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Erdmute.

Gottfried von Hollmaringen.

»Der Cyprian hat heute das Sonnenwirtshaus in Leutershofen gekauft,« berichtete der Oberknecht des Schultheißen Gottfried von Hollmaringen, als dieser am Abend mit Kindern und Gesinde bei Tische saß.

»Woher weißt's?« fragte der Schultheiß.

»Bin beim Weinkauf gewesen. Geht lustig her. Sitzen gewiß noch bei einander.«

»Wie teuer hat er gekauft?«

»Haus und Aecker für siebentausend Gulden und zweihundert Gulden Schlüsselgeld für die Frau. Soll billig sein, sagen alle Leut'.«

Weiter wurde bei Tisch nicht gesprochen. Erst als der Sohn, die beiden Töchter und das Gesinde die Stube verlassen hatten, sagte die Frau:

»Laß dich's nicht zu arg verdrießen, daß dein Schwager dir gar nichts von seinem Vorhaben gesagt hat –«

»Ist schon lang mein Schwager nicht mehr. Das Kind ist tot: die Gevatterschaft hat ein End'.«

»Deiner Schwester Kind lebt ja noch.«

»Freilich, freilich, das paßt jetzt nicht, aber ich will ihm doch zeigen, wer ich bin; bin ich sein Schwager nicht mehr, so bin ich doch noch der Gottfried von Hollmaringen, und er soll mir nicht mit Unrecht vorgeworfen haben, mir reißt man nichts aus der Hand, ich halt' fest wie eine Beißzang. Ich hab' jetzt eine Staatsbeißzang, und die ist das Gesetz; das Muttergut von meiner Schwester Kind darf er nicht mit ins Ausland nehmen, morgen am Tag schieb' ich ihm einen Riegel vor.«

Während Gottfried noch sprach, rollte ein Wagen mit lärmenden Insassen die Straße herauf, Gottfried steckte den Kopf zum kleinen Schiebfensterchen hinaus und erkannte trotz der Nacht an den Pferden und an den lärmenden Stimmen den Cyprian mit seinen Schmarotzern, die weiter oben im Dorf vor einem stattlichen Haus anhielten, unter Geschrei und Lachen nach Laternen riefen, und als diese und funkelnde Lichter kamen, erneute sich der Lärm, der doppelt laut durch das stille schlafende Dorf drang.

»Du hast einen Rausch wie ein Haus.«

»Nein, jetzt wie zwei Häuser,« hörte man rufen, und ein Mann wurde in den erleuchteten Hausflur getragen.

»Du solltest noch zu ihm hinausgehen, er wird ja zum Kinderspott, wie er's treibt,« sagte die Frau, als Gottfried tief aufatmend sich in die Stube zurückwendete.

»Hat bis morgen Zeit,« erwiderte Gottfried, »ihr Weiber meinet immer, der morgige Tag lauft davon.«

»Wenn du dein Schwesterkind ins Haus nehmen willst, mir ist's rechtschaffen recht; das Kind verkommt so in dem Durcheinander und bei der herben Stiefmutter.«

»In gutem läßt er mir das Muttergut nicht und läßt er mir auch das Kind nicht. Mein' Sach' ist jetzt nur, dafür zu sorgen, daß meiner Schwester Kind nicht in Armut kommt; wie es ihm sonst geht, dafür muß Gott sorgen, und die Verstorbene wird über es wachen –«

Der feste Ton des gelassenen Mannes hatte bei diesen letzten Worten etwas Bebendes, er fuhr sich mit der Hand über das ganze länglich schmale Antlitz, stand auf und ging mit schweren Schritten nach der dunklen Kammer, sich zu Bett zu legen.

