Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Capitel.


Der Tag nach einem Fest trägt oft einen von demselben ganz verschiedenen Charakter zur Schau, und die wenigstens theilweise oder scheinbare Freude desselben verkehrt sich in ihr Gegentheil. Frau Artefeld stand mit sehr übler Laune auf, ließ dieselbe gegen Alle, die sich ihr näherten, aus, sogar gegen Georg, auf dessen Spiel mit einer sehr kunstvoll gearbeiteten Handelsflotte en miniature, die sein Papa ihm geschenkt, sie gar nicht einging. Ja sie schalt ihn sogar in ungewohnter Weise, als er ihr sein Hauptschiff, den Dampfer Artefeld, zeigte, an dem er soeben das Rad zerbrochen, und als er, halb trotzig, halb zerknirscht sagte:

»Ich mag die alten Schiffe nicht mehr, ich will lieber im Garten graben,« setzte sie ihn so heftig auf die Erde zu seiner Handelsflotte, befahl ihm so herrisch, mit derselben zu spielen, daß der sonst so sanfte kleine Bursche zu weinen und zu strampeln anfing.

Es war die erste Scene, die sie mit dem Kinde hatte, das erste Mal, daß sie von ihm in demselben kalten, harten Tone, der ihr gegen Andere eigen war, wenn sie einen Befehl aussprach, eine Abbitte verlangte.

»Ich bin nicht unartig, unsere Mama ist unartig,« behauptete der Kleine, dessen Thränen versiegten, sowie der befehlende, unfreundliche Ton in sein Ohr drang. »Ich habe nur das Rad zerbrochen, und Mama hat gestern auch etwas zerbrochen.«

Frau Artefeld hatte noch nie einen Widerspruch von Georg gehört, hatte nie die dunkeln Augen desselben so trotzig auf sich gerichtet gesehen, während es doch um die Lippen zuckte wie mühsam verhaltenes Weinen.

Eine seltsame Bewegung kam über sie, eine Angst, viel größer als diejenige war, mit der sie ihn gestern in ihre Arme geschlossen, als sie ihn von Richard bedroht glaubte.

»Georg,« sagte sie leise, »kannst Du Deine Mama so betrüben? Du mußt sie um Verzeihung bitten.«

Sie hatte Thränen in den Augen, als sie das sagte, augenblicklich stürzte das Kind in ihre Arme und schluchzte eine Abbitte hervor.

»Du wirst mich doch immer lieb haben, wirst mir doch immer gehorchen?« fuhr sie fort und mußte unwillkürlich lächeln, als der Kleine noch halb weinend bat:

»Willst Du aber nicht auch manchmal bitte sagen, liebe Mama?«

So war der Friede auf diesem Punkt geschlossen, und Georg besiegelte ihn, indem er aufs artigste unter der Aufsicht der Bonne weiter spielte, während sie ihre gewohnten Tagesgeschäfte begann. Bei ihr hatte jedoch das kleine Gewitter den Horizont keineswegs aufgeklärt. Die für einen Augenblick zerstreuten Wolken sammelten sich gleich wieder. Wer ihr nahe kam, hatte darunter zu leiden. Herr Artefeld mußte mehr denn je laviren und fing nicht immer die richtige Windseite auf, Herrn Richter's Provinzialismen fanden die intoleranteste Aufnahme; sie machte ihn in ihrem Aerger dafür verantwortlich, daß bei ihrem Eintritt in's Comptoir nur Einer der Herren, nur Herr Jakobi, sie bemerkt und gegrüßt habe, und lachte höhnisch, als er keine andere Entschuldigung für die Uebelthäter aufzubringen wußte als ein:

»Gottchen, Gottchen, so etwas kommt wohl einmal vor, da ist nichts Schlimmes dabei.« Als er ihr nun aber gar noch den Brief mit den Banknoten in ihres Mannes Gegenwart, dem sie von dem Vorfall nichts gesagt, übergab und dazu ganz naiv bemerkte: »Hier ist das Geld, das der junge Herr nicht hat haben wollen,« warf sie ihm einen Blick zu, der ihm ein baldiges böses Schicksal weissagte.

Bei den jungen Damen sah es auch trübselig aus.

Freudvoll und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Hangen und bangen
In schwebender Pein!

