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Der Heimgang der Verhüllten.

Erschien Bläsi seinem Schwager, mit dem er heimwärts fuhr, als ein Wunder, so erschien ihm die ganze Welt und er selber sich noch mehr als ein solches. War's denn möglich, war's nicht ein Traum, daß Erdmute wieder da war? Er schrak zusammen, als er diesen Namen in sich hineindachte, als hätte er sich verraten, und leise vor sich hin sagte er: »Regele.«

Die beiden Frauen gingen barfuß den Weg neben der Straße und trugen ihre Schuhe auf den Rückenbündel geknüpft; Bläsi deutete schon von fern mit der Peitsche nach ihnen und fragte seinen Schwager:

»Was meinst, daß mein Vater dazu sagen wird, daß ich sie gedingt habe?«

»Der wird sich freuen, daß du wieder so hellauf bist und dich auch wieder von selbst um etwas annimmst und Mut hast.«

Bläsi knallte mit der Peitsche, als er an den beiden Frauen vorüberfuhr, die still grüßten, er knallte fort und fort hin und her, das war ja das einzige Freudenzeichen, das er, ihnen allein verständlich, kundgeben konnte, und Erdmute verstand die innere Musik, die aus diesem unmelodischen Knallen heraustönte. Sie ging den stundenlangen Weg still mit Traudle, und nur manchmal klagte sie über die Beschwerlichkeit des Gehens:

»Ich bin die halbe Welt ausgewandert, und jetzt ist mir's, als ob mir bei jedem Schritt die Kniee brechen.«

Sie hatte heute schon zu viel erlebt, um noch bei rüstiger Kraft zu sein. Traudle wollte auf Bläsi schelten, daß er sie nicht mit auf den Wagen genommen, aber sie mußte auf die Einreden ihrer Begleiterin bald schweigen.

Als man am Wegweiser beim Apfelbaum anlangte, rannte Erdmute ihrer Begleiterin vorauf, grub nach Anweisung Bläsis an dem Baume und fand einen silbernen Ring von jener Art, wie sie ein Bursche seinem Mädchen als Verlobungsring gibt. Sie steckte ihn an den Finger und küßte ihn, und Traudle war die erste, die ihr glückwünschte: sie hatte bis jetzt doch noch an Bläsi gezweifelt, nun war auch sie bekehrt. Erdmute erzählte, wie sie hier einst mit Bläsi gesessen, und lichte Freude durchströmte sie; als sie wieder aufstand, war sie voll frischer Kraft, daß sie fliegen zu können glaubte. Noch einmal mußte sie von der Wehmut sich bewältigen lassen; sie schaute hinüber nach jener Buchenumhegung, daraus die schwarzen Kreuze schauen, sie durfte jetzt nicht dort sich niederwerfen, sie war eine andre, und sie war eine Bettlerin, die barfuß und demütig in ihre Heimat einzog. Sie hatte sich vor dem Dorfe die Schuhe anziehen wollen, aber Traudle hatte sie bedeutet, daß sich das für eine Taglöhnerin nicht schicke und ihr übel ausgedeutet würde. Sie schaute kaum auf, als sie durch die Gassen ging, und wendete gewaltsam den Blick ab, als sie zum Elternhause kam. Der Klaus saß wieder auf der Steinbank und strickte, er stierte sie an, der Knäuel unter dem Arme entfiel ihm, er erkannte sie nicht, und doch wäre das Gegenteil Erdmute jetzt lieb gewesen, denn sie zitterte im Herzen vor all der Verstellung, die sie üben sollte; sie sollte den Menschen nahen, die ihr allein auf Erden geblieben waren, und doch keine Hand nach ihnen ausstrecken, kein Liebeswort ihnen sagen.

Die Schultheißin hieß Traudle und deren Tochter willkommen und gab ihnen auf der Hausflur zu essen; aus der Stube hörte man die laute Stimme Gottfrieds, der den Streit zweier Männer zu schlichten suchte.

Bläsi ging an den beiden Frauen, die aus dem Schoße aßen, vorüber und sagte: »Gsegn' es Gott. Traudle, ich glaub', dein' Tochter ist ein bißle heikel, red ihr zu, daß sie essen soll, ihr krieget nichts mehr bis auf den Abend, und ihr könnet gleich mit mir hinausfahren und helfen Heu einthun.«

Erdmute aß mit gutem Appetit, und die Schultheißin lobte sie nachher besonders, weil sie so schnell Bescheid im Hause wußte, das Geschirr spülte und an seinen Platz stellte, ehe man sich's versah.

Bläsi stand aufrecht im Wagen, und Traudle und Erdmute fuhren mit ihm hinaus auf die Wiese, er schalt Erdmute bei der Arbeit ob ihrer Langsamkeit und sagte: »Du sollst Lahmele heißen, nicht Regele.« Er fand sich besser in seine Rolle als Erdmute, er hatte es freilich auch leichter.