Cyprian hatte vor Jahren die einzige Schwester Gottfrieds geheiratet, von der ein einziges Kind übrig geblieben war, das den Namen der Verstorbenen, Erdmute, trug. Seit der Wiederverheiratung Cyprians lebten die Schwäger in einem lauen Verhältnis, das dadurch noch fremder wurde, weil Cyprian sich einem gewissen unruhigen, Zerstreuung suchenden Leben hingab, und mit Menschen umging, die sich nicht zur Gesellschaft eines reichen Bauern schickten; ja, er kegelte oft ganze Sonntagnachmittage mit halbwüchsigen Burschen, denen Geld abzugewinnen noch mehr Schande war, als es an sie zu verlieren. Wenn Gottfried seinem Schwager in dem Marktflecken Leutershofen auf dem Kornmarkt oder im Wirtshaus begegnete, grüßten sie einander und wechselten auch manchmal eine Rede, aber offenbar mehr der Leute wegen: sie saßen dann an gesonderten Tischen, jeder bei seiner Kameradschaft, und daheim im Dorf wichen sie einander wie auf Verabredung aus. Man sagte, die Frau Cyprians sei an dieser Mißhelligkeit schuld, da sie es nicht dulden wollte, daß Cyprian in der gewohnten Abhängigkeit von Gottfried keinen Pferdekauf, überhaupt nichts unternahm, ohne die Entscheidung des Schwagers einzuholen. Cyprian haßte aber seinen Schwager von selbst, und der Haß wächst auf dem verschiedenartigsten Grund und Boden. Einst war Cyprian stolz darauf gewesen, mit Gottfried verschwägert zu sein, jetzt war er voll Aerger, daß immer nur von Gottfried die Rede war, daß jeder im Dorf und auswärts nur so viel Geltung hatte, als Gottfried ihm zukommen ließ. Der Hauptgrund des Hasses war aber, daß Gottfried immer reicher wurde, während Cyprian trotz seiner Arbeitsamkeit, so oft er einen außergewöhnlichen Vorteil zu erringen hoffte, fast immer Schaden erlitt; er wollte in Kauf und Verkauf seinen eigenen Weg und nicht Gottfried nachgehen wie die andern, meist aber schlug das bös aus. Mit der Wohlhabenheit Gottfrieds wuchs auch Cyprians Haß gegen denselben, und während man Gottfried äußerst genau, ja karg nennen konnte, schalt ihn Cyprian geizig, habsüchtig und blutsaugerisch, und es gab gute Leute genug, die diese Aeußerungen Cyprians dem Gescholtenen mit der üblichen Zuthat hinterbrachten. Das stille abgelegene Dorf, in dem noch nach der reichen Bauern Art ein jeder abgeschlossen für sich lebte, schien aber auch keine rechte Heimat mehr für Cyprian; er saß oft ohne erkennbaren Grund tagelang in der diesseitigen Amtsstadt oder in dem Marktflecken des Grenzlandes, und wenn er in die Wirtsstuben trat, wußte man bereits, was er zu trinken begehrte, und brachte es ihm ungeheißen; besonders ein roter Unterländer, den der Sonnenwirt »Weiberzorn« getauft hatte, schien eigens für Cyprian gewachsen. Man erzählte, daß er einst den Erlös von einem ganzen Wagen voll Bretter in der Sonne vertrunken und verspielt habe, und als er abends heimging, rief er: »Machet das Hofthor auf, es will ein Wagen voll Bretter 'naus.« Ein andermal ließ er in gleicher Weise den Erlös von einem Kalbe draufgehen, und bei jedem frischen Schoppen, der kam, blöckte er wie ein Kalb: »Mäh, mäh.« Solche Geschichten verbreiteten wohl den Ruhm seines lustigen Witzes; Cyprian war aber noch klug genug, um auch zuerkennen, daß Ehre und Ansehen sich daran verzehren. Noch war es von geringer Bedeutung, was er eingebüßt hatte, denn ein wohlbestelltes Gut vermag manches auszutragen. Cyprian legte sich oft wochenlang jede Entbehrung auf, arbeitete unablässig und sprach mit niemand, aber eben diese gewaltsame Zurückhaltung verleitete ihn bei der ersten Veranlassung wieder zu einem Rückfall. Endlich hatte er es herausgebracht, daß nur die Einsamkeit und Abgeschiedenheit des Ortes ihn hinausziehe; hätte er kameradschaftliche Ansprache in der Nähe, wäre er in einem Orte, wo er selber als der Erste gälte und nicht alles Gottfriedische Unterthanen, und hätte er gar ein eigenes Wirtshaus, so müßte es von selbst kommen, daß er wieder der Alte war, ja, noch höher stieg. Darum hatte er die Sonne gekauft und sich beim Weinkauf der unbändigen Trinklust hingegeben, denn er hatte gesagt: »Das soll mein letzter Rausch sein. Es thut doch weh, auf ewig Abschied davon zu nehmen, aber es muß sein; ein Wirt, der allezeit halb duselig 'rumlauft, der ist der Garnichts; einen Schluck für den Durst darf man trinken, aber mehr nicht. Komm her, letzter Ueberdurst, allerletzter und allerallerletzter.«