Damit möchte am besten Elisabeth's Stimmung zu bezeichnen sein. Das stille Glück von dem Abend vorher hatte den hellen Sonnenschein nicht miterlebt. Gestern hatte sie nur der Gedanke beseligt: »Er liebt mich,« denn obgleich er es nicht ausgesprochen, ahnte sie es doch schon lange, wußte es seit gestern gewiß. Jetzt aber fragte sie sich: was soll daraus werden? Wird die Mutter – nein, die Mutter wird nichts thun, was mich glücklich macht, war die schnelle Antwort auf die schüchterne Frage. Was geht mein Glück die Mutter an? Ich bin ja nicht Georg!

Flora hatte wieder andern Kummer. Der alte Gebhard hatte schlimme Nachricht in Beziehung auf Richard gebracht. Dieser hatte vor Sonnenaufgang das Wirthshaus verlassen, zu Fuß, den Mantelsack umgeschnallt; der Wirth wußte nicht, wohin er sich wohl gewendet haben möchte. Flora war so bestürzt über die Nachricht, daß sie Gebhard's bedrückte, sorgenvolle Miene derselben Ursache zuschrieb.

»Wir wollen noch nicht den Muth verlieren,« sagte sie freundlich, »ich werde nun den Papa bitten, ihm nachzuforschen, er wird ihn schon auffinden. Von unserer nächtlichen Excursion schweigen wir, nicht wahr?«

Gebhard nickte zustimmend. Flora's Hoffnungen schien er wenig zu theilen. Sie mochten wohl auch schwach genug sein, denn seufzend begab sie sich in das Wohnzimmer, in dem sich zur bestimmten Stunde die Familie zum Frühstück zu versammeln pflegte. Sie war heute die Letzte und wurde deshalb von ihrem Vater mit einer gutlaunigen Neckerei über ihr zu langes Schlafen empfangen. Sie ging freundlich auf den Scherz ein, aber Niemand von den Anderen bemühte sich, in dem angeschlagenen Tone fortzufahren. Eine unheimliche Stimmung gewann die Oberhand. Frau Artefeld sprach kein Wort und sah so aus, daß auch kein Anderer zu sprechen wagte; hätte nicht Georg unbefangen geplappert, nichts würde die Stille unterbrochen haben.

Endlich sagte sie zu Elisabeth:

»Ich war gestern Nacht noch in Deinem Zimmer, weil es mir vorkam, als hättest Du Licht darin. Ich hatte mich nicht getäuscht. Deine Lampe brannte, und das Buch in Deiner Hand bewies mir, über welcher Beschäftigung Du eingeschlafen warst. Ich muß sehr bitten, daß es nicht wieder vorkommt, ich habe nicht Lust, Deines Vergnügens wegen mein Haus in Flammen aufgehen zu sehen. Ich habe überhaupt,« fuhr sie, da Elisabeth nicht antwortete, fort, »ich habe überhaupt mit Erstaunen gesehen, daß eine Menge Romane auf Deinem Tisch lagen, wo hast Du sie her?«»

Elisabeth warf einen schnellen, flehenden Blick auf ihren Stiefvater, der mit dem Theelöffel in seiner Tasse herumklapperte und that, als ob er die Frage nicht gehört hätte.

»Der Papa hat ihr die Bücher geschenkt,« antwortete statt seiner Flora ruhig.

»Ich? Was habe ich gethan?« fuhr jener wie aus einem Traum auf, und als Flora ihm wiederholte, um was es sich handle, sagte er lachend:

»Gewiß habe ich das gethan, das kleine Ding liest ja gern, und Romane tragen mit zur Bildung bei.«

»Die Bildung, die aus Romanen entnommen ist, will ich in meinem Hause nicht,« sagte Frau Artefeld.

»Nun, wenn Du es nicht wünschest, will ich ihr keine Bücher mehr geben, sei nicht böse deshalb, mein Herz!«

»Vielleicht ist es eine Frucht dieser Romanbildung,« fuhr die strenge Dame fort, »daß Elisabeth gestern das alberne Liebeslied in einer so rücksichtslos leidenschaftlichen Weise sang. Ich war erschrocken, als ich es hörte, und schämte mich in Deiner Seele. Ueberhaupt, mein Kind, hättest Du mit dem Vorsingen auf mich warten können. Ich bin doch nicht gerade eine Nebenperson in meinem Hause und hätte wohl ein Recht, sowohl von Dir, wie von der Gesellschaft und manchem Andern noch, einige Rücksicht zu verlangen.«

Herr Artefeld hatte den Seitenhieb, der auf ihn gemünzt war, wohl bemerkt, war aber an diese Fechtart schon zu sehr gewöhnt; um sich dadurch aus dem Geleis bringen zu lassen. Mit ziemlichem Geschick brachte er ein anderes Gespräch auf die Bahn, aber was hilft alles Geschick gegen üble Laune! Ueble Laune ist wie ein bissiger Hund, der auf Alles zufährt, was zufällig in seine Nähe kommt. In dem mühsam aufrecht erhaltenen Gespräch wurde unglücklicher Weise Herrn Richter's Name genannt.

