiheit. Zählen Sie auf mich, rechnen Sie auf mich – ich werde alle Kräfte aufbieten; erst dann, wenn es nicht gelingt, dann beklagt mich, Freunde; dann erst ist mir nichts mehr geblieben – dann bin auch ich wirklich todt, sollte ich auch noch athmen und vegetiren …«