Am frühen Morgen schaute Gottfried zum Fenster oder vielmehr zum Eisengitter hinaus, denn das Haus Gottfrieds war eines der ältesten im Dorfe, und alle seine Fenster waren mit ausgetieften starken Eisengittern versehen. Man hatte ihm oft geraten, diesen Ueberrest der alten unsichern Zeit doch abzuthun, er ließ sich aber nicht dazu bewegen, er fand in dieser Vergitterung nicht nur eine Zierde des Hauses, sie war ihm selber auch anständig, und man kann fast sagen, sie hatte sich seinem Charakter aufgeprägt, sein Ausblick in die Welt hatte etwas Feindseliges, er war allezeit auf räuberische Anfälle gefaßt und dagegen geschützt, und in dieser Sicherung gegen die feindliche Welt war sein Blick auch ohne das faßbare Gitter stets von einer geistigen Schutzwehr durchschnitten. Es konnte sich nie jemand rühmen, daß er ihn ganz in der Hand gehabt habe.

Jetzt sah Gottfried den Cyprian schon hemdärmelig bei der Arbeit, er richtete sein Bernerwägelchen her, spielend hob er es mit der Winde in die Höhe, hängte bald dieses, bald jenes Rad aus, salbte die Achsen und brachte mit einem leichten Griffe das Rad in Schwung, daß es noch lange sich um und um drehte. Man sah an seinem ganzen rüstigen Gebaren, daß er entschlossen schien, das Leben frisch und von vorn anzufangen. Cyprian war einer der schönsten Männer der Gegend, groß, stark gebaut, vollen runden Antlitzes mit dunklen Augen voll stillen Feuers, glatter weißer Stirne und braunen, von selbst geringelten Haaren. Wenn er lächelte und die weißen Zähne sichtbar wurden, lag eine feine Anmut in seinem Ausdrucke, wobei er die »Hundsaugen«, wie sie der alte Gottfried genannt hatte, halb verdeckte, was ihm etwas Schelmisches und doch Gutmütiges gab.

»Bläsi« (Blasius), rief jetzt der zum Fenster hinausschauende Gottfried seinem kaum der Schule entwachsenen Sohn zu, der im Hofe die Ochsen einjochte, »Bläsi, geh hinaus zum Vetter Cyprian und sag ihm, ich laß ihn fragen, ob er nicht zu mir kommen will.«

Bläsi band den Riemen fest, ließ das andre Halbjoch leer und ging das Dorf hinaus. Er war ein besonders schlanker Bursch, wie er dahinschritt, und in den schwarzen ledernen Hosen und den hohen Stiefeln sah er zwar etwas steif, aber knappenhaft aus. Als er Cyprian die Botschaft ausrichtete, sagte dieser lachend und den Kopf zurückwerfend:

»Sag deinem Vater, er hat grad so weit zu mir, wie ich zu ihm.«

Bläsi ballte die Faust und preßte die runden Lippen zusammen, als er das Dorf herabschritt. Er kündigte dem Vater die Antwort und sagte, indem er den zweiten Ochsen einjochte: »Zu dem laß ich mich nicht mehr Boten schicken.«

Gottfried befahl nun, daß auch ihm das Bernerwägelein hergerichtet werde; er hatte die Angelegenheit mit Cyprian gütlich beilegen wollen, jetzt blieb es beim Rechtswege.