Man brachte das Heu rösch und unverregnet unter Dach, und als plötzlich zwei Mäher krank wurden, hatte Erdmute noch einen besonderen Triumph: sie mähte mit Bläsi und dem Knechte in gleicher Linie und blieb nie zurück. Gottfried, der, wie der Schwager vorausgesagt hatte, sich an der entschlossenen Thätigkeit Bläsis freute, ließ auch einen Teil dieses Gefühls auf die neuen Taglöhnerinnen übergehen und ermahnte Bläsi, nicht zu strenge gegen sie zu sein. Er lachte, da ihm die Mutter sagte, die Tochter Traudles sei Bläsi nicht gleichgültig, eben weil er so viel mit ihr zanke: er kannte seinen stolzen Sohn viel besser. Die ganze Woche und selbst am Sonntag kam man nicht zu Ruhe und Besinnung, man war immer in Bedrängnis vor dem drohenden Wetter, und nur beim Essen im Felde wechselte man einige Worte. Da sagte der Knecht einmal:

»Das Vieh geht doch in allem voraus, das kriegt das erste vom Feld, und nachher kommen erst die Menschen mit ihrem Futter dran.«

»Das gehört sich auch,« sagte Erdmute, »wenn man zuerst für andre gesorgt hat, dann kommt man erst an sich selber, und die Kühe und Ochsen fressen das Heu für uns, wir kriegen's nachher als Milch und Butter und Fleisch.«

»Und die Gäul?« sagte Bläsi.

»Die sind unsre Arme, die müssen für uns Pflug und Wagen ziehen.«

»Dein Maul braucht keinen Wetzstein,« lachte der Knecht, und Bläsi nickte still zu Erdmute.

Am zweiten Sonntag sprach Gottfried das erste Wort mit Erdmute:

»Mädle, ich hab' heut dein' Stimm' in der Kirche aus allen herausgehört, du hast was Besonderes, ich weiß nicht, was.« Erdmute sah ihn groß an, hatte sie die Stimme ihrer Mutter, und hatte diese den Bruder so angesprochen? Wie gern hätte sie alle Vermummung abgelegt, aber sie durfte nicht, und immer mußte sie denken, daß dieser Mann Trauer um sie wie um eine Tote angelegt; sie hatte schon einmal durch die Erregung seiner Heftigkeit ihn an den Rand des Grabes gebracht, sie durfte nichts mehr wagen.

Am Abend in der Dämmerung ging Erdmute mit Traudle durch das Dorf, diese kannte jedermann und hatte überall eine Ansprache, und Erdmute stand dabei so verlassen, und es schnitt ihr durch die Seele, wenn sie hören mußte, daß sie die Tochter Traudles sei. Verleugnete sie ihre Mutter? Sie kam sich beständig wie eine Diebin vor und gab nur wenig Antwort, und die Spielplätze ihrer Kindheit betrachtete sie mit verstohlenem Blick. Bläsi hatte ihr doch Schweres auferlegt, aber sie vertraute ihm und wollte ausharren. An ihrem elterlichen Hause stand sie lange bei der Schwester Bläsis und konnte sich kaum enthalten, sie nicht als Base zu begrüßen. War denn diese ganze Mummerei nicht unnötig und grausam? Aber Bläsi sollte sehen, daß sie ihm unbedingt gehorchte. Die jungen Burschen und Mädchen zogen singend durch das Dorf, die Schwester Bläsis verkündete mit Jubel, daß dieser seit Jahren zum erstenmal wieder unter ihnen war. Erdmute seufzte still, und immer wieder kam die unlösliche Frage, warum gerade ihr allein ein so schweres Los beschieden war. Der Dorfschütz klingelte und verkündete, daß am morgenden Tage die Ernte beginne und ein jeder vor allem Wege schneiden müsse, damit der Nachbar seine Frucht ohne Schaden des andern heimbringen könne.

Das Dorf schlief bald, denn mit der Morgensonne mußte alles wach sein.

»Man sollte eigentlich gar keinen Menschen lieb haben,« sagte Erdmute beim Schlafengehen zu Traudle, »wenn man so sieht, wie sie weiter leben, wenn man fort ist, und gar nicht mehr an einen denken, als wär' man nicht da gewesen.«

»Das kannst von deinem Bläsi nicht sagen.«

»Nein, gottlob nicht, aber sprich nicht so laut. Gut Nacht.«

Erdmute war die erste im Hause und schlich unhörbar wie ein Geist umher, alles ordnend und zurechtlegend, und hier zum erstenmal, seit sie in das Haus gekommen war, überraschte sie Bläsi beim Brunnen, als sie Wasser holte. Sie klagte ihm leise, wie schwer ihr die Verleugnung ihres Namens und Lebens werde; aber Bläsi getröstete sie, daß das der einzige Weg sei, seinen Vater zu gewinnen, der sie auf ewig aus seinem Herzen verstoßen; wenn auch alles sich wieder ausgleichen ließe, so werde er doch nur durch das äußerste Mittel ihr verzeihen, daß sie ihr Muttergut verschleudert habe. Noch heute könne er in mächtigen Zorn geraten, wenn er auf einen Acker komme, der Erdmute gehören sollte und der nun in fremdem Besitze sei. Erdmute wagte es kaum, leise ein Wort über diese zähe Habsucht zu äußern, da faßte sie Bläsi mit starker Hand und sagte, daß er nie an den verschwenderischen Leichtsinn ihres Vaters gedenken wolle, daß sie dafür aber auch seinem Vater nichts Böses nachtragen und ihn ehren und hochhalten müsse. Erdmute versprach das gern und bat nur, daß sie sich der Mutter oder der Schwester zu erkennen geben dürfe, es drücke ihr das Herz ab, daß sie mit niemand von sich selber reden könne. Auch hiergegen bestand Bläsi darauf, daß es ihr genügen solle, wenn er allein wisse, wer sie sei, sie brauche sonst niemand; und hingegeben in treuer Liebe, sagte Erdmute. daß sie gern Buße thue, weil sie ihn verlassen hatte, daß sie ihm allein angehöre und ihn fortan um nichts mehr bitten wolle, bis er selber finde, daß es Zeit sei.

In stiller Umarmung hielten sich die beiden Liebenden, bis daß der Morgenstern am Himmel erblich.


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