»Der Mensch wird alle Tage unverschämter,« bemerkte Frau Artefeld, »freilich wird er auch in seltsamer Weise dazu animirt. Flora kann ja nie aufhören mit ihm zu schwatzen, Sie läßt sich förmlich die Cour von ihm machen.«

Flora konnte sich nicht enthalten zu lächeln.

»Das gute Mannchen!« sagte sie, seine Redeweise nachahmend.

»Das gute Mannchen!« plapperte Georg ihr wieder nach.

»Das gute Mannchen wird am längsten hier gewesen sein,« versicherte Frau Artefeld.

Flora verstand die Drohung nicht gleich.

»O,« sagte sie lebhaft, »will er nach Elbing zurückgehen, fängt er vielleicht sein Geschäft wieder an?«

»Er?« spottete Frau Artefeld.

»Papa, Du hast mir doch gesagt, daß er ein sehr guter Kaufmann wäre, daß er nur Unglück gehabt hätte,« wandte Flora sich an diesen.

»Gewiß,« entgegnete jener, »so weit ich ihn kenne, fehlt ihm nur ein geringes Betriebskapital. Wer ihm das vorstreckte, würde ein gutes Werk thun und nichts dabei verlieren.«

»So thue Du es doch,« scherzte oder vielmehr spottete Frau Artefeld.

»Du weißt ja, daß ich nichts habe,« antwortete er und biß sich auf die Lippen.

»Oder Flora,« fuhr sie in demselben Tone fort.

Herrn Artefeld schien der Scherz ärgerlich. Er wußte auch wohl kaum, ob die Reden eigentlich scherzhaft gemeint waren. Seine Frau sprach immer in so spitzem Tone, daß die Unterscheidung wirklich schwer war und deshalb vielleicht öfter als gerade nöthig zu ihren Ungunsten ausfiel.

»Es würde im Augenblick nicht leicht sein, einen Ersatz für Herrn Richter zu finden,« bemerkte er.

»Das wäre meine Sache,« erwiderte sie, »da ich es allein bin, die unter dem Wechsel zu leiden hätte. Uebrigens wüßte ich schon einen Stellvertreter. Ich bedenke die Dinge gewöhnlich vorher, ehe ich von ihnen spreche. Herr Richter ist nicht der einzige tüchtige Arbeiter in meinem Comptoir. Herr Jakobi leistet dasselbe, hat zudem mehr Manieren und sehr viel mehr Verstand.«

»Hm,« machte Herr Artefeld.

»Bist Du anderer Meinung?« fragte sie scharf.

»Ich kenne ihn nicht,« war die Antwort.

»Du siehst ihn ja auch nur bei Tisch, ich arbeite mit ihm,« fuhr sie fort. »Mein Urtheil muß also mehr gelten. Ich habe mich bisher überhaupt nur dann in der Wahl meiner Diener vergriffen, wenn ich den Rathschlägen Anderer Gehör gab.«

Er verstand die Pille und schluckte sie zwar schweigend, aber doch nicht ganz ohne Anzeichen eines kleinen Verdrußes hinunter.

Georg unterbrach das ungemüthliche Gespräch, blieb aber leider bei demselben Gegenstand, als er fragte:

»Mutter, wie heißen Herrn Richter's Kinder?«

»Da mußt Du Flora fragen,« sagte die Mutter spöttisch.

Georg sah Flora an, und diese nannte ihm ruhig die vier Namen, die nie verfehlten, den Kleinen zum Lachen zu reizen. Er lachte so herzlich, daß er es zum Glück nicht hörte, wie seine Mutter, in ihrem Spott fortfahrend, zu Flora sagte:

»Es müßte wohl recht hübsch sein, einen krummbeinigen Gemahl und vier Stiefkinder zu haben, nicht?«

Flora zuckte nur die Achseln; Herr Artefeld bemühte sich, den bittern Scherz komisch zu finden und lachend darauf einzugehen.

»Nun, meine Flora, möchtest Du wohl die Henne zu den vier Küchlein sein?«

»Papa,« sagte sie, »das ist kein hübscher Scherz.«

»Ich danke Dir für die Belehrung, die wohl eigentlich mir gilt, da ich mir erlaubt habe, den Scherz anzugeben,« bemerkte Frau Artefeld spitz.

»Der arme Mann ist in einer so traurigen Lage mit seinen vier mutterlosen Kindern, denen er nicht einmal eine Heimath geben kann, daß es mir widersteht, über ihn zu scherzen; etwas Anderes habe ich nicht sagen wollen, Mutterchen!« entschuldigte sich Flora freundlich.

»Mutterchen!« wiederholte diese, »Du gewöhnst Dir wirklich schon seine Sprechweise an. Ich liebe diese vertraulichen Diminutiven nicht. Wenn Du Mutter sagst, weiß ich eben so gut, wen Du meinst, und es ist mehr Respect in der Benennung.«

Eine kleine Pause trat ein. Man hörte nur das Klappern der Theelöffel, nur das eintönige Geräusch der auf dem Tisch trommelnden Finger des Herrn Artefeld – das einzige Zeichen der Ungeduld, das er zuweilen zu geben nicht unterlassen konnte, namentlich wenn seine Tochter es war, die unter der Laune seiner Frau zu leiden hatte.

Flora sah ganz ängstlich zu ihm hin. Der Vater sah ihr heute so seltsam aus. Sie bemerkte auf einmal, daß er sich verändert, daß seine Züge etwas Schlaffes angenommen hatten, daß, obgleich er echauffirt aussah, in seiner Gesichtsfarbe doch etwas Krankhaftes lag. War das nur heute, oder war es so allmählich gekommen, daß sie es nicht bemerkt hatte. Die Stimmung hat allerdings viel Einfluß auf das Aeußere des Menschen, und wer konnte es ihm verdenken, wenn ihm auch einmal die Geduld ausging. Hatte er doch eine Lammsgeduld, auch jetzt noch war ja kein unfreundliches Wort über seine Lippen gekommen. Er schob nur die Tasse Kaffee weit von sich, als widere es ihn an, den Trank nur zu sehen, den man ihm mit giftigen Worten credenzte.

»Du scheinst sehr echauffirt und nervös heute,« bemerkte Frau Artefeld, »Dein Trommeln auf dem Tisch ist unleidlich.«

Er nahm die Hand herunter, rückte sich die Tasse wieder näher und schlürfte sie in hastigen Zügen aus.

»Ich bemerke, daß Deine Stimmung seit einiger Zeit sehr ungleich ist,« fuhr die liebende Gattin fort. »Ich glaube, Du müßtest eine andere Diät halten. Du bist vollblütig, Du mußt des Abends keinen Wein trinken. Das bekommt Dir nicht. Ich werde mit dem Arzt sprechen.«

»Bah, die Aerzte,« warf Herr Artefeld hin, stand auf und ging hinaus.

»Ist der Vater krank?« fragte Flora besorgt.

»Ueble Laune ist keine Krankheit,« war die Antwort.

»Doch,« sagte Flora leise.

Sie wäre gern aufgestanden und dem Vater nachgegangen; auch Elisabeth, die kaum ihren Antheil am Frühstück hinuntergezwungen, sehnte sich nach Einsamkeit, aber die Töchter durften nicht eher aufstehen, als bis die Mutter sich erhoben und dadurch das Zeichen zum Aufbruch gegeben hatte; es war schon ein gewaltiger Uebergriff, daß Herr Artefeld heute nicht darauf gewartet hatte. Und just heute schien sie nicht mit dem Frühstück fertig werden zu können. Es wurde den Mädchen bald klar, warum.

»Du hattest gestern ein Buch mit Versen in der Hand,« begann nach einer Weile die Mutter auf's Neue zu Elisabeth gewendet. »Es ist kein großes Compliment für den Dichter, daß Du über den Versen einschliefst. Von wem waren sie?«

»Von Herrn Dorn,« stammelte Elisabeth.

»Hat er Dir das Buch gegeben?«

»Nein, Mama.«

»Wo hast Du es her?«

»Ich habe es ihr geschenkt,« fiel Flora rasch ein, die recht gut um das Geheimniß mit den Blumen wußte, das Buch natürlich auf demselben Wege in Elisabeth's Hände gespielt glaubte und im Interesse und zur Wohlfahrt aller Betheiligten die nie begangene Sünde einer Lüge auf sich nahm.

Elisabeth's innig dankbarer Blick söhnte sie auch sogleich mit der Schuld aus.

»Also Vater und Tochter zugleich sorgen für Deine Bildung, Elisabeth?« sagte Frau Artefeld spöttisch, »es ist ein wahres Glück, daß ich wieder geheirathet habe, was würde sonst aus Dir geworden sein! – Herr Dorn soll übrigens, statt Verse zu machen, Manieren lernen,« fuhr sie nach einer Weile fort. »Noch ist es in meinem Hause nicht passirt, daß einer meiner Gäste vor dem Schluß des Festes fortgelaufen, ohne sich nur zu empfehlen.«

»Ich glaube, er war krank, er wird gewiß noch kommen, sich zu entschuldigen,« wagte Elisabeth einzuwenden, bückte sich dann aber rasch zu dem auf dem Fußboden spielenden Georg hinunter, um die dunkle Gluth ihrer Wangen zu verbergen.

Es gelang ihr, obgleich Georg verwundert ausrief: »Hast Du ein heißes Gesicht, Schwester Lisabeth,« es gelang ihr, weil ihre Mutter sie sichtlich nicht bemerken wollte und, ohne Elisabeth anzusehen, gleichgültig sagte:

»Er soll sich nicht incommodiren, ich werde ihn nicht wieder einladen. Da er nicht gebildet genug für mein Haus ist, mag er wegbleiben. Mir ist es um so lieber, denn es ist mir schon lange langweilig, sein fades Gesicht nur zu sehen.«

»Ach, Mutter, ich dächte, er wäre sehr hübsch!« fiel Flora lebhaft ein. Elisabeth kniete noch neben Georg, scheinbar voller Theilnahme für dessen Schiffe, die er mit lautem Halloh! durcheinander fahren ließ, als liefere er mit der friedlichen Handelsflotte eine Seeschlacht. Sie konnte sich nicht enthalten, ganz leise, fast nur hingehaucht und durch Georg's lustiges Spiel übertönt, vor sich hin zu sagen:

»Sein hoher Gang,
Seine edle Gestalt,
Seines Mundes Lächeln,
Seiner Augen Gewalt,
Und seiner Rede
Zauberfluß –«

Hier stockte sie.

»Zauberfluß!« wiederholte Georg, das letzte Wort auffangend, »Schwester Lisabeth, giebt's Fische im Zauberfluß?«

»Nein,« sagte sie rasch, »nur goldene Sterne!«

»Können aber meine Schiffe da fahren?«

»Nein, da gehen sie alle unter,« versicherte sie lächelnd.

»Erzähle dem Kinde nicht dumme Geschichten,« wies Frau Artefeld sie zurecht, »ich will keinen Dichter aus ihm gemacht haben. Hübsch findest Du Herrn Dorn?« wandte sie sich dann an Flora, »ich bewundere Deinen Geschmack! Du findest wohl auch Herrn Richter hübsch?«

»Er ist nicht häßlich, er hat ein sehr gutes Gesicht,« lautete die Antwort, »aber eigentlich denke ich nie daran, ob ein Mann hübsch ist oder nicht.«

»Nun, ich wünsche Dir Wiedervergeltung,« lachte Frau Artefeld. »Herr Richter nicht häßlich und Herr Dorn hübsch! Der einzige Unterschied, den ich zwischen Beiden mache, ist der, daß der Eine nur fade, der Andere einfältig aussieht. In mein Haus gehören sie Beide nicht. Mit Herrn Dorn bin ich schon fertig, und bei Herrn Richter bedarf es nur noch einer Unverschämtheit, so geht er auf der Stelle.«

Elisabeth, nicht mehr im Stande, ihre ausbrechenden Thränen zu unterdrücken, stürzte hastig aus der Stube.

»Schwester Flora, wirst Du auch noch weglaufen?« fragte Georg unschuldig.

»Nun, da heute Dein Vater uns unserm Schicksal überlassen hat, da Elisabeth seinem guten Beispiel folgt, ist es wohl Zeit, unser Zusammensein zu beenden. Ich liebe diese Morgenstunde sonst und widme sie gern der Unterhaltung mit den Meinigen, da der übrige Tag der Arbeit für sie gewidmet ist. Es war nicht blos unschicklich, es war lieblos von Elisabeth, sie so brüsk abzukürzen. Sage ihr das, Flora, sage ihr, sie solle meine Sorge besser lohnen. Komm jetzt, Georg. Komm, mein Liebling, mein Kind! Susanna soll Dich anziehen und mit Dir spazieren gehen, während Deine Mama für Dich schreibt und rechnet, damit Du einmal ein reicher und glücklicher Mann wirst. Bist Du groß und ich alt, so schreibst und rechnest Du für mich, mein Kind!«

Mit Georg an der Hand verließ sie das Zimmer, während Flora zu Elisabeth eilte. Sie fand sie noch weinend.

»Beruhige Dich, Herzensseelchen!« sagte sie, ihr liebkosend die Wangen streichelnd. »Es wird Alles besser werden, als Du denkst. Deine Mutter kann doch nicht die Macht haben, Euch Alle unglücklich zu machen. Ich muß jetzt zum Papa, ich muß mit ihm sprechen, das muß anders werden!«

»Es ist mir ganz gleich, was die Mutter über ihn sagt,« versicherte Elisabeth, »ich habe ihn nur noch lieber deshalb. Wenn sie glaubt, mich dadurch meiner Liebe abwendig zu machen, irrt sie sich.«

»Sie weiß ja auch nichts Ernstliches gegen ihn aufzubringen, hast Du's nicht gemerkt,« tröstete Flora die Schwester, »daß er gestern Abend ohne Abschied fortgegangen ist und daß sie ihn nicht hübsch findet, das ist Alles. Deshalb kann sie ihn Dir immer zum Mann geben. Sie hat keinen Grund zur Weigerung.«

»Sie wird sagen: Ich will nicht,« erwiderte Elisabeth, »und an dem Wort läßt sie zerbrechen, was zerbrechen will, Köpfe und Herzen, Glück und Recht.«

Flora sah die Erbitterte besorgt an. Es brannte ihr auf der Seele, zum Vater zu gehen, und doch scheute sie sich, das arme Mädchen allein zu lassen. Elisabeth merkte ihr den Kampf an.

»Geh nur,« sagte sie freundlich, »und greife in die Nesseln, Du hast doch nicht eher Ruhe, als bis Du Dich für Jemand verbrannt hast.«

Flora umarmte sie herzlich und eilte fort. Sie fand ihren Vater schreibend und rechnend an seinem Schreibtisch. Es schien ihm nicht eben recht, gestört zu werden, aber hatte er für Jedermann aus Gewohnheit ein freundliches Gesicht, bei seiner Tochter war es der Ausdruck seines Herzens. Er stand auf, setzte sich auf's Sopha und lud sie ein, neben ihm Platz zu nehmen und ihm zu sagen, was sie wolle. Sie erzählte ihm von Richard.

»Donnerwetter!« fuhr er auf, »der Junge konnte zu keiner ungelegneren Zeit wiederkommen, – der fehlte jetzt gerade noch, die Laune zu meinem Schaden vollends zu verderben!«

Flora sah ihren Vater erstaunt an.

»Du siehst ja, in welcher Stimmung die Mutter jetzt ist,« erläuterte er seine Meinung, »hältst Du die für günstig zur Versöhnung?«

Flora erklärte ihm, daß die Stimmung wohl nur eine Folge der abermals so feindlichen Begegnung der Beiden sei. Sie theilte ihm Alles mit, was sie von Dorothee, von Richter, von Gebhard erfahren, sie war erstaunt, daß ihr Vater von alledem nichts wußte.

»Und was soll denn nun geschehen?« fragte er.

»Für's Erste, lieber Papa,« bat sie, »mußt Du Alles thun, dem armen Richard nachzuforschen, heraus zu bekommen, wo er eigentlich ist, und dann von ihm verlangen, daß er um Verzeihung bittet, und von ihr, daß sie dieselbe gewährt. Du bist jetzt sein Vater, Du mußt auch bestimmen können, wer in das Haus aufgenommen werden soll, wer nicht.«

»Du bist ein naives Geschöpf,« lachte Artefeld halb bitter, halb leichtfertig. Flora kehrte sich nicht daran. Sie rückte nun auch für Elisabeth in's Feld, sie bat, sie beschwor ihn, sich ihrer und ihres Geliebten anzunehmen, sie erklärte es geradezu für seine Pflicht, dem Despotismus seiner Frau entgegen zu treten. Sie bat mit Thränen in den Augen, bat so warm und innig, daß er es nicht vermochte, sie mit einem Scherz abzufertigen.

»Gut, es soll Alles geschehen,« sagte er, »ich werde für Alles die gehörigen Maßregeln ergreifen, aber Du mußt einige Tage Geduld haben. Es liegt mir gerade jetzt sehr viel daran, meine Frau bei guter Laune zu erhalten, ich kann Dir nicht sagen, weshalb. Alle diese ärgerlichen Geschichten kommen mir jetzt so ungelegen wie möglich. Ich habe übermenschliche Geduld angewendet, ihrer üblen Laune heute zu begegnen, ich ging fort, weil ich es nicht mehr aushalten konnte und es doch um jeden Preis vermeiden will, sie zu erzürnen. Ich werde jedoch bald wieder freie Hand haben und dann soll Alles geschehen, was Du willst, so weit es von mir abhängt.«

Flora sah ihren Vater traurig an.

»Ich kann nicht verstehen, was Du meinst,« sagte sie, »aber richtig ist das Verhältniß hier im Hause nicht. Du wenigstens solltest doch keine Furcht vor ihr haben dürfen.«

»Vor ihr? – nein, aber vor Streit und vor manchen anderen Dingen noch. Denkst Du etwa,« rief er aufspringend aus, »daß das Joch leicht zu tragen ist, das ich auf mich habe nehmen müssen? daß es leicht ist, immer den liebenswürdigen, galanten Ehemann zu spielen, immer dem Unverstande, dem Hochmuth, dem hartnäckigsten Eigensinn begegnen zu müssen, um seine Meinung offen zu sagen, nie anders seinen Willen als auf Umwegen durchzusetzen? leicht, sich zu langweilen mit lachendem Gesicht, leeres Stroh dreschen zu hören mit gläubiger Miene? leicht, hundert Ketten um sich herum klirren zu hören, sowie man einen Fuß über die Schwelle setzt? Meinst Du nicht, daß man sich da die Freiheit kauft, wo man sie findet und um jeden Preis? – Nun, nun, erschrick nur nicht so,« fügte er lachend hinzu, Flora's bestürzte Miene gewahrend, »unglücklich macht's mich nicht, nur manchmal ärgerlich. Zum Ungücklichsein bin ich nicht geschaffen. Freut Euch des Lebens, ist mein Wahlspruch.«

Flora schauerte zusammen. Das Lied hatte sie gestern singen hören! Es war unmöglich, daß ihr Vater es gesungen hatte! Sie hatte es nicht geglaubt, glaubte es auch jetzt nicht, aber als sie es hörte, war ihres Vaters Stimme ihr eingefallen und die Erinnerung konnte sie auch jetzt nicht los werden.

»Freut Euch des Lebens, so lange noch das Lämpchen glüht,« trällerte Herr Artefeld mit affectirter Lustigkeit weiter.

»Vater, um Gottes willen singe das Lied nicht!« bat sie, »das singen die Betrunkenen auf der Straße.«

Er lachte.

»Laß sie es doch singen,« sagte er leichtfertig, »die Betrunkenen sind ganz glückliche Leute. Im schäumenden Becher ersäufen sie allen Verdruß«

Flora hatte ihren Vater nie so sprechen hören. Sie konnte es sich nur auf eine Art erklären.

»Bist Du denn so unglücklich, lieber Vater?« fragte sie schüchtern.

»Gar nicht, liebes Kind,« sagte er. »Aber, weißt Du, wenn man vergnügt sein will, wirklich sein und nicht nur so thun, dann muß man so weit als möglich von da fortlaufen, wo meine Frau ist, denn sie hat eine ganz verdammte Manier, Vergnügen und Gemüthlichkeit um sich her nicht aufkommen zu lassen.«

»Aber wie hat sie denn so werden können?« fragte Flora.

»Ach, sie ist wohl immer so gewesen,« war die Antwort, »ich habe mich nur in einem Punkt geirrt. Ich rechnete noch auf ihre Verliebtheit und dachte, sie an der schwachen Stelle nach Belieben leiten zu können. Aber weiß der Himmel, obgleich es nicht zu leugnen ist, daß die Flamme aus der Jugendzeit noch hell genug brennt, daß ich's noch immer verstehe sie anzufachen, zum Herrn macht's mich doch nicht, und von den Knieen darf ich mich nicht erheben, will ich mir auf dem Wege der Gnade die kleinen Lebensannehmlichkeiten sichern, die ich verlieren würde, wollte ich sie als Recht fordern. Es ist manchmal eine Frohnarbeit, immer liebenswürdig sein zu müssen.«

Flora hörte mit tiefer Niedergeschlagenheit diesem Bericht zu. An ein Urtheil wagte sie sich nicht, aber der Betrübniß konnte sie sich nicht erwehren.

»Du hättest ihr doch nicht immer nachgeben müssen, es ist zu Deinem und unser Aller Schaden geschehen,« erwiderte sie, »wärst Du nur recht fest aufgetreten. Mit dem Recht auf Deiner Seite hättest Du ihre Hartnäckigkeit brechen müssen.«

Philipp Artefeld lachte laut auf.

»Du Närrchen,« sagte er, »da wären wir nur mit den Köpfen gegeneinander gerannt, und da der ihre härter ist als der meine, hätte mein Hirnschädel den Schaden tragen müssen. Nein, nein, mit ihr ist nichts anzufangen, als ihr zu ihrem eigenen Besten ein X für ein U zu machen und ihr für ihre eigenen Launen ein Schnippchen zu schlagen. Sie ist unverbesserlich. Tyrannen werden immer betrogen, sie wollen's nicht anders.«

Flora schüttelte nachdenklich den Kopf. Ihr Vater hatte nie so vertraulich mit ihr über die eigenthümlichen Verhältnisse des Hauses gesprochen, aber so beseligend es sonst auch für eines Kindes Herz sein mag, in seines Vaters Seele wie in einem offenen Buche lesen zu dürfen – in diesem Vertrauen lag etwas unendlich Niederdrückendes. Es klärte kein Dunkel auf, es zerstörte nur eine Illusion, einen Glauben vielleicht.

»Ach, warum hast Du sie nur geheirathet?« fragte Flora endlich.

»Ja, mein Kind, sie war eine brillante Partie,« erwiderte er, in leichtfertiger Unbesonnenheit leider eine Blöße seines Charakters nach der andern vor seiner eigenen Tochter aufdeckend.

»Deshalb?« sagte sie traurig; »hatten wir denn nicht genug?«

»Liebes Kind,« erklärte er ihr, »Geld hat man nie genug. Das ist eine alte Erfahrung. Wer nichts hat, dem dünken hundert Thaler schon ein Reichthum, wendet das Glück ihm dieselben zu, streckt er die Hand nach dem Zehnfachen aus, wird ihm das Zehnfache zu Theil, genügt ihm bald das Hundertfache nicht mehr. L'appetit vient en mangeant, das ist das ganze Geheimniß.«

Flora sagte nichts mehr, ihr standen die Thränen in den Augen. Jetzt erst gewahrte ihr Vater, was er angerichtet. Er lachte gutmüthig.

»Nimm's nur nicht so buchstäblich,« beruhigte er sie, »ich bin ärgerlich heut, und da malt man die ganze Welt schwärzer als sie ist und sich dazu. Ich glaube wirklich, daß ich mich gegen Dich verleumdet habe. Nun, so nimm Du nur Deinen Vater in Schutz, und sage dem Verleumder, daß er ein honnetter Kerl ist, hörst Du?«

»Ach, Vater, ich wußte es ja, daß Du nicht so sein könntest,« stammelte Flora, und eine Felsenlast fiel ihr vom Herzen, als die Arme ihres Vaters sie umschlossen, er sie herzlich auf die Stirn küßte, dann aber sie freundlich zur Thür hindrängte und ihr sagte, sie müsse nun gehen, er habe zu thun, und sie solle sich nur keine Sorge mehr machen, sie sei ein kleines dummes Mädchen, das sich auf ärgerliche Leute und ihr Gerede nicht verstände! Ach, sie glaubte Alles, was er ihr sagte, und mit unendlich erleichtertem Herzen verließ sie ihn.

Auf dem Corridor begegnete ihr Dorn. Er schien aus dem Zimmer der Mutter zu kommen und sah leichenblaß aus. Er hatte den Hut in der Hand; und ohne sie zu grüßen, ohne sie nur zu sehen, stürmte er an ihr vorüber und war, ehe sie sich nur so weit von ihrem Erstaunen erholen konnte, ihn anzurufen, in die Stube ihres Vaters gestürzt.


 << zurück weiter >>