Noch wirbelte der Staub auf der Straße vom raschen Bernerwägelein Cyprians, als Gottfried hinter ihm drein fuhr. Ein jeder hatte leeren Platz neben sich, aber unsichtbar saß neben jedem der zum Feind gewordene Schwager, denn einer hegte Zornesgedanken gegen den andern. Gottfried schämte sich, den Zerfall durch die Dörfer kundzugeben, durch die man fuhr; er ließ Cyprian einen Vorsprung. Erst auf der Treppe des Amtsgerichtes begegneten sie einander, Cyprian kam herab, während Gottfried hinaufstieg; sie gingen stumm aneinander vorüber, aber kaum war Gottfried einige Stufen gegangen, als er sich umkehrte und in sanftem Tone sagte:

»Cyprian, laß gut mit dir reden.«

»Ich hab' nie was Böses gezeigt.«

»Komm ins Wirtshaus, da wollen wir's ausmachen.«

»Was hast denn?«

»Gib mir das Kind. Laß mir die Erdmute.«

»Und weiter willst nichts?«

»Nichts für mich.«

»Für wen denn?«

»Für das Kind. Thu's denen unterm Boden nicht an, daß ich dich vor Gericht zwingen muß, das Muttergut herauszugeben.«

»So? Du kannst mich zwingen?«

»Ich will ja nicht.«

»Will du nur.«

»Thu's in gutem, es ist ein' Schand' vor Gott und den Menschen. Du wanderst aus, das Kind ist bei uns heimatberechtigt –«

»Du hast auch nicht alle Gesetze im Kopf; das Kind ist des Vaters.«

»Kann sein, aber das Muttergut muß sichergestellt werden bei uns; thu's freiwillig, und ich laß da oben die Thüre zu.«

»Mach du sie nur auf.«

»Cyprian,« sagte Gottfried mit bewegter Stimme, »es ist das letzte Wort, das ich mit dir red', überleg's zweimal.«

»Du kannst mir dreimal zum Teufel gehen. Was mein ist, hältst du nicht hinter deinem Eisenkrems,« höhnte Cyprian.

»Und du stirbst noch einmal (als Gefangener) hinter einem andern Eisenkrems,« knirschte Gottfried voll Zorn.

Laut lachend ging Cyprian davon. Er schaute nicht mehr um, und Gottfried öffnete die Thüre der Gerichtsstube.

Der Gottfried von Hollmaringen war der Mann, der das, was er einmal wollte, unablässig ausführte. Er brachte es dahin, daß die Auswanderung Cyprians hinterhalten, sowie die beabsichtigte freiwillige Versteigerung von Cyprians Haus und Hof wieder rückgängig wurde. Ueber dieses letztere war Cyprian besonders ingrimmig. Er hatte die Felder samt dem stehenden Erträgnis verkaufen wollen, was allerdings zum besseren Erlöse von nicht geringer Bedeutung gewesen wäre, jetzt mußte er ernten und dreschen und pflügen und säen, und wollte doch nichts mehr von alledem, und dazu hatte er noch ein Wirtshaus und Güter in Leutershofen, das Haus stand leer, und um die Ernte wurde er halb betrogen. Immer mußte er auf dem Wege hin und her sein und dazu noch vor Amt. Um all das Ungemach zu vergessen, mußte jetzt Cyprian den Wein zu Hilfe nehmen, aber beim Glase und am nüchternen Morgen schalt er auf Gottfried, der ihn zu Grunde richte. Gottfried grenzte von jeher mit seinen Aeckern an viele Nachharn, er durfte sich rühmen, daß er nie mit jemand einen Streit gehabt; in diesem Jahre hatte er, wo er an Cyprian grenzte, immer die ärgsten Händel, die natürlich auch von den beiderseitigen Dienstleuten aufgenommen und gehörig ausgebeutet wurden. So war aus dem anfangs nur abwendigen und störrischen Cyprian ein grimmiger Feind geworden. Gottfried aber ging ruhig seines Weges, er verbot in seinem Hause, daß man der bösen Nachreden Cyprians erwähne, ja, er that nichts dagegen, als Cyprian ihn einmal selbst öffentlich beschimpfte; er wollte ihn nicht weiter ins Unglück bringen, er hatte seiner Pflicht genügt und blieb im übrigen ruhig und gelassen